Hard cases make bad law

Kuriose Fälle

Diese juristische Maxime gilt in letzter Zeit vor allem für das Familien- und Erbrecht. Der Fall der bereits geschiedenen, alleinerziehenden Frau, die entgegen der Absprache mit ihrem Partner schwanger wurde und von ihrem Anwalt einen Ehevertrag entwerfen ließ, um unbedingt geheiratet zu werden (BVerfG v. 6.2.2001 – 1 BvR 12/92, BVerfGE 103, 89 = FamRZ 2001, 343), bedeutete das Ende der Ehevertragsfreiheit. Die Frau, die in der Empfängniszeit mit anderen Männern außer ihrem Verlobten Geschlechtsverkehr hatte, bei einem Streit entsprechende Andeutungen machte und sich später auf ihr Persönlichkeitsrecht zur Verschweigung ihrer Sexualpartner berief, obwohl sie ihrem Mann ein Kind unterschoben hatte, führte zur Verfassungswidrigkeit der bisherigen Auskunftsrechte des Ehemanns (BVerfG v. 24.2.2015 – 1 BvR 472/14, BVerfGE 138, 377 = FamRZ 2015, 729 = FamRB 2015, 173). Ähnliches gilt im Erbrecht. Die verfassungsmäßige Verankerung des Pflichtteilsrechts von Kindern betraf das privatschriftliche Testament einer Mutter, die ihren Sohn enterbt hatte. Dieser hatte sie wiederholt tätlich angegriffen und schließlich aus Wut über seine bevorstehende Einweisung in das Landeskrankenhaus erschlagen, ihre Leiche zerstückelt und die Leichenteile im Wald versteckt. Sein Betreuer machte den Pflichtteil geltend und bekam dank des Verfassungsgerichts Recht (BVerfG v. 19.4.2005 – 1 BvR 1644/00 und 1 BvR 188/03, BVerfGE 112, 332 = FamRZ 2005, 872 = FamRB 2005, 204).

Pflichtteilsverzicht nicht gegen Sportwagen

Auch der nunmehrige Fall, in dem das OLG Hamm einen Erbverzicht für sittenwidrig erklärt hat (OLG Hamm, Beschl. v. 8.11.2016 – 10 U 36/15), gehört zu den juristischen Kuriositäten. Ein 17-Jähriger mit erheblichen Schulschwierigkeiten bricht das Gymnasium ab und beginnt bei seinem Vater, der Zahnarzt ist, eine Ausbildung zum Zahntechniker. Er ist von einem Nissan GT-R, einem Supersportwagen mit 570 PS und einer Höchstgeschwindigkeit von 320 km/h, einer Beschleunigung von 2,8 Sekunden von Null auf Hundert und einem Preis von ca. 100.000 Euro so begeistert, dass er zwei Tage nach seinem 18. Geburtstag mit seinem Vater zu einem Notar geht, um dort einen Pflichtteilsverzicht zu beurkunden. Allerdings bekommt er den Pkw erst mit 25, nach Bestehen seiner Gesellenprüfung und der Meisterprüfung zum Zahntechniker jeweils mit der Note eins. Der Sohn möchte seine Mama anrufen, was ihm aber sein Vater beim Notar nicht erlaubt. Bereits am Nachmittag nach der Beurkundung teilt der Sohn dem Notar mit, dass er die Vereinbarung rückgängig machen will. Er bricht die Ausbildung beim Vater ab und zieht zu seiner Mutter. Das OLG Hamm erklärt den Verzicht (zu Recht) für sittenwidrig. Bemerkenswert ist allerdings die Begründung: Die Aussicht auf einen begehrten Sportwagen habe bei dem gerade erst volljährigen Sohn zu einem Rationalitätsdefizit geführt. Zudem lasse die Vereinbarung dem Sohn keine nochmalige Möglichkeit zu einer weiteren beruflichen Umorientierung. Außerdem weist das Gericht darauf hin, dass Ergebnisse in Abschlussprüfungen jedenfalls nicht ausschließlich von Umständen abhängen, die der Absolvent selber beeinflussen könne.

Geschäftsfähigkeit mit Einschränkungen?

Die schwangere Frau, der gerade 18-Jährige und, wenn es nach Teilen der Literatur geht, der hochbetagte Erblasser, sind zwar gemäß § 2 BGB volljährig und damit unbeschränkt geschäftsfähig, aber letztlich doch nicht so ganz geschäftsfähig. Die Testierfähigkeit, jedenfalls für ein öffentliches Testament, beginnt zwar nach § 2229 Abs. 1 BGB bereits mit der Vollendung des 16. Lebensjahres. Der Minderjährige bedarf zur Errichtung eines Testaments nicht der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters (§ 2229 Abs. 2 BGB), er kann also ohne Anruf bei seiner Mama ein Testament über ein ererbtes großes Vermögen beim Notar errichten. Allerdings dürfte dies insbesondere wenn dies zugunsten einer besonders attraktiven Partnerin oder eines attraktiven Partners erfolgt, im Einzelfall nach der oben dargestellten Rechtsprechung doch zu hinterfragen sein. Aber was gilt dann für das Ja-Wort einer gerade erst volljährig Gewordenen beim Standesbeamten? Oder noch schlimmer: Die ohnehin von den erwachsenen erstehelichen Kindern argwöhnisch beobachtete Eheschließung eines seinen zweiten Frühling genießenden über sechzigjährigen Vaters mit der bildhübschen, erotischen Mittdreißigerin?

Also Fazit: Familienrechtliche Näheverhältnisse sind gefährlich und deshalb zumindest mit besonders deutlichen rechtlichen Warnhinweisen, vielleicht sogar mit Fotos wie auf Zigarettenpackungen, zu versehen. Allerdings weiß man, aus dem vorerwähnten Beispiel, dass diese kaum jemand ernstlich abhalten können.

Geldanlage in den Zeiten der Cholera – oder wie man dem Versorgungsausgleich Investitions-Charme abgewinnen kann

Zufriedene Gesichter sieht man bei familienrechtlichen Mandanten selten. Ehe kaputt, Konto leer, Altersversorgung geplündert, eine offene Anwaltsrechnung und der Verkauf der Immobilie klappt erst in drei Monaten. Und was dann tun mit dem Geld? Anlegen für null Zinsen oder einen unbequemen Porsche kaufen in der Hoffnung auf einen imagegebundenen Mitnahmeeffekt bei dem noch zu Findenden? Da fällt das Lächeln schwer.

Der Versorgungsausgleichsrechtler zaubert das Lächeln auf das Gesicht der Mandanten zurück. Das durch den Versorgungsausgleich geplünderte Renten- oder Versorgungskonto kann nämlich durch Beitragszahlungen aufgefüllt werden (§§ 58 BeamtVG, 187 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI). Auch etliche betriebliche Altersversorgungen ermöglichen dies.

Seit dem 1.1.2017 besteht diese erweiterte Möglichkeit nun auch im Rahmen des Flexirentengesetzes (§ 187a SGB VI). Zum Ausgleich einer Rentenminderung wegen vorzeitiger Inanspruchnahme der Rente vor Erreichen der Regelaltersgrenze (Abschlag 0,3 % pro Monat vorzeitigen Rentenbezugs) können Beiträge gezahlt werden, die dann später die Rentenminderung abdämpfen, oder, wenn keine vorzeitige Rente in Anspruch genommen wird, die Rente erhöhen. Anspruch auf die zur Berechnung des Abschlagsausgleichs erforderliche Auskunft besteht – auch ohne Nachweis eines berechtigten Interesses – nunmehr schon mit Vollendung des 50. Lebensjahrs.

Lohnt sich das? Die Antwort ist eindeutig ‚Ja‘. Beamtenversorgung und gesetzliche Rente haben jährliche Steigerungsraten von über 2 % und zwar nicht nur in der Leistungsphase. Wo gibt es heute noch solche Renditen? Die späteren Renten- und Pensionsleistungen sind zwar zu versteuern, dafür können aber die Wiederauffüllungsbeiträge steuerlich nach § 10 Abs. 1a Nr. 3 EStG (bis max. 2.100 € pro Jahr) geltend gemacht werden.

Wenn Sie als Anwalt dem gebeutelten Mandanten das Lächeln zurückgeben wollen, empfehlen Sie ihm, sein Rentenkonto durch freiwillige Beitragszahlungen aufzufüllen. Zunächst wird er lächeln, weil er – vorverständnisgebunden – Sie für einen ‚armen Irren‘ hält. Erst wenn das Denken einsetzt, dankt er Ihnen. Es kann allerdings auch sein, dass er verlegen lächelt, weil sein Konto nun wirklich nichts hergibt. Dann kann man nichts machen. Sie müssten ihn auf später vertrösten. Aber Vorsicht: Beiträge für 2016 können nur bis zum 31.3.2017 nachgezahlt werden!

Ausübung des Kapitalwahlrechts einer Altersversorgung bei Gütertrennung

In Eheverträgen wird häufig der gesetzliche Güterstand der Zugewinngemeinschaft (Teilung des während der Ehe erworbenen Vermögens) ausgeschlossen, während der Versorgungsausgleich (Teilung der während der Ehe erworbenen Rentenanwartschaften) unangetastet bleibt. In diesen Fällen ist die  erste Frage eines Anwalts an den Mandanten, ob er über Altersvorsorgeanwartschaften mit Kapitalwahlrecht verfügt. Der Anspruch auf Auszahlung eines Kapitalbetrags unterliegt – anders als der Anspruch auf eine Rente – ausschließlich dem Zugewinnausgleich und nicht dem Versorgungsausgleich. Es ist also in diesen Fällen ein Leichtes, diesen Vermögenswert durch bloße Ausübung des Kapitalwahlrechts dem Ausgleich an den anderen Ehegatten vollständig zu entziehen. 

Bei dem anderen Ehegatten kommt diese Vorgehensweise verständlicherweise meist nicht gut an. Das gilt umso mehr, wenn der benachteiligte Ehegatte dadurch nicht nur seinen Ausgleichsanspruch verliert, sondern darüber hinaus auch noch selbst im Versorgungsausgleich ausgleichspflichtig wird. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann sich der benachteiligte Ehegatte in diesen Fällen auch tatsächlich erfolgreich gegen die Durchführung des Versorgungsausgleichs zu seinen Lasten in Höhe des Ausgleichswerts wehren, den der andere dem Versorgungsausgleich durch Ausübung des Kapitalwahlrechts entzogen hat, indem er sich auf § 27 VersAusglG (grobe Unbilligkeit der Durchführung des Versorgungsausgleichs) beruft (zuletzt BGH v. 21.9.2016 – XII ZB 264/13, FamRZ 2017,  26 = FamRB 2017, 9).

 Nicht erfolgreich wehren kann sich gegen diese Vorgehensweise hingegen bisher ein Ehegatte, der selbst während der Ehe keine oder nur geringfügige Altersvorsorgeanwartschaften erworben hat, etwa weil er oder sie nicht gearbeitet, sondern Kinder betreut hat. Diesem Ehegatten nützt es nichts, sich auf § 27 VersAusglG zu berufen, da ein Versorgungsausgleich zu seinen Lasten mangels eigener Versorgungsanwartschaften ohnehin nicht in Betracht kommt. Die Vertragsfreiheit der Beteiligten auch insoweit zu beschränken, als der Ausschluss des Zugewinnausgleichs bzgl. des Ausgleichsbetrags wegen Treuwidrigkeit aufgehoben oder gar die Ausübung des Kapitalwahlrechts als sittenwidrig und damit nichtig betrachtet wird, hat sich der Bundesgerichtshofs bisher noch nicht getraut. Das mag ja auch grundsätzlich richtig sein, vergleicht man aber diesen mit dem zuerst geschilderten Fall, kann man sich Eindrucks einer gewissen Ungleichbehandlung gleich gelagerter Fälle nicht erwehren.

Das Ende des Blindflugs im Versorgungsausgleich – Programm zur Kontrolle von Kapitalwerten

Eigentlich ist der Versorgungsausgleich ganz einfach. Man teilt alle Versorgungen im Ehezeitanteil und begründet für die ausgleichsberechtigte Person zu den Bedingungen der Quellversorgung eine eigene Versorgung beim gleichen Versorgungsträger. Das war die Idee. Im Laufe der Gesetzgebungsarbeit ist diese Idee verwässert worden. Die Länder wollten die Beamtenversorgungen, die Betriebe die Versorgungen aus Direktzusagen und Unterstützungskassen nicht intern teilen. Um Kostenneutralität des Versorgungsausgleichs für die Versorgungsträger zu wahren, wurde ihnen schließlich erlaubt, Renten auf Kapitalwertbasis zu teilen.

Ein Kennzeichen demokratischer Rechtsordnung ging damit verloren: Die Transparenz. Niemand ist nämlich in der Lage, ohne aufwändige Rechenhilfen oder Sachverständigengutachten zu kontrollieren, ob für einen 50-jährigen Mann der Kapitalwert der ehezeitlich erdienten Rente von 500 € vom Versorgungsträger mit 41.000 € richtig angegeben ist. Vielleicht sind es ja auch 30.000 oder knapp 50.000 €?

Dem Interessierten hilft auch die Formel formel_klein nicht wirklich weiter. Wie soll er an den Invaliditäts- oder Hinterbliebenenfaktor kommen? Leistungs-, Anwartschaftszeit, Zinssätze und das Vorversterbensrisiko lassen sich ja noch aus den Generationensterbetafeln ermitteln. Die Berechnung der Formel ist trotzdem nicht banal. Wehe, eine Klammer wird falsch gesetzt.

Das führt bei 160.000 Scheidungen pro Jahr zu 160.000 mal „Blindflug“. Es wird schon stimmen, was der Versorgungsträger oder mehr oder weniger renommierte mathematische Dienstleister berechnen. Diese Hoffnung ist manchmal nicht gerechtfertigt. Die Erfahrung zeigt: auch renommierte Unternehmen schummeln. Teilweise findet das heimlich statt, indem z.B. eine Hinterbliebenenversorgung oder ein Rententrend nicht mitberechnet oder der Stichtag verändert wird. Teilweise wird auch offen geschummelt, indem der „Betrug“ in die Teilungsordnungen geschrieben wird. Der Versorgungsträger hofft, dass sich keiner die Teilungsordnung durchliest. Verweist das Gericht dann im Tenor auf die Teilungsordnung, wäre diese umzusetzen, gerecht oder nicht, das ist egal. Rechtskraft ist Rechtskraft.

Die Anwaltschaft kann die Berechnungen nicht ohne Hilfe durchführen. Die von der Versicherungswirtschaft verwendeten „Richttafeln Heubeck 2005-G“ kosten ca. 800 € und auch ihre Anwendung ist nicht banal.

Diesem Mangel abzuhelfen dient ein neues kleines kostenloses Programm, das von mir entwickelt worden ist und von Arndt Voucko-Glockner und mir nunmehr verantwortet wird. Das Programm hat die Leistungsfähigkeit der Heubeck-Tabellen, ist aber sehr einfach zu bedienen. Es funktioniert mit Excel als Programmbasis und steht ab sofort auch beim FamRB als Download zur Verfügung. Die Kontrolle eines Kapitalwerts dauert – nach dem dritten Mal – vielleicht zwei Minuten. Das sollten uns die Interessen unserer Mandanten wert sein.

Namensänderung zum Wohl des Kindes? (BGH v. 9.11.2016 – XII ZB 298/15)

Auch wenn nach Goethes „Faust“ Namen Schall und Rauch sind, haben sie in der familienrechtlichen Praxis einen nicht zu unterschätzenden Stellenwert; sei es, dass ein geschiedener Ehegatte möglichst schnell den Ehenamen ablegen möchte oder die Familie eines Ehegatten darauf „drängt“, dass der geschiedene Partner nicht mehr berechtigt sein soll, den Familiennamen weiterzutragen. Hohe Brisanz haben jedoch vor allem jene Verfahren, in denen es um den Namenswechsel eines gemeinsamen Kindes geht. Nicht immer sind die Motive, die diese Verfahren leiten, streng am Kindeswohl orientiert, sondern eher Ausdruck dafür, dass der frühere Partner nun auch auf dieser Ebene endgültig aus dem eigenen Leben und ebenso dem des Kindes ausgeklammert werden soll. Die „selbstverständliche“ Zustimmung des Kindes zu der erstrebten Namensänderung wird häufig von floskelhaften Begründungen überlagert, die nur vordergründig an realen Kindesbelangen ausgerichtet sind.

Mit einem entsprechenden Sachverhalt hat sich der BGH in einer aktuellen Entscheidung auseinander gesetzt. Die nicht verheirateten, gemeinsam sorgeberechtigten Eltern hatten ihrem Kind nach dessen Geburt den Nachnamen des Vaters als Geburtsnamen erteilt. Nach der Trennung der Eltern wollte die Mutter dem Kind ihren Nachnamen erteilen. Mangels Zustimmung des Vaters beantragte sie die Übertragung der Entscheidungsbefugnis zur Namensänderung. Auf die Rechtsbeschwerde des Vaters wurde ihr Antrag zurückgewiesen, da im konkreten Fall die Namensänderung für das Kindeswohl nicht erforderlich war.

Die rechtliche Situation stellt sich so dar, dass einem Elternteil nach § 1628 BGB ein Teilbereich der elterlichen Sorge – soweit es sich um eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung und nicht nur eine Alltagsangelegenheit handelt – zur alleinigen Entscheidung übertragen werden kann, wenn zwischen den Eltern Dissens zu dieser konkreten sorgerechtlichen Frage besteht und das Gericht zur Überzeugung gelangt, dass der Lösungsvorschlag jenes Elternteils, dem die Entscheidungsbefugnis letztlich übertragen wird, dem Kindeswohl besser gerecht wird.

Geht es um die Namensänderung eines Kindes, so bedarf sie der behördlichen Beantragung und ist – ohne Einwilligung des jeweils anderen Elternteils – nach § 3 Abs. 1 NamÄndG nur dann erfolgreich, wenn es für die Änderung einen wichtigen Grund gibt, d.h. sie für das Wohl des Kindes erforderlich ist. Erforderlich in diesem Sinn ist eine Änderung nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung erst dann, wenn das Kindeswohl die Änderung geradezu gebietet. Zwischen den Folgen der Änderung und der Namensbeibehaltung ist abzuwägen. Dabei muss die Änderung für das Kind solche Vorteile mit sich bringen, dass die Beibehaltung der Namensgleichheit mit dem anderen Elternteil nicht zumutbar erscheint.

Hierzu hat der BGH in seiner Rechtsprechung hervorgehoben, dass allein der Wunsch des Kindes ebenso wenig ausreichend ist wie der elterliche Wunsch, um von der Erforderlichkeit einer Namensänderung auszugehen, da eine Namensverschiedenheit zwischen Eltern und Kinder nicht ungewöhnlich sei. Ebenso hat der BGH klargestellt, dass allein die Trennung der Eltern keine abweichende Bewertung ihrer Motive rechtfertige, die ursprünglich für sie bei der Namensgebung entscheidend waren. In die Abwägung sei zudem einzubeziehen, in welchem tatsächlichen persönlichen Verhältnis der Elternteil, dessen Namen abgelegt werden soll, zu dem Kind stehe.

In der Praxisberatung ist es daher wichtig, Eltern, die eine Namensänderung anstreben, unmissverständlich darauf hinzuweisen, dass eine solche – am Kindeswohl orientiert und aus der Bedeutsamkeit der Namenskontinuität folgend – an restriktiv zu prüfende Voraussetzungen gebunden ist. Es bedarf einer umfassenden Sachverhaltsaufklärung, im Rahmen derer insbesondere auch die persönliche Beziehungen des Kindes zum jeweils anderen Elternteil sowie dessen Bemühen um das Kind zu bewerten sind. Erst wenn diese umfassenden Ermittlungen abgeschlossen sind, sollte vom Gericht die Entscheidung getroffen werden, ob eine Namensänderung tatsächlich erforderlich ist oder das gerichtliche Verfahren nichts anderes zum Ergebnis hat, als eine vermeidbare Belastung des Kindes.

Aufklärung des Notars über das Verfügungsverbot des § 1365 BGB, aber keine Nachforschungspflicht

Verkauft ein Ehegatte, der Alleineigentümer ist, eine Immobilie, kann es sich um sein (nahezu) gesamtes Vermögen handeln. Unklar ist, wieviel Restvermögen ihm verbleiben muss. Bisher ging man von 10 bis 15 % bei kleineren und 15 % für größere Vermögen aus, wobei die Grenze zwischen beiden bei ca. 250.000 Euro liegt. Brudermüller will nunmehr in seiner Kommentierung im Palandt ohne diese Unterscheidung von mindestens 10 % Restvermögen ausgehen.

 

Auch bei Veräußerung eines Einzelgegenstandes kann es sich um das Vermögen im Ganzen handeln. Allerdings muss der Käufer bei Abschluss des schuldrechtlichen Vertrages positive Kenntnis davon gehabt haben, dass es sich bei dem vorliegenden Gegenstand um das gesamte oder nahezu gesamte Vermögen des Verkäufers handelt (BGH, Beschluss vom 21.2.2013 – V ZB 15/12, FamRB 2013, 205). Die Beweislast für die Kenntnis des Dritten trifft denjenigen Ehegatten, der sich auf die Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts beruht.

 

Der Notar muss bei Beurkundung eines Grundstückskaufvertrages die Vorschrift des § 1365 BGB berücksichtigen. Ihn trifft allerdings keine Pflicht zur Stellungnahme und Nachforschung, ob die Vorschrift im konkreten Fall eingreift, wie der BGH zu Recht im Beschluss vom 26.2.2015 – III ZR 279/14, entschieden hat. Der Notar hat in der Regel ebenso wie der Käufer keine Kenntnis der genauen Vermögensverhältnisse des Verkäufers. Er hat auch nicht die Aufgabe, einen gutgläubigen fremden Käufer durch die Anforderung einer Art Vermögensaufstellung vom Verkäufer „bösgläubig“ zu machen.

 

Löschung zwangsvernetzter Apps zur Abwehr von Kindeswohlgefährdungen (AG Bad Hersfeld v. 22.07.2016 – F 361/16 EASO)

Wohl kaum ein anderer Begriff wie der der Kindeswohlgefährdung ist in der familiengerichtlichen Praxis mit so viel negativen Emotionen aber auch häufiger Unsicherheit bei der Frage verbunden, ob getroffene Maßnahmen tatsächlich geeignet sind, der bestehenden Gefährdung entgegenzuwirken und wie sich die Lebenswelt des Kindes durch diese Maßnahme künftig bestimmt. Nicht selten wird allein das zu schützende Kind – statt des Schädigers – belastet und in seiner kindlichen Entwicklung eingeschränkt durch Maßnahmen, die seinem Schutz dienen sollen.

Dass zur kindlichen Entwicklung nicht nur der regelmäßige Kontakt mit Gleichaltrigen gehört, sondern auch die Nutzung neuester technischer Kommunikationsmittel, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Gerade die sich hieraus ergebenden uneingeschränkten Kontaktmöglichkeiten bergen jedoch in einem zunehmend unkontrollierbaren Datenaustausch ebenso nur noch schwer kontrollierbare und beherrschbare Gefahren für Kinder. Für Eltern ist es daher auch zunehmend schwieriger, nicht nur mit der technischen Entwicklung Schritt zu halten, sondern auch – bei gleichzeitiger Vertrauenssicherung gegenüber dem Kind – mit dem notwendigen Fingerspitzengefühl eine Kontrolle darüber zu halten, mit wem und mit welchem Inhalt das Kind Daten austauscht.

Mit einem entsprechenden Sachverhalt hat sich das AG Bad Hersfeld umfassend in einer aktuellen Entscheidung auseinander gesetzt, in der es um die Frage ging, wie konkret ein Elternteil sexuellen Belästigungen der beiden Töchter mittels der Messenger-App „WhatsApp“ entgegenwirken kann bzw. welche konkreten Handlungen von den Eltern in dieser Situation zu verlangen sind. Das Gericht hat in seinem Beschluss dem betreuenden Vater Auflagen erteilt, durch die er nicht nur verpflichtet wurde, einen physisch-realen Kontakt des Belästigers zu den Kindern zu unterbinden, sondern auch jeglichen virtuellen Kontakt, indem er die auf Zwangsvernetzung beruhende App von den Smartphones zu entfernen und diesen abgesicherten Zustand mittels geeigneter Kontrollen der Geräte laufend aufrecht zu erhalten hatte. Daneben wurde er verpflichtet, in regelmäßigen Abständen mit den Kindern den aktuellen Stand der Smartphones zu besprechen und die Geräte gemeinsam mit seinen Töchtern auf gespeicherte Apps und etwaig auftretende Ungereimtheiten zu prüfen.

Die rechtliche Situation stellt sich so dar, dass nach § 1666 Abs. 1 BGB als ultima ratio Eingriffe in die Personensorge erfolgen können, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl eines Kindes nachhaltig gefährdet ist und die Eltern nicht willens oder in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden. Von einer Kindeswohlgefährdung im Sinn dieser Vorschrift ist auszugehen, wenn entweder die Gefahr bereits konkret besteht oder zumindest so nahe bevorsteht, dass eine erhebliche Schädigung des Kindeswohls mit ziemlicher Sicherheit voraussehbar ist. Neben den Fällen der tatsächlich missbräuchlichen Ausübung der elterlichen Sorge ist vor allem das unverschuldete Versagen der Eltern von hoher praktischer Bedeutung. Der Entzug der Personensorge insgesamt oder in Teilbereichen kommt gleichwohl jedoch nur dann in Betracht, wenn andere niederschwelligere Maßnahmen erfolglos geblieben sind oder bereits zuverlässig abgeschätzt werden kann, dass sie zur Gefahrenabwehr nicht ausreichend sind. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit findet in diesem Kontext seine besondere Ausprägung. Die Gerichte haben bei der Auswahl der in Betracht kommenden Maßnahmen jeweils zu prüfen, ob diese zur Gefahrenabwehr geeignet, erforderlich und auch zumutbar sind. Erforderlich in diesem Sinn sind daher Maßnahmen nur dann, wenn aus den zur Zielerreichung geeigneten Maßnahmen das mildeste Mittel gewählt wird, das die geschützte Rechtsposition am wenigsten beeinträchtigt. Das Gesetz differenziert weitergehend danach, ob sich die zum Schutz des Kindes zu treffenden Maßnahmen gegen die sorgeberechtigten Eltern richten oder die Gefährdung von einem Dritten ausgeht. Sollen Maßnahmen gegenüber den Eltern selbst ergriffen werden, so werden in § 1666 Abs. 3 BGB konkrete Beispiele aufgelistet, durch die der Kindeswohlgefährdung begegnet werden kann, d.h. diese Beispiele präzisieren in gewisser Weise den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, da sie dem Eingriff in die elterliche Sorge vorgelagert sind. Folgt demgegenüber die Kindeswohlgefährdung aus dem Verhalten eines Dritten, so sieht § 1666 Abs. 4 BGB vor, dass auch unmittelbar diesem gegenüber Schutzmaßnahmen veranlasst werden können. In dieser Konstellation ist ein doppelter Kindesschutz möglich. Einerseits haben die Eltern die Möglichkeit, gestützt auf das GewSchG, gerichtlichen Rechtsschutz einzufordern, etwa durch ein Näherungsverbot. Parallel wird zudem das Familiengericht von Amts wegen tätig und trifft die zur Abwehr der Gefährdung notwendigen Maßnahmen, die sich auf Ermahnungen, Verhaltensgebote und -verbote sowie auf Umgangsverbote richten können. Im äußersten Fall kann aber auch ein Wohnungswechsel angeordnet werden.

In der Praxisberatung ist es wichtig, Eltern die mit gerichtlichen Maßnahmen zum Schutz des Kindes konfrontiert werden, umfassend darüber aufzuklären, dass das gerichtliche Eingreifen auch als Chance für sie zu verstehen ist. Nur durch ein konstruktives Zusammenwirken von Eltern, Gericht und Jugendamt ist ein effektiver Kindesschutz zu gewährleisten, aber auch zu verhindern, dass weitere Eingriffe in das Elternrecht erforderlich werden.

Neuauflage: Schürmann, Sozialrecht für die familienrechtliche Praxis

Schürmann, Sozialrecht für die familienrechtliche Praxis, Gieseking 2016, FamRZ-Buch 42, ca. 450 Seiten, 59 €, ISBN: 978-3-7694-1165-2.

Der Flug von Boston nach Düsseldorf dauert alles in allem 7 Stunden. Normalerweise schlafe ich im Flugzeug. Diesmal nicht. Das Buch von Heinrich Schürmann hält mich wach und beunruhigt mich, weil es gravierende Lücken meiner sozialrechtlichen Kenntnisse aufdeckt und fast im gleichen Moment schließt. Auf rund 450 Seiten stellt Schürmann das für den Familienrechtlicher erforderliche sozialrechtliche Handwerkszeug zusammen.

Ich bewundere stets Profihandwerker, die ohne einen 3-maligen Ausflug in den Baumarkt eine Steckdose montieren können und das dazu erforderliche Handwerkszeug übersichtlich in einem kleinen Beautykoffer bereithalten. So ist es auch bei Schürmann. In fünf großen Kapiteln behandelt er die Leistungen des Sozialstaates zur Sozialversicherung (Arbeitsförderung, Kranken- und Pflegeversicherung, Renten- und Unfallversicherung), zur Familienförderung (Mutterschafts-, Eltern- und Kindergeld, Jugendhilfe, Wohngeld, Ausbildungsförderung, Unterhaltsvorschuss und Entschädigungsrecht), zur Existenzsicherung (Grundsicherung für Arbeitssuchende, Kinderzuschlag, Sozialhilfe) sowie den Regress des Sozialhilfeträgers. Für Familienrechtler bleibt keine Lücke.

Sorgfältig wird die Darstellung der einzelnen Leistungen mit einer historischen Vorstellung, der Angabe von Rechtsgrundlagen und Zuständigkeiten und weiterführenden Literaturangaben eingeleitet. Teilweise wird auch der Text einer Leistungsnorm wiedergegeben. Der Autor weiß, dass Juristen zwar Normen anwenden, sie aber ungern lesen.

Heinrich Schürmann ist Praktiker. Deshalb wird die Lektüre nicht langweilig. Leistungen und deren Voraussetzungen sind oft in übersichtlichen Tabellen zusammengestellt, das beschleunigt den Zugriff. Da die Übersichten aber nicht allein stehen, sondern durch Texte und teilweise Berechnungsbeispiele erläutert werden, liegt es in der Hand des Lesers, die Kenntnis eines Wertes abzugreifen oder das System einer Leistung verstehen zu wollen. Wenn letzteres der Fall ist, wird ihm der Text gefallen, da er juristisch exakt, aber auch dem eiligen Leser zugängig ist.

Im Zeitalter elektronischer Medien ist dem Buch, besonders dem Fachbuch, oft ein elender Tod vorausgesagt worden. Im Printmedium wird der durch die Verlinkung entstehende Vorteil des elektronischen Mediums durch Index und Querverweise kompensiert. Beides bietet das Buch in Premiumqualität. Man vermisst die elektronische Buchversion daher nicht. Des Lesers Wunsch ist allerdings des Autors Fluch. Bei der elektronischen Version erwartet der Konsument eine immerwährende Aktualität. Diese zu liefern ist für einen Autor quälend. Deswegen hoffe ich als Leser, dass das Buch regelmäßig neu aufgelegt und dadurch aktualisiert wird, auch ganz ohne Elektronik. Zusammengefasst: 5 „Likes“ für das Buch, das jedem Familienrechtler Pflichtlektüre sein müsste.

Umgangsverweigerung ist Körperverletzung – oder: Warum der Kuss so wichtig ist

Die Teilnahme an juristischen Kongressen und Veranstaltungen lehrt und bildet ja bekanntlich. Letzteres förderte auf der Herbsttagung der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht im DAV vom 24. bis 26.11.2016 in Nürnberg Professor Dr. rer. nat., Dipl.-Ing. (Informatik/E-Technik) Peter Beyerlein, Professor und Leiter der Arbeitsgruppe Bioinformatik. Der Titel seines Vortrags „Neurobiologie und Kindeswohl – Viel mehr als Recht und Psychologie“ weckt in Juristinnen und Juristen voyeuristische Erwartungseuphorie, Einblick in eine fremde naturwissenschaftliche Welt zu bekommen, der schon begrifflich kaum beizukommen ist und deren Begriffe, kaum dass sie entbeamt werden, dem Gedächtnis entschwinden.

Gleichwohl habe ich Folgendes behalten: Der Informationsaustausch zwischen Eltern und ihren Kindern ist nicht auf den Austausch ihres genetischen Materials bei der Zeugung und die anschließende intellektuelle, kulturelle und sprachliche Korrespondenz beschränkt. Die Neurobiologie kann vielmehr heute erklären, dass jeder Kuss, jeder Handschlag und jeder Körperkontakt ein Informationsaustausch ungeahnten Ausmaßes verursacht, dessen Resultat nicht auf die Psyche allein beschränkt bleibt, sondern unmittelbar die genetisch kodierte Funktion der Zellen beeinflusst. So kann die Wissenschaft nachweisen, dass Fehler im menschlichen Genom durch solch postnatalen Kontakte larviert („verdeckt“) und funktional repariert werden können, weil die bei den Eltern bereits erfolgte verhaltenskontrollierte Reparatur des Defekts an das Kind weitergegeben wird, nicht durch ‚Vererbung‘ sondern durch den bei jedem Körperkontakt über das Mikrobiom vermittelten Datenaustausch. Das funktioniert neurobiologisch allerdings nur beim Kontakt zwischen Kindern und ihren leiblichen Eltern, weil nur die Eltern neben einem genetischen Defekt auch das erfolgreiche Larvierungsmuster erworben haben. Stief- und Pflegeeltern versagen dabei, weil ihnen der zu larvierende genetische Defekt fehlt. Deswegen kam der Referent zu dem Schluss, dass die Verweigerung von Umgangskontakten zwischen Kindern und ihren leiblichen Eltern Körperverletzung am Kind sei.

Nach dem Genom-Project, das das menschliche Genom entschlüsselt, hat die Forschung das Human Brain Project in Angriff genommen. Darin wird das menschliche Hirn kartographiert und nachgewiesen, dass wir derzeit nur einen winzigen Bruchteil unseres intellektuellen Potentials nutzen und an welcher Stelle des Hirns das zu lokalisieren ist. Jetzt entzaubert die Neurobiologie unsere Vorstellung vom eigenverantwortlich handelnden ‚Freien Menschen‘ und führt Aggressivität, Duldsamkeit, Liebe und Sexualität, Faulheit und Dummheit auf biochemische Prozesse zurück, die in Formeln und chemischen Reaktionsketten ausgedrückt werden können.

Ist das das Ende der Autonomie? Natürlich nicht. Sie zu ermöglichen und zu fördern, sollten wir Familienrechtler aber vielleicht nicht allzu forsch Umgangskontakte verweigern und damit den Kindern die Möglichkeit nehmen, genetisch kodierte Defizite zu reparieren. Biochemisch gesprochen scheinen Umgangskontakte zwischen Eltern und Kindern letzteren zu helfen, Herr ihrer Defizite zu werden und damit tatsächlich autonom zu entscheiden.

Unerwartete Rechtsfolgen einer Ehe – Wohnungszuweisung wegen Übernachtungsbesuchen der neuen Partnerin

Es ist offenbar unüblich, sich bei Eingehung einer Ehe über die Rechtsfolgen einer etwaigen späteren Trennung und Scheidung Gedanken zu machen. Letztlich hätte das allerdings auch wenig Sinn, denn das gesamte Familienrecht wimmelt nur so vor unbestimmten Rechtsbegriffen, die den Ausgang etwaiger gerichtlicher Streitigkeiten ohnehin so gut wie unvorhersehbar machen. Mandanten ist das nur schwer zu vermitteln. Gefragt nach der voraussichtlichen Dauer des nachehelichen Unterhaltsanspruchs des Ehepartners, zitiere ich häufig das Gesetz: „Der nacheheliche Unterhalt ist zeitlich zu begrenzen, wenn ein zeitlich unbegrenzter Unterhaltsanspruch … unbillig wäre.“. Ach so … Nach der Lektüre des Gesetzes weiß man nicht mehr als vorher. Als Rechtsanwalt bleibt einem nur noch zu versuchen, auf der Grundlage einer Vielzahl von Einzelentscheidungen nach und nach gewisse Wahrscheinlichkeiten auszumachen. Wie wenig man Einzelfallentscheidungen vorhersagen kann, die durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe vom Gesetzgeber erzwungen werden, zeigt beispielsweise ein Beschluss des OLG Hamm v. 28.12.2015 – II-2 UF 186/15, FamRZ 2016, 1082:

In diesem Fall wurde die Eigentumswohnung des Ehemannes seiner Ehefrau zur alleinigen Nutzung zugewiesen, obwohl die Wohnung im Alleineigentum des Ehemannes stand. Der Ehemann durfte also seine eigene Wohnung nicht mehr betreten, geschweige denn, seine Ehefrau der Wohnung verweisen. Immerhin erfolgte die Ehewohnungszuweisung nur befristet bis zum Ablauf des Trennungsjahres. Das Gesetz sieht in § 1361b Abs. 1 BGB für die Trennungszeit vor, dass die Ehewohnung einem der beiden Ehegatten zur alleinigen Nutzung zugewiesen werden kann, wenn das weitere Zusammenleben mit dem anderen für den Antragsteller eine „unbillige Härte“ bedeuten würde. Wann eine solche „unbillige Härte“ anzunehmen ist, lässt sich dem Gesetz allerdings nicht entnehmen. Immerhin ist vorgeschrieben, dass bei der Entscheidung etwaiges Alleineigentum an der Ehewohnung „besonders zu berücksichtigen“ ist. Das OLG Hamm nahm in dem am 28.12.2015 entschiedenen Fall eine „unbillige Härte“ für die Ehefrau an, weil der Ehemann seiner neuen Lebensgefährtin mehrfach gestattet hatte, bei ihm zu übernachten, und sie ihn zudem sehr häufig tagsüber zu Hause besuchte. Das Alleineigentum des Ehemannes an der Wohnung wurde in der Weise „besonders berücksichtigt“, dass die Ehewohnungszuweisung nicht für die gesamte Trennungszeit, sondern nur für das Trennungsjahr ausgesprochen wurde. Die Tatsache, dass die Ehefrau statt einer Ehewohnungszuweisung auch mit Erfolg hätte beantragen könne, ihrem Ehemann und seiner Lebensgefährtin dies zu untersagen, wird in der Entscheidung des OLG Hamm nicht erwähnt.

Fazit: Das Trennungs- und Scheidungsfolgenrecht hält für Mandanten wie für Rechtsanwälte viele Überraschungen bereit. Aus der im Familienrecht leider besonders häufigen Verwendung unbestimmter Rechtsbegriff im Gesetzestext, wie etwa desjenigen der „unbilligen Härte“, ergibt sich eine schwer erträgliche Rechtsunsicherheit. Klarere Regelungen durch den Gesetzgeber wären wünschenswert, auch wenn die Ergebnisse dieser Regelungen in der Praxis im Einzelfall „unbillig“ sein mögen. Sollte dies tatsächlich einmal der Fall sein, kann ausnahmsweise immer noch von der gesetzlichen Regelung abgewichen werden, wie dies auf jedem Rechtsgebiet der Fall ist. Wenn nebulöse Formulierungen wie „unbillige Härte“, „unzumutbar“ u.Ä. zum Regelfall im Gesetzestext werden, wie es im Familienrecht der Fall ist, hat der Gesetzgeber versagt. Klare Regelungen sollen hier anscheinend aus politischen Gründen vermieden werden, damit auf diesem hochsensiblen und emotionalen Gebiet am Ende die Juristen, nicht aber die eigentlich zuständigen Parlamentarier schuld sind. In der Praxis führt das bei den Betroffenen zu sehr viel vermeidbarem Leid.