Online-Dossier: Die große Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts

Am 1.1.2023 ist das Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts in Kraft getreten. Es bleibt „kein Stein auf dem anderen“, alles ist neu strukturiert, die Paragrafen sind „gewandert“. Neben der grundlegenden Modernisierung des Rechts der Vormundschaft über Minderjährige, der Pflegschaft sowie der Betreuung Volljähriger kommt ein Notvertretungsrecht für Ehegatten in medizinischen Angelegenheiten und die Vorsorgevollmacht erhält mit § 1820 BGB n.F. einen eigenen Paragrafen.

Wir bieten Ihnen – in diesem Online-Dossier für Sie zusammengestellt – in unseren Werken und Datenbanken alle benötigten Arbeitsmittel – von der hilfreichen Synopse bis hin zur profunden Kommentierung, um sich im neuen Recht schnell zurechtzufinden.

FamRB-Aufsätze zum Familienrecht

  • Sarres, Aktuelle Aspekte zur Vorsorgevollmacht, FamRB 2023, 38
  • Kemper, Die große Reform: Das Notvertretungsrecht für Ehegatten kommt, FamRB 2021, 260
  • Bartels, Die große Reform: Primat der Wünsche des Betreuten – die neuen Vorschriften des Betreuungsrechts, FamRB 2021, 204
  • Bartels, Die große Reform: Vormundschafts- und Pflegschaftsrecht, FamRB 2021, 113

FamRZ-Aufsatzserie zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts

  • Böhm, Die Suspendierung von Vorsorgevollmachten nach dem neuen § 1820 Abs. 4 BGB, FamRZ 2022, 1253
  • Krämer, Die neue Funktion der Betreuungsbehörden nach der Reform des Betreuungsrechts, FamRZ 2022, 927
  • Dodegge, Vom Wohl des Betroffenen zu dessen Wünschen und Willen – neue Maßstäbe für die Betreuertätigkeit, FamRZ 2022, 844
  • Reh, Die Auswahl und Typisierung des Betreuers im Lichte des zum 1.1.2023 in Kraft tretenden Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, FamRZ 2022, 673
  • Wagner, Neufassung der Art. 7, 15, 17b II und 24 EGBGB durch das Gesetz zur Reform des Betreuungs- und Vormundschaftsrechts, FamRZ 2022, 405
  • Gottwald, Die neue Prozessfähigkeit bei rechtlicher Betreuung, FamRZ 2022, 331
  • Schneider, Bestimmungsbefugnisse des Betreuers im Lichte der Reform des Betreuungsrechts (insbesondere Aufenthalts- und Umgangsbestimmung, FamRZ 2022, 1
  • Croon-Gestefeld, Das gesetzliche Notvertretungsrecht von Ehegatten und seine kollisionsrechtliche Anknüpfung, FamRZ 2021, 1939
  • Kurze, Reform ist gut – Kontrolle ist besser?, FamRZ 2021, 1934
  • Socha, Die Auskunftspflicht des Betreuers gegenüber Angehörigen nach dem neuen § 1822 BGB, FamRZ 2021, 1861
  • Hoffmann, Der zusätzliche Pfleger nach § 1776 BGB in der Fassung des Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, FamRZ 2021, 1773
  • Veit, Die Rechtsstellung der Pflegeperson nach dem Kinder- und Jugendstärkungsgesetz sowie dem Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, FamRZ 2021, 1501
  • Müller-Engels, Vorsorgevollmacht und Kontrollbetreuung in der Reform – was kommt, was bleibt?, FamRZ 2021, 645
  • Christl, Akzeptanz und Qualität ehrenamtlicher Betreuung in der Reform, FamRZ 2021, 81
  • Socha, Sicherheit statt Sollbruchstelle – der „vorläufige Vormund“ in der Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, FamRZ 2021, 87
  • Wedel/Kraemer/Hyla, Die Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrecht aus Sicht der Landesjustizverwaltung Nordrhein-Westfalen, FamRZ 2021, 77
  • Dutta, Handlungsbefugnisse von Ehegatten in Angelegenheiten der Gesundheitssorge – ein weiterer Versuch für einen neuen § 1358 BGB, FamRZ 2020, 1881
  • Schneider, Die Neuregelung des Betreuungsrechts, FamRZ 2020, 1796
  • Dürbeck, Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts v. 25.9.2020, FamRZ 2020, 1789
  • Münch, Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts: Vermögensverwaltung, FamRZ 2020, 1513

Beiträge aus der Zeitschrift Rpfleger zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts

  • Felix, Die Genehmigungstatbestände im neuen Betreuungsrecht (Teil 1), Rpfleger 2022, 541
  • Luther, Jahresgebühren in Betreuungssachen, Rpfleger 2022, 289
  • Harm, Gerichtsgebühren beim sog. Behindertentestament, Rpfleger 2022, 229
  • Hofer, Streit um die Gerichtsgebühren beim sog. Behindertentestament kontra Fürsorge und Aufsicht des Betreuungsgerichts, Rpfleger 2021, 677
  • Harm, Die Reform des Betreuungsrechts – Teil 1: Neues Verfahren zur Wohnungsaufgabe, Rpfleger 2021, 613
  • Harm, Die Entwicklung im Vormundschafts-, Pflegschafts- und Betreuungsrecht seit 2019 bis Mai 2021 (ohne Vergütungsrecht), Rpfleger 2021, 556
  • Christl , Umsetzung der Reformziele im Vorgriff auf die Betreuungsrechtsreform zum 1.1.2023, Rpfleger 2021, 549
  • Gojowczyk, Zur funktionellen Zuständigkeit für die Abgabe des Betreuungsverfahrens an ein anderes Gericht (§§ 4, 273 FamFG), Rpfleger 2021, 463
  • Felix, Das Gesetz zur Anpassung der Betreuer- und Vormündervergütung, Rpfleger 2019, 624

 


 

Aus Erman, BGB Kommentar

online first

Infolge der durch die Reform erfolgten Neustrukturierung sind die Vorschriften im gesamten Abschnitt 3 umnummeriert worden. In seiner Neukommentierung der §§ 1773 bis 1888 BGB erläutert Prof. Dr. Kai Schulte-Bunert eingehend die neuen Regeln zur Vormundschaft. Prof. Dr. Andreas Roth kommentiert die Vorschriften zur Pflegschaft sowie das neue Betreuungsrecht und geht detailliert auf die zahlreichen Änderungen ein.

Titel 1 – Vormundschaft (§§ 1773-1808)

Titel 2 – Pflegschaft für Minderjährige (§§ 1809-1813)

Titel 3 – Rechtliche Betreuung (§§ 1814-1881)

Titel 4 – Sonstige Pflegschaft (§§ 1882-1888)

 

BGB

 


 

Aus Prütting/Helms, FamFG, online:

Insgesamt wurden durch das Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrecht 43 FamFG-Vorschriften geändert. Bei einigen Vorschriften wurden lediglich die dort erwähnten und durch die Reform geänderten BGB-Vorschriften angepasst. In der Auflistung finden Sie die Normen, die sich vor allem inhaltlich durch die Reform (und dessen „Reparaturgesetz“) geändert haben:

 

FamFG

 


 

 

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Und ewig grüßt das Murmeltier – zum im RefE eines Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts mitgeregelten Ehegattenvertretungsrecht

Es gibt Gesetzesvorhaben, die werden auf dem Marktplatz geboren. Stellt man sich auf selbigen und befragt Passanten, ob denn im Fall plötzlich eintretender Bewusstlosigkeit eines Ehegatten der andere für ihn über ärztliche Eingriffe entscheiden, Behandlungsverträge abschließen dürfe und ärztliche Informationen entgegennehmen könne, wird man mehrheitlich Zustimmung und Verwunderung gleichzeitig ernten. Die Passanten werden zustimmen, dass Ehegatten über den Gesundheitszustand des anderen informiert werden dürfen und sie füreinander Behandlungsmaßnamen einleiten können, wenn der erkrankte, verunglückte, demente oder sonst geschäftsunfähig gewordene Ehepartner dies nicht mehr entscheiden kann. Verwunderung würde die juristische Information auslösen, dass all das derzeit nicht möglich ist.

Es ist daher nachvollziehbar, dass die Politik die wechselseitige Vertretungsbefugnis der Ehegatten dem Ergebnis der Marktplatzumfrage anzupassen gedenkt. Der Referentenentwurf des BMJV zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts nutzt die freigebliebene Hausnummer des § 1358 BGB um ein umfassendes wechselseitiges Vertretungsrecht der Ehegatten zu etablieren, wenn „ein Ehegatte aufgrund von Bewusstlosigkeit oder einer Krankheit seine Angelegenheiten der Gesundheitsfürsorge rechtlich nicht besorgen“ kann. Der (gesetzlich als Ehefolge) vertretungsbefugte Ehegatte kann über Untersuchungen, Gesundheitszustand und Heilbehandlungen und andere ärztliche Eingriffe und sogar über freiheitsentziehende Maßnahmen für den anderen Ehegatten entscheiden, sofern die Dauer der Maßnahme im Einzelfall sechs Wochen nicht überschreitet. Gleichzeitig werden die Ärzte von ihrer Schweigepflicht unter den Voraussetzungen der Notwendigkeit einer Vertretung entbunden.

Während der Marktplatz-Bürger dem noch verständnisvoll zustimmt, graust es den Familienrechtler: Wer heiratet, gibt sich als Mensch nicht in die Hand seines Gatten. Juristisch bleibt er Individuum. Wenn er möchte, dass seinem Ehegatten eine so weitgehende Kompetenz eingeräumt wird, ist dies auch heute ohne Gesetzesänderung über Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht zu regeln. Einer gesetzlichen Initiative bedarf es nicht.

Das in § 1357 BGB geregelte Ehegattenvertretungsrecht bei „Geschäften zur Deckung des Lebensbedarfs“ ist völlig ausreichend und schützt den Handel in seinem Vertrauen.

Eines weitergehenden Ehegattenvertretungsrechts bedarf es nicht. In der Ehe begegnen sich zwei selbstständige Rechtssubjekte, deren Entschluss, das Leben gemeinsam zu versuchen, keineswegs ihre Rechtssubjektivität beseitigt. Deutlich wird dies darin, dass das Gesetz als gesetzlichen Güterstand den der Gütertrennung mit Zugewinnausgleich vorsieht. Die Vorstellung des Verschmelzens zweier Personen zu einer „Ehe“, die dann als Rechtsadressat in Betracht, kommt entspricht nicht der gelebten Realität und nicht dem gesetzlichen Verständnis von der Ehe.

Die Verantwortung für Leben und Wohl eines hilfsbedürftigen Bürgers trifft den Staat und nicht den anderen Ehegatten, es sei denn der hilfsbedürftige Ehegatte hätte ausdrücklich ein derartiges Vertretungsrecht gewünscht. Aus der Eheschließung auf Vertretungsmacht zu schließen, ist ein Rückfall in die 60er Jahre. Als ich unverheiratet mit meiner Freundin die erste gemeinsame Wohnung anmietete, gaben wir uns als verheiratet aus und trugen Eheringe von Freunden. Als der Mietvertrag von meiner Frau unterzeichnet werden sollte, habe ich der Vermieterin, einer älteren Bonner Bürgersdame, erklärt, soweit werde es in Deutschland nicht kommen, dass der Mann nicht für seine Frau unterschreiben dürfe. Noch heute verfolgt mich dieser Satz, den die Vermieterin aus dem Mund eines kurz vor dem Examen stehenden Jurastudenten akzeptierte und der meine Frau vor einer Urkundenfälschung schützte.

Von den praktischen Schwierigkeiten der gesetzlichen Vertretungsvermutung will ich gar nicht reden. Sie gilt nämlich dann nicht, wenn die Ehegatten getrennt leben, dem Vertreter oder dem behandelnden Arzt ein entgegenstehender Wille des Vertretenen oder ein von ihm benannter anderer Vertreter bekannt war oder mehr als drei Monate seit Eintritt der Bewusstlosigkeit oder krankheitsbedingter Unfähigkeit zur eigenständigen Erledigung der Gesundheitsbesorgung vergangen sind. Wie ein Arzt all dies und insbesondere das Zusammenleben der Ehegatten feststellen soll, bleibt im Unklaren.

Träte diese Norm in Kraft, würde allen Altehen plötzlich ein gesetzliches Vertretungsrecht beschert, das nur durch Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung abgewählt werden kann.

Ein solches gesetzliches Ehebild ist personaler Unselbständigkeit verhaftet und hat in einem modernen Familienrecht nichts zu suchen, mag es auch noch so sehr der falschen Marktplatzmeinung entsprechen. Nur um derentwillen führen wir ja auch nicht die Errungenschafts- oder Gütergemeinschaft als gesetzlichen Güterstand ein. Wer heiratet, gibt sich nicht in die Hand des anderen Gatten, nur weil der Standesbeamte durch sein Testat der Eheschließung steuerliche Vor- und sozialrechtliche Nachteile für die Ehegatten auslöst. Meine Bürokolleginnen und Kollegen habe ich früher deutlich häufiger als meine Frau gesehen. Aus gesellschaftlicher Verrechtlichung auf Vertretungsbefugnis zu schließen, läge vielleicht noch näher.

Das Ehegattenvertretungsrecht ist nicht neu. Periodisch taucht es auf und verschwindet wieder. Es ist zu vermuten, dass die in der Tat sinnvolle Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts auch ohne die Reform des Ehegattenvertretungsrechts diskutiert und verabschiedet werden kann. Einer Erweiterung gesetzlicher Vertretungsbefugnis bedarf es nicht, sonst kommen wir wieder auf das Niveau zurück, das bis Mitte der 70er Jahre dem Ehemann die Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Ehefrau ermöglichte. Der einzige „Fort“schritt wäre, dass nun auch die Frau den Mann vertreten kann.

Zum Referentenentwurf (Vorsicht: 500 Seiten!) kommen Sie hier.

Ordre public bei Kinderehen – Keine Überheblichkeit pflegen, sondern effektiven Kinder- und Jugendschutz gewährleisten

Eheschließung von Ausländern im Inland

Nach Art. 13 EGBGB unterliegen die Voraussetzungen für eine Eheschließung im Inland für jeden Verlobten dem Recht des Staates, dem er angehört. Nur wenn es danach an einer Voraussetzung fehlt, wäre deutsches Recht maßgeblich, wenn die Verlobten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben.

Nach Art. 13 Abs. 3 EGBGB kann eine Ehe im Inland nur in der hier vorgeschriebenen Form geschlossen werden, also vor einem Standesbeamten (§ 1310 BGB). Ist keiner der Verlobten Deutscher, kann die Ehe im Inland auch von einer Person geschlossen werden, die der Staat, dem einer der Verlobten angehört, dazu ermächtigt hat (Art. 13 Abs. 3 Satz 2 EGBGB). Das sind teilweise diplomatische oder konsularische Vertretungen, aber auch Militärgeistliche, Truppenoffiziere von Stationierungsstreitkräften oder griechisch-orthodoxe Geistliche, die von Ihrer Regierung benannt sind.

Würde eine ausländische Rechtsordnung für die Eheschließung geringere Voraussetzungen an das Alter der Verlobten stellen als die deutsche Rechtsordnung, könnte das als Verstoß gegen den ‚ordre public‘ angesehen werden und die standesamtliche Eheschließung in Deutschland hindern.

Im Ausland geschlossene Kinderehen im Inland

Eine im Ausland von Ausländern geschlossene Ehe bedarf aber keinerlei ‚Anerkennung‘ in Deutschland. Das deutsche Recht geht bei der Beurteilung der Rechtsnatur einer im Ausland geschlossenen Ehe von deren Beurteilung nach dem Recht des die Eheschließung beurkundenden Staates (oder Institution) aus. Die Ehe ist nach der Rechtsprechung des BVerfG eine auf Willenseinigung der Ehegatten unter staatlicher Mitwirkung formalisierte Rechtsgemeinschaft und Rechtseinrichtung (BVerfGE 29, 166, 176; 36, 146, 161 f.). Einen Gesetzesvorbehalt, der einen Grundrechtseingriff rechtfertigen könnte, kennt Art. 6 GG nicht (BVerfGE 36, 146 ). Deshalb ist es konsequent, wenn die deutsche Rechtsordnung den nach den Bestimmungen eines anderen Staates ordnungsgemäß erfolgten, für die Ehe konstitutiven Hoheitsakt hinnimmt und eine irgendwie geartete Anerkennung dieses staatlichen Aktes nicht kennt.

Ebenso konsequent ist es, dass das deutsche Recht für die Frage, ob eine Ehe nichtig ist oder aufgehoben werden kann, an das ausländische Recht anknüpft. Der Respekt der deutschen Rechtsordnung vor dem Hoheitsakt eines anderen Staates gebietet es, diesen nicht als nichtig anzusehen. Aus diesem Grund gilt auch im deutschen Recht eine mit einer geschäftsunfähigen Person geschlossene Ehe nicht als nichtig, sondern als aufhebbar (§§ 1314, 1304 BGB).

Ein minderjähriger, aber nicht geschäftsunfähiger Ehegatte (ab Vollendung des siebten Lebensjahres) kann auch von unserer Rechtsordnung nicht aus der Ehe gezwungen werden. Nach § 125 Abs. 1 FamFG gilt er als verfahrensfähig. Nur für den geschäftsunfähigen Ehegatten wird das Eheverfahren durch den gesetzlichen Vertreter geführt.

Angesichts dieser Rechtslage ist die jetzt geführte Diskussion um Kinderehen wenig verständlich. Wenn vorgeschlagen wird, im Ausland mit Minderjährigen geschlossenen Ehen im Inland ‚die Anerkennung‘ zu verweigern und sie ‚aufzuheben‘ (so Heiko Maas im Interview mit der katholischen Nachrichten-Agentur KNA am 3.11.2016), wird deutlich übers Ziel hinausgeschossen. Ausländische Ehen bedürfen in Deutschland keiner Anerkennung, ihre Aufhebung unterliegt dem Recht des Heimatstaates der Ehegatten. Dieser definiert die Voraussetzungen, unter denen die Eheschließung der Ehegatten staatlich testiert wird. Der staatlicherseits gebotene Respekt vor einer anderen staatlichen Rechtsordnung gebietet es, ihre das Personalstatut ihrer Bürger regelnde Hoheitsakte zu akzeptieren. Sie als ‚nichtig‘ oder – trotz Vorliegen der rechtlichen Voraussetzungen – durch einen anderen Staat ‚aufhebbar‘ zu bezeichnen, offenbart mangelnden Respekt einer sich ‚überlegen‘ dünkenden Rechtsordnung und damit ein Stück Rechtskolonialismus.

Schutzlos sind die minderjährig Verheirateten dadurch in Deutschland nicht:

  • Sind sie unter 14 Jahre alt, schützt sie – trotz Heirat – § 176 StGB vor sexuellem Missbrauch.
  • Das Recht zur Trennung voneinander schützt Art. 2 GG. Kinder- und Jugendschutz könnte darüber hinaus durch das Jugendschutzrecht wirksam gewährleistet werden.
  • Nichts spricht dagegen, einem minderjährigen Verheirateten von Amts wegen einen Vormund zu bestellen (§ 1773 BGB), wenn wegen eines fehlenden Kontakts zu den Eltern gem. § 1674 BGB das Ruhen der elterlichen Sorge festgestellt ist.
  • Nichts spricht auch dagegen, Eltern minderjähriger Verheirateter das Sorgerecht zu entziehen und einen Vormund einzusetzen, wenn dies das Wohl eines minderjährig Verheirateten erfordert.
  • Nichts spräche auch dagegen, einem minderjährigen Verheirateten selbst dann einen amtlichen Vormund zu bestellen, wenn die ausländische Rechtsordnung den volljährigen Ehegatten mit der Vormundschaft über den minderjährigen ausstatten würde. Auch das wäre durch § 1773 BGB gedeckt, weil nicht die ‚Eltern‘ die Sorge wahrnähmen.

Wie differenziert und wenig einem konservativen Empörungsritual folgend die Rechtsprechung solche Fälle handhabt, lässt sich an der Entscheidung des OLG Bamberg v. 12.5.2016 (FamRB 2016, 375) ablesen. Das Jugendamt bestand auf ‚begleitetem‘ Umgang der 16-jährigen Ehefrau mit ihrem 22-jährigen Mann, weil ansonsten eine Schwangerschaft des Mädchens durch ungeschützten Geschlechtsverkehr mit ihrem Mann zu erwarten sei.Das OLG verweigerte sich diesem Anliegen. Pädagogisch ist das nachvollziehbar, weil ansonsten das Diskothekenpublikum sich um die Begleitpersonen verdoppeln müsste und die meisten Eltern keine Lust verspüren werden, Anstandshündchen für ihre Kinder zu spielen. Was aber nichtverheirateten Jugendlichen erlaubt ist, sollte doch auch verheirateten Jugendlichen erlaubt sein. Juristisch ist die Entscheidung zu begrüßen, weil sie Respekt vor der eigenen und einer fremden Rechtsordnung dokumentiert. Nichts deutete im Übrigen auf eine Zwangsehe und eine Gefährdung des Mädchens hin.