Und sie bewegt sich doch! – Fondsbasierte Versorgungen sind auf Basis der ehezeitlichen Fondsanteile zu teilen! (BGH v. 19.7.2017 – XII ZB 201/17)

Seit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 29.2.2012 – XII ZB 609/10, FamRZ 2012, 694 = FamRB 2012, 177, war ein versorgungsausgleichsrechtliches Ärgernis in der Welt: Die externe Teilung fondsgestützter Versorgungen durfte nicht in Fondsanteilen tenoriert werden, sondern, bezogen auf das Ehezeitende in einem Kapitalwert. Allein dies, so damals der BGH, ermögliche eine zweifelsfreie Vollstreckung. Gleichzeitig erklärte der BGH, dass ein nachehezeitlicher Wertverlust des Fonds im Versorgungsausgleich zu berücksichtigen sei, weil dem Versorgungsträger nicht zugemutet werden könne, zum Zeitpunkt der Rechtskraft mehr auszugleichen, als noch vorhanden sei. An einer Wertsteigerung der Fondsanteile zwischen Ehezeitende und Rechtskraft der Versorgungsausgleichsentscheidung nehme die ausgleichsberechtigte Person indessen nicht Teil, weil dies ein nachehezeitliches Ereignis sei. Dies hat zu dem flapsigen Spruch geführt: „Nach unten immer, nach oben nimmer“.

Dies gilt nun nicht mehr. Mit der Entscheidung vom 19.7.2017 – XII ZB 201/17 gibt der BGH diese Rechtsprechung ausdrücklich auf und lässt nunmehr auch im Fall externer Teilung eine Tenorierung zu, die die ehezeitlich erworbenen Fondsanteile teilt. Die Vollstreckbarkeit einer solchen Entscheidung sieht der BGH als gegeben an, weil der Kurswert dieser Fondsanteile anhand der ISIN-Nummer taggenau bestimmt werden kann (§ 170 KABG).

Diese Entscheidung adelt den hartnäckigen Widerstand einiger Versorgungsausgleichsrechtler und belohnt die Konsequenz, mit der das Oberlandesgericht Frankfurt seine Entscheidung, die der BGH gehalten hat, begründete (OLG Frankfurt v. 24.3.2017 – 4 UF 249/15; OLG Frankfurt v. 28.2.2013 – 4 UF 194/11, FamRZ 2013, 1806 = FamRB 2013, 242). Damit schließt der BGH eine Gerechtigkeitslücke und zwar in beide Richtungen: Die Teilung von Fondsanteilen spiegelt die Werthaltigkeit der Versorgung weit besser wider als jeder stets nur auf einen bestimmten Stichtag bezogene Kapitalwert, der wegen der Marktabhängigkeit des Werts der Fondsanteile ständigen Wandlungen unterzogen ist. Dies kann sich zum Nachteil der ausgleichsberechtigten Person, nunmehr aber auch zu deren Vorteil auswirken.

Gleichzeitig macht der BGH darauf aufmerksam, dass der im Tenor einer Versorgungsausgleichsentscheidung enthaltene Bezug auf das Ehezeitende lediglich zur Bemessung des Ehezeitanteils und zur Verdeutlichung des Ausschlusses der ausgleichspflichtigen Person an der Wertentwicklung des der ausgleichsberechtigten Person zustehenden Ausgleichswerts dient.

Wenn zwischen Ehezeitende und der Rechtskraft der Entscheidung eine größere Zeitspanne liegt, treten Wertentwicklungen des Ausgleichswerts ein, die angesichts teilweiser hoher Rechnungszinsen nicht unerheblich sind. Immerhin verdoppelt sich ein Kapital bei einem Zinssatz von 6 % in ca. sieben Jahren. (Man kann die Zeit, in der sich ein Kapital bei Aufzinsung verdoppelt relativ genau ermitteln, indem man 72 durch den Rechnungszinssatz teilt.) Ehescheidungsverfahren dauern leider oft länger. Würde man dem Versorgungsträger die Möglichkeit einräumen, die Versorgungsbegründung für die ausgleichsberechtigte Person erst zum Zeitpunkt der Rechtskraft der Entscheidung vorzunehmen, bliebe dieser Wertzuwachs in der Kasse des Versorgungsträgers. Deswegen ist die Anordnung der Verzinsung im Tenor der Versorgungsausgleichsentscheidung zwischen Ehezeitende und Rechtskraft wichtig. Bedauerlicherweise wird dies von der Anwaltschaft und den Gerichten nur sehr schlampig beachtet.

Der BGH führt aus, richtiger als die Verzinsung, sei die Aufzinsung. Dies stimmt. Wenn es der BGH gleichwohl bei der Verzinsung des Ausgleichswerts zwischen Ehezeitende und Rechtskraft Eintritt belässt, sieht er sich aus praktischen Gründen dazu veranlasst. Er meint, die Rechtspraxis sei mit der Aufzinsung des Ausgleichswerts überfordert (Rz. 34).

Dem kann abgeholfen werden. In dem kostenfrei zur Verfügung stehenden Berechnungstool zur Kontrolle der Kapitalwerte von Versorgungen (http://www.famrb.de/muster_formulare.html; https://www.anwaelte-du.de/kapitalwertkontrolle.html), wird ab 1.9.2017 eine einfache Aufzinsungsberechnung angeboten, die die Rechtspraxis nicht überfordern wird.

 

Auf die Glatze, fertig, los! – Happy birthday, Ernst Spangenberg!

Ernst Spangenberg, unser bekannter Familienrichterkollege a.D., feiert heute seinen 80. Geburtstag. Verlag, FamRB-Redaktion und ich gratulieren ihm von Herzen.

Sein schönstes Geschenk, das ihn uns zugleich nahe bringt, hat ihm seine Ehefrau Brigitte gemacht. Nicht nur, dass er mit ihr zusammen lesenswerte Fachliteratur verfasst (zuletzt im FamRB „Aufs Maul geschaut, in den Verstand geschaut – Grundlagen der Kommunikation“, FamRB 2017, 116 und FamRB 2017, 156), Ernst Spangenberg dichtet auch gerne. Aus seinen neueren Gedichten und der Prosa der letzten Jahre hat Brigitte Spangenberg ihre Lieblingsstücke ausgewählt und eine 104 Seiten starke Sammlung zusammengestellt, die im Wiesenburg Verlag, Postfach 4410, 97412 Schweinfurt (Auf die Glatze, fertig, los!) erschienen ist. „… Palmström und Korf nicken beifällig.“, so die treffenden Worte von Widulind Clerc auf dem Cover.

Das ist für die Sommerferien mal ein etwas anderer Lesehinweis  –  obwohl, im IV. Kapitel wird auch die Justiz auf die Schippe genommen.

Ernst Spangenberg wünsche ich noch viele schaffensreiche Jahre bei bester Gesundheit und Ihnen eine amüsante Lektüre.

Ehe? Zwecklos!

Der Bundesrat hat in seiner Sitzung vom 7. Juli 2017 der Änderung von § 1353 BGB zugestimmt. Der Bundespräsident hat das „Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts“ unterzeichnet, es ist im Bundesgesetzblatt verkündet (BGBl. I 2017, 2787). Gleichgeschlechtliche Paare können nun ab 1.10.2017 eine Ehe schließen.

Was angesichts der breiten Zustimmung zur gleichgeschlechtlichen Ehe in der Bevölkerung aussieht wie ein Nachvollzug einer gesellschaftlichen Entwicklung durch den Gesetzgeber, ist familienrechtlich tatsächlich mehr. Die Ehe ist seit Einführung des BGB im Jahre 1900 der Nukleus des Familienrechts. Sie bestimmte schon lange zuvor, wer mit wem geschlechtlich verkehren durfte, entschied über Unterhalts- und Erbansprüche, löste steuerliche Privilegierung und sozialrechtliche Diskriminierung aus. Aus einer ehelichen Paarbeziehung geborene Kinder hatten immer Vater und Mutter, die beide sorgeberechtigt (auch -verpflichtet waren).

Kinder aus einer nichtehelichen Paarbeziehung hatten lange Zeit immer nur eine Mutter. Seit einigen Jahren teilweise auch einen sorgeberechtigten Vater. Ihr Anspruch auf Betreuung unterschied sich zunächst massiv, dank beharrlicher Eingriffe des Bundesverfassungsgerichts später nur noch minimal vom Betreuungsanspruch ehelich geborener Kinder. Im Zentrum des Familienrechts stand die Ehe, nicht die Familie und auch nicht das Kind.

Das alles hatte dogmatische Wurzeln. Bis weit ins 19. Jahrhundert beherrschte die Kirche mit ihrem sakramentalen Eheverständnis das Familienrecht. Erst spät bemächtigte sich der Staat der Ehe und begründete ein staatliches Eheschließungsmonopol. In Deutschland fällt dies zusammen mit der Herausbildung des Nationalstaats. Friedrich der Große brauchte „Lange Kerls“, die Nation „Bürger“ genannte Untertanen, die die beanspruchten neuen Lebensräume im Osten hätten besiedeln können. Eine Notwendigkeit der Ehe zur Erfüllung bevölkerungspolitischer Ziele besteht nicht mehr. Der Osten muss nicht mehr von Deutschen besiedelt werden und der Nationalstaat ist der europäischen Integration gewichen. 30 % aller neugeborenen Kinder werden von unverheirateten Frauen zur Welt gebracht, Tendenz steigend.

Lange Zeit war die Ehe für Frauen die unverzichtbare Basis ihrer Existenzsicherung. Die „Mitgift“ starb nicht mit den Buddenbrooks aus. Die bildungspolitische und die daraus folgende wirtschaftspolitische Emanzipation der Frauen und die Notwendigkeit ihrer stärkeren Teilhabe am Wirtschaftsprozess hat die Ehe als Existenzsicherung überflüssig gemacht. Den Rest verbliebener Notwendigkeiten erledigt der Sozialstaat.

Auch bei der Sicherung der Vermögensnachfolge im Erbrecht hat die Ehe ihre Bedeutung verloren. Seit eine DNA-Analyse weit präziser als die Ehe über die Abstammung entscheidet, kann die eheliche Abstammung nur eine erste Vermutung, nicht aber Sicherheit bieten.

Die faktische Erosion der klassischen Ehezwecke wird von zunehmender gesellschaftlicher und nun auch staatlicher Toleranz unterschiedlichen Lebens- und Ehemodellen gegenüber flankiert. Diese legislative Toleranz kennt indessen auch Grenzen. Wenn Sterbende heiraten, kann die Verschaffung der Hinterbliebenenversorgung ein bestimmender Ehezweck sein, den die Versorgungsträger meist durch Ausschlussklauseln durchkreuzen. Die karitative Heirat eines deutschen mit einer ausländischen Person verschafft dieser einen stabileren Aufenthaltsstatus, gleichwohl missbilligt das Gesetz dies und versucht derartige Scheinehen oder ihre sozialpolitischen Folgen zu bekämpfen.

Damit erklärt der Gesetzgeber letztendlich die Verantwortung übernehmende Liebe zum eigentlichen legitimen Ehezweck und -motiv. Alle anderen Motive sind obsolet oder zu missbilligen. Wenn dies so ist, und wenn der Gesetzgeber im Hinblick auf Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG Liebe von erwachsenen Personen nicht bewertet, sondern akzeptiert, gibt es keinen Grund, homosexuellen Paaren den Zugang zur Ehe zu verweigern.

Art. 6 GG enthält keine Definition der Ehe. § 1353 BGB enthielt sie auch nicht, sondern setzte die Heterosexualität als Ehemerkmal voraus. Indem der Gesetzgeber nun die Ehe definiert und Heterosexualität als Voraussetzungsmerkmal streicht, nachvollzieht er eine gesellschaftlich akzeptierte Umdeutung des Eheverständnisses. In nunmehr 15 Staaten der Europäischen Union können gleichgeschlechtliche Paare eine Ehe schließen. Deutschland war der vierzehnte, Malta hat wenige Tage später nachgezogen.

Wenn alle traditionellen Ehezwecke durch gesellschaftliche, wissenschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen obsolet geworden sind, ist es konsequent, die Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare zu öffnen. Der einzige Zweck der Ehe, der rechtlich noch zu schützen wäre, ist die Sicherung und Förderung des Zusammenlebens zweier sich Liebenden. Warum? Weil sie es wollen, weil es ihrem Lebensentwurf entspricht und weil es keinen besseren Staat gäbe als einen, der frei gewählte Lebensentwürfe seiner Bürger nicht nur toleriert, sondern fördert.

Quo vadis Mediator? – Anm. zum Urt. des AGH Celle v. 22.5.2017 – AGH 16/16 (I 9)

Der Anwaltsgerichtshof Celle hatte sich in seiner Entscheidung vom 22.5.2017 (AnwBl. 2017, 373) mit der Frage einer möglichen Berufsausübungsgemeinschaft zwischen einem Rechtsanwalt und einem nichtanwaltlichen Mediator und Berufsbetreuer zu befassen. Nach der Entscheidung des BVerfG zur Zusammenarbeit von Rechtsanwälten mit Ärzten und Apothekern (BVerfG v. 12.1.2016 – 1 BvL 6/13, MDR 2016, 242) ist das ein weiterer Versuch der Rechtsprechung, die interprofessionelle Zusammenarbeit von Rechtsanwälten mit Angehörigen anderer Berufsgruppen zu regeln. Der Clou dieses Mal: Der Mediator/Berufsbetreuer war zuvor als Rechtsanwalt sogar Sozius des Anwalts gewesen, er hatte aber, um bessere Chancen als Mediator und Berufsbetreuer zu haben, die Anwaltszulassung zurückgegeben.

Inhalt der Entscheidung

Der AGH Celle hat der angestrebten Bürogemeinschaft eine Absage erteilt. Zur Begründung führt er zunächst an, dass ein nichtanwaltlicher Mediator nicht zu den Katalogberufen des § 59a BRAO zähle, weshalb ein nichtanwaltlicher Mediator i.S.v. § 59a Abs. 3 BRAO auch nicht an einer Berufsausübungsgemeinschaft beteiligt sein dürfe.

Im Weiteren setzt sich der AGH mit der vorgenannten Entscheidung des BVerfG auseinander, woraus sich nichts andere ergebe. Er betont zunächst, dass es sich dabei um eine isolierte Entscheidung in Bezug auf die konkrete Zusammenarbeit von Anwälten mit Ärzten und Apothekern im Rahmen einer Partnerschaftsgesellschaft handele, so dass keine Vergleichbarkeit gegeben sei. Aufgrund der allgemein formulierten Vorfrage des BGH und des Tenors des BVerfG entstünde keine Bindungswirkung gemäß § 31 BVerfGG. Auch käme man über eine verfassungskonforme Auslegung des § 59a BRAO nicht zu einem anderen Ergebnis.

Schließlich sei die vom Kläger angeregte Vorlage beim BVerfG nicht erforderlich, da im vorliegenden Fall keine Grundrechte des Klägers verletzt würden. Begründet wird dies mit rechtlichen Bedenken bezüglich der Verschwiegenheitspflicht von nichtanwaltlichen Mediatoren. So führt der AGH zunächst aus, dass nichtanwaltliche Mediatoren in § 203 StGB nicht genannt seien und im Übrigen auch keine den §§ 53 und 97 StPO vergleichbare Regelungen bestünden; folglich sei keine mit einem Rechtsanwalt vergleichbare strafbewehrte Verschwiegenheitspflicht gegeben, worauf das BVerfG in seiner Entscheidung aber abstelle. Eine solche Regelung sei insb. auch nicht in § 4 MediationsG zu sehen, so dass der vom Gesetzgeber durch die Begrenzung der sozietätsfähigen Berufe verfolgte Zweck legitim sei.

Zudem, so der AGH weiter, sei in einem nichtanwaltlichen Mediator in Bürogemeinschaft mit einem Rechtsanwalt kein Gehilfe i.S.v. § 203 Abs. 3 StGB zu sehen. Zwar seien nach einigen Stimmen der Literatur über § 53a StPO einerseits und § 383 ZPO andererseits Zeugnisverweigerungsrechte auch für nichtanwaltliche Partner des Rechtsanwalts gegeben, so dass danach auch die nichtanwaltlichen Gesellschafter in einer interprofessionellen Berufsausübungsgemeinschaft zur Zeugnisverweigerung berechtigt seien, zumal ein soziales Abhängigkeitsverhältnis für die Gehilfenstellung nicht erforderlich sei. Dem schließt sich der AGH jedoch nicht an und lehnt eine (weite Auslegung der) Gehilfenstellung ab. Im strafrechtlichen Schrifttum sei es „absolut herrschende Meinung“, dass ein Gehilfe nur die Person sei, die „einen der genannten Schweigepflichtigen in dessen beruflicher Tätigkeit unterstützt, und dass es an einer derartigen Hilfsfunktion fehlt, wenn die Berufsausübenden gleichgeordnet sind und ein Aufgabengebiet eigenständig zu bewältigen haben – wie etwa ein Sozius oder ein angestellter Rechtsanwalt“. Von daher, mutmaßt der AGH, „muss davon ausgegangen werden, dass auch nach der Entscheidung des BVerfG (…)“ ein nichtanwaltlicher Mediator kein Gehilfe i.S.d. § 203 Abs. 3 StGB sei.

Stellungnahme

Zutreffend ist die Prämisse des AGH, dass das BVerfG in dem Tenor seiner Entscheidung vom 12.1.2016 nur einen ganz bestimmten Teilbereich des § 59a BRAO als verfassungswidrig angesehen hat. Zutreffend ist auch, dass das BVerfG bei seiner Bewertung insb. auf die Regelung des § 203 StGB  und insoweit auf eine Vergleichbarkeit zwischen Rechtsanwälten und Ärzten bzw. Apothekern in Bezug auf die Verschwiegenheitspflichten abstellt. Zutreffend ist schließlich auch, dass der Gehilfenbegriff in der Rechtsprechung und im strafrechtlichen Schrifttum nicht abschließend geklärt ist. Dennoch liegt (auch) hier ein verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigter Eingriff in die Berufsfreiheit aus Art. 1 Abs. 1 GG vor. Der AGH Celle fasst den Gehilfenbegriff zu eng.

Es geht dem Gesetzgeber bei der Aufstellung der berufsrechtlichen Pflichten der Rechtsanwaltschaft, wie der AGH auch zutreffend feststellt, um den Schutz des Rechtssuchenden. Insbesondere soll dieser durch die Verschwiegenheitspflichten davor geschützt werden, dass persönliche Geheimnisse, Daten etc. verletzt oder weitergegeben werden. Diesem Grundgedanken folgend bedarf es dann aber auch einer weiten Auslegung des Gehilfenbegriffs, wie Römermann schon seit vielen Jahren fordert. Daher kann nach hiesiger Auffassung auch eine Kooperationsvereinbarung oder ein Gesellschaftsvertrag eine entsprechende Gehilfenstellung begründen – und zwar unabhängig von einer originären beruflichen Verschwiegenheitspflicht. Denn gerade bei einem Gesellschaftsvertrag unterstützen sich die Gesellschafter in besonderer Weise gegenseitig und üben ihren Beruf gemeinschaftlich aus; die Unterstützung kommt dabei insb. in den gesellschaftsrechtlichen Beitrags- und Treuepflichten zum Ausdruck. Von daher kann es in Bezug auf die Schutzwirkung des § 203 StGB nicht zwingend darauf ankommen, ob die betroffenen Personen in einem Über-/Unterordnungsverhältnis stehen oder gleichgeordnet sind.

Im Übrigen besteht auch für nichtanwaltliche Mediatoren eine Verschwiegenheitspflicht, und zwar aus § 4 MediationsG. Festzuhalten ist dabei zunächst, dass das Mediationsgesetz ein Berufsrecht für Mediatoren darstellt und in § 3 auch eine Regelung in Bezug auf widerstreitende Interessen enthält, insoweit vergleichbar mit § 43a BRAO. Festzuhalten ist aber ebenfalls, dass die Regelung des § 4 MediationsG – nach ganz h.M. (wobei sich die mediationsrechtliche Literatur bisher nicht mit der Gehilfenstellung des § 203 StGB auseinandersetzt) – an sich keine Zeugnisverweigerungsrecht für den nichtanwaltlichen Mediator für den Strafprozess bietet, sehr wohl aber für den Zivilprozess und gemäß § 98 VwGO entsprechend auch für den Verwaltungsprozess.

Es bleibt somit im Ergebnis festzustellen, dass die Tätigkeit eines nichtanwaltlichen Mediators durchaus eine Gehilfentätigkeit i.S.d. § 203 Abs. 3 StGB darstellen kann, so dass berufliche Zusammenschlüsse möglich sein müssen. Alles andere würde eine Verletzung von Grundrechten darstellen (wie beim BVerfG wurden hier Aspekte in Bezug auf Art. 3 oder Art 9 GG nicht weiter behandelt), insb. wäre dies ein Eingriff in die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG, so dass § 59a BRAO auch insoweit als verfassungswidrig anzusehen ist.

Zusammenfassung

In Bezug auf die nichtanwaltliche Mediatorentätigkeit ist der Gesetzgeber unabhängig von dem Vorstehenden gehalten, zur Förderung der Mediation – was ja eigentlich schon durch das Mediationsgesetz erfolgen sollte – hier für Rechtsklarheit zu sorgen. Die jüngst von der Bundesregierung veröffentlichte Evaluation des Mediationsgesetzes (BT-Drucks. 18/13178) bietet eine gute Gelegenheit, Verbesserungen des Mediationsgesetzes und somit eine Aufwertung der Mediation und des Mediatorenberufs durchzusetzen, z.B. durch eine klare Regelung bzw. eine klarstellende Erweiterung der §§ 203 StGB und 53 StPO. Dies ist auch aus Gründen des Verbraucherschutzes dringend geboten, denn der (rechtlich laienhafte) Mediand wird bei der Suche nach einem geeigneten Mediator den Unterschied zwischen einem anwaltlichen und einem nichtanwaltlichen Mediator in Bezug auf die konkreten einzelnen Rechte und Pflichten nur schwerlich durchschauen. Einstweilen, bis zu einer Klärung durch den Gesetzgeber, sollte der nichtanwaltliche Mediator, der sich zur gemeinschaftlichen Berufsausübung mit einem sog. sozietätsfähigen Beruf, insb. einem Rechtsanwalt, zusammenschließen möchte, als Gehilfe i.S.v. § 203 StGB angesehen werden.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Beim BGH wurde unter dem Az. AnwZ (Brfg) 32/17 Berufung eingelegt.

 

Neuer Teilungsgegenstand in der Betriebsrente: die Beitragsrente

Durch das „Betriebsrentenstärkungsgesetz“ (BT-Drucks. 18/11286), das von Bundestag und Bundesrat verabschiedet ist und seiner Verkündung harrt, ist der Versorgungsausgleich um einen neuen Teilungsgegenstand bereichert worden: die reine Beitragszusage (§ 1 Abs. 2 Nr. 2a BetrAVG).

Die Beitragsrente unterscheidet sich von den bisherigen Durchführungswegen in der betrieblichen Altersvorsorge dadurch, dass sie den Arbeitgeber zu nichts verpflichtet. Dieser zahlt vielmehr die vereinbarten Beiträge aus dem Bruttogehalt des Arbeitnehmers an einen externen Versorgungsträger, der aus diesen Beiträgen im Leistungsfall dem Arbeitnehmer eine Rente zahlt. Der Arbeitgeber übernimmt für die Höhe der Rentenzahlung keinerlei Garantie und Haftung. Die Höhe der späteren Rente hängt vielmehr allein von der Kapitalmarktentwicklung ab (Beitragsrente).

Eine derartige Form der Betriebsrente hat bislang nicht bestanden. Voraussetzung für eine solche Rente ist eine tarifvertragliche Regelung zwischen Arbeitgeber und Gewerkschaften, die im Einzelfall auszuhandeln ist. Da die Beitragsrente aus dem Einkommen des Arbeitnehmers finanziert wird und keine Sozialversicherungsabgaben auf diese Beiträge gezahlt werden, hat der Arbeitgeber einen Zuschuss von 15 % auf diese Beiträge an den Versorgungsträger zu zahlen, soweit er insoweit Sozialversicherungsabgaben spart (§ 23 Abs. 2 BetrAVG n.F.). Das ist für Arbeitgeber derzeit attraktiv. Ihre Sozialversicherungsabgaben betragen zzt. 17,925 % (9,35 % Rente, 7,3 % Krankenversicherung, 1,275 % Pflegeversicherung).

Ob eine solche Rente als sekundäre Altersvorsorge ein Erfolg wird, ist zu bezweifeln. Auf der Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft betriebliche Altersversorgung (AbA) äußerten sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber skeptisch, ob entsprechende Tarifvertragsregelungen zu schließen sind. Diese Skepsis ist berechtigt. In der gesetzlichen Rentenversicherung wird derzeit eine Rendite von ca. 2,2 % erzielt. Diese Entwicklung ist mittelfristig stabil. In der kapitalmarktabhängigen Rentenversicherung sind die Renditen derzeit deutlich bescheidener. Warum ein Arbeitnehmer, der ein Einkommen unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung erzielt, seine gesetzliche Rentenversicherung zu Gunsten einer kapitalmarktabhängigen Alterssicherung eintauschen sollte, bleibt unklar. Die Schwächung der gesetzlichen Rentenversicherung zugunsten der Stärkung kapitalmarktabhängiger Alterssicherung ist vor dem Hintergrund der durch die Finanzkrise 2009 ausgelösten Turbulenzen nicht nachvollziehbar.

Im Versorgungsausgleich handelt es sich um eine kapitalgedeckten Versorgung, die in ihrem ehezeitlichen Kapitalanteil zu teilen sein wird. Da es sich um eine betriebliche Altersversorgung handelt, ist auf diese § 17 VersAusglG anzuwenden mit der Folge, dass hochwertige Ausgleichswerte in eine externe Teilung und damit einen hohen Versorgungsverlust geraten können. Bis es dazu kommt, wird noch viel Zeit vergehen. Einer unverkennbaren Euphorie der Arbeitgeber stand auf der AbA-Jahrestagung eine ebenso unverkennbare Skepsis der Gewerkschaften gegenüber. Da die „reine Beitragszusage“ aber eine tarifvertragliche Einigung zur Voraussetzung hat, bleibt sie dem Versorgungsausgleich vielleicht noch lange erspart.

22. Deutscher Familiengerichtstag beendet

Am 1. Juli endete der 22. Deutsche Familiengerichtstag. Es war eine besondere Tagung zu einem ungewohnten Sommertermin, der mit dem 40. Jahrestag des 1977 in Kraft getretenen 1. Eherechtsreformgesetzes zusammenfiel. Am 30. Juni passierte auch das Gesetz über die „Ehe für Alle“ den Bundestag – ein Ereignis, welches zum Wochenbeginn noch niemand so erwartet hatte. Die musikalisch durch Hits aus vier Jahrzehnten aufgelockerte Eröffnungsveranstaltung mit vier kurzen Beiträgen von Prof. Siegfried Willutzki, Prof. Dr. Dr. h.c. Dieter Schwab, Prof. Dr. Katharina Hilbig-Lugani und Rechtsanwältin Eva Becker zu Vergangenheit und Zukunft des Familienrechts und den abschließenden Statements von vier Kindern zu ihrem ganz eigenen Familienbild war ein gelungener Auftakt zu einer durchgehend in guter Stimmung verlaufenden Tagung.

Zwei weitere hochkarätige Vorträge von Prof. Dr. Michael Coester über „Konflikte von Erziehungsleitbildern“ und von Prof. Dr. Mathias Rohe zur „Paralleljustiz im Familienrecht“ schlossen die beiden folgenden, arbeitsintensiven Tage ab. Den Schlusspunkt der Tagung bildete der fulminante Vortrag des Leiters der Kölner Rechtsmedizin, Prof. Dr. Markus Rothschild, der die Teilnehmer am Samstagvormittag auf sehr lebhafte, unterhaltsame Weise über „Die Familie im Blick der Rechtsmedizin“ informierte.

Wie gewohnt hatten sich zuvor 24 Arbeitskreise intensiv mit den unterschiedlichsten Themen des Familienrechts befasst und Lösungsvorschläge erarbeitet. Diese Arbeitsergebnisse sind bereits auf der Homepage des DFGT veröffentlicht. Diese Thesen bilden die Grundlage für die Empfehlungen des Vorstandes für Rechtsprechung, Verwaltung und Gesetzgebung, die dieser demnächst erarbeiten wird. Alle Vorträge und Arbeitsergebnisse werden zudem im Tagungsband, den Brühler Schriften zum Familienrecht, veröffentlicht. Dieser wird voraussichtlich im 1. Quartal 2018 erscheinen.

Der 23. Deutsche Familiengerichtstag wird 2019 wieder in Brühl stattfinden. Sobald der genaue Termin feststeht, wird dieser unverzüglich auf der Homepage des DFGT bekannt gegeben. Termin und Programm des 23. DFGT werden auch rechtzeitig im FamRB veröffentlicht.

Ehe für alle – Was ändert sich?

Am 30.6.2017 hat der Bundestag den bereits im Jahr 2015 durch den Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts verabschiedet (BT-Drucks. 18/6665). Am 7.7.2017, in seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause, hat der Bundesrat dem zugestimmt. Damit kann das Gesetz am ersten Tag des dritten auf die Verkündung folgenden Monats in Kraft treten.

Rein rechtlich betrachtet wird sich durch dieses politisch hochumstrittene Gesetz nicht allzu viel ändern, da die eingetragene Lebenspartnerschaft in ihren Rechtsfolgen der Ehe ohnehin bereits weitgehend entsprach. Neu ist insbesondere die nun auch für Paare gleichen Geschlechts bestehende Möglichkeit, gemeinsam ein Kind zu adoptieren und die begriffliche Gleichstellung. Auch die bisherigen Gesetzestexte werden zunächst nur geringfügig verändert. So wird § 1353 Abs. 1 Satz 1 BGB, der bisher lautete: „Die Ehe wird auf Lebenszeit geschlossen.“ wie folgt neu gefasst: „Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen.“ Zudem wird § 1309 BGB, der das Ehefähigkeitszeugnis für Ausländer regelt, folgender Abs. 3 angefügt: „Absatz 1 gilt nicht für Personen, die eine gleichgeschlechtliche Ehe eingehen wollen und deren Heimatstaat die Eingehung einer gleichgeschlechtlichen Ehe nicht vorsieht.“ Dies bedeutet, dass gleichgeschlechtliche Paare in Deutschland auch dann heiraten können, wenn das Recht ihres Heimatstaates eigentlich anwendbar wäre, dieser Staat aber die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare nicht kennt.

Im Lebenspartnerschaftsgesetz wird zunächst nur eine Vorschrift eingefügt, die es Paaren, die bereits in einer Lebenspartnerschaft verbunden sind, erlaubt, diese Lebenspartnerschaft in eine Ehe umzuwandeln. Hierzu bedarf es lediglich einer Erklärung gegenüber dem zuständigen Standesbeamten bei gleichzeitiger persönlicher Anwesenheit der Beteiligten. Für die Rechte und Pflichten der Lebenspartnerin oder des Lebenspartners bleibt auch nach der Umwandlung der Lebenspartnerschaft in eine Ehe der Tag der Begründung der Lebenspartnerschaft weiterhin maßgebend. Dies bedeutet faktisch, dass die Ehe als rückwirkend am Tag der Begründung der Lebenspartnerschaft geschlossen gilt. Neue Lebenspartnerschaften können ab Inkrafttreten des Gesetzes nicht mehr begründet werden.

Die aktuell in den konservativen politischen Parteien diskutierte Verfassungsbeschwerde gegen die „Ehe für alle“ dürfte kaum Erfolg haben. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in seiner Entscheidung zum Lebenspartnerschaftsgesetz (BVerfG v. 17.7.2002 – 1 BvF 1/01, 1 BvF 2/01, FamRZ 2002, 1169) deutlich gemacht, dass der verfassungsrechtlich gewährleistete Schutz der Ehe (zwischen Mann und Frau) nicht das Gebot enthält, die Ehe zwischen Mann und Frau besserzustellen als andere Lebensformen. Wenn es aber verfassungsrechtlich unbedenklich ist, die Verbindung zwischen gleichgeschlechtlichen Personen der Ehe zwischen Mann und Frau rechtlich gleichzustellen, so dürfte das Bundesverfassungsgericht in dem Umstand, dass diese Verbindung nun nicht mehr nur rechtlich, sondern auch namentlich gleichgestellt ist, kaum einen Verfassungsverstoß erblicken.

Religion versus Erziehungseignung? (OLG Hamm v. 12.5.2017 – 4 UF 94/16)

In einer Zeit, in der Mord und sonstige menschenverachtende Gewalttaten mit einer angeblichen religiösen Motivation und Legitimation begangen werden, ist es zugegebenermaßen nicht immer einfach, sich mit der gebotenen Vehemenz von den üblichen Stammtischrednern und den von ihnen geschürten Ängsten zu distanzieren, wonach alles Fremde für die in ihrem Weltbild negativen Veränderungen verantwortlich sein soll. Menschen, die selbst nicht im Ansatz irgendeinen Bezug zu jener Religion besitzen, die sie mit leeren Worthülsen einer längst vergangen Zeit angeblich vor Gefahren schützen wollen, die von anderen Religionen drohen sollen, nähren den Boden, auf dem Misstrauen und Intoleranz wächst, die geeignet sein können, eine Gesellschaft zu spalten und Grundwerte zu zerstören, die Generationen hart erarbeitet haben.

Religion als Wertequelle einer Gesellschaft kann unterschiedliche Darstellungsformen haben. Ebenso wie sie ggf. dem absolut privaten Bereich vorbehalten bleiben kann, kann es dem Einzelnen ein Bedürfnis sein, die Zugehörigkeit zu einer Religion auch äußerlich zu dokumentieren, etwa durch Einhaltung einer strengen Kleidungsordnung. In einer Gesellschaft, für die die Glaubensfreiheit nach Art. 4 GG gilt, darf dieses äußerliche „Anderssein“ nicht dazu führen, dass auch in rechtlichen Wertungen mit unterschiedlichen Maßstäben gemessen wird.

Das OLG Hamm hat sich in einer aktuellen Entscheidung mit einer Frage dieses Kontextes auseinandergesetzt. In dem zugrunde liegenden Sachverhalt stritten die Eltern um die Sorge für ihre 2006 geborene Tochter, bezüglich derer sie ursprünglich die gemeinsame Sorge vereinbart hatten. Die Mutter war 2011 zum Islam konvertiert und ist auch nach islamischem Recht mit ihrem jetzigen Partner verheiratet. Sie vertritt eine strenge Linie des Islam und trägt eine Vollverschleierung. Der Vater war in Nigeria aufgewachsen und 2004 nach Deutschland gekommen. Während nach dem Sachvortrag der Mutter die frühere Beziehung von Gewalttätigkeiten bestimmt wurde, trat der Vater dieser Darstellung entgegen. Zuletzt gerichtlich vereinbarte Umgänge des Vaters mit dem Kind fanden nicht statt, da die Mutter sie mit unterschiedlichen Gründen absagte. Dem Antrag der Mutter auf Übertragung der alleinigen Sorge trat der Vater mit einem eigenen Antrag entgegen. Die erstinstanzliche Entscheidung, wonach der Mutter die Alleinsorge übertragen wurde, hat die Beschwerdeinstanz bestätigt unter Verweis darauf, dass religiös bedingt zwischen den Eltern keine zu vereinbarenden Wert- und Erziehungsvorstellungen bestünden und damit die für die gemeinsame Sorge notwendige Kommunikationsbasis nicht existiere. Bestätigt hat der Senat auch die Sorgerechtsübertragung gerade auf die Mutter des Kindes, da zu ihren Gunsten wesentliche Kriterien der vorzunehmenden Kindeswohlprüfung sprachen. Zwar sah der Senat die streng islamische Erziehung des Kindes als eher ungünstig, wobei insbesondere aus dem Vorleben der Vollverschleierung Nachteile abgeleitet wurden. Allerdings hat der Senat ebenso festgestellt, dass das im Übrigen normal entwickelte Kind einen positiven Bezug zur Schule besaß und selbst eine hohe berufliche Ausbildung anstrebte. Neben einer den kindlichen Bedürfnissen entsprechenden Freizeitgestaltung wurde auch eine ausreichende soziale Integration festgestellt, wobei das Kind darauf verwies, dass das Tragen eines Kopftuchs in der Schule kein Problem sei, da dies auch von einigen anderen Mitschülerinnen so gehandhabt werde. Der Mutter wurde zudem ein liebevolles und zugewandtes Erziehungsverhalten bestätigt.

Die rechtliche Situation stellt sich so dar, dass einem Elternteil – bei bereits bestehender gemeinsamer Sorge – nach § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB die Alleinsorge für ein Kind zu übertragen ist, wenn im Rahmen der sog. großen Kindeswohlprüfung auf erster Stufe festgestellt wird, dass die Aufhebung der bestehenden gemeinsamen Sorge dem Kindeswohl am besten entspricht und sodann auf der zweiten Stufe festgestellt wird, dass gerade die Übertragung der Alleinsorge auf den antragstellenden Elternteil die dem Kindeswohl am besten entsprechende Regelung darstellt.

Die Aufhebung der gemeinsamen Sorge ist dann geboten, wenn zwischen den Eltern die erforderliche Kooperationsfähigkeit und Kooperationswilligkeit als Grundlage der gemeinsamen Ausübung der elterlichen Sorge nicht besteht, d.h. sie im Interesse des Kindes nicht in der Lage sind Differenzen zurückzustellen und den jeweils anderen Elternteil als gleichwertigen Bindungspartner des Kindes zu akzeptieren. Eine dem Kindeswohl dienende Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge setzt dabei zwingend voraus, dass die Eltern dem Wohl des Kindes dienende Entscheidungen gemeinsam treffen können.

Soweit darüber hinaus aber auch die Übertragung der Alleinsorge gerade auf den antragstellenden Elternteil die dem Kindeswohl am besten entsprechende Regelung darstellen muss, ist der unbestimmte Rechtsbegriff des Kindeswohls durch bestimmte Kriterien näher zu präzisieren. Hierzu gehört etwa die Erziehungseignung eines Elternteils, wobei dessen Religionszugehörigkeit ggf. dieser Eignung entgegenstehen kann, wenn eine repressive Religionslehre in der Umsetzung eines beeinträchtigenden Erziehungsstils negativen Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes nimmt. Neben der Erziehungseignung sind aber auch die Bindung des Kindes zu seinen Eltern oder Geschwistern zu bewerten sowie der ggf. seitens des Kindes ausdrücklich geäußerte und autonom gebildete Wille. Neben dem Kontinuitätsgrundsatz, d.h. der Bewertung, welcher Elternteil auch weiterhin eine gleichmäßige Erziehung und Betreuung des Kindes gewährleisten wird, ist letztlich das Förderungsprinzip zu bewerten, d.h. die pädagogische Kompetenz eines Elternteils, dem Kind auf seinem weiteren Lebensweg die notwendige Sicherheit und Orientierung zu geben. Dies sah das Gericht vorliegend bei der Mutter als gegeben an.

In der Praxisberatung muss bei jeder zu treffenden Sorgerechtsregelung das Kindeswohl im Mittelpunkt der durchzuführenden Prüfung stehen. Selbst soweit ein Elternteil sich für eine strenge religiöse Ausrichtung des eigenen Lebens entschieden hat, führt dies ebenso wenig dazu, dass das Kind diese zwingend auch für sein Leben übernehmen muss, noch dass daraus per se eine mangelnde Erziehungseignung eines Elternteils abzuleiten wäre. Die Sicherung der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes und seiner sozialen Integration sind allein die Prüfungsmaßstäbe.

Wirklich kein Elternrecht auf Facebook?

Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Bei der elterlichen Erziehungsverantwortung (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG) handelt es sich um ein universelles Menschenrecht. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 34, 165, 184) bezeichnet die Eltern als „natürliche Sachwalter für die Erziehung der Kinder“. Allerdings scheint dieses Recht auf Facebook, jedenfalls nach dem Tod eines Kindes, wenig wert zu sein. Eine für ihre fünfzehnjährige Tochter sorgeberechtigte Mutter wollte nach ihrem Tod Zugang zu deren Facebook-Account erhalten. Dies wurde ihr verweigert.

Das Kammergericht ging in seinem Urteil vom 31.5.2017 – 21 U 9/16 davon aus, dass § 88 Abs. 3 TKG Facebook zur Verweigerung der Zugangseröffnung verpflichtet. Die elterliche Sorge habe mit dem Tod des Kindes geendet, deshalb käme nur das Recht des Erben am digitalen Nachlass in Betracht, das aber durch die vorgenannte Bestimmung zum Schutz des Fernmelde- bzw. Telekommunikationsgeheimnisses beschränkt werde. Frau Kollegin Dr. Susanne Sachs hat in ihrem Blog-Beitrag vom 19.6.2017 diese Entscheidung für richtig gehalten. Außerdem geht sie davon aus, dass der Zugriff auf die persönliche Kommunikation eines verstorbenen Kindes nach §§ 202, 202a StGB strafbar wäre. Das Lesen von geöffneten Briefen eines verstorbenen Kindes und der Zugang zu seinem Facebook-Account mittels des den Eltern mitgeteilten Passwortes fallen bereits tatbestandmäßig nicht unter diese Strafbestimmungen. Zudem dürfte zusätzlich eine Rechtfertigung durch das Elternrecht vorliegen.

Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in den 1970er-Jahren (Mephisto-Entscheidung) einen postmortalen Persönlichkeitsschutz generell anerkannt, wenn auch im konkreten Fall verneint. Für die betroffenen Eltern wird es schwer verständlich sein, wieso angesichts zwischenzeitlich veränderter (sozialer) Medien zwar eine intensive Debatte über den digitalen Nachlass geführt wird, das Thema der Fortwirkung der Elternrechte als Teil des Schutzes der Familie über den Tod des Kindes hinaus dagegen nicht einmal ansatzweise diskutiert wird. Ist es wirklich richtig, dass der Tod eines Kindes für die Eltern zum bloßen Nachlassabwicklungsfall wird?