Kein Verlust sorgerechtlicher Kompetenzen allein aufgrund religiöser Zugehörigkeit (KG v. 5.9.2022 – 16 UF 64/22)

Der Umsetzung medizinischer Maßnahmen für ein Kind können, aus der Religionszugehörigkeit eines oder beider Elternteile folgend, Hindernisse entgegenstehen, etwa die Verweigerung auch medizinisch indizierter Bluttransfusionen. Gehört ein Elternteil jedoch der jeweils verweigernden Religionsgemeinschaft nicht an, so kann sich die Frage ergeben, ob das Kindeswohl die Übertragung der elterlichen Sorge – zumindest in Teilbereichen – auf diesen Elternteil erfordert, um im Notfall ein unverzügliches Handeln zu gewährleisten. Mit einem entsprechenden Sachverhalt hat sich das KG befasst.

In dem zugrundeliegenden Sachverhalt beantragte der Vater des 2009 geborenen Kindes die Übertragung der alleinigen Entscheidungsbefugnis zur Vornahme einer Bluttransfusion bzw. zu Operationen, für die eine Bluttransfusion erforderlich sein könnte unter Verweis auf die Zugehörigkeit der Mutter zu den Zeugen Jehovas und deren Ablehnung entsprechender Behandlungen. Gegen die Entscheidung des Ausgangsgerichts, durch die dem Vater antragsgemäß die Entscheidungsbefugnis übertragen wurde, legte die Mutter Beschwerde ein. Der Senat hat die Ausgangsentscheidung abgeändert und den Antrag des Vaters zurückgewiesen.

Zur Begründung hat er ausgeführt, dass der Antrag nicht auf § 1628 Satz 1 BGB gestützt werden könne, da es sich bei der beantragten Entscheidung nicht um eine einzelne Angelegenheit oder bestimmte Angelegenheit der elterlichen Sorge handele. Auch die Übertragung dieses Teilbereichs der elterlichen Sorge nach § 1671 BGB sei nicht gerechtfertigt, da es ansonsten der Mutter verwehrt werde, bei schwerwiegenden Erkrankungen des Kindes, in eigener Verantwortung, unter Berücksichtigung des Kindeswillens und im gegenseitigen Einvernehmen mit dem Vater, zum Wohl des Kindes die beste medizinische Behandlung auszuwählen. Allein aus ihrer derzeit ablehnenden Haltung könne nicht geschlossen werden, dass sie sich, sollte ein Rückgriff auf von ihr akzeptierte alternative Behandlungsmethoden nicht möglich oder nicht hinreichend erfolgversprechend sein, auf Kosten der Gesundheit oder das Leben ihres Kindes gleichwohl gegen eine Transfusion entschieden werde. Im Notfall würden sich die behandelnden Ärzte zudem am mutmaßlichen Willen des Patienten bzw. seiner Eltern orientieren. Sei dieser Wille nicht zweifelsfrei zu ermitteln, so werde vermutet, dass eine erforderliche Transfusion im wohlverstandenen Interesse des Patienten liege. Selbst soweit im Notfall nur die Mutter als allein vertretungsberechtigte Person vorhanden wäre und die Transfusion verweigere, bedürfe es vorab einer gerichtlichen Entscheidung gem. § 1666 BGB, da eine missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge im Raum stehe. Verbleibe keine Zeit für die gerichtliche Entscheidung, so liege ein Notfall vor, in dem der Arzt verpflichtet sei, das Leben und die Gesundheit des Kindes durch medizinisch notwendige Maßnahmen zu schützen.

In seiner Entscheidung richtet das KG den Blick auf die für die Praxis bedeutsame Differenzierung zwischen den Anwendungsbereichen des § 1628 BGB sowie des § 1671 BGB. Gerade soweit lediglich nur Teilbereiche der elterlichen Sorge im Streit sind, werden häufig die jeweiligen tatbestandlichen Voraussetzungen nicht ausreichend beachtet.

§ 1628 BGB Norm findet ausschließlich im Zusammenhang mit konkret situativen Entscheidungen Anwendung, d.h., wenn die Eltern zu einer spezifischen Einzelangelegenheit, die für das Kind von wesentlicher Bedeutung ist, kein Einvernehmen erzielen können. Derart „punktuell-sachbezogene Konflikte“ können sich etwa auf den Besuch einer bestimmten Schule oder die Durchführung eines konkreten medizinischen Eingriffs richten. Das Gericht überträgt sodann die Entscheidungskompetenz zu der konkreten Angelegenheit jenem Elternteil, dessen Vorschlag dem Kindeswohl am besten entspricht, ohne dass im Übrigen jedoch in das Recht der elterlichen Sorge eingegriffen wird, d.h., das Gericht ist nicht zu einer eigenen Sachentscheidung befugt.

Davon abzugrenzen ist die auf § 1671 BGB gestützte Übertragung eines Teilbereichs der elterlichen Sorge, d.h. etwa die Entscheidungsbefugnis zu schulischen Angelegenheiten in ihrer Gesamtheit oder der gesamten medizinischen Versorgung des Kindes. Hier intendiert die gerichtliche Entscheidung zwingend einen Eingriff in das Recht der elterlichen Sorge, d.h., auf der Grundlage der nach § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB durchzuführenden doppelten Kindeswohlprüfung weist das Gericht in seiner Entscheidung den beantragten Teilbereich der Sorge einem Elternteil zur Ausübung zu, so dass dieser Elternteil künftig in diesem Teilbereich zu allen Einzelfragen allein entscheidungsbefugt ist.

Ein auf § 1671 BGB gestützter Antrag enthält daher immer als „Minus“ auch einen Antrag nach § 1628 BGB, so dass auch eine Umdeutung möglich ist.

Versorgungsausgleich & Barwertberechnung mit ChatGPT?

Versorgungsausgleich & Barwertberechnung mit ChatGPT?

Im Jahr 2020 hat Daniel Kehlmann versucht, im Dialog mit einem mit künstlicher Intelligenz bestückten Rechner eine Kurzgeschichte zu schreiben. Die Kurzgeschichte dieses Scheiterns ist unter dem Titel „Mein Algorithmus und Ich“ erschienen.

Der augenblickliche Hype um ChatGPT hat mich animiert, seine versorgungsausgleichsrechtliche Leistungsfähigkeit zu testen. Das literarische Scheitern der KI bei der Koproduktion einer Kurzgeschichte im Kopf (und Bücherschrank) mache ich die Fallprobe:

Auskunft eines betrieblichen Versorgungsträgers über einen ehezeitlichen Versorgungserwerb von 446 € reine Altersrente im Monat, Alter des Mannes 50 Jahre, Renteneintrittsalter 67. Der Versorgungsträger gibt als Rechnungszins BilMoG-10 an, mehr nicht. Auszugleichen ist also eine Rente in Höhe von 223 € monatlich.

ChatGPT startet und ist – es ist Sonntag – gerade einmal nicht überlastet. In die Eingabezeile tippe ich ein:

Barwert Rente 2.676 € jährlich für 50-jährigen Mann ab Renteneintrittsalter 67, Rechnungszins BilMoG-10, Stichtag 31.12.2022

Es dauert einige Sekunden und das Programm antwortet:

Der Rechnungszins BilMoG-10 bezieht sich auf den Zinssatz, der gemäß dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz von 2009 für die Bewertung von Pensionsverpflichtungen herangezogen wird. Der Zinssatz wird von der Deutschen Bundesbank veröffentlicht und wird jährlich aktualisiert. Zum Stichtag 31.12.2022 beträgt der Rechnungszins BilMoG-10 1,02 %. [das ist falsch, richtig wäre 1,78 %].

Um den Barwert einer Rente von 2.676 € jährlich eines 50-jährigen Mannes mit einem Renteneintrittsalter von 67 Jahren und einem Rechnungszins BilMoG-10 zum Stichtag 31.12.2022 zu berechnen, müssen wir die folgenden Schritte durchführen:

  1. Bestimme die Anzahl der Zahlungen, die während der Rentenzeit gemacht werden, d.h. die Anzahl der Jahre, die der Mann in Rente sein wird. Hier beträgt die Rentenzeit 67 – 50 = 17 Jahre.[das ist falsch, die Anwartschaftszeit beträgt 17 Jahre, die Rentenzeit rd. 20,6 Jahre].
  2. Berechne den Barwert der jährlichen Rentenzahlungen, indem du jeden Betrag durch den entsprechenden Diskontfaktor dividierst, der sich aus dem Rechnungszins und der Anzahl der Zahlungen ergibt. Der Diskontfaktor kann mithilfe der Formel (1 + r)^-n berechnet werden, wobei r der Rechnungszins und n die Anzahl der Zahlungen ist.
  3. Der Diskontfaktor für das erste Jahr beträgt (1 + 0,0102)^-1 = 0,9899. Der Diskontfaktor für das zweite Jahr beträgt (1 + 0,0102)^-2 = 0,9798. Dies wird für jedes Jahr der Rentenzeit durchgeführt.
  4. Addiere alle Barwerte der jährlichen Rentenzahlungen zusammen, um den Gesamtbarwert der Rente zu erhalten.

Hier ist die Berechnung:

Barwert der Rente = 2.676 x ((1 – (1 + 0,0102)^-17)/0,0102) x (1/ (1 + 0,0102)^1) Barwert der Rente = 2.676 x 13,626 x 0,9899 Barwert der Rente = 36.884,71 €

Daher beträgt der Barwert einer Rente von 2.676 € jährlich eines 50-jährigen Mannes mit einem Renteneintrittsalter von 67 Jahren und einem Rechnungszins BilMoG-10 zum Stichtag 31.12.2022 etwa 36.884,71 €.

Ein Blick in die Auskunft des Versorgungsträger führt zu Irritationen. Dieser gibt als von ihm errechneten Kapitalwert für die externe Teilung 35.130 € an, teilt aber keinen Rententrend mit. Erst der Blick in die Versorgungsordnung gibt Klarheit, der Rente liegt eine Leistungsdynamit (Rententrend) von 1 % zugrunde.

Also kontrolliere ich:

  1. Der BilMoG-10 Zinssatz beträgt zum Stichtag 31.12.2022 nicht 1,02 %, sondern 1,78 %.
  2. Die Anwartschaftszeit von 17 Jahren ist richtig angenommen, die Leistungszeit teilt das Programm nicht mit, ist aber offensichtlich mit 20 Jahren angenommen worden; das ist vertretbar, nach der Generationensterbetafel wären 20,6 Jahre zutreffend.

Und dann kontrolliere ich die Berechnung mit den Richttafeln Heubeck-2018-G[1] und ermittle für den von ChatGPT angenommenen Rechnungszins von 1,02 % einen Barwertfaktor für die reine Altersrente von 14,380 und damit einen Ausgleichswert von 38.480 €. Das Programm Kapitalwertkontrolle 2023[2] zeigt einen Ausgleichswert von 37.423 € an ChatGPT liegt also – unter Annahme des zu niedrigen Rechnungszinses – nicht verkehrt.

Mit dem richtigen BilMoG-10-Zins von 1,78 % errechnet sich nach Heubeck ein Ausgleichsbetrag in Höhe von 31.140 € und mit dem Programm Kapitalwertkontrolle 2023 von 30.496 € und nach ChatGPT?

„Daher beträgt der Barwert einer Rente von 2.676 € jährlich eines 50-jährigen Mannes mit einem Renteneintrittsalter von 67 Jahren und einem Rechnungszins von 1,78 % etwa 31.468,28 Euro.“

Damit kann der Familienrechtler leben.

Rechnet man nun noch die Leistungsdynamik von 1 % Rentensteigerung pro Jahr ab Renteneintrittsalter ein, ergibt sich bei Heubeck ein Barwert von 35.077 € und mit dem Programm Kapitalwertkontrolle ein Barwert von 33.778 €. Der vom Versorgungsträger mitgeteilte Barwert von 35.130 € geht also in Ordnung.

So ganz ersetzt ChatGPT den Versorgungsausgleichsrechtler aber noch nicht. Wünscht man eine Berechnung unter Einschluss von Invaliditäts- und Hinterbliebenenabsicherung (60 %) und/oder einer Leistungsdynamik von 1 %, dauert es deutlich länger (offenbar ziert sich das Programm ein wenig), bis dann unsinnige Ergebnisse produziert werden. Aber was noch nicht ist, kann ja noch werden. Das Programm lernt ja noch und es ist erst ein paar Monate alt.

Ihnen wird beim ersten Hinschauen auf die von ChatGPT verwendeten Formeln auch sicher aufgefallen sein, dass sich in die Berechnung einige „Flüchtigkeitsfehler“ eingeschlichen haben. Das Ergebnis ist aber recht passabel. Zufall?

Und was ist jetzt mit meinem Fall? Der Versorgungsträger will die externe Teilung. Soll er sie aus seinem halbwegs plausiblen Ausgleichswert haben. In der gesetzlichen Rentenversicherung als Zielversorgung liegt der Rentenertrag für meine Mandantin rd. 73 % über dem Rentenertrag aus der Quellversorgung. Ich kann es einfach nicht lassen und frage ChatGPT nach der richtigen Zielversorgung. Da schwächelt ChatGPT:

Der Versorgungsausgleich ist ein wichtiger Bestandteil des deutschen Familienrechts und soll sicherstellen, dass bei einer Scheidung die während der Ehezeit erworbenen Rentenansprüche beider Ehepartner ausgeglichen werden. Dabei gibt es zwei Möglichkeiten: die interne und die externe Teilung. … Bei der externen Teilung werden die Rentenanwartschaften auf einen anderen Rentenversicherungsträger übertragen.

Wählt man die externe Teilung, so muss man sich für eine Zielversorgung entscheiden. … Die Wahl der Zielversorgung sollte wohlüberlegt sein, da sie Einfluss auf die Höhe der späteren Rente haben kann.

Bei der Wahl der Zielversorgung sollte man darauf achten, dass die Rentenversicherung solide und zuverlässig ist und eine ausreichende Rendite erwirtschaftet, um später eine angemessene Rente zu garantieren. …

Es ist empfehlenswert, sich von einem Fachanwalt für Familienrecht oder einem unabhängigen Versicherungsmakler beraten zu lassen, um die bestmögliche Wahl der Zielversorgung zu treffen.

ChatGPT setzt also doch (noch) auf „natürliche Intelligenz“. Wie lange noch? Ich schau in einem Jahr noch einmal nach und werde berichten.

PS: Wer es genau wissen will, kann die Berechnung anhand der nachfolgenden Tabellen prüfen (drauf klicken und es kommt eine größere Version):

[1] Das Programm kann für rd. 1.000 € käuflich erworben werden.

[2] Das Programm kann kostenlos unter https://www.famrb.de/muster_formulare.html beim FamRB heruntergeladen werden.

Teilungsordnungen auf dem Prüfstand

Der FamRB hatte um Hilfe gebeten (https://blog.otto-schmidt.de/famrb/2022/08/16/hilfeaufruf-an-die-famrb-leser-gefahr-aus-der-teilungsordnung/) und hat Hilfe bekommen und bekommt sie auch weiterhin, danke dafür.

Der FamRB revanchiert sich und präsentiert Ihnen eine Liste mit mittlerweile dank Ihrer tatkräftigen Unterstützung nahezu 300 Teilungsordnungen. Nur ein kleiner Bruchteil dieser Teilungsordnungen sind aus unserer Sicht wirklich in Ordnung und nicht zu beanstanden. Zudem haben wir in diese Liste Entscheidungen der Gerichte zu beanstandungswürdigen Teilungsordnungen aufgenommen – ohne Anspruch auf Vollständigkeit eine beeindruckende und für die Versicherer mindestens peinliche Anzahl.

Das werthaltigste Problem ist die Ziffer 5 der Teilungsordnungen, die manchmal auch an anderer Stelle zu finden ist und in der geregelt ist, dass die zu Gunsten der ausgleichsberechtigten Person zu begründende Versorgung zu den „im Zeitpunkt der Rechtskraft der Entscheidung geltenden aktuellen Versicherungsbedingungen“ begründet wird. Wenn im Tenor einer Entscheidung über den Versorgungsausgleich auf eine derartige Teilungsordnung unkorrigiert verwiesen wird, sollten Anwälte am besten gleich ihre Haftpflichtversicherung informieren. Im statistisch häufigsten Scheidungsfall eines 50-jährigen Mannes, der im Jahr 1995 eine private oder als betriebliche Direktversicherung begründete Rentenversicherung abgeschlossen hat, führt das zu einem Versorgungsverlust der ausgleichsberechtigten Person von bis zu gut 73 % oder anders ausgedrückt: Aus 10.000 € Ausgleichswert erhält die ausgleichsberechtigte Person statt rd. 131 € Monatsrente nur rd. 50 €. Leider profitiert davon in unserem Fall nicht der Mann, sondern die Versicherung. Es liegt daher auch im Interesse der ausgleichspflichtigen Person, darauf zu achten, dass eine solche Vernichtung ehelich erworbenen Vermögens unterbleibt.

Daneben findet sich Erstaunliches:

Viele Teilungsordnungen ermöglichen einen „doppelten Abzug der Teilungskosten“, indem sie diese bereits bei der Ermittlung des dem Gericht vorgeschlagenen Ausgleichswerts berücksichtigen und dann formulieren, dass die Versorgung zu Gunsten der ausgleichsberechtigten Person aus dem vom Gericht festgelegten Ausgleichswert „abzüglich der Teilungskosten“ begründet wird. In Großbritannien wäre das eine Straftat (contempt of court), in Deutschland nur ein lohnendes Geschäft, weil es kaum jemand merkt. Wie soll die ausgleichsberechtigte Person feststellen, ob die zu ihren Gunsten zu begründende Versorgung aus dem gerichtlich festgelegten Ausgleichswert von 50.000 € oder 49.500 € begründet wurde?

Auch behalten sich manche Versorgungsträger vor, den vom Gericht titulierten Ausgleichswert eigenmächtig zu korrigieren, indem Veränderungen des Ausgleichswerts zwischen Ehezeitende und Rechtskraftzeitpunkt vom Versorgungsträger in den Ausgleichswert eingepflegt werden.

Und schließlich – dies könnte die Praxis leicht korrigieren – nehmen es einige Versorgungsträger mit der Teilhabe der ausgleichsberechtigten Person an der Wertentwicklung zwischen Ehezeitende und Rechtskraft „nicht so genau“. Sie begründen aus dem gerichtlich festgelegten Ausgleichswert die Versorgung zum Zeitpunkt der Rechtskraft und nicht „bezogen auf das Ehezeitende“. Wenn da die Verzinsung des Ausgleichswerts in diesem Zeitraum nicht vom Gericht angeordnet wurde, kann bereits bei einer Verfahrenslaufzeit von nur zwei Jahren eine Versorgungsverlust von fast 10 % auftreten.

In der Liste der Teilungsordnungen haben wir zunächst unser Augenmerk nur auf die berüchtigte Ziffer 5 (s.o.) gerichtet. Erst später fiel auf, dass auch andere Punkte kritikwürdig sind. Nach Abschluss unserer Sammlung werden wir die Teilungsordnungen nochmals auf die weiteren Kritikpunkte überprüfen und das Ergebnis dann neu werten und publizieren.

Vorab nur schon einmal ein „Mustertenor“ mit einer Maßgabeanordnung, der die wichtigsten Probleme einer Teilungsordnung vermeidet:

„Zu Lasten des Anrechts der <ausgleichspflichtigen Person> bei der <Versorgungsträger nebst Vers.-Nr.> wird zu Gunsten der <ausgleichsberechtigten Person> bezogen auf den <Ehezeitende> eine Versorgung aus einem Ausgleichswert in Höhe von <#.###.##0 € (Kapital/Rente)> nach Maßgabe der Teilungsordnung <des Versorgungsträgers in der Fassung vom …> mit der Maßgabe begründet, dass

  • abweichend von <> der Teilungsordnung auf das zu begründende Anrecht Rechnungszins und Sterbetafel der auszugleichenden Versorgung anzuwenden sind und
  • abweichend von <Ziff. … > der Teilungsordnung ein Abzug der Teilungskosten vom titulierten Ausgleichsbetrag unzulässig ist und
  • abweichend von <> der Teilungsordnung das zu begründende Anrecht an der Wertentwicklung zwischen Ehezeitende und der Rechtskraft der Entscheidung teilzuhaben hat und der gerichtlich festgelegte Ausgleichswert mindestens mit dem Rechnungszins der auszugleichenden Versorgung zu verzinsen ist.“

Abschließend noch zwei Bitten:

  • Schicken Sie uns Ihnen vorliegende Teilungsordnungen, die in der Liste nicht erfasst sind, auch weiterhin ein. Die Liste wird ständig weiter aktualisiert und steht in aktualisierter Form zum Download bereit.
  • Vergessen Sie bitte nie, im Fall einer externen Teilung die Verzinsung des Ausgleichswerts zwischen Ehezeitende und Rechtskraft zu beantragen. Nur bei der gesetzlichen Rentenversicherung ist das entbehrlich, weil das auszugleichende Anrecht dann bezogen auf das Ehezeitende begründet wird und an der Dynamik der gesetzlichen Rentenversicherung teilnimmt (gemeinerweise kann aber u.U. auch hier die Verzinsung günstiger sein).

Zu der aktuellen Liste kommen Sie hier: Beanstandungsliste Teilungsordnungen 1-2023!

 

Düsseldorfer Tabelle 2023 (Erwiderung auf Schwamb v. 20.12.2022)

Schwamb greift in seinem Beitrag die zu den Kontroversen bekannten Argumente auf, vernachlässigt dabei aber, dass sich die strittigen Punkte deshalb ergeben, weil die gesetzlichen Grundlagen der einzelnen Berechnungen längst nicht mehr mit den aus den Anfangsjahren des Unterhaltsrechts stammenden Maßstäben vergleichbar sind. Die strukturellen Veränderungen der letzten Jahrzehnte erfordern es, dass die Rechtsprechung die bisher angewandten Methoden auf ihre Eignung hinterfragt und die gewonnenen Ergebnisse auf ihre Angemessenheit und Stimmigkeit im Gesamtsystem überprüft.

Der um die Differenz zwischen zweiter und dritter Altersstufe erhöhte Bedarf volljähriger Kinder war schon seit den 1980er Jahren gebräuchlich (vgl. Hammer Leitlinien, Ziff. 18, FamRZ 1988, 1017); die Rechtsprechung zur Bemessung des Wohnkostenanteils mit 20 % des Tabellenwerts reicht zumindest bis in die 1990er Jahren zurück (vgl. Münch. Leitlinien 1996 Ziff. 4.1, FamRZ 1995, 1551). In dieser Zeit galt für die Eingangsstufe der Düsseldorfer Tabelle der Regelbedarf (§ 1515f BGB), dessen Höhe letztlich nicht durch ein wie auch immer berechnetes Existenzminimum, sondern durch die Leistungsfähigkeit bei kleinen Einkommen geprägt war (instruktiv BR-Drucks. 271/70). Dieselben Erwägungen galten auch noch für das Kindesunterhaltsgesetz von 1998 (BT-Drucks. 13/7338, 22; BT-Drucks. 13/9596, 31). Einen Bezug zum Existenzminimum stellte erstmals das Änderungsgesetz vom 2.11.2000 mit der Neufassung des § 1612b Abs. 5 BGB her (BT-Drucks. 14/3781, 8). Das Unterhaltsänderungsgesetz von 2008 ersetzte schließlich die sachwidrige 135 %-Regelung des § 1612b Abs. 5 BGB (BVerfGE 108, 52 Rz. 54) durch den steuerlichen Kinderfreibetrag, um den Kindesunterhalt anhand einer bundeseinheitlich geltenden Pauschale zu bestimmen. Dieser Freibetrag beruhe – so die Gesetzesbegründung – auf konkreten Zahlen zum Lebensbedarf und den Wohnkosten, so dass die Vorgaben für die Unterhaltspflichtigen und -berechtigten unmittelbar einsichtig und nachvollziehbar seien (BT-Drucks. 16/1830, 27). Dies gilt ohne weiteres für den offen ausgewiesenen Teilbetrag der Wohnkosten. In der Summe entsprechen 100 % des Mindestunterhalts dem vom Gesetz angestrebten Ergebnis; hier nicht erfasste Bedarfe begründen ohnehin einen Zusatzbedarf. Allerdings ist es mehr als nur ein Schönheitsfehler, wenn die gesetzlich vorgegebene Spreizung des Mittelwerts die methodischen Mängel der früheren Regelung beibehält und so das angestrebte Normziel für die jüngeren und älteren Kinder verfehlt. Dies zu korrigieren ist indes Aufgabe des Gesetzgebers. Andererseits kommen die Gerichte nicht daran vorbei, ihrerseits zu prüfen, ob angesichts dieses Befunds für volljährige Kinder eine nochmals höhere Steigerungsrate sachgerecht ist und das auf diese Weise ermittelte Ergebnisse dem vom Gesetz angestrebten Ziel eines existenzsichernden Mindestbedarfs entspricht. Es befremdet in der Tat, wenn sich für volljährige Schüler ein geringerer Bedarf errechnet, als er für die nur etwas jüngeren Geschwister gelten soll. Insofern gibt es gute Gründe, nicht allein auf den sozialrechtlichen Mindestbedarf abzustellen, zumal der Gesetzgeber mit der Privilegierung des § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB von vergleichbaren Lebensverhältnissen der noch in der Schulausbildung befindlichen Kinder ausgegangen ist. Dies rechtfertigt es, an dem – ohnehin schon erhöhten – Bedarf der 3. Altersstufe festzuhalten. Wer aber ungeachtet der veränderten Bezugsgrößen die bisherige Praxis eines um nochmals 8 % erhöhten Tabellensatzes beibehalten will, muss schon begründen, weshalb erst diese Berechnung zum existenznotwendigen Barbedarf führt. Man kann der Meinung sein, dass Jugendliche und junge Erwachsene einen höheren Wohnbedarf haben als Kleinkinder und entsprechendes auch für den persönlichen Schulbedarf gelten solle. Persönliche Überzeugungen eignen sich jedoch ebenso wenig für eine sachbezogene Begründung wie der Verweis auf eine über allen Instanzen hinweg unverändert praktizierte Rechtsprechung. Vielmehr wären die einzelnen Positionen anhand empirisch belegter Werte konkret zu beziffern.

Für den Bedarf minderjähriger Kinder bezieht sich das Gesetz explizit auf die Maßstäbe und Methoden des Existenzminimumberichts. Dieser entspricht sachlich den „sozialrechtlichen Grundsätzen“, auf die sich die Rechtsprechung auch ansonsten zur Bemessung von Mindestbedarf und Selbstbehalt stützt. Weshalb sollen diese Grundsätze allein beim Unterhalt für volljährige Kinder nicht gelten?

Alle Jahre wieder …

… kommt in der Vorweihnachtszeit die neue Düsseldorfer Tabelle. Dass die notwendigen Anpassungen regelmäßig in den Dezember fallen, folgt aus der Agenda des Gesetzgebers, der über wichtige Rahmendaten wie Existenzminimumbericht, Kinderfreibeträge und Regelbedarfe erst in den letzten Wochen des Jahres entscheidet. Zwar gab es schon einen Mindestunterhalt für 2023; die offensichtlich notwendige Korrektur der ein Jahr zuvor getroffenen Prognose folgte jedoch erst mit der 5. Änderungsverordnung v. 30.11.2022 (BGBl. I, 2130). Die Zeiten, in denen Tabellenwerte mehrere Jahre überdauerten, sind schon lange vorbei und die Überlegung des Gesetzgebers zur letzten Neufassung des § 1612a BGB, für jeweils zwei Jahre einen einheitlichen Mindestbedarf vorzugeben, haben sich von Anfang an als nicht praktikabel erwiesen.

Wer sich näher mit dem System der aktuellen Düsseldorfer Tabelle beschäftigt, kommt an der Erkenntnis nicht vorbei, dass diese durch die inflationäre Preisentwicklung des vergangenen Jahres an ihre Grenzen stößt. Der im Verhältnis zu den Vorjahren ungewöhnlich starke Anstieg des Kindesbedarfs und der Selbstbehaltssätze war angesichts der weit überproportional gestiegenen und noch weiter steigenden Lebenshaltungskosten keine Überraschung. Mit dem Kinderfreibetrag erhöhte sich der Mindestunterhalt um 10,3 %; die damit verbundene höhere Zahllast wird durch die Anhebung des Kindergeldes auf 250 € nur etwas gedämpft. Während diese Zahlen in etwa der Inflationsrate entsprechen, war beim notwendigen Selbstbehalt mit rund 18 % eine deutlich stärkere Anhebung zu verzeichnen. Hier wirken drei Faktoren zusammen: Neben dem allgemein höheren Lebensbedarf sind dies der nach 17 Jahren erstmals um 50 € (die lediglich den seither eingetretenen Kaufkraftverlust ausgleichen) angehobene Freibetrag für Erwerbstätige und die erheblich steigenden Wohnkosten. Der damit einhergehende sprunghafte Anstieg des Eigenbedarfs deckt auf, wie sehr sich die Gerichte in den letzten Jahren mit einer Anpassung der Selbstbehaltssätze zurückgehalten haben – oder anders ausgedrückt, die Unterhaltspflichtigen spürbare Einschränkungen in ihrer Lebensführung hinnehmen mussten. Für alle Beteiligten wäre es einfacher und überzeugender, wenn Unterhaltsbedarf und Eigenbedarf jeweils gleichzeitig und in kleineren Schritten an die sich ändernden Lebensumstände angepasst würden.

Nun gibt es nur ein Einkommen, aus dem die Bedarfe von Berechtigten und Verpflichteten aufgebracht werden müssen. Steigen diese, wird die Verteilungsmasse bei gleichbleibendem Einkommen kleiner. Dabei zeigen sich deutliche Risse in einer Tabellenstruktur, die immer noch davon ausgeht, sich am Bedarf für zwei Unterhaltsberechtigte zu orientieren. Wer nachrechnet, muss feststellen, dass er unter Wahrung des notwendigen Selbstbehalts der Mindestunterhalt nur aufgebracht werden kann, wenn für zwei Kinder der ersten Altersstufe ein Einkommen von wenigstens 2.000 € zur Verfügung steht und es 2.300 € sein müssen, sobald beide Kinder das 12. Lebensjahr erreicht haben. Dies alles fällt schon in den Bereich der zweiten Einkommensgruppe. Ein höherer Kindesbedarf kommt ohnehin erst dann in Betracht, wenn dem Pflichtigen selbst der angemessene Bedarf verbleibt (BGH v. 27.10.2021 – XII ZB 123/21, FamRB 2022, 51). Damit kann es selbst bei Einkommen aus der dritten Einkommensgruppe noch beim Mindestunterhalt verbleiben.

Unter diesen Umständen eignet sich die Tabelle in ihrem Hauptanwendungsbereich der kleinen und mittleren Einkommen nicht mehr, um unmittelbar den nach der Lebensstellung angemessenen Kindesbedarf abzulesen. Die vorstehend skizzierten Probleme dürften sich im kommenden Jahr noch verschärfen, da mit weiter steigenden Bedarfssätzen zu rechnen ist. Wenn die Gerichte sich nicht zeitnah um eine Neustrukturierung der Tabelle und ihrer Anwendungsgrundsätze bemühen, laufen sie Gefahr, eines ihrer wichtigsten Werkzeuge aus der Hand zu geben.

Einladung zum juristischen Streitgespräch

Kurz vor Weihnachten, am 21.12.2022, wird die seit Jahresanfang etablierte „Kaffeerunde Versorgungsausgleich“ online von 14:00 bis 15:00 Uhr den diesjährigen Jahresabschluss „feiern“:

Thema:

„Nachehezeitliche versorgungsschädliche Beendigung des Beamtenverhältnisses und § 27 VersAusglG“

Positionierungen jeweils ca. 5 Minuten:

VorsRiOLG a.D. Werner Schwamb, Marburg

VorsRiOLG Johannes Norpoth, Hamm

FAFamR Jörn Hauß, Duisburg

danach 30 Minuten offene Diskussion (hauptsächlich der Teilnehmer) und abschließend 10 Minuten vorweihnachtliche Versöhnung

Der Fall:

Die beiden Durchschnittsentgelt-Verdiener M(50) und F(50) lassen sich scheiden. M hat in der 23-jährigen Ehezeit eine Beamtenversorgung in Höhe von rd. 1.340 € (39.000 x 71,75 % / 40 / 12) erdient. Nach der Scheidung macht er sich selbständig und verlangt 12 Monate vor seinem Renteneintritt die Abänderung des seinerzeitigen Versorgungsausgleichs, weil durch die Nachversicherung in der DRV der ehezeitliche Versorgungsbezug sich auf rd. 830 € (36,02 x 23) reduziert habe und damit vom ehezeitlichen Versorgungserwerb der F nicht mehr abweiche.

Der Fall ist nicht alltäglich, die Lösung nicht bagatellhaft. Vor allem neigt man rasch dazu, den Sachverhalt zu variieren, um die als „gerecht“ empfundene Lösung leichter begründen zu können.

Es konkurrieren:

  • die „Freiheit“ des M, sein nachehezeitliches Leben so gestalten zu können, wie er möchte,
  • das „Recht“ der F, das erreichte ehezeitliche Versorgungs- und damit auch Vermögensniveau nicht durch „Fremdintervention“ zu verlieren.

Oder anders ausgedrückt:

  • Muss M die Aufgabe des ehezeitlichen Beamtenjobs mit einer die Halbteilung unterschreitenden Altersvorsorge bezahlen, indem ihm nach der Abänderung als ehezeitlicher Versorgungserwerb 575 €, der F aber 1.085 € verbleiben, weil deren Ausgleichswert über § 27 VersAusglG vermindert wird, oder
  • muss F hinnehmen, dass ihre Teilhabe am ehezeitlichem Versorgungserwerb des M durch dessen nachehezeitliche Selbstverwirklichung aufgezehrt wird und ihr statt 1.085 € monatlichem Rentenaufbau in der Ehe nur 830 € zukommen, was einem Kapitalwertverlust von ca. 51.224 € entspricht.

Sie werden mir zugeben, dass es dazu viele Lösungen geben wird.

Angefangen von der Annahme einer das Ehezeitende überdauernden versorgungsausgleichsrechtlichen Solidaritätspflicht bis hin zu deren stichtagsbezogener Beendigung wird fast alles vertreten und vielleicht auch vertretbar sein.

Sie haben noch nie von der „Kaffeerunde Versorgungsausgleich“ gehört? Dann schalten Sie sich doch einfach zum Streitgespräch oder, wenn Ihnen der 21.12. zu vorweihnachtlich ist, jeden 1. und 3. Mittwoch im Monat von 14:00 bis 15:00 Uhr kostenfrei dazu:

„Kaffeerunde Versorgungsausgleich“

Wir erörtern in einer Online-Schaltung alltägliche und manchmal auch spezielle

Fragen des Versorgungsausgleichs. Kostenlos und locker.

Sie können sich gern dazuschalten:

https://global.gotomeeting.com/join/205481741

Sie können sich auch über ein Telefon einwählen.
(Bei Geräten, die diese Funktion unterstützen, ist die sofortige Teilnahme über eine der unten aufgeführten Direktwahlnummern möglich.)

Deutschland: +49 891 2140 2090
– Direktwahl: +4989121402090,,205481741#

Zugangscode: 205-481-741

Wenn Sie in den Email-Verteiler zur „Kaffeerunde“ aufgenommen werden möchten, ganz einfach Mail an Haus@Anwaelte-DU.de.

 

 

Grundrente im Versorgungsausgleich

Ein großes juristisches Vergnügen ist es, § 97a SGB VI zu lesen. Schwierig ist es, ihn zu verstehen, weshalb ich auf Fortbildungen seit seiner Existenz stets eine „gute Flasche Rotwein“ dem versprochen habe, der nach Lektüre innerhalb von (zunächst 15) jetzt 30 Minuten seinen Inhalt erklären kann. Bis gestern lag die Flasche unangerührt in meinem Weinkeller.

Das hat sich geändert. Eine OLG Richterin aus Frankfurt rief an und kritisierte die Umsetzung der Grundrentenproblematik in meinem Grundrentenrechner als falsch. Sie hatte recht, das Problem war schnell beseitigt, aber niemandem bis dahin aufgefallen, obgleich wir einen Tag zuvor in der „Kaffeerunde Versorgungsausgleich[1], die jeden 1. und 3. Mittwoch im Monat von 14:00 bis 15:00 Uhr stattfindet und an der jeder kostenlos teilnehmen kann, uns eine Stunde lang mit der Grundrente beschäftigt haben und auch den „Grundrentenrechner“ vorgestellt haben.

Das zeigt: Die Grundrentenproblematik ist schwierig und überfordert auch erfahrene Versorgungsausgleichsrechtler.

Damit aber all diejenigen, die sich gleichwohl damit beschäftigen wollen, leichten Zugriff auf Aufsätze und Entscheidungen zu dem Thema haben, habe ich eine Entscheidungsliste zusammengestellt, der sich jeder gerne bedienen kann. Soweit möglich sind die Entscheidungen und Aufsätze verlinkt: Grundrente Entscheidungen und Aufsätze.

Es bleibt aber bei meiner Empfehlung: In den Fällen, in denen feststeht, dass einer der Ehegatten keine Leistungen aus den Grundrenten-Entgeltpunkten (für langjährig Versicherte) bekommen wird, weil die Einkommensgrenze (1.317 € / 2.055 €) nach § 97a Abs. 4 SGB VI überschritten werden wird, sollte man auf den Ausgleich der Grundrenten-EP verzichten. Das verbessert das Verhandlungsklima meist deutlich und ein Verzicht auf etwas, das man nie bekommt, ist eigentlich keiner.

Und jetzt wünsche ich allen viel Freude bei der Lektüre der Norm: § 97a SGB VI.

[1] Jeden 1. und 3. Mittwoch im Monat von 14:00 bis 15:00 Uhr (kostenfrei!)

 „Kaffeerunde Versorgungsausgleich“

Wir erörtern in einer Online-Schaltung alltägliche und manchmal auch spezielle Fragen des Versorgungsausgleichs. Kostenlos und locker. Sie können sich gern dazuschalten: https://global.gotomeeting.com/join/205481741

Keine ungetrübte Urlaubsfreude ohne ausreichende Planung (KG v. 22.6.2022 – 16 WF 29/22)

In den vergangenen Monaten haben sich die Beschwerdegerichte wiederholt mit Ordnungsmittelanträgen befassen müssen, die aus zeitlich unzureichenden Reiseplanungen eines Elternteils resultierten. Rückreisen aus dem Urlaub wurden zeitlich so knapp oder sogar zeitlich überlappend kalkuliert, dass zeitlich anschließend geplante Reisen des jeweils anderen Elternteils teilweise nicht mehr (vgl. OLG Hamm v. 24.1.2022 – 13 WF 210/21, FamRB 2022, 224) oder nur mit Zusatzkosten umgesetzt werden konnten. Mit einem solchen Sachverhalt hat sich aktuell auch das KG in seinem Beschluss vom 22.6.2022 auseinandergesetzt.

In dem zugrundeliegenden Sachverhalt war dem Vater für die Herbstferien 2021 ein Umgang in der ersten Ferienwoche zuerkannt worden. Die Übergabe des Kindes sollte am Sonntag den 17.10.2021 um 17.00 Uhr an eine Umgangspflegerin erfolgen. Seine Ferienwoche verbrachte der Vater in Galicien, wo er einen Tag vor dem geplanten Rückflug von dessen Stornierung erfuhr. Auf Initiative der Mutter, die seitens der Umgangspflegerin von der Stornierung informiert wurde, konnten mehrere Alternativflüge mit anderen Gesellschaften ermittelt werden bzw. buchte die Mutter ein mit Zusatzkosten verbundenes Upgrade, das einen Zustieg des Kindes in Madrid anlässlich eines Zwischenstopps des von der Mutter ebenfalls gebuchten Fluges zum Urlaub auf den Kanaren ermöglichte.

Dem seitens der Mutter gestellten Antrag auf Festsetzung eines Ordnungsmittels gegen den Vater wegen Zuwiderhandlung gegen den Umgangsbeschluss wurde erstinstanzlich entsprochen. Die seinerseits eingelegte Beschwerde wurde zurückgewiesen. In der Beschlussbegründung hat das KG darauf verwiesen, dass der Vater seine Pflicht zur zeitgerechten Übergabe des Kindes schuldhaft verletzt habe, da sein Verhalten als fahrlässig zu bewerten sei. Er habe keine ausreichende Vorsorge getroffen, um zu verhindern, dass es nicht zu der ganz fernliegenden Möglichkeit der Versäumung des Rückgabetermins komme. Es sei allgemein bekannt, dass es im Flugverkehr vielfach zu erheblichen Flugverschiebungen und -ausfällen komme. Wer – wie der Vater – eine Gefahrenlage durch zeitlich zu knappe Rückreisetermine schaffe, sei verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zur Schadensvermeidung und Sicherstellung einer rechtzeitigen Übergabe zu treffen.

Die Verhängung von Ordnungsmittel erfordert einen schuldhaften Verstoß gegen eine gerichtliche Entscheidung bzw. einen gerichtlich gebilligten Vergleich. Es bedarf daher einer objektiven Zuwiderhandlung des Pflichtigen, wobei es auf Seiten des Pflichtigen keines Verschuldens bedarf, sondern bloße Fahrlässigkeit genügt. Etwaiges Verschulden des Verfahrensbevollmächtigten ist dem jeweiligen Elternteil zuzurechnen. Die Substantiierungs- und Feststellungslast für das fehlende Vertretenmüssen liegt bei dem pflichtigen Elternteil, d.h. er muss die Umstände, die den Grund für das Scheitern des Umgangskontakts darstellen, im Einzelnen vortragen und ggf. unter Beweis stellen.

Elternteile, die während der Ferien mit dem Kind Flugreisen ins Ausland beabsichtigen, sollten bei ihren Buchungen zur Rückreise stets ausreichende Zeitpuffer einplanen, die – soweit der jeweils andere Elternteil nicht auf Anfrage im Vorfeld sich mit einer auch kurzfristigen Verspätung einverstanden erklärt hat – in jedem Fall die zeitgerechte Rückverbringung des Kindes sicherstellt, insbesondere wenn eine sich anschließende zeitlich gebundene Urlaubsreise des jeweils anderen Elternteils bekannt ist. Zutreffend hat das KG in seinem Beschluss auch ausdrücklich auf den Aspekt des Kindeswohls verwiesen, wenn – wie in dem entschiedenen Sachverhalt – ein 3 ½-jähriges Kind an einem Tag aus Spanien nach Berlin zurückfliegen und keine 24 Stunden später sich erneut in ein Flugzeug setzen muss, um wieder eine Reise nach Spanien anzutreten. Es wäre wünschenswert, wenn der ein oder andere Elternteil bei dem, was er seinem Kind als selbstverständlich abverlangt, gelegentlich hinterfragen würde, ob er sich diese Belastung selbst auferlegen würde.

Hilfeaufruf an die FamRB-Leserinnen und -Leser: Gefahr aus der Teilungsordnung – erste Ergebnisse

Die Teilungsordnung bestimmt bei der internen Teilung von Versorgungen die Höhe der aus der Teilung für die ausgleichsberechtigte Person fließenden Versorgung. Zwar gehen die Ehegatten, die Anwaltschaft und das Gericht regelmäßig davon aus, dass das für die ausgleichsberechtigte Person zu begründende Anrecht „zu den Bedingungen der Quellversorgung“ begründet wird, diese Erwartungshaltung ist indessen weder gerechtfertigt, noch wird sie in der Realität erfüllt. § 10 Abs. 3 VersAusglG formuliert nämlich knapp und eindeutig: „Maßgeblich sind die Regelungen über das auszugleichende und das zu übertragende Anrecht.“ Der BGH hat zu Recht mehrfach darauf hingewiesen, dass die Tenorierung der internen Teilung unter Angabe der konkreten Teilungsordnung zu geschehen hat,[1] die Rechtsprechung der OLG hat vielfach einzelne Teilungsordnungen korrigiert[2] und für „nichtig“ befunden, weil sie die Begründung des Anrechts zum Nachteil der ausgleichsberechtigten Person „zu den im Begründungszeitpunkt aktuellen Berechnungsgrundlagen“ vorsehen. Wird im Tenor der Entscheidung auf eine Teilungsordnung verwiesen, die nichtige und die ausgleichsberechtigte Person benachteiligende Regelungen enthält, ist nach Rechtskrafteintritt nichts mehr zu machen.[3] Einige der so gescholtenen Versorgungsträger haben selbst daraufhin die Teilungsordnungen nicht geändert, sondern setzen auf die Lesefaulheit und Unaufmerksamkeit der Anwaltschaft und der Gerichte.

Eine Untersuchung von gut 100 Teilungsordnungen hat nun ergeben:

Mehr als 1/3 der Teilungsordnungen enthält nach wie vor Regelungen, die zu beanstanden sind:

  • Ein für die ausgleichsberechtigte Person nachteiliger Tarifwechsel (Begründung des Anrechts zu den „aktuellen Versicherungsbedingungen“) ist meist in Ziffer 5 der Teilungsordnungen zu finden.
  • Oftmals ermöglichen die Teilungsordnungen auch eine Veränderung des gerichtlich festgelegten Ausgleichswerts.
  • Ebenso häufig ermöglichen sie auch den doppelten Abzug der Teilungskosten.

Da das Übersehen der für die ausgleichsberechtigte Person ungünstigen Klauseln für die Anwaltschaft Haftungsfälle, für die Ausgleichsberechtigten Versorgungsverluste von teilweise mehr als 60 % und für die Versorgungsträger völlig unberechtigte finanzielle Vorteile begründen kann, hat sich der FamRB entschlossen, eine Aufstellung der kritischen und der unbedenklichen Teilungsordnungen öffentlich zugänglich zu machen. Dazu sind wir auf die Hilfe unserer Leserschaft angewiesen. Zwar haben wir die ersten 100 Teilungsordnungen durchgesehen und klassifiziert. Es gibt aber deutlich mehr und sie werden von den Versorgungsträgern meist nur unwillig herausgegeben. Deshalb bitten wir alle Leserinnen und Leser, Ihnen vorliegende Teilungsordnungen der Versorgungsträger – gleich ob sie bedenklich oder unbedenklich sind – an famrb@otto-schmidt.de zu senden.

Wir haben uns entschlossen, schon jetzt – nach Ihren ersten Einsendungen – die Liste zu veröffentlichen, um allen am Versorgungsausgleich Beteiligten die Möglichkeit zu geben, schwerwiegende Fehler zu vermeiden. Wir werden die Liste  weiterhin aktuell halten.

Zur Liste kommen Sie hier: Teilungsordnungen Versorgungsverluste bei interner Teilung

[1] Seit BGH v. 26.1.2011 – XII ZB 504/10, FamRZ 2011, 547 m. Anm. Holzwarth = FamRB 2011, 106 (Norpoth).

[2] BGH v. 25.2.2015 – XII ZB 364/14, FamRZ 2015, 911 m. Anm. Borth = FamRB 2015, 208 (Götsche); BGH v. 19.8.2015 – XII ZB 443/14, FamRZ 2015, 1869 m. Anm. Holzwarth = FamRB 2015, 407 (Norpoth); Bdb. OLG v. 2.9.2020 – 9 UF 86/20; OLG Celle v. 5.4.2019 – 21 UF 202/18, FamRZ 2019, 1780; OLG Frankfurt v. 9.4.2020 – 4 UF 46/19; OLG Frankfurt v. 17.9.2019 – 4 UF 273/17, FamRZ 2020, 676; OLG Frankfurt v. 22.8.2019 – 4 UF 86/17, FamRZ 2020, 673 = FamRB 2020, 16 (Siede); OLG Hamm v. 20.6.2018 – 7 UF 213/17, FamRZ 2019, 26 (LS); OLG Karlsruhe v. 20.4.2021 – 5 UF 112/20, FamRZ 2022, 951; OLG Köln v. 2.10.2018 – 25 UF 34/18; OLG Nürnberg v. 18.12.2018 – 11 UF 815/18, FamRZ 2019, 876; Schl.-Holst. OLG v. 8.6.2020 – 15 UF 188/19.

[3] BGH v. 29.4.2020 – IV ZR 75/19, FamRZ 2020, 985; BGH v. 22.1.2020 – IV ZR 54/19, FamRZ 2020, 491 = FamRB 2020, 142 (Breuers).

rvRecht – das unbekannte Juwel

rvRecht – noch nie gehört? Schade! Unter dieser Bezeichnung finden Sie eine für familienrechtlich Tätige und insbesondere für den Versorgungsausgleich ergiebige Datenbank der Deutschen Rentenversicherung (DRV).

Der Fall: Ihre Mandantin F(65) bezieht vorgezogene Rente seit 6/2020 und hat gleichzeitig – anwaltlich beraten – ein versorgungsausgleichsrechtliches Abänderungsverfahren eingeleitet, weil in der 2003 ergangenen Versorgungsausgleichsentscheidung ein betriebliches Anrecht des Ehemannes durch Anwendung der BarwertVO deutlich unterbewertet und der schuldrechtliche Ausgleich nicht vorbehalten wurde. Die neue Auskunft des Versorgungsträgers ergibt einen Ausgleichswert von 30.000 €, der Versorgungsträger optiert auf externe Teilung. F wählt als Zielversorgung sinnvollerweise die DRV. Rechtskraft der Entscheidung wird frühestens 10/2022 eintreten, wenn die F die Regelaltersgrenze überschritten hat.

Es stellt sich die Frage, wie lange kann man die DRV als Zielversorgung der externen Teilung einer betrieblichen oder privaten Versorgung bestimmen (§ 187 Abs. 4 SGB VI)? Der Normwortlaut:

(4) Nach bindender Bewilligung einer Vollrente wegen Alters ist eine Beitragszahlung zur Wiederauffüllung oder Begründung von Rentenanwartschaften nicht zulässig, wenn der Monat abgelaufen ist, in dem die Regelaltersgrenze erreicht wurde.

Der Normwortlaut macht nicht ohne weiteres klar, auf welchen Zeitpunkt es versorgungsausgleichsrechtlich ankommt. Wird die Regelaltersgrenze der ausgleichspflichtigen Person in 6/2021 erreicht, ein von der ausgleichsberechtigten Person versorgungsausgleichsrechtliches Abänderungsverfahren ist aber bereits seit 6/2020 anhängig und die Entscheidung ergeht 9/2022 und wird erst einen Monat später rechtskräftig.

Sie haben keinen SGB VI-Kommentar zur Hand? Kein Problem: wählen Sie https://rvrecht.deutsche-rentenversicherung.de/, da wird „Sie“ geholfen. Die Datenbank enthält neben allen sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften (nebst erläuternder und mit Beispielen angereicherten Kommentierung) die Verwaltungsvorschriften, einen sozialversicherungsrechtlichen „Findex von A–Z“ und vieles mehr. Dort können Sie dann auch einfach erfahren, dass es im obigen Fall nicht auf den Zeitpunkt der Rechtskraft ankommt:

Für die Prüfung der Zulässigkeit der Beitragszahlungen ergeben sich folgende Zeitpunkte:

  • bei einer Erstentscheidung über den Versorgungsausgleich, die Folgesache im Sinne von 137 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 FamFG ist (Verbundentscheidung), das Ende der Ehezeit,
  • bei einer isolierten Erstentscheidung, beispielsweise bei einer Scheidung im Ausland, der Tag des Eingangs des Antrags auf Durchführung des Versorgungsausgleichs beim Familiengericht,
  • bei einer Abänderungsentscheidung der Tag des Eingangs des Abänderungsantrags beim Familiengericht.

Eine Beitragszahlung im Rahmen der externen Teilung ist stets zulässig, wenn zu dem vorstehend genannten maßgebenden Zeitpunkt (zum Beispiel Ende der Ehezeit) der Monat, in dem die versicherte Person die Regelaltersgrenze erreicht, noch nicht abgelaufen ist. Der Bezug einer bindend bewilligten Altersvollrente vor Ablauf des Monats des Erreichens der Regelaltersgrenze ist dabei unschädlich. Fallen das Ende der Ehezeit und der Ablauf des Monats des Erreichens der Regelaltersgrenze auf denselben Zeitpunkt, ist die Beitragszahlung zulässig.

Hätten Sie es gewusst? Und so hat die Vorstellung dieser exzellenten Datenbank mit diesem Beitrag vielleicht auch etwas zur Fortbildung beigetragen.

Übrigens: Der Fundstelle ist auch zu entnehmen, dass die DRV in ihren Auskünften nach § 5 VersAusglG von sich aus darauf hinweist, wenn die externe Teilung eines Anrechts in die DRV nicht mehr zulässig ist. Danke DRV!