Unerwünschte Folgen einer Erwachsenenadoption

Nicht selten werden Kinder von ihren Ziehvätern erst im Erwachsenenalter adoptiert. Einer der häufigsten Gründe, auf die Adoption eines minderjährigen Ziehkindes zunächst zu verzichten, ist der Unterhaltsanspruch des Kindes gegen seinen Erzeuger, der mit einer Adoption enden würde. Wird die Adoption im Erwachsenenalter nachgeholt, so ist dies oft rein erbrechtlich bzw. erbschaftsteuerrechtlich motiviert. Nicht bedacht wird dabei gelegentlich, dass die erbrechtlichen bzw. erbschaftsteuerlichen Konsequenzen nicht die einzigen Rechtsfolgen einer Adoption darstellen. Bei mangelnder Aufklärung der Beteiligten durch die beteiligten Rechtsanwälte und Notare folgt auf die Adoption dann oft ein böses Erwachen. 

Als unliebsam wird bei Erwachsenenadoptionen besonders die Rechtsfolge empfunden, dass der Anzunehmende den Namen des Annehmenden erhält. Gerade wenn die Adoption in erster Linie erbrechtlich bzw. erbschaftsteuerlich motiviert ist, erfolgt sie nicht selten erst dann, wenn das anzunehmende „Kind“ selbst schon mitten im Leben steht und entsprechend sowohl beruflich als auch privat mit seinem bisherigen Namen eng verbunden ist. Erstaunlicherweise kann das Familiengericht gemäß § 1757 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 BGB selbst dann, wenn alle Beteiligten dies beantragen, dem Anzunehmenden nicht einfach seinen bisher geführten Namen belassen. Die einzige Möglichkeit des Anzunehmenden, mit dem bisher geführten Namen weiter verbunden zu bleiben, besteht nach dieser Vorschrift darin, dass dem neuen Familiennamen des Kindes der bisher geführte Name vorangestellt oder beigefügt wird (a.A. nur AG Leverkusen v. 17.12.2007 – 14 XVI 12/07, FamRZ 2008, 2058 m. Anm. Maurer, FamRZ 2009, 440), wohl aber nur aus praktischen Gründen offen gegen das Gesetz). Selbst dies ist aber nur dann zulässig, wenn es „aus schwerwiegenden Gründen zum Wohl des Kindes erforderlich ist“. Besonders grotesk erscheint diese Regelung in den Fällen, in denen der nichteheliche Lebensgefährte der Mutter, von der das Kind seinen bisherigen Namen erhalten hat, das Kind adoptiert. Selbst in diesem Fall hat das Kind nur ganz ausnahmsweise die Möglichkeit, den Namen der Mutter nach der Adoption als Teil eines Doppelnamens weiter zu führen, obwohl die Adoption in diesen Fällen weder rechtlich noch emotional in irgendeiner Weise eine Abkehr von der Mutter bedeutet.  

Ist die Adoption einmal erfolgt, ohne dass dem Antrag auf Weiterführung des bisherigen Namens als Teil eines Doppelnamens stattgegeben bzw. ohne dass dieser überhaupt gestellt wurde, ist es sehr schwierig, sich von der Namensänderung wieder zu befreien. Der Antrag nach § 1757 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 BGB kann nicht nachgeholt werden (BayOblG v. 23.9.2002 – 1Z BR 113/02, FamRZ 2003, 1773 [LS]), wenn die Adoption einmal wirksam ist. Selbst wenn der Anzunehmende im Vorfeld der Adoption nicht darauf hingewiesen wurde, dass die Volljährigenadoption eine Änderung des Geburtsnamens (und damit auch des aktuellen Namens, wenn der Anzunehmende selbst nicht den Namen seines Ehepartners führt) nach sich zieht, soll dies keinen hinreichenden Grund für eine Namensänderung nach § 3 Abs. 1 NamÄndG sein (so jedenfalls VG Ansbach v. 10.11.2004 – AN 15 K 04.01600, BeckRS 2012, 48331). In Betracht zu ziehen ist auch noch eine Readoption durch den leiblichen Elternteil. Zumindest das AG Starnberg v. 13.2.1995 – XVI 22/94, FamRZ 1995, 827, hat einem solchen Antrag in einem Einzelfall stattgegeben, weil es die Readoption für sittlich gerechtfertigt hielt, obwohl die einzige Rechtsfolge der Adoption in diesem Fall die Wiedererlangung des alten Geburtsnamens war. 

Wie man an diesen absurden rechtlichen Verrenkungen unschwer erkennen kann, die sowohl Betroffene als auch Gerichte unternehmen, um die Vorschrift des § 1757 BGB zu umgehen, wobei gleichzeitig kein Grund ersichtlich ist, dem Anzunehmenden den Namen des Annehmenden aufzudrängen, besteht jedenfalls bzgl. dieser Rechtsfolge der Erwachsenenadoption dringender Reformbedarf (siehe hierzu Molls, ZRP 2012, 174 ff.).

 

Geschenkt ist geschenkt, wiederholen ist gestohlen?

Bundesgerichtshof: Eine Schenkung kann bei Verarmung des Schenkers oder groben Undanks des Beschenkten selbst dann rückabgewickelt werden, wenn als Gegenleistung für die Vermögensübertragungen ein Erbverzicht erklärt wurde.

Grundsätzlich ist die alten Volksweisheit „geschenkt ist geschenkt, wiederholen ist gestohlen“ auch rechtlich zutreffend. Ein wirksam verschenkter Gegenstand kann von dem Schenker nur in eng begrenzten Ausnahmefällen von dem Beschenkten zurückgefordert werden. Dies ist zum einen der Fall, wenn der Schenker innerhalb von 10 Jahren ab Vollzug der Schenkung „verarmt“ (§ 528 BGB), zum anderen dann, wenn sich der Beschenkte des „groben Undanks“ (§ 530 BGB) gegen den Schenker schuldig macht. Mit der Problematik der Rückabwicklung einer Schenkung wegen Verarmung des Schenkers ist der Rechtsberater häufig dann konfrontiert, wenn der ehemals vermögende Schenker im Alter pflegebedürftig wird und deshalb auf Sozialleistungen angewiesen ist. Der Sozialhilfeträger kann in diesen Fällen den Rückabwicklungsanspruch des Schenkers auf sich überleiten und im eigenen Namen gegen den Beschenkten geltend machen.

In dem vom Bundesgerichtshof kürzlich entschiedenen Fall (Urt. v. 7.7.2015 – X ZR 59/13, FamRB 2016, 63) ging es um den zweiten möglichen Rückforderungstatbestand, nämlich den groben Undank. Die Tochter des Klägers hatte ihrem Vater vorgetäuscht, mittellos zu sein, um ihn über die bereits zuvor unentgeltlich übertrage Eigentumswohnung hinaus noch zu weiteren finanziellen Zuwendungen zu veranlassen. Der grobe Undank als solcher stand hier allerdings nicht infrage. Vielmehr musste der Bundesgerichtshof zu der in der juristischen Literatur sehr umstritten Frage Stellung nehmen, ob auch dann eine Schenkung im Rechtssinne anzunehmen ist, wenn der Beschenkte im Gegenzug einen Erbverzicht erklärt. Diese Rechtsfrage hatte der Bundesgerichtshof im Zusammenhang mit den Regelungen der §§ 528 und 530 BGB erstmalig zu beantworten und kam zu dem Ergebnis, dass Sinn und Zweck der Vorschriften der §§ 528 und 530 BGB, nämlich der Schutz des Schenkers zu seinen Lebzeiten, es rechtfertigt, die Schenkungen gegebenenfalls auch dann rückabzuwickeln, wenn als Gegenleistung ein Erbverzicht erklärt wurde (Hinweis: dieser Erbverzicht könnte gegebenenfalls natürlich im Gegenzug auch rückabgewickelt werden, § 812 BGB). Dies sei jedenfalls dann der Fall, wenn die Höhe der Zuwendung in etwa der Erberwartung entspricht oder diese gar übersteigt. Demgegenüber soll es gegen eine Schenkung sprechen, wenn die Zuwendung wertmäßig deutlich hinter der Erberwartung zurückbleibt.

Verzichtet also ein zukünftiger Erbe beispielsweise gegen eine Zahlung von 50.000,00 € auf eine Erbschaft, die voraussichtlich einen Wert von 100.000,00 € haben wird, so soll es sich nicht um eine Schenkung im Sinne der §§ 528 und 530 BGB handeln. Hier könnte also der „Schenker“ die 50.000,00 € weder dann von dem Beschenkten zurückfordern, wenn er selbst innerhalb von 10 Jahren nach der Zuwendung verarmen sollte, noch dann, wenn sich der Beschenkte des groben Undanks gegen ihn schuldig machen sollte. Hätte der zukünftige Erblasser hingegen 100.000,00 € gezahlt und sich im Gegenzug einen Erbverzicht erklären lassen, könnte er gegebenenfalls die volle Summe zurückfordern.

Fazit: Es ist erfreulich, dass der Bundesgerichtshof in diesem Urteil einmal Gelegenheit hatte, sich ausführlich mit dieser sehr umstrittenen Rechtsfrage auseinanderzusetzen. Das Ergebnis, dass die Zuwendung eines gegenüber dem Erbverzicht wertmäßig zu geringen Geldbetrages eine Schenkung darstellen soll, die Zuwendung eines dem Erbverzicht wertmäßig entsprechenden Geldbetrages jedoch nicht, kann jedoch kaum als unmittelbar einleuchtend bezeichnet werden.

Hinweis auf das 13. Symposium für europäisches Familienrecht

Im Zusammenhang mit dem vorgehenden Blogbeitrag von Herrn Rechtsanwalt Hauß zur u.a. „Entdramatisierung der Scheidung: Standesamtsscheidung“ weist die FamRB-Redaktion auf das thematisch passende 13. Symposium für europäisches Familienrecht hin:

Scheidung ohne Gericht? – Neue Entwicklungen im europäischen Scheidungsrecht

6. bis 8. Oktober 2016, Regensburg

Das Scheidungsrecht hat in den europäischen Ländern seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts tiefgreifende Änderungen erfahren. Das betrifft zum einen das Recht der Scheidungsgründe: Die Tendenz geht seitdem dahin, die Scheidung zu erleichtern. Neben die Liberalisierung der Scheidungsgründe tritt zum anderen aber auch mehr und mehr der Gedanke der zwischen den Ehegatten vereinbarten Scheidung als Ausfluss der Privatautonomie. Innerhalb des herkömmlichen Systems, das die Auflösung der Ehe an eine Gerichtsentscheidung bindet, erfolgt die einverständliche Scheidung durch entsprechende Erklärungen der Ehegatten gegenüber dem Gericht, die dann die Grundlage der richterlich ausgesprochenen Scheidung bilden. In neueren Reformen einiger Länder, etwa in Italien, wird demgegenüber auf die Mitwirkung einer richterlichen Erkenntnis verzichtet: Die Scheidung erfolgt privatautonom durch Vereinbarung oder Erklärungen gegenüber den für die Registrierung zuständigen Stellen.

Das 13. Symposium für europäisches Familienrecht will anlässlich dieser neueren Entwicklungen den derzeitigen Stand des europäischen Scheidungsrechts rechtsvergleichend in den Blick nehmen, auch um eine Grundlage für eine rechtspolitische Diskussion in Deutschland zu legen.

Themen:

  • Entwicklung des deutschen Scheidungsrechts
  • Länderberichte zu Belgien, den Niederlanden, Frankreich, Großbritannien, Italien, Norwegen, Österreich, Polen, der Schweiz, Slowenien, Spanien und der Tschechischen Republik
  • Blick in das Scheidungsrecht der islamischen Länder
  • Neue Entwicklungen im Scheidungsrecht als Herausforderung für das Internationale Privat- und Verfahrensrecht

Die Tagungsunterlagen können angefordert werden bei:
Prof. Dr. Anatol Dutta, M. Jur (Oxford)
Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung
Universität Regensburg
93040 Regensburg
Tel.: +49 941 – 9432281; Fax: +49 941 – 9434980
e-Mail: christa.kraemer-eul@ur.de
Das Tagungsprogramm ist abrufbar unter http://dutta.uni-regensburg.de/symposium2016.

Durch die Teilnahme an den Fachvorträgen und Diskussionen können auf Antrag 15 Zeitstunden im Sinne des § 15 der Fachanwaltsordnung bescheinigt werden.

Komplexität und Verfahrensdauer als Stressoren eliminieren

Ich las kürzlich in einer psychologischen Fachzeitschrift, Trennung und Scheidung seien für ca. 80 % der Patienten eine der wichtigen Ursachen, die den Behandlungsbedarf ausgelöst hätten. Ob die Zahl stimmt, kann ich nicht prüfen. Sie klingt aber plausibel und ist gleichzeitig erschütternd. Als Familienrechtler verbietet es sich, fachfremde Überlegungen über die Auswirkungen des Verlustes eines Lebensabschnitts und manchmal auch einer Perspektive anzustellen. Wir können aber darüber diskutieren, welchen Beitrag das materielle und verfahrensrechtliche Familienrecht leisten kann, Trennung und Scheidung für die Menschen leichter erträglich zu gestalten.

1. Entdramatisierung der Scheidung: Standesamtsscheidung

Selbst auf die Gefahr hin, mit der Anwaltschaft in einen standespolitischen Konflikt zu geraten, sollten wir darüber nachdenken, ob es wirklich erforderlich ist, die Auflösung der Ehe durch das Gericht aussprechen zu lassen. Schließlich wird die Ehe auch nicht vom Gericht geschlossen, sondern von den Ehegatten, die sich – beurkundet vom Standesbeamten – versprechen, lebenslang ein Paar zu sein.

Rast nicht die Welt in allen Strömen fort,
und mich soll ein Versprechen halten?

heißt es im Faust und nicht nur dort. Die Ehe ist ein Vertrag. Die Auflösung eines Vertrages geschieht durch Kündigung und in der Regel in der gleichen Form des Vertragsschlusses. Um das versprochene Bündnis aufzulösen, bedarf es nicht des Richters. Das können die Ehegatten selbst. Und um die mit der Ehe verbundenen steuerlichen und sozialrechtlichen Privilegien beweisfest zu beseitigen, bedarf es der staatlichen Beurkundung des Anfangs und des Endes des Vertrages. Mehr nicht. Gibt es streitige Ehescheidungen? Ich habe in 30 Jahren Familienrecht keine erlebt, wohl aber Streit um Unterhalt, Kinder, Versorgungsausgleich und die Vermögensverteilung, aber nie um den Fortbestand einer gescheiterten Ehe.

Wo bleibt dann der staatliche Schutzschild für die Gatten vor Übervorteilung und für die Kinder? Dafür müssen die Gerichte zuständig bleiben. Aber auch nur dafür. Ein Unterhaltsanspruch besteht unabhängig vom Scheidungsausspruch. Er setzt einen anerkennenswerten Bedarf, Bedürftigkeit und Leistungsfähigkeit voraus. Daran ändert auch die Standesamtsscheidung nichts. Auch heute können Ehegatten geschieden werden, ohne dass der Unterhalt gesichert ist. Sie brauchen den Unterhaltsanspruch nur nicht geltend zu machen.

Die Standesamtsscheidung löst nicht alle Probleme, sie schafft aber auch keine und entdramatisiert den Trennungsprozess.

2. Komplexitätsreduktion: Auflösung des Scheidungsverbunds

Die Auflösung einer oft Jahrzehnte gehaltenen Ehe hat viele Aspekte. Der Anspruch der Scheidungsverbundfreunde, mit einem ‚clear break‘ klare Verhältnisse für alle Beteiligten zu schaffen scheitert an der Realität. Wer nachehelichen Unterhalt, Zugewinnausgleich und Versorgungsausgleich, vielleicht auch noch Kindschaftssachen in den Verbund aufnimmt, schafft keinen clear break, sondern ‚clear mist‘.

Im Fall einer Rentnerscheidung kann der nacheheliche Unterhalt ohnehin erst mit Rechtskraft der Versorgungsausgleichsentscheidung und deren Durchführung bestimmt werden. Und wie nachehelicher Unterhalt bei streitiger güterrechtlichen Auseinandersetzung bestimmt werden soll, weiß ich auch nicht.

Diese Komplexität kann nur durch radikale Reduktion aufgelöst werden. First things first. Also erst einmal Unterhalt. Danach kann über das Vermögen gestritten werden. Hat dieser Streit Auswirkungen auf den Unterhalt, mag dieser nachkorrigiert werden. Aber wie häufig wird das nötig sein?

Und der Versorgungsausgleich? Ist die Ehe im Rentenbezugsfall geschieden und der Versorgungsausgleich noch nicht durchgeführt, kann eine Bedarfslücke ohne weiteres mit Unterhalt überbrückt werden. Dann vermieden wir auch die Schwierigkeiten, die durch den Kapitalverzehr bei laufenden Versorgungen entstehen (BGH v. 17.2.2016 – XII ZB 447/13, FamRB 2016, 176).

Der Scheidungsverbund führt oft dazu, dass auch die Fachleute den Überblick verlieren. Wie mag es da den Ehegatten gehen, deren Scheidung jahrelang vor sich hindümpelt.

3. Beschleunigung

Die Auflösung des Scheidungsverbundes würde bereits zu einer Beschleunigung beitragen. Jede Beschleunigung eines familienrechtlichen Verfahrens führt zu einem ‚Mehr‘ an Lebensqualität für die beteiligten Ehegatten. Wenn in Unterhaltsverfahren nach Eingang des Antrags innerhalb von sechs Wochen terminiert und dem Gegner eine 4-wöchige Erwiderungsfrist gesetzt würde, könnten auch VKH-Verfahren in acht bis zehn Wochen erledigt sein. Wer für die Beteiligten schnell wieder neue Lebensqualität schaffen will, muss die Verfahrenszeiten verkürzen.

Wir Familienrechtler können die Belastung der Menschen durch Trennung und Scheidung nicht aufheben. Wenn wir diese Belastung aber auch nur um 1 % vermindern könnten, sollten wir es versuchen. Darüber lohnt es sich mehr zu debattieren, als über Detailfragen des Unterhaltsrechts, die zu 30 € mehr oder weniger Unterhalt führen. Die Lebensqualität der Geschiedenen wird durch schnellere, überschaubarere und weniger dramatische Verfahrensweisen mehr verbessert als durch dreißig Euro mehr oder weniger Unterhalt. Eine familienfreundliche Scheidung durchzuführen, erfordert gewisse Eingriffe ins materielle und Verfahrensrecht. Eine Revolution wäre es nicht. Vieles könnte bei sinnvoller Verfahrensführung auch schon heute möglich gemacht werden.

 

Kindesunterhalt bei Wechselmodell oder deutlich erweitertem Umgang

Alle Eltern sind ihren Kindern zu Unterhalt verpflichtet. In intakten Familien ist dies eine Selbstverständlichkeit und stellt somit kein rechtliches Problem dar. Nach einer Trennung der Eltern kommt es bezüglich des Kindesunterhalts jedoch häufig zu Streit. Das Gesetz sieht hierzu vor, dass derjenige Elternteil, bei dem die Kinder nach einer Trennung der Eltern ihren Lebensmittelpunkt haben, von dem anderen Elternteil Barunterhalt verlangen kann (§ 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB). Der betreuende Elternteil erfüllt seine Unterhaltsverpflichtung in diesen Fällen hingegen bereits durch die tatsächliche „Pflege und Erziehung“ (§ 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB).

Da die Rollenverteilung in den Familien aber längst nicht mehr so klar ist wie zu dem Zeitpunkt, in dem der Gesetzgeber diese Regelung schuf, sondern sich zunehmend viele Eltern die tatsächliche Betreuung der Kinder teilen, muss die Rechtsprechung immer häufiger für Betreuungsmodelle unterhaltsrechtliche Lösungen finden, die nicht dem gesetzlich ausdrücklich geregelten Fall entsprechen.

Bedauerlicherweise hat der Bundesgerichtshof durch seine bisherigen Entscheidungen zur Verteilung der Unterhaltsverpflichtung in Betreuungskonstellationen, die nicht dem gesetzlichen Regelfall entsprechen, nicht dazu beigetragen, Rechtsfrieden zu schaffen, sondern ganz im Gegenteil dafür gesorgt, dass es häufig zu erbitterten umgangsrechtlichen Streitigkeiten kommt, in die auch die Kinder zwangsläufig mit hineingezogen werden, obwohl es im Kern lediglich um Unterhaltsfragen geht:

In seinem Beschluss vom 12.3.2014 – XII ZB 234/13, FamRZ 2014, 917 = FamRB 2014, 204 führt der Bundesgerichtshof aus, dass die Verpflichtung zur Leistung von Barunterhalt so lange allein bei einem Elternteil liegt, als der Betreuungsschwerpunkt bei dem jeweils anderen Elternteil zu erkennen ist. Erst dann, wenn die Betreuungsleistungen annähernd paritätisch zwischen den Eltern aufgeteilt sind, soll die Barunterhaltsverpflichtung beide Elternteile (anteilig nach den Einkommensverhältnissen) treffen.

Der Betreuungsschwerpunkt in diesem Sinne soll nach der instanzgerichtlichen Rechtsprechung sogar dann noch bei einem Elternteil liegen, wenn der andere das Kind an drei von vier Tagen in der Woche betreut. Die erhöhten Kosten, die der barunterhaltspflichtige Elternteil durch die erweiterte Betreuungsleistung, und die geringeren Kosten, die der „hauptsächlich“ betreuende Elternteil hat, werden bisher unterhaltsrechtlich in diesen Fällen nur durch die Herabstufung um eine oder mehrere Einkommensgruppen in der Düsseldorfer Tabelle erfasst.

Beraterhinweis

Bevor man sich auf ein Umgangsverfahren aus unterhaltsrechtlichen Gründen einlässt, sollte (abgesehen davon, dass vorher die emotionalen Folgen für die Kinder bedacht werden sollten) dringend durch konkrete Berechnung geprüft werden, ob das Wechselmodell im jeweiligen Einzelfall tatsächlich erhebliche negative finanzielle Auswirkungen hätte. Je nach Einkommensverhältnissen ergibt sich für die konkrete Zahlungsverpflichtung gegenüber einer Herabstufung der Düsseldorfer Tabelle keinerlei Unterschied, da die Eltern auch im Falle eines Wechselmodells nicht etwa ohne weiteres zu gleichen Teilen, sondern anteilig nach ihren Einkommensverhältnissen für den Unterhalt haften.

Mehr zum Thema: Siehe auch den Beitrag von Frau RiOLG Dr. Liceni-Kierstein zu den nicht verringerten Erwerbsobliegenheiten trotz Ausübung eines erweiterten Umgangsrechts, FamRB 2014, 132.

BGH zum Rechnungszins im Versorgungsausgleich, BGH v. 9.3.2016 XII ZB 540/14

Schickt die um die Versorgungen geprellten Mandantinnen und Mandanten, die Opfer der externen Teilung betrieblicher Anrechte, zu ihren Bundestagsabgeordneten! Die Justiz ist der falsche Adressat. Das ist die Konsequenz der soeben veröffentlichten Entscheidung des BGH zur Wahl des richtigen Rechnungszinses bei der Bewertung betrieblicher Anrechte im Fall externer Teilung ehezeitlich erworbener Anrechte.

Der BGH billigt die Anwendung des sogenannten BilMoG-Rechnungszinses nach § 253 HGB. Die Hoffnung, die Rechtsprechung werde den Opfern der gesetzlich zugelassenen externen Teilung hochwertiger betrieblicher Anrechte helfen ist mit dieser Entscheidung des BGH dahin. Dahin ist aber auch die Ungewissheit und das Abwarten. Die Rechtsprechung ist vielleicht auch nicht zuständig für Fehler des Gesetzgebers.  Schwamb (OLG Frankfurt) schreibt in einem ersten Kommentar:

Es wird jetzt wirklich Zeit, dass der Gesetzgeber die Reparaturarbeiten aufnimmt (sei es bei § 17 oder auch § 29 VersAusglG). Vielleicht beschleunigen diese BGH-Entscheidungen die Entwicklung eines insoweit bislang fehlenden politischen Willens. „Hoffentlich nicht“, werden die einen antworten, „träum weiter“ die anderen.

Wir Anwälte können die Entwicklung beschleunigen, indem wir nun unsere Mandanten an die Politik verweisen. Sie sollten ihre Abgeordneten aufsuchen und dem Ministerium ihr Leid klagen. Die Justiz ist kein Reparaturgesetzgeber. Vielleicht ist das auch gut so.

Glosse: Wider jeden gesunden Menschenverstand

Familiärer Sparschwein-Streit vor dem OLG

Es gibt diese absurden Urteile. Entschei­dungen, die ein normaler, ver­ständiger, vernünftiger, weltkluger und meinetwegen auch billig und gerecht denkender Mensch nicht verstehen kann. Er kann sie nur, er muss sie als paradox und welt­fremd ein­stufen. Manche Ent­scheidungen sind sogar gefährlich, lebensgefährlich, zusammen­lebensgefährlich.

Lassen Sie mich ein bisschen ausholen und einen Blick in eine vielleicht typische Familie des Bildungs­bügertums werfen. Da ist der Fall der Rechtsanwältin X und des Recht­sanwaltes Y, glückliche Eltern von drei Kindern. Als die Kinder zur Welt kamen, legten sie – selbst­verständlich – wie wohl sehr viele andere Eltern auch, für die Kinder Sparbücher an. Auf deren Namen selbst­verständlich, um das für die Kinder anzu­sparende Geld zu sichern gegen Vermischen mit dem eigenen Vermögen und damit gegen ein wie auch immer ausschauendes „Insolvenz­risiko“ der Eltern XY.

Auf dieses Sparbuch zahlen die Eltern, aber selbstverständlich auch die Großeltern, Onkel, Tanten und Paten hin und wieder etwas ein, vor allem bei beson­deren Gelegenheiten, etwa zum Geburts­tag, an Weihnachten oder fürs Zeugnis. Von dem angesparten Geld soll, so ist es wohl allerorts Sitte, Usus oder Brauch bei größeren anstehenden Anschaf­fungen für die Kinder etwas abgehoben werden, um die Eltern nicht punktuell finanziell zu stark zu belasten. XY kaufen mal ein Bett, mal ein Spielzeug für eines der Kinder, vielleicht ein teureres Bett oder ein viel größeres Spielzeug als veranschlagt, weil sich das Kind genau dieses so sehr gewünscht hat. XY heben also selbstverständlich etwas vom Sparbuch des Kindes ab, um etwas für das Kind anzuschaffen. Vielleicht kaufen XY sogar mal die Ski-Ausrüstung, die Geige und das Klavier vom Angesparten. Alle Geldgeberinnen und Geldgeber sind sich einig, dass das Geld zu diesem Zweck verwendet werden soll, und auch die Kinder möchten das.

Nun werden ja solche Dinge selbst­ver­ständlich – auch das wird wohl in den meisten Familien so sein – nicht vertraglich ge­regelt, weder mündlich, noch (Wie absurd wäre das?) schriftlich oder (reizen wir es aus) gar notariell. Auch eine Einwilligung oder Zustimmung des Jugendamtes wird doch wohl selbstverständlich keiner einholen, wenn er seinem Kind vom Sparbuch etwas Schönes und Wichtiges fürs Kind anschafft. Das wäre der Gipfel der Absurdität. Selbstverständlich auch für Frau X und Herrn Y, die ja nun sogar Anwälte sind und zu allem gesunden Verstand auch ein gutes Judiz haben – oder beides haben sollten. Alles eben selbstverständlich.

Doch nun geht´s los mit dem weniger Selbst­verständlichen: Hätten XY aber nur den Schimmer einer blassen Ahnung gehabt, dass ihre Kinder – aus welchen Motiven heraus auch immer – später das vom Sparbuch abgehobende Geld von ihren Eltern zurückverlangen, und ein oberstes Gerichte solcher Schadenersatz-Klage auch noch stattgibt, hätten sie (Entschul­digung!) einen Teufel getan, auch nur einen Cent für das Kind anzusparen, jedenfalls nicht auf einem eigens „gesicherten“ Kinder-Sparbuch. Sie hätten das Geld auf ihre eigenen Namen angespart und nicht aus Fürsorge auf den Namen der Kinder.

Das OLG Bremen (Beschluss vom 3. Dezember 2014, 4 UF 112/14) und – dem folgend – das OLG Frankfurt (Beschluss vom 28. Mai 2015, 5 UF 53/15) haben es geschafft, mit ihren Spar­buch-Entscheidungen gegen Familien­traditionen, den gesunden Menschen­verstand, die Lebenspaxis, ein gutes Judiz und gegen die prak­tische Vernunft (sogar im Kant´schen Sinne) zu ver­stoßen. Ein multiples Disaster.

Wenn sie den Beschluss des OLG Bremen lesen, verstehen Nichtjuristen die Welt und (hoffent­lich doch wenigstens einige) Juristen die Rechtswelt nicht mehr. Was haben sich die Gerichte dabei gedacht? (Haben die selbst Kinder und Sparbücher?) Streng formal­juristisch mag das ja alles rechtslogisch sein, dogmatisch in Ordnung. Aber rechts­politisch, rechts­philosophisch und menschlich gesehen ist das eine Katastrophe. Und auch dogmatisch muss es eine Möglichkeit geben, nicht zu solch einer absurden, praxis­fernen Entscheidung zu kommen, sondern zu einer vernünf­tigen, lebensnahen – familienlebens­nahen. Da gibt es doch Begriffe wie Zweck­bestimmung, Geschäfts­grundlage, mut­maßliche Einwilligung oder irgend etwas in dieser Art. Damit lässt sich doch die strengste Dogmatik juristisch sauber und mit Verstand ändern.

Dass XY das Geld nachweislich ausschließ­lich für die Kinder ausgegeben haben und in keiner Weise für sich selbst, erkennt das OLG Bremen nicht an. Nein, ganz im Gegenteil: Es dreht diesen guten Willen mit einem Feder­strich in bösen Willen um. XY schuldeten ihren Kindern einen angemessenen Lebensunterhalt aus „ihren eigenen Mitteln“ und dazu gehörten eben auch all die Geschenke und Anschaffungen, die sie vom Sparbuch des Kindes bezahlt hätten. Und so gesehen hätten sie das Geld eben für eigene persönlichen Zwecke ausgegeben. Peng! Das sitzt. Das sitzt sogar tief. Die treu­sorgenden Eltern als veruntreuende Beutel­­schneider, Täter an ihren eigenen Kindern.

Sie müssen diese Entscheidung mal weiter­spinnen. Nach der Bremischen Logik müssten Eltern ihren Kindern für jedes Geschenk etwa der Großeltern sogar einen Ausgleich zahlen, wenn dieses Geschenk Ersatz für üblichen Lebensunterhalt ist, den die Eltern schulden, also eine Hose, ein Rock oder ein neues Bett. Oder das Geschenk muss als Geschenk an die Eltern umgewidmet werden; und dann gehört die Lego-Eisenbahn oder die Playmobil-Burg eben den Eltern. Sehr weise!

Oder eine andere Weiterspinnerei: Haben Sie womöglich eine Ausbildungsversicherung für Ihre Kinder abgeschlossen? Ihr Kind be­kommt einen schönen Batzen Geld, wenn es 18 ist oder mit dem Studium anfängt? Ja, ja: Das OLG Frankfurt hat bereits 2003 entschieden, dass eine Aus­bildungsversicherung auf den Unterhalt ange­rechnet wird (5 WF 160/02, FamRB 2003, 351). Aber da war das Geld noch da. Können Sie denn sicher sein, dass sich Ihr Kind davon nicht eine Weltreise kauft oder es verprasst und dann von Ihnen das Geld für die Ausbildung einklagt? Denn wer will das Kind verpflichten von seinem eigenen Geld zu studieren, statt sich zu amüsieren? (Der Fall ist nicht entschieden.) Dann wird das Ganze noch absurder – wenn man es von außen be­trachtet. Aber welche Juristin, welcher Jurist tut das schon: auch mal von außen betrachten.

Aber wenn ich genauer darüber nachdenke: Ist doch auch gut für uns Anwältinnen und Anwälte, wenn wir schon ganz früh bei den selbst­ver­ständ­lichsten Alltäglichkeiten unseren juristischen Beratungssenf dazu geben können: beim Abschluss des Sparbuchs, bei der Prüfung der Geschenke, bei Klärung der Eigentums­verhältnisse am Etagenbett und der Lego-Eisenbahn. Danke, OLG Bremen, für so schöne neue Einnahme­quellen. Na, also ehrlich, jetzt finde ich das Urteil plötzlich gar nicht mehr so absurd.

Versorgungsausgleich BGH entscheidet zum Kapitalverzehr bei laufender Rente, BGH v. 17.2.2016 XII ZB 447/13

Der BGH hat – endlich – die Frage der Auswirkung laufender Rentenleistung auf den im Versorgungsausgleich zu teilenden Kapitalwert entschieden. Die Lektüre der 29 Seiten lohnt und ersetzt ein Grundlagenseminar über die Finanzierung betrieblicher und privater Altersversorgungen. Wer es kürzer mag:

Der durch laufende Rentenzahlung zwischen Ehezeitende und Rechtskraft einsetzende Kapitalwertverlust einer betrieblichen oder privaten Rentenzusage geht zu Lasten der ausgleichsberechtigten Person. Die dadurch – bezogen auf das Ehezeitende – eintretende Verletzung des Halbteilungsgrundsatzes kann durch § 27 VersAusglG oder den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich korrigiert werden.

 Die praktischen Konsequenzen der Entscheidung sind groß.

  1. Die anwaltliche Vertretung der ausgleichsberechtigten Person sollte alles daransetzen das Versorgungsausgleichsverfahren so schnell wie möglich durchzuführen, um die Verluste des Kapitalwerts so gering wie möglich zu halten. Bezieht die ausgleichsberechtigte Person Trennungsunterhalt ist eine Günstigkeitsprüfung zwischen Versorgungsverlust und Unterhaltsbezug vorzunehmen.
  2. Der anwaltliche Vertreter des Rentenbeziehers sollte bei länger laufenden Versorgungsausgleichsverfahren darauf dringen, zeitnah zum Entscheidungszeitpunkt eine neue Auskunft des Versorgungsträgers einzuholen um zu verhindern, dass die Nichtbeachtung der durch den Rentenbezug eintretenden Minderung des Kapitalwerts eine überproportionale Kürzung der laufenden Versorgung eintritt. Wird kein Trennungsunterhalt geschuldet, kann es ökonomisch sinnvoll sein, das Verfahren zu verzögern um der ausgleichsberechtigten Person so lang wie möglich die ungekürzte Versorgung zu erhalten.
  3. Versorgungsträger werden aus eigenem Interesse in Rentenbezugsfällen das Gericht darauf hinweisen, vor der Entscheidung eine neue Auskunft einzuholen und den voraussichtlichen Zeitpunkt der Entscheidung anzugeben. Da das Gericht diese neue Auskunft den Beteiligten zuzuleiten hat, entsteht neues Verzögerungspotential.
  4.  Verzögerungspotential entsteht auch aus der nun vermehrt vorzunehmenden Prüfung von § 27 VersAusglG und der Möglichkeiten des schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs als Kompensation des halbteilungswidrigen Kapitalverzehrs zu Lasten der ausgleichsberechtigten Person. Der BGH weist zu Recht darauf hin, dass die Vereinbarung des schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs zum Wegfall der Hinterbliebenenversorgung (§25 Abs. 2 VersAusglG) führen kann. Vor leichtfertiger Flucht in den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich sei daher gewarnt. Außerdem kann man eine ausgleichspflichtige Person nicht zum Vergleich zwingen. Bei der Kompensation der durch den Rentenbezug eintretenden Halbteilungsverluste sollte zu große Ängstlichkeit vermieden werden. In fast allen Rentenbezugsfällen ist auch die ausgleichsberechtigte Person in Rentennähe. Da mit Ausnahme der privaten Renten alle anderen mehr oder minder dynamisch sind, kann die Kompensation auf Rentenvergleichsebene bessere Gerechtigkeit bringen, als auf Kapitalwertebene.
  5. Und eine Bitte an alle Praktiker: Keine Panik. Bei zweijährigem Rentenbezug zerbröselt nicht der Kapitalwert. Dieser ist ausgelegt auf 17 (Männer) bis 22 (Frauen) jährigen Versorgungsbezug. Es bricht also im Normalfall keine Welt zusammen, wenn ein Verfahren zwei Jahre dauert. Liegt aber in Abänderungsfällen zwischen Ehezeitende und der Abänderungsentscheidung ein vieljähriger Versorgungsbezug und besteht ein großer Altersunterschied der Beteiligten, muss korrigierend eingegriffen werden. Zu hoffen ist, dass dies über § 27 VersAusglG immer möglich ist. Eine Tabelle mit den Barwertfaktoren für eine ‚Altersrente im Bezug‘  finden Sie hier: Rentenbarwerte für laufende Renten. Das Ganze kann man auch gut als Grafik verstehen: Rentenbarwerte für Blog.
  6. Übrigens: die Entscheidung zum Rechnungszins wird auch in den nächsten Tagen veröffentlicht. Die Entscheidung muss nur noch zugestellt werden.

Neu: Rechnungszinsänderung im Versorgungsausgleich

Für die Bewertung betrieblicher Altersversorgungen im Versorgungsausgleich ist der Rechnungszins von maßgebendem Einfluss. Seit langem wird dieser als deutlich zu hoch angesehen, weil seine Anwendung bei der Kapitalisierung von Betriebsrenten zu einer massiven Verletzung des Halbteilungsgrundsatzes bei der externen Teilung führt. Die Versorgungsausgleichskasse rechnet mit einem Zinssatz von 1,25%, die Betriebe derzeit mit 3,83%. Eine betriebliche Anwartschaft mit einem Ehezeitanteil von 500 € monatlicher Rente für einen 45 Jahre alten Mann hätte unter Anwendung des ‚BilMoG-Zinses‘ (§ 253 HGB) einen Kapitalwert von ca. 43.600 € (ReZins 3,83%, HR + IR, Rententrend 1%, Altersgrenze 67). Dieser Kapitalbetrag begründet in der Versorgungsausgleichskasse eine reine (statische) Altersrente von maximal 260 €.

Das soll nun noch schlimmer werden. Die Rentenberaterin Dagmar Nienhaus (Heiligenhaus) weist darauf hin, dass im ‚Gesetz zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie‘ die Berechnungsmethode des BilMoG-Zinses verändert wurde. Ab 2016 müssen Pensionsrückstellungen mit dem neuen Rechnungszins bilanziert werden, für das Jahr 2015 besteht Wahlfreiheit.

Die Konsequenzen für den Versorgungsausgleich sind schlimm. Im obigen Beispiel vermindert sich durch Anwendung des neuen Zinssatzes von 4,27% der Kapitalwert auf 38.435 € und damit der Rentenertrag in der Versorgungsausgleichskasse auf maximal 230 €. Ab mit dem Betrag in die gesetzliche Rentenversicherung (DRV)! Dort bekäme man mit 67 Jahren wenigstens 256 € bei einer Dynamik von realistischen 2% und zusätzlich eine Invaliditäts- und Hinterbliebenenabsicherung, die die VA-Kasse nicht gewährt.

Es bleibt zu hoffen, dass sich der BGH der ausgleichsberechtigten Personen erbarmt. Er hat über die Bewertungszinssätze zu entscheiden (XII ZB 615/13; XII ZB 415/14; XII ZB 447/14; XII ZB 468/14) und angekündigt, dies auch in Bälde zu tun. Die BilMoG-Zins-Anhänger argumentieren damit, dieser sei das Ergebnis einer über nunmehr 10 Jahre (statt bisher 7) laufenden Markbeobachtung. Er sinke deswegen langsamer als der reale Rechnungszins, steige aber auch wieder langsamer, wenn die Marktzinsen sich erholten. Der ausgleichsberechtigten Person, die heute geschieden wird, nutzt das nichts. Der BGH wird sich entscheiden müssen, ob er im VA Einzelfallgerechtigkeit oder Durchschnittsgerechtigkeit über einen 30-Jahres-Zeitraum präferiert.

Den heute Geschiedenen muss die obwaltende Halbteilungspraxis, wonach 500 gleich 260 ist, wie das Hexeneinmaleins aus Goethes Faust vorkommen:

Du musst verstehn!
Aus eins mach Zehn,
Und Zwei lass gehn,
Und Drei mach gleich,
So bist du reich.
Verlier die Vier!
Aus Fünf und Sechs,
So sagt die Hex,
Mach Sieben und Acht,
So ist´s vollbracht;
Und neun ist Eins,
Und Zehn ist keins,
Das ist das Hexen-Einmaleins!

Jörn Hauß

Stärkung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft im Elternunterhalt

Der BGH hat in seiner Entscheidung v. 9.3.2016 – XII ZB 693/14 die nichteheliche Lebensgemeinschaft gestärkt. Der unterhaltspflichtige Sohn lebt seit vielen Jahren mit einer Frau zusammen. Aus dieser Beziehung ist ein inzwischen acht Jahre altes Kind hervorgegangen. Da für einen Betreuungsunterhaltsanspruch der Frau aus kindbezogenen Gründen keine Anhaltspunkte vorlagen, hatte die Vorinstanz einen Unterhaltsanspruch der Frau, verneint. Das sah der BGH anders. Ein Unterhaltsanspruch nach § 1615l BGB könne auch aus elternbezogenen Gründen gegeben sein. Solche Gründe lägen offensichtlich vor, weil die unverheirateten Eltern nicht der Fremd-, sondern der Eigenbetreuung des Kindes den Vorrang gegeben hätten, sei diese Entscheidung auch unterhaltsrechtlich zu berücksichtigen. Der Betreuungsunterhaltsanspruch der Lebensgefährtin rangiere vor dem Unterhaltsanspruch des Vaters.

Der BGH meint es offensichtlich mit der Lebensstandardgarantie für das seinen Eltern gegenüber unterhaltspflichtige Kind ernst. Die Entscheidung v. 9.3.2016 schützt den Lebensstandard unverheirateter pflichtiger Kinder, die zugleich selbst Eltern sind. Der Betreuungsunterhalt ist ein Anspruch des Kindes. Er wird für Kinder verheirateter Eltern und unverheirateter Eltern gleichermaßen in deren Interesse gewährt. Gut, dass der BGH elternbezogene Gründe für die Verlängerung des Betreuungsunterhalts über das 3. Lebensjahr hinaus aus der von den Eltern gelebten Lebenssituation heraus vermutet hat. So bleibt es den Eltern zukünftig erspart, ihre konkrete Lebensgestaltung mit der mehr oder minder neurotischen Veranlagung und Verhaltensweisen ihrer Kinder zu rechtfertigen. Es reicht wahrscheinlich aus, wenn die Eltern erklären, durch stärkere häusliche Präsenz eine optimale Kindererziehung anzustreben. Wer wollte ihnen diesen Plan verwehren?

Auch dass der BGH die unterhaltsrechtliche Gleichstellung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht vollzogen hat, ist zu begrüßen. Das Ziel, die konkrete Lebensgestaltung des unterhaltspflichtigen Sohnes zu schützen, gelingt besser über den Schutz der vereinbarten Lebens- und Erziehungsweise, als die Nichtverheirateten unter den von diesen ja offensichtlich nicht gewollten Schutzschirm der Ehe zu sperren. Nicht nur die Ehe ist ein Vertrag der Ehegatten. Auch die nichteheliche Lebensgemeinschaft kennt vereinbarte Rechte und Pflichten, die auch gegenüber unterhaltsbedürftigen Verwandten Vorrang haben müssen, weil die gelebte Solidarität einer Familie eben Vorrang vor der durch Blutsverwandtschaft begründeten Rechtsbeziehung hat. ‚From Status to Contract‘ lautete der Titel des 7. Regensburger Symposions für Europäisches Familienrecht im Jahr 2004. Folgt man der Presseerklärung des BGH zur heutigen Entscheidung, sind wir einen kleinen Schritt auf diesem richtigen Weg vorangekommen.