Rechtliches Gehör – Ist das so schwierig?

Zu Beginn meiner anwaltlichen Tätigkeit vor nun fast fünfzig Jahren hatte ich einen Seniorpartner, der über einen unter den heutigen Verhältnissen kaum noch vorstellbaren Fundus an Rechtskenntnis, Lebenserfahrung und jederzeit aktivierbarer forensischer Erfahrung verfügte. Sie pflegte er in prägnanten, teils provokativen Sätzen an die Jüngeren weiterzugeben, wenn sich die Gelegenheit ergab. An einen dieser Sätze fühlte ich mich lebhaft erinnert, als ich kürzlich den Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des BVerfG vom 03.06.2020 las (1BvR 1246/20, abgedruckt u.a. in NJW 2020., 2021): „Richter sind störrisch wie die Maulesel“.

Worum geht es?

Mit seinen Beschlüssen vom 30.09.2018 (BVerfG AfP 2018, 504 und AfP 2018, 508) hatte, wie es schien, das BVerfG einer insbesondere in äußerungsrechtlichen Unterlassungs- und Gegendarstellungsverfahren seit Jahrzehnten eingeführten Praxis ein Ende bereitet, die darin bestand, dass Gerichte über Anträge auf Erlass von einstweiligen Verfügungen ohne die vom Gesetz als Regelfall vorgeschriebene mündliche Verhandlung entschieden und ohne dem Antragsgegner in sonstiger Weise rechtliches Gehör zu gewähren. Diese Praxis stellt nach der eindeutigen Auffassung des höchsten deutschen Gerichts eine eklatante Verletzung der aus Art. 3 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG abzuleitenden Gebote der Gewährung rechtlichen Gehörs und der prozessualen Waffengleichheit dar. Das mag vor dem Hintergrund jahrzehntealter gegenteiliger gerichtlicher Praxis für Gerichte und Anwälte überraschend gewesen sein und insbesondere für die Gerichte, aber auch für die Antragsteller lästig. Es ist aber mit den genannten Verfahrensgrundsätzen nach der klaren Vorgabe des BVerfG eben nicht vereinbar, wenn ein Gericht einem Antragsteller telefonisch Bedenken gegen einen ihm vorliegenden Antrag mitteilt und ihm Gelegenheit gibt, diese Bedenken, etwa durch eine Änderung des Verfahrensantrags oder ergänzenden Sachvortrag in nachgereichten Schriftsätzen, auszuräumen, ohne dass der Antragsgegner darüber unterrichtet wird. Ein kurzer handschriftlicher Vermerk des Richters in der Akte reicht eben nicht aus, wenn er nicht dem Antragsgegner mitgeteilt und ihm auf diese Weise Gelegenheit gegeben wird, dem Gericht auch seine Sicht der Dinge vorzutragen. Und es ist eben nicht zulässig, auf die gebotene mündliche Verhandlung zu verzichten, wenn nicht der Antragsgegner vor Einleitung des Verfahrens abgemahnt wurde und / oder wenn die folgende Antragsschrift im gerichtlichen Verfahren mit der Begründung der Abmahnung nicht identisch ist – sei es aufgrund eigener Erkenntnisse des Antragstellers betreffend die Notwendigkeit einer vertiefenden Begründung, sei es, weil das Gericht in dem von ihm praktizierten einseitigen Verfahren den Antragsteller auf die Notwendigkeit von Ergänzungen oder auch einer Änderung seines Antrags hingewiesen hat.

Das alles scheint aus den genannten Beschlüssen vom 30.09.2018 so klar hervorzugehen, dass es nicht verständlich ist, worüber das BVerfG in seinem jüngsten Beschluss zu dieser Thematik zu befinden hatte: Das LG Berlin hatte über einen Verfügungsantrag zu entscheiden, dem zwar die Abmahnung und die vorprozessuale Erwiderung des Antragsgegners beigefügt waren, in dem der Antragsteller dem Gericht aber die Anlagen zur Erwiderung nicht vorlegt, seine Begründung im Hinblick auf den Inhalt der Erwiderung ausgebaut und in einem nachgereichten Schriftsatz auch noch den Verfahrensantrag geändert hatte; das alles ohne Kenntnis des Antragsgegners. Das hat – Richter sind störrisch wie die Maulesel – das LG Berlin nicht daran gehindert, das Verfahren im einseitigen Dialog mit dem Antragsteller zu gestalten und die einstweilige Verfügung ohne Anhörung des Gegners zu erlassen. Das BVerfG hat dies dem Landgericht auch in diesem Fall nicht durchgehen lassen. Es ist eine erfreuliche Entscheidung. Erfreulich, weil es den verfassungsrechtlich fundierten Verfahrensprinzipien der Waffengleichheit und der Unverzichtbarkeit des rechtlichen Gehörs erneut Geltung verschafft. Erfreulich aber vor allem, weil es dem veröffentlichten Beschluss mit seinen fünf Leitsätzen einen Leitfaden für die rechtsstaatliche Gestaltung von Verfahren der einstweiligen Verfügung voranstellt, an dem – so sollte man hoffen – nun auch der “störrischste“ Richter nicht nicht mehr vorbeikommen wird, und der ungeduldigen Parteivertretern mit unübersehbarer Deutlichkeit aufzeigt, worauf sie sich in dieser Art von Verfahren einzustellen haben. Die Lektüre und Verinnerlichung jedenfalls der Leitsätze des Beschlusses vom 03.06.2020 sei jedem in diesem Rechtsgebiet aktiven Praktiker nur wärmstens empfohlen.

Zu der hier angesprochenen Praxis der „einseitigen“ Verfahren der einstweiligen Verfügung vgl. auch die 6. Auflage unseres „Presserecht“ in Rz. 30.34 f.

Afghanistan II

In meinem Blog vom 14.08.2019 habe ich über die Vorabentscheidung des EuGH im Rechtsstreit zwischen der Bundesregierung und der Funke Mediengruppe betreffend die Veröffentlichung der sogenannten „Afghanistan-Papiere“ (Urteil vom 29.07.2019; AfP 2019, 416) berichtet und die Einschätzung geäußert, dass der BGH, an den der EuGH den Fall zurück verwiesen hatte, die Klage der Bundesregierung am Ende werde abweisen müssen; wobei der EuGH die Frage offen gelassen hatte, ob dies mit mangelnder Urheberrechtsfähigkeit der in Rede stehenden Texte oder einer grundrechtskonformen Auslegung der Bestimmung des § 50 UrhG zu begründen sein werde. Rechtzeitig zum internationalen Tag der Pressefreiheit am 03.05. hat der BGH mit Urteil vom 30.04.2020 (I ZR 139/15) zu einer dieser beiden Fragen Klarheit geschaffen und die Klage gegen die Bundesregierung erwartungsgemäß abgewiesen.

Zur Erinnerung: Die Funke-Mediengruppe hatte zur Unterrichtung des Parlaments im Bundesverteidigungsministerium erstellte Berichte vollständig im Wortlaut in das von ihr betriebene Online-Portal der WAZ eingestellt, und zwar versehen mit einem erläuternden Einleitungstext, weiterführenden Links und einer Einladung an den Leser zur interaktiven Partizipation.

Das LG und das OLG Köln hatten der auf das Urheberrecht der Verfasser der Afghanistan-Papiere gestützten Klage stattgegeben, der BGH hatte das Verfahren zur Klärung von durch Art. 5 Abs. 2 c und Abs. 3 der Richtlinie 2001/29 EG zur Harmonisierung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft aufgeworfener Fragen dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt. Der EuGH hatte in seinem Urteil vom 29.07.2019 die Frage aufgeworfen, ob die hier in Rede stehenden Texte überhaupt als dem Urheberrechtsschutz unterliegende Sprachwerke anzusehen sind und ob die Funke- Mediengruppe – wolle man das bejahen – sich nicht auf die Bestimmung des § 50 UrhG berufen könne, durch die Berichte über Tagesereignisse in einem bestimmten Umfang unter Verwendung geschützter Werke statthaft sind.

In seinem Urteil vom 30.04.2020 hat der BGH die erste dieser beiden Fragen erneut unbeantwortet gelassen und zugunsten der klagenden Bundesregierung die Schutzfähigkeit der Texte unterstellt. Im Lichte der EuGH-Entscheidung vom 29.07.2020 halte ich das für verfehlt. Nahe gelegen hätte demgegenüber die Auffassung, dass ausschließlich zur Unterrichtung des Parlaments im Dienstbetrieb eines Bundesministeriums erstellte Informationsschreiben nicht als eigene geistige Schöpfungen des oder der Verfasser anzusehen und dass sie stattdessen wie andere amtliche Dokumente im Anwendungsbereich von § 5 UrhG dem Urheberrechtsschutz schlechthin entzogen sind. Es entspricht m. E. nicht dem nach der Entscheidung des EuGH schon bei der Ermittlung der Werk-Eigenschaft im Sinne von § 2 UrhG zu berücksichtigenden Stellenwert der Kommunikationsgrundrechte der Grundrechtecharta, des Art. 10 EMRK und des Art. 5 Abs. 1 GG, dass der BGH diese Frage offen lässt und damit den zitierenden Medien das Risiko zuweist, mit derartigen Veröffentlichungen eine Verletzung von staatlichen Stellen wahrzunehmender Urheberrechte staatlicher Bediensteter zu begehen.

Umso erfreulicher ist es, dass der in diesem Fall zuständige I. Zivilsenat des BGH den zweiten Ball aufgenommen hat, den ihm der EuGH in seinem Urteil vom 29.07.2019 zugespielt hat: Die Veröffentlichung der Afghanistan-Papiere in der durch die Funke-Mediengruppe praktizierten Form ist Berichterstattung . Sie ist nach der gebotenen Abwägung der Interessen der Bundesregierung am ausschließlichen Verwertungs- und Verbreitungsrecht an den Texten einerseits mit den Kommunikationsgrundrechten des Verlags andererseits durch die Ausnahmebestimmung des § 50 UrhG gedeckt, weil die Texte wirtschaftlich nicht verwertbar sind, an ihrer Veröffentlichung aber unter Berücksichtigung der politischen Auseinandersetzung über die Beteiligung deutscher Soldaten an Auslandseinsätzen ein hohes Informationsinteresse der Öffentlichkeit besteht. Die im EuGH-Urteil vom 29.07.2019 unübersehbar angelegte Tendenz zur restriktiven Auslegung urheberrechtlicher Ausschließlichkeitsrechte in der Kollision mit den europäischen und nationalen Kommunikationsgrundrechten der Medien wird vom BGH auf der Ebene der Auslegung des § 50 UrhG konsequent umgesetzt.

Recht am eigenen Bild und gemeinschaftsschädigendes Verhalten

Das Thema Bildberichterstattung war gerade Gegenstand meines letzten Blogs. Damals ging es um Bildberichterstattung aus Strafverfahren und die Voraussetzungen, unter denen die Strafjustiz im Interesse der Gewährleistung eines geordneten Verfahrens in die grundrechtlich geschützte Tätigkeit der Fotojournalisten eingreifen darf. Häufiger beschäftigt aber die Frage nach Tragweite und Grenzen des Rechts am eigenen Bild Gerichte in den vielen zivilprozessualen Auseinandersetzungen zwischen Beteiligten an Strafverfahren und Medien nach erfolgter Bildberichterstattung. Mit Fotos der Beteiligen bebilderte Berichterstattung über Strafverfahren insbesondere mit prominenten Beteiligten ist möglicherweise die Fallgruppe, in der das Spannungsfeld zwischen Medienfreiheiten und dem Recht am eigenen Bild am häufigsten auf dem Prüfstand steht. Der Gedanke, ein verwaltungsgerichtliches Verfahren könne ein zeitgeschichtliches Ereignis im Sinne des vom BGH nach ständiger Praxis praktizierten abgestuften Schutzkonzepts sein, über das die Medien unter Abbildung der Verfahrensbeteiligten berichten dürfen, dürfte demgegenüber vergleichsweise fern liegen. Mit Urteil vom 17.12.2019 (VI ZR 504/18) hat der BGH das vielfältige Spektrum des ewigen Konflikts zwischen dem Recht am eigenen Bild und dem Recht der Redaktionen auf ungehinderte Berichterstattung auch unter Einsatz von Bildnissen Betroffener nun aber um eine weitere Facette bereichert.

Anlass für diese Entscheidung war die Berichterstattung über eine Reihe verwaltungsgerichtlicher Verfahren betreffend gewerblich betriebene Zweckentfremdung von Wohnraum. Die beiden Kläger betrieben ein ausgeklügeltes System, nach dem einer von ihnen in einer Vielzahl von Fällen Wohnraum anmietete, diesen dem jeweils anderen Kläger untervermietete und dieser wiederum den Wohnraum gewerbsmäßig kurzfristig an sog. Medizintouristen weitervermietete. Gegen eine Vielzahl von der Stadt München wegen rechtswidriger Zweckentfremdung von Wohnraum gegen diese Praxis erlassener Untersagungsverfügungen verstießen die Kläger durch Wiederholungstaten und wendeten sie sich vor dem Verwaltungsgericht. Der im hier besprochenen Fall beklagte Axel Springer Verlag ließ aus Anlass der Verhandlung Porträtfotos der Kläger herstellen, die er dann im Zuge einer Berichterstattung über das Verfahren und den ihm zugrunde liegenden Sachverhalt veröffentlichte.

Die von den Klägern auf ihr Recht am eigenen Bild gestützte Unterlassungsklage hatte vor den beiden Tatsacheninstanzen Erfolg. Der BGH hat diese Urteile aufgehoben und die Klage abgewiesen. Nach seiner Auffassung besteht an dem Verfahren und dem ihm zugrunde liegenden Verhalten der Kläger ein überragendes Informationsinteresse der Öffentlichkeit, weil mit der Wohnungsnot in München, dem Kampf der Stadt gegen die von den Klägern systematisch praktizierte Zweckentfremdung von Wohnraum und der Ausschöpfung verwaltungsgerichtlicher Verfahren durch die Kläger Vorgänge angesprochen werden, die unter den heute in den Ballungsräumen auf dem Wohnungsmarkt herrschenden Verhältnissen von hoher gesellschaftlicher Relevanz sind. Dass das Verhalten der Kläger keine Straftat, sondern nur eine fortgesetzte Ordnungswidrigkeit darstellt und dass die Berichterstattung der Beklagten daher nicht einem Straf-, sondern einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren gilt, ändert daran nach der zutreffenden Auffassung des BGH nichts. Gleiches gilt für die Tatsache, dass die Kläger abseits ihres dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren zugrunde liegenden Verhaltens nicht als Personen im Blickpunkt der Öffentlichkeit und schon gar nicht als Personen des öffentlichen Lebens anzusehen sind. Der maßgebliche Gesichtspunkt ist hier nicht die Frage, ob die Kläger in eine dieser Kategorien einzuordnen sind, sondern die Tatsache, dass sie nachhaltig zu Lasten der Gesellschaft gegen die Rechtsordnung verstoßen. Der BGH wiederholt hier aus gebotenem Anlass, dass es prinzipiell das Recht und die Verantwortung der Presse ist, innerhalb des durch §§ 23, 23 KUG gezogenen Rahmens selbst zu entscheiden, ob sie ihre Berichterstattung mit Bildnissen der Betroffenen illustrieren wollen oder nicht, und dass es auf die von Betroffenen immer wieder problematisierte Frage nicht ankommt, ob die Bebilderung notwendig ist.

All das hält sich im Rahmen der in den letzten 20 Jahren durch den EGMR, das BVerfG und den BGH geschaffenen Strukturen des Rechts am eigenen Bild; die Entscheidung des BGH stellt mithin in Ergebnis und Begründung keine Überraschung dar. Überraschend ist demgegenüber, dass zwei Instanzgerichte dies anders gesehen haben und es erst des Eingreifens des BGH bedurfte, hier zu einem sachgerechten Ergebnis zu kommen. Wie in letzter Zeit häufig erweist sich der BGH  auch in diesem Fall als die Instanz, deren es bedarf, um im Konflikt zwischen den Persönlichkeitsrechten der Betroffenen und Medienfreiheiten den letzteren mit Augenmaß Geltung zu verschaffen.

Vgl. zum Recht am eigenen Bild im Zusammenhang mit der Berichterstattung über Straftaten und Strafverfahren die 6. Auflage unseres „Presserecht“ in Rz. 21.30 f.; zum abgestuften Schutzkonzept ebendort Rz. 21.13 ff.

 

 

Bildberichterstattung aus Strafverfahren

Die Frage der Zulässigkeit der Herstellung von Ton,- Film- und Fernsehaufnahmen in Gerichtsverfahren ist bekanntlich seit langem in § 169 GVG und für das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht in § 17a BVerfGG im Sinne eines prinzipiellen Verbots geregelt und durch die am 14.04.2018 in Kraft getretene Novellierung dieser Bestimmungen im wesentlichen nur insoweit liberalisiert worden, als derartige Aufnahmen von der Verkündung von Entscheidungen durch das BVerfG und den BGH gefertigt und verbreitet werden dürfen. Der Versuch des ZDF, die Wirksamkeit dieses generellen Verbots unter Berufung auf das Grundrecht der Rundfunkfreiheit anzugreifen, ist vom BVerfG zurückgewiesen worden (BVerfG AfP 2001, 48 – Fernsehaufnahmen in Gerichtsverhandlungen). Die genannten gesetzlichen Bestimmungen sind grundrechtskonform, soweit dem Grundrecht der Rundfunkfreiheit bei ihrer Anwendung im Einzelfall angemessen Rechnung getragen wird.

Demgegenüber kennt das Gesetz kein Verbot fotografischer Aufnahmen der an Gerichtsverfahren beteiligten Personen – sei es aus dem Verhandlungssaal vor oder während der Verhandlungen, sei es aus den öffentlich zugänglichen Bereichen des Gerichtsgebäudes. Fotojournalisten dürfen im Prinzip dort ihrem beruflichen Auftrag nachgehen, eine Einschränkung kann sich an sich nur aus dem Recht am eigenen Bild der abgebildeten Personen ergeben. Natürlich kann dies insbesondere in Strafverfahren mit prominenten Beteiligten oder spektakulären Verfahrensgegenständen zu Störungen führen, die den Verfahrensgang erheblich beeinträchtigen. Die Gerichte behelfen sich daher seit jeher mit sitzungspolizeilichen Verfügungen, mit denen der Gerichtsvorsitzende oft Bestimmungen erlässt, die denjenigen nachempfunden sind, die für die Ton-, Film- und Fernsehberichterstattung gelten. So wird die Anzahl im Saal fotografierender Medienvertreter analog der für Fernsehaufnahmen entwickelten Pool-Lösungen limitiert, wird das Fotografieren im Gerichtssaal, häufig aber auch schon vor dem Saal nach Eintritt in die Verhandlung in aller Regel untersagt. In einem unlängst vom BVerfG entschiedenen Fall (BVerfG NJW 2020, 38) hatte der Vorsitzende des zuständigen Spruchkörpers das Fotografieren durch mehr als vier Fotografen, während einer Zeit von mehr als zehn Minuten vor Beginn der Verhandlung und damit auch in Verhandlungspausen und nach Beendigung der Verhandlung untersagt und generell angeordnet, dass sämtliche Aufnahmen von Angeklagten und Zeugen zu anonymisieren seien; dies im Fall der Weitergabe von Fotos durch Poolführer an nicht zur Verhandlung zugelassene Medien sogar schon vor der Weitergabe.

Dem hat nun das BVerfG im Anschluss an eine frühere Entscheidung (BVerfG NJW 2014, 3013) durch Erlass der von den Medienvertretern beantragten Einstweiligen Anordnung einen deutlichen Riegel vorgeschoben. Derartige Anordnungen sind danach  als Eingriff in das Grundrecht der Medienfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG schon dann verfassungswidrig, wenn das Gericht sie nicht begründet und insbesondere nicht für jeden einzelnen Anordnungsfall konkret darlegt, warum das Verbot oder die Anordnung zur Gewährleistung eines geordneten Verfahrensablaufs erforderlich ist. Schon das Fehlen der Begründung führt mithin in diesen Fällen zur Unwirksamkeit der sitzungspolizeilichen Anordnung. Auf die Frage, ob die erforderliche Abwägung der Medienfreiheiten einerseits und des legitimen Interesses an der ungestörten Durchführung des Verhandlung andererseits die angefochtenen Anordnungen oder einzelne von ihnen hätte legitimieren können, kommt es nicht an. Zwar hindert, wie das BVerfG klar stellt, die erlassene Einstweilige Anordnung den im konkreten Fall tätigen Spruchkörper nicht daran, einzelne der aufgehobenen sitzungspolizeilichen Verfügungen unter Beachtung des Begründungszwangs und des allein durch ihn zum Ausdruck kommenden Stellenwerts der Medienfreiheiten erneut zu erlassen. Das BVerfG gibt aber in den nur kurzen Gründen dieser Entscheidung mit nicht zu übersehender Deutlichkeit zu erkennen, wo die Grenzen einer solchen Anordnungsbefugnis verlaufen könnten. Man kann die Konsequenz, mit der das Gericht in diesem Fall der Berichterstattungsfreiheit der Medien erneut Geltung verschafft, nur begrüßen. In meiner persönlichen Sicht: ein Punktsieg für die Medienfreiheiten und ein guter Start in das neue Jahrzehnt.

Mit den Fragen der Teilnahme der Medien an Gerichtsverhandlungen und insbesondere der Herstellung von Tonaufnahmen und bewegten oder unbewegten Bildern befasst sich die 6. Auflage unsres „Presserecht“ in Rz. 6.12 ff, 6.21 f.

Die Zeit im Recht

Ursprünglich rechtmäßige Medienberichte können aus unterschiedlichen Gründen nachträglich rechtswidrig werden. Das kann etwa der Fall sein, wo Medien nach den Grundsätzen zulässiger Verdachtsberichterstattung über ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren berichten, das später mit einer unanfechtbaren Verfahrenseinstellung oder einem rechtskräftigen Freispruch des Betroffenen endet; oder auch im Fall der zulässigen Berichterstattung über eine strafrechtliche Verurteilung, über die nach Resozialisierungsgrundsätzen ab einem bestimmten Zeitpunkt später nicht mehr berichtet werden darf. Die Frage, ob die Medien verpflichtet sind, derartige Berichte aus ihren Online-Archiven zu löschen oder jedenfalls den Zugriff Außenstehender auf sie zu sperren, beschäftigt die Gerichte seit weit mehr als einem Jahrzehnt. Mit einer Serie von Entscheidungen aus den Jahren 2010 – 2012 schien der BGH sie abschließend im Sinne der Medienfreiheiten geklärt zu haben. Nun aber hat das BVerfG mit seinen beiden Beschlüssen vom 6.11.2019 in Sachen Recht auf Vergessen I (1 BvR 16/13)  und Recht auf Vergessen II (1 BvR 276/17) der Diskussion wieder Raum gegeben. Dabei hat es erstmals eine Problematik in das Zentrum seiner Entscheidungen gestellt, die hier nur erwähnt, auf die aber nicht näher eingegangen werden kann: Beurteilen sich Konflikte zwischen den Medien und den von ihrer Berichterstattung Betroffenen auch heute noch anhand der Art. 1, 2 und 5 GG oder anhand der Grundrechte-Charta der Europäischen Union? In den beiden Entscheidungen vom 6.11.2019 hat das Gericht mit eingehender Begründung einmal deutsches und einmal europäisches Recht angewandt.

Mit der datenschutzrechtlichen Komponente des Beschlusses Recht auf Vergessen I befasst sich der Blog von Härting auf CR-online vom 28.11.2019 – ein in Ansehung der nach wie vor bestehenden Unsicherheit über die Auswirkungen von Art. 85 DSGVO auf das deutsche Medien- und Äußerungsrecht und insbesondere das Recht am eigenen Bild äußerst lesenswerter Beitrag, der jedem auf diesem Gebiet tätigen Rechtsanwender nur dringend ans Herz gelegt werden kann. Die dort herausgearbeitete Kernbotschaft der Entscheidung ist so bedeutsam, dass sie hier ausnahmsweise wiederholt werden soll: Art. 85 DSGVO erlaubt es den Medien, sich gegenüber datenschutzrechtlich begründeten Angriffen auf publizistische Berichterstattung unmittelbar auf Art. 5 GG zu berufen. Das Gericht interpretiert Art. 85 DSGVO damit als direkt in das nationale Recht hineinwirkendes Medienprivileg. Medienjuristen, die sich nach Inkrafttreten der DSGVO im Mai 2018 Sorgen um den Fortbestand des seit Jahrzehnten etablierten Systems der miteinander in Ausgleich zu bringenden Grundrechtspositionen aus Art. 1 und 2 GG einerseits – Allgemeines Persönlichkeitsrecht einschließlich des Rechts am eigenen Bild – und den durch Art. 5 Abs. 1 GG gewährleisteten Medienfreiheiten andererseits gemacht haben, dürfte ein Stein vom Herzen fallen; ich gestehe, dass das auch für mich gilt.

Die Hoffnung aber, dass man das Kapitel der Statthaftigkeit der andauernden Speicherung der hier infrage stehenden alten Medienberichte in den Online-Archiven der Verlage oder Rundfunkveranstalter und der Offenhaltung dieser Archive für die Öffentlichkeit mit den beiden Entscheidungen des BVerfG als abgeschlossen betrachten kann, erfüllt sich nicht. So entscheidet das Gericht zwar in Sachen Recht auf Vergessen I, dass die zeitgeschichtliche Komponente des Ausgangsfalls Appolonia über das Archiv zugänglich bleiben darf und im Hinblick auf die Kommunikationsgrundrechte des Verlags auch bleiben muss; wer im Archiv nach Appolonia sucht, wird weiter auf den Namen des damaligen Täters stoßen und darf es auch. Der unmittelbar auf den Täter bezogenen personenbezogenen Suche aber schiebt es einen mit dem Zeitablauf – seit der ersten Berichterstattung sind mehr als dreißig Jahre vergangen – begründeten Riegel vor, dessen Wirksamkeit noch zu definieren sein wird. Das BVerfG gibt den Zivilgerichten im Wege der Zurückverweisung auf, zu prüfen, ob und welche Mittel dem beklagten Verlag zu Gebote stehen, um zum Schutz des Betroffenen Einfluss auf die Auffindbarkeit der alten Berichte durch nicht von ihm betriebene Suchmaschinen bei namensbezogener Recherche zu nehmen. Der BGH, der keine Tatsachenfeststellungen treffen kann, wird dies nicht aufklären können, sondern den Fall seinerseits an das OLG als letze Tatsacheninstanz zurückverweisen müssen. Wie in dieser Konstellation endgültig zu verfahren sein wird, wird also noch für längere Zeit offen bleiben. Es wäre aber keine Überraschung, wenn die Gerichte am Ende die Medienunternehmen verpflichten würden, von ihnen unabhängige Suchmaschinenbetreiber zu bitten – anweisen könnten sie sie nicht -, den auf den Täter zielenden personenbezogenen Zugang zu der Altmeldung zu sperren.

Im Fall Recht auf Vergessen II stand die angegriffene Altmeldung nicht mehr als 30, sondern knapp zehn Jahre im Online-Archiv. Ansonsten sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des Falls identisch mit denjenigen im Fall Recht auf Vergessen I. Das BVerfG hat hier die Verfassungsbeschwerde des Betroffenen zurückgewiesen und damit die Auffassung des letztinstanzlich tätigen OLG gebilligt, sein Allgemeines Persönlichkeitsrecht sei durch die Verfügbarkeit der Altmeldung im Online-Archiv der beklagten Rundfunkanstalt im Hinblick auf den kürzeren Zeitablauf – noch – nicht verletzt.

Als Ergebnis beider Entscheidungen lässt sich daher festhalten: Journalistisch-redaktionelle Tätigkeit ist auch im Anwendungsbereich von Art. 85 DSGVO allein am Spannungsfeld der kollidierenden Grundrechte aus Art. 1 und 2 GG einerseits und Art. 5 Abs. 1 GG andererseits oder der im Wesentlichen wirkgleichen Normen der Europäischen Grundrechte-Charta zu messen. Spezifischer nationaler Ausführungsgesetze zu Art. 85 bedarf es nicht. Die Speicherung ursprünglich rechtmäßiger Medienberichte in den Online-Archiven und ihre Verfügbarkeit für deren Nutzer bleibt als Ausdruck der Medienfreiheiten der Verlage oder Rundfunkanstalten auch dann zulässig, wenn eine erneute anderweitige Verbreitung der Altmeldungen wegen veränderter Umstände nach allgemeinen Regeln nicht mehr statthaft wäre. Ihre Abrufbarkeit auf Suchmaschinen unter Eingabe des Namens des Betroffenen kann wegen der erhöhten Eingriffsintensität durch Zeitablauf unzulässig werden. Wie viel Zeit verstrichen sein muss, damit dieser Wechsel in der Beurteilung eintritt, ist nicht abschließend geklärt und wird künftig wohl anhand der Umstände des Einzelfalls zu entscheiden sein; der maßgebliche Zeitpunkt wird zwischen zehn und dreißig Jahren liegen. Welche Vorkehrungen die Medienunternehmen, die nicht gleichzeitig der Suchmaschinenbetreiber sind, nach dem „Umlegen des Schalters“ treffen müssen, um die Auffindbarkeit der Altmeldungen unter Eingabe des Namens des Betroffenen zu verhindern oder jedenfalls zu erschweren, bleibt einstweilen offen; hier ist die weitere Rechtsprechung der Zivilgerichte abzuwarten.

Mit dem zivilrechtlichen „Recht auf Vergessen“ vor den hier besprochenen Entscheidungen befasst sich die 6. Auflage unseres „Presserecht“ in Rz. 19.67, 31.17.

Unterlassungsanspruch und Drittunterwerfung

Kürzlich hatte der BGH sich wieder einmal mit der Frage zu befassen, ob und unter welchen Umständen die Unterwerfungserklärung eines Rechtsverletzers gegenüber dem Unterlassungsanspruch eines Betroffenen die Wiederholungsgefahr auch gegenüber einem Dritten ausschließt, der von der Rechtsverletzung in gleicher Weise betroffen ist wie der erste Gläubiger (BGH vom 4.6.2019, VI ZR 440, 18; ZUM 2019, 867). Im konkreten Fall ging es um die Verbreitung der unwahren Behauptung, eine Person A habe eine Person B geheiratet. Nachdem A wegen dieser Behauptung mithilfe eines Rechtsanwalts einen Unterlassungsanspruch geltend gemacht und der Betreiber des Online-Portals, auf dem die Meldung verbreitet wurde, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben hatte, machte B, vertreten durch den selben Rechtsanwalt, nun ihrerseits einen inhaltsgleichen Unterlassungsanspruch geltend. Dieses für das Taktieren bestimmter Abmahnanwälte charakteristische Vorgehen – anhand eines ersten Falls wird getestet, ob der Anspruch bei Gericht durchsetzbar ist, der zweite und gegebenenfalls weitere Ansprüche werden vermeintlich ohne Kostenrisiko für den oder die Verletzten nachgeschoben – hat die Rechtsprechung im Wettbewerbsrecht schon häufig und in jüngerer Zeit auch im Äußerunsgrecht beschäftigt. Für den Bereich des Wettbewerbsrechts hat sie schon vor drei Jahrzehnten den Grundsatz aufgestellt, dass die gegenüber dem ersten Abmahner abgegebene Unterlassungserklärung die Wiederholungsgefahr auch gegenüber weiteren Klageberechtigten beseitigt, wenn sie vorbehaltlos und sachlich korrekt ist. Für den Bereich des Äußerungsrechts hat die Rechtsprechung gegenüber dieser Konstruktion zunächst Zurückhaltung an den Tag gelegt und das Fortbestehen des Unterlassungsanspruchs des zweiten Verletzten mit der Begründung bejaht, dass das Allgemeine Persönlichkeitsrecht höchstpersönlicher Natur ist und der zweite Gläubiger nicht darauf vertrauen kann, dass der erste im Fall einer Wiederholung die Ansprüche aus der ihm gegenüber abgegebenen Unterlassungserklärung auch wirklich geltend machen wird. Mit der vor fast genau einem Jahr ergangenen Entscheidung heimliches romantisches Treffen (BGH vom 4.1.2018, VI ZR 440/18; GRUR 2019, 431) hat der BGH dann aber die Möglichkeit der Beseitigung der Wiederholungsgefahr durch Drittunterwerfung auch für Fälle der Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts prinzipiell anerkannt; allerdings darf die Wiederholungsgefahr nicht schematisch verneint, muss ihr Fortfall vielmehr anhand einer sorgfältigen Prüfung aller Umstände des konkreten Falls festgestellt werden. Erforderlich ist nicht nur die Inhaltsgleichheit der Rechtsverletzung, sondern auch die Überzeugung des Gerichts, dass der Erstgläubiger gegen den Verletzer aus der ihm gegenüber abgegebenen Verpflichtungserklärung vorgehen wird, wenn der Verletzer die inkriminierte Behauptung erneut verbreitet. In dem oben erwähnten Urteil vom 4.6. d. J. geht der BGH nun einen Schritt weiter. Zwar verneint er die Beseitigung der Wiederholungsgefahr allein aufgrund der Tatsache, dass der Gläubigerin A eine Verpflichtungserklärung vorliegt. Entscheidend für die Überzeugung, auch B könne sich darauf verlassen, dass der Verletzer die auch sie verletzende Behauptung nicht wiederholt, sei in diesem Fall die Tatsache, dass  die rechtswidrige Berichterstattung nicht vorsätzlich erfolgt, sondern das Ergebnis eines offensichtlichen redaktionellen Versehens sei. Dogmatisch überzeugt das nicht; dass eine Rechtsverletzung vorsätzlich begangen wurde, ist nicht Voraussetzung des Unterlassungsanspruchs. Bedeutsam für die Praxis insbesondere von Abmahnanwälten ist dieses Urteil trotzdem. Denn es manifestiert die Tendenz der neueren Rechtsprechung zur Skepsis gegenüber der Praxis einschlägig tätiger Anwälte, einheitliche Rechtsverletzungen gegenüber mehreren Betroffenen in getrennten Verfahren geltend zu machen und auf diese Weise in erster Linie für ein höheres Gebührenaufkommen zu sorgen.

 

Mit der Wiederholungsgefahr in Fällen der Persönlichkeitsrechtsverletzung und ihrer Beseitigung befasst sich die 6. Aufl. unseres „Presserecht“ in Rz. 30.8 ff.; zur Drittunterwerfung ebenda Rz. 30.14

Neues zum Auskunftsanspruch

Behörden haben bei der Erfüllung von Auskunftsansprüchen stets schwierige Güterabwägungen vorzunehmen. Das betrifft die Frage, ob und inwieweit der Auskunftserteilung widerstreitende berechtigte Interessen entgegenstehen wie etwa öffentliche oder private Belange Dritter, laufende Straf-, Ermittlungs- oder Verwaltungsverfahren oder das Steuergeheimnis. Zu letzterem hat das Bundesverwaltungsgericht kürzlich (Urteil vom 29.8.2019, 15 A 651/14) eine erwartbare Entscheidung gefällt. Auskunftsansprüchen über Angelegenheiten der Steuerfahndung steht in aller Regel die Bestimmung des § 30 Abs. 1 und 2 AO entgegen. So haben die Medien nach dieser Entscheidung keinen Anspruch auf Auskünfte über die Dauer eines Einsatzes der Steuerfahndung, die Person des Einsatzleiters, die gesicherten Beweise und etwaige Festnahmen verdächtiger Personen. Das BVerwG teilt insoweit die schon von den Vorinstanzen geteilte Befürchtung der Finanzverwaltung, aus der Beantwortung derartiger Fragen könnten die Medien unter Umständen Rückschlüsse auf die steuerlichen Verhältnisse der beteiligten Personen ziehen.

Überraschender ist die Tatsache, dass sich das Bundesverwaltungsgericht in einer weiteren aktuellen Entscheidung (Urteil vom 18.9.2019, 6 A 7.18) mit der Frage zu befassen hatte, ob Behörden hinsichtlich der auskunftsberechtigten Medien differenzieren und einem Teil der Medien in weiterem Umfang Auskünfte erteilen dürfen als einem anderen. Dem steht auf den ersten Blick das Gebot staatlicher Neutralität beim Umgang mit den Medien entgegen. Andererseits steht außer Frage, dass Behörden und Behördenvertreter berechtigt sind, vertrauliche Hintergrundgespräche mit Journalisten zu führen und dazu Vertreter einzelner Redaktionen einzuladen, andere aber nicht; wie sie auch einzelnen Medien Interviews geben dürfen, ohne verpflichtet zu sein, auch anderen für Interviews zur Verfügung zu stehen. Im konkreten Fall verlangte ein vom BND zu von ihm regelmäßig veranstalteten Hintergrundgesprächen nicht zugelassener Journalist Auskunft u. a. über die Anzahl in einem bestimmten Zeitraum geführter Gespräche, deren Teilnehmer, Themen, Zeiten und Orte. Der BND lehnte die Erteilung dieser Auskünfte mit der Begründung ab, durch sie würden Arbeitsfelder und -weisen des BND offenbar, an deren Geheimhaltung ein überwiegendes öffentliches Sicherheitsinteresse bestehe; außerdem werde das Recht der teilnehmenden Journalisten auf informationelle Selbstbestimmung verletzt. Das BVerwG ist dem mit Recht entgegengetreten und hat den BND zur Erteilung der meisten der begehrten Auskünfte verurteilt. Die zu den Hintergrundgesprächen zugelassenen Journalisten agierten in diesem Rahmen in Wahrnehmung der öffentlichen Aufgabe der Medien; dies gelte aber auch für den nicht zugelassenen Journalisten, der die Auskünfte begehrte. Und schutzwürdige Sicherheitsinteressen des Staats könnten allenfalls dann verletzt werden, wenn der BND zur Auskunft über die in den Pressekonferenzen offenbarten Informationen verurteilt würde; dass Hintergrundgespräche geführt werden sei in der Öffentlichkeit ebenso bekannt wie das Themenspektrum, mit dem der BND sich aufgrund seines gesetzlichen Auftrags befassen müsse. Beide hier referierten Entscheidungen sind zu begrüßen. Das BVerwG setzt mit ihnen eine Linie fort, die mit der Anerkennung des jahrzehntelang umstrittenen verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruchs der Medien gegen den Bund und seine verschiedenen Behörden in den Jahren 2013 und 2015 (BVerwG AfP 2013, 355; 2015, 362) begonnen hat und die es danach u. a. mit der Anerkennung einer prinzipiellen Auskunftspflicht etwa des Bundestags und eben des BND weiterentwickelt hat. Gerade in Zeiten, in denen die Medien etwa in, um nur wenige zu nennen, den USA, der Türkei, Ungarn oder Polen unter massiven Druck seitens der Regierungen geraten und in denen auch im Inland politische Bestrebungen insbesondere des rechten Spektrums unübersehbar sind, die Medienfreiheiten einzuschränken, ist es zu begrüßen, dass das Gericht mit diesen Entscheidungen die Position der Medien bei der Geltendmachung ihrer für die Erfüllung ihrer Informationsaufgaben essentiellen Auskunftsansprüche erneut stärkt.

 

Mit dem mangels einer anspruchsbegründenden gesetzlichen Bestimmung unmittelbar aus Art. 5 Abs. 1 GG abgeleiteten Auskunftsanspruch der Medien gegen den Bund und seine Untergliederungen befasst sich die 6. Auflage unseres „Presserecht“ in Rz. 1.10 ff.; zu den einzelnen auskunftspflichtigen Bundesbehörden vgl. ebendort Rz. 4. 19 f., zum Neutralitätsgebot Rz. 4.40 ff.

 

 

 

 

„Landplage“

Man soll ja vor seiner eigenen Tür kehren und sich mit Kritik an konkreten Entscheidungen ausländischer Gerichte tunlichst zurückhalten, zumal die Details der jeweiligen nationalen Rechtslage von außen häufig schwer zu beurteilen sind. Aber der Fall Lewitt gegen Österreich, in dem der EGMR am 10. Oktober (4782/18) ein in Ansehung der österreichischen Entscheidungen zu diesem Fall überfälliges Urteil verkündet hat, rechtfertigt, ja, gebietet es, eine Ausnahme zu machen. Zumal wir uns in Deutschland in einer Situation befinden, in der wir uns verbalen und nicht nur verbalen Angriffen aus dem rechten Spektrum ausgesetzt sehen, die sich qualitativ kaum von denjenigen unterscheiden, die Gegenstand des aktuell entschiedenen österreichischen Falls sind. Dort bezeichnete ein rechtsradikales Blatt namens Aula im Jahr 2015 die 1945 aus dem KZ Mauthausen befreiten Häftlinge als Landplage und Kriminelle, die raubend und plündernd, mordend und schändend das unter der ‚Befreiung‘ leidende Land geplagt hätten. Man mag das kaum glauben. Aber in einem Land, in dem der Vorsitzende einer im Bundestag vertretenen Partei das nationalsozialistische Unrechtsregime als Fliegenschiss verharmlosen kann, besteht zu Überheblichkeit kein Anlass. Immerhin würden die Aula-Äußerungen bei uns den Tatbestand der von Amts wegen zu verfolgenden qualifizierten Verunglimpfung Verstorbener gemäß §§ 189, 194 Abs. 1 Satz 2 StGB erfüllen und nach der Rechtsprechung des BGH jeden noch lebenden Angehörigen der jüdischen Volksgruppe berechtigen, zivilrechtliche Ansprüche gegen Verlag und Autor geltend zu machen. In unserem Nachbarland wurde ein wegen u.a. der dortigen Tatbestände der Volksverhetzung und der Beleidigung von Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft eingeleitetes strafrechtliches Ermittlungsverfahren mit der Begründung eingestellt, es sei nachvollziehbar, dass die Freilassung mehrerer tausend Menschen aus dem Konzentrationslager Mauthausen eine Belästigung für die betroffenen Gebiete Österreichs dargestellt habe. Da zu den Befreiten neben den überwiegend jüdischen Lagerinsassen auch aufgrund von Gewalt- und Eigentumsdelikten in Mauthausen deponierte Häftlinge zählten, könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass im Rahmen der Befreiung strafbare Handlungen … von Befreiten begangen wurden. Nachdem Aula über diese Entscheidung berichtet und die inkriminierten Äußerungen in diesem Zusammenhang wiederholt hatte, machte in einem weiteren Verfahren nunmehr u. a. der Kläger Lewitt, einer der letzten Mauthausen-Überlebenden, einen Anspruch auf Zahlung einer Geldentschädigung sowie die im österreichischen Recht vorgesehene Veröffentlichung des beantragten Urteils geltend. Es kann hier auf die Einzelheiten des österreichischen Rechts nicht eingegangen werden. Anlass für das Verfahren vor dem EGMR waren jedenfalls Entscheidungen der österreichischen Gerichte in drei Instanzen, die diese Klage aus teils formalen Gründen, teils aber auch mit der Begründung abwiesen, die Aula-Äußerungen seien inhaltlich noch vom Recht der freien Meinungsäußerung gedeckt. Der EGMR ist dem nicht gefolgt, hat eine Verletzung der Rechte des Klägers aus Art. 8 EMRK festgestellt, die angefochtenen österreichischen Entscheidungen für nichtig erklärt und dem Kläger Ansprüche auf Erstattung der von ihm in den nationalen Verfahren aufgewandten Kosten sowie, wenn auch in bescheidenem Maß, auf Zahlung einer Geldentschädigung zugesprochen. Das Urteil ist ein Segen für die Europäische Rechtskultur, denn die Handhabung dieses Falls durch die Justiz unseres Nachbarlands ist nun doch nur schwer erträglich, was große Teile der österreichischen Öffentlichkeit nicht anderes empfunden haben. Das Urteil ist aber eine begrüßenswerte Mahnung auch für die deutschen Gerichte. Dass wir in unserem Land in zunehmendem Maße Äußerungen aus dem rechten Spektrum lesen und hören müssen, die die von der Rechtsordnung gesetzten Grenzen austesten und vielfach überschreiten, ist eine traurige Tatsache. Es ist gut, wenn der EGMR dem einen Riegel vorschiebt und zugleich den nationalen Gerichten einen Weg aufzeigt, wie dem mit den Mitteln des Rechtsstaats zu begegnen ist.

 

Mit der kollektiven Beleidigungsfähigkeit der jüdischen Bevölkerung nach deutschem Recht befasst sich die 6. Auflage unseres „Presserecht“ in Rz. 13.40 ff; zum Tatbestand der Verunglimpfung Verstorbener vgl. ebendort Rz. 12.20 ff.

 

 

Auskunftsansprüche zu kommerziellen Zecken?

Nicht jedes Unternehmen, das, in gedruckter Form, über das Internet oder darüber verbreitete soziale Medien, Informationen verbreitet, ist ein Presseunternehmen oder ein solches, das ihm gleichgestellt wäre. Erforderlich für die Qualifikation als „Presse“ ist vielmehr eine auf Dauer angelegte journalistisch-redaktionelle Tätigkeit, die auf die Unterrichtung der Öffentlichkeit über Angelegenheiten von öffentlichem Interesse gerichtet ist. Das müssen sich immer wieder einmal Unternehmen ins Stammbuch schreiben lassen, die Informationen für oder über ihre Geschäftspartner zu eigenwirtschaftlichen Zwecken oder zur kommerziellen Förderung mit ihnen verbundener Dritter sammeln und dabei versuchen, sich über den medienrechtlichen Auskunftsanspruch gemäß § 4 der Landespressegesetze das Leben zu erleichtern. Kürzlich hatte das BVerwG (NVwZ 2019, 1283) über einen auf das Baden-Württembergische Landespressegesetz gestützten Auskunftsanspruch eines solchen Unternehmens zu entscheiden. Es betreibt eine Reihe von Internetportalen, auf denen die Bauwirtschaft Informationen über geplante Bauvorhaben und die Auftragsvergabe für sie abrufen kann. Obendrein stellt es diese Informationen in einen vierteljährlich erscheinenden gedruckten Informationsdienst für die Bauwirtschaft ein. Damit sammelt und verbreitet es zwar im Rahmen seines Unternehmenszwecks in großem Umfang Informationen. Es trägt aber zur Unterrichtung der Öffentlichkeit über Angelegenheiten von politischer oder gesellschaftlichere Relevanz oder auch nur zur Unterhaltung des Konsumenten nichts bei und kann daher auch bei großzügigster Betrachtungsweise nicht dem Bereich der Presse oder der ihr gleichgestellten Kommunikationsunternehmen zugerechnet werden. Es beschafft sich diese Informationen primär durch tagesaktuelle Auswertung öffentlich zugänglicher Quellen. In dem vom BVerwG entschiedenen Fall hat es zusätzlich in fast 400 Fällen Anfragen an Dienststellen des Landes Baden-Württemberg gerichtet, mit denen es für konkret bezeichnete Bauvorhaben Auskünfte über die jeweiligen Auftragnehmer, die Zahl der Bieter und die jeweilige Auftragssumme verlangte. Die Gerichte haben die auf § 4 des Landespressegesetzes gestützte Auskunftsklage in allen drei Instanzen abgewiesen; wie ich meine, zu Recht. Der dort geregelte medienrechtliche Auskunftsanspruch steht Vertretern der Presse und des Rundfunks zu. Er setzt voraus, dass der Auskunftssuchende einer publizistisch-redaktionellen Tätigkeit nachgeht. Die jüngere Rechtsprechung des BVerwG hat anerkannt (vgl. grundlegend BVerwG AfP 2013, 355), dass der gegen Behörden und andere Stellen der öffentlichen Hand gerichtete Auskunftsanspruch von Verfassungs wegen erforderlich ist, um der Presse die Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabe zu ermöglichen. Im Kern geht es beim Auskunftsanspruch darum, den Medien die ihnen obliegende Kontrolle und kritischen Begleitung staatlichen Handelns zu ermöglichen. Damit hat eine Datensammlung zur Durchsetzung oder Förderung kommerzieller Zwecke durch Unternehmen, die in keiner Weise publizistisch tätig sind, nichts zu tun. Es ist gut, dass die Gerichte im hier referierten Fall daran erinnern und Grenzen aufzeigen, jenseits deren auch staatliche Stellen nicht zur Auskunftserteilung verpflichtet werden können.

 

Mit dem medienrechtlichen Auskunftsanspruch generell befasst sich die 6. Auflage unseres „Presserecht“ in § 4; zum Missbrauch des Auskunftsanspruchs zum Zweck kommerzieller Nutzung vgl. ebendort Rz. 4.27.

 

Noch einmal – Medienberichterstattung und Urheberrecht

Kürzlich habe ich an dieser Stelle über das Urteil des EuGH vom 29.07.2019 (C-469/17) in Sachen Afghanistan-Papiere berichtet, mit dem das Gericht im Konflikt zwischen Urheberrecht und Berichterstattungsfreiheit letzterer einen größeren Freiraum verschafft hat, indem es feststellte: Den durch die Europäische Grundrechte-Charta, die EMRK und das GG geschützten Kommunikationsgrundrechten ist schon bei der Beantwortung der Frage angemessen Rechnung zu tragen, ob eine verschriftlichte Äußerung als urheberrechtlich geschütztes Sprachwerk anzusehen ist. Und die Kommunikationsgrundrechte sind auch bei der Auslegung der gesetzlichen Tatbestände der §§ 50, 51 UrhG zum Zitierrecht im Wege der Güterabwägung angemessen zu berücksichtigen. Mit einem anderen Aspekt dieses Konflikts befasst sich ein weiteres Urteil des EuGH (C-516/17) vom selben Tag in der Vorlagesache Volker Beck gegen SPIEGEL ONLINE. Beck hatte 1988 ein Manuskript zum Thema sexueller Handlungen an Minderjährigen veröffentlicht, das mit seiner Zustimmung in einen Sammelband eingestellt wurde. Nachdem dieses alte Material im Zusammenhang mit der Kandidatur Becks für den Bundestag im Jahr 2013 wieder aufgetaucht war, machte er selbst es einer Reihe von Redaktionen mit der Behauptung zugänglich, sein Originalbeitrag sei in dem Sammelband verfälscht worden. Zeitgleich veröffentlichte er beide Versionen seines Textes auf seiner Website mit jeweils einem Vermerk, dass er sich von den alten Texten distanziere. Über diesen Vorgang berichtete SPIEGEL ONLINE mit der These, entgegen der Behauptung Becks sei dessen Manuskript in dem Sammelband nicht verfälscht worden. Ergänzend eröffnete die Redaktion je einen Link zu beiden Textversionen, um dem Leser die Möglichkeit zu bieten, sich selbst ein Bild zur Frage der angeblichen Textverfälschung zu machen. Weder der redaktionelle Text noch die verlinkten Texte aus dem Jahr 1988 enthielten den aktuellen Distanzierungsvermerk Becks. Die von ihm wegen behaupteter Verletzung seines Urheberrechts anhängig gemachte Klage hatte vor dem LG und OLG Erfolg. Der BGH hat den Fall zur Klärung zweier Fragen im Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/29 EG dem EuGH vorgelegt. Auf eine dieser Vorlagefragen entschied der EuGH zunächst, dass die Voraussetzungen eines rechtmäßigen Zitats nach dem insoweit anwendbaren nationalen Recht (im vorliegenden Fall § 51 UrhG) nicht nur dann erfüllt sein können, wenn der zitierte Text in den zitierenden optisch, etwa durch Anführungszeichen, Einrückungen oder den Gebrauch von Fußnoten, integriert wird. Ein rechtmäßiges Zitat kann auch so gestaltet werden, dass der Zitierende den zu zitierenden Text in seinem eigenen Text verlinkt, sofern das so zustande kommende Zitat dem Erfordernis der Zweck-/Mittel-Relation gerecht wird und, wie der EuGH dies ausdrückt, anständigen Gepflogenheiten entspricht. In diesem Punkt stellt das Urteil keine Überraschung dar. Es handelt sich vielmehr um eine Klarstellung, die im Zeitalter von Kommunikationsformen, wie sie das Internet ermöglicht, geboten ist, um den Medien und jedem anderen, der vom Zitierrecht Gebrauch machen will, die Entscheidung nicht nur darüber offen zu halten, ob, sondern auch, in welcher Form sie sich äußern wollen. Auch die Entscheidung darüber, wie ein Grundrechtsträger eine Äußerung gestalten will, ist nach der Rechtsprechung des BVerfG von den Kommunikationsgrundrechten des Art. 5 Abs. 1 GG erfasst. Wegweisend ist die Entscheidung des EuGH aber hinsichtlich der Frage, ob SPIEGEL ONLINE die alten Texte Becks überhaupt zitieren durfte. Das Ergebnis bleibt auch in diesem Fall offen, weil das Urteil auf einem Vorlagebeschluss des BGH basiert und dieser aufgrund der Hinweise des EuGH nun seinerseits abschließend zu entscheiden haben wird. Die Hinweise des EuGH aber sprechen eine deutliche Sprache. Auf § 51 UrhG wird sich SPIEGEL ONLINE wohl nicht berufen können, weil es an der erforderlichen Vorveröffentlichung durch den Inhaber der Nutzungsrechte zu fehlen scheint. Beck hat die Texte 2013 nur mit dem Hinweis darauf veröffentlicht, dass er sich von ihrem Inhalt distanziere – ein Hinweis, der in den SPIEGEL ONLINE-Versionen fehlt. Wie schon in Sachen Afghanistan-Papiere weist der EuGH aber auch hier den Weg über den Rechtfertigungsgrund der Berichterstattung über Tagesereignisse gemäß § 50 UrhG. Die Frage, ob Beck sich in seinem Originalmanuskript so geäußert hatte wie in dem damals erschienenen Handbuch wiedergegeben oder ob es sich bei der Handbuch-Version um eine Verfälschung handelte, wie Beck behauptete, hat er selbst in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt, als er den Vorgang 2013 öffentlich machte. Viel spricht damit dafür, dass die Einstellung der unverfälschten Texte in die redaktionelle SPIEGEL ONLINE-Veröffentlichung im Wege des Link ein Tagesereignis betraf und deswegen durch § 50 UrhG gerechtfertigt ist, da erst auf diese Weise ein Vergleich beider Texte und damit die Meinungsbildung des Publikums möglich wird. Endgültig wird hierüber der BGH entscheiden müssen. Auf der Ebene der Richtlinie 2001/29 EG ist aber wie im Fall AfghanistanPapiere auch hier die Tendenz des EuGH unverkennbar, im Konflikt zwischen Medienfreiheiten und Urheberrecht den ersteren gegenüber einem zu restriktiven Verständnis des letzteren Geltung zu verschaffen.

Mit Fragen des Umgangs der Medien mit Zitaten befasst sich die 6. Auflage unseres „Presserecht“ im Detail in Rz. 3.7 ff.