Nach Jahre langen zähen Verhandlungen hat sich die Schweiz mit der Europäischen Union (EU) auf eine Vertiefung der Handelsbeziehungen geeinigt. Die Bundespräsidentin der Schweiz Viola Amherd und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gaben dies Ende des letzten Jahres auf einer gemeinsamen Pressekonferenz in Bern bekannt.
Der Handelspakt umfasst die Neuregelung von insgesamt fünf bestehenden bilateralen Verträgen, die in den kommenden Jahren ausgelaufen wären. Dazu gehört der grenzüberschreitende Verkehr in der Luft sowie auf Schiene und Straße, ebenso wie der Handel mit landwirtschaftlichen Produkten. Auch ermöglicht es der Schweiz die Teilnahme am europäischen Strommarkt, sowie an den akademischen Austauschprogrammen Horizon Europe und Erasmus+.
Auch bei den bislang größten Streitpunkten gelang den Unterhändlern ein Durchbruch. Dazu gehörten unter anderem die von Schweiz geforderte Möglichkeit zur Begrenzung der Zuwanderung sowie der künftige Einfluss des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) auf die Gesetzgebung in der Schweiz. Die Schweiz hat sich beim Thema Migration eine sogenannte Schutzklausel ausbedungen: Sollte sie durch die im EU-Binnenmarkt vorgesehene Personenfreizügigkeit schwerwiegenden wirtschaftliche und soziale Probleme befürchten, kann sie diese einschränken. Stimmt die EU-Seite dem nicht zu, entscheidet ein neutrales Schiedsgericht. das sozialdemokratische Regierungsmitglied
Auch die sogenannte dynamische Rechtsübernahme war in der Schweiz hochumstritten. Diese sah vor, dass bei sich widersprechenden Gesetzen im EU-Binnenmarkt und der Schweiz zunächst ein Schiedsgericht entscheidet, welches Gesetz gilt. Für die Auslegung von EU-Recht hätte dieses jedoch den EuGH anrufen müssen. Im neuen Abkommen steht nicht mehr drin, dass ein Schiedsgericht den EuGH anrufen müsse. Die Sorge der Eidgenossen vor einem zu großen Einfluss des EuGH auf Schweizer Gesetze ist daher abgewendet worden.
Sieht eine Seite die Verträge nicht eingehalten, diskutieren beide Seiten zuerst in einem politischen Gremium, dem Gemischten Ausschuss. Bisher war er das einzige Forum zur Lösung von Streitfragen. Wurde man sich nicht einig, kam man gemeinsam zum Schluss, dass Streit besteht – beigelegt wurde dieser aber nicht. Neu können beide Seiten ein Schiedsgericht anrufen, wenn ein Streit im Gemischten Ausschuss nicht beigelegt werden kann. Im Schiedsgericht sind die Schweiz und die EU mit gleich vielen Juristinnen und Juristen vertreten. Gemeinsam wählen die beiden Seiten eine weitere unabhängige Person, die das Gericht präsidiert. So ist gleichzeitig sichergestellt, dass es im Schiedsgericht nicht zu einem Patt kommt und dass keine Seite die andere dominieren kann.
Wenn die unterlegene Seite den Entscheid nicht akzeptiert, hat die andere Seite ein Recht auf Ausgleichsmaßnahmen. Die Idee: Niemand soll aus dem Vertragsbruch einen Vorteil ziehen. Diese Ausgleichsmaßnahmen wären neu beschränkt auf die Binnenmarktabkommen, wobei jenes zu den Landwirtschaftsprodukten nur Ziel sein darf, wenn auch die Streitfrage dieses Abkommen betrifft.
Selbst wenn der nun geschlossene Vertrag vorläufig in Kraft tritt, könnte er Ende kommenden Jahres oder Anfang 2026 durch ein Volksbegehren noch gekippt werden. Eine Zustimmung ist alles andere als sicher: Die rechtskonservative Schweizer Volkspartei (SVP), die bei der Parlamentswahl im Oktober 2023 stärkste Kraft wurde, hat eine Fundamental-Opposition gegen eine stärkere Anbindung an die EU angekündigt. Zudem fürchten Gewerkschaften und Teile der linken Parteien, dass die Kompromisse mit der EU das hohe Lohnniveau in der Schweiz aushöhlen.
Quelle: www.handelsblatt.com v. 28.12.2024
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