Grundrente im Versorgungsausgleich

Ein großes juristisches Vergnügen ist es, § 97a SGB VI zu lesen. Schwierig ist es, ihn zu verstehen, weshalb ich auf Fortbildungen seit seiner Existenz stets eine „gute Flasche Rotwein“ dem versprochen habe, der nach Lektüre innerhalb von (zunächst 15) jetzt 30 Minuten seinen Inhalt erklären kann. Bis gestern lag die Flasche unangerührt in meinem Weinkeller.

Das hat sich geändert. Eine OLG Richterin aus Frankfurt rief an und kritisierte die Umsetzung der Grundrentenproblematik in meinem Grundrentenrechner als falsch. Sie hatte recht, das Problem war schnell beseitigt, aber niemandem bis dahin aufgefallen, obgleich wir einen Tag zuvor in der „Kaffeerunde Versorgungsausgleich[1], die jeden 1. und 3. Mittwoch im Monat von 14:00 bis 15:00 Uhr stattfindet und an der jeder kostenlos teilnehmen kann, uns eine Stunde lang mit der Grundrente beschäftigt haben und auch den „Grundrentenrechner“ vorgestellt haben.

Das zeigt: Die Grundrentenproblematik ist schwierig und überfordert auch erfahrene Versorgungsausgleichsrechtler.

Damit aber all diejenigen, die sich gleichwohl damit beschäftigen wollen, leichten Zugriff auf Aufsätze und Entscheidungen zu dem Thema haben, habe ich eine Entscheidungsliste zusammengestellt, der sich jeder gerne bedienen kann. Soweit möglich sind die Entscheidungen und Aufsätze verlinkt: Grundrente Entscheidungen und Aufsätze.

Es bleibt aber bei meiner Empfehlung: In den Fällen, in denen feststeht, dass einer der Ehegatten keine Leistungen aus den Grundrenten-Entgeltpunkten (für langjährig Versicherte) bekommen wird, weil die Einkommensgrenze (1.317 € / 2.055 €) nach § 97a Abs. 4 SGB VI überschritten werden wird, sollte man auf den Ausgleich der Grundrenten-EP verzichten. Das verbessert das Verhandlungsklima meist deutlich und ein Verzicht auf etwas, das man nie bekommt, ist eigentlich keiner.

Und jetzt wünsche ich allen viel Freude bei der Lektüre der Norm: § 97a SGB VI.

[1] Jeden 1. und 3. Mittwoch im Monat von 14:00 bis 15:00 Uhr (kostenfrei!)

 „Kaffeerunde Versorgungsausgleich“

Wir erörtern in einer Online-Schaltung alltägliche und manchmal auch spezielle Fragen des Versorgungsausgleichs. Kostenlos und locker. Sie können sich gern dazuschalten: https://global.gotomeeting.com/join/205481741

Das Problem mit der Grundrente im Versorgungsausgleich

Die Grundrente bereitet zurzeit in Versorgungsausgleichsverfahren zunehmend Probleme, weil die Deutsche Rentenversicherung derzeit nicht in der Lage ist, Auskünfte über die Höhe eines möglichen ehezeitlichen Grundrentenerwerbs zu erteilen. Der dafür zuständige § 76g SGB VI muss als einer der Höhepunkte sozialrechtlicher Gesetzgebungskunst bezeichnet werden, weshalb er – mit besonderem Hinweis auf seinen Abs. 4 – am Ende dieses Textes aufgeführt ist.

Unstreitig ist ein Ehezeitanteil der Grundrente nach §§ 2, 5 VersAusglG im Versorgungsausgleich zu berücksichtigen. Es ist auch völlig unstreitig, dass Entgeltpunkte und die Zuschläge aufgrund der Grundrente unterschiedlich zu tenorieren sind. Grundrentenzuschläge sind im Tenor gesondert als Grundrentenentgeltpunkte auszuweisen.[1] Ebenso unstreitig ist, dass die Übertragung von Grundrentenentgeltpunkten im Versorgungsausgleich der insoweit ausgleichsberechtigten Person nur nutzen, wenn sie nicht an der Einkommensprüfung scheitert, also selbst bedürftig ist und

In Versorgungsausgleichsverfahren, deren beteiligte Ehegatten noch in rentenfernem Alter sind, ist es ohne weiteres möglich, den Versorgungsausgleich insgesamt vom Verfahren abzutrennen und zu einem späteren Zeitpunkt darüber zu entscheiden.

Problematisch sind die Fälle, in denen ein oder beide Ehegatten bereits Rentenbezieher sind. Ein monate- oder auch jahrelanges Abwarten auf eine Auskunft der Versorgungsträger, bevor eine Entscheidung über den Versorgungsausgleich ergeht, würde in diesen Fällen zu Versorgungsverlusten der in der Bilanz ausgleichsberechtigten Person führen und gegebenenfalls Unterhaltsansprüche eines Ehegatten gegen den anderen unnötigerweise erhöhen, weil der Versorgungsausgleich nicht durchgeführt werden kann. In diesen Fällen hilft die Möglichkeit der Teilentscheidung über den ehezeitlichen Versorgungserwerb, über den die Versorgungsträger eine vollständige Auskunft erteilt haben und die Abtrennung des Versorgungsausgleichs (§ 140 Abs. 2 Nr. 5 FamFG) aus dem Scheidungsverbund insoweit, als die Versorgungsträger über den ehezeitlichen Grundrentenerwerb keine Auskunft erteilen konnten.[2]

Der Vorteil dieser Lösung besteht darin, dass

  • die Ehe geschieden werden kann,
  • Unterhaltsansprüche reduziert werden und
  • bereicherungsrechtliche Ausgleichsansprüche der Beteiligten weitgehend vermieden werden können, da die Grundrentenzuschläge relativ gering sein werden und die übrigen Versorgungen ausgeglichen sind.

Ob überhaupt ein Grundrentenbezug in Betracht kommt, kann anhand der Versorgungsauskunft der gesetzlichen Rentenversicherung des Rentenbescheids oder bei Kenntnis der Erwerbsbiografie des betreffenden Ehegatten ermittelt werden. Ein Zuschlag an Grundrentenentgeltpunkten setzt mindestens 33 bzw. 35 Jahre Grundrentenzeiten voraus. Grundrentenzeiten sind im Wesentlichen

  • Pflichtbeitragszeiten aufgrund versicherungspflichtiger Beschäftigung, Kindererziehungszeiten oder Pflege,
  • rentenrechtliche Zeiten wegen Bezugs von Leistungen bei Krankheit und Rehabilitation
  • Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung und Pflege und
  • Ersatzzeiten (§ 76g Abs. 2 SGB VI).

Ergibt der Blick in den Versicherungsverlauf, dass unter Berücksichtigung dieser Faktoren nicht mindestens 33 Jahre Grundrentenzeit zusammenkommen, kann man davon ausgehen, dass die im Übrigen sehr komplizierten Voraussetzungen für den Bezug von Grundrente nicht erfüllt werden. In diesen Fällen kann auf der Basis der vorhandenen Auskünfte in der Regel der Versorgungsausgleich fehlerfrei durchgeführt werden. In der klassischen Hausfrauen- oder Hausmannsehe, in der einer der Ehegatten Küche und Kinder und die Versorgung des anderen Ehegatten gemanagt hat ohne selbst über einen längeren Zeitraum berufstätig zu sein, kommt ein Grund Rentenbezug nicht in Betracht. Man müsste schon elf Kinder erzogen haben, um allein aus Kindererziehungszeiten die notwendige Grundrentenzeit anzusammeln. In diesem Fall allerdings käme ein Grundrentenbezug nicht in Betracht, weil die Höchstbegrenzung nach § 76g Abs. 4 SGB VI überschritten wären.

 

76g SGB VI

Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung

(1) Ein Zuschlag an Entgeltpunkten wird ermittelt, wenn mindestens 33 Jahre mit Grundrentenzeiten vorhanden sind und sich aus den Kalendermonaten mit Grundrentenbewertungszeiten ein Durchschnittswert an Entgeltpunkten ergibt, der unter dem nach Absatz 4 maßgebenden Höchstwert liegt.

(2) Grundrentenzeiten sind Kalendermonate mit anrechenbaren Zeiten nach § 51 Absatz 3a Satz 1 Nummer 1 bis 3; § 55 Absatz 2 gilt entsprechend. Grundrentenzeiten sind auch Kalendermonate mit Ersatzzeiten. Abweichend von Satz 1 sind Kalendermonate mit Pflichtbeitragszeiten oder Anrechnungszeiten wegen des Bezugs von Arbeitslosengeld keine Grundrentenzeiten.

(3) Grundrentenbewertungszeiten sind Kalendermonate mit Zeiten nach Absatz 2, wenn auf diese Zeiten Entgeltpunkte entfallen, die für den Kalendermonat mindestens 0,025 Entgeltpunkte betragen. Berücksichtigt werden für die Grundrentenbewertungszeiten auch Zuschläge an Entgeltpunkten nach den §§ 76e und 76f.

(4) Der Zuschlag an Entgeltpunkten wird ermittelt aus dem Durchschnittswert an Entgeltpunkten aus allen Kalendermonaten mit Grundrentenbewertungszeiten und umfasst zunächst diesen Durchschnittswert. Übersteigt das Zweifache dieses Durchschnittswertes den jeweils maßgeblichen Höchstwert an Entgeltpunkten nach den Sätzen 3 bis 5, wird der Zuschlag aus dem Differenzbetrag zwischen dem jeweiligen Höchstwert und dem Durchschnittswert nach Satz 1 ermittelt. Der Höchstwert beträgt 0,0334 Entgeltpunkte, wenn 33 Jahre mit Grundrentenzeiten vorliegen. Liegen mehr als 33, aber weniger als 35 Jahre mit Grundrentenzeiten vor, wird der Höchstwert nach Satz 3 je zusätzlichen Kalendermonat mit Grundrentenzeiten um 0,001389 Entgeltpunkte erhöht; das Ergebnis ist auf vier Dezimalstellen zu runden. Liegen mindestens 35 Jahre mit Grundrentenzeiten vor, beträgt der Höchstwert 0,0667 Entgeltpunkte. Zur Berechnung der Höhe des Zuschlags an Entgeltpunkten wird der nach den Sätzen 1 bis 5 ermittelte Entgeltpunktewert mit dem Faktor 0,875 und anschließend mit der Anzahl der Kalendermonate mit Grundrentenbewertungszeiten, höchstens jedoch mit 420 Kalendermonaten, vervielfältigt.

(5) Der Zuschlag an Entgeltpunkten wird den Kalendermonaten mit Grundrentenbewertungszeiten zu gleichen Teilen zugeordnet; dabei werden Kalendermonaten mit Entgeltpunkten (Ost) Zuschläge an Entgeltpunkten (Ost) zugeordnet.

 

[1] § 120f Abs. 2 Nr. 3 SGB VI; Bachmann/Borth, FamRZ 2020, 1609, 1611.

[2] Bachmann/Borth, FamRZ 2020, 1609, 1613.

Grundrente und Versorgungsausgleich

Mit der Grundrente wird ein richtiger Schritt von einem leistungsbasierten zu einem sozialorientierten Rentensystem gemacht. Familienrechtler sollten sich schon jetzt mental auf Arbeit vorbereiten. Die Einführung der Grundrente schafft für hunderttausende Geschiedene Abänderungspotential im Versorgungsausgleich.

Peter Struck soll einmal gesagt haben, kein Gesetz komme so aus den Beratungen des Bundestags heraus, wie es hineingegangen sei (Gesetz zur Einführung der Grundrente). Das wird wohl stimmen, schließlich hatte der Mann Erfahrung. Deswegen sind die nachfolgenden Ausführungen mit Vorsicht zu genießen, weil sie derzeit nicht quantifizierbar sind. Ob 1,3 oder 4 Millionen Rentnerinnen und Rentner von der Reform profitieren, ob der Rentenzuschlag 400 €, etwas mehr oder weniger beträgt, kann man jetzt noch nicht sagen. Da das Projekt „Grundrente“ aber wichtig und längst überfällig ist, ist eins sicher: Auf die Familienrechtler kommt Arbeit zu.

Geht man davon aus, dass etwa jede dritte Ehe der von der Grundrente profitierenden Personen geschieden wurde, wird auch jeder dritte Versorgungsausgleich nach Inkrafttreten des Grundrentengesetzes abzuändern sein. Denn wenn eine Minirente auch nur geringfügig angehoben wird, ist der eine Abänderung rechtfertigende Wert von 5 % und 1 % der zum Ehezeitende geltenden allgemeinen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV schnell erreicht (§ 225 Abs. 2 FamFG).

Gut, dass die Grundrente den Minirentnern antragslos von der gesetzlichen Rentenversicherung gewährt werden soll. Dumm, dass die im Versorgungsausgleich ausgleichspflichtigen geschiedenen Gatten sich selbst darum kümmern müssen zu prüfen, ob sie die Abänderung des bei der Scheidung durchgeführten Versorgungsausgleichs beantragen sollen oder nicht. Dabei passieren oft vermeidbare Fehler. Deshalb an dieser Stelle folgende Tipps:

  • Versorgungsausgleiche nach den Versorgungsausgleichsgesetz:

Wurde der Versorgungsausgleich bereits unter Geltung des VersAusglG durchgeführt, ist die Einleitung eines Abänderungsverfahrens meist unproblematisch, weil die Abänderung immer nur das Anrecht betrifft, dessen Abänderung beantragt wird. Allerdings kann man durch einen Abänderungsantrag wegen der Neubewertung von Kindererziehungszeiten oder Einführung der Grundrente die Aufmerksamkeit des durch diese Veränderungen begünstigten Gatten auf Abänderungspotential zu seinen Gunsten beim Anderen lenken. Wer also seinen Anteil an der Grundrente des Geschiedenen fordert, sollte zuvor prüfen, ob bei ihm alles richtig ausgeglichen wurde und sich seither nichts zu seinen Gunsten verändert hat. Der frühpensionierte Beamte wundert sich da manchmal, weil eine Frühpensionierung den Ehezeitanteil erhöht. Der Gegenantrag auf Abänderung verhagelt dann oft das Ergebnis.

  • Versorgungsausgleich nach dem bis zum 31.8.2009 geltenden Recht:

Wurde der Versorgungsausgleich nach altem Versorgungsausgleichsrecht durchgeführt, berechtigt ebenfalls die nachehezeitliche Erhöhung des Ehezeitanteils einer Versorgung zur Stellung eines Abänderungsantrags. Dessen Ergebnis ist aber deutlich tiefgreifender: Alle in der Altentscheidung erfassten Versorgungsanrechte werden dann nach neuem Recht geteilt. Bevor ein solcher Antrag gestellt wird, muss deshalb – Grundrente oder Kindererziehungszeiten hin oder her – das Gesamtergebnis des Abänderungsverfahrens genau geprüft werden.

Das geschieht am besten, indem für den die Abänderung begehrenden geschiedenen Gatten zunächst einmal neue ehezeitbezogene Auskünfte der Versorgungsträger eingeholt werden. Die öffentlich-rechtlichen Versorgungsträger erledigen das in der Regel zügig und kostenfrei. Anhand dieser Auskünfte können die Auswirkungen der Umstellung auf das neue Recht für die Versorgungen des potentiellen Antragstellers verlässlich geprüft werden.

Taucht in der Altentscheidung die Barwertverordnung (BarwertVO) im Text auf, ist Vorsicht geboten. Mit der BarwertVO wurden im alten Versorgungsausgleichsrecht private und betriebliche Versorgungen ‚dynamisiert‘ und dadurch der Halbteilungsgrundsatz massiv zum Nachteil des ausgleichsberechtigten Gatten verletzt. Wessen Versorgung damals mit der BarwertVO pulverisiert wurde, sollte heute nicht leichtfertig einen Abänderungsantrag stellen, nur weil Kindererziehungszeiten oder die Grundrente dem geschiedenen Gatten ein paar Euro mehr aufs Rentenkonto bringen. Das zu späte Erwachen beim Durchrechnen der Auswirkungen der Umstellung des damals durchgeführten Versorgungsausgleichs aufs neue Recht könnte – nicht nur im Karneval – zu Katerstimmung führen.

Wer heute grundrentenverdächtige Mandanten im Scheidungsverfahren betreut, sollte vielleicht die prozessuale Bremse ziehen, um nicht kurz nach Abschluss des Scheidungsverfahrens gleich wieder ein Abänderungsverfahren führen zu müssen. Bei Rentnern muss man sich das indessen versagen, weil der Bezug einer Rente oft zum berüchtigten Kapitalverzehr und damit zu Nachteilen der ausgleichsberechtigten Person führen kann.