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Steuerrecht-Blog

Besteuerung vorheriger Erwerbe gemäß dem ErbStG 2009 nach dem 30.6.2016

Friedemann Kirschstein  Friedemann Kirschstein
Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Fachanwalt für Steuerrecht

Das Finanzgericht Hamburg hat mit Entscheidung vom 28.4.2017 – 3 K 293/16 – entschieden, dass Erwerbe vor dem 30.6.2016 nach diesem Datum gemäß dem ErbStG 2009 besteuert werden. Für diese Erwerbe komme es weder auf eine isolierende Auslegung der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts noch auf eine Rückwirkung des ErbStG 2016 an.

Streitig war die Rechtmäßigkeit des sich auf einen Erbfall in 2013 beziehenden Erbschaftsteuerbescheids vom 19.7.2016, also nach Ablauf der Weitergeltungsordnung aus dem ErbStG-Urteil des BVerfG vom 17.12.2014 (1 BvL 21/12, BStBl. II 20015 50, s.a. M. Söffing/Thonemann-Micker, ErbStB 2015, 40; Königer/Mühlhaus, ErbStB 2015, 71; Guerra/Mühlhaus, ErbStB 2016, 230).

Dem Urteil lag vereinfacht folgende Chronologie zugrunde:

  • 2013 Erbfall mit zwei Immobilien
  • 8/2014 Erlass Grundbesitzwertbescheide (GBW), Anfechtung mit Einspruch
  • 17.12.2014 BVerfG-Urteil zum ErbStG mit Weitergeltungsanordnung bis 30.6.2016
  • 28.7.2015 Erlass des streitgegenständlichen Erbschaftsteuerbescheids, Anfechtung mit Einspruch
  • 1/2016 Änderung der GBW-Bescheide auf Grund Einspruchs
  • 30.6.2016 Ablauf Weitergeltungsanordnung BVerfG
  • 19.7.2016 Änderung Erbschaftsteuerbescheid nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO wegen geänderter GBW-Bescheide
  • 4.11.2016 Inkrafttreten des ErbStG 2016
  • 10.11.2016 ablehnende Einspruchsentscheidung
  • 13.12.2016 Klageerhebung

In seiner Klagebegründung macht der Kläger im Wesentlichen geltend, dass die Frist der Weitergeltungsanordnung bei Erlass des Änderungsbescheides am 19.7.2016 überschritten war. Würde das toleriert werden, könnte ein verfassungswidriges Gesetz zeitlich unbegrenzt fortgelten. Die Weitergeltungsanordnung selber sei verfassungswidrig, weil ein Haushaltsnotstand wegen des geringen Steueraufkommens der ErbSt im Verhältnis zum Gesamtsteueraufkommen ausgeschlossen sei. Im Übrigen hatte der Fiskus ausreichend Zeit, sich auf die Verfassungswidrigkeit des ErbStG einzustellen. Darüber hinaus sei der Grundrechtsschutz des Bürgers höher zu bewerten als die Haushaltsinteressen des Staates.

Der Kläger rügt darüber hinaus die Verfassungswidrigkeit des § 31 BVerfGG, weil mit dieser einfachgesetzlichen Vorschrift der Grundsatz der Gewaltenteilung des Art. 20 Abs. 3 GG ausgehebelt würde.

Außerdem seien sowohl das ErbStG 2009 als auch das ErbStG 2016 weiterhin verfassungswidrig, weil Grundbesitz gegenüber Betriebsvermögen immer noch benachteiligt sei, obwohl beide Vermögensarten einer gleich hohen Sozialbindung unterlägen.

Das ErbStG 2016 sei darüber hinaus verfassungswidrig, weil es erstens eine unzulässige Rückwirkung auf den 1.7.2016 enthalte, zweitens die Verschonungsneuregelungen für das Betriebsvermögen undurchführbar kompliziert seien und sie dadurch einen unverhältnismäßigen Steuervollzug auslösen würden und drittens der Kapitalisierungsfaktor von 13,75 für die Bewertung von Betriebsvermögen willkürlich sei.

Das Finanzgericht hat die Klage abgewiesen. Es begründet seine Entscheidung damit, dass die Weitergeltungsanordnung nur so verstanden werden kann, dass auf alle innerhalb der Frist verwirklichten Erwerbsvorgange abzustellen ist und nicht auf deren endgültige Steuerfestsetzung.

An die Weitergeltungsanordnung im ErbStG-Urteil des Bundesverfassungsgerichts sieht sich das Finanzgericht nach § 31 BVerfGG gebunden. Es erkennt auch keine Möglichkeit einer Richtervorlage der vom Bundesverfassungsgericht selbst getroffenen Weitergeltungsanordnung an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG, weil die Weitergeltungsanordnung lediglich gesetzesähnlich sei und somit nicht der Normenkontrolle von Gesetzen unterläge.

Das Finanzgericht ist außerdem der Auffassung, dass die Voraussetzungen für eine erneute Vorlage des ErbStG 2009 an das Bundesverfassungsgericht nicht vorliegen, weil es dafür zu wesentlichen tatsächlichen oder rechtlichen Veränderungen seit dem Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts – also dem 17.12.2014 – gekommen sein müsste.

Einen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot des ErbStG 2016 verneint das Finanzgericht im Streitfall, weil der Erbfall vor Ablauf der Weitergeltungsanordnung eingetreten ist. Mangels Rückwirkung kommt eine Vorlage des ErbStG 2016 an das Bundesverfassungsgericht ebenfalls nicht in Betracht.

Die Entscheidung ist zu einem Sachverhalt ergangen, in dem der Erstbescheid (vom 27.7.2015) innerhalb der Weitergeltungsanordnung ergangen ist. Nach Ablauf dieser Frist ist nur ein Änderungsbescheid ergangen. Wie ein Sachverhalt zu entscheiden wäre, in dem ein Erstbescheid zwischen dem 1.7. und dem 3.11.2016 (Inkrafttreten des ErbStG 2016) erlassen wird, hatte das Gericht nicht zu entscheiden. Es ist zu erwarten, dass derartige Fälle ebenfalls vor die Gerichte getragen werden. Sollte in Ihrer Praxis ein solcher Fall vorliegen, finden Sie in diesem Urteil im Klägervortrag über mehr als zwei Seiten Hinweise auf eine Klagebegründung.

Der Kläger hat inzwischen Nichtzulassungsbeschwerde erhoben. Diese ist beim BFH unter dem Az.: II B 108/17 anhängig. Es bleibt somit abzuwarten, ob sich der BFH zur Frage der Anwendbarkeit des ErbStG 2009 äußern wird.

Mehr zum Autor: RA/FAStR/WP/StB Friedemann Kirschstein ist als Berater
(Zimmert | Kirschstein, Lübeck) tätig. Er ist langjähriger Autor des ErbschaftSteuerberaters (ErbStB) und Mitkommentator des Gürsching/Stenger „Kommentar zum BewG/ErbStG“.

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