Standesamts-, Notars- oder Gerichtsscheidung

Bericht über das 13. Symposium für Europäisches Familienrecht mit dem Thema: „Scheidung ohne Gericht? – Neue Entwicklungen im europäischen Scheidungsrecht“

Im Jahr 2008 hat sich die Anwaltschaft erfolgreich gegen die Notarscheidung in Deutschland gewehrt. Unter der Flagge des ‚Schutzes des Schwächeren vor Übervorteilung‘, betrieb die deutsche Anwaltschaft ein berufspolitisches Artenschutzprogramm, dessen Schutzobjekt der Scheidungsanwalt war.

Schaut man sich indessen in Europa um, so scheint Deutschland FFH-Gebiet für Scheidungsanwälte zu sein. Europaweit wird Scheidungswilligen zunehmend die Standesamts- oder Notarscheidung, manchmal auch beides angeboten. Dies jedenfalls ist die Quintessenz des 13. Symposiums für Europäisches Familienrecht, das vom 6. bis 8. Oktober in Regensburg stattgefunden hat.

So mancher Familienrechtler fragt sich ja schon länger, warum

  • wir einen Scheidungsgrund (Zerrüttung) brauchen, wenn es für die Eheschließung keines Grundes bedarf,
  • wir volljährigen Scheidungswilligen ein Trennungsjahr aufnötigen, wenn die Ehe ohne Wartezeit ratzfatz geschlossen werden kann,
  • wir die standesamtliche Beurkundung der Eheschließung zur Begründung der Ehe ausreichen lassen, den kontradiktorischen Akt aber dem Richter vorbehalten.

Diese dogmatischen Fragezeichen beantworten wir regelmäßig mit dem Argument,

  • die Ehegatten seien vor übereilter Scheidung,
  • ihre Kinder vor den Trennungsschäden,
  • der schwächere Ehegatte vor Übervorteilung und sozialem Abstieg

zu schützen.

Unüberlegte Haus- und Autokäufe lassen wir indessen zu, obwohl sie meist deutlich gravierendere ökonomische Folgen zeitigen. Auch greift der Staat nicht im Trennungs-, sondern erst im Scheidungsfall zum Kinderschutz, obwohl dieser im Zeitpunkt der Trennung doch viel wichtiger wäre.

Es ist nicht zu befürchten, dass der schwächere Scheidungspartner ‚über den Tisch gezogen‘ und entrechtet wird, wenn die Scheidung ziviler geschähe. Eine Rechtsbelehrung durch den den Scheidungswusch der Ehegatten beurkundenden Notar oder Standesbeamten ist ja wohl möglich und würde durch diese Urkundspersonen weit besser erfolgen, als durch den um seine Unbefangenheit bangenden Familienrichter. Bislang hat auch noch niemand eine zwingende Rechtsberatung vor der Eheschließung gefordert, um die durch diese ausgelösten teilweise als ruinös empfundenen wirtschaftlichen Folgen den Ehewilligen vor Augen zu führen.

Unser Gesetzgeber hat das Verbundverfahren eingeführt, das alles so komplex und schwierig macht. Im Versorgungsausgleich ist der Verbund nicht nötig, wenn die Beteiligten noch keine Rente beziehen. Sind sie Rentenbezieher, muss ohnehin eine unterhaltsrechtliche Übergangslösung bis zur Umsetzung der rechtskräftigen Versorgungsausgleichsentscheidung gefunden werden, weil nur selten die Höhe des späteren Versorgungszuflusses zuverlässig zu prognostizieren ist. Im Zugewinnausgleich ist das Verbundverfahren meist ein Anwaltsfehler und dient der Verfahrensverschleppung und Prolongierung des Trennungsunterhalts, also sachfremden Zwecken.

In meine Praxis kommen die Menschen notgedrungen, um einen Scheidungsantrag zu stellen, nicht weil sie sich der Scheidung widersetzen wollen. Und sie kommen, weil ihre wirtschaftlichen Belange nicht geklärt sind oder hinsichtlich bestimmter Kindschaftsfragen keine Einigkeit besteht. Das würde auch dann so bleiben, wenn die Ehescheidung beim Standesbeamten beurkundet würde.

Für Portugiesen, Spanier, Italiener und wohl auch bald die Franzosen, die Skandinavier und andere ist auch nicht das Abendland untergegangen, weil sie die Scheidung wieder ein Stück weit privatisiert haben. Luther setzte dem sakramentalen Charakter der Eheschließung entgegen, sie sei ‚ein weltlich Ding‘. Vielleicht ist es nach 500-jähriger Okkupation der Ehe durch den Staat im Hinblick auf Art. 1 und 2 GG an der Zeit, darüber nachzudenken, die Eheschließung und Scheidung wieder zu privatisieren. Das verhindert nicht die in Art. 6 GG geforderte staatliche Förderung der Ehe. ‚Pactum facit nuptias‘ galt im Römischen Recht. ‚Back tot he roots‘ ist manchmal ein Fortschritt. Trotzdem ist es unendlich schwierig, ein seit mehr als tausend Jahren bestehendes kulturelles Institut zu entmystifizieren. Gegen die dadurch verursachte Enttäuschung ist die juristische Dogmatik vielleicht machtlos.

 

 

 

 

Komplexität und Verfahrensdauer als Stressoren eliminieren

Ich las kürzlich in einer psychologischen Fachzeitschrift, Trennung und Scheidung seien für ca. 80 % der Patienten eine der wichtigen Ursachen, die den Behandlungsbedarf ausgelöst hätten. Ob die Zahl stimmt, kann ich nicht prüfen. Sie klingt aber plausibel und ist gleichzeitig erschütternd. Als Familienrechtler verbietet es sich, fachfremde Überlegungen über die Auswirkungen des Verlustes eines Lebensabschnitts und manchmal auch einer Perspektive anzustellen. Wir können aber darüber diskutieren, welchen Beitrag das materielle und verfahrensrechtliche Familienrecht leisten kann, Trennung und Scheidung für die Menschen leichter erträglich zu gestalten.

1. Entdramatisierung der Scheidung: Standesamtsscheidung

Selbst auf die Gefahr hin, mit der Anwaltschaft in einen standespolitischen Konflikt zu geraten, sollten wir darüber nachdenken, ob es wirklich erforderlich ist, die Auflösung der Ehe durch das Gericht aussprechen zu lassen. Schließlich wird die Ehe auch nicht vom Gericht geschlossen, sondern von den Ehegatten, die sich – beurkundet vom Standesbeamten – versprechen, lebenslang ein Paar zu sein.

Rast nicht die Welt in allen Strömen fort,
und mich soll ein Versprechen halten?

heißt es im Faust und nicht nur dort. Die Ehe ist ein Vertrag. Die Auflösung eines Vertrages geschieht durch Kündigung und in der Regel in der gleichen Form des Vertragsschlusses. Um das versprochene Bündnis aufzulösen, bedarf es nicht des Richters. Das können die Ehegatten selbst. Und um die mit der Ehe verbundenen steuerlichen und sozialrechtlichen Privilegien beweisfest zu beseitigen, bedarf es der staatlichen Beurkundung des Anfangs und des Endes des Vertrages. Mehr nicht. Gibt es streitige Ehescheidungen? Ich habe in 30 Jahren Familienrecht keine erlebt, wohl aber Streit um Unterhalt, Kinder, Versorgungsausgleich und die Vermögensverteilung, aber nie um den Fortbestand einer gescheiterten Ehe.

Wo bleibt dann der staatliche Schutzschild für die Gatten vor Übervorteilung und für die Kinder? Dafür müssen die Gerichte zuständig bleiben. Aber auch nur dafür. Ein Unterhaltsanspruch besteht unabhängig vom Scheidungsausspruch. Er setzt einen anerkennenswerten Bedarf, Bedürftigkeit und Leistungsfähigkeit voraus. Daran ändert auch die Standesamtsscheidung nichts. Auch heute können Ehegatten geschieden werden, ohne dass der Unterhalt gesichert ist. Sie brauchen den Unterhaltsanspruch nur nicht geltend zu machen.

Die Standesamtsscheidung löst nicht alle Probleme, sie schafft aber auch keine und entdramatisiert den Trennungsprozess.

2. Komplexitätsreduktion: Auflösung des Scheidungsverbunds

Die Auflösung einer oft Jahrzehnte gehaltenen Ehe hat viele Aspekte. Der Anspruch der Scheidungsverbundfreunde, mit einem ‚clear break‘ klare Verhältnisse für alle Beteiligten zu schaffen scheitert an der Realität. Wer nachehelichen Unterhalt, Zugewinnausgleich und Versorgungsausgleich, vielleicht auch noch Kindschaftssachen in den Verbund aufnimmt, schafft keinen clear break, sondern ‚clear mist‘.

Im Fall einer Rentnerscheidung kann der nacheheliche Unterhalt ohnehin erst mit Rechtskraft der Versorgungsausgleichsentscheidung und deren Durchführung bestimmt werden. Und wie nachehelicher Unterhalt bei streitiger güterrechtlichen Auseinandersetzung bestimmt werden soll, weiß ich auch nicht.

Diese Komplexität kann nur durch radikale Reduktion aufgelöst werden. First things first. Also erst einmal Unterhalt. Danach kann über das Vermögen gestritten werden. Hat dieser Streit Auswirkungen auf den Unterhalt, mag dieser nachkorrigiert werden. Aber wie häufig wird das nötig sein?

Und der Versorgungsausgleich? Ist die Ehe im Rentenbezugsfall geschieden und der Versorgungsausgleich noch nicht durchgeführt, kann eine Bedarfslücke ohne weiteres mit Unterhalt überbrückt werden. Dann vermieden wir auch die Schwierigkeiten, die durch den Kapitalverzehr bei laufenden Versorgungen entstehen (BGH v. 17.2.2016 – XII ZB 447/13, FamRB 2016, 176).

Der Scheidungsverbund führt oft dazu, dass auch die Fachleute den Überblick verlieren. Wie mag es da den Ehegatten gehen, deren Scheidung jahrelang vor sich hindümpelt.

3. Beschleunigung

Die Auflösung des Scheidungsverbundes würde bereits zu einer Beschleunigung beitragen. Jede Beschleunigung eines familienrechtlichen Verfahrens führt zu einem ‚Mehr‘ an Lebensqualität für die beteiligten Ehegatten. Wenn in Unterhaltsverfahren nach Eingang des Antrags innerhalb von sechs Wochen terminiert und dem Gegner eine 4-wöchige Erwiderungsfrist gesetzt würde, könnten auch VKH-Verfahren in acht bis zehn Wochen erledigt sein. Wer für die Beteiligten schnell wieder neue Lebensqualität schaffen will, muss die Verfahrenszeiten verkürzen.

Wir Familienrechtler können die Belastung der Menschen durch Trennung und Scheidung nicht aufheben. Wenn wir diese Belastung aber auch nur um 1 % vermindern könnten, sollten wir es versuchen. Darüber lohnt es sich mehr zu debattieren, als über Detailfragen des Unterhaltsrechts, die zu 30 € mehr oder weniger Unterhalt führen. Die Lebensqualität der Geschiedenen wird durch schnellere, überschaubarere und weniger dramatische Verfahrensweisen mehr verbessert als durch dreißig Euro mehr oder weniger Unterhalt. Eine familienfreundliche Scheidung durchzuführen, erfordert gewisse Eingriffe ins materielle und Verfahrensrecht. Eine Revolution wäre es nicht. Vieles könnte bei sinnvoller Verfahrensführung auch schon heute möglich gemacht werden.