Zusatzversorgung kürzt unberechtigt Renten aus Altentscheidungen (OLG Karlsruhe v. 2.5.2017 – 12 U 136/16)

Bereits mit Blog-Beitrag v. 17.8.2016 hatte der Verfasser auf eine Entscheidung des LG Köln hingewiesen, in der das LG die Höhe der Versorgung einer ausgleichspflichtigen Person nach Durchführung des Versorgungsausgleichs nach dem bis zum 31.8.2009 geltenden Versorgungsausgleichsrecht beanstandet und den Versorgungsträger zu einer Nachzahlung der unberechtigten Kürzung verurteilt hat. Die Zusatzversorgungen des öffentlichen Dienstes nehmen die Kürzung der Versorgung der ausgleichspflichtigen Person in den nach altem Recht ergangenen Versorgungsausgleichsfällen nach der sogenannten Redynamisierungsmethode vor. Danach entspricht die Versorgungskürzung in der Höhe dem nominalen Ausgleichsbetrag, obgleich die ausgleichsberechtigte Person wegen der Anwendung der Barwertverordnung nur einen Bruchteil dieser Versorgung erhält oder erhalten wird. Das Oberschiedsgericht der VBL in Karlsruhe ( Oberschiedsgericht der VBL in Karlsruhe v. 6.6.2012 – OS 51/10, FamRZ 2012, 1877) hatte bereits diese Kürzungsmethode für unzulässig erklärt. Dem war das LG Köln mit Urteil v. 17.8.2016 – 20 S 8/16 beigetreten. Nunmehr hat auch das OLG Karlsruhe (OLG Karlsruhe v. 2.5.2017 – 12 U 136/16) sich dieser Auffassung angeschlossen und seine alte Rechtsprechung (OLG Karlsruhe v. 9.12.2004 – 12 U 303/04) aufgegeben. Das OLG hat die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen. Dort ist bereits unter Az. IV ZR 260/16 ein entsprechendes Verfahren, die Revision zum Urteils des LG Köln, anhängig.

Für die Betroffenen ausgleichspflichtigen Personen bergen diese Entscheidungen erhebliches Verbesserungspotenzial. Sollte der Bundesgerichtshof sich den Entscheidungen des OLG Karlsruhe und des LG Köln anschließen, wären die Rentenkürzungen für die ausgleichspflichtigen Personen aufgrund eines Versorgungsausgleichs, der nach dem bis zum 31.8.2009 geltenden Recht durchgeführt worden ist, unberechtigt hoch. Es entsteht für diesen Personenkreis ein erhebliches Nachzahlungspotenzial.

Bis zu einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist Folgendes zu beachten:

  • Betroffen sind alle Entscheidungen über einen Versorgungsausgleich in der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes die nach dem bis zum 31.8.2009 geltenden Versorgungsausgleichsrechts ergangen sind.
  • Die Kürzung der Rente der ausgleichspflichtigen Person ist in diesen Fällen in Höhe der Hälfte des Ehezeitanteils der Versorgung vorgenommen worden, obwohl die Kürzung nur in Höhe der Hälfte des bilanzierten Ehezeitanteils hätte durchgeführt werden dürfen.
  • Der der ausgleichspflichtigen Person zustehende Nachzahlungsbetrag kann über einen Zeitraum von max. 47 Monaten geltend gemacht werden (Verjährungsfrist drei Jahre).
  • Vor Geltendmachung des Nachzahlungsbetrags sollten die betroffenen Personen bedenken, dass der Versorgungsträger nach § 51 Abs. 3 VersAusglG eine Abänderung der alten Versorgungsausgleichs betreiben und dadurch den Versorgungsausgleich komplett ins neue Recht transferieren kann. Geschieht dies, wird die Versorgung der ausgleichspflichtigen Person tatsächlich um die Hälfte des Ausgleichswerts gekürzt. Es wäre dann nichts gewonnen außer der Versorgungsnachzahlung für den nicht verjährten Zeitraum. Gleichzeitig kann jedoch eine Abänderung der Altentscheidung gravierende Auswirkungen auf andere Versorgungen haben. Dies kann für die ausgleichspflichtige Person positiv oder negativ sein. Vor Erhebung des Nachzahlungsanspruch müssen daher die Auswirkungen eines möglichen Abänderungsverfahrens auf das gesamte Gefüge des Versorgungsausgleichs geprüft werden.

Sinnvoll ist es in jedem Fall, zunächst die Entscheidung des Bundesgerichtshofs abzuwarten. Es ist zu hoffen, dass diese alsbald ergeht.

Nun schätzt mal schön – Der Versorgungsausgleich in der Zusatzversorgung (BGH v. 8.3.2017 – XII ZB 697/13)

Rechtzeitig vor Ostern sorgt der BGH für Unruhe bei den Zusatzversorgungen des öffentlichen Dienstes und kippt einen zentralen Bestandteil ihres Berechnungsmodells: die geschlechtsspezifische Versorgungsbegründung im Versorgungsausgleich. Damit sind fast alle Auskünfte der Zusatzversorgungen des öffentlichen Dienstes und der VBL, die nach dem 31.12.2012 erteilt wurden, als Grundlage für den Versorgungsausgleich Makulatur.

Drei Fragen im Zusammenhang mit der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes waren offen:

  1. Ist die Berechnung des Ausgleichswerts auf der Basis der zu teilenden Versorgungspunkte in einen Kapitalwert und die Begründung der Versorgung für die ausgleichsberechtigte Person auf der Basis der aus diesem Kapitalwert resultierenden altersabhängigen Entgeltpunkte zulässig?
  2. Ist es in der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes zulässig, geschlechtsspezifische Barwertfaktoren für die Rentenbegründung im Versorgungsausgleich zu benutzen?
  3. Ist es bei der internen Teilung eines Anrechts des ZVK zulässig, vom Pflicht- in den freiwilligen Versicherungszeig zu wechseln?

Die ersten beiden Fragen sind nun beantwortet:

Zu 1.:

In der ZVK des öffentlichen Dienstes sind die Versorgungspunkte die Bezugsgröße. Nach § 5 Abs. 1 VersAusglG wird auf der Basis der jeweiligen Bezugsgröße geteilt und für die ausgleichsberechtigte Person eine Versorgung begründet. Wenn also ehezeitlich 20 Versorgungspunkte (VP) begründet wurden, wären 10 VP für die ausgleichsberechtigte Person zu begründen. So einfach macht es sich und uns die ZVK indessen nicht. Vielmehr werden die ehezeitlich erworbenen VP anhand der biometrischen Daten der ausgleichspflichtigen Person in einen Barwert umgerechnet, dieser wird geteilt und anhand der biometrischen Faktoren der ausgleichsberechtigten Person wird das geteilte Kapital in VP umgerechnet. Das führt für die Beteiligten zu der oftmals als verblüffend empfundenen Erkenntnis, dass die Teilung von 12,64 VP für die ausgleichsberechtigte Person zu einer Versorgung in Höhe von 10,82 VP führt. Falsche Mathematik? Nein, richtige Versicherungsmathematik sagt die ZVK und nun auch der BGH, denn der Versorgungsausgleich müsse für Versorgungsträger kostenneutral abgewickelt werden und deswegen sei es zulässig, wenn unterschiedliches Alter von ausgleichspflichtiger und ausgleichsberechtigter Person zu unterschiedlich hohen Versorgungen führe. Bei jüngeren Ausgleichsberechtigten verweile das Ausgleichskapital länger im Versorgungssystem, erziele Zinserträge und könne daher auch höhere Renten generieren. Deshalb seien die Teilung auf Kapitalwertbasis und deren Umrechnung in Versorgungspunkte zulässig.

Zu 2.:

  1. Die Anwendung geschlechtsspezifischer Barwertfaktoren bei der Umrechnung des Kapitalbetrages in Versorgungspunkte hält der BGH allerdings nicht für zulässig (Rz. 26 ff.). Die Zusatzversorgungen des öffentlichen Dienstes seien als Anstalten des öffentlichen Rechts an die Beachtung des Gleichheitsgrundsatzes gebunden. Zwar hätten Frauen eine längere Lebenserwartung als Männer, was versicherungsmathematisch differierende Barwertfaktoren rechtfertige. Letztlich stelle dies aber eine geschlechtsspezifische Diskriminierung von Frauen dar, die im Lichte von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG nicht zu rechtfertigen sei. Dies bedeute allerdings nicht, dass alle Versorgungsausgleiche, die auf der Basis nicht genderneutraler Auskünfte der Zusatzversorgungen durchgeführt worden seien, fehlerhaft seien. Erst solche Versorgungsauskünfte, die nach dem 1.1.2013 erteilt worden seien, könnten vor der Rechtsordnung keinen Bestand haben, weil der Europäische Gerichtshof Art. 5 Abs. 2 der Gender-Richtlinie 2004/113/EG mit Wirkung zum 21.12.2012 für ungültig erklärt habe (Rz. 43) und seitdem fraglich sei, ob die Anwendung geschlechtsspezifischer Barwertfaktoren in der betrieblichen Altersversorgung unionsrechtlich zulässig sei. Da eine solche geschlechtsspezifische Ungleichbehandlung aber bereits gegen nationales Verfassungsrecht verstoße (Rz. 48), könne sie nur bis zum 31.12.2012 hingenommen werden. Nach diesem Stichtag erteilte Versorgungsauskünfte von öffentlich-rechtlichen Zusatzversicherungen seien grundsätzlich nicht verwertbar. Bis zur Umstellung der Rechnungsgrundlagen durch die Versorgungsträger könnten die Werte geschätzt werden. Ein brauchbares Schätzmodell sei in der Entscheidung des OLG Celle (FamRZ 2014, 305, 308 f.) enthalten.
  2. Nun schätzt mal schön*, will uns der BGH sagen. Das ist aber gar nicht so einfach und dürfte die Familienrechtler ohne besondere Hilfsmittel überfordern.
    • Das OLG Celle hatte in der vom BGH erwähnten Entscheidung die ZVK aufgefordert, alle maßgeblichen alters- und geschlechtsspezifischen Barwertfaktoren für die Stichtage zur Berechnung des Kapitalwerts und des Rentenwerts mitzuteilen und dann folgendes Schema entwickelt (entnommen Hauß/Bührer, Versorgungsausgleich und Verfahren in der Praxis, 2. Aufl., Rz. 952):

      OLG Celle, geschlechtsneutrale Teilungsberechnung

      Barwertfaktor Mann (47)

      Barwertfaktor Frau (42)

      Monatsrente

      148,09 €

      148,09 €

      Jahresrente

      1.777,08 €

      1.777,08 €

      Barwertfaktor (47)

      7,42

      7,434

      Barwert

      13.185,93 €

      13.210,81 €

      Barwert / 2

      6.592,97 €

      6.605,41 €

      Teilungskosten

      – 125,00 €

      – 125,00 €

      Ausgleichswert

      6.467,97 €

      6.480,41 €

      Barwertfaktor (42)

      6,417

      6,436

      Jahresrente

      1.007,94 €

      1.006,90 €

      Monatsrente

      84,00 €

      83,91 €

      Versorgungspunkte (Rente / 4)

      21,00

      20,98

      gemittelte Versorgungspunkte

      20,99

      Der Unterschied zwischen grundgesetzkonformer geschlechtsneutraler und geschlechtsdifferenzierender Berechnungsmethode betrug im Fall des OLG Celle gerade einmal 20 Eurocent (vgl. Hauß, FamRB 2013, 386).

    • Die Gerichte könnten nun recht einfach die Bewertungen vornehmen, wenn die Träger der Zusatzversorgungen nicht ein Geheimnis um Ihre Barwertfaktoren machten. Diese werden nämlich nicht veröffentlicht. Würden sie veröffentlicht, könnte man sehr einfach und auch sehr schnell ein Programm zur geschlechtsneutralen Kalkulation der Werte entwickeln, das den Gerichten die Möglichkeit böte, anhand der Berechnungsparameter der ZVK einen geschlechtsneutralen Ausgleich vorzunehmen. Solange die Parameter allerdings Geheimsache sind, muss man nun in allen Fällen die Versorgungsträger zwingen, neue Auskünfte zu erteilen oder ihnen mit wilden Schätzungen drohen. Das alles kostet Geld der Versorgungsträger und Zeit der Mandanten. Schade.
    • Besteht jetzt Abänderungspotential um bei 180.000 Scheidungen pro Jahr zehntausende genderpolitisch fehlerhaft durchgeführten Versorgungsausgleiche zu korrigieren? Wohl kaum. Das Beispiel des OLG Celle zeigt, wie gering der versicherungsmathematische Unterschied genderpolitischer Korrektheit materiell ausfällt. Bevor die Anwaltschaft nun die Abänderungsmaschine anwirft, sollte man kurz die Reaktion der Zusatzversorgungen abwarten. Diese täten gut daran, nun endlich ihre Barwertfaktoren zu veröffentlichen und so eine einfache Möglichkeit der Prüfung und Neuberechnung zu schaffen, ganz ohne neue Auskünfte und ohne lange Stauzeiten.

Zu 3.:

Die Frage, ob ein interner Ausgleich vorliegt, wenn der Versicherungszweig in der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes gewechselt wird, und ein Anrecht statt in der Pflicht- in der freiwilligen Versicherung begründet wird (z.B. in der eZVK Hessen), ist noch nicht beantwortet. Sie weist auch über das Zusatzversorgungssystem hinaus, weil auch der BVV und viele private Versorgungen einen für die ausgleichsberechtigte Person regelmäßig nachteiligen Tarifwechsel vornehmen. Es bleibt zu hoffen, dass der BGH mit ähnlich beeindruckender Rigidität wie im obigen Beschluss das System eines gerechten Ausgleichs der ehezeitlichen Versorgungen vor der schleichenden Demontierung durch die Versorgungsträger schützt.

* Leichte Abwandlung eines Satzes des ehemaligen Bundespräsidenten Heuss, der als Manövergast der Bundeswehr 1958 die Generalität in scherzend ironischer Art mit dem Satz konfrontierte: „Nun siegt mal schön!“

Das Ende des Blindflugs im Versorgungsausgleich – Programm zur Kontrolle von Kapitalwerten

Eigentlich ist der Versorgungsausgleich ganz einfach. Man teilt alle Versorgungen im Ehezeitanteil und begründet für die ausgleichsberechtigte Person zu den Bedingungen der Quellversorgung eine eigene Versorgung beim gleichen Versorgungsträger. Das war die Idee. Im Laufe der Gesetzgebungsarbeit ist diese Idee verwässert worden. Die Länder wollten die Beamtenversorgungen, die Betriebe die Versorgungen aus Direktzusagen und Unterstützungskassen nicht intern teilen. Um Kostenneutralität des Versorgungsausgleichs für die Versorgungsträger zu wahren, wurde ihnen schließlich erlaubt, Renten auf Kapitalwertbasis zu teilen.

Ein Kennzeichen demokratischer Rechtsordnung ging damit verloren: Die Transparenz. Niemand ist nämlich in der Lage, ohne aufwändige Rechenhilfen oder Sachverständigengutachten zu kontrollieren, ob für einen 50-jährigen Mann der Kapitalwert der ehezeitlich erdienten Rente von 500 € vom Versorgungsträger mit 41.000 € richtig angegeben ist. Vielleicht sind es ja auch 30.000 oder knapp 50.000 €?

Dem Interessierten hilft auch die Formel formel_klein nicht wirklich weiter. Wie soll er an den Invaliditäts- oder Hinterbliebenenfaktor kommen? Leistungs-, Anwartschaftszeit, Zinssätze und das Vorversterbensrisiko lassen sich ja noch aus den Generationensterbetafeln ermitteln. Die Berechnung der Formel ist trotzdem nicht banal. Wehe, eine Klammer wird falsch gesetzt.

Das führt bei 160.000 Scheidungen pro Jahr zu 160.000 mal „Blindflug“. Es wird schon stimmen, was der Versorgungsträger oder mehr oder weniger renommierte mathematische Dienstleister berechnen. Diese Hoffnung ist manchmal nicht gerechtfertigt. Die Erfahrung zeigt: auch renommierte Unternehmen schummeln. Teilweise findet das heimlich statt, indem z.B. eine Hinterbliebenenversorgung oder ein Rententrend nicht mitberechnet oder der Stichtag verändert wird. Teilweise wird auch offen geschummelt, indem der „Betrug“ in die Teilungsordnungen geschrieben wird. Der Versorgungsträger hofft, dass sich keiner die Teilungsordnung durchliest. Verweist das Gericht dann im Tenor auf die Teilungsordnung, wäre diese umzusetzen, gerecht oder nicht, das ist egal. Rechtskraft ist Rechtskraft.

Die Anwaltschaft kann die Berechnungen nicht ohne Hilfe durchführen. Die von der Versicherungswirtschaft verwendeten „Richttafeln Heubeck 2005-G“ kosten ca. 800 € und auch ihre Anwendung ist nicht banal.

Diesem Mangel abzuhelfen dient ein neues kleines kostenloses Programm, das von mir entwickelt worden ist und von Arndt Voucko-Glockner und mir nunmehr verantwortet wird. Das Programm hat die Leistungsfähigkeit der Heubeck-Tabellen, ist aber sehr einfach zu bedienen. Es funktioniert mit Excel als Programmbasis und steht ab sofort auch beim FamRB als Download zur Verfügung. Die Kontrolle eines Kapitalwerts dauert – nach dem dritten Mal – vielleicht zwei Minuten. Das sollten uns die Interessen unserer Mandanten wert sein.

Rentenkürzung der Zusatzversorgung in Versorgungsausgleich-Altfällen rechtswidrig

Wird eine Ehe geschieden, wird der Versorgungsausgleich durchgeführt. Nach dem bis zum 31.8.2009 geltenden Versorgungsausgleichsrecht wurden die ehezeitlich erworbenen Anrechte in der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes mit Hilfe der BarwertVO „dynamisiert“. So wurden aus 53,50 € ehezeitlicher auszugleichender Versorgung in einem vom LG Köln nunmehr entschiedenen Fall 11,11 €. Diesen Betrag hätte die Zusatzversorgungskasse der gesetzlichen Rentenversicherung zu erstatten gehabt, wenn es zu einem Rentenbezug der ausgleichsberechtigten Person gekommen wäre.

Tatsächlich verminderte die Zusatzversorgungskasse den Versorgungsbezug des nachehezeitlich im Alter von 45 Jahren invalide gewordenen Ehemannes um den nicht dynamisierten Ausgleichsbetrag von 53,50 €, obwohl die ausgleichsberechtigte Ehefrau noch gar keine Rente bezog. Die Einsparungen für den Versorgungsträger sind erheblich. Bis zum Altersrenteneintritt der 3,5 Jahre jüngeren Ehefrau des Versorgungsberechtigten hätte die Zusatzversorgungskasse für die Ehefrau keinerlei Zahlungen erbringen müssen und danach auch nicht die 53,50 €, sondern maximal ca. 20 €. Im konkreten Fall hätte der Verlust des Ehemannes über die gesamte Bezugszeit der Versorgung bis zu seinem Tod ca. 15.000 € betragen. Bedenkt man die geringe Versorgungshöhe von 53,50 €, ist dies ein erheblicher Betrag.

Das LG Köln (Urteil v. 17.8.2016 – 20 S 8/16) hat sich nun als erstes Zivilgericht einer Entscheidung des Oberschiedsgerichts der VBL in Karlsruhe v. 6.6.2012 – OS 51/10, FamRZ 2012, 1877 angeschlossen und für die Rheinische Zusatzversorgungskasse entschieden, dass die Kürzung der Versorgungsrente für die ausgleichspflichtige Person lediglich in Höhe des aktualisierten dynamisierten Ausgleichsbetrags erfolgen darf. Die Kürzung darf also nicht höher als der in der Versorgungsausgleichsbilanz des Scheidungsurteils bilanzierte Ehezeitanteil der Zusatzversorgung sein, der mit Hilfe der aktuellen Rentenwerte dynamisiert wird.

Im konkreten Fall war das Ehezeitende 2004. Der aktuelle Rentenwert betrug im Jahr 2004 26,13 €, im Jahr 2016 beträgt er 30,45 €. Der berechtigte Abzugsbetrag für das Jahr 2016 hätte sich dann wie folgt errechnet: 11,11 x 30,45 / 26,13 = 12,95 €. Tatsächlich wurden 53,50 € abgezogen!

Das LG Köln hat Revision zum BGH zugelassen.

Konsequenzen aus der Entscheidung:

Bevor die Betroffenen nun die Versorgungsträger anschreiben und die Erhöhung ihrer Rentenbezüge geltend machen, gilt es einiges zu bedenken:

  • Die Zusatzversorgungsträger können dieses Erhöhungsverlangen mit Anträgen auf Abänderung der Versorgungsausgleichsentscheidung beantworten. Dann erfolgt die Realteilung der Versorgung nach neuem Recht. Die Versorgung würde dann tatsächlich um den Nominalbetrag (im vorliegenden Fall 53,50 €) gekürzt.
  • Wenn der Versorgungsbezieher eine Versorgung von einem betrieblichen oder privaten Versorgungsträger bezieht, die ebenfalls mit der BarwertVO „gekürzt“ worden ist, kann ein solches Abänderungsverfahren für den Versorgungsbezieher zu einer Kürzung auch der anderen Bezugsrenten führen.
    • Im Rahmen eines Abänderungsverfahrens müssten die durch Kindererziehungszeiten für vor dem 1.1.1992 geborene Kinder erworbenen Anrechte mitausgeglichen werden und
    • könnten zwischenzeitliche Verschlechterungen der Beamtenversorgung ebenfalls versorgungsausgleichsrechtlich berücksichtigt werden.

Ob ein Antrag an den Versorgungsträger, die unberechtigte Rentenkürzung zu unterlassen, gestellt werden soll, bedarf folglich sorgfältiger Prüfung des Abänderungspotentials aller in den Versorgungsausgleich einbezogenen Versorgungen. Ratsam ist es, unter Hinweis auf die Entscheidung des LG Köln in geeigneten Fällen den Anspruch beim Versorgungsträger zunächst anzumelden und sich zugleich einverstanden zu erklären, bis zur Entscheidung des BGH über die Revision abzuwarten. Zwar kann man so den Versorgungsträger nicht verbindlich davon abhalten, ein Abänderungsverfahren einzuleiten; die Wahrscheinlichkeit dafür ist aber gering, weil Abänderungsverfahren auch für die Versorgungsträger aufwändig sind.

Kenntnisreiche anwaltliche Beratung ist daher gefragt!

BGH zum Rechnungszins im Versorgungsausgleich, BGH v. 9.3.2016 XII ZB 540/14

Schickt die um die Versorgungen geprellten Mandantinnen und Mandanten, die Opfer der externen Teilung betrieblicher Anrechte, zu ihren Bundestagsabgeordneten! Die Justiz ist der falsche Adressat. Das ist die Konsequenz der soeben veröffentlichten Entscheidung des BGH zur Wahl des richtigen Rechnungszinses bei der Bewertung betrieblicher Anrechte im Fall externer Teilung ehezeitlich erworbener Anrechte.

Der BGH billigt die Anwendung des sogenannten BilMoG-Rechnungszinses nach § 253 HGB. Die Hoffnung, die Rechtsprechung werde den Opfern der gesetzlich zugelassenen externen Teilung hochwertiger betrieblicher Anrechte helfen ist mit dieser Entscheidung des BGH dahin. Dahin ist aber auch die Ungewissheit und das Abwarten. Die Rechtsprechung ist vielleicht auch nicht zuständig für Fehler des Gesetzgebers.  Schwamb (OLG Frankfurt) schreibt in einem ersten Kommentar:

Es wird jetzt wirklich Zeit, dass der Gesetzgeber die Reparaturarbeiten aufnimmt (sei es bei § 17 oder auch § 29 VersAusglG). Vielleicht beschleunigen diese BGH-Entscheidungen die Entwicklung eines insoweit bislang fehlenden politischen Willens. „Hoffentlich nicht“, werden die einen antworten, „träum weiter“ die anderen.

Wir Anwälte können die Entwicklung beschleunigen, indem wir nun unsere Mandanten an die Politik verweisen. Sie sollten ihre Abgeordneten aufsuchen und dem Ministerium ihr Leid klagen. Die Justiz ist kein Reparaturgesetzgeber. Vielleicht ist das auch gut so.

Versorgungsausgleich BGH entscheidet zum Kapitalverzehr bei laufender Rente, BGH v. 17.2.2016 XII ZB 447/13

Der BGH hat – endlich – die Frage der Auswirkung laufender Rentenleistung auf den im Versorgungsausgleich zu teilenden Kapitalwert entschieden. Die Lektüre der 29 Seiten lohnt und ersetzt ein Grundlagenseminar über die Finanzierung betrieblicher und privater Altersversorgungen. Wer es kürzer mag:

Der durch laufende Rentenzahlung zwischen Ehezeitende und Rechtskraft einsetzende Kapitalwertverlust einer betrieblichen oder privaten Rentenzusage geht zu Lasten der ausgleichsberechtigten Person. Die dadurch – bezogen auf das Ehezeitende – eintretende Verletzung des Halbteilungsgrundsatzes kann durch § 27 VersAusglG oder den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich korrigiert werden.

 Die praktischen Konsequenzen der Entscheidung sind groß.

  1. Die anwaltliche Vertretung der ausgleichsberechtigten Person sollte alles daransetzen das Versorgungsausgleichsverfahren so schnell wie möglich durchzuführen, um die Verluste des Kapitalwerts so gering wie möglich zu halten. Bezieht die ausgleichsberechtigte Person Trennungsunterhalt ist eine Günstigkeitsprüfung zwischen Versorgungsverlust und Unterhaltsbezug vorzunehmen.
  2. Der anwaltliche Vertreter des Rentenbeziehers sollte bei länger laufenden Versorgungsausgleichsverfahren darauf dringen, zeitnah zum Entscheidungszeitpunkt eine neue Auskunft des Versorgungsträgers einzuholen um zu verhindern, dass die Nichtbeachtung der durch den Rentenbezug eintretenden Minderung des Kapitalwerts eine überproportionale Kürzung der laufenden Versorgung eintritt. Wird kein Trennungsunterhalt geschuldet, kann es ökonomisch sinnvoll sein, das Verfahren zu verzögern um der ausgleichsberechtigten Person so lang wie möglich die ungekürzte Versorgung zu erhalten.
  3. Versorgungsträger werden aus eigenem Interesse in Rentenbezugsfällen das Gericht darauf hinweisen, vor der Entscheidung eine neue Auskunft einzuholen und den voraussichtlichen Zeitpunkt der Entscheidung anzugeben. Da das Gericht diese neue Auskunft den Beteiligten zuzuleiten hat, entsteht neues Verzögerungspotential.
  4.  Verzögerungspotential entsteht auch aus der nun vermehrt vorzunehmenden Prüfung von § 27 VersAusglG und der Möglichkeiten des schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs als Kompensation des halbteilungswidrigen Kapitalverzehrs zu Lasten der ausgleichsberechtigten Person. Der BGH weist zu Recht darauf hin, dass die Vereinbarung des schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs zum Wegfall der Hinterbliebenenversorgung (§25 Abs. 2 VersAusglG) führen kann. Vor leichtfertiger Flucht in den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich sei daher gewarnt. Außerdem kann man eine ausgleichspflichtige Person nicht zum Vergleich zwingen. Bei der Kompensation der durch den Rentenbezug eintretenden Halbteilungsverluste sollte zu große Ängstlichkeit vermieden werden. In fast allen Rentenbezugsfällen ist auch die ausgleichsberechtigte Person in Rentennähe. Da mit Ausnahme der privaten Renten alle anderen mehr oder minder dynamisch sind, kann die Kompensation auf Rentenvergleichsebene bessere Gerechtigkeit bringen, als auf Kapitalwertebene.
  5. Und eine Bitte an alle Praktiker: Keine Panik. Bei zweijährigem Rentenbezug zerbröselt nicht der Kapitalwert. Dieser ist ausgelegt auf 17 (Männer) bis 22 (Frauen) jährigen Versorgungsbezug. Es bricht also im Normalfall keine Welt zusammen, wenn ein Verfahren zwei Jahre dauert. Liegt aber in Abänderungsfällen zwischen Ehezeitende und der Abänderungsentscheidung ein vieljähriger Versorgungsbezug und besteht ein großer Altersunterschied der Beteiligten, muss korrigierend eingegriffen werden. Zu hoffen ist, dass dies über § 27 VersAusglG immer möglich ist. Eine Tabelle mit den Barwertfaktoren für eine ‚Altersrente im Bezug‘  finden Sie hier: Rentenbarwerte für laufende Renten. Das Ganze kann man auch gut als Grafik verstehen: Rentenbarwerte für Blog.
  6. Übrigens: die Entscheidung zum Rechnungszins wird auch in den nächsten Tagen veröffentlicht. Die Entscheidung muss nur noch zugestellt werden.

Neu: Rechnungszinsänderung im Versorgungsausgleich

Für die Bewertung betrieblicher Altersversorgungen im Versorgungsausgleich ist der Rechnungszins von maßgebendem Einfluss. Seit langem wird dieser als deutlich zu hoch angesehen, weil seine Anwendung bei der Kapitalisierung von Betriebsrenten zu einer massiven Verletzung des Halbteilungsgrundsatzes bei der externen Teilung führt. Die Versorgungsausgleichskasse rechnet mit einem Zinssatz von 1,25%, die Betriebe derzeit mit 3,83%. Eine betriebliche Anwartschaft mit einem Ehezeitanteil von 500 € monatlicher Rente für einen 45 Jahre alten Mann hätte unter Anwendung des ‚BilMoG-Zinses‘ (§ 253 HGB) einen Kapitalwert von ca. 43.600 € (ReZins 3,83%, HR + IR, Rententrend 1%, Altersgrenze 67). Dieser Kapitalbetrag begründet in der Versorgungsausgleichskasse eine reine (statische) Altersrente von maximal 260 €.

Das soll nun noch schlimmer werden. Die Rentenberaterin Dagmar Nienhaus (Heiligenhaus) weist darauf hin, dass im ‚Gesetz zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie‘ die Berechnungsmethode des BilMoG-Zinses verändert wurde. Ab 2016 müssen Pensionsrückstellungen mit dem neuen Rechnungszins bilanziert werden, für das Jahr 2015 besteht Wahlfreiheit.

Die Konsequenzen für den Versorgungsausgleich sind schlimm. Im obigen Beispiel vermindert sich durch Anwendung des neuen Zinssatzes von 4,27% der Kapitalwert auf 38.435 € und damit der Rentenertrag in der Versorgungsausgleichskasse auf maximal 230 €. Ab mit dem Betrag in die gesetzliche Rentenversicherung (DRV)! Dort bekäme man mit 67 Jahren wenigstens 256 € bei einer Dynamik von realistischen 2% und zusätzlich eine Invaliditäts- und Hinterbliebenenabsicherung, die die VA-Kasse nicht gewährt.

Es bleibt zu hoffen, dass sich der BGH der ausgleichsberechtigten Personen erbarmt. Er hat über die Bewertungszinssätze zu entscheiden (XII ZB 615/13; XII ZB 415/14; XII ZB 447/14; XII ZB 468/14) und angekündigt, dies auch in Bälde zu tun. Die BilMoG-Zins-Anhänger argumentieren damit, dieser sei das Ergebnis einer über nunmehr 10 Jahre (statt bisher 7) laufenden Markbeobachtung. Er sinke deswegen langsamer als der reale Rechnungszins, steige aber auch wieder langsamer, wenn die Marktzinsen sich erholten. Der ausgleichsberechtigten Person, die heute geschieden wird, nutzt das nichts. Der BGH wird sich entscheiden müssen, ob er im VA Einzelfallgerechtigkeit oder Durchschnittsgerechtigkeit über einen 30-Jahres-Zeitraum präferiert.

Den heute Geschiedenen muss die obwaltende Halbteilungspraxis, wonach 500 gleich 260 ist, wie das Hexeneinmaleins aus Goethes Faust vorkommen:

Du musst verstehn!
Aus eins mach Zehn,
Und Zwei lass gehn,
Und Drei mach gleich,
So bist du reich.
Verlier die Vier!
Aus Fünf und Sechs,
So sagt die Hex,
Mach Sieben und Acht,
So ist´s vollbracht;
Und neun ist Eins,
Und Zehn ist keins,
Das ist das Hexen-Einmaleins!

Jörn Hauß

Startgutschrift in der ZVK

Beim IV. Senat (IV ZR 9/15 und IV ZR 168/15) geht es am 9.3.2016 um die leidige Startgutschrift in der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes. Dieses Thema ist seit 2002 so umstritten, wie kaum ein anderes. Die ‚rentenfernen Jahrgänge‘ (Geburtsjahr ab 1947) erhielten bei der Umstellung des Versorgungssystems eine Startgutschrift. Der Streit um deren richtige Berechnung blockierte zwischen 2007 und 2013 bereits schon einmal zig-tausende Versorgungsausgleiche. Es ist zu befürchten, dass Ähnliches wieder bevorsteht. Beim Ausgleich werthaltiger Ansprüche aus der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes, in denen die Startgutschrift eine Rolle spielt, sollte man vielleicht erst einmal die jetzige Entscheidung abwarten.

P.S. Mittlerweile liegt eine Pressemitteilung des BGH vor.