Ersatzhaftung von Großeltern für den Enkelunterhalt (BGH v. 27.10.2021 – XII ZB 123/21)

Die gesteigerte Unterhaltspflicht von Eltern gegenüber ihren minderjährigen Kindern entfällt, wenn leistungsfähige Großeltern als andere unterhaltspflichtige Verwandte (§ 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB) vorhanden und in der Lage sind, den Unterhalt der Enkel ohne Gefährdung ihres eigenen angemessenen Selbstbehalts aufzubringen. An dieser gesetzgeberischen Konzeption, die Ausdruck einer generationenübergreifenden Solidarität ist, hat sich bis heute nichts geändert.

Die Beteiligten streiten um rückständigen Kindesunterhalt aus übergegangenem Recht für den Zeitraum von 6/2016 bis 12/2017. Der Antragsgegner (Ag) ist Vater der 2010 geborenen M und des 2004 geborenen L. Er verfügte in der fraglichen Zeit über ein monatliches Nettoeinkommen von rund 1.441 € (2016) bzw.1.466 € (2017). Davon zahlte er an die Mutter, deren Nettoeinkommen aus einer Teilzeittätigkeit rund 1.000 € betrug, einen monatlichen Kindesunterhalt für M von 100 €. Seine Eltern – die Großeltern von M – erzielten als Polizeibeamter bzw. Briefzustellerin monatliche Nettoeinkünfte von knapp 3.500 € bzw. gut 2.200 €. Der Antragsteller (Ast) und Träger der Unterhaltsvorschusskasse hat im Anspruchszeitraum an die Mutter von M Unterhaltsvorschuss i.H.v. insgesamt 1.772 € gezahlt und den Vater aus übergegangenem Recht i.H.v. insgesamt 758,29 € in Anspruch genommen. Der Ag hat eingewandt, angesichts der leistungsfähigen Großeltern nur bis zur Höhe des angemessenen Selbstbehalts zu haften und deshalb über die von ihm geleisteten Zahlungen hinaus nicht leistungsfähig zu sein. Dass AG hat den Ag antragsgemäß verpflichtet. Auf seine Beschwerde hin hat das OLG die Entscheidung abgeändert und den Antrag abgewiesen. Dagegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde des Ast.

Der BGH weist die Rechtsbeschwerde zurück, weil der Ag nicht über die von ihm erbrachten Unterhaltszahlungen hinaus leistungsfähig i.S.v. § 1603 BGB gewesen sei. Er könne gegenüber M, deren Unterhaltsanspruch gemäß § 7 UVG auf den Ast übergegangen sei, gemäß 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB seinen angemessenen Selbstbehalt (von seinerzeit 1.300 €) verteidigen, indem er auf die Unterhaltspflicht der Großeltern väterlicherseits verweise. Denn nach dieser Regelung gelte die gesteigerte Unterhaltspflicht gegenüber minderjährigen Kindern (§ 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB) nicht, wenn ein anderer unterhaltspflichtiger Verwandter vorhanden ist. Dies seien hier die Großeltern, die ohne Gefährdung ihres erhöhten angemessenen Selbstbehalts leistungsfähig zur Zahlung des Kindesunterhalts gewesen seien. Deren Ersatzhaftung trete nicht erst dann ein, wenn der notwendige Selbstbehalt der Eltern unterschritten werde, sondern auch dann, wenn der barunterhaltspflichtige Elternteil den Kindesunterhalt nur aus dem Differenzbetrag zwischen dem angemessenen und dem notwendigen Selbstbehalt aufbringen könne. Diese Heranziehung von Großeltern für den Unterhalt ihrer Enkel stelle auch keine verdeckte Unterhaltsgewährung an die Kindeseltern selbst dar. Vielmehr haften die Großeltern gemäß § 1607 Abs. 1 BGB originär nur für Unterhalt gegenüber ihren Enkelkindern.

Der Unterhaltsbedarf der Enkel richtet sich nach den Lebensverhältnissen der Eltern und nicht der Großeltern. Soweit die Eltern nicht leistungsfähig sind, wird der Bedarf ihrer Kinder regelmäßig nicht über den Mindestunterhalt nach § 1612a Abs. 1 BGB hinausgehen. Daher werden die Großeltern, selbst wenn sie in guten wirtschaftlichen Verhältnissen leben, in aller Regel nur in dieser Höhe Unterhalt für ihre Enkel zahlen müssen. Das gilt auch dann, wenn gegen die Eltern oder den barunterhaltspflichtigen Elternteil höherer Kindesunterhalt tituliert worden ist. Denn dieser Unterhaltstitel entfaltet im Verhältnis zu den Großeltern keine Wirkung. In einem solchen Fall wird er auf einem entsprechenden früheren Einkommen der Eltern beruhen; die Kinder haben jedoch ein späteres Absinken des Einkommens ihrer Eltern mitzutragen.

Im vorliegenden Fall kommt es auch nicht auf die Frage an, ob ggf. die Großeltern mütterlicherseits neben den Großeltern väterlicherseits ebenfalls als weitere leistungsfähige Verwandte i.S.d. 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB in Betracht kommen. Denn für den Ausschluss der erweiterten Unterhaltsverpflichtung des von der Unterhaltsvorschusskasse in Anspruch genommenen Vaters nach § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB genügt es, wenn dieser mindestens einen anderen leistungsfähigen Unterhaltsverpflichteten i.S.d. § 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB benennen und nachweisen kann. Danach tritt die gesteigerte Unterhaltspflicht dann nicht ein, wenn ein anderer unterhaltspflichtiger Verwandter vorhanden ist. Welche Großeltern den Unterhalt leisten müssten, war vorliegend, da sie nicht in Anspruch genommen worden sind, nicht zu klären. Auch darauf, ob die Mutter der M eine weitere leistungsfähige Verwandte wäre, kam es nicht an, denn der Ag hatte im Verfahren nicht auf ihre Inanspruchnahme verwiesen. Im Übrigen läge ein etwaiges bereinigtes fiktives Einkommen der Mutter hier bei einer Vollzeitstelle auf der Grundlage ihrer tatsächlichen Einkünfte ebenfalls unterhalb des angemessenen Selbstbehalts.

Jedem Großelternteil ist entsprechend Anm. D I der Düsseldorfer Tabelle ein – gegenüber den Eltern höherer – angemessener Selbstbehalt von aktuell mindestens 2.000 € gegenüber seinen Enkeln zuzubilligen. Wie beim Elternunterhalt ist dieser Betrag um die Hälfte des Mehreinkommens, das über 2.000 € liegt, zu erhöhen. Bei zusammenlebenden Großeltern ist entsprechend zu differenzieren. Im Übrigen ergibt sich aus dem eindeutigen Wortlaut des § 7 Abs. 1 Satz 1 UVG, dass der staatliche Leistungsträger im Fall von Unterhaltsvorschusszahlungen keinen Rückgriff bei Großeltern (sondern nur gegenüber Eltern) nehmen kann. Dies stellt eine bewusste gesetzgeberische Entscheidung dar, die zu beachten ist.