Kein Umgang ohne Nadelstiche (OLG Koblenz v. 19.4.2023 – 13 WF 78/23)

Der Praxis sind die immer wieder gleichgelagerten Beschwerdeanrufe – in der Regel am Wochenbeginn, d.h. zum Ende eines Umgangswochenendes – hinlänglich bekannt. Zwar stand das Kind pünktlich zur Abholung bereit, doch beinhaltete die mitgegebene Tasche eine Bekleidung, die entweder von der Größe unpassend, den Witterungsverhältnissen nicht angemessen oder im schlimmsten Fall nur unzureichend gereinigt war. Umgekehrt wurde bei der Rückverbringung des Kindes die mitgegebene Bekleidung nur teilweise zurückgegeben und die Herausgabe der Krankenversicherungskarte komplett vergessen.

Dass diese elterlichen Verhaltensweisen die unterschiedlichsten Zielsetzungen – keineswegs jedoch die der Sicherstellung des Kindeswohls – verfolgen, ist leicht durchschaubar, allerdings umso unverständlicher, als sie gegen eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung verstößt.

In Rechtsprechung und Literatur bestand durchgängig Einvernehmen darüber, dass einem Kind anlässlich der Wahrnehmung von Umgangskontakten die zu deren ordnungsgemäßer Durchführung ebenso erforderliche Bekleidung wie etwa notwendige persönliche Sachen oder Dokumente mitzugeben waren. Uneinheitlich war lediglich die rechtliche Grundlage, auf die diese Verpflichtung gestützt werden konnte. Diesen Meinungsstreit hat der BGH mit seiner Entscheidung vom 27.3.2019 (BGH v. 27.3.2019 – XII ZB 345/18, FamRB 2019, 259) beendet und in analoger Anwendung des sich auf das Kind richtenden Herausgabeanspruchs gem. § 1632 Abs. 1 BGB sowie der Wohlverhaltenspflicht gem. § 1684 Abs. 2 BGB den Anspruch des Obhutselternteils als auch des umgangsberechtigten Elternteils auf Herausgabe der persönlichen Gegenstände, der Bekleidung sowie der Urkunden formuliert, die das Kind während seines Aufenthalts bei dem die Herausgabe begehrenden Elternteil voraussichtlich benötigt, d.h., auf die es angewiesen ist.

Das OLG Koblenz hat in einem aktuellen Beschluss diese grundlegenden Vorgaben aufgegriffen. In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt hatte der Antragsteller gerichtlich die anteilige Verteilung digitalisierter Kita-Ordner mit Fotos der gemeinsamen Kinder geltend gemacht, um Kopien für den jeweils anderen Elternteil anzufertigen und diesem zur Verfügung zu stellen. Erst im Verlauf des Verfahrens stellte die Antragsgegnerin einen USB-Stick mit den digitalisierten Ordnern zur Verfügung, so dass der Antragsteller seinen Antrag zurücknahm. Das Familiengericht legte ihm allerdings die Kosten des Verfahrens auf. Der Antragsteller legte Kostenbeschwerde ein und beantragte die vollständige Kostenlast der Antragsgegnerin.

Der Senat legte unter Abänderung der Ausgangsentscheidung die Gerichtskosten den Eltern je zur Hälfte auf. Außergerichtliche Kosten wurden nicht erstattet.

In seiner Begründung verwies der Senat darauf, dass sich die zu treffende Kostenentscheidung an Billigkeitsgesichtspunkten zu orientieren hat und dabei die bisherigen Erfolgsaussichten der jeweiligen Anträge lediglich summarisch zu prüfen sind. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass sowohl der personensorgeberechtigte Elternteil als auch der umgangsberechtigte Elternteil jeweils in die Lage versetzt werden sollen, die gemeinsame Zeit mit dem Kind ungestört und kindeswohldienlich zu verbringen. Dazu müssen ihnen all jene persönlichen Gegenstände, Kleidungsstücke und Urkunden herausgegeben werden, die das Kind während seines Aufenthalts bei dem die Herausgabe begehrenden Elternteil voraussichtlich benötigt und auf die der jeweils berechtigte Elternteil für die Ausübung der Personensorge oder des Umgangsrechts tatsächlich angewiesen ist. Dem Umgangsberechtigten bleibt es zur eigenen Verantwortung überlassen, wie er den Umgang gestaltet, solange damit keine Kindeswohlgefährdung einhergeht. Daher kann er grundsätzlich die Herausgabe aller Sachen des Kindes für die Dauer des Umgangs verlangen, die das Kind für die von ihm gewünschte Umgangsgestaltung benötigt. Soweit daher für den Umgangskontakt die Sichtung von Fotos beabsichtigt ist, kann dies die Herausgabe der entsprechenden digitalisierten Foto-Ordner umfassen.

Unabhängig von einer vermeidbar gewesenen Kostenbelastung durch das gerichtliche Verfahren hat die Antragstellerin mit ihrer Verweigerungshaltung im Ergebnis lediglich erreicht, dass ein weiteres Verfahren initiiert wurde und das Kind eine weitere Auseinandersetzung seiner Eltern um einen eigentlich nichtigen Anlass erleben musste.

Selbst wenn finanzielle Belastungen nicht zu überzeugen vermögen, sollte es für jeden Elternteil eine Selbstverständlichkeit darstellen, dass angemessene Kleidung, das Lieblingskuscheltier beim Einschlafen und die Krankenversicherungskarte bei einem akuten Krankheitsfall für das Kindeswohl essentiell sind.

Keine Diskussion mehr um den Kinderreisepass? (BGH v. 27.3.2019 – XII ZB 345/18, FamRB 2019, 259)

Wird einem Personensorgeberechtigten widerrechtlich ein Kind vorenthalten, so kann er – gestützt auf § 1632 BGB – die Herausgabe des Kindes gerichtlich geltend machen und ggf. auch nach §§ 88 ff. FamFG vollstrecken. Keine Regelung trifft das Gesetz allerdings zu der Frage, wie es sich mit Gegenständen verhält, die dem persönlichen Gebrauch des Kindes dienen. Hiervon werden nicht nur die persönlichen Dokumente des Kindes erfasst, sondern auch ganz profane Dinge, wie etwa die Bekleidung des Kindes. Bekannt sind jedem Familienrechtler die häufigen Diskussionen darüber, ob und ggf. in welchem Zustand einem Kind anlässlich der Ausübung eines Umgangskontakts Kleidung mitzugeben, aber auch nach Besuchsende zurückzugeben ist.

Bis zum 30.8.2009 galt in diesem Kontext § 50d FGG. Ordnete das Gericht die Herausgabe eines Kindes an, so konnte zugleich durch eine einstweilige Anordnung das Gericht auch die Herausgabe der zum persönlichen Gebrauch des Kindes bestimmten Sachen anordnen. Diese Regelung ist im Zuge des Inkrafttretens des FamFG zum 1.9.2009 ersatzlos entfallen, wobei der Gesetzgeber es verabsäumte, in der Folgezeit eine vergleichbare Regelung zu schaffen. In Rechtsprechung und Literatur wurden daher in der Folgezeit unterschiedliche Meinungen entwickelt, wie dieser Regelungslücke begegnet werden könne. Der BGH hat nunmehr in einer aktuellen Entscheidung (BGH v. 27.3.2019 – XII ZB 345/18, FamRB 2019, 259) Klarheit zu der maßgeblichen Anspruchsgrundlage eines solchen Herausgabebegehrens geschaffen.

In dem zugrunde liegenden Sachverhalt hatten sich die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern durch Vereinbarung darauf verständigt, dass ihr 2016 geborenes Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt bei der Mutter haben sollte. Diese stammte aus Kamerun und hatte in Deutschland Asyl beantragt. Der Reisepass des Kindes befand sich im Besitz des Vaters und wurde von der Mutter zur Herausgabe begehrt. Das erstinstanzliche Gericht folgte ihrem Antrag. Auf die Beschwerde des Vaters wurde die Entscheidung in der zweiten Instanz abgeändert, d.h. der Herausgabeantrag abgelehnt. Auf die Rechtsbeschwerde der Mutter hat der BGH nun diese Entscheidung aufgehoben.

Der BGH ist in seiner Entscheidung davon ausgegangen, dass die Herausgabe in analoger Anwendung der § 1632 Abs. 1, § 1684 Abs. 2 BGB geltend gemacht werden könne, da eine planwidrige Regelungslücke vorliege. Die Erwägung, den Herausgabeanspruch als materiell-rechtliche Vorschrift auszugestalten, habe der Gesetzgeber anlässlich der Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge im Jahr 1974 nicht weiter verfolgt, sondern sich mit der Regelung des § 50d FGG abgefunden. Dass diese „Rechtsgrundlage“ dann mit Inkrafttreten des FamFG und der ersatzlosen Streichung des § 50d FGG entfallen sei, habe der Gesetzgeber übersehen. Allerdings müsse sowohl der personensorge- als auch umgangsberechtigte Elternteil in die Lage versetz werden, die gemeinsame Zeit mit dem Kind ungestört und kindeswohldienlich verbringen zu können. Hierzu gehöre, dass ihm die persönlichen Gegenstände des Kindes herausgegeben würden, die das Kind voraussichtlich während seines Aufenthalts bei ihm benötige. Hiermit korrespondiere auch die Wohlverhaltenspflicht nach § 1684 Abs. 2 BGB. Von dieser Regelung umfasst werde auch alles andere, was geeignet sei, das Zusammensein mit dem Kind zu erschweren. Allerdings könne das nur soweit gelten, als der jeweils berechtigte Elternteil für die Ausübung der Personensorge oder des Umgangsrechts auch tatsächlich auf bestimmte Urkunden oder Sachen angewiesen sei. Dies könne etwa daraus folgen, dass das Kind, bei gemeinsamer Sorge, seinen Lebensmittelpunkt bei einem Elternteil habe. Dieser Obhutselternteil benötige dann alle für das Kind wichtigen Dokumente. Einem Herausgabeanspruch könne letztlich aber die berechtigte Besorgnis entgegenstehen, dass der die Herausgabe geltend machende Elternteil unter Verwendung etwa des Reisepasses seine elterlichen Befugnisse überschreite, wovon auszugehen sei, wenn eine Entführung ins Ausland drohe.

Der BGH hat durch die Entscheidung vom 27.3.2019 eine langjährige Diskussion zur möglichen Anspruchsgrundlage im Zusammenhang mit Herausgabeansprüchen beendet und mit seinem Beschluss der Praxis Rechtssicherheit eröffnet. Besonderes Augenmerk wird in der Praxis aber darauf zu richten sein, dass ein Herausgabeanspruch nicht uneingeschränkt geltend gemacht werden kann. Hier weist der BGH sehr deutlich darauf hin, dass ein solcher Anspruch immer auch an die Frage gekoppelt ist, ob ein Elternteil insbesondere persönliche Dokumente des Kindes überhaupt benötigt, um sein Elternrecht ausüben zu können. Gerade der Reisepass des Kindes wird daher wohl kaum zu überlassen sein, wenn ein Wochenendkontakt im Inland in Rede steht.