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Die FDGO und Polygamie (BVerwG v. 29.5.2018 – BVerwG 1 C 15.17)

Jörn Hauß  Jörn Hauß
Fachanwalt für Familienrecht

Selbst Familienrechtler straucheln gelegentlich, wenn es um die Frage der Zulässigkeit von Mehrehen geht. Deshalb hier ein Überblick:

  • § 1306 BGB schließt aus, dass in Deutschland eine Mehrehe geschlossen werden kann.
  • Bigamie oder Polygamie sind nach § 172 StGB strafbar. Dies gilt selbstverständlich nur für im Inland geschlossene Mehrehen, da das deutsche Strafrecht lediglich für Inlandsstraftaten gilt (§ 3 StGB).
  • Eine im Ausland geschlossene, nach dem Heimatrecht gestattete Mehrehe verstößt nicht gegen den ordre public (VG Gelsenkirchen FamRZ 1900 S 75,338; Landgericht Frankfurt FamRZ 1976,217; OLG Düsseldorf FamRZ 1983 90,189) und wäre demnach auch in Deutschland eine Ehe.
  • Für im Ausland rechtsgültig geschlossene Mehrehen beschränkt § 30 Abs. 4 AufenthG die Nachzugsberechtigung der Ehegatten: Nur ein Ehegatte kann sich auf § 30 Abs. 1 AufenthG berufen und auf die Ehe gestützt seinen Aufenthalt in Deutschland legitimieren.
  • Steuer- und sozialhilferechtlich wird lediglich der erste Ehegatte privilegiert.

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG v. 29.5.2018 – BVerwG 1 C 15.17) hat nun entschieden, Begründung und Verwirklichung einer polygamischen Beziehung widersprächen nicht der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (FDGO). Das Verschweigen einer im Ausland geschlossenen Zweitehe bei Stellung eines Einbürgerungsantrags nach § 9 StAG belege aber, dass eine Einordnung in die ‚deutschen Lebensverhältnisse‘ nicht erfolgt sei. Dies sei aber Voraussetzung für die Ehegatteneinbürgerung. Sei aber ein achtjähriger rechtmäßiger Aufenthalt in Deutschland gegeben, könne eine Einbürgerung nach § 10 StAG erfolgen, wenn sich der Ausländer zur FDGO bekenne.

Zunächst ist man erleichtert, dass das oberste deutsche Verwaltungsgericht (wie auch bereits zuvor der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH Mannheim v. 25.4.2017 – 12 S 2216/14, FamRZ 2017, 1529) das Bekenntnis zur Verfassung nicht mit dem Gebot zu mongamer Lebensweise verknüpft hat. Viele Prominente und auch nicht prominente Bürger wären in Schwierigkeiten gekommen, würde ihre eheliche Treue als Ausdruck ihrer Verfassungstreue gewertet. Bundeskanzlerin Merkel wäre sofort ein drängendes Problem los, aber (wahrscheinlich) auch sonst einen Teil ihres Kabinetts.

Allerdings ist man beunruhigt, dass auch das Bundesverwaltungsgericht Polygamie als den ‚grundlegenden deutschen Lebensverhältnissen‘ widersprechend angesehen hat. „Zu den grundlegenden deutschen Lebensverhältnissen gehöre das Prinzip der Einehe… Mit Eingehung der Zweitehe habe der Kläger gezeigt, dass er in einem zentralen Punkt nach wie vor den Wertvorstellungen und Lebensverhältnissen seiner syrischen Heimat verhaftet sei“, hatte das Verwaltungsgericht formuliert. Populisten, Stammtische und der Boulevard könnten jubilieren.

Wer die Mehrehe als ‚undeutsch‘ brandmarkt, müsste zunächst sein Verständnis von Ehe definieren. Ist die Ehe mehr als der bürgerlich-rechtliche Vertrag der sich Liebenden, die sich versprechen, füreinander einzustehen? Ist damit die durch das staatlich beurkundete Heiratsversprechen begründete rechtliche Hülle oder mehr gemeint? Ist es ‚deutsch‘, wenn über die aus der Eheschließung resultierenden rechtlich verankerten Pflichten hinaus ein moralischer Verhaltenskodex gewoben wird, dessen Konturen – völlig undeutsch – unscharf sind? ‚Sexuelle Treue‘ kann keine zentrale Eheanforderung sein, sonst wäre Ehebruch strafbar geblieben und Swinger-Clubs für Verheiratete verboten. Auch die Aufrechterhaltung einer ‚lebenslangen‘ Partnerschaft kann kein Kernelement der Ehe sein, sonst könnten wir nicht scheiden. Zur Lebensgemeinschaft sind die Gatten nicht verpflichtet (§ 1353 Abs. 2 BGB). Wer will und möchte Wohngemeinschaften mehrerer Personen gleichen oder ungleichen Geschlechts als ‚deutsch‘, die in gleicher Form begründeten Sexualgemeinschaften als ‚undeutsch‘ brandmarken, wo doch der Sozialstaat der ‚Bedarfsgemeinschaft‘ die wechselseitige Unterhaltungsverpflichtung auferlegt hat? Was schließlich unterscheidet die konsekutive Mehrehe von der konvergenten Mehrehe? Letztere ist ehrlicher. Sie begründet für die Ehegatten rechtlichen Schutz und Anspruch auf Versorgung, den unsere Rechtsordnung – einem archaischen Prinzip folgend – Konkubi(e)nen und Konkudrohnen verwehrt. Vielleicht ist daher die staatlich beurkundete Mehrehe gleichberechtigter Partner ‚deutscher‘ als die verlogene Sexualmoral, die Heimlichkeit außerehelicher Beziehungen und die rechtliche Schutzlosigkeit der Partner polyamouröser Beziehungen. Wenn 35 % aller Kinder von nicht verheirateten Müttern geboren und 1/3 aller Ehen geschieden werden, scheinen die ‚deutschen Lebensverhältnisse‘ (§ 9 StAG) volatil und erfreulich liberal geworden zu sein. Man muss Polygamie nicht mögen, sie aber als ‚undeutsch‘ zu brandmarken, ist wirklichkeitsfremd. Sie wird praktiziert – nur nicht so benannt – und das Abendland geht trotzdem nicht unter.

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