Praktiziertes Wechselmodell: Kontinuität als Grenze elterlicher Änderungswünsche (zu KG v. 13.9.2018 –- 13 UF 74/18)

Nicht immer sind die Vorstellungen sich trennender Eltern, für das gemeinsame Kind bestmögliche und insbesondere einvernehmliche Regelungen zu finden, auch dauerhaft. Allzu leicht werden angestrebte Ideale durch die alltäglichen Realitäten eingeholt und eine zunächst avisierte und zugesicherte Fortdauer der gemeinsamen Betreuung des Kindes bereut. In dem sich dann eröffnenden Spannungsfeld zwischen den Vorstellungen der Eltern zur künftigen Wahrnehmung der elterlichen Verantwortung und dem Interesse des Kindes an der Beibehaltung einer nicht nur kurzfristig praktizierten Betreuungsform, wird häufig übersehen, dass stets das Kindeswohl zentraler Bewertungsmaßstab ist.

Mit einem entsprechend gelagerten Sachverhalt hat sich aktuell auch das KG befasst:

Die gemeinsam sorgeberechtigte Eltern eines 2015 geborenen Kindes hatten im Oktober 2016 eine gerichtlich gebilligte Vereinbarung schlossen, in der ein bereits seit ihrer Trennung praktiziertes Wechselmodell bestätigt wurde. In einer weiteren Vereinbarung vom April 2017 haben sie sodann Ergänzungen zu den Wochenendregelungen vorgenommen. In Abweichung dieser Vereinbarungen erstrebte die Mutter dann jedoch wieder eine Verlagerung des Lebensmittelpunkts des Kindes in ihrem Haushalt. Das Gericht hat jedoch ein paritätisches Wechselmodell angeordnet. Die gegen diesen Beschluss eingelegte Beschwerde der Mutter blieb ebenso erfolglos wie die Anschlussbeschwerde des Vaters, die er in zeitlicher Folge einlegte und mit der er dann ebenfalls die Verlagerung des Lebensmittelpunkt des Kindes in seinen Haushalt anstrebte.

Das KG hat in seiner Entscheidung hervorgehoben, dass eine familiengerichtlich gebilligte Vereinbarung zur Ausgestaltung des Umgangs beider Eltern mit dem Kind vorliege und die Abänderung dieser Vereinbarung – sei es hin zu einem Wechselmodell oder davon distanzierend – dem engen Maßstab jeder Änderung einer familiengerichtlichen Entscheidung unterliege, d.h. die Änderung aus triftigen, das Wohl des Kindes nachhaltig berührenden Gründen angezeigt sein müsse. Dabei habe der Kontinuitätsgrundsatz zentrale Bedeutung. Im konkreten Sachverhalt sei daher zu beachten, dass praktisch seit dem siebten Lebensmonat des Kindes kontinuierlich eine Betreuung im Wechselmodell durchgeführt worden sei und dadurch, nach den Feststellungen der Sachverständigen, das Kind beide Eltern als zuverlässige Bezugs- und Erziehungspersonen erlebt habe. Selbst wenn man den Lebensmittelpunkt des Kindes zu der Mutter verlagere, seien hierdurch nicht zwingend von ihr im Fall der weiteren Umsetzung des Wechselmodells befürchtete Belastungssymptome oder Verlustängste des Kindes ausgeschlossen, da auch in diesem Fall das Kind in regelmäßigen Abständen in den väterlichen Haushalt wechsele. Auch Einschränkungen in der Kommunikation der Eltern stünden dem Wechselmodell nicht entgegen, denn trotz dieser Einschränkungen seien die Eltern gleichwohl in der Lage gewesen, wichtige Entscheidungen für das Kind zu treffen, wobei zudem beide Eltern sich auch gegenüber der Sachverständigen dafür ausgesprochen hätten, sich eine Fortführung des Wechselmodells vorstellen zu können. Für die elterliche Kommunikation sei es letztlich auch unerheblich, ob das Kind überwiegend im Haushalt der Mutter lebe. Entscheidend sei vielmehr die bestehende gemeinsame elterliche Sorge, die eine Einigung der Eltern zu Belangen des Kindes erfordere.

Die Entscheidung des KG steht nicht in Widerspruch zu der Grundsatzentscheidung des BGH v. 1.2.2017 – XII ZB 601/15, FamRB 2017, 136, in der zwar betont wurde, dass ein paritätisches Wechselmodell gerade nicht zu dem Zweck angeordnet werden kann, eine nicht bestehende Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Eltern überhaupt erst herzustellen. Davon zu unterscheiden ist aber die Konstellation, dass Elterngespräche zwar von trennungstypischen Belastungen überlagert werden, gleichwohl jedoch die Eltern in der Lage sind, solche Gespräche dem Grunde nach überhaupt zu führen und es ihnen dabei zudem gelingt, wesentliche Frage für die Entwicklung des Kindes – in Umsetzung einer nach wie vor bestehenden gemeinsamen elterlichen Sorge – einer Lösung zuzuführen.

Die Entscheidung des KG führt den Blick allerdings auch auf ein immer wieder auftretendes Problem der Praxis, die Abänderungsvoraussetzungen einer bestehenden familiengerichtlichen Regelung zur elterlichen Sorge oder zum Umgangsrecht. Häufig wird verkannt, dass unter der Existenz einer bestehenden familiengerichtlichen Regelung der besonders enge Abänderungsmaßstab des § 1696 Abs. 1 BGB gilt, d.h. es hierzu triftiger und nachhaltiger am Kindeswohl ausgerichteter Gründe bedarf. Durch diese hohen Abänderungshürden soll für das Kind nicht nur ein verlässlicher Daseinsschwerpunkt gewährleistet werden, sondern eine ebenso gesicherte Erziehungskontinuität, da die Dauerhaftigkeit familiärer Bindungen für eine stabile und sichere psychosoziale Entwicklung des Kindes elementare Bedeutung haben, die allerdings durch eine ständiges Wiederaufrollen abgeschlossener familiengerichtlicher Verfahren in Frage gestellt werden.

Das Sein und das Nichts (zu BAG v. 26.4.2018 – 3 AZR 738/16)

1943 erschien das philosophische Hauptwerk von Jean Paul Sartre mit dem Titel „Das Sein und das Nichts“. An diesen Titel fühlt man sich bei Lektüre der BAG-Entscheidung erinnert:

Der zur Auskunft über die Höhe des ehezeitlichen Versorgungserwerbs aufgeforderte (ehemalige) Arbeitgeber des Ehemanns gibt im Scheidungsverfahren die Erklärung ab, ein ehezeitlichen Versorgungserwerb habe nicht stattgefunden. Der Versorgungsausgleich wird dementsprechend ohne den Ausgleich des betrieblichen Anrechts durchgeführt. Hintergrund der Auskunft des betrieblichen Versorgungsträgers war die Tatsache, dass der Ehemann einen Diebstahl zum Nachteil des Arbeitgebers begangen hatte mit einem Schädigungsvolumen von etwa 40.000 €. Daraufhin hatte der Arbeitgeber die betriebliche Altersversorgungszusage widerrufen. Überzeugt von der Wirksamkeit dieses Widerrufs hat er die Erklärung der Nichtexistenz einer betrieblichen Altersversorgung dem Familiengericht mitgeteilt.

Nach Rechtskraft der familiengerichtlichen Entscheidung beantragt der geschiedene Ehemann beim Arbeitsgericht die Feststellung, dass der Widerruf der Versorgungszusage unrechtmäßig sei und ihm die versprochene Altersversorgung zustehe. Das Arbeitsgericht gibt ihm Recht, das Landesarbeitsgericht hat „Prozessverwirkung“ angenommen und der Berufung stattgegeben. Das BAG stellt das amtsgerichtliche Urteil wieder her und entscheidet – wenig überraschend –, dass die familiengerichtliche Entscheidung zwischen den Ehegatten Wirkung entfaltet, nicht aber zwischen dem Arbeitnehmer und seinem Arbeitgeber. Ein Widerruf der Versorgungszusage sei nicht durch die zulasten des Arbeitgebers begangene Straftat gerechtfertigt, weil es sich bei einer unverfallbaren Versorgungszusage um einen Entgeltbestandteil handelt. Nur wenn die ökonomischen Auswirkungen der Straftat zu einer Existenzgefährdung des Unternehmens führten, sei der Widerruf einer unverfallbaren Versorgungsanwartschaft gerechtfertigt.

Familienrechtlich ist dies ein Desaster. Dem geschiedenen Ehemann bleibt das Sein, der Ehefrau das Nichts, weil im familiengerichtlichen Verfahren fälschlicherweise von der Bestandskraft des Versorgungswiderrufs ausgegangen und die Versorgung deswegen nicht ausgeglichen worden ist.

Für die Ehefrau ist die Versorgung verloren: Eine Abänderung nach § 225 FamFG scheitert daran, dass diese nur für die öffentlich-rechtlichen Grundversorgungen möglich ist (§§ 32 VersAusglG i.V.m. § 225 Abs. 1 FamFG). Eine Restitutionsklage nach § 580 Nr. 7 ZPO scheitert daran, dass die Auskunft des Versorgungsträgers zwar falsch war, eine richtige Auskunft indessen vor Rechtskraft der Entscheidung urkundlich nicht gegeben war.

Natürlich wird die Ehefrau prüfen, ob die Haftpflichtversicherung Ihres Anwalts etwas hergibt. Dies eröffnet die Frage, nach der erforderlichen Prüfungstiefe der Versorgungsausgleichsauskünfte der Versorgungsträger durch die Anwaltschaft. Die Kontrolle der Höhe des ehezeitlichen Versorgungserwerbs wird man in der Regel erwarten können. Ob allerdings auch die Existenz des Stammrechts zu überprüfen ist, muss fraglich bleiben. Hier wird sich die Rechtspraxis auf die Auskünfte der Versorgungsträger verlassen können und müssen.

Arbeitnehmern, die eine Versorgung dem Ausgleich im Scheidungsverfahren entziehen wollen, sollten für den Widerruf der Versorgungszusage vor der letzten mündlichen Verhandlung des Scheidungsverfahrens sorgen. Anschließend könnten Sie bis zum Versorgungsbeginn die Unwirksamkeit des Versorgungswiderrufs durch den Arbeitgeber erstreiten. Nach diesem Zeitpunkt – so das BAG in seiner Entscheidung – tritt Prozessverwirkung und damit auch der Verlust der Versorgung ein. Das kann aber auch schadenersatzpflichtig machen. Es könnte aber sein, dass der Gesetzgeber sich erbarmt und den Katalog der abänderbaren Versorgungen des § 32 Versorgungsausgleichsgesetz erweitert oder – noch einfacher – den schuldrechtlichen Ausgleich auch für vergessene, verschwiegene oder nachträglich auftauchende Versorgungen zugänglich machen würde. Falschauskünfte betrieblicher Versorgungsträger sind nicht selten, sie werden nur selten erkannt.

Wird ertrotzte Kontinuität auch noch belohnt? (zu OLG Hamm v. 25.5.2018 – II-4 UF 154/17)

Fragen der elterlichen Sorge werden häufig von weltanschaulichen Aspekten überlagert. Eine während intakter Beziehung möglicherweise noch gefundene vermittelnde Lösung, in die nicht nur die Erwägungen des jeweils anderen Elternteils einbezogen, sondern vor allem auch die mit der zu treffenden Entscheidung einhergehenden und unmittelbar das Kind betreffenden Folgen bedacht worden wären, scheidet nach Trennung von vornherein aus. Dass unter dem Gesichtspunkt der Kontinuität einseitig getroffene und für das Kind grundlegende Fragen letztendlich unabänderlich werden können, hat sich in Elternkreisen herumgesprochen. Darüber hinausgehend wird bei der Anmeldung von Kindern in Kindergärten und Schulen auch nicht konsequent von den jeweiligen Einrichtungen der Beachtung sorgerechtlicher Befugnisse Rechnung getragen.

Mit der sich hieraus ergebenden Problemantik hat sich das OLG Hamm in einer Entscheidung vom 25.05.2018 auseinandergesetzt: Zwischen den gemeinsam sorgeberechtigten Elternteilen konnte kein Einvernehmen darüber erzielt werden, welchen Kindergarten das 2014 geborene gemeinsame Kind, das seit der Trennung seiner Eltern im Haushalt der Mutter lebte, künftig besuchen sollte. Die Mutter veranlasste im Sommer 2017 eine Anmeldung des Kindes in einem Waldorfkindergarten, den das Kind seitdem auch besuchte. Nachdem der Vater – folgend aus Bedenken seinerseits gegen das pädagogische Konzept dieses Kindergartens – Einwände erhob, beantragte die Mutter, ihr die Entscheidungsbefugnis zur Auswahl des Kindergartens zu übertragen. Das Ausgangsgericht folgte ihrem Antrag, wobei die Beschwerde des Vaters auch nur hinsichtlich der Kostenregelung der erstinstanzlichen Entscheidung Erfolg hatte.

Das OLG Hamm hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, dass bei der nach § 1628 BGB zu treffenden Entscheidung das Kindeswohl alleiniger Maßstab sei und dem Senat nicht die Entscheidung obliege, ob die Waldorfpädagogik zu billigen sei oder nicht. Die Übertragung der Entscheidungskompetenz zugunsten der Mutter gründe sich darauf, dass sie als tatsächliche Betreuungsperson im Alltag den Kindergartenbesuch unterstützen müsse und die hieraus folgenden Konsequenzen in der praktischen Umsetzung, d.h. weiterer Fahrwege, aber auch den tatsächlichen Auswirkungen der angewandten Pädagogik erlebe. Auch wenn die Mutter im Verfahren zumindest unvollständige Behauptungen aufgestellt habe, um das von ihr gewünschte Verfahrensergebnis zu erzielen, so sei nicht die Bestrafung der Mutter das Verfahrensziel. Entscheidend seien allein der bisherige Zeitablauf und die inzwischen erfolgte Eingewöhnung des Kindes im konkreten Kindergarten, d.h. ein erneuter Wechsel stehe dem Kindeswohl entgegen. Dahinter müsse auch die Tatsache zurücktreten, dass durch den weiteren Besuch dieses Kindergartens umfangreichere Fahrtwege erforderlich würden und auch die bislang praktizierte Umgangsregelung an die Öffnungszeiten angepasst werden müsse.

Im Ergebnis ist die Entscheidung des OLG Hamm nicht zu beanstanden. Sie trägt den gesetzlichen Vorgaben uneingeschränkt Rechnung. Soweit gemeinsam sorgeberechtigte Eltern zu grundlegenden wesentlichen Entscheidungen die das Kind betreffen, kein Einvernehmen erzielen können, sieht § 1628 BGB vor, dass einem Elternteil die alleinige Entscheidungsbefugnis übertragen werden kann. Die zu treffende gerichtliche Entscheidung hat sich dabei allein am Kindeswohl zu orientieren, wobei das Gericht nur die Entscheidungskompetenz zuweisen und keine Entscheidung statt der Eltern zu der konkret in Rede stehenden Streitfrage treffen darf.

Der unbestimmte Rechtsbegriff des Kindeswohls wird in der Rechtsprechung durch verschiedene Kriterien näher präzisiert. Hierzu gehören neben dem Kindeswillen und seinen Bindungen vor allem auch das Förderungsprinzip sowie der Kontinuitätsgrundsatz. Gerade dem Kontinuitätsgrundsatz kommt bei kleinen Kindern hohe Bedeutung zu, auch um einen wiederholten Wechsel von Bezugs- und Betreuungspersonen zu vermeiden. Ebenso soll ein mehrfacher Ortswechsel binnen kurzer Zeit vermieden werden. Um einer sich hieraus möglicherweise ergebenden „ertrotzten Kontinuität“ entgegen zu wirken, hat das BVerfG in seiner Rechtsprechung die Bedeutung einer kurzfristigen gerichtlichen Entscheidung betont.

Zeichnen sich daher möglicherweise eigenmächtige sorgerechtlich relevante Handlungen eines Elternteils ab, die unter dem Aspekt der Kontinuität praktisch irreversibel sind, so sollte unverzüglich gehandelt und ggf. im Eilverfahren eine gerichtliche Entscheidung herbeigeführt werden.

 

Schenk dich reich – oder: Verzichte nie auf dein Wohnrecht! (zu BGH v. 17.4.2018 – X ZR 65/17)

Der Sachverhalt ist alltäglich: Im Jahr 1995 übertragen die Eltern ihr Eigenheim an ihre Tochter und behalten sich daran ein lebenslanges Wohnungsrecht vor. 2003 verzichten die Eltern auf das Wohnungsrecht, das im Grundbuch gelöscht wird. Die Tochter vermietet die Wohnung nach dem Tod des Vaters für monatlich 340 € an die Mutter, die im Jahr 2012 in eine Pflegeeinrichtung wechseln muss und seitdem sozialhilfebedürftig ist. Der Sozialhilfeträger macht gegen die Tochter den Rückforderungsanspruch aus § 528 Abs. 1 Satz 1 BGB geltend und verlangt von der Tochter bis zum Tod der Mutter im Jahr 2015 aufgebrachte Sozialhilfeleistungen i.H.v. 22.000 €.

Da zwischen der Schenkung der Immobilie und der Entstehung der Bedürftigkeit der Mutter mehr als zehn Jahre vergangen waren, kommt diese Schenkung als Ansatz für den Rückforderungsanspruch nicht in Betracht (§ 529 Abs. 1 Alt. 2 BGB).

Ansatzpunkt für das Begehren des Sozialhilfeträgers kann daher zunächst nur die im Jahr 2003 erfolgte Löschung des Wohnungsrechts sein. Diese wird von der Rechtsprechung – sofern sie unentgeltlich erfolgt – zu Recht als Schenkung i.S.v. § 516 BGB angesehen. Ihr Wert wird an der Höhe der Wertsteigerung der Immobilie durch Wegfall der dinglichen Belastung bemessen (BGH v. 26.10.1999 – X ZR 69/97, NJW 2000, 728 = MDR 2000, 873; OLG Nürnberg v. 22.7.2013 – 4 U 1571/12, ZEV 2014, 38 = MDR 2014, 22 = ErbStB 2014, 97; Koch in MünchKomm/BGB, 7. Aufl., § 528 Rz. 5 Fn. 26).

Um den Anspruch des Sozialhilfeträgers abzuwehren, könnte man nun auf den Gedanken kommen, die Schenkung herauszugeben, also das Wohnrecht wieder einzuräumen. Dies scheitert indessen daran, dass der Rückforderungsanspruch des verarmten Schenkers lediglich „soweit“ besteht, als er außerstande ist, seinen angemessenen Unterhalt zu bestreiten. D.h. im Umfang des monatlichen Fehlbetrags. Dieser wird durch Wiedereinräumung des Wohnungsrechts indessen nicht realisiert. Das Schenkungsrecht verweist in § 528 Abs. 1 Satz 1 BGB auf das Bereicherungsrecht. Danach hat der Beschenkte, wenn die Herausgabe des Geschenks wegen der Beschaffenheit des Erlangten nicht möglich ist, Wertersatz zu leisten (§ 818 Abs. 2 BGB). Dieser Wertersatzanspruch ist in seiner Höhe begrenzt auf die Höhe der durch die Schenkung verursachten Bereicherung (§ 818 Abs. 3 BGB).

Da die Wiedereinräumung des Wohnungsrechts aus den oben dargestellten Gründen zur Abwehr des Zahlungsanspruchs des Sozialhilfeträgers nicht in Betracht kommt, kommt es auf die Höhe der durch die Löschung des Wohnungsrechts eingetretenen Bereicherung der Tochter an. Das OLG Hamm als Vorinstanz hatte angenommen, die Bereicherung der Tochter werde durch die ihr zukommenden Einkünfte aus Vermietung der Wohnung markiert, da die Tochter die Immobilie nicht veräußert und damit die durch den Wegfall des Wohnungsrechts eingetretene Steigerung des Marktwerts der Immobilie nicht realisiert habe (OLG Hamm v. 17.5.2017 – I-30 U 117/16). Dies hat der BGH nicht gelten lassen. Er stellt vielmehr darauf ab, dass der durch den Wegfall der dinglichen Wohnrechtsbelastung entstehende Wertzuwachs der Immobilie die vermögensrechtliche Bereicherung der Tochter darstellt, die gegebenenfalls von dieser herauszugeben ist.

Damit befindet sich der BGH in völliger Übereinstimmung mit seiner bisherigen Rechtsprechung, die für den Wert einer Schenkung auf die Bereicherung des Beschenkten abstellt und nicht etwa auf den Wert des Geschenks für den Schenker. Beide Werte können massiv differieren. Während das lebenslange Wohnrecht für eine 70-jährige Frau an einer Eigentumswohnung deren Verkehrswert auf Null reduzieren wird, weil bei Annahme einer 18-jährigen Restlebensdauer (nach Generationensterbetafeln des Statistischen Bundesamts DESTATIS) sich für eine solche Wohnung kein Käufer finden wird, kann der Gebrauchsvorteil des Wohnrechts für die berechtigte Person einen beachtlichen Vermögenswert darstellen (bei Annahme eines Rechnungszinses von 4 % und einem monatlichen Gebrauchsvorteil von 500 € wären dies ca. 77.000 €, bei Bewertung nach § 14 Abs. 1 Satz 4 BewG i.V.m. der Tabelle des BMF v. 4.11.2016 – IV C 7 – S 3104/09/10001 DOK 2016/101267, die auch für Bewertungsstichtage ab dem 1.1.2018 anzuwenden ist, ergäbe sich ein Betrag i.H.v. 66.492 €).

Das schwer zu vermittelnde Paradoxon der Entscheidung des BGH besteht nun darin, dass die Mutter durch Aufgabe eines für sie im Zeitpunkt des Eintritts ihrer Bedürftigkeit wertlosen Wohnungsrechts, ihre unterhaltsrechtliche Position deutlich verbessert hat, weil der Grundstückswert durch diesen Wegfall der Belastung einen enormen Anstieg erlebt haben kann, der deutlich oberhalb des Werts des Wohnungsrechts liegen wird. Die unterhaltsbedürftige Person verbessert daher durch Aufgabe eines vermögenswerten Rechts im Wege der Schenkung ihre unterhaltsrechtliche Position deutlich. Der inkongruente Verkehrswert des Wohnrechts für den Berechtigten und den Eigentümer bewirkt eine Besserstellung des Schenkers gegenüber der Situation vor der Schenkung. Es besteht nämlich völlige Einigkeit darüber, dass eine pflegebedürftige Person, die Inhaberin eines Wohnungsrechts ist, dieses aber infolge ihrer Pflegebedürftigkeit nicht ausüben kann, keinen Anspruch auf Zahlung in Höhe des fiktiven Mietzinses hat, weil das Wohnrecht unveräußerbar ist (BGH v.13.7.2012 – V ZR 206/11, FamRZ 2012, 1708).

Der BGH hat die Sache zur Entscheidung an das OLG Hamm zurückverwiesen. Dort kann sich nun die beschenkte Tochter darauf berufen, den Wertersatzanspruch der Mutter nur im Rahmen ihrer unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit erfüllen zu können (§ 529 Abs. 2 BGB). Anstelle des altertümlichen Wörtchens „standesgemäß“ ist nach einhelliger Auffassung „angemessen“ zu lesen. Angemessen ist grundsätzlich der entsprechend familienrechtlich zu berechnende Unterhalt nach elternunterhaltsrechtlichen Gesichtspunkten (Palandt/Weidenkaff, 77. Aufl., § 529 BGB Rz. 3). Ob die unterhaltspflichtige Tochter den Wertersatzanspruch aus Ihrem Vermögen zu erfüllen hat, ist bislang nicht entschieden. Da im Elternunterhalt den Unterhaltspflichtigen ein hohes Altersvorsorgeschonvermögen ein geräumt wird (BGH v. 30.8.2006 – XII ZR 98/04, FamRZ 2006, 1511), scheitert der Zahlungsanspruch des Sozialhilfeträgers möglicherweise an der Notbedarfseinrede der Tochter.

Für die anwaltliche Praxis und die beschenkten Kinder ist indessen als Grundsatz festzuhalten, dass die Aufgabe eines Wohnungsrechts an einer Immobilie zum Bumerang werden kann, wenn die wohnberechtigte Person innerhalb der Revokationsfrist von zehn Jahren sozialhilfe- und damit unterhaltsbedürftig wird.

Korrekturhinweis der Heubeck-AG: Kapitalwerte stimmen nicht!

 Die Heubeck AG hat einen Warnhinweis ausgegeben: Die Heubeck Richttafeln 2018-G enthalten offensichtlich einen finanzmathematischen Kalkulationsfehler, der zur Fehlberechnung der Kapitalwerte von betrieblichen und privaten Altersversorgungen führen kann. Die neuen Richttafeln 2018 G sind erst im Juli 2018 veröffentlicht worden. Die Kalkulationsergebnisse der neuen Gerichtstafeln weichen nur unwesentlich von denen der alten Gerichtstafeln ab und wären versorgungsausgleichsrechtlich weitgehend zu ignorieren gewesen.

Die jetzige Korrekturmitteilung lässt indessen aufhorchen und bietet all denjenigen, die eine Verzögerung von Versorgungsausgleichsverfahren aus dem Interesse ihrer Mandanten heraus betreiben die Chance, erneut auf die Zeitbremse zu treten und eine Korrektur der Tabellen und der Bewertungen abzuwarten.

Gegenüber den alten Tabellenwerten ist jedoch nichts wesentlich Neues zu erwarten. Waren bereits die auf der Basis der neuen Tabellen für den klassischen Scheidungsfall errechneten Werte nur unwesentlich anders als die nach den alten Tabellen ermittelten Werte, werden auch die neuen Tabellen keine revolutionären neuen Zahlen erbringen. Wie gering die Differenzen der unterschiedlichen Berechnungsmethoden sind, macht der nachfolgende Vergleich deutlich:

Kapitalwertkontrolle

Das Beispiel zeigt, dass die mithilfe des kostenlosen Programms von Hauß/Glockner nahezu identische Ergebnisse erzielt werden wie mit den Heubeck Tabellen. (Das Programm finden Sie auch auf der Homepage des FamRB!)

Die Heubeck AG hat eine Korrektur ihrer Tabellen 2018-G für die nächsten 14 Tage angekündigt. Es wird sicherlich ein bis zwei Monate dauern, bis die Versorgungsträger Auskünfte auf der Basis der neuen Tabellen erteilen können. Derzeit vorliegende Auskünfte über die Kapitalwerte der Versorgungen sind mit den Heubeck Tabellen 2005-G erstellt. Im Hinblick darauf, dass deren Werte nicht mehr aktuell sein dürften, könnten die Verfahrensbeteiligten neue Auskünfte der Versorgungsträger einfordern. Ob dies angesichts der geringen Differenzen sinnvoll ist, mag jeder für sich entscheiden. Eine Verzögerung des Versorgungsausgleichsverfahrens bringt den ausgleichspflichtigen Rentenbeziehern in der Regel Vorteile, wiewohl jedes familiengerichtliche Verfahren eine Beeinträchtigung der Lebensqualität der Beteiligten darstellt.

Ein „Kampf um die Tabellen“ lohnt also nur in seltenen Fällen, zumal der Versorgungsträger einwenden könnte, die bilanzielle Rückstellung für die zu bewertende Versorgung sei noch mit Hilfe der alten Tabellen vorgenommen worden.

Wer ist eigentlich für Gerechtigkeit zuständig? (zu BGH v. 27.6.2018 – XII ZB 499/17)

Was Gerechtigkeit ist, ist eine philosophisch schwierige Frage. Ebenso die Frage, wer für sie zuständig ist. Ein Blog-Beitrag wird nicht klären, was die gesellschaftliche Diskussion bislang nicht geschafft hat. Eine Entscheidung des BGH zum Versorgungsausgleich indessen hilft weiter.

Der Fall ist schnell berichtet: M(62) und F(52) lassen sich scheiden. Zum Ehezeitende (2013) ist M Rentner. Der betriebliche Versorgungsträger teilt die ehezeitliche Rente von M mit 1.975 € mit und schlägt als Ausgleichswert eine Rente für F i.H.v. 1.570 € vor. Dieser Wert ergibt sich aus der Umrechnung der Mannesrente in einen Kapitalwert, dessen Halbteilung und der Umrechnung des hälftigen Kapitalwerts in eine Frauenrente. Deren die Halbteilung deutlich übersteigender Wert resultiert aus dem deutlich geringeren Alter der F.

Das Familiengericht hält sich nicht an den Vorschlag des Versorgungsträgers und begründet zugunsten der F eine Versorgung aus einem Ausgleichswert von 170.000 €. Dieser Systemwechsel (von Rente zum Kapital) empört die F, sie legt Beschwerde ein. Das OLG gibt dieser statt und begründet für F, wie vom Versorgungsträger vorgeschlagen, eine Versorgung in Höhe von 1.570 € anstelle des Kapitalwerts. Das empört nun den Mann, der die zugelassene Rechtsbeschwerde einlegt. Der BGH beschließt – dogmatisch korrekt – die Versorgung sei auf der Basis ihrer Bezugsgröße zu teilen, diese habe der Versorgungsträger als Rente angegeben, also müsse die Halbteilung auf Rentenbasis erfolgen. Er weist den Fall an das OLG zurück, das nun zu ermitteln hat, wie hoch die Rente des inzwischen Rente beziehenden M aktuell ist, damit deren aktualisierter Ehezeitanteil hälftig geteilt wird.

Na prima, wird der eilige Leser sagen, die Rententeilung ist doch das Gerechteste, was überhaupt passieren kann. Der Gesetzgeber hat einen allgemeinen Rahmen geschaffen, den die Gerichte – wenn auch über drei Instanzen mit unterschiedlichen Ergebnissen – schließlich zu einem individuell gerechten Ergebnis konkretisiert haben. Beide erhalten – bezogen auf die Ehezeit – die gleiche Rente, keine Transferverluste, der vollständige Sieg nomineller Gerechtigkeit.

Der Schein trügt. Für M und F ist nicht maßgeblich, ob im Ehezeitende 2013 gleich hohe Rentenanteile begründet werden, sondern dass sich die Renten auch gleich entwickeln. Das ist aber bei der vom BGH dogmatisch begründeten Lösung nicht der Fall, weil M seine Rente altersbedingt 10 Jahre vor F erhält. Aus seinem ehezeitlichen Rententeil von 1.975 / 2 = 987,50 € sind bei anzunehmender Leistungsdynamik von 1,75 % bei Renteneintritt von F bereits 1.175 € geworden. F wird aber bei Renteneintritt nur 987,50 € Rente erhalten. Dass sie ein Rentenminus von rd. 200 € monatlich als gerecht empfinden wird, ist zu bezweifeln.

An dieser Stelle kommen nun Beteiligte und Anwaltschaft bei der Suche nach Gerechtigkeit ins Spiel. Auch das Verfahrensrecht dient in seiner formalen Strenge der Gerechtigkeit. Eines ist nämlich gewiss: M verliert die Hälfte seines ehezeitlichen Versorgungserwerbs, also 987,50 €, ab Rechtskraft der Entscheidung, gleichgültig ob auf Kapital- oder Rentenbasis geteilt wird. F könnte aber 1.570 € Rente statt 987,50 € bekommen, wenn es bei der Entscheidung des OLG oder des Familiengerichts verbliebe. Die Umrechnung des Kapitalwerts von 170.000 € in eine Rente erbrächte ebendieses Ergebnis. Nähme also F ihre Beschwerde zurück, erwüchse die Entscheidung des Familiengerichts in Rechtskraft. F hätte eine schöne Rente, M keinen Nachteil und der Versorgungsträger keinen Vorteil. Die BGH-Lösung führt beim Versorgungsträger nämlich zu einer Einsparung von rd. 70.000 €. Im Interesse des ungekürzten weiteren Versorgungsbezugs durch M, der für F nicht nachteilig ist, sollten die beiden das Verfahren noch ein wenig verzögern. F sollte dann ihre Beschwerde zurücknehmen, bevor sie selbst in Rente geht. Das wäre dann eine gute anwaltliche Taktik, um M das „Rentnerprivileg“ zu verschaffen (vgl. dazu den Blogbeitrag des Verfassers „Das Märchen vom teuren Rentnerprivileg“).

Die eingangs gestellte Frage nach der Zuständigkeit wäre damit beantwortet: Alle Beteiligten sind zuständig, gerechte Ergebnisse zu produzieren: Der Gesetzgeber, indem er allgemeine Regelungen aufstellt und bei erkannten Fehlern zügig auch repariert, die Gerichte, indem sie diese Regeln auf den Einzelfall anwenden und im Rahmen ihrer judikativen Kompetenz ergänzen, und die Anwaltschaft, indem sie ihre Mandanten robust dazu anhält, sinnvolle Lösungen zu finden. Das vorliegende Beispiel zeigt, dass bei Verständnis für die Systematik von Versorgungen und ihres Ausgleichs ohne Schwierigkeiten Win-Win-Situationen zu vereinbaren sind.

 

Elterninteresse? Nur, wenn es das Recht des Kindes zulässt! (BGH v. 27.2.2018 – VI ZR 86/16)

Fragen der elterlichen Sorge und des Umgangs mit einem Kind werden zunehmend streitig ausgetragen. Nicht mehr allein das familiengerichtliche Verfahren selbst ist Schauplatz der Auseinandersetzung und der konträr vorgetragenen Meinungen. Zunehmend werden auch sonstige Behörden oder gar die Medien in die Auseinandersetzung einbezogen und zum Instrument der eigenen Meinung gemacht. Es finden sich immer wieder und häufiger Ankündigungen von Verfahrensbeteiligten, dass sie eine als ungerecht empfundene Verfahrensführung oder das Ergebnis des Verfahrens selbst an die „Presse“ bringen werden. So tauchen auch immer wieder Beiträge in Fernsehreportagen auf, die vermeintliche Missstände bei Gerichten, Jugendämter oder sonstigen Verfahrensbeteiligten darstellen. Wer regelmäßig mit Kindschaftsverfahren befasst ist, wünscht sich an dieser Stelle, dass auch die Sichtweise der „Angeprangerten“ – dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs“ folgend – ebenso akribisch in diese Beiträge einbezogen worden wäre. Dass gerade die Gerichte oder Jugendämter sich aus gutem Grund nicht in diesen Beiträgen äußern – um in der Regel auch nicht in laufende Verfahren einzugreifen – wird üblicherweise ignoriert. Die Richtigkeit der eigenen Meinung und das Fehlverhalten des anderen Elternteils werden letztlich dann auch noch unter Beweis gestellt durch Fotos oder Filmaufnahmen des Kindes, die ganz selbstverständlich damit auch der Öffentlichkeit zugänglich werden.

Die hiermit einhergehende Problematik hat der BGH in einer aktuellen Entscheidung aufgegriffen: In dem zugrunde liegenden Sachverhalt stand der minderjährige Kläger seit September 2007 unter Amtsvormundschaft des Jugendamts und lebte in einer stationären Jugendhilfeeinrichtung. Bis September 2007 hatte er bei seinen Großeltern gelebt, die auch die Vormundschaft für ihren Enkel innehatten. Als außergerichtlicher Beistand der Großeltern trat ein eingetragener Verein auf, durch den im Jahr 2009 eine Mail an den Amtsvormund versandt wurde, mit der er zu einer Kindeswohlgefährdungsanalyse aufforderte. Im Anhang der Mail fanden sich mehrere Lichtbilder des Kindes, auf denen es mit bloßem Oberkörper zu sehen war und die auch äußere Verletzungen des Kindes zeigten. Kopien dieser Mail versandte der Verein zudem aber auch an den EU-Petitionsausschuss, das Europäische Parlament, das „Secretariat of the CPT“, „Report München“, an die Heimaufsicht Landschaftsverband R, an die Poststelle eines Landgerichts sowie an die Poststelle eines Amtsgerichts. Das Landgericht war zuvor mit einem Verfahren befasst gewesen, in dem zwei Anwälte Unterlassungsansprüche gegen den Verein geltend gemacht hatten, da ohne ihre Zustimmung Schriftsätze veröffentlicht worden waren, die sie in dem Sorgerechtsverfahren als Vertreter des späteren Amtsvormunds gefertigt hatten. In dem Verfahren beim Amtsgericht hatte das Kind gegenüber dem Verein Abmahnkosten zur Erstattung beantragt, folgend aus der Einstellung eines Filmbeitrags auf einer Internetseite, in dem Bilder von ihm gezeigt wurden anlässlich eines Berichts über das Sorgerechtsverfahren.

Zur Entscheidung im Revisionsverfahren standen Unterlassungsansprüche des Kindes gegen den Verein mit Blick auf die versandten Mailkopien, nachdem das Berufungsgericht die vollumfänglich stattgebende Ausgangsentscheidung teilweise abgeändert und lediglich die Versendung der Mail an den EU-Petitionsausschuss, das Europäische Parlament sowie das „Secretariat of the CPT“ gerügt hatte. Der BGH ist weitestgehend der Rechtsauffassung des Klägers gefolgt und hat das Rechtschutzbedürfnis für das Unterlassungsbegehren allein insoweit verneint, als sich der Kläger auch gegen die Versendung der Mail an den Landschaftsverband wandte.

In der Begründung seiner Entscheidung hat der BGH darauf verwiesen, dass grundsätzlich kein Rechtschutzbedürfnis für Unterlassungsansprüche gegen Äußerungen besteht, die in einem Zivilverfahren  zur Rechtsverfolgung oder -verteidigung getätigt werden. Dies soll im Grundsatz auch für Lichtbilder gelten, die zu diesem Zweck eingereicht werden. Aber es ist dem besonderen Stellenwert des Schutzes am eigenen Bild als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bei Fotos Rechnung zu tragen, die dem Schutz der §§ 22, 23 KUG unterfallen. Daher müssen die Bilder einen besonders engen sachlichen Bezug zum Verfahren aufweisen.

Soweit sich der Verein mit seiner Mail an den Landschaftsverband als Behörde der Heimaufsicht wandte, verneinte der BGH das Rechtschutzbedürfnis des Klägers für seinen Unterlassungsanspruch, da sich aus den Fotos der Verdacht der Kindesmisshandlung in dem Heim zu entnehmen lasse. Als aufsichtsführendes Landesjugendamt müsse der Landschaftsverband diesem Verdacht nachgehen.

Nach § 22 KUG dürfen Bilder nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder veröffentlicht werden, wobei die Einwilligung als im Zweifel erteilt gilt, wenn der Betreffende eine Entlohnung dafür erhalten hat, dass er sich abbilden ließ. Von § 823 Abs. 2 BGB wird als „sonstiges Recht“, dessen Verletzung eines Schadensersatzpflicht auslösen kann, das Recht am eigenen Bild als Ausgestaltung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts i.S.d. Art. 2 Abs. 1 GG geschützt. Eine Verletzung des Rechts aus § 22 KUG löst zudem einen Unterlassungsanspruch nach § 1004 BGB aus. Ist das abgebildete Kind noch minderjährig, so entscheidet grundsätzlich der Sorgerechtsinhaber, ob er einer Verbreitung oder Veröffentlichung des Fotos zustimmt. Problematisch wird es, wenn eine gemeinsame Sorgeberechtigung der Eltern besteht und ein Elternteil mit der Veröffentlichung nicht einverstanden ist. In diesem Fall bedarf es gegebenenfalls der Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf einen Elternteil nach § 1628 BGB.

Die aktuelle Entscheidung des BGH sollte den Blick für die Problematik schärfen, dass Kinder in Sorge- oder Umgangsrechtsverfahren nicht nur „Anknüpfungspunkt“ für die Austragung von Konflikten erwachsener Beteiligter sind, die allzu häufig leider mit den Belangen des Kindes weder etwas zu tun haben noch effektiv deren Interessen verfolgen. Wenn es in einem Verfahren um das „Wohl des Kindes“ zu gehen hat, dann ist das allein der Maßstab der Verfahrensführung und der Interessenwahrnehmung. Dazu gehört selbstverständlich, dass zu allererst immer zu prüfen ist, welche konkreten Folgen ein prozessuales Handeln für das Kind persönlich hat. Wer Fotos eines Kindes öffentlich zugänglich macht – in der Regel um eigene Interessen zu untermauern – sollte jeweils für sich hinterfragen, ob er in dieser Situation auch ein Foto von sich persönlich so frei zugänglich machen würde.

Die Entzauberung des Zauberworts von der Funktionsäquivalenz oder: Wieviel Schutz brauchen Ehegatten? (zu BGH v. 20.6.2018 – XII ZB 84/17)

In seiner Entscheidung v. 20.6.2018 – XII ZB 84/17 leitsatzt der BGH, die richterliche Ausübungskontrolle von Eheverträgen diene nicht dazu, dem durch den Ehevertrag belasteten Ehegatten zusätzlich entgangene ehebedingte Vorteile zu gewähren und ihn dadurch besser zustellen, als hätte es die Ehe und die mit der ehelichen Rollenverteilung einhergehende Disposition über Art und Umfang seiner Erwerbstätigkeit nicht gegeben. Gleichzeitig hegt der BGH die unter dem Stichwort der Funktionsäquivalenz teilweise heranwachsenden Wünsche ein: Bei modifiziertem Zugewinnausgleich oder vereinbarter Gütertrennung ist auch im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung eine güterrechtliche Kompensation mangelnden Versorgungserwerbs nicht erforderlich, wenn der ehezeitliche Versorgungserwerb in einem dem Versorgungsausgleich unterliegenden primären Versorgungssystem ausreichend ist, dem Versorgungsberechtigten eine selbstständige (Basis-)Absicherung für den Fall von Alter oder Invalidität zu bieten. Für ein über die Halbteilung der berufsständischen Versorgungsanrechte hinausgehendes „Hinübergreifen“ auf das güterrechtliche Ausgleichssystem im Wege richterlicher Ausübungskontrolle bestehe jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Funktionsäquivalenz kein Raum (Rz. 27).

Die von „Ehevertragsreue“ gekennzeichnete Berufung eines Ehegatten im Scheidungsfall auf versorgungsrechtliche Benachteiligung durch Gütertrennung oder Modifikation der Zugewinnausgleichsgemeinschaft ist mit dieser Entscheidung weitgehend verstellt. Der Ehemann (Arzt) hatte in der Ärzteversorgung in 17-jähriger Ehe eine Versorgung von rund 709 € monatlich aufgebaut und damit einen jährlichen Versorgungserwerb in Höhe von knapp 42 € Monatsrente realisiert. Die Funktion eines primären Altersversorgungssystems sei es, dem Versorgungsberechtigten eine „selbstständige Basis-Absicherung für den Fall von Alter oder Invalidität zu bieten“. Bei einem Versorgungserwerb von 42 € Monatsrente pro Erwerbsjahr sei dieser Zweck erfüllt.

Einen den Ehevertrag durch ergänzende Vertragsauslegung zu korrigierenden ehebedingten Nachteil der Ehefrau vermochte der BGH nicht zu erkennen. Diese hätte, wenn sie ihren Beruf als Produktdesignerin ehezeitlich ausgeübt hätte, 19,32 Entgeltpunkte in der gesetzlichen Rentenversicherung erwerben können, was einem Kapitalwert i.H.v. 110.399,89 € entspräche. Der Kapitalwert des Ausgleichswerts der Ärzteversorgung habe 66.297 € betragen. Die Differenz zum fiktiven eigenen Versorgungserwerb der Ehefrau werde durch den ehevertraglich modifizierten Zugewinnausgleich (Teilhabe an zwei Kapitallebensversicherungen des Ehemannes) ausgeglichen.

Die Entscheidung macht deutlich: Wer einen Ehevertrag schließt, kann auch bei längerer Ehe nicht davon träumen, dessen Regelungen so einfach auszuhebeln. Die Ehe ist ein privatrechtliches Versprechen zweier Personen, dessen Bedingungen weitgehend privatautonom gestaltet werden können und dessen Folgewirkungen durch die Rechtsordnung nur öffentlich-rechtlich determiniert sind. Der staatlich zu garantierende Schutz des „schwächeren“ Ehegatten beschränkt sich auf den Ausgleich ehebedingter Nachteile, nicht aber auf die Teilhabe an ehebedingten Vorteilen, wenn die Ehegatten diesen Vorteilserwerb abbedungen haben. Dies entspricht einem modernen Eheverständnis, das der Privatautonomie den notwendigen Atmungsraum gewährt und diesen nur dann begrenzt, wenn ehebedingte Nachteile planwidrig nicht kompensiert werden, was Kompensationsfähigkeit voraussetzt.

Die Ehe ist im 21. Jahrhundert keine Institution zu Versorgungssicherung oder Vermögensmehrung. Sie ist eine freiwillig begründete Lebens- und Austauschgemeinschaft volljähriger gleichberechtigter Menschen, die des gesetzlichen Schutzes nur in Ausnahmefällen bedürfen.

 

Wer den Umgang sabotiert, muss mit Folgen rechnen (OLG Hamburg v. 9.5.2018 – UF 75/162)

Die Ausübung von Umgangskontakten ist ein in der Praxis immerwährender Streitpunkt. Auch wenn es klare gerichtliche Regelungen zur Ausgestaltung der Umgangskontakte gibt, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass der betreuende Elternteil auch bereit ist, diese Reglung tatsächlich umzusetzen bzw. ist nicht jeder Elternteil sich der Tatsache bewusst, dass der Umgang zuvorderst ein Recht des Kindes ist und es daher nicht in seinem persönlichen Belieben steht, ob er den Umgang wahrnehmen möchte oder nicht. Ebenso wie die verlässliche Einhaltung einer Umgangsregelung häufig für einen Elternteil unabdingbare Voraussetzung zur Wahrnehmung einer mit Wochenenddiensten verbundenen Erwerbstätigkeit sein kann, kann umgekehrt die kurzfristige Verweigerung eines vereinbarten Umgangskontakts durchaus eine erhebliche Vermögenseinbuße zu Lasten des Umgangsberechtigten darstellen.

Mit einem entsprechenden Sachverhalt und den hieraus folgenden rechtlichen Konsequenzen für den boykottierenden Elternteil, hat sich aktuell das OLG Hamburg befasst: Im Jahr 2016 wurde der Umgang des Vaters mit dem gemeinsamen Kind der Beteiligten durch Beschluss dahin geregelt, dass er berechtigt war, vom 18.02.2016 10.00 Uhr bis 21.02.2016 14.00 Uhr den Umgang wahrzunehmen. Zu diesem Zeitpunkt war die Mutter mit dem Kind auf Mallorca wohnhaft, so dass der Vater zur Ausgestaltung des Umgangs aus Hamburg anreiste. Ein Umgang konnte aber an dem Wochenende nicht durchgeführt werden, wobei die Mutter vortrug, dass der Vater erst nach 10.00 Uhr angereist sei und durch sein sehr dominantes Auftreten das Kind massiv verunsichert habe, so dass es sich geweigert habe, allein bei dem Vater zu bleiben. Die ihm im Zusammenhang mit der Anreise nach Mallorca entstandenen Aufwendungen hat der Vater als Schadensersatz geltend gemacht.

Das OLG Hamburg hat dem Vater Schadensersatz wegen vergeblicher Aufwendungen in Höhe von rund 906 EUR zuerkannt für Flug, Unterkunft, Mietwagen und Parkhausgebühren und darauf verwiesen, dass das aus § 1684 BGB folgende Recht zum Umgang zwischen den Eltern ein gesetzliches Rechtsverhältnis familienrechtlicher Art eröffne, das durch § 1684 Abs. 2 Satz 1 BGB näher ausgestaltet werde und an dem das Kind als Begünstigter teilhabe. Von diesem Rechtsverhältnis werde auch die im Interesse des Kindes liegende Pflicht umfasst, bei der Gewährung des Umgangs auf die Vermögensbelange des Umgangsberechtigten Bedacht zu nehmen und die Wahrnehmung des Umgangsrechts nicht durch Auferlegung unnötiger Vermögensopfer zu erschweren oder sogar dem Kindeswohl zuwider für die Zukunft zu verleiden. Eine Verletzung dieser Pflicht könne Schadensersatzpflichten auslösen. Dem Elternteil, bei dem das Kind seinen Aufenthalt habe, obliege es, auf das Kind erzieherisch so einzuwirken, dass es den Umgang nicht als belastend empfinde und eine positive Einstellung zur Durchführung des Umgangs gewinne. Er habe den Umgang nicht nur zuzulassen, sondern auch positiv zu fördern. Allein die Tatsache, dass der Vater zu einer späteren Uhrzeit erschienen sei, rechtfertige per se keine Umgangsverweigerung, zumal er unstreitig per Mail mitgeteilt zu haben, dass er zwischen 11.30 Uhr und 12.00 Uhr erscheinen werden, abhängig davon, wie schnell es mit dem Mietwagen gehe. Auch der Verweis auf das angeblich dominante Verhalten greife nicht, da es unwidersprochen an dem Wochenende überhaupt keinen Kontakt zwischen Vater und Kind gegeben habe, so dass das Kind den Vater überhaupt nicht habe dominant erleben können.

Im Zusammenhang mit der Einführung des FamFG war die Beschleunigung des Vollstreckungsverfahrens ein zentrales Anliegen des Gesetzgebers. Um dieses Ziel umzusetzen, wurde nicht nur der Hinweis auf die Folgen einer Zuwiderhandlung gegen einen Umgangstitel in das Ausgangsverfahren verlagert, sondern auch sichergestellt, dass die Prüfung der Rechtmäßigkeit der zu vollstreckenden Entscheidung grundsätzlich nicht mehr im Vollstreckungsverfahren wiederholt und von der im Erkenntnisverfahren durchgeführten Kindeswohlprüfung auszugehen ist. Wird eine Umgangsregelung durch einen Elternteil nicht eingehalten, so treffen ihn nur dann keine Ordnungsmittel, wenn er nicht schuldhaft gegen die Regelung verstoßen hat. Es trifft ihn die volle Substantiierungs- und Feststellungslast u.a. dafür, wie er auf das Kind eingewirkt und sein pädagogisches Gewicht genutzt hat, um das Kind zu einem Umgang zu bewegen, d.h. eine etwaige ablehnende Haltung des Kindes zu überwinden.

In der Praxis ist festzustellen, dass die Gerichte bei der Beantragung von Ordnungsmitteln ihre Prüfung verschärft haben und ein blockierender Elternteil durchaus damit rechnen muss, dass sein boykottierendes Verhalten mit Sanktionen verbunden sein kann (zuletzt OLG Bremen v. 24.11.2017 – 4 UF 61/17, FamRB 2018, 97 zur Verletzung einer vergleichsweisen Ferienregelung). An die Stelle nicht beitreibbarer Ordnungsgelder tritt durchaus auch die Anordnung von Ordnungshaft, wobei ggf. auch die Zuerkennung von Schadensersatz verdeutlichen kann, dass die Verhinderung von Umgangskontakten ein massiver Eingriff in Rechte des Kindes und letztlich Ausdruck einer mangelnden Erziehungseignung ist.

Kurz & knapp: BGH zu § 1578b BGB

Der Sommer 2018 macht die Dringlichkeit klimaschützender Maßnahmen jedem schwitzenden Juristen überdeutlich. Umso erfreulicher, dass auch der BGH – trotz tendentiell zunehmender Textfülle seiner Entscheidungen – in einer Entscheidung v. 4.7.2018 (XII ZB 448/17), dem Konzentrationsgebot folgend, die in der Praxis so aufwendig zu begründende Unterhaltsbegrenzungsnorm anwaltspraktisch komprimiert dargestellt hat:

Rz. 24: „§ 1578 b BGB beschränkt sich allerdings nicht auf die

  • Kompensation ehebedingter Nachteile, sondern berücksichtigt auch
  • eine darüber hinaus gehende nacheheliche Solidarität. Auch wenn keine ehebedingten Nachteile feststellbar sind, ist eine Herabsetzung oder Befristung des nachehelichen Unterhalts nur bei Unbilligkeit eines fortdauernden Unterhaltsanspruchs nach den ehelichen Lebensverhältnissen vorzunehmen.
  • Bei der insoweit gebotenen umfassenden Billigkeitsabwägung ist das im Einzelfall gebotene Maß der nachehelichen Solidarität festzulegen. Wesentliche Aspekte hierbei sind neben der  
    • Dauer der Ehe insbesondere
    • die in der Ehe gelebte Rollenverteilung wie auch die
    • vom Unterhaltsberechtigten während der Ehe erbrachte Lebensleistung.
    • Bei der Beurteilung der Unbilligkeit einer fortwährenden Unterhaltszahlung sind ferner die wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien von Bedeutung, so dass der Tatrichter in seine Abwägung auch einzubeziehen hat, wie dringend der Unterhaltsberechtigte neben seinen eigenen Einkünften auf den Unterhalt angewiesen ist und
    • in welchem Maße der Unterhaltspflichtige unter Berücksichtigung weiterer Unterhaltspflichten durch diese Unterhaltszahlungen belastet wird.
    • In diesem Zusammenhang kann auch eine lange Dauer von Trennungsunterhaltszahlungen bedeutsam sein (Senatsbeschluss vom 8. Juni 2016 – XII ZB 84/15, FamRZ 2016, 1345 Rz. 15 m.w.N.).


Rz. 25:
Als Rechtsfolge sieht § 1578b Abs. 1 Satz 1 BGB die Herabsetzung bis auf den angemessenen Lebensbedarf vor. Dieser Maßstab bildet regelmäßig die Grenze für die Herabsetzung des nachehelichen Unterhalts und bemisst sich nach dem Einkommen, das der unterhaltsberechtigte Ehegatte ohne Ehe und Kindererziehung aus eigenen Einkünften zur Verfügung hätte. Aus dem Begriff der Angemessenheit folgt aber zugleich, dass der nach § 1578 b Abs. 1 BGB herabgesetzte Unterhaltsbedarf jedenfalls das Existenzminimum des Unterhaltsberechtigten erreichen muss (Senatsbeschluss vom 8. Juni 2016 – XII ZB 84/15, FamRZ 2016, 1345 Rz. 16 m.w.N.).

 

Das liest sich gut und leicht. Nur die gliedernde Struktur und die Fettmarkierungen mussten gesetzt werden. Wer in der Diskussion um § 1578b BGB diese Punkte beherzigt, kann eigentlich nichts mehr falsch machen. Danke. Dem Pariser Klimaschutzabkommen sollte ein beitrittsfähiges Karlsruher Textfüllebegrenzungsabkommen folgen. 2004 betrug die durchschnittliche Seitenzahl einer BGH-Entscheidung noch 10 Seiten, 2014 waren es bereits 14 Seiten.[1] Die jetzige Entscheidung ist 14 Seiten lang. Man sieht, das reicht.

[1] Das lässt sich dank ausgeklügelter Datenverarbeitung schnell ermitteln.