Kindererziehungszeiten für Bundesbeamte (Änderung des § 50a BeamtVG)

Etwas verspätet reagiert der Bund mit einer Änderung des Beamtenversorgungsgesetzes auf die sozialpolitisch motivierte versorgungsrechtliche Anerkennung von Kindererziehungszeiten für vor 1992 geborene Kinder (Art. 9 des Besoldungsstrukturenmodernisierungsgesetzes – BesStMG). Der Kindererziehungszuschlag galt bislang nur für nach 1991 geborene Kinder und wurde nur dann gewährt, wenn der Beamte aus der gesetzlichen Rentenversicherung für seine Kinder keinen Kindererziehungszuschlag erhalten konnte.

Nunmehr sollen Beamten auch Kindererziehungszeiten für vor 1991 geborene Kinder gewährt und zwar im gleichen Umfang, wie auch in der gesetzlichen Rentenversicherung, auf deren Regelung in § 70 SGB VI verwiesen wird. 30 Monate „Dienstzeit“ wird als Kindererziehungszeit für jedes vor 1992 geborene Kind gewährt, für jeden Monat 0,0833 Entgeltpunkte, also maximal 2,5 EP und damit derzeit 75,08 € pro Kind (2,5 x 33,03).

Wer meint, nun im Versorgungsausgleich massenhaft Abänderungsverfahren einleiten zu können, sollte die Lage nüchtern prüfen.

  • Beamte, die einen Rentenanspruch in der gesetzlichen Rentenversicherung erworben haben, haben auch bisher schon in der gesetzlichen Rentenversicherung Kindererziehungszuschläge erhalten. Eine doppelte Zuteilung von Kindererziehungszeiten ist aber ausgeschlossen (§ 50a Abs. 1 BeamtVG).
  • Der Höchstruhegehaltssatz von 71,75% des ruhegehaltsfähigen Einkommens kann auch durch Kindererziehungszeiten nicht überschritten werden (§ 50a Abs. 6 BeamtVG).

Ein Abänderungspotential besteht daher sicher nur in wenigen Fällen. Zwar bedeutet ein Zuschlag von 30 Monaten Dienstzeit bei einem Versorgungserwerb von 0,1495 % pro Monat einen nicht unerheblichen Versorgungszuschlag, bei einem vor 1992 geborenen Kind reicht das aber fast nie aus, um das Abänderungspotential von 5 % des Ausgleichswerts (§ 226 Abs. 3 FamFG) zu erreichen. Beamtenpensionen sind meist höher als Renten. Deshalb braucht es fast immer zwei Kinder um die Abänderungsschwelle zu überschreiten.

10 Jahre FamFG! (Editorial des Septemberheftes 2019 des FamRB)

Der Richter Azdak aus dem „Kaukasischen Kreidekreis“ von Bertolt Brecht ließ zur Feststellung der „wahren“ Mutter des Kindes, die genetische und die soziale Mutter das umstrittene Kind in gegensätzliche Richtungen aus einem Kreidekreis zerren. Die wahre Mutter werde stärker sein – so seine Ansage. Er sprach das Kind dann der sozialen Mutter zu, die das Kind nicht „zerreißen“ mochte. Der archaische Konflikt um die Zuordnung von Kindern zu Eltern und Bezugspersonen ist auch heute noch allgegenwärtig – zwischen auseinandergehenden oder nie zusammengegangenen Eltern, zwischen Ei- oder Samenspendern und Leihmüttern, zwischen leiblichen und Pflegeeltern. Dass dieser Konflikt nicht so archaisch wie im Theaterstück ausgetragen und gelöst wird, liegt nicht am materiellen Recht, das die Mutterschaft schon immer der Gebärenden zuwies, ohne damit auch das emotionale Bindungsgefüge der beteiligten Kinder und Eltern zuweisen zu können. Die „zivilisiertere Variante“ der azdakschen Problemlösung, die wir heute kennen, ist auch nicht erlernter juristischer Emotionslosigkeit zu verdanken. Damals und heute hat jeder an einem familienrechtlichen Verfahren Beteiligte eine klare bauch-, kultur- und erfahrungsgesteuerte Lösung des familienrechtlichen Problems parat, sind wir doch alle Kinder, meist auch Ehegatten und Eltern, aber immer auch Bürger. Das schafft ein „bauchgesteuertes Vorverständnis“, das durch das materielle Recht nicht „ausgeknipst“ werden kann wie eine Leuchtquelle.

Seit 10 Jahren dimmt das Familienverfahrensgesetz (FamFG) das bauchgesteuerte Vorverständnis und übernimmt damit die Disziplinierung des Bauchgefühls. Erst das Verfahrensrecht garantiert den Rechtsstaat und die Durchsetzung des materiellen Rechts. Das Verfahrensrecht ist daher die andere Seite der rechtsstaatlichen Münze. Oft wird diese Prägung als „Hilfsrecht“ geringgeschätzt – zu Unrecht. Der Beitrag von Norbert Heiter in diesem Heft beschreibt Geburtswehen des Gesetzes ebenso zutreffend wie seine Bedeutung und seine Wirkungen. Wir Familienrechtler möchten es nicht missen.

Trotzdem bleibt Raum für Änderungswünsche. Die Nichtzulassungsbeschwerde gehört dazu. Die Diskriminierung des Familienrechts und der familienrechtlich tätigen Anwaltschaft, sie würden willfährig und konfliktfördernd den Rechtsweg bis zum „jüngsten Gericht“ auskosten, ist nicht berechtigt. Die Anwaltschaft würde verantwortungsvoll mit einer solchen Möglichkeit umgehen. Vielleicht sogar verantwortungsvoller als manche OLG-Entscheidung, die die Rechtsbeschwerde zu Unrecht verweigert. Ich würde mir auch eine kontinuierliche Fortbildungsverpflichtung für Familienrichter wünschen, wie sie für die Anwaltschaft schon lange besteht – und mehr Richter- und Verwaltungsstellen für die Familiengerichte. Zügig geführte Verfahren wirken befriedend und belegen für alle Betroffenen erkennbar eine sinnvolle Verwendung von Steuergeldern. Dafür sind dann aber wohl die Länder zuständig.

Das – weitgehende – Ende des Elternunterhalts

Manche Versprechen aus dem Koalitionsvertrag lösen die Koalitionsparteien und die Regierung ein: Mit Datum vom 12.6.2019 veröffentlicht das Arbeitsministerium (BMAS) den „Entwurf eines Gesetzes zur Entlastung unterhaltsverpflichteter Angehöriger in der Sozialhilfe und in der Eingliederungshilfe“. Hinter dem – im Übrigen erstaunlich verständlichen – Titel verbirgt sich das „Ende des Elternunterhalts“ in seiner bisherigen Form.

Ab 1.1.2020 sollen Kinder nur noch zum Elternunterhalt herangezogen werden können, wenn ihr jährliches Gesamteinkommen 100.000 € brutto übersteigt. Damit wird der Elternunterhalt zum „Wohlhabendenprivileg“ und Millionen Angehörige können aufatmen. Da das Gesetz – wie auch bisher bereits bei der Grundsicherung – die gesetzliche Vermutung enthält, dass Einkünfte der Kinder die Einkommensgrenze nicht übersteigen, muss niemand mehr Auskunft über Einkommen und Vermögen erteilen, ohne dass „hinreichende Anhaltspunkte für ein Überschreiten der Jahreseinkommensgrenze“ vorliegen. Zwar können die Sozialhilfeträger vom bedürftigen Elternteil Angaben verlangen, die Rückschlüsse auf die Einkommensverhältnisse des Kindes erlauben, aber wessen demente Eltern wissen schon um die Einkommensverhältnisse ihrer Kinder. Adresse und Beruf geben nie hinreichende Anhaltspunkte, es sei denn es handelt sich um öffentlich bekannte Gutverdiener, allgemein bekannte hochdotierte Berufe oder der Internetauftritt der unterhaltspflichtigen Person enthält die Pose mit der Protzkarre.

Mehr noch als die wirtschaftliche Entlastung wird diese Gesetzesänderung psychologisch wirken. Es kann mit dem Sozialstaat versöhnen, wenn die Bürger merken, dass dieser gesellschaftliche Risiken, wie Pflegebedürftigkeit im Alter, übernimmt. Mit der Krankenversicherung und der Grundsicherung im Alter ist das gesellschaftlicher Alltag. Nun zieht das Ministerium – und hoffentlich auch Regierung und Parlament – bei der Pflege nach und löst das Sozialstaatsversprechen ein, die Bürger vor unverantworteten Risiken zu schützen und diese solidarisch auf die Gesellschaft zu verteilen. Das ist gut so.

Gut ist auch, dass der Gesetzentwurf nunmehr sämtliche Leistungen des SGB XII der Rückgriffssperre der 100.000-Euro-Grenze unterwirft und diese in § 94 Abs. 1a SGB XII verankert. Damit ist nun auch die „Hilfe zum Lebensunterhalt für Volljährige“ und die „Blindenhilfe“, die „Hilfe zur Gesundheit“ und die „Eingliederungshilfe“ (§§ 53 ff. SGB XII) insoweit rückgriffsfrei, als das Einkommen der unterhaltspflichtigen Person die 100.000-Euro-Grenze nicht übersteigt.

Der Gesetzgeber sollte sich allerdings noch einen Ruck geben: Die 100.000-Euro-Grenze ist im Jahr 2005 eingeführt worden. Wollte man auf die durch diese Grenze markierte Kaufkraft abstellen, wäre die Anhebung auf ca. 125.000 € angezeigt.

Noch besser wäre es freilich, der Gesetzgeber striche den Elternunterhalt vollständig. Kinder sind für ihre Eltern, deren Gesundheitszustand, Einkommens- und Vermögenslage nicht verantwortlich. Ob allein die genetische Beziehung zwischen Eltern und Kindern den Eingriff in deren Einkommen und Vermögen rechtfertigt, erscheint mehr als fragwürdig. Aber dafür wäre nicht das BMAS zuständig, sondern das BMJV.

Das könnte allerdings auch mit einer „kleineren Lösung“ als der Abschaffung des Aszendentenunterhalts auf den „fahrenden Zug“ aufspringen und § 1611 BGB geringfügig verändern. Nach § 1611 Abs. 1 Satz 1 BGB ist die Verwirkung des Unterhaltsanspruch die Sanktion für „schuldhaftes Fehlverhalten der unterhaltsberechtigten gegenüber der unterhaltspflichtigen Person. Was aber, wenn es an „Schuld“ und „Verhalten“ der unterhaltsberechtigten Person fehlt, weil diese psychisch krank war und das Kind deswegen stets in Pflegefamilien und Heimen aufgewachsen ist und keinerlei Kontakt zum Elternteil hatte. Oder was ist mit dem Kind des „One-Night-Stands“, das seinen ihm verheimlichten Vater nie gesehen, aber unterhaltsrechtlich für ihn einzustehen hat? Man könnte ganz einfach den Gedanken von § 1611 Abs. 1 Satz 2 BGB in einen neuen Absatz 2 schreiben:

Eine Verpflichtung, Unterhalt zu zahlen, besteht nicht, wenn die Inanspruchnahme des Verpflichteten grob unbillig wäre.

Absatz 1 beträfe dann die Fälle schuldhaften Verhaltens der unterhaltsberechtigten Person, Absatz 2 löste die Verwirkung aus der Sanktionsfunktion und fokussierte die Situation der unterhaltspflichtigen Person. Rechtsprechung und Verwaltungen wüssten mit einer solchen Öffnung gut und verantwortungsvoll umzugehen.

 

Elternunterhalt im Doppelpack (zu BGH v. 20.3.2019 – XII ZB 365/18, FamRB 2019, 212)

Wenn die Eltern beider zusammenlebenden Ehegatten unterhaltsbedürftig werden, stellt sich die Frage, ob die zeitlich zuerst entstehende Unterhaltspflicht gegenüber einem Elternteil aus dem Familienunterhalt zu begleichen, also vorab vom unterhaltspflichtigen Einkommen abzuziehen ist oder aber ob die Grundsätze der Berechnung des Elternunterhalts aus den Entscheidungen BGH v. 28.7.2010 – XII ZR 140/07, FamRZ 2010, 1535 = FamRB 2010, 295 und BGH v. 5.2.2014 – XII ZB 25/13, FamRZ 2014, 538 = FamRB 2014, 123 für die einzelnen unterhaltspflichtigen Kinder isoliert anzuwenden sind.

Der BGH entscheidet konsequent, dass die in der zitierten Entscheidung aufgestellten Berechnungsgrundsätze auch dann Anwendung finden, wenn beide Ehegatten ihren Eltern gegenüber unterhaltspflichtig sind.

Es ist nicht sehr überraschend, dass der BGH das Berechnungsschema zur Ermittlung der unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit gegenüber den Eltern nicht wechselt, wenn beide Ehegatten ihren jeweiligen Eltern gegenüber unterhaltspflichtig sind. Das Berechnungsmodell des BGH geht davon aus, dass der Familie ein individueller Selbstbehalt zu verbleiben hat, um ihren Lebensstandard zu sichern. Jenseits dessen bedarf es keiner zusätzlichen Einkommensreservation (vgl. schon Hauß, Elternunterhalt: Grundlagen und Strategien, 5. Aufl., Rz. 441).

Da die Berechnung der unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit von auf Elternunterhalt in Anspruch genommenen Kindern in der Praxis aufwendig ist, bedient man sich in der Praxis sinnvollerweise einer „Rechenhilfe“. Eine solche steht in einer einfachen Variante unter www.famrb.de/Materialien zur Verfügung und wurde nunmehr auch insoweit ergänzt, dass bei verheirateten Kindern die Leistungsfähigkeit beider Ehegatten angezeigt wird.

 

 

 

Der BGH ein Bollwerk gegen dispositive Elternschaft – zugleich einige Gedanken zu BGH v. 20.3.2019 – XII ZB 530/17

‚Das Sichere ist nicht sicher. So, wie es ist, bleibt es nicht‘ heißt es in einem Lied von Bertold Brecht, dessen Inhalt jeden Tag neu bestätigt wird. Das gilt auch für das Abstammungsrecht, dessen Kenner die Unwissenden unter uns mit der Frage nerven, wie viele Eltern denn nun ein Kind haben kann.[1] Das BGB in seiner jetzigen Fassung kennt nur eine Mutter und nur einen Vater. Bei diesem Zwei-Eltern-Prinzip soll es auch nach dem vom BMJV veröffentlichten Diskussionsentwurf zur Reform des Abstammungsrechts bleiben. Die Versuchung, der Reproduktionsfantasie der Medizin juristisch nachzugeben, ist groß, weil selbst im vereinten Europa kaum ein Land in seinem Abstammungsrecht mit einem anderen vergleichbar ist. Weil kulturelle, religiöse und geschichtliche Determinanzen vielfältig sind, ist es auch das Abstammungsrecht.

So ist es auch in dem vom BGH entschiedenen Fall. Differenzialgeschlechtliche Ehegatten lassen eine von der Ehefrau gespendete Eizelle vom ehemännlichen Samen befruchten und von einer ukrainischen Leihmutter austragen. So viel Technik macht einfache Lösungen schwierig. Der Ehemann hatte die Vaterschaft vor der Deutschen Botschaft in Kiew vorgeburtlich anerkannt, nachgeburtlich gab die Leihmutter die notariell beurkundete Erklärung ab, nicht genetisch mit dem Kind verwandt zu sein, woraufhin die deutschen Ehegatten als Eltern des Kindes in der Ukraine registriert wurden. Diese Beurkundung übernahm auch das deutsche Standesamt, das aber den Geburtsurkundeneintrag berichtigte, als es – fast zufällig – von der Leihmutterschaft erfuhr und diese als Mutter in die Geburtsurkunde eintrug.

Das – so der BGH – sei nicht zu beanstanden. § 1591 BGB bestimme eindeutig, dass als rechtliche Mutter die Frau zu gelten habe, die das Kind geboren habe, und da der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes wegen der intendierten nachgeburtlichen Rückkehr nach Deutschland nicht die Ukraine gewesen sei, sei ausschließlich deutsches Abstammungsrecht anzuwenden. Da der verheiratete Vater feststehe und die Wunschmutter mit diesem verheiratet sei, könne sie das Kind, dessen genetische Mutter sie sei, ja schließlich adoptieren.

Es ist gut, dass der BGH den klaren Normwortlaut des § 1591 BGB nicht mutterfreundlich interpretiert hat. Da ist nämlich nichts auszulegen, man könnte nur etwas ‚einlegen‘,[2] wenn man der Meinung wäre, der historische Gesetzgeber der Jahres 1900 habe die Reproduktionsmedizin nicht gekannt und ein weitgehend sanguinistisches Unterhalts- und Erbrecht weise auch dem Abstammungsrecht den richtigen Weg. Dann aber schwänge sich die Justiz zum Gesetzgeber auf und entließe diesen aus der Pflicht, ein den reproduktiven Möglichkeiten entsprechendes, mit europäischen Nachbarrechtsordnungen harmonisierendes Abstammungsrecht zu schaffen.

Schon heute haben wir weitgehend disponible Elternschaft, die durch Anerkennung, Heirat und Anfechtung hergestellt und aufgelöst werden kann. Das war aber schon immer so, weil der Hochadel die Adoption zur dynastischen Herrschaftssicherung benötigte und die eheliche Geburt nie ehemännliche Abstammung garantierte.

Die Möglichkeit einer nichtgenetischen Elternschaft wird auch im Diskussionsentwurf des BMJV erweitert. Darüber sollten wir allerdings nicht vergessen, dass Kinder genetische Eltern nicht nur zur Entstehung, sondern auch für ihr Wohlergehen brauchen. Darüber habe ich schon einmal im Anschluss an eine Herbsttagung in diesem Blog berichtet („Elternschaft und Reproduktionsmedizin“, 26.10.2016). Die Betreuungszeiten der Kinder durch leibliche Eltern sollten durch die Familienrechtler gesichert werden, wenn die Eltern sich darüber nicht einigen können.

In seinem Diskussionsentwurf zur Reform des Abstammungsrechts sollte der Gesetzgeber aber die sanguinistische sprachliche Differenzierung aufgeben. Auch die ‚Mit-Mutter‘ hat Elternpflichten und der ‚Mit-Vater‘ sollte gar nicht erst eingeführt werden. Das deutsche Wort der ‚Elternschaft‘ ist geschlechtsneutral, warm und treffend. Seine Implementierung im zukünftigen Gesetzestext machte diesen deutlich lesbarer.

[1] Es sind – ohne spätere Adoption – sechs: die Gebärmutter, die Wunschmutter, die Eispenderin, die Mitochondrienspenderin, der Samenspender und der Wunschvater.

[2] Vgl. B. Rüthers, Die heimliche Revolution vom Rechtsstaat zum Richterstaat. Verfassung und Methoden, Mohr Siebeck, 2. Aufl. 2016.

Religion und Familienrecht? Ein aktuelles Thema? (angeregt durch die Diskussion auf dem 14. Symposium für Europäisches Familienrecht v. 14. bis 16.3.2019 in Regensburg)

Nach 14 Länderberichten war man sich einig: Das europäische Familienrecht ist weitgehend säkularisiert. Zwar finden sich in fast allen europäischen familienrechtlichen Kodifikationen noch Spurenelement kirchlichen Rechts, diese ausfindig zu machen ist aber etwas für Professor Börne aus dem Tatort Münster.

Doch warum kann eine Ehe vor dem Standesbeamten geschlossen werden, ist aber immer noch in den meisten Ländern vom Richter zu scheiden? Warum verlangt der Gesetzgeber in den meisten Staaten einen Scheidungsgrund, wenn ein Ehegrund nicht erhoben wird, und der deutsche Gesetzgeber von den Ehegatten ein Trennungsjahr?

Das heutige Ehe- und Scheidungsrecht ist der Nukleus des Kulturkampfes der weltlichen gegen die kirchliche Macht mit ihrem sakramentalen Eheverständnis. Dieses Eheverständnis war vom Mittelalter bis in die frühe Neuzeit ein wirkliches Erfolgsmodell, sicherte es doch zunächst der Kirche mit rigider Sexualmoral und dem Verbot der Verheiratung unterschiedlicher Glaubensangehörigen und später den aufkommenden Nationalstaaten den Nachwuchs und dessen Erziehung, den legislativ entrechteten Frauen Unterhalt und dem (meist) väterlichen Vermögen eine gesicherte Erbnachfolge. Dies wurde flankiert von der Strafbarkeit des Ehebruchs, für Frauen oft weit strenger und mit dem Tode geahndet als für Männer, und dem Verbot außerehelichen Geschlechtsverkehrs.

War die Ehe im römischen Recht noch ein privater Vertrag der Ehegatten, wurde sie im Mittelalter sakramental aufgeladen und unauflösbar. Das ist europäisches Kulturgut geworden, auch wenn die religiösen Elemente des Ehe- und Familienrechts nur noch wie ein kaum wahrnehmbarer Basso Continuo schwingen. Warum sonst hätten wir uns nicht schon längst von § 1353 Abs. 1 BGB emanzipiert, wonach die Ehe auf Lebenszeit geschlossen wird. Wissen wir doch um die Unhaltbarkeit dieses Versprechens. Niemand lässt sich heute nicht scheiden, weil er die Ehe lebenslänglich versprochen hat. Wenn die Rechtsordnung dazu dient, die Bürger mit dem Staat zu versöhnen, müsste dieser doch ein Eherecht schaffen, das es dem Bürger leicht macht, eine missraten gewordene Beziehung aufzugeben. Und wenn wir schon beim Grundsätzlichen sind: Wenn es richtig ist, dass die Ehe durch übereinstimmende Willenserklärung der Heiratenden zustande kommt, die sich versprechen, in der Ehe füreinander zu sorgen, kann man dieses Versprechen doch nicht auf die Zeit nach deren Beendigung ausdehnen.

Es wäre zu diskutieren, mit welchem Recht der Staat für das privateste aller Verhältnisse, nämlich die intime Bindung zweier Menschen ein so opulentes Regelwerk für dessen Beendigung vorhält. Die legislative Entrechtung eines Ehegatten (meist der Frau) durch die Ehe ist Rechtsgeschichte. Die verbliebene gesellschaftliche Diskriminierung von kindererziehenden und haushaltführenden Ehegatten hat mit Kindern und Haushalt etwas zu tun, nicht aber mit der Ehe. Kinder werden auch außerhalb einer Ehe gezeugt, geboren und erzogen[1] und Haushalte auch von Nichtverheirateten geführt, weil das unverheiratete Zusammenleben nicht mehr verboten ist.

Insoweit ist es vielleicht konsequent, wenn die Spanier beiden Ehegatten nach dreimonatiger Ehe den ‚talaq‘ der Notarscheidung anbieten und Slovenen und Kroaten die verfestigte nichteheliche Lebensgemeinschaft nach unterschiedlichen zeitlichen und personalen Voraussetzungen den güterrechtlichen Regelungen der Ehe unterwerfen. Allen Freigeistern zur Beruhigung: Die Lebensgefährten können den Opt-Out wählen. Wir sollten also keine Angst davor haben, die Ehe zu privatisieren. Es täte den Bürgern vielleicht sogar gut.

[1] In Deutschland werden heute schon mehr als 35 % der Kinder nicht mehr in einer Ehe geboren, in Frankreich sind es 64 %.

Das große Schweigen – Gibt es eine Krise berufsständischer Versorgungssysteme?

Der Wert einer Versorgung wird maßgeblich durch deren Höhe und Dynamik bestimmt. Deshalb ist gut beraten, wer im Versorgungsausgleich sich nicht nur nach der Versorgungshöhe erkundigt, sondern auch deren Entwicklung in Anwartschafts- und Leistungsphase betrachtet. Nur dadurch gewinnt man ein realistisches Bild vom Wert einer Versorgung. Ihr Kapitalwert gibt darüber nur unzureichend Auskunft.

In dem bis zum 31.8.2009 geltenden Versorgungsausgleichsrecht galt der Grundsatz, die öffentlich-rechtlichen Grundversorgungen, gesetzliche Rentenversicherung, Beamtenversorgung und die berufsständischen Versorgungen seien äquidynamisch und daher miteinander ohne Umrechnung saldier- und bilanzierbar. Dieser Narrativ hält sich beharrlich auch im neuen Versorgungsausgleichsrecht und wird von den Trägern der berufsständischen Versorgungssysteme und dem faktenlosen Vorverständnis der Berufsträger genährt. Wer wollte den ersten Stein werfen und eine Krise der berufsständischen Versorgungssysteme ausrufen? Stattdessen wird von den Versicherten dieser Versorgungssysteme eitler Dünkel gepflegt, die berufsständischen seien ‚besser‘ als die gesetzlichen Versorgungssysteme.

Wer darangeht, die Fakten dieses Vorverständnisses zu prüfen, reibt sich verwundert die Augen. Einzelne Stichproben ergeben ein desaströses Bild: Die Renten- und Anwartschaftsdynamik der berufsständischen Versorgungssysteme scheint flächendeckend weit hinter der Dynamik der gesetzlichen Rentenversicherung und der Beamtenversorgung zurückzubleiben.

Das ist nicht verwunderlich, versichern diese Systeme doch gut ausgebildete Gutverdiener, die eine deutlich höhere Lebenserwartung als im Bevölkerungsdurchschnitt haben. Außerdem handelt es sich bei diesen Versorgungssystemen um stark kapitalgedeckte Versorgungen, deren Rendite und damit Leistungsfähigkeit unter der bisher lang anhaltenden Kapitalmarktschwäche, deren Ende nicht absehbar ist, leidet.

Um nun für Vergleiche im Versorgungsausgleich eine belastbare Grundlage zu schaffen, habe ich 90 öffentlich-rechtliche Versorgungsträger angeschrieben und gebeten, mir für eine Publikation die Dynamisierungswerte der letzten zehn Jahre zur Verfügung zu stellen. Man könnte erwarten, dass öffentlich-rechtliche Versorgungen ein solches Anliegen erfüllen, sind sie doch zur Publikation verpflichtet. Weit gefehlt. Fünf Versorgungen haben geantwortet und Daten zur Verfügung gestellt. 85 halten von Transparenz offenbar nicht viel. Einige bekennen sich offen und schriftlich zu dieser geheimnistuerischen Intransparenz.

Die Konsequenz dieses Publizitätsboykotts ist lästig. Ich muss nun hunderte Geschäftsberichte durchsehen, um die Daten zu ermitteln. Ich kann aber vorab schon eines feststellen: es gibt eine Krise der berufsständischen Versorgungen. Der bisher von mir ermittelte Spitzenreiter dynamisiert Anwartschaften und Leistungen in den letzten 10 Jahren mit ca. 0,74 % pro Jahr. Die Deutsche Rentenversicherung schafft immerhin 1,94 % und vermeidet damit wenigstens einen Kaufkraftverlust.

Sicher ist richtig, dass etliche ‚Berufsständische‘ durch Magerjahre ihre Gesundung einleiten (Heilfasten). Das kann aber weder die derzeitigen noch die zukünftigen Versorgungsbezieher beruhigen, weil eine Schwäche der Anwartschaftsdynamik über einen langen Zeitraum zu einer Schwäche der späteren Versorgungen führt und beim besten Willen nicht erkennbar ist, wie sich diese schleichende Devaluisierung ins Positive verkehren soll.

Diese Schwäche der ‚Berufsständischen‘ ist kein Skandal. Skandalös ist, dass die Situation nicht offen kommuniziert wird und dass deshalb im Versorgungsausgleich munter eine Saldierung berufsständischer Versorgungen gegen gesetzliche Versorgungen unternommen wird, weil der Berufsträger von der Qualität und Leistungsfähigkeit seiner Versorgung so überzeugt ist, dass er deren Strukturprobleme ignoriert. Diese kann man beheben, wenn man darüber spricht und Änderungen einleitet. Auch politisch könnte geholfen werden. Wenn man aber die eigene Leistungsschwäche als despektierlich empfindet und verschweigt, wird man eine Änderung nicht herbeiführen.

Für den Versorgungsausgleich kann nur vor saldierenden Vergleichen auf Renten- oder Kapitalbasis von berufsständischen und gesetzlichen Versorgungen gewarnt werden. Es wäre zu begrüßen, wenn die Träger der berufsständischen Versorgungen aktiv dazu beitrügen, derartige ihre Versicherten benachteiligende Vergleiche dadurch zu verhindern, dass sie ihre Leistungen offen publizieren. Bei der gesetzlichen Rente erkennt man die Dynamisierung auf den ersten Blick an dem omnipräsenten aktuellen Rentenwert. Schön wäre es, die Berufsständischen würden auf ihren Internetseiten ebenso offen nachziehen.

Die neue Düsseldorfer Tabelle

Kerzenbeleuchtung und eröffnende Weihnachtsmärkte signalisieren den Familienrechtlern die Ankunft einer neuen Düsseldorfer Tabelle. Und jahreszeitlich angepasst stellt sich die Frage: Gibt’s mehr als im letzten Jahr? Weil sich die Mindestbedarfssätze erhöht haben gibt‘s angemessen mehr. Sonst noch was? Ja: Eine einheitliche Tabelle für das ganze Bundesgebiet. Das ist zwar wie gewohnt, aber weder gewöhnlich noch selbstverständlich. Wer Juristen kennt, weiß, dass es für Oberlandesgerichte ungewöhnlich ist, sich bundesweit darauf verständigen, was „angemessener Unterhalt“ i.S. von § 1610 Abs. 1 BGB und wie die die prozentuale Stufung bei der Geltendmachung des Unterhalts ist. Die durch unterschiedlich hohe Wohn- und Transportkosten gekennzeichneten Lebensverhältnisse zwischen Rhein und Oder, Alpen und Ostsee gieren geradezu nach regionaler Differenzierung. Dass die Einheitlichkeit der Tabelle trotz des dogmatischen Streits um die Abflachung (oder gar Aufgabe) der 4. Altersstufe[1] gewahrt worden ist, ist eine Leistung, die nicht hoch genug geschätzt werden kann. Es ist eben von Vorteil, dass jeder Bürger anhand der Tabelle und ihrer Anmerkungen schnell und einfach die Dimension der von ihm geschuldeten Unterhaltszahlung ermitteln kann.

Gerade das ist aber auch ein Problem. Die Tabelle ist eine Empfehlung eines nicht vom Gesetz- oder Verordnungsgeber legitimierten Gremiums. Wenn diese Empfehlungen jedoch auf so breite Akzeptanz in der familienrechtlichen Praxis und der Gesellschaft stoßen, dass man eine gesetzesgleiche Wirkung erkennt, zeugt das von Qualität. Das darf aber nicht dazu führen, die Tabelle ‚gnaden- und gedankenlos‘ anzuwenden. Trotz der Tabelle gilt der Vorrang des Gesetzes, der die Familienrechtler dazu verpflichtet, den ‚angemessenen Unterhalt‘ für den konkreten Einzelfall zu ermitteln. Dazu bedarf es mehr, als das Einkommen und den Bedarf anhand der Einkommensstufe, des Alters der Kinder und der Anzahl der Unterhaltsberechtigten zu ermitteln. Wäre es so einfach, bedürfte es zur Festsetzung des Unterhalts keiner juristischen Qualifikation. EDV-Bedienungskompetenz würde ausreichen. Die fallbezogenen Wohn- und Lebenshaltungskosten der beteiligten Eltern sind ebenso zu ermitteln und berücksichtigen, wie deren durch Betreuung des Kindes im Rahmen des Umgangsrechts entstehenden Fahrt-, Wohn- und sonstigen Bespaßungskosten. Was für die unterhaltspflichtigen Eltern recht ist, gilt umso mehr für die individuelle Berücksichtigung der Bedarfslage der Kinder einschließlich der Sonder- und Mehrbedarfe. Dazu gehören auch die ‚Kosten des Wohnens‘ für ein Kind. Diese sind mit ca. 20% in den Bedarfssätzen der Düsseldorfer Tabelle enthalten. Das kann in Ballungsgebieten deutlich zu wenig sein. Mehr setzt aber auch Leistungsfähigkeit der unterhaltspflichtigen Person voraus. Eine Angemessenheitsprüfung muss also immer beides im Blick haben: Bedarf der unterhaltberechtigten und der unterhaltspflichtigen Person. In der Praxis wird man bei Geltendmachung der Bedarfssätze der Düsseldorfer Tabelle wenig oder gar nichts zu erläutern haben. Wer davon nach oben oder unten abweichen will, hat dafür die Darlegungslast. Ob die Selbstbehalte der Unterhaltspflichtigen noch angemessen sind, ist zu bezweifeln. Seit 2015 sind die Lebenshaltungskosten um ca. 6 % gestiegen, die Bedarfssätze der Kinder um ca. 8 %. Die Selbstbehaltssätze der unterhaltspflichtigen Personen sind aber nicht angehoben worden. Gerade in den niedrigen Einkommensgruppen stellt das ein Problem dar, das zu unangemessen niedrigen Selbstbehalten führen kann und wird, wenn sich die OLG nicht bald zu einer Korrektur entschließen. Gut, dass man Mehr- und Sonderbedarf nicht nur bei der unterhaltsberechtigten Person berücksichtigen kann, sondern auch bei der unterhaltspflichtigen. Die im Selbstbehalt von 1.080 € enthaltenen 380 € für die ‚Kosten des Wohnens‘ (Warmmiete) werden in Bonn, Frankfurt, Hamburg, München, Münster, Mainz, Köln, Düsseldorf … als schlechter Scherz angesehen werden. Es liegt an der Anwaltschaft, von der Anmerkung A 5 der Düsseldorfer Tabelle Gebrauch zu machen und auch den Bedarf der unterhaltspflichtigen Person angemessen zu berücksichtigen. Im Koalitionsvertrag der Regierung ist ein Prüfauftrag formuliert, die Bedarfssätze stärker gesetzlich zu verankern. Wer glaubt, dadurch würde das Problem der Angemessenheitskontrolle von Bedarf und Bedürftigkeit einer gerechteren Einzelfalllösung zugeführt, dürfte auch an den Weihnachtsmann glauben, womit wir schließlich wieder beim Advent wären. Und auch hier schlägt der Klimawandel zu. Der nächste ‚Advent‘ der Düsseldorfer Tabelle findet bei Temperaturen um die 22 Grad statt: Zum 1.7.2019 macht die Kindergeldänderung zwar nicht eine neue Tabelle, aber eine neue Kindergeldverrechnung erforderlich, die wir aber vorausschauend schon einmal verarbeitet haben:

[1] Vgl. nur die Beiträge Schürmann, FamRB 2018, 32; Vossenkämper, FamRB 2018, 39; Schwamb, FamRB 2018, 67; Schürmann, FamRB 2018, 85; Wohlgemuth, FamRZ 2018, 405; Borth, FamRZ 2018, 407.

Das Sein und das Nichts (zu BAG v. 26.4.2018 – 3 AZR 738/16)

1943 erschien das philosophische Hauptwerk von Jean Paul Sartre mit dem Titel „Das Sein und das Nichts“. An diesen Titel fühlt man sich bei Lektüre der BAG-Entscheidung erinnert:

Der zur Auskunft über die Höhe des ehezeitlichen Versorgungserwerbs aufgeforderte (ehemalige) Arbeitgeber des Ehemanns gibt im Scheidungsverfahren die Erklärung ab, ein ehezeitlichen Versorgungserwerb habe nicht stattgefunden. Der Versorgungsausgleich wird dementsprechend ohne den Ausgleich des betrieblichen Anrechts durchgeführt. Hintergrund der Auskunft des betrieblichen Versorgungsträgers war die Tatsache, dass der Ehemann einen Diebstahl zum Nachteil des Arbeitgebers begangen hatte mit einem Schädigungsvolumen von etwa 40.000 €. Daraufhin hatte der Arbeitgeber die betriebliche Altersversorgungszusage widerrufen. Überzeugt von der Wirksamkeit dieses Widerrufs hat er die Erklärung der Nichtexistenz einer betrieblichen Altersversorgung dem Familiengericht mitgeteilt.

Nach Rechtskraft der familiengerichtlichen Entscheidung beantragt der geschiedene Ehemann beim Arbeitsgericht die Feststellung, dass der Widerruf der Versorgungszusage unrechtmäßig sei und ihm die versprochene Altersversorgung zustehe. Das Arbeitsgericht gibt ihm Recht, das Landesarbeitsgericht hat „Prozessverwirkung“ angenommen und der Berufung stattgegeben. Das BAG stellt das amtsgerichtliche Urteil wieder her und entscheidet – wenig überraschend –, dass die familiengerichtliche Entscheidung zwischen den Ehegatten Wirkung entfaltet, nicht aber zwischen dem Arbeitnehmer und seinem Arbeitgeber. Ein Widerruf der Versorgungszusage sei nicht durch die zulasten des Arbeitgebers begangene Straftat gerechtfertigt, weil es sich bei einer unverfallbaren Versorgungszusage um einen Entgeltbestandteil handelt. Nur wenn die ökonomischen Auswirkungen der Straftat zu einer Existenzgefährdung des Unternehmens führten, sei der Widerruf einer unverfallbaren Versorgungsanwartschaft gerechtfertigt.

Familienrechtlich ist dies ein Desaster. Dem geschiedenen Ehemann bleibt das Sein, der Ehefrau das Nichts, weil im familiengerichtlichen Verfahren fälschlicherweise von der Bestandskraft des Versorgungswiderrufs ausgegangen und die Versorgung deswegen nicht ausgeglichen worden ist.

Für die Ehefrau ist die Versorgung verloren: Eine Abänderung nach § 225 FamFG scheitert daran, dass diese nur für die öffentlich-rechtlichen Grundversorgungen möglich ist (§§ 32 VersAusglG i.V.m. § 225 Abs. 1 FamFG). Eine Restitutionsklage nach § 580 Nr. 7 ZPO scheitert daran, dass die Auskunft des Versorgungsträgers zwar falsch war, eine richtige Auskunft indessen vor Rechtskraft der Entscheidung urkundlich nicht gegeben war.

Natürlich wird die Ehefrau prüfen, ob die Haftpflichtversicherung Ihres Anwalts etwas hergibt. Dies eröffnet die Frage, nach der erforderlichen Prüfungstiefe der Versorgungsausgleichsauskünfte der Versorgungsträger durch die Anwaltschaft. Die Kontrolle der Höhe des ehezeitlichen Versorgungserwerbs wird man in der Regel erwarten können. Ob allerdings auch die Existenz des Stammrechts zu überprüfen ist, muss fraglich bleiben. Hier wird sich die Rechtspraxis auf die Auskünfte der Versorgungsträger verlassen können und müssen.

Arbeitnehmern, die eine Versorgung dem Ausgleich im Scheidungsverfahren entziehen wollen, sollten für den Widerruf der Versorgungszusage vor der letzten mündlichen Verhandlung des Scheidungsverfahrens sorgen. Anschließend könnten Sie bis zum Versorgungsbeginn die Unwirksamkeit des Versorgungswiderrufs durch den Arbeitgeber erstreiten. Nach diesem Zeitpunkt – so das BAG in seiner Entscheidung – tritt Prozessverwirkung und damit auch der Verlust der Versorgung ein. Das kann aber auch schadenersatzpflichtig machen. Es könnte aber sein, dass der Gesetzgeber sich erbarmt und den Katalog der abänderbaren Versorgungen des § 32 Versorgungsausgleichsgesetz erweitert oder – noch einfacher – den schuldrechtlichen Ausgleich auch für vergessene, verschwiegene oder nachträglich auftauchende Versorgungen zugänglich machen würde. Falschauskünfte betrieblicher Versorgungsträger sind nicht selten, sie werden nur selten erkannt.

Schenk dich reich – oder: Verzichte nie auf dein Wohnrecht! (zu BGH v. 17.4.2018 – X ZR 65/17)

Der Sachverhalt ist alltäglich: Im Jahr 1995 übertragen die Eltern ihr Eigenheim an ihre Tochter und behalten sich daran ein lebenslanges Wohnungsrecht vor. 2003 verzichten die Eltern auf das Wohnungsrecht, das im Grundbuch gelöscht wird. Die Tochter vermietet die Wohnung nach dem Tod des Vaters für monatlich 340 € an die Mutter, die im Jahr 2012 in eine Pflegeeinrichtung wechseln muss und seitdem sozialhilfebedürftig ist. Der Sozialhilfeträger macht gegen die Tochter den Rückforderungsanspruch aus § 528 Abs. 1 Satz 1 BGB geltend und verlangt von der Tochter bis zum Tod der Mutter im Jahr 2015 aufgebrachte Sozialhilfeleistungen i.H.v. 22.000 €.

Da zwischen der Schenkung der Immobilie und der Entstehung der Bedürftigkeit der Mutter mehr als zehn Jahre vergangen waren, kommt diese Schenkung als Ansatz für den Rückforderungsanspruch nicht in Betracht (§ 529 Abs. 1 Alt. 2 BGB).

Ansatzpunkt für das Begehren des Sozialhilfeträgers kann daher zunächst nur die im Jahr 2003 erfolgte Löschung des Wohnungsrechts sein. Diese wird von der Rechtsprechung – sofern sie unentgeltlich erfolgt – zu Recht als Schenkung i.S.v. § 516 BGB angesehen. Ihr Wert wird an der Höhe der Wertsteigerung der Immobilie durch Wegfall der dinglichen Belastung bemessen (BGH v. 26.10.1999 – X ZR 69/97, NJW 2000, 728 = MDR 2000, 873; OLG Nürnberg v. 22.7.2013 – 4 U 1571/12, ZEV 2014, 38 = MDR 2014, 22 = ErbStB 2014, 97; Koch in MünchKomm/BGB, 7. Aufl., § 528 Rz. 5 Fn. 26).

Um den Anspruch des Sozialhilfeträgers abzuwehren, könnte man nun auf den Gedanken kommen, die Schenkung herauszugeben, also das Wohnrecht wieder einzuräumen. Dies scheitert indessen daran, dass der Rückforderungsanspruch des verarmten Schenkers lediglich „soweit“ besteht, als er außerstande ist, seinen angemessenen Unterhalt zu bestreiten. D.h. im Umfang des monatlichen Fehlbetrags. Dieser wird durch Wiedereinräumung des Wohnungsrechts indessen nicht realisiert. Das Schenkungsrecht verweist in § 528 Abs. 1 Satz 1 BGB auf das Bereicherungsrecht. Danach hat der Beschenkte, wenn die Herausgabe des Geschenks wegen der Beschaffenheit des Erlangten nicht möglich ist, Wertersatz zu leisten (§ 818 Abs. 2 BGB). Dieser Wertersatzanspruch ist in seiner Höhe begrenzt auf die Höhe der durch die Schenkung verursachten Bereicherung (§ 818 Abs. 3 BGB).

Da die Wiedereinräumung des Wohnungsrechts aus den oben dargestellten Gründen zur Abwehr des Zahlungsanspruchs des Sozialhilfeträgers nicht in Betracht kommt, kommt es auf die Höhe der durch die Löschung des Wohnungsrechts eingetretenen Bereicherung der Tochter an. Das OLG Hamm als Vorinstanz hatte angenommen, die Bereicherung der Tochter werde durch die ihr zukommenden Einkünfte aus Vermietung der Wohnung markiert, da die Tochter die Immobilie nicht veräußert und damit die durch den Wegfall des Wohnungsrechts eingetretene Steigerung des Marktwerts der Immobilie nicht realisiert habe (OLG Hamm v. 17.5.2017 – I-30 U 117/16). Dies hat der BGH nicht gelten lassen. Er stellt vielmehr darauf ab, dass der durch den Wegfall der dinglichen Wohnrechtsbelastung entstehende Wertzuwachs der Immobilie die vermögensrechtliche Bereicherung der Tochter darstellt, die gegebenenfalls von dieser herauszugeben ist.

Damit befindet sich der BGH in völliger Übereinstimmung mit seiner bisherigen Rechtsprechung, die für den Wert einer Schenkung auf die Bereicherung des Beschenkten abstellt und nicht etwa auf den Wert des Geschenks für den Schenker. Beide Werte können massiv differieren. Während das lebenslange Wohnrecht für eine 70-jährige Frau an einer Eigentumswohnung deren Verkehrswert auf Null reduzieren wird, weil bei Annahme einer 18-jährigen Restlebensdauer (nach Generationensterbetafeln des Statistischen Bundesamts DESTATIS) sich für eine solche Wohnung kein Käufer finden wird, kann der Gebrauchsvorteil des Wohnrechts für die berechtigte Person einen beachtlichen Vermögenswert darstellen (bei Annahme eines Rechnungszinses von 4 % und einem monatlichen Gebrauchsvorteil von 500 € wären dies ca. 77.000 €, bei Bewertung nach § 14 Abs. 1 Satz 4 BewG i.V.m. der Tabelle des BMF v. 4.11.2016 – IV C 7 – S 3104/09/10001 DOK 2016/101267, die auch für Bewertungsstichtage ab dem 1.1.2018 anzuwenden ist, ergäbe sich ein Betrag i.H.v. 66.492 €).

Das schwer zu vermittelnde Paradoxon der Entscheidung des BGH besteht nun darin, dass die Mutter durch Aufgabe eines für sie im Zeitpunkt des Eintritts ihrer Bedürftigkeit wertlosen Wohnungsrechts, ihre unterhaltsrechtliche Position deutlich verbessert hat, weil der Grundstückswert durch diesen Wegfall der Belastung einen enormen Anstieg erlebt haben kann, der deutlich oberhalb des Werts des Wohnungsrechts liegen wird. Die unterhaltsbedürftige Person verbessert daher durch Aufgabe eines vermögenswerten Rechts im Wege der Schenkung ihre unterhaltsrechtliche Position deutlich. Der inkongruente Verkehrswert des Wohnrechts für den Berechtigten und den Eigentümer bewirkt eine Besserstellung des Schenkers gegenüber der Situation vor der Schenkung. Es besteht nämlich völlige Einigkeit darüber, dass eine pflegebedürftige Person, die Inhaberin eines Wohnungsrechts ist, dieses aber infolge ihrer Pflegebedürftigkeit nicht ausüben kann, keinen Anspruch auf Zahlung in Höhe des fiktiven Mietzinses hat, weil das Wohnrecht unveräußerbar ist (BGH v.13.7.2012 – V ZR 206/11, FamRZ 2012, 1708).

Der BGH hat die Sache zur Entscheidung an das OLG Hamm zurückverwiesen. Dort kann sich nun die beschenkte Tochter darauf berufen, den Wertersatzanspruch der Mutter nur im Rahmen ihrer unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit erfüllen zu können (§ 529 Abs. 2 BGB). Anstelle des altertümlichen Wörtchens „standesgemäß“ ist nach einhelliger Auffassung „angemessen“ zu lesen. Angemessen ist grundsätzlich der entsprechend familienrechtlich zu berechnende Unterhalt nach elternunterhaltsrechtlichen Gesichtspunkten (Palandt/Weidenkaff, 77. Aufl., § 529 BGB Rz. 3). Ob die unterhaltspflichtige Tochter den Wertersatzanspruch aus Ihrem Vermögen zu erfüllen hat, ist bislang nicht entschieden. Da im Elternunterhalt den Unterhaltspflichtigen ein hohes Altersvorsorgeschonvermögen ein geräumt wird (BGH v. 30.8.2006 – XII ZR 98/04, FamRZ 2006, 1511), scheitert der Zahlungsanspruch des Sozialhilfeträgers möglicherweise an der Notbedarfseinrede der Tochter.

Für die anwaltliche Praxis und die beschenkten Kinder ist indessen als Grundsatz festzuhalten, dass die Aufgabe eines Wohnungsrechts an einer Immobilie zum Bumerang werden kann, wenn die wohnberechtigte Person innerhalb der Revokationsfrist von zehn Jahren sozialhilfe- und damit unterhaltsbedürftig wird.