Religion und Familienrecht? Ein aktuelles Thema? (angeregt durch die Diskussion auf dem 14. Symposium für Europäisches Familienrecht v. 14. bis 16.3.2019 in Regensburg)

Nach 14 Länderberichten war man sich einig: Das europäische Familienrecht ist weitgehend säkularisiert. Zwar finden sich in fast allen europäischen familienrechtlichen Kodifikationen noch Spurenelement kirchlichen Rechts, diese ausfindig zu machen ist aber etwas für Professor Börne aus dem Tatort Münster.

Doch warum kann eine Ehe vor dem Standesbeamten geschlossen werden, ist aber immer noch in den meisten Ländern vom Richter zu scheiden? Warum verlangt der Gesetzgeber in den meisten Staaten einen Scheidungsgrund, wenn ein Ehegrund nicht erhoben wird, und der deutsche Gesetzgeber von den Ehegatten ein Trennungsjahr?

Das heutige Ehe- und Scheidungsrecht ist der Nukleus des Kulturkampfes der weltlichen gegen die kirchliche Macht mit ihrem sakramentalen Eheverständnis. Dieses Eheverständnis war vom Mittelalter bis in die frühe Neuzeit ein wirkliches Erfolgsmodell, sicherte es doch zunächst der Kirche mit rigider Sexualmoral und dem Verbot der Verheiratung unterschiedlicher Glaubensangehörigen und später den aufkommenden Nationalstaaten den Nachwuchs und dessen Erziehung, den legislativ entrechteten Frauen Unterhalt und dem (meist) väterlichen Vermögen eine gesicherte Erbnachfolge. Dies wurde flankiert von der Strafbarkeit des Ehebruchs, für Frauen oft weit strenger und mit dem Tode geahndet als für Männer, und dem Verbot außerehelichen Geschlechtsverkehrs.

War die Ehe im römischen Recht noch ein privater Vertrag der Ehegatten, wurde sie im Mittelalter sakramental aufgeladen und unauflösbar. Das ist europäisches Kulturgut geworden, auch wenn die religiösen Elemente des Ehe- und Familienrechts nur noch wie ein kaum wahrnehmbarer Basso Continuo schwingen. Warum sonst hätten wir uns nicht schon längst von § 1353 Abs. 1 BGB emanzipiert, wonach die Ehe auf Lebenszeit geschlossen wird. Wissen wir doch um die Unhaltbarkeit dieses Versprechens. Niemand lässt sich heute nicht scheiden, weil er die Ehe lebenslänglich versprochen hat. Wenn die Rechtsordnung dazu dient, die Bürger mit dem Staat zu versöhnen, müsste dieser doch ein Eherecht schaffen, das es dem Bürger leicht macht, eine missraten gewordene Beziehung aufzugeben. Und wenn wir schon beim Grundsätzlichen sind: Wenn es richtig ist, dass die Ehe durch übereinstimmende Willenserklärung der Heiratenden zustande kommt, die sich versprechen, in der Ehe füreinander zu sorgen, kann man dieses Versprechen doch nicht auf die Zeit nach deren Beendigung ausdehnen.

Es wäre zu diskutieren, mit welchem Recht der Staat für das privateste aller Verhältnisse, nämlich die intime Bindung zweier Menschen ein so opulentes Regelwerk für dessen Beendigung vorhält. Die legislative Entrechtung eines Ehegatten (meist der Frau) durch die Ehe ist Rechtsgeschichte. Die verbliebene gesellschaftliche Diskriminierung von kindererziehenden und haushaltführenden Ehegatten hat mit Kindern und Haushalt etwas zu tun, nicht aber mit der Ehe. Kinder werden auch außerhalb einer Ehe gezeugt, geboren und erzogen[1] und Haushalte auch von Nichtverheirateten geführt, weil das unverheiratete Zusammenleben nicht mehr verboten ist.

Insoweit ist es vielleicht konsequent, wenn die Spanier beiden Ehegatten nach dreimonatiger Ehe den ‚talaq‘ der Notarscheidung anbieten und Slovenen und Kroaten die verfestigte nichteheliche Lebensgemeinschaft nach unterschiedlichen zeitlichen und personalen Voraussetzungen den güterrechtlichen Regelungen der Ehe unterwerfen. Allen Freigeistern zur Beruhigung: Die Lebensgefährten können den Opt-Out wählen. Wir sollten also keine Angst davor haben, die Ehe zu privatisieren. Es täte den Bürgern vielleicht sogar gut.

[1] In Deutschland werden heute schon mehr als 35 % der Kinder nicht mehr in einer Ehe geboren, in Frankreich sind es 64 %.

Unerwartete Rechtsfolgen einer Ehe – Wohnungszuweisung wegen Übernachtungsbesuchen der neuen Partnerin

Es ist offenbar unüblich, sich bei Eingehung einer Ehe über die Rechtsfolgen einer etwaigen späteren Trennung und Scheidung Gedanken zu machen. Letztlich hätte das allerdings auch wenig Sinn, denn das gesamte Familienrecht wimmelt nur so vor unbestimmten Rechtsbegriffen, die den Ausgang etwaiger gerichtlicher Streitigkeiten ohnehin so gut wie unvorhersehbar machen. Mandanten ist das nur schwer zu vermitteln. Gefragt nach der voraussichtlichen Dauer des nachehelichen Unterhaltsanspruchs des Ehepartners, zitiere ich häufig das Gesetz: „Der nacheheliche Unterhalt ist zeitlich zu begrenzen, wenn ein zeitlich unbegrenzter Unterhaltsanspruch … unbillig wäre.“. Ach so … Nach der Lektüre des Gesetzes weiß man nicht mehr als vorher. Als Rechtsanwalt bleibt einem nur noch zu versuchen, auf der Grundlage einer Vielzahl von Einzelentscheidungen nach und nach gewisse Wahrscheinlichkeiten auszumachen. Wie wenig man Einzelfallentscheidungen vorhersagen kann, die durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe vom Gesetzgeber erzwungen werden, zeigt beispielsweise ein Beschluss des OLG Hamm v. 28.12.2015 – II-2 UF 186/15, FamRZ 2016, 1082:

In diesem Fall wurde die Eigentumswohnung des Ehemannes seiner Ehefrau zur alleinigen Nutzung zugewiesen, obwohl die Wohnung im Alleineigentum des Ehemannes stand. Der Ehemann durfte also seine eigene Wohnung nicht mehr betreten, geschweige denn, seine Ehefrau der Wohnung verweisen. Immerhin erfolgte die Ehewohnungszuweisung nur befristet bis zum Ablauf des Trennungsjahres. Das Gesetz sieht in § 1361b Abs. 1 BGB für die Trennungszeit vor, dass die Ehewohnung einem der beiden Ehegatten zur alleinigen Nutzung zugewiesen werden kann, wenn das weitere Zusammenleben mit dem anderen für den Antragsteller eine „unbillige Härte“ bedeuten würde. Wann eine solche „unbillige Härte“ anzunehmen ist, lässt sich dem Gesetz allerdings nicht entnehmen. Immerhin ist vorgeschrieben, dass bei der Entscheidung etwaiges Alleineigentum an der Ehewohnung „besonders zu berücksichtigen“ ist. Das OLG Hamm nahm in dem am 28.12.2015 entschiedenen Fall eine „unbillige Härte“ für die Ehefrau an, weil der Ehemann seiner neuen Lebensgefährtin mehrfach gestattet hatte, bei ihm zu übernachten, und sie ihn zudem sehr häufig tagsüber zu Hause besuchte. Das Alleineigentum des Ehemannes an der Wohnung wurde in der Weise „besonders berücksichtigt“, dass die Ehewohnungszuweisung nicht für die gesamte Trennungszeit, sondern nur für das Trennungsjahr ausgesprochen wurde. Die Tatsache, dass die Ehefrau statt einer Ehewohnungszuweisung auch mit Erfolg hätte beantragen könne, ihrem Ehemann und seiner Lebensgefährtin dies zu untersagen, wird in der Entscheidung des OLG Hamm nicht erwähnt.

Fazit: Das Trennungs- und Scheidungsfolgenrecht hält für Mandanten wie für Rechtsanwälte viele Überraschungen bereit. Aus der im Familienrecht leider besonders häufigen Verwendung unbestimmter Rechtsbegriff im Gesetzestext, wie etwa desjenigen der „unbilligen Härte“, ergibt sich eine schwer erträgliche Rechtsunsicherheit. Klarere Regelungen durch den Gesetzgeber wären wünschenswert, auch wenn die Ergebnisse dieser Regelungen in der Praxis im Einzelfall „unbillig“ sein mögen. Sollte dies tatsächlich einmal der Fall sein, kann ausnahmsweise immer noch von der gesetzlichen Regelung abgewichen werden, wie dies auf jedem Rechtsgebiet der Fall ist. Wenn nebulöse Formulierungen wie „unbillige Härte“, „unzumutbar“ u.Ä. zum Regelfall im Gesetzestext werden, wie es im Familienrecht der Fall ist, hat der Gesetzgeber versagt. Klare Regelungen sollen hier anscheinend aus politischen Gründen vermieden werden, damit auf diesem hochsensiblen und emotionalen Gebiet am Ende die Juristen, nicht aber die eigentlich zuständigen Parlamentarier schuld sind. In der Praxis führt das bei den Betroffenen zu sehr viel vermeidbarem Leid.

Standesamts-, Notars- oder Gerichtsscheidung

Bericht über das 13. Symposium für Europäisches Familienrecht mit dem Thema: „Scheidung ohne Gericht? – Neue Entwicklungen im europäischen Scheidungsrecht“

Im Jahr 2008 hat sich die Anwaltschaft erfolgreich gegen die Notarscheidung in Deutschland gewehrt. Unter der Flagge des ‚Schutzes des Schwächeren vor Übervorteilung‘, betrieb die deutsche Anwaltschaft ein berufspolitisches Artenschutzprogramm, dessen Schutzobjekt der Scheidungsanwalt war.

Schaut man sich indessen in Europa um, so scheint Deutschland FFH-Gebiet für Scheidungsanwälte zu sein. Europaweit wird Scheidungswilligen zunehmend die Standesamts- oder Notarscheidung, manchmal auch beides angeboten. Dies jedenfalls ist die Quintessenz des 13. Symposiums für Europäisches Familienrecht, das vom 6. bis 8. Oktober in Regensburg stattgefunden hat.

So mancher Familienrechtler fragt sich ja schon länger, warum

  • wir einen Scheidungsgrund (Zerrüttung) brauchen, wenn es für die Eheschließung keines Grundes bedarf,
  • wir volljährigen Scheidungswilligen ein Trennungsjahr aufnötigen, wenn die Ehe ohne Wartezeit ratzfatz geschlossen werden kann,
  • wir die standesamtliche Beurkundung der Eheschließung zur Begründung der Ehe ausreichen lassen, den kontradiktorischen Akt aber dem Richter vorbehalten.

Diese dogmatischen Fragezeichen beantworten wir regelmäßig mit dem Argument,

  • die Ehegatten seien vor übereilter Scheidung,
  • ihre Kinder vor den Trennungsschäden,
  • der schwächere Ehegatte vor Übervorteilung und sozialem Abstieg

zu schützen.

Unüberlegte Haus- und Autokäufe lassen wir indessen zu, obwohl sie meist deutlich gravierendere ökonomische Folgen zeitigen. Auch greift der Staat nicht im Trennungs-, sondern erst im Scheidungsfall zum Kinderschutz, obwohl dieser im Zeitpunkt der Trennung doch viel wichtiger wäre.

Es ist nicht zu befürchten, dass der schwächere Scheidungspartner ‚über den Tisch gezogen‘ und entrechtet wird, wenn die Scheidung ziviler geschähe. Eine Rechtsbelehrung durch den den Scheidungswusch der Ehegatten beurkundenden Notar oder Standesbeamten ist ja wohl möglich und würde durch diese Urkundspersonen weit besser erfolgen, als durch den um seine Unbefangenheit bangenden Familienrichter. Bislang hat auch noch niemand eine zwingende Rechtsberatung vor der Eheschließung gefordert, um die durch diese ausgelösten teilweise als ruinös empfundenen wirtschaftlichen Folgen den Ehewilligen vor Augen zu führen.

Unser Gesetzgeber hat das Verbundverfahren eingeführt, das alles so komplex und schwierig macht. Im Versorgungsausgleich ist der Verbund nicht nötig, wenn die Beteiligten noch keine Rente beziehen. Sind sie Rentenbezieher, muss ohnehin eine unterhaltsrechtliche Übergangslösung bis zur Umsetzung der rechtskräftigen Versorgungsausgleichsentscheidung gefunden werden, weil nur selten die Höhe des späteren Versorgungszuflusses zuverlässig zu prognostizieren ist. Im Zugewinnausgleich ist das Verbundverfahren meist ein Anwaltsfehler und dient der Verfahrensverschleppung und Prolongierung des Trennungsunterhalts, also sachfremden Zwecken.

In meine Praxis kommen die Menschen notgedrungen, um einen Scheidungsantrag zu stellen, nicht weil sie sich der Scheidung widersetzen wollen. Und sie kommen, weil ihre wirtschaftlichen Belange nicht geklärt sind oder hinsichtlich bestimmter Kindschaftsfragen keine Einigkeit besteht. Das würde auch dann so bleiben, wenn die Ehescheidung beim Standesbeamten beurkundet würde.

Für Portugiesen, Spanier, Italiener und wohl auch bald die Franzosen, die Skandinavier und andere ist auch nicht das Abendland untergegangen, weil sie die Scheidung wieder ein Stück weit privatisiert haben. Luther setzte dem sakramentalen Charakter der Eheschließung entgegen, sie sei ‚ein weltlich Ding‘. Vielleicht ist es nach 500-jähriger Okkupation der Ehe durch den Staat im Hinblick auf Art. 1 und 2 GG an der Zeit, darüber nachzudenken, die Eheschließung und Scheidung wieder zu privatisieren. Das verhindert nicht die in Art. 6 GG geforderte staatliche Förderung der Ehe. ‚Pactum facit nuptias‘ galt im Römischen Recht. ‚Back tot he roots‘ ist manchmal ein Fortschritt. Trotzdem ist es unendlich schwierig, ein seit mehr als tausend Jahren bestehendes kulturelles Institut zu entmystifizieren. Gegen die dadurch verursachte Enttäuschung ist die juristische Dogmatik vielleicht machtlos.

 

 

 

 

Kann ein geschäftsunfähiger Demenzkranker sich scheiden lassen?

Rund 10 % aller Menschen über 65 in Deutschland sind aktuell an Demenz erkrankt. Aufgrund des zunehmenden Lebensalters der Bevölkerung wird dieser Prozentsatz vermutlich noch ganz erheblich ansteigen, da mit zunehmenden Alter auch die Wahrscheinlichkeit einer Demenzerkrankung steigt. Bei den über 85-Jährigen liegt der Anteil bereits bei knapp 1/3 der Bevölkerung. Fachanwälte für Familien- und Erbrecht sind daher immer häufiger mit Rechtsfragen bzw. Rechtsstreitigkeiten konfrontiert, die mit der aus der Erkrankung folgenden tatsächlichen und rechtlichen Hilflosigkeit der Betroffenen ergeben.

Der Kollege Rechtsanwalt Dr. Mathias Schäfer aus Limburg hat wohl aus diesem Grund bereits den hochinteressanten Aufsatz „Der Demenzkranke im Famlienrecht“ in der NZFam 2014, 676 ff., publiziert, mit dem er verschiedenste typische rechtliche Fragen, die sich an die Demenzerkrankung knüpfen, wie etwa ein mögliches Recht zum Umgang mit dem Betroffenen, anspricht. Hier soll nur der Frage nachgegangen werden, ob und ggf. unter welchen Umständen, ein geschäftsunfähiger Demenzkranker sich scheiden lassen kann.

1. Verfahrensrecht

Verfahrensrechtlich ist die Scheidung eines geschäftsunfähigen Demenzkranken zunächst einmal unproblematisch. Der Scheidungsantrag eines Geschäftsunfähigen ist in § 125 Abs. 2 FamFG ausdrücklich geregelt: Mit Genehmigung des Betreuungsgerichts kann der Scheidungsantrag von dem gesetzlichen Vertreter des Geschäftsunfähigen gestellt werden.

2. Scheidungsvoraussetzungen

Weniger klar ist allerdings, unter welchen Umständen man in diesen Fällen von einem Scheitern der Ehe i.S.d. § 1565 Abs. 1 BGB ausgehen kann, das bekanntlich Scheidungsvoraussetzung ist. Üblicherweise wird das Scheitern einer Ehe im Rechtssinne dann angenommen, wenn mindestens einer der beiden Ehegatten die eheliche Gemeinschaft endgültig nicht mehr herstellen will. Es kommt also ganz maßgeblich auf den Willen der Beteiligten bzgl. der Fortsetzung ihrer ehelichen Gemeinschaft an. Ein Geschäftsunfähiger ist aber nicht mehr in der Lage, die Bedeutung einer Trennung und Scheidung intellektuell zu erfassen, die für und gegen eine Trennung und Scheidung sprechenden Gesichtspunkte gegeneinander abzuwägen und entsprechend seiner Einsicht zu handeln. Ein „freier Wille“ bzgl. der Frage, ob er die Ehe fortsetzen will, liegt bei Geschäftsunfähigen also nicht mehr vor (die Definition des „freien Willens“ wurde hier an die Definition des BGH zu § 1896 Abs. 1a BGB angelehnt).

a) Natürlicher Wille des Betroffenen bzgl. der Fortsetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft

Allerdings hat auch ein Geschäftsfähiger häufig noch lange einen sog. natürlichen Willen in dem Sinne, dass er gefühlsmäßig noch Zu- bzw. Abneigung zu seinem Ehepartner empfinden kann.

Solange ein geschäftsunfähiger Demenzkranker auf diese natürliche Weise noch Zuneigung zu seinem Ehepartner empfindet, kann seine Ehe nach der Rechtsprechung des BGH mangels Scheitern derselben nicht geschieden werden, es sei denn, dass der andere Ehegatte die Fortsetzung der ehelichen Gemeinschaft ablehnt (BGH v. 25.1.1989 – IVb ZR 34/88, FamRZ 1989, 479; v. 7.11.2001 – XII ZR 247/00, FamRZ 2002, 316 = FamRB 2002, 97). Umgekehrt soll konsequenter Weise auch die natürliche Abneigung eines geschäftsunfähigen Demenzkranken gegen seinen Ehegatten ausreichen, um von einem Scheitern der Ehe auszugehen, auch wenn der andere Ehegatte die Scheidung ablehnt (OLG Hamm v. 16.8.2013 – II-3 UF 43/13, FamRZ 2013, 1889 mit Verweis auf die eben zitierten Entscheidungen des BGH).

B) Fehlen jeglichen Willens des Betroffenen bzgl. der Fortsetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft

Es fragt sich also nur noch, ob und ggf. unter welchen Umständen die Ehe eines geschäftsunfähigen Demenzkranken geschieden werden kann, wenn er nicht mehr in der Lage ist, irgendeine Art von Willen zu entwickeln. Rechtsanwalt Dr. Schäfer (a.a.O.) meint, in diesen Fällen könne die Ehe nur geschieden werden, wenn der andere Ehegatte die eheliche Lebensgemeinschaft nicht mehr fortführen wolle. Dies widerspricht jedoch meines Erachtens der Rechtsprechung des BGH, auf die er sich beruft, denn dort (BGH v. 25.1.1989 – IVb ZR 34/88, FamRZ 1989, 479) heißt es wörtlich:

„Wenn er nicht mehr das Bewußtsein besitzt, in einer Ehe zu leben, jedes Verständnis für die Ehe verloren hat und damit kein eheliches Empfinden mehr aufweist, so hat er einen äußersten Grad von Eheferne erreicht. Ein solcher Zustand jenseits des Zerrüttungsempfindens kann, zumal es auf den Grund für das Scheitern der Ehe nicht mehr ankommt, nicht geringer bewertet werden als der bewußte Verlust der ehelichen Gesinnung. Die Ehe eines geistig so schwer Geschädigten ist daher auf seinen Antrag scheidbar.“

Auch ein geschäftsunfähiger Demenzkranker, der nicht mehr in der Lage ist, einen natürlichen Willen im Hinblick auf den Fortbestand seiner Ehe zu entwickeln, kann also meines Erachtens auf seinen Antrag geschieden werden. Allerdings setzt dies natürlich gemäß § 125 Abs. 2 FamFG voraus, dass sowohl der Betreuer des Betroffenen als auch das Betreuungsgericht der Ansicht sind, dass die Scheidung im Interesse des Betroffenen liegt. Da persönliche Interessen des Demenzkranken hier (mangels noch vorhandenen natürlichen Willens) kaum noch eine Rolle spielen, müsste die Scheidung jedenfalls im wirtschaftlichen Interesse des Betroffenen liegen. Vorstellbar wäre etwa eine Scheidung mit dem Ziel, eine Unterhaltsverpflichtung zu beenden oder einen Zugewinnausgleichanspruch durchzusetzen, um aus dem gesparten bzw. gewonnen Geld die Pflegekosten zu decken. Die Genehmigung des Betreuungsgerichts mit dem Ziel zu beantragen, den Ehegatten von der gesetzlichen Erbfolge auszuschließen bzw. einen Erbvertrag oder eine gemeinschaftliches Testament aus dem Weg zu räumen, dürfte hingegen wenig Aussicht auf Erfolg haben, da es hier ausschließlich um die Interessen der Angehörigen, nicht aber die des Betroffenen selbst geht.

3. Praxistipp

Ähnlich wie bei Umgangs- und Sorgerechtsverfahren, bei denen um Kinder gestritten wird, hat man auch in Verfahren, in denen demente Menschen im Mittelpunkt stehen, meiner Erfahrung nach die besten Erfolgsaussichten, wenn man sich immer die Interessen des Betroffenen aus dessen Sicht vor Augen hält und aus dieser Warte heraus argumentiert. Jedenfalls in Betreuungsverfahren geht es nicht nur menschlich, sondern auch rein rechtlich betrachtet ausschließlich um die Interessen der Betroffenen und nicht um diejenigen ihrer Angehörigen.

Komplexität und Verfahrensdauer als Stressoren eliminieren

Ich las kürzlich in einer psychologischen Fachzeitschrift, Trennung und Scheidung seien für ca. 80 % der Patienten eine der wichtigen Ursachen, die den Behandlungsbedarf ausgelöst hätten. Ob die Zahl stimmt, kann ich nicht prüfen. Sie klingt aber plausibel und ist gleichzeitig erschütternd. Als Familienrechtler verbietet es sich, fachfremde Überlegungen über die Auswirkungen des Verlustes eines Lebensabschnitts und manchmal auch einer Perspektive anzustellen. Wir können aber darüber diskutieren, welchen Beitrag das materielle und verfahrensrechtliche Familienrecht leisten kann, Trennung und Scheidung für die Menschen leichter erträglich zu gestalten.

1. Entdramatisierung der Scheidung: Standesamtsscheidung

Selbst auf die Gefahr hin, mit der Anwaltschaft in einen standespolitischen Konflikt zu geraten, sollten wir darüber nachdenken, ob es wirklich erforderlich ist, die Auflösung der Ehe durch das Gericht aussprechen zu lassen. Schließlich wird die Ehe auch nicht vom Gericht geschlossen, sondern von den Ehegatten, die sich – beurkundet vom Standesbeamten – versprechen, lebenslang ein Paar zu sein.

Rast nicht die Welt in allen Strömen fort,
und mich soll ein Versprechen halten?

heißt es im Faust und nicht nur dort. Die Ehe ist ein Vertrag. Die Auflösung eines Vertrages geschieht durch Kündigung und in der Regel in der gleichen Form des Vertragsschlusses. Um das versprochene Bündnis aufzulösen, bedarf es nicht des Richters. Das können die Ehegatten selbst. Und um die mit der Ehe verbundenen steuerlichen und sozialrechtlichen Privilegien beweisfest zu beseitigen, bedarf es der staatlichen Beurkundung des Anfangs und des Endes des Vertrages. Mehr nicht. Gibt es streitige Ehescheidungen? Ich habe in 30 Jahren Familienrecht keine erlebt, wohl aber Streit um Unterhalt, Kinder, Versorgungsausgleich und die Vermögensverteilung, aber nie um den Fortbestand einer gescheiterten Ehe.

Wo bleibt dann der staatliche Schutzschild für die Gatten vor Übervorteilung und für die Kinder? Dafür müssen die Gerichte zuständig bleiben. Aber auch nur dafür. Ein Unterhaltsanspruch besteht unabhängig vom Scheidungsausspruch. Er setzt einen anerkennenswerten Bedarf, Bedürftigkeit und Leistungsfähigkeit voraus. Daran ändert auch die Standesamtsscheidung nichts. Auch heute können Ehegatten geschieden werden, ohne dass der Unterhalt gesichert ist. Sie brauchen den Unterhaltsanspruch nur nicht geltend zu machen.

Die Standesamtsscheidung löst nicht alle Probleme, sie schafft aber auch keine und entdramatisiert den Trennungsprozess.

2. Komplexitätsreduktion: Auflösung des Scheidungsverbunds

Die Auflösung einer oft Jahrzehnte gehaltenen Ehe hat viele Aspekte. Der Anspruch der Scheidungsverbundfreunde, mit einem ‚clear break‘ klare Verhältnisse für alle Beteiligten zu schaffen scheitert an der Realität. Wer nachehelichen Unterhalt, Zugewinnausgleich und Versorgungsausgleich, vielleicht auch noch Kindschaftssachen in den Verbund aufnimmt, schafft keinen clear break, sondern ‚clear mist‘.

Im Fall einer Rentnerscheidung kann der nacheheliche Unterhalt ohnehin erst mit Rechtskraft der Versorgungsausgleichsentscheidung und deren Durchführung bestimmt werden. Und wie nachehelicher Unterhalt bei streitiger güterrechtlichen Auseinandersetzung bestimmt werden soll, weiß ich auch nicht.

Diese Komplexität kann nur durch radikale Reduktion aufgelöst werden. First things first. Also erst einmal Unterhalt. Danach kann über das Vermögen gestritten werden. Hat dieser Streit Auswirkungen auf den Unterhalt, mag dieser nachkorrigiert werden. Aber wie häufig wird das nötig sein?

Und der Versorgungsausgleich? Ist die Ehe im Rentenbezugsfall geschieden und der Versorgungsausgleich noch nicht durchgeführt, kann eine Bedarfslücke ohne weiteres mit Unterhalt überbrückt werden. Dann vermieden wir auch die Schwierigkeiten, die durch den Kapitalverzehr bei laufenden Versorgungen entstehen (BGH v. 17.2.2016 – XII ZB 447/13, FamRB 2016, 176).

Der Scheidungsverbund führt oft dazu, dass auch die Fachleute den Überblick verlieren. Wie mag es da den Ehegatten gehen, deren Scheidung jahrelang vor sich hindümpelt.

3. Beschleunigung

Die Auflösung des Scheidungsverbundes würde bereits zu einer Beschleunigung beitragen. Jede Beschleunigung eines familienrechtlichen Verfahrens führt zu einem ‚Mehr‘ an Lebensqualität für die beteiligten Ehegatten. Wenn in Unterhaltsverfahren nach Eingang des Antrags innerhalb von sechs Wochen terminiert und dem Gegner eine 4-wöchige Erwiderungsfrist gesetzt würde, könnten auch VKH-Verfahren in acht bis zehn Wochen erledigt sein. Wer für die Beteiligten schnell wieder neue Lebensqualität schaffen will, muss die Verfahrenszeiten verkürzen.

Wir Familienrechtler können die Belastung der Menschen durch Trennung und Scheidung nicht aufheben. Wenn wir diese Belastung aber auch nur um 1 % vermindern könnten, sollten wir es versuchen. Darüber lohnt es sich mehr zu debattieren, als über Detailfragen des Unterhaltsrechts, die zu 30 € mehr oder weniger Unterhalt führen. Die Lebensqualität der Geschiedenen wird durch schnellere, überschaubarere und weniger dramatische Verfahrensweisen mehr verbessert als durch dreißig Euro mehr oder weniger Unterhalt. Eine familienfreundliche Scheidung durchzuführen, erfordert gewisse Eingriffe ins materielle und Verfahrensrecht. Eine Revolution wäre es nicht. Vieles könnte bei sinnvoller Verfahrensführung auch schon heute möglich gemacht werden.

 

40 Jahre nach Abschaffung des Schuldprinzips: Ein Plädoyer für eine neue familienrechtliche „Streitkultur“

Im Juni dieses Jahres ist es 40 Jahre her, dass das scheidungsrechtliche Schuldprinzip abgeschafft wurde. Bis Juni 1976 war die Frage des Verschuldens der Ehegatten nicht nur für die Scheidung selbst, sondern auch für die sich an die Trennung und Scheidung knüpfenden Rechtsfolgen, insbesondere für die Unterhaltsverpflichtung und das Sorgerecht, das entscheidende Kriterium. So konnte das Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder nach einer Scheidung nur in Ausnahmefällen auf denjenigen Ehegatten übertragen werden, der die Scheidung „verschuldet“ hatte. Die Unterhaltsverpflichtung des „nicht schuldigen“ Ehegatten konnte bis auf ein Minimum reduziert werden.

Seit Inkrafttreten des ersten Gesetzes zur Reform des Ehe- und Familienrechts vom 14.06.1976 spielt ein etwaiges „Verschulden“ eines Ehegatten an dem Scheitern der Ehe rechtlich betrachtet so gut wie keine Rolle mehr. Zum einen ist ein Verschulden eines Ehegatten keine Scheidungsvoraussetzungen mehr, zum anderen hat auch ein wie auch immer geartetes eheliches Fehlverhalten, insbesondere das Unterhalten außerehelicher Beziehungen, grundsätzlich keinen Einfluss mehr auf Unterhaltsansprüche, das Sorgerecht, den Zugewinnausgleich oder gar den Versorgungsausgleich.

Trotz der Abschaffung des Schuldprinzips, die nun schon 40 Jahre zurück liegt, wird in der anwaltlichen Korrespondenz zu familienrechtlichen Fragen bis heute (häufig über hunderte von Seiten hinweg) schmutzige Wäsche gewaschen. Auch scheint es in der familienrechtlichen Anwaltschaft bedauerlicherweise (vermutlich noch aus Zeiten des Schuldprinzips) üblich zu sein, den jeweiligen „Gegner“ nicht nur veranlassen zu wollen, seine familienrechtlichen Pflichten einzuhalten, sondern ihn darüber hinaus auch noch persönlich treffen zu wollen. Anstatt die ohnehin schon angespannte und problematische Situation im Interesse der Mandanten zu deeskalieren, wird durch derartige anwaltliche Korrespondenz häufig noch zusätzlich Öl ins Feuer gegossen und zwar selbst dann, wenn gemeinsame Kinder der Streitparteien vorhanden sind.

Ganze 40 Jahre nach Abschaffung des Schuldprinzips muss meines Erachtens die gesamte familienrechtliche Anwaltschaft Hand in Hand endlich den entsprechenden Kurswechsel vollziehen und auch bei der anwaltlichen Korrespondenz im Auge behalten, dass eine Eskalation auf persönlicher Ebene im Rahmen einer rechtlichen Auseinandersetzung nichts zu suchen hat. Persönliche Anwürfe ohne rechtliche Relevanz haben niemals Vorteile für den eigenen Mandanten, sondern machen die Auseinandersetzung für alle Beteiligten nur unangenehmer, ja häufig unerträglich.

Auch und gerade wenn ein Mandant aus einer meist mehr als nachvollziehbaren Kränkung und Frustration anfänglich nichts für wichtiger hält, als dem „Gegner“ seine Verfehlungen nochmals ausführlich über anwaltliche Schriftsätze vorzuhalten, sollten wir familienrechtlichen Anwälte es kollektiv als unsere Aufgabe ansehen, den jeweiligen Mandanten davon zu überzeugen, dass diese Art der Kommunikation allen Beteiligten in jeder Hinsicht nur schaden kann. Wenn der jeweilige „Gegner“ verletzend und persönlich beleidigend wird, kann es selbst dem besten Familienrechtsanwalt kaum noch gelingen, den eigenen Mandanten davon zu überzeugen, nicht auf der gleichen Ebene zurück zu schlagen. Der Kurswechsel kann also nur passieren, wenn alle familienrechtlichen Anwälte daran mitwirken.

Als Organe der Rechtspflege und Interessenvertreter unserer Mandanten sollten wir es als eine unserer Kernaufgaben ansehen, Rechtsfrieden und damit auch Frieden für unsere Mandanten zu schaffen. Die Erfahrung zeigt, dass wechselseitige Beschimpfungen in familienrechtlichen Auseinandersetzungen, allen Beteiligten nur zusätzlichen Schaden zufügen und zwar emotionalen UND wirtschaftlichen.

Wenn wir – wie es unserer Pflicht als Anwälten entspricht – im besten Interesse unserer Mandanten handeln wollen, muss die bisherige familienrechtliche „Streitkultur“ ein Ende haben.

Vereinsmitgliedschaft wertvoller als Ehescheidung?

Nach Ansicht des 2. BGH-Senats beträgt der Regelstreitwert einer durchschnittlichen nichtvermögensrechtlichen Streitigkeit regelmäßig 5.000 € in Anlehnung an § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG. Hintergrund der Entscheidung war die Mitgliedschaft in einem Verein. Na toll! Jetzt haben wir es also schriftlich, dass der Verbleib in einem Karnevalsverein höher zu bewerten ist als der Mindestwert einer Scheidung!