Der Steuerpflichtige (Stpfl.) beerbte seinen Großvater (Erblasser) gem. testamentarischer Verfügung zu 1/4. Weitere Erben neben dem Stpfl. waren seine Schwester sowie sein Onkel nebst dessen beiden Töchtern. Der Vater des Stpfl. hatte mit dem Erblasser unter Ausschluss des § 2349 BGB einen Erbverzichtsvertrag geschlossen. Aufgrund der durch diesen Vertrag ausgelösten Vorversterbensfiktion begehrte der Stpfl. mit der Erbschaftsteuererklärung, als Kind eines vorverstorbenen Kindes gem. § 16 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 15 Abs. 1 ErbStG in die Erbschaftsteuerklasse I Nr. 2 mit einem Freibetrag von 400.000 € eingeordnet zu werden.
Dagegen behandelte das FA den Stpfl. als Kindeskind der Steuerklasse I Nr. 3 des § 15 Abs. 1 ErbStG, da sein Vater tatsächlich nicht vorverstorben war.
Das Niedersächsische FG hat die Klage abgewiesen.
Gemäß § 2346 Abs. 1 Satz 1 BGB können Verwandte des Erblassers durch Vertrag mit dem Erblasser auf ihr gesetzliches Erbrecht verzichten. Der Verzichtende ist gem. § 2346 Abs. 1 Satz 2 BGB von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen, wie wenn er zur Zeit des Erbfalls nicht mehr lebte. Er hat auch kein Pflichtteilsrecht.
Die zivilrechtlich in § 2346 Abs. 1 Satz 2 BGB vom Gesetzgeber normierte Vorversterbensfiktion schlägt nicht auf eine entspr. Anwendung im ErbSt-Recht durch. Gegen die Gleichsetzung des gesetzlichen Tatbestandsmerkmales „verstorbener Kinder“ in § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG mit „als verstorben geltenden Kindern“ aufgrund der Vorversterbensfiktion des§ 2346 Abs. 1 Satz 2 BGB spricht v.a. der Umstand, dass der nach § 2346 BGB Verzichtende nur auf sein gesetzliches Erbrecht verzichtet und somit weiterhin aufgrund gewillkürter Erbfolge zum Erben berufen werden kann. Für diesen Fall würde dann ebenso wie für den Fall von Schenkungen der Freibetrag nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG gelten. Damit ist denkbar, dass der Freibetrag gem. § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG doppelt in Anspruch genommen werden könnte, falls er auch der nachfolgenden Generation wegen der Vorversterbensfiktion gem. § 2346 Abs. 1 Satz 2 BGB zugestanden werden würde. Es ist nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber eine solche Doppelbegünstigung beabsichtigt hat.
16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG ist auch nicht i.S. einer Berücksichtigung des begehrten Freibetrags auszulegen. Nach dem Wortlaut von § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG steht der Freibetrag i.H.v. 400.000 € Kindern vorverstorbener Kinder zu. Der Wortlaut beinhaltet nicht den Zusatz, dass auch Kinder als vorverstorben geltender Kinder zu berücksichtigen seien. Er beschränkt sich damit nur auf tatsächlich vorverstorbene Kinder eines Erblassers.
Gegen eine anderweitige Auslegung des Wortlautes von § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG sprechen Sinn und Zweck der Regelung. Mit der gesetzlichen Regelung des Freibetrages i.H.v. 400.000 € hat der Gesetzgeber eine Vorgabe des BVerfG (BVerfG v. 22.6.1995 – 2 BvR 552/91, BStBl. II 1995, 671, BVerfGE 93, 165) umgesetzt. Der Gesetzgeber war nämlich von Verfassung wegen gehalten, für einen Erhalt des Familienvermögens zu sorgen. Diesem Umstand begegnete der Gesetzgeber mit der Einführung des hier in Rede stehenden Freibetrages durch das JStG 1997 (BGBl. I 1996, 2049) i.H.v. zunächst 400.000 DM (später umgerechnet in Euro) und ab 1.1.2009 erhöht auf aktuell 400.000 €. Diesen Betrag qualifizierte der Gesetzgeber als wesentlichen Teil etwaigen Familienvermögens und stellte ihn durch die Einführung dieses Freibetrages im Fall der Übertragung auf die nächste Generation erbschaftsteuerrechtlich frei. Weder ist dem Beschluss des BVerfG noch einer Äußerung des Gesetzgebers zu entnehmen, dass eine solche Freistellung auch für den Fall erbrechtlicher Gestaltungen beabsichtigt ist. In einem solchen Fall bestünde nämlich die Gefahr einer Überbegünstigung von Erben (vgl. oben).
Die vom Stpfl. begehrte Auslegung von § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG ergibt sich auch nicht aus verfassungsrechtlichen Erwägungen. Die behauptete Verletzung des Art. 3 GG ist nicht gegeben. Es fehlt bereits an einer Ungleichbehandlung wesentlich gleicher Sachverhalte. Der Kläger vergleicht in seiner Argumentation den Fall der Ausübung eines Gestaltungsrechts – eines Erbverzichts nach § 2346 Abs. 1 Satz 1 BGB – mit dem erbrechtlichen Regelfall tatsächlichen Vorversterbens und damit ungleiche Sachverhalte miteinander. Der Erwerb von Kindern tatsächlich vorverstorbener Kinder i.S.d. Steuerklasse I Nr. 2 gem. § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG führt immer zur Anwendung eines Freibetrags i.H.v. 400.000 €. In Fällen der lediglich aus einem Gestaltungsrecht resultierenden Vorversterbensfiktion gem. § 2346 Abs. 1 Satz 2 BGB ist dies generell nicht der Fall. Dies ist nicht zu beanstanden.
Soweit der Stpfl. vorträgt, der Familienstamm nach seinem Onkel werde mit geringerer Erbschaftsteuer belastet als jener nach seinem Vater, so ist hierfür ursächlich, dass in dem einen Fall drei Erben, in dem anderen nur zwei Erben vorhanden sind. Die ErbschaftÂsteuer in Deutschland ist als Erbanfallsteuer konzipiert, die an den Erwerb des jeweiligen Erben anknüpft und nicht den Nachlass als solchen besteuert. Dies führt dazu, dass in Familienstämmen mit einer höheren Zahl von Erben auch insg. höhere Freibeträge gewährt werden.
Gegen die vorläufig nicht rechtskräftige Besprechungsentscheidung ist unter dem Az. II R 13/22 das Revisionsverfahren anhängig. Die Entscheidung des BFH bleibt abzuwarten.
Halten Sie vergleichbare Steuerfestsetzungen verfahrensrechtlich offen.
Niedersächsisches FG v. 28.2.2022 – 3 K 176/21 (Rev. II R 13/22), ErbStB 2022, 194