Konsequenzen für die Praxis aus dem BVerfG-Urteil v. 26.5.2020 zu § 17 VersAusglG

Fast ein Jahr ist es nun her, dass das BVerfG entschieden hat, dass § 17 VersAusglG verfassungskonform sei. Gleichzeitig hat das oberste deutsche Gericht eine verfassungskonforme Anwendung der Vorschrift durch die Familiengerichte angemahnt (BVerfG, Urt. v. 26.5.2020 – 1 BvL 5/18, BVerfGE 153, 358 = FamRZ 2020, 1078 = FamRB 2020, 261). Die Familiengerichte müssen vermeiden, dass durch die externe Teilung Transferverluste entstehen, durch die der ausgleichsberechtigte Ehegatte übermäßig belastet wird. Den kritischen Bereich sieht der Senat erreicht, wenn der ausgleichsberechtigte Ehegatte auch bei bestmöglicher Wahl der Zielversorgung eine Rente erhalten wird, die weniger als 90 % der bei interner Teilung zu erwartenden Versorgung beträgt. Doch wie soll man dies feststellen? – Eine Möglichkeit wäre, durch ergänzende Auskunft des Quellversorgungsträgers bzw. Sachverständigengutachten zu ermitteln, welche Versorgung die ausgleichsberechtigte Person bei interner Teilung zu erwarten hätte und diese mit der Versorgung zu vergleichen, die der gewählte bzw. bestmögliche Zielversorgungsträger in Aussicht stellt. Ein Berechnungstool, das diese Berechnung erleichtert, wurde durch Hauß/Glockner erstellt (zu finden auch auf der Homepage des FamRB: Erläuterungstext und Programm zur Adäquanzkontrolle). Hier stößt der Anwender aber schnell an seine Grenzen, wenn sich die Zusagen unterscheiden, etwa hinsichtlich Renteneintrittsalter, Leistungsspektrum oder Auszahlungsmodalitäten.

Eine andere Möglichkeit besteht darin, anhand der Rechenfaktoren, die der Quellversorgungsträger für die Umrechnung des Ausgleichswerts in eine Versorgung bei interner Teilung anwenden würde, den Barwert der Versorgung bei dem gewählten bzw. bestmöglichen Zielversorgungsträger unter Berücksichtigung der spezifischen Unterschiede dieser Versorgung (wie z.B. der Anwartschafts- und Leistungsdynamik) zu berechnen. Erreicht dieser mindestens 90 % des Ausgleichswerts, sind keine verfassungswidrigen Transferverluste zu erwarten. Diese Methode wendet auch die Deutsche Aktuarvereinigung an (Tabellen veröffentlicht unter https://aktuar.de/unsere-themen/fachgrundsaetze-oeffentlich/2021-01-10_Ergebnisbericht_Externe_Teilung.pdf). Sie ist auch Grundlage der Empfehlungen zur Umsetzung des Urteils des BVerfG durch die Familiengerichte in dem Aufsatz der Verfasser (Braun/Siede, FamRB 2021, 160 [Teil 1] und Braun/Siede, FamRB 2021, 216 [Teil 2]; es ist beabsichtigt, die Tabellen des Aufsatzes, die auch Besonderheiten, wie z.B. die externe Teilung für den Fall, dass die ausgleichsberechtigte Person eine Erwerbsminderungsrente bezieht, fortlaufend zu aktualisieren). Diese Methode hat der BGH in der Entscheidung vom 24.3.2021 – XII ZB 230/16 (s. dazu den Blogbeitrag von Hauß) nicht nur ausdrücklich gebilligt, sondern als geboten erachtet, wenn Quell- und Zielversorgung sich hinsichtlich Leistungsspektrum, Leistungsdynamik oder Dauer der Auszahlung erheblich unterscheiden (Rz. 52). Der Senat bestätigt den Vorteil des Vergleichs von Barwerten auch für den Fall, dass verfassungsrechtlich nicht hinzunehmende Transferverluste auftreten sollten: In diesem Fall reicht es aus, den Ausgleichswert so weit zu erhöhen, dass für den Ausgleichsberechtigten eine auskömmliche Versorgung generiert werden kann, einer komplizierten Anpassung des Rechnungszinses bedarf es nicht (Rz. 53).

Dies sieht zwar auf den ersten Blick recht kompliziert aus – tatsächlich ist es aber nur in sehr wenigen Fällen erforderlich, über die bisher angeforderten Auskünfte hinaus Berechnungsgrundlagen zu ermitteln und Sachverständigengutachten in Auftrag zu geben.

Solange der Ausgleichsberechtigte das Renteneintrittsalter nicht erreicht hat, steht ihm mit der gesetzlichen Rentenversicherung eine Zielversorgung zur Verfügung, durch die die ausgleichsberechtigte Person angesichts des derzeitigen Zinsniveaus eine bessere Versorgung als bei interner Teilung erhalten wird. Der Grenzzinssatz liegt je nach Alter und Geschlecht des Ausgleichsberechtigten zwischen 2,75 % und 4 %. Dies kann sowohl anhand des Berechnungstools von Hauß/Glockner als auch auf der Grundlage der o.g. Tabellen ohne weiteres nachvollzogen werden. Und: Das gilt auch dann, wenn das Ehezeitende lange zurückliegt und der Kapitalwert des Ehezeitanteils dementsprechend mit einem höheren Zins kalkuliert wurde; denn in diesem Fall ist es nach hier vertretener Auffassung nur erforderlich, für den Ehezeitanteil der Versorgung eine aktuelle Auskunft des Quellversorgungsträgers anzufordern, die anhand der zu einem entscheidungsnahen Zeitpunkt geltenden Rechenfaktoren erstellt wurde – und den Vorteil hat, das sie auch die Entwicklung des biometrischen Risikos abbildet, an der der Ausgleichsberechtigte nicht nur bei interner Teilung partizipieren soll, sondern auch, wenn man das Postulat des BVerfG ernst nimmt, dass es aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht hinzunehmen wäre, dass dieser Wertzuwachs verloren ginge, soweit er auf den Ausgleichswert entfällt, ohne dass dies dem Ausgleichsberechtigten zugutekäme.

Hat der ausgleichsberechtigte Ehegatte das Rentenalter erreicht, steht oft nur die Versorgungsausgleichskasse als Zielversorgung zur Verfügung. In diesem Fall kann aber anhand der Tabellen der Verfasser durch den Anwender aufgrund einer sehr einfachen Berechnung ein auskömmlicher Ausgleichswert berechnet werden. Ein Beispiel hierzu finden Sie in dem Aufsatz der Verfasser.

Keine Probleme gibt es in der Regel in den Fällen des Ausgleichs fondsgebundener Anrechte, da hier keine verfassungswidrigen Transferverluste entstehen können, und im Fall des beiderseitigen Leistungsbezugs, da hier die Entstehung verfassungswidriger Transferverluste durch dreiseitige Vereinbarung der Ehegatten und des Quellversorgungsträgers bzw. nach Inkrafttreten von § 19 Abs. 2 Nr. 5 VersAusglG i.d.F. des Gesetzes zur Änderung des Versorgungsausgleichrechts durch Option des Ausgleichsberechtigten vermieden werden kann (s. hierzu Bergmann, FamRB 2021, 256).

Lediglich in den Fällen des Ausgleichs kongruent rückgedeckter Anrechte sind im Fall höherer Rechnungszinsen bei länger zurückliegender Zusageerteilung häufiger etwas kompliziertere Berechnungen erforderlich, für die es eines Sachverständigengutachtens bedarf.

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Vom Kopf auf die Füße gestellt! (BGH v. 24.3.2021 – XII ZB 230/16 zu BVerfG v. 26.5.2020 – 1 BvL 5/18)

Es hat nicht einmal ein Jahr gedauert, bis der BGH Gelegenheit hatte, die Entscheidung des BVerfG vom 26.5.2020 umzusetzen (BVerfG v. 26.5.2020 – 1 BvL 5/18, FamRB 2020, 261). Es ist nicht überraschend, dass der BGH in der Frage, wie der grundrechtlich geschützte Halbteilungsgrundsatz im Versorgungsausgleich bei externer Teilung einer Versorgung durchzusetzen ist, der Entscheidung des BVerfG folgt: Eine grundrechtswidrige Verletzung des Halbteilungsgrundsatzes liegt dann vor, wenn der Versorgungsertrag aus dem Ausgleichswert den Versorgungsertrag aus der Quellversorgung um mehr als 10 % unterschreitet. Ist dies der Fall, hat der Versorgungsträger der Quellversorgung entweder den Ausgleichswert auf ein hinreichendes Niveau zu erhöhen oder die interne Teilung vorzunehmen.

Im Versorgungsausgleich muss daher umgedacht werden. Galt bisher der Grundsatz, dass der Kapitalwert einer Versorgung insbesondere im Fall ihrer externen Teilung genauestens zu prüfen sei, gilt nun – praxisnäher – der Grundsatz, dass die Versorgungsleistung der Zielversorgung die Messlatte für Grundrechtskonformität ist.

Allerdings wird die Entscheidung die Debatte eröffnen, was denn unter dem Begriff derVersorgungsleistung“ zu verstehen ist.

Die reine Höhe der monatlichen Rentenzahlung kann es nicht sein. Eine betriebliche Altersversorgung, deren Ehezeitanteil eine Rente i.H.v. 100 € monatlich im Ehezeitende für einen 50-jährigen Mann beträgt, und die eine 1 %-ige Leistungsdynamik aufweist, bleibt in Ihren Leistungen meilenweit hinter einer Rente der DRV zurück, die ebenfalls im Ehezeitende 100 € Monatsrente aufweisen würde. Während die betriebliche Rente bei Renteneintritt im Alter 67 noch immer lediglich 100 € betrüge, würde sich die in der gesetzlichen Rentenversicherung anzunehmende Dynamik von 2 % zu einem Versorgungsergebnis bei Renteneintritt i.H.v. 140 € errechnen. Diese Rentendifferenz vergrößert sich bis zum Tod der berechtigten Person wegen der unterschiedlichen Dynamik von betrieblicher und gesetzlicher Rentenversicherung. Aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhielte der Versicherte bei einer Rente im Ehezeitende von 100 € Altersrente von insgesamt mehr als 42.000 € bis zum Tod, der betrieblich Versicherte erhielte nicht einmal 30.000 €. Nimmt man Invaliditäts- und Hinterbliebenenversorgung hinzu, differiert das Volumen der Versorgungserwartung um fast 50 %.

Leider ist die Berechnung der Leistung einer Versorgung auf der Basis der Summe der zukünftigen Rentenleistungen nicht ganz banal. Für alle, die es genau wissen wollen sei die dazu erforderliche mathematische Formel präsentiert:

Rentenvolumen = {[(1 + Leistungsdynamik in %)Leistungszeit – 1] / Leistungsdynamik in %} x Rente im Renteneintritt x 12

Ein solches „Ungetüm“ einer mathematischen Formel ist praktisch unzumutbar, weshalb im Programm Kapitalwertkontrolle 2021 dieser Rechenarbeit juristengerecht mit wenigen Eingaben transparent erledigt wird. Und bevor allgemeines Wehklagen über unsere obersten Gerichte ausbricht sei darauf hingewiesen, dass die Berechnung der Barwerte von Versorgungen und ihre korrespondierenden Kapitalwerte nicht einfacher war. Der einzige Unterschied war der, dass in der Praxis diese Berechnung leichtsinniger Weise nie kontrolliert, sondern den Versorgungsträgern erleichtert jede Zahl abgenommen wurde.

Damit muss es nun nicht vorbei sein. Spätestens seit Januar 2018 ist die Deutsche Rentenversicherung für alle Fälle der externen Teilung die richtige Zielversorgung. Lediglich bei Rentnerscheidungen oder großen Altersunterschieden zwischen den Ehegatten oder bei einem Rechnungszins von mehr als 3 %, der zur Ermittlung der Kapitalwerte vom Quellversorgungsträger angewandt wurde, wäre eine genaue Prüfung des Versorgungsergebnisses für die ausgleichsberechtigte Person erforderlich.

Zum Glück hat der BGH in seiner Entscheidung in analoger Anwendung von § 220 Abs. 4 FamFG eine Auskunftsverpflichtung des Quellversorgungsträger über die Rentenerwartung der ausgleichsberechtigten Person im System der Quellversorgung etabliert. Das hilft aber bedauerlicherweise bei einem großen Altersunterschied der Ehegatten nicht wirklich weiter. Denn nicht einmal die nominelle Höhe der Summe aller Versorgungsleistungen definiert die Leistungsfähigkeit einer Versorgung, sondern die aus ihr resultierende Kaufkraft. Deshalb ist dieser Korrekturfaktor bei großem Altersunterschied der Ehegatten zusätzlich zu berücksichtigen. 100 € Rente im Ehezeitende haben bei Annahme einer 2 %-igen Geldentwertung pro Jahr zehn Jahre später lediglich noch eine Kaufkraft von 82 €. Damit wäre indessen die vom BVerfG gebilligte maximal 10 %-ige Differenz zwischen einem Versorgungsertrag aus Quell- und Zielversorgung bereits überschritten.

Für die Familienrechtler wird durch die beiden Entscheidungen von BVerfG und BGH nicht alles leichter, aber für alle Betroffenen ist es leichter verständlich geworden. Es ist nämlich haptisch begreifbar, wenn ich die Leistungen einer Versorgung in den zur Auszahlung gelangenden Versorgungsvolumen ausdrücke. Unter einer Rentenleistung bis zum Lebensende von 29.000 € kann ich mir konkret vorstellen, ca. 3.600 Maß Bier trinken zu können. Mit Entgelt- oder Versorgungspunkten, Steigerungszahlen oder Prozentpunkten einer Bemessungsgrundlage kann sich kein Betroffener einen konkreten Konsum vorstellen.

Familienrechtlich wird man nun meist lediglich noch kontrollieren müssen, mit welchem Rechnungszins der Ausgleichswert berechnet worden. Liegt er über 3 %, wird keine bestehende Zielversorgung ein adäquates Versorgungsniveau bieten können. Liegt er darunter, ist die Deutsche Rentenversicherung die richtige Zielversorgung. Diese einfache Gleichung trifft nur in den Rentnerfällen nicht zu.

In jedem Fall hilft aber sowohl bei der Berechnung und Kontrolle der Kapital- und damit der Ausgleichswerte als auch beim Vergleich der aus den verschiedenen Versorgungen resultierenden Versorgungsvolumen das Programm Kapitalwertkontrolle 2021 auf der Homepage des FamRB unter www.famrb.de/muster_formulare.html kostenlos nebst Erläuterungstext herunterladen können.

„Geizkragen-Ehe“ bei einem monatlichen Verbrauch unter 11.000 € für die allgemeine Lebenshaltung?

Keinem Familienrechtler ist die Entscheidung des BGH vom 25.9.2019 entgangen, die die bisherige Rechtsprechung zur Unterhaltsberechnung in Fällen besonders günstiger Einkommensverhältnisse revolutioniert hat (BGH v. 25.9.2019 – XII ZB 25/19, FamRB 2020, 6). Bis zu dieser Entscheidung musste der Unterhaltsberechtigte in vielen Oberlandesgerichtsbezirken (dankenswerter Weise seit längerer Zeit schon nicht mehr in Köln) umständlich und arbeitsaufwändig seinen konkreten Bedarf, also seine tatsächlichen Ausgaben, während der Ehe im Einzelnen darlegen und zumindest teilweise auch belegen, wenn er einen Unterhaltsbedarf von über 2.500 € monatlich geltend machen wollte. In der genannten Entscheidung hat der BGH diese Bedarfsgrenze ganz erheblich erhöht, in dem er bis zu einem Familieneinkommen in Höhe des Doppelten des höchsten in der Düsseldorfer Tabelle ausgewiesenen Einkommensbetrages im Sinne einer tatsächlichen Vermutung davon ausgeht, dass dieser Betrag vollständig für den Lebensbedarf der Familie verwendet worden ist. Bei diesem Einkommensbetrag handelt es sich derzeit um 11.000 € netto (sogar bereits abzüglich Krankenversicherung und Altersvorsorge sowie Zinsen auf zu leistende Darlehen). Der unterhaltsberechtigte Ehegatte kann seither einen Unterhaltsbedarf von rund 5.000 € geltend machen, ohne konkret darlegen zu müssen, dass er diesen Betrag auch während der Ehe tatsächlich verbraucht hat. Wenn der unterhaltsverpflichtete Ehegatte nicht bereit ist, diesen Bedarf zu decken, muss er nun seinerseits umständlich im Einzelnen darlegen und belegen, wohin das Einkommen stattdessen geflossen ist, um seiner Zahlungspflicht zu entgehen.

Naturgemäß knüpfen sich an diese revolutionäre Entscheidung des BGH eine Vielzahl von Folgefragen. In einem im Moment vor dem OLG Köln anhängigen Verfahren (II 14 UF 24/20) bemüht sich der Ehemann, der ein jährliches Einkommen von rund 600.000 € brutto erzielt, derzeit darzulegen, dass die Eheleute – gemessen an ihren Einkommensverhältnissen – während der Ehe äußerst sparsam gelebt haben, also weder er noch seine Ehefrau auch nur annähernd 5.000 € pro Monat für die allgemeine Lebenshaltung (Miete, Essen, Kleidung, Reisen etc.) aufgewandt haben. Sollte es dem Ehemann tatsächlich gelingen, dies im hinreichenden Umfang darzulegen und zu belegen, müsste man sich noch immer die Frage stellen, ob er seiner Ehefrau diese Sparsamkeit während der intakten Ehe nun nach der Trennung überhaupt noch entgegenhalten kann, entspricht es doch der ständigen Rechtsprechung des BGH, dass sowohl bei der Bemessung des Trennungsunterhalts als auch bei der Bemessung des nachehelichen Unterhalts ein „objektiver Maßstab“ anzulegen ist. Entscheidend soll danach derjenige Lebensstandard sein, der nach dem vorhandenen Einkommen vom Standpunkt eines vernünftigen Betrachters aus angemessen erscheint. Dabei soll, gemessen am verfügbaren Einkommen, eine zu dürftige Lebensführung außer Betracht bleiben (siehe nur BGH v. 4.7.2007 – XII ZR 141/05, NJW 2008, 57, 60; Weber-Monecke in MünchKomm/BGB, 8. Aufl., § 1361 Rz. 6 und auch Maurer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl., § 1578 Rz. 15 –  „Geizkragen-Ehe“ genannt). Wenn ein Verbrauch von 11.000 € für den allgemeinen Lebensunterhalt bei entsprechenden Einkommensverhältnissen derart natürlich erscheint, dass eine tatsächliche Vermutung hierfür spricht, muss sich dann nicht der Ehegatte, der einen entsprechend hohen Verbrauch unterbindet, bereits den Vorwurf gefallen lassen, ein „Geizkragen“ zu sein? In diesem Fall würde es dem Ehemann in dem geschilderten Fall auch nichts nützen, wenn es ihm gelingen würde, die tatsächliche Vermutung des vollständigen Verbrauchs von 11.000 € während der intakten Ehe für den Lebensunterhalt zu widerlegen.

Oh, wie schön ist das Familienrecht

Ich sitze mit Werner Schulz an der Fertigstellung der 7. Auflage unseres Buchs Schulz/Hauß, Vermögensauseinandersetzung bei Trennung und Scheidung. Man sagt Juristinnen und Juristen ja eine gewisse Fantasielosigkeit nach. Das wäre zu prüfen:

Fall: M verliert bei der Einfahrt in sein Grundstück die Kontrolle über sein einkaufsbeladenes Fahrrad, das den 14 Jahre alten Wagen des mit ihm befreundeten Nachbarn N beschädigt. Da M haftpflichtversichert ist, lässt N ein Schadensgutachten erstellen und bittet M um Regulierung in Höhe von 3.000 €. Die Versicherung verweigert aus vertraglichen Gründen die Regulierung. Weil der Wagen alt, aber gleichwohl voll funktionsfähig ist, lässt N ihn nicht reparieren, macht aber den Schaden gegen seinen Freund M auch nicht weiter geltend. Vier Jahre nach diesem Ereignis trennen sich M und seine Frau FM, die eine intime Beziehung zu FN, der Frau des Nachbarn N begonnen hat. Unmittelbar nach der Scheidung fordert sie M zur Auskunft über sein Endvermögen auf. M gibt dieses mit 100.000 € an und vermindert es um die Schadenersatzforderung von N über 3.000 €. FM protestiert dagegen und vertritt die Ansicht, die Forderung sei verjährt und daher nicht zu passivieren. Auch FN fordert nach der Scheidung von N von diesem Auskunft über sein Vermögen. N gibt dieses mit 50.000 € an und wendet auf den Hinweis der Existenz der Schadensersatzforderung ein, diese sei verjährt und daher mit Null zu bilanzieren.

Dieser ‚kleine‘ Fall führt in die Herzkammer der Forderungsbewertung im Güterrecht und zu deutlich wahrnehmbaren Herzflimmern. Wenn der eine die einredebehaftete Forderung voll passiviert, der andere die gleiche Forderung aber nicht aktivieren kann, wird man nachdenklich und fragt, ob das richtig sein kann.

Ich meine ‚ja‘. Der Marktwert einer mit der Verjährungseinrede behafteten Forderung ist Null. Niemand würde N diese Forderung abkaufen. Die Schuld als Kehrseite der verjährten Forderung besteht aber, solange die Einrede nicht erhoben wird. Im Stichtag war dies nicht der Fall, weshalb es richtig ist die Forderung des N zu passivieren.

Dagegen könnte eingewandt werden, M habe die ‚Obliegenheit‘, die Einrede zu erheben und diese habe – als latente Konsequenz aus der Ehe – bereits vor dem Stichtag bestanden. Das allerdings widerspräche dem im Güterrecht herrschenden strengen Stichtagsprinzip. Ist die die Forderung vernichtende Verjährungseinrede ehezeitlich nicht erhoben worden, besteht die Schuld am Stichtag. Die nachehezeitliche Erhebung der Einrede ist eine nachehezeitliche Leistung. Es kann güterrechtlich keine ‚unsichere Schuld‘, wohl aber ‚unsichere Forderungen‘ geben. Die Schuld steht fest. Der Vermögenswert einer Forderung hängt – im Unterschied zur Schuld – vom Schuldner ab. Man würde ja bei im Stichtag bestehenden Verbindlichkeiten auch nicht die Chance der Restschuldbefreiung durch Insolvenz in die Bewertung der Höhe der zu bilanzierenden Schuld einbeziehen.

Deshalb wäre im obigen Beispiel die Schuld bei M zu passivieren und die Forderung bei N nicht als Vermögenswert einzustellen. Ein ‚sauberes Ergebnis‘, das vielleicht nicht von allen geteilt und von den im Beispiel beteiligten Frauen nicht goutiert werden wird.

Um das Problem noch ein wenig zu toppen: Nachdem die Frauen eine gleichgeschlechtliche Beziehung aufgebaut haben, ziehen die beiden Männer nach. FM verlangt von M Unterhalt. Kann dieser die Höhe seiner Unterhaltsverpflichtung mit Verweis auf die dem N gegenüber bestehende Schadensersatzpflicht vermindern und zulasten des Unterhaltsanspruchs die Forderung des N in 10 monatlichen Raten zu 300 € tilgen?

Ich meine nein, weil einerseits die Tilgung dieser Verbindlichkeit die ehelichen Lebensverhältnisse nicht geprägt hat und andererseits M die unterhaltsrechtliche Obliegenheit hat, sich – zur Verbesserung seiner unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit – auf Verjährung zu berufen. Außerdem würde es gegen das Verbot der Doppelberücksichtigung sprechen, die Forderung sowohl im Güterrecht, als auch im Unterhalt leistungsmindernd zu berücksichtigen.

Nacheheliche Solidarität wird im Unterhaltsrecht, nicht aber im Güterrecht geschuldet.

Über Widerspruch und Zustimmung zu diesen Thesen würde ich mich freuen. Nutzen Sie zu diesem Zweck die Kommentarfunktion!

VA-Reform auf Raten

Am 2.9.2020 hat das BMJV den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Versorgungsausgleichsrechts vorgelegt. Der Referentenentwurf sieht folgende Reparaturmaßnahmen vor:

  • Die externe Teilung von Anrechten eines privaten oder betrieblichen Versorgungsträgers soll zukünftig nur dann vom Versorgungsträger (gegen den Willen der ausgleichsberechtigten Person) verlangt werden können, wenn der Gesamtwert der von dem Versorgungsträger auszugleichenden Anrechte die Grenzwerte des § 14 Abs. 2 Nr. 2 VersAusglG (derzeit 63,70 € Rente bzw. 7.644 € bei einem Kapitalbetrag) bzw. § 17 VersAusglG (Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung) nicht übersteigt.
  • Ausgleichsansprüche nach der Scheidung sollen auf Wunsch der ausgleichsberechtigten Person angeordnet werden können, wenn das auszugleichende Anrecht des ausgleichspflichtigen Gatten durch Versorgungsleistungen des Versorgungsträgers (Rentenzahlungen) nach Ehezeitende aber vor der Entscheidung über den Versorgungsausgleich ausgezehrt wurde (Fälle des ‚Kapitalverzehrs‘).
  • Leistet der Versorgungsträger während der Laufzeit des Versorgungsausgleichsverfahrens vertragsgemäß an die versicherte Person eine Rente, ist er gegenüber der ausgleichsberechtigten Person bis zur Übergangszeit (§ 30 Abs. 2 VersAusglG) nach dem Wortlaut der Norm von Leistungen befreit. Klarstellend wird nunmehr festgelegt, dass dies nur im Umfang der tatsächlichen Leistungen an die ausgleichsberechtigte Person gilt.
  • Der Zeitpunkt für die frühestmögliche Antragstellung auf Abänderung des Versorgungsausgleichs wird von 6 auf 12 Monate vor dem voraussichtlich ersten Versorgungsbezug eines geschiedenen Gatten erweitert (§ 226 Abs. 2 FamFG-E).

Alle diese Reformpunkte sind sinnvoll:

Die für Versicherungsvertreter attraktiven Abschlussprämien für Neuverträge haben eine teilweise kurios hohe Zahl von Kleinstversicherungen beim gleichen Konzern zur Folge, die dann in ein Ärgernis umschlägt, wenn im Versorgungsausgleich diese Anrechte unter dem Schwellwert der Ausgleichspflicht liegen, in der Summe diesen aber deutlich übersteigen. Auch in der betrieblichen Altersversorgung werden teilweise eine ganze Reihe von Kleinversorgungen begründet, die einzeln, aber nicht in der Summe unter dem Schwellwert der Beitragsbemessungsgrenze bleiben. Es ist gut, dass der Gesetzgeber den Anreiz, die interne Teilung durch Begründung mehrerer Kleinstanrechte zu vermeiden, verbaut.

Bezieht die ausgleichspflichtige Person bereits Leistungen aus einem auszugleichenden Anrecht, kann dessen Kapitalwert absinken. Das kann dazu führen, dass – egal in welcher Teilungsform – die ausgleichsberechtigte Person eine inadäquat niedrige Versorgung erhält. Das Gesetz soll nun auch in diesen Fällen die ‚Flucht in den schuldrechtlichen Ausgleich‘ (nach der Scheidung) öffnen. Niemand muss befürchten, dabei den Rentenanspruch gegen den Versorgungsträger nach Versterben der ausgleichspflichtigen Person zu verlieren. § 25 Abs. 2 VersAusglG schließt diesen nur bei einem ‚Vergleich‘ aus. Bevor man allerdings für den schuldrechtlichen Ausgleich optiert, sollte man prüfen, ob die Versorgungsordnung der auszugleichenden Versorgung überhaupt eine Hinterbliebenenversorgung gewährt oder eine solche durch eine Wiederverheiratungsklausel eingeschränkt ist, die einer Witwe nach Wiederverheiratung mit einem neuen Mann eine Hinterbliebenenversorgung (leider zulässigerweise) verwehren würde.

Ebenso zu begrüßen ist die Klarstellung, dass bei Zahlungen des Versorgungsträgers an die ausgleichspflichtige Person im ‚Nirvana‘ der Übergangszeit zwischen Kenntnis der Rechtskraft und dem letzten Tag des darauf folgenden Monats nur in Höhe der tatsächlichen Zahlung gegenüber der ausgleichsberechtigten Person befreit wird. Diese Klarstellung beseitigt bestehende Unsicherheiten und bereicherungsrechtliche Abwicklungsansprüche zwischen den Ehegatten.

Die Verlängerung der Frist für die Antragstellung in Abänderungsverfahren von 6 auf 12 Monate vor dem voraussichtlich ersten Rentenbezugs eines der Ehegatten (§ 226 Abs 2 FamFG-E) ist ebenfalls zu begrüßen, weil sie realistischer die Laufzeiten von Abänderungsverfahren reflektiert. Auch 12 Monate reichen meist nicht, weil die Überlastung der auskunftspflichtigen Versorgungsträger und Sachverständigen und die Begeisterung der erstinstanzlichen Gerichte, Abänderungsverfahren zu führen, immer noch zu optimistisch eingeschätzt wird. Die Anwaltschaft kann ihren Mandanten in diesen Fällen nur dadurch helfen, dass der frühestmögliche Bezug einer in den Versorgungsausgleich einbezogenen Rente auch als der voraussichtliche Rentenbezugstermin benannt wird. Änderungen in der Lebensplanung (wie seniler Spaß an verlängerter Erwerbstätigkeit) sind nie vorhersehbar, aber der Berechtigung zur Einleitung eines Abänderungsverfahrens auch nicht abträglich.

Das Ministerium kündigt eine Nachbesserung des Versorgungsausgleichs nach gründlicher Evaluation des status quo an. Das klingt gut. An einigen Stellen wäre nachzubessern. Dringlich wäre es, die Auskunftspflichten der Versorgungsträger zu konkretisieren. Bei Schaffung des Gesetzes ging man davon aus, dass ein Versorgungsträger selbstverständlich bei einer Rentenversicherung

  • die ehezeitlich erworbene Rentenhöhe,
  • die Rentendynamik,
  • das Renteneintrittsalter,
  • das Leistungsspektrum und
  • den zur Berechnung des Kaptalwerts angewendeten Rechnungszins

unaufgefordert mitteilt.

Die Praxis zeigt, dass das nicht der Fall ist, weshalb die Kontrolle der Kapitalwerte oft nur durch einen Sachverständigen[1] möglich ist oder den Beteiligten einen Blindflug abfordert.

Auch vor dem Hintergrund der Entscheidung des BVerfG zur grundrechtswahrenden Adäquanz bei externer Teilung von Versorgungen (BVerfG v. 26.5.2020 – 1 BvL 5/18, FamRB 2020, 261) hätte es nahe gelegen, die Auskunftspflichten der Versorgungsträger zu konkretisieren. Die Zeitspanne war aber wohl zu kurz, um dies noch in den Entwurf einzuarbeiten.

[1] Oder mit dem kostenlos auf der Homepage des FamRB unter www.famrb.de/muster_formulare.html erhältlichen Berechnungstool „Kapitalwertkontrolle 2020“.

Gerechtigkeit für die Ausgleichsberechtigten (BVerfG v. 26.5.2020 – 1 BvL 5/18)

Karlsruhe lucuta – causa finita. Das BVerfG hat zwar § 17 VersAusglG nicht für verfassungswidrig erklärt, aber dafür die Auslegung und Anwendung der Norm durch die bisherige Rechtsprechung. Wenn die Halbteilung des Kapitalwerts des ehezeitlichen Versorgungserwerbs bei externer Teilung für die ausgleichsberechtigte Person ein Versorgungsergebnis ergäbe, das die Hälfte des ehezeitlichen Anwartschaftserwerbs um mehr als 10 % unterschreitet, sei entweder durch das Gericht der Ausgleichswert zu Lasten des Versorgungsträgers zu erhöhen, oder der Versorgungsträger zur internen Teilung zu verpflichten.

Konsequenzen für die Praxis:

Seit Mitte 2017 beträgt der von der bisherigen Rechtsprechung zur Berechnung der Kapitalwerte angewandte Rechnungszins weniger als 3 %. Bei externer Teilung des ehezeitlich erworbenen betrieblichen Anrechts in die gesetzliche Rentenversicherung übersteigt daher der Rentenertrag der ausgleichsberechtigten Person den der ausgleichspflichtigen. Zuvor war das anders, Transferverluste bis 50 % waren damals nicht selten und passieren auch noch heute, wenn ein Ausgleich in die gesetzliche Rentenversicherung nicht mehr möglich ist, weil die ausgleichsberechtigte Person bereits Altersrente bezieht.

In der Praxis bedeutet das für Altfälle (Ehezeit bis Mitte 2017) und Rentnerscheidungen:

Verlangt in Fällen des § 17 VersAusglG der Versorgungsträger die externe Teilung, ist beim Zielversorgungsträger anzufragen, in welcher Höhe aus dem vom Versorgungsträger ermittelten Ausgleichswert für eine gleich alte Person gleichen Geschlechts wie die ausgleichspflichtige Person eine Versorgung resultieren würde. Dabei kommt es nicht nur auf die nominelle Höhe der Versorgung bei Rentenbeginn, sondern auch auf deren Dynamik an. Kurz: Das in der Zielversorgung zu erwartende Versorgungsvolumen vom Rentenbeginn bis zum Tod muss für die ausgleichspflichtige Person in Quell- und Zielversorgung nahezu identisch sein. Meist hat die ausgleichsberechtigte Person andere biometrische Risiken (Geschlecht und Alter, also Lebenserwartung und Renteneintritt) wie die ausgleichspflichtige Person. Es sei nicht zu beanstanden, wenn die nominelle Höhe der zu erwartenden Versorgung von der Quellversorgung abweicht, solange das Rentenvolumen nahezu identisch ist. Maßgeblich ist die Rentenvolumenerwartung. Unterschreitet die Rentenvolumenerwartung in der Zielversorgung die Rentenvolumenerwartung der Quellversorgung um mehr als 10 %, ist der Ausgleichswert, den der Quellversorgungsträger zu zahlen hätte, durch das Gericht entsprechend anzupassen. Will der Quellversorgungsträger das vermeiden, kann er die interne Teilung wählen.

Das alles ist nicht ganz einfach zu ermitteln:

  • Wie soll ein mit mittelmäßigen mathematischen und versicherungsmathematischen Kenntnissen ausgestatteter Jurist das zu erwartende Rentenvolumen bestimmen?
  • Was passiert, wenn die Rentenvolumenerwartung in der Zielversorgung oberhalb der der Quellversorgung liegt, kann dann der Ausgleichswert abgesenkt werden, um für beide Ehegatten eine gleiche Volumenerwartung zu begründen, oder wird der Versorgungsträger entlastet?
  • Was, wenn der ausgleichsberechtigte Ehegatte eine „ungünstige, teure“ Zielversorgung wählt? Wird sein Wahlrecht nach § 15 VersAusglG auf die „günstigste“ Variante beschränkt?

Die erste Frage kann durch Software gelöst werden. Schon die nächste Version des Programms zur Kapitalwertkontrolle (zu finden auf der Homepage des FamRB) wird die Rentenvolumenbestimmung für die Quell- und Zielversorgung (auch aus der gesetzlichen Rentenversicherung) ermöglichen.

Über die zweite und dritte Frage müssen wir noch gemeinsam nachdenken. Aber wie so oft: Man kommt klüger, aber auch nachdenklicher aus einem Gerichtsverfahren heraus, als man hineingegangen ist.

Hört sich kompliziert an, ist aber einfacher: Dynamische Antragstellung zwecks Aussetzung der VA-Rentenkürzung wegen Unterhalt

Problemstellung: M zahlt Nachscheidungsunterhalt an F, kommt in Rente und könnte sich den Unterhalt nun nicht mehr leisten, weil seine Rente durch den Versorgungsausgleich gekürzt ist – aus dem F ihrerseits noch keinen Nutzen zieht, weil sie jünger und noch nicht Rentnerin ist. In der Ex-Familie entsteht eine Liquiditätslücke. Die Lösung bieten §§ 33, 34 VersAusglG: In (maximal) der Höhe des (geschuldeten) Unterhaltes wird die Rentenkürzung ausgesetzt.  

Es bleibt ein Praktiker-Problem, das der BGH mit Beschl. v. 26.2.2020 – XII ZB 531/19 gelöst hat: Der Sachverhalt ist dynamisch, bei jeder Rentenerhöhung müsste neu gerechnet werden. Die Lösung dafür fand das OLG Frankfurt a.M. als Vorinstanz und titulierte dynamisch: „In Höhe eines sich aus der Multiplikation von 15.6253 Entgeltpunkten der allgemeinen Rentenversicherung und von 1,006 Entgeltpunkten der knappschaftlichen Rentenversicherung mit einem Zugangsfaktor von 1,0, einem Rentenartfaktor von 1,0 für die Entgeltpunkte der allgemeinen Rentenversicherung und von 1,3333 für die knappschaftlichen Entgeltpunkte und dem jeweilige(n aktuellen Rentenwert ergebenden monatlichen Rentenbetrags, höchstens jedoch in Höhe eines monatlichen Rentenbetrags von 1.463 €“ wurde die Rentenkürzung ausgesetzt (OLG Frankfurt v. 17.10.2019 – 4 UF 52/19, FamRB 2020, 95). Ok, sagte der BGH nun, das ist hinreichend bestimmbar. Die genannten Entgeltpunkte können durch Multiplikation mit dem aktuellen, jeweils im Bundesgesetzblatt veröffentlichten aktuellen Rentenwert in einen jeweils aktuellen Rentenkürzungsbetrag umgerechnet werden. Rechnen muss ja dann auch nicht mehr der Jurist, sondern der Rententräger.

 

High noon in Karlsruhe zu § 17 VersAusglG (zu BVerfG – 1 BvL 5/18; vorangehend: Vorlagebeschluss des OLG Hamm – 10 UF 178/17)

Am 10.3.2020 findet die mündliche Verhandlung vor dem BVerfG über die Verfassungsgemäßheit von § 17 VersAusglG statt. Allen zur Erinnerung: Nach dieser Norm können betriebliche Versorgungen bis zu einem Ausgleichswert von 82.800 € (im Jahr 2020) extern ausgeglichen werden. Aus der betrieblichen Versorgung stünde einem 50-jährigen Mann daraus eine Rente von ca. 650 € monatlich zu. Bei Einzahlung des Ausgleichsbetrages in die Versorgungsausgleichskasse blieben knapp 300 € Garantierente und (Optimisten sterben nicht aus) ca. 375 € über (im Unisextarif der VersAusglK), wenn Gewinne erzielt werden. Ein Verlust von ca. 40 % der Versorgungsvolumens kann man nicht mehr als ‚Petitesse‘ begreifen, zumal die ausgleichspflichtige Person die Hälfte ihrer Versorgung, also 650 € verliert.

Heute könnte man den Verlust begrenzen und als Zielversorgung des Ausgleichs die gesetzliche Rentenversicherung wählen. Die brächte zwar zum Stichtag ebenfalls nur eine Rente von ca. 360 € monatlich, unterstellt man aber realistisch eine Dynamik der gesetzlichen Rentenversicherung von 2 % (derzeit ist die Dynamik weit größer), errechnet sich für den 50-järigen Ausgleichsberechtigten eine Rentenerwartung von 506 € im Alter von 67 und das, obwohl zusätzlich Invaliditäts- und Hinterbliebenenversorgung abgesichert wären.

Der BGH hat in einer Entscheidung aus dem Jahr 2016 das Dilemma der Halbteilungsverfehlung durch die vom Gesetzgeber zugelassene Teilung werthaltiger betrieblicher Versorgungen in § 17 VersAusglG erkannt. Gleichwohl hat er die Ergebnisse gebilligt, weil bei gegenläufiger Entwicklung der Zinssätze ein umgekehrter Effekt eintreten könne (BGH v. 22.6.2016 – XII ZB 664/14 Rz. 21, FamRZ 2016, 1654 = FamRB 2016, 380). Die damalige Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist kritisiert worden, weil der Halbteilungsgrundsatz für jede einzelne Ehe zu wahren ist und der im Jahr 2009 geschiedene Ehegatte nicht weniger über die Verfehlung der Halbteilung in seinem Fall empört sein wird, weil der zehn Jahre später geschiedene Ehegatte durch die externe Teilung profitieren kann.

Es ist daher begrüßenswert, dass das OLG Hamm eine verfassungsgerichtliche Entscheidung herbeiführt (Vorlagebeschluss des OLG Hamm v. 17.10.2018 – 10 UF 178/17, FamRZ 2019, 688). Ebenso begrüßenswert ist es, dass das BVerfG die mündliche Verhandlung langfristig und öffentlich angekündigt (Pressemitteilung des BVerfG v. 17.1.2020). Nun muss das BVerfG bei Zulässigkeit eines Vorlagebeschlusses immer mündlich verhandeln (§ 82 Abs. 3 BVerfGG), Vorfreude auf verfassungsgerichtlich durchgesetzten Gerechtigkeitsgewinn ist daher allein gestützt auf die Anberaumung eines mündlichen Verhandlungstermins nicht angezeigt. Die Hürde der Zulässigkeit hat allerdings der Vorlagebeschluss des OLG Hamm erfreulicherweise schon einmal übersprungen. Das lässt hoffen, sollen doch einige die Unzulässigkeit des Antrags gerügt haben.

Die Anwaltschaft sollte nun erst recht in Verfahren, in denen Anrechte aus der betrieblichen Altersversorgung extern geteilt werden sollen und eine Einzahlung des Ausgleichswerts in die gesetzliche Rentenversicherung nicht möglich ist (weil die ausgleichsberechtigte Person schon Altersrentner ist, § 187 SGB VI), Handlungsalternativen genau abwägen, ob das Versorgungsverfahren bis zur Entscheidung des BVerfG ausgesetzt oder der externe Ausgleich akzeptiert wird.

  • Wird vom ausgleichsberechtigten Gatten noch keine Versorgung bezogen, ist die gesetzliche Rentenversicherung immer die richtige Zielversorgung, solange der Rechnungszins der Quellversorgung <=3 % beträgt. Diese erbringt in diesen Fällen eine höhere Altersversorgung als die zu teilende Betriebsrente, wenn man die der Betriebsrente meist fehlende Anwartschaftsdynamik berücksichtigt.
  • Bezieht die ausgleichsberechtigte Person eine Invaliditätsversorgung aus der gesetzlichen Rentenversicherung, ist die externe Teilung in die gesetzliche Rentenversicherung die richtige Option, weil die Invaliditätsversorgung um die aus den aus dem Ausgleichswert gebildeten Entgeltpunkte angehoben würde und aus der Versorgungsausgleichskasse und fast immer auch bei interner Teilung des Anrechts aus der betrieblichen Versorgung keine Invaliditätsrente gezahlt wird.
  • Bezieht der ausgleichsberechtigte Gatte bereits eine bindend bewilligte Vollrente wegen Alters, betrüge der Versorgungsverlust bei Ausgleich des Betrages in die Versorgungsausgleichskasse ca. 30 % gegenüber der internen Teilung des Anrechts. Es ist daher abzuwägen, ob das Zuwarten und Hoffen auf eine positive Entscheidung des BVerfG den Nachteil des Rentenverlusts aufwiegt. Eine Versorgungsbegründung in der gesetzlichen Rentenversicherung durch externe Teilung eines betrieblichen Anrechts ist in diesen Fällen nicht mehr möglich (§ 187 Abs. 4 SGB VI).

Religion und Familienrecht? Ein aktuelles Thema? (angeregt durch die Diskussion auf dem 14. Symposium für Europäisches Familienrecht v. 14. bis 16.3.2019 in Regensburg)

Nach 14 Länderberichten war man sich einig: Das europäische Familienrecht ist weitgehend säkularisiert. Zwar finden sich in fast allen europäischen familienrechtlichen Kodifikationen noch Spurenelement kirchlichen Rechts, diese ausfindig zu machen ist aber etwas für Professor Börne aus dem Tatort Münster.

Doch warum kann eine Ehe vor dem Standesbeamten geschlossen werden, ist aber immer noch in den meisten Ländern vom Richter zu scheiden? Warum verlangt der Gesetzgeber in den meisten Staaten einen Scheidungsgrund, wenn ein Ehegrund nicht erhoben wird, und der deutsche Gesetzgeber von den Ehegatten ein Trennungsjahr?

Das heutige Ehe- und Scheidungsrecht ist der Nukleus des Kulturkampfes der weltlichen gegen die kirchliche Macht mit ihrem sakramentalen Eheverständnis. Dieses Eheverständnis war vom Mittelalter bis in die frühe Neuzeit ein wirkliches Erfolgsmodell, sicherte es doch zunächst der Kirche mit rigider Sexualmoral und dem Verbot der Verheiratung unterschiedlicher Glaubensangehörigen und später den aufkommenden Nationalstaaten den Nachwuchs und dessen Erziehung, den legislativ entrechteten Frauen Unterhalt und dem (meist) väterlichen Vermögen eine gesicherte Erbnachfolge. Dies wurde flankiert von der Strafbarkeit des Ehebruchs, für Frauen oft weit strenger und mit dem Tode geahndet als für Männer, und dem Verbot außerehelichen Geschlechtsverkehrs.

War die Ehe im römischen Recht noch ein privater Vertrag der Ehegatten, wurde sie im Mittelalter sakramental aufgeladen und unauflösbar. Das ist europäisches Kulturgut geworden, auch wenn die religiösen Elemente des Ehe- und Familienrechts nur noch wie ein kaum wahrnehmbarer Basso Continuo schwingen. Warum sonst hätten wir uns nicht schon längst von § 1353 Abs. 1 BGB emanzipiert, wonach die Ehe auf Lebenszeit geschlossen wird. Wissen wir doch um die Unhaltbarkeit dieses Versprechens. Niemand lässt sich heute nicht scheiden, weil er die Ehe lebenslänglich versprochen hat. Wenn die Rechtsordnung dazu dient, die Bürger mit dem Staat zu versöhnen, müsste dieser doch ein Eherecht schaffen, das es dem Bürger leicht macht, eine missraten gewordene Beziehung aufzugeben. Und wenn wir schon beim Grundsätzlichen sind: Wenn es richtig ist, dass die Ehe durch übereinstimmende Willenserklärung der Heiratenden zustande kommt, die sich versprechen, in der Ehe füreinander zu sorgen, kann man dieses Versprechen doch nicht auf die Zeit nach deren Beendigung ausdehnen.

Es wäre zu diskutieren, mit welchem Recht der Staat für das privateste aller Verhältnisse, nämlich die intime Bindung zweier Menschen ein so opulentes Regelwerk für dessen Beendigung vorhält. Die legislative Entrechtung eines Ehegatten (meist der Frau) durch die Ehe ist Rechtsgeschichte. Die verbliebene gesellschaftliche Diskriminierung von kindererziehenden und haushaltführenden Ehegatten hat mit Kindern und Haushalt etwas zu tun, nicht aber mit der Ehe. Kinder werden auch außerhalb einer Ehe gezeugt, geboren und erzogen[1] und Haushalte auch von Nichtverheirateten geführt, weil das unverheiratete Zusammenleben nicht mehr verboten ist.

Insoweit ist es vielleicht konsequent, wenn die Spanier beiden Ehegatten nach dreimonatiger Ehe den ‚talaq‘ der Notarscheidung anbieten und Slovenen und Kroaten die verfestigte nichteheliche Lebensgemeinschaft nach unterschiedlichen zeitlichen und personalen Voraussetzungen den güterrechtlichen Regelungen der Ehe unterwerfen. Allen Freigeistern zur Beruhigung: Die Lebensgefährten können den Opt-Out wählen. Wir sollten also keine Angst davor haben, die Ehe zu privatisieren. Es täte den Bürgern vielleicht sogar gut.

[1] In Deutschland werden heute schon mehr als 35 % der Kinder nicht mehr in einer Ehe geboren, in Frankreich sind es 64 %.

Die Entzauberung des Zauberworts von der Funktionsäquivalenz oder: Wieviel Schutz brauchen Ehegatten? (zu BGH v. 20.6.2018 – XII ZB 84/17)

In seiner Entscheidung v. 20.6.2018 – XII ZB 84/17 leitsatzt der BGH, die richterliche Ausübungskontrolle von Eheverträgen diene nicht dazu, dem durch den Ehevertrag belasteten Ehegatten zusätzlich entgangene ehebedingte Vorteile zu gewähren und ihn dadurch besser zustellen, als hätte es die Ehe und die mit der ehelichen Rollenverteilung einhergehende Disposition über Art und Umfang seiner Erwerbstätigkeit nicht gegeben. Gleichzeitig hegt der BGH die unter dem Stichwort der Funktionsäquivalenz teilweise heranwachsenden Wünsche ein: Bei modifiziertem Zugewinnausgleich oder vereinbarter Gütertrennung ist auch im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung eine güterrechtliche Kompensation mangelnden Versorgungserwerbs nicht erforderlich, wenn der ehezeitliche Versorgungserwerb in einem dem Versorgungsausgleich unterliegenden primären Versorgungssystem ausreichend ist, dem Versorgungsberechtigten eine selbstständige (Basis-)Absicherung für den Fall von Alter oder Invalidität zu bieten. Für ein über die Halbteilung der berufsständischen Versorgungsanrechte hinausgehendes „Hinübergreifen“ auf das güterrechtliche Ausgleichssystem im Wege richterlicher Ausübungskontrolle bestehe jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Funktionsäquivalenz kein Raum (Rz. 27).

Die von „Ehevertragsreue“ gekennzeichnete Berufung eines Ehegatten im Scheidungsfall auf versorgungsrechtliche Benachteiligung durch Gütertrennung oder Modifikation der Zugewinnausgleichsgemeinschaft ist mit dieser Entscheidung weitgehend verstellt. Der Ehemann (Arzt) hatte in der Ärzteversorgung in 17-jähriger Ehe eine Versorgung von rund 709 € monatlich aufgebaut und damit einen jährlichen Versorgungserwerb in Höhe von knapp 42 € Monatsrente realisiert. Die Funktion eines primären Altersversorgungssystems sei es, dem Versorgungsberechtigten eine „selbstständige Basis-Absicherung für den Fall von Alter oder Invalidität zu bieten“. Bei einem Versorgungserwerb von 42 € Monatsrente pro Erwerbsjahr sei dieser Zweck erfüllt.

Einen den Ehevertrag durch ergänzende Vertragsauslegung zu korrigierenden ehebedingten Nachteil der Ehefrau vermochte der BGH nicht zu erkennen. Diese hätte, wenn sie ihren Beruf als Produktdesignerin ehezeitlich ausgeübt hätte, 19,32 Entgeltpunkte in der gesetzlichen Rentenversicherung erwerben können, was einem Kapitalwert i.H.v. 110.399,89 € entspräche. Der Kapitalwert des Ausgleichswerts der Ärzteversorgung habe 66.297 € betragen. Die Differenz zum fiktiven eigenen Versorgungserwerb der Ehefrau werde durch den ehevertraglich modifizierten Zugewinnausgleich (Teilhabe an zwei Kapitallebensversicherungen des Ehemannes) ausgeglichen.

Die Entscheidung macht deutlich: Wer einen Ehevertrag schließt, kann auch bei längerer Ehe nicht davon träumen, dessen Regelungen so einfach auszuhebeln. Die Ehe ist ein privatrechtliches Versprechen zweier Personen, dessen Bedingungen weitgehend privatautonom gestaltet werden können und dessen Folgewirkungen durch die Rechtsordnung nur öffentlich-rechtlich determiniert sind. Der staatlich zu garantierende Schutz des „schwächeren“ Ehegatten beschränkt sich auf den Ausgleich ehebedingter Nachteile, nicht aber auf die Teilhabe an ehebedingten Vorteilen, wenn die Ehegatten diesen Vorteilserwerb abbedungen haben. Dies entspricht einem modernen Eheverständnis, das der Privatautonomie den notwendigen Atmungsraum gewährt und diesen nur dann begrenzt, wenn ehebedingte Nachteile planwidrig nicht kompensiert werden, was Kompensationsfähigkeit voraussetzt.

Die Ehe ist im 21. Jahrhundert keine Institution zu Versorgungssicherung oder Vermögensmehrung. Sie ist eine freiwillig begründete Lebens- und Austauschgemeinschaft volljähriger gleichberechtigter Menschen, die des gesetzlichen Schutzes nur in Ausnahmefällen bedürfen.