Alle Jahre wieder – Verhinderung eines Sommerurlaubs (hier: einer Türkeireise) durch die gemeinsame elterliche Sorge?

Der Familienrechtler kennt diese Problematik: Unmittelbar vor einem längst geplanten Urlaub eines Elternteils mit dem gemeinsamen Kind gibt es Unstimmigkeiten. Ein typischer Streitpunkt – die bloße Information darüber, welchen konkreten Urlaubsort man anreisen will – kann häufig noch durch Korrespondenz mit dem anwaltlich vertretenen, die Reise beabsichtigenden Elternteil gelöst werden. Wesentlich schwieriger wird es dann jedoch, wenn der Urlaub als solcher in Rede steht. Klammert man die nach wie vor doch leider häufigen grundlosen Verweigerungen aus, die so kurz vor dem Urlaub erklärt werden, dass eine gerichtliche Regelung nicht mehr möglich ist, so bleiben immer noch jene Fälle, in denen ein mitsorgeberechtigter Elternteil aus tatsächlichen Befürchtungen mit einem bestimmten Urlaubsziel nicht einverstanden ist. In einer intakten Beziehung wäre dieses Problem in einem Gespräch unter Abwägung aller wesentlichen Aspekte gelöst worden. Nicht so in einer Phase nach Beziehungsende. Hier wird der Einwand gegen ein bestimmtes Urlaubsland so gedeutet, dass dem nichtbetreuenden Elternteil sein Urlaub mit dem gemeinsamen Kind missgönnt wird und auf irgendeine Weise versagt werden soll. An dieser Stelle bedarf es dann der Prüfung, ob die konkret geplante Urlaubsreise dem Alleinvertretungsrecht eines Elternteils unterliegt. Es handelt sich dabei um eine Frage, die in Zeiten angebotener Billigflüge auch in die entferntesten Länder und politischer und terroristischer Unruhen an vielen Orten der Welt, nicht immer eindeutig zu beantworten ist.

Die rechtliche Situation stellt sich so dar, dass bei gemeinsamer elterlicher Sorge die wesentlichen Fragen von den Eltern auch gemeinsam zu entscheiden sind und lediglich in Angelegenheiten des täglichen Lebens gem. § 1687 Abs. 1 S. 2 BGB der betreuende Elternteil das Alleinentscheidungsrecht hat. Damit stellt sich regelmäßig aber auch das Problem der Abgrenzung zwischen Angelegenheiten des täglichen Lebens und den Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung. Eine wesentliche Hilfe für diese Abgrenzung bietet die in § 1687 Abs. 1 S. 3 BGB formulierte Legaldefinition. Danach sind Alltagsangelegenheiten solche Entscheidungen, die häufig vorkommen und keine schwer abzuändernden Auswirkungen auf die Kindesentwicklung haben. In der Praxis empfiehlt sich daher regelmäßig die Prüfung, ob es im Zusammenhang mit einer bestimmten Frage mit dem Kindeswohl vereinbar wäre, wenn die Entscheidung dieser Streitfrage unterbliebe.

Ist unter diesen Voraussetzungen eine bestimmte Streitfrage als Angelegenheit von erheblicher Bedeutung zu bewerten und können die Eltern hierzu keinen Konsens finden, so eröffnet § 1628 BGB die Möglichkeit, zu dieser Einzelfrage einem Elternteil das Alleinvertretungsrecht zu übertragen. Die zu treffende gerichtliche Entscheidung unterliegt den gleichen Prüfungskriterien, wie sie für eine Sorgeentscheidung in ihrer Gesamtheit gilt, d.h. zentrales Prüfungskriterium ist auch hier das Kindeswohl und es bedarf der Abwägung, welcher Elternteil am ehesten geeignet ist, die am Kindeswohl orientierte konkrete Sachentscheidung zu treffen. Das Gericht hat dabei die Möglichkeit, die Zuweisung der Entscheidungskompetenz an einen Elternteil – betreffend diese konkrete Streitfrage – mit Auflagen zu verbinden. Keineswegs jedoch darf das Gericht eine Entscheidung anstelle des dazu berufenen Elternteils treffen.

Geplante Auslandsaufenthalte eines Kindes – sei es auch nur die Ermöglichung einer Urlaubsreise zusammen mit einem Elternteil in dessen Heimatland – sind in der Rechtsprechung häufig als Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung bewertet worden. Im Fall des OLG Frankfurt v. 21.7.2016 – 6 UF 206/16 ging es darum, dass der Vater nicht wollte, dass die Mutter mit dem gemeinsamen Kind zum jetzigen Zeitpunkt – nach dem Putschversuch und den diversen terroristischen Anschlägen in der Türkei – dorthin reiste. Zu dem Zweck der Verhinderung der beabsichtigten Türkeireise beantragte er die Übertragung der Alleinentscheidungsbefugnis in dieser Sache im Wege der einstweiligen Anordnung, was das OLG Frankfurt abgelehnt hat. Bei gemeinsamer elterlicher Sorge unterfalle die Entscheidung, mit dem Kind eine Urlaubsreise in die Türkei zu machen, unter den gegenwärtigen dortigen Verhältnissen nicht der Alleinentscheidungsbefugnis des § 1687 Abs. 1 S. 2 BGB.

In der Praxisberatung sollte darauf geachtet werden, nicht nur mit dem Mandanten – soweit Umgangskontakte in Rede stehen – diese Problematik so früh wie möglich anzusprechen, um ihn diesbezüglich auch bei eigenen Planungen zu sensibilisieren. Gleichlautend sollte auch, wenn konkrete Urlaubsreisen geplant werden, mit dem jeweils anderen Elternteil frühestmöglich die Kontaktaufnahme veranlasst werden, verbunden mit der Aufforderung zur verbindlichen Stellungnahme, so dass ggf. auch noch eine gerichtliche Entscheidung in der verbleibenden Zeit herbeigeführt werden kann. Dabei darf man aber nicht die Augen davor verschließen, dass – insbesondere in Zeiten erhöhter Terrorgefahr – alle Planungen durch tatsächliche Abläufe überholt werden können. Dann wäre es wünschenswert, wenn Elternteile Bedenken des anderen zu einer Urlaubsreise nicht als persönlichen Affront werten, sondern besonnen überlegen würden, ob sie in einer intakten Partnerschaft ebenso beharrlich an diesem Urlaubsziel festgehalten und das auch nur latente Risiko für ihr Kind in Kauf genommen hätten.

Verzicht auf Trennungsunterhalt immer unwirksam – Verbleiben nach der neueren Rechtsprechung des BGH überhaupt noch Gestaltungsmöglichkeiten?

Sehr häufig wird von Eheleuten, die in Trennung leben, der Wunsch an die beratenden Rechtsanwälte herangetragen, sämtliche Trennungs- und Scheidungsfolgen abschließend endgültig zu regeln, da ein großes Bedürfnis nach Planungssicherheit für die Zukunft besteht. Fast immer sind die Eheleute in diesen Fällen auch bereit, etwaige finanzielle Nachteile, die sich aus einer solchen endgültigen und abschließenden Regelung ergeben könnten, zu Gunsten des Rechtsfriedens hinzunehmen. Entsprechend entsetzt reagieren die Mandanten in diesen Fällen meist auf den Hinweis, dass ein Verzicht auf den Trennungsunterhalt (den zwischen Trennung und Rechtskraft der Scheidung zu zahlenden Unterhalt) für die Zukunft schlicht nicht möglich ist. Selbst durch notariell beurkundeten Vertrag kann allenfalls auf den nachehelichen Unterhalt (den nach Rechtskraft der Scheidung zu zahlenden Unterhalt) verzichtet werden. Der Verzicht auf den Trennungsunterhalt für die Zukunft ist hingegen gesetzlich vollständig ausgeschlossen (§ 1614 Abs. 1 BGB). Angesichts der Vielzahl von Möglichkeiten, eine Scheidung auch nach Abschluss einer Trennungs- und Scheidungsfolgenvereinbarung über Monate, wenn nicht gar Jahre, zu verzögern und der häufig ganz erheblichen Höhe der im Raum stehenden Unterhaltsansprüche, ergibt sich durch diese Rechtslage eine für die Einigungsbereiten meist schwer erträgliche Unsicherheit. Daher bemühen sich Rechtsanwälte und auch Notare immer wieder, Möglichkeiten zu finden, das gesetzliche Verbot des Verzichts auf den Trennungsunterhalt für die Zukunft – dem Wunsch ihrer Mandanten entsprechend – zu umgehen oder zumindest so gut wie möglich aufzuweichen.

I. Bisherige Umgehungsversuche

  1. „pacta de non petendo“

Bis zur Entscheidung des BGH v. 29.1.2014 – XII ZB 303/13, FamRZ 2014, 629 = FamRB 2014, 162 war es beispielsweise nicht unüblich, dass in den Trennungs- und Scheidungsfolgenvereinbarung zwar nicht auf den Unterhaltsanspruch als solchen verzichtet wurde, sondern stattdessen vereinbart wurde, dass der Unterhaltsanspruch zwar Bestand haben sollte, die Vertragsparteien diesen aber nicht geltend machen würden (sog. pacta de non petendo). Mit diesem doch recht augenfälligen Versuch, die gesetzliche Regelung zu umgehen, hat der BGH mit dem genannten Beschluss aufgeräumt und ganz klar erklärt, dass auch eine solche Vereinbarung unwirksam ist, weil sie letztlich die gleichen Folgen zeitigt wie ein ausdrücklicher Verzicht auf den Trennungsunterhalt für die Zukunft.

  1. Festlegung einer Höchstgrenze für den Trennungsunterhalt

Seither wird in Trennungs- und Scheidungsfolgenvereinbarungen häufig versucht, wenigstens eine Höchstgrenze für den Trennungsunterhalt festzulegen. Auch die Festlegung einer Höchstgrenze ist allerdings nach dem Beschluss des BGH v. 30.9.2015 – XII ZB 1/15, FamRZ 2015, 2131 = FamRB 2015, 447 grundsätzlich als Verstoß gegen das gesetzliche Verbot eines Verzichts auf den Trennungsunterhalt anzusehen. Einen gewissen Spielraum lässt der BGH den Anwälten und Mandanten immerhin, indem er Regelungen, die einen um nur bis zu 20 % niedrigeren als den geschuldeten Trennungsunterhaltsbetrag als Höchstgrenze festlegen, noch als „Ausgestaltung“ des Trennungsunterhaltsanspruchs akzeptiert und hierin somit keinen unzulässigen Verzicht sieht.

II. Risiken einer unwirksamen Regelung zum Trennungsunterhalt in einer Trennungs- und Scheidungsfolgenvereinbarung

Auch wenn der BGH in seiner neueren Rechtsprechung den Eheleuten hier einen gewissen Gestaltungsspielraum einräumt, ist es äußerst risikoreich, eine Höchstgrenze für den Trennungsunterhalt in eine Trennungs- und Scheidungsfolgenvereinbarung aufzunehmen.

Einer der Risikofaktoren liegt darin, dass es den beratenden Anwälten in diesen Fällen häufig unmöglich ist, auch nur annähernd festzustellen, wie hoch der geschuldete Trennungsunterhalt tatsächlich wäre. Gerade einigungsbereite Eheleute haben häufig (verständlicherweise) keinerlei Bedürfnis, sich wochen- und monatelang mit ihren Einkommens- und Darlehensunterlagen oder gar teuren Sachverständigengutachten bzgl. Wohnwerten o.ä. auseinanderzusetzen.

Selbst wenn eine annähernd zutreffende Schätzung gelingt, kann eine ursprünglich noch wirksame Höchstgrenze für den Trennungsunterhalt, die nur 20 % unter dem gesetzlich geschuldeten liegt, im Lauf der Zeit unwirksam werden. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn sich etwa durch eine Einkommenserhöhung des Unterhaltsschuldners oder durch einen Einkommenseinbruch des Unterhaltsberechtigten der Trennungsunterhaltsanspruch nachträglich erhöht.

Noch schlimmer wird es dann, wenn versäumt wurde festzuhalten, dass die übrige Trennungs- und Scheidungsfolgenvereinbarung auch dann weiter gelten soll, wenn die Regelung zum Trennungsunterhalt unwirksam sein sollte. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist nämlich ohne eine solche ausdrückliche Regelung grundsätzlich davon auszugehen, dass die Unwirksamkeit einer Vertragsklausel sich auf den gesamten Vertrag erstreckt (§ 139 BGB). Mit dem Wegfall der Regelung zum Trennungsunterhalt sind ggf. dann also auch etwaige Verzichtserklärungen bzgl. nachehelichem Unterhalt und Zugewinnausgleich hinfällig.

III. Zusammenfassung

Ein Verzicht auf den Trennungsunterhalt für die Zukunft ist immer unwirksam. Das gilt auch für vertragliche Gestaltungen, die zwar keinen ausdrücklichen Verzicht auf den Anspruch beinhalten, aber sich im Ergebnis genauso auswirken. Auch ein teilweiser Verzicht auf den Trennungsunterhalt in Form einer Höchstbetragsklausel ist unwirksam. Dies gilt auch dann, wenn zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses der vereinbarte Betrag dem tatsächlich geschuldeten Betrag entsprach, sich der Unterhaltsanspruch jedoch durch Änderung der Einkommensverhältnisse im Nachhinein erhöht. Nur dann, wenn die Höchstbetragsregelung noch als „Ausgestaltung“ des gesetzlichen Unterhaltsanspruchs betrachtet werden kann, hält eine solche Regelung stand. Dies ist nur dann der Fall, wenn der vereinbarte Unterhalt nicht mehr als 20 % unter dem gesetzlich geschuldeten liegt. Ist eine Vertragsklausel in einer Trennungs- und Scheidungsfolgenvereinbarung unwirksam, so gilt dies im Zweifel für den gesamten Vertrag.

IV. Gestaltungshinweise

  1. Wenn Eheleute und ihre Anwälte den geringfügigen Gestaltungsspielraum von 20 % nutzen wollen, den der BGH ihnen bzgl. des Trennungsunterhalts lässt, muss ausnahmslos ausdrücklich klargestellt werden, dass der restliche Vertrag auch dann weiter gelten soll, wenn diese Klausel unwirksam sein sollte, da andernfalls immer die Gefahr besteht, dass das gesamte Vertragsgebäude zusammen bricht.
  2. Unwirksam dürfte m.E. auch eine Regelung sein, mit der der Unterhaltsberechtigte dynamisch auf jeweils 20 % des Trennungsunterhaltsanspruchs verzichtet, denn einen bewussten Verzicht dürfte der BGH auch dann nicht mehr aus „Ausgestaltung“ anerkennen, wenn dieser sich nur auf 20 % des tatsächlich geschuldeten Unterhalts beläuft.

Was bedeutet der BREXIT für den Familienrechtler?

Großbritannien hat am 23.6.2016 über einen Austritt aus der Europäischen Union (EU) abgestimmt. Die Bürger Großbritanniens haben sich in einem Referendum für einen Austritt aus der EU ausgesprochen (den sog. BREXIT). Die EU ist eine Werte-, aber zu einem gewissen Maß auch eine Rechtsgemeinschaft. Die Umschreibung als „Rechtsgemeinschaft“ trifft zwar im europäischen Familienrecht nur bedingt zu, da die Mitgliedstaaten sich in der vergangenen Jahren sehr schwer damit getan haben, an einer Harmonisierung, also an einer Vereinheitlichung auf europäischer Ebene, mitzuwirken (eine tatsächliche Harmonisierung, also eine Vereinheitlichung materiellen Rechts, gibt es bisher überhaupt nicht). Großbritannien hat sich allerdings dazu „durchgerungen“, die sog. Brüssel IIa-Verordnung, welche die internationale Zuständigkeit in Ehescheidungsangelegenheiten und Fragen der elterlichen Verantwortung regelt, für sich gelten zu lassen. Großbritannien hat sich damit für einen europäischen Ansatz geöffnet – allerdings gelten für Großbritannien weder die Europäische Unterhaltsverordnung noch die sog. Rom-III VO.

Nach der sog. Brüssel IIa-VO gelten bestimmte Zuständigkeitsgrundsätze, die dem eigenem Recht Großbritanniens (der sog. lex fori) nicht alle entsprechen. Nach der Brüssel IIa-VO bestimmt sich die Zuständigkeit in Fragen der elterlichen Verantwortung, also beispielsweise in Sorge- oder Umgangsangelegenheiten, nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes. Diesen Grundsatz kannte das Recht Großbritanniens auch vor Inkrafttreten der Brüssel IIa-VO auch, so dass sich diesbezüglich grundsätzlich nicht viel ändern wird. Allerdings gibt es Sondervorschriften in der Brüssel IIa-VO beispielsweise für den Fall der Kindesentführung, die das sog. Haager Kindesentführungsübereinkommen „ergänzen“. Diese dürften – so die Vermutung des Verfassers – im Verhältnis zu Großbritannien ersatzlos wegfallen. Darüber hinaus spielte auch in Großbritannien für die internationale Zuständigkeit in Kindschaftsangelegenheiten in gewissen Konstellationen die Staatsangehörigkeit des Kindes eine Rolle (genau wie im deutschen Familienrecht) – ob und inwieweit diese „alten“ Regelungen wieder Wirksamkeit erlangen werden, ist schlecht prognostizierbar. Jedenfalls allerdings die „Bestimmbarkeit“ der internationalen Zuständigkeit wird unter dem Austritt aus der EU leiden.

Die Zuständigkeit betreffend die Ehescheidung im Rahmen der Brüssel IIa-VO richtet sich nach dem gewöhnlichen Aufenthalt, der Staatsangehörigkeit oder dem sog. domicile. Vor Inkrafttreten der Brüssel IIa-VO bestimmte allein das dem deutschen Recht unbekannte Anknüpfungskriterium des Domizils die (internationale) Zuständigkeit in Großbritannien. Danach spielt nicht die Staatsangehörigkeit der Beteiligten eine Rolle, sondern die „Zugehörigkeit“ zu einem Rechtsgebiet. Insoweit spricht man von Domizilgebiet, das jeder mit Geburt erwirbt (domicile of origin). Bei Ausscheiden aus der europäischen Union ist damit zu rechnen, dass erneut (auch wenn allerdings nach den bisherigen Vorschriften in der Brüssel IIa-VO das domicile bereits möglicher Anknüpfungspunkt für die internationale Zuständigkeit ist) das für Kontinentaleuropäer etwas schwergängige und in der Auslegung fehleranfällige Prinzip des domicile die internationale Zuständigkeit in Großbritannien bestimmen wird. – Leichter verständliche und bestimmbare Anknüpfungspunkte wie der gewöhnliche Aufenthalt und die Staatsangehörigkeit werden voraussichtlich keine Rolle mehr spielen.

Noch ist Großbritannien in der EU und möglicherweise gibt es Bemühungen in Fragen der internationalen Zuständigkeit in Familiensachen ein Abkommen mit der EU zu schließen. Mit Blick auf die bisherigen Bemühungen Großbritanniens, an Projekten der EU teilzunehmen, dürfte dies allerdings eher unwahrscheinlich sein. Wahrscheinlicher sind ein „Aufleben“ lokaler Bestimmungen und ein „Zurückziehen“ auf alte Positionen. Da grenzüberschreitende Fälle zwischen Deutschland und Großbritannien, beispielsweise mit Blick auf die Ausgleich von Pensionsansprüchen in Großbritannien, bisher bereits zu den komplexesten Konstellationen für den Familienrechtler gehörten, wird die Hinwendung zur lex fori und die Abwendung von den Verordnungen auf EU-Ebene das zu „durchdringende Dickicht“ für den Familienrechtler weiter verstärken. Der Verfasser geht davon aus, dass bei einem Austritt aus der EU das forum shopping, also die Wahl der vorteilhaftesten Rechtsordnung durch frühzeitige Antragstellung, neue Attraktivität gewinnen wird.

Der BGH und die Willkommenskultur (BGH v. 20.4.2016 – XII ZB 15/15)

Da leben zwei Frauen in Südafrika zusammen. Beide haben die südafrikanische, eine noch zusätzlich die deutsche Staatsbürgerschaft. Sie heiraten in Südafrika (civil union type marriage) und die Südafrikanerin wird Mutter eines mittels künstlicher Befruchtung gezeugten Kindes. Die Ehe wird beim Standesamt Berlin als Lebenspartnerschaft eingetragen. Die Eintragung der beiden Frauen als Eltern des Kindes verweigert das Standesamt.

Wie hätten Sie entschieden? Nach kurzer Denkpause sind Sie erleichtert, nicht Standesbeamter geworden zu sein. Der BGH (Beschl. v. 20.4.2016 – XII ZB 15/15) konnte das nicht und entschied, dass die Elternschaft beider Frauen einzutragen sei.

Der Fall macht deutlich, wie wichtig eine Reform des Abstammungsrechts ist. Wir können das hehre Abstammungsprinzip unserer Ahnen – Vater, Mutter, Kind – nicht mehr aufrecht erhalten, wenn rund herum gleichgeschlechtliche Ehen geschlossen, homologe und heterologe Inseminationen, Leihmütterschaften und Kreuz- und Queradoptionen stattfinden. Ein funktionales Familien-, Ehe- und Elternverständnis hilft über manche dogmatische Hürde und stammtischrechtliche Empörung hinweg. Der Senat entscheidet:

  • Eine im Ausland geschlossene gleichgeschlechtliche Ehe gilt im Inland als Lebenspartnerschaft (Rz. 36).
  • Eine gleichgeschlechtlichen Lebenspartnern zugeordnete Elternstellung stellt keine Verletzung des ordre public dar, weil ‚die Verhältnisse einer eingetragenen Lebenspartnerschaft das Aufwachsen von Kindern ebenso fördern können, wie die einer Ehe‘ (Rz. 50).
  • Das Kind hat daher die deutsche Staatsbürgerschaft, weil ein Elternteil die deutsche Staatsbürgerschaft hat.

Ich freue mich auf diesen neuen Staatsbürger als Nachbarn. Er wird Leben in die Bude und die Stammtischler zur Verzweiflung bringen.

P.S. Wer mehr zum Abstimmungsrecht erfahren will, sollte am 17.6. nach Berlin fahren. Das vom DAV veranstaltete ‚Forum Abstammungsrecht‘ ist mit hochkarätigen Referenten besetzt: http://familienanwaelte-dav.de/tl_files/downloads/events/PDF-Dateien/Programm-und-Referenten.pdf.

Pflegebedürftigkeit und Familienunterhalt – ‚Rat zur Scheidung‘? (Anm. zu BGH v. 27.4.2016 – XII ZB 485/14)

Nicht nur Eltern werden pflegebedürftig. Auch Ehegatten können – betagt oder jung – pflegebedürftig werden. Dann ist die Frage, wer für die erhöhten Kosten der Pflege aufkommt.

Liegt dauerhafte Erwerbsunfähigkeit oder Erwerbsminderung vor, kommt die Gewährung von Grundsicherung (§§ 43 ff. SGB XII) in Betracht. Die deckt aber nicht die Pflegekosten und den gesamten Lebensbedarf ab. Einen Beitrag zu den Pflegekosten leistet die Pflegeversicherung. Der Rest ist unterhaltsrechtlich oder schließlich sozialhilferechtlich aufzubringen.

Mit der Höhe des vom Ehegatten zu leistenden Unterhalts hatte sich nun der BGH zu befassen. Seine Entscheidung, dem unterhaltspflichtigen Ehegatten sei der ‚eheangemessene Selbstbehalt‘ zu belassen (derzeit 1.200 €), lässt ein wenig aufatmen. Dass der Halbteilungsgrundsatz als Begrenzung nicht gelten kann, wenn die Ehegatten nicht getrennt leben, liegt auf der Hand. Verstehen sie ihre Beziehung noch als Ehe, führt die getrennte Unterbringung nicht zum Trennungsunterhalt. Das geschuldete Maß ehelicher Solidarität ist höher.

Die Beratungssituation der Anwaltschaft wird indessen nicht viel einfacher.

Was rät man einer berufstätigen und gut verdienenden Mutter von drei noch minderjährigen Kinder, deren im Wachkoma liegender Mann über keine ausreichende eigene Rente verfügt, um den pflegerischen Bedarf zu decken?

Sicher kann man eine Erhöhung des Selbstbehalts an der einen oder anderen Stelle durchsetzen. Hier ist argumentatives Geschick der Anwaltschaft gefragt.

Aber müsste man nicht sogar zur Scheidung raten, um die Restfamilie abzusichern?

Unterhaltsrechtlich würde man die Leistungsfähigkeit auf Halbteilung begrenzen, wenn nicht sogar noch deutlich weiter reduzieren können, weil ein ehelicher Bezug der Pflegebedürftigkeit nicht erkennbar ist. Oft wird nicht realisiert, dass auch das Vermögen des unterhaltspflichtigen verheirateten Gatten zur Sicherung des Pflege- und Lebensbedarfs einzusetzen ist.

Der Versorgungsausgleich könnte zugunsten des pflegebedürftigen Ehegatten auf solche Versorgungen beschränkt werden, aus denen ihm Leistungen unmittelbar zufließen. Das ist die gesetzliche Rentenversicherung, die auch im Invaliditätsfall aus übertragenen Entgeltpunkten in eine Rente zahlt (§ 76 Abs. 1 SGB XII). Die meisten betrieblichen, berufsständischen oder privaten Altersversorgungen reduzieren die Leistungen in Invaliditätsfällen auf eine reine Altersversorgung. Also gilt es, den Versorgungsausgleich so durchzuführen, dass ein Maximum an Invaliditätsleistungen beim Gatten ankommt. Der Versorgungsausgleich wird daher stets zu Lasten der Anrechte der gesetzlichen Rentenversicherung gehen. Stirbt die pflegebedürftige Person vor Ablauf von 36 Monaten Leistungsbezugs aus dem übertragenen Anrecht, könnte eine Anpassung der Kürzung erfolgen (§ 37 VersAusglG).

Güterrechtlich könnte man erwägen, eine Ausgleichsforderung der pflegebedürftigen Person zu stunden (§ 1382 BGB). Das ist insbesondere möglich, wenn sich dadurch die Wohnverhältnisse der Kinder verschlechtern würden.

Letztendlich führen solche Beratungssituationen in einen Grenzbereich anwaltlicher Tätigkeit. Jeder hofft, solche Situationen vermeiden zu können.

Der Gesetzgeber könnte helfen. Pflegebedürftigkeit ist kein familiär abzusicherndes Risiko. Es kommt nicht aus der Ehe und sollte in modernen demokratischen Staaten diese nicht belasten. Es wäre Zeit, die Halbherzigkeit der Pflegeversicherung zu beseitigen und sie um staatliche Leistungen zu ergänzen, die den pflegerischen Bedarf vollständig abdecken, wenn die bedürftige Person aus eigenem Einkommen und Vermögen dazu nicht in der Lage ist. Das wäre eine Familienpolitik, die die Familie fördert. Der finanzielle Aufwand wäre gering. Die Betroffenen könnte – wie von ihnen fast immer gewünscht – weiter verheiratet bleiben und der Anwaltschaft bliebe ein Beratungskonflikt erspart.

Unerwünschte Folgen einer Erwachsenenadoption

Nicht selten werden Kinder von ihren Ziehvätern erst im Erwachsenenalter adoptiert. Einer der häufigsten Gründe, auf die Adoption eines minderjährigen Ziehkindes zunächst zu verzichten, ist der Unterhaltsanspruch des Kindes gegen seinen Erzeuger, der mit einer Adoption enden würde. Wird die Adoption im Erwachsenenalter nachgeholt, so ist dies oft rein erbrechtlich bzw. erbschaftsteuerrechtlich motiviert. Nicht bedacht wird dabei gelegentlich, dass die erbrechtlichen bzw. erbschaftsteuerlichen Konsequenzen nicht die einzigen Rechtsfolgen einer Adoption darstellen. Bei mangelnder Aufklärung der Beteiligten durch die beteiligten Rechtsanwälte und Notare folgt auf die Adoption dann oft ein böses Erwachen. 

Als unliebsam wird bei Erwachsenenadoptionen besonders die Rechtsfolge empfunden, dass der Anzunehmende den Namen des Annehmenden erhält. Gerade wenn die Adoption in erster Linie erbrechtlich bzw. erbschaftsteuerlich motiviert ist, erfolgt sie nicht selten erst dann, wenn das anzunehmende „Kind“ selbst schon mitten im Leben steht und entsprechend sowohl beruflich als auch privat mit seinem bisherigen Namen eng verbunden ist. Erstaunlicherweise kann das Familiengericht gemäß § 1757 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 BGB selbst dann, wenn alle Beteiligten dies beantragen, dem Anzunehmenden nicht einfach seinen bisher geführten Namen belassen. Die einzige Möglichkeit des Anzunehmenden, mit dem bisher geführten Namen weiter verbunden zu bleiben, besteht nach dieser Vorschrift darin, dass dem neuen Familiennamen des Kindes der bisher geführte Name vorangestellt oder beigefügt wird (a.A. nur AG Leverkusen v. 17.12.2007 – 14 XVI 12/07, FamRZ 2008, 2058 m. Anm. Maurer, FamRZ 2009, 440), wohl aber nur aus praktischen Gründen offen gegen das Gesetz). Selbst dies ist aber nur dann zulässig, wenn es „aus schwerwiegenden Gründen zum Wohl des Kindes erforderlich ist“. Besonders grotesk erscheint diese Regelung in den Fällen, in denen der nichteheliche Lebensgefährte der Mutter, von der das Kind seinen bisherigen Namen erhalten hat, das Kind adoptiert. Selbst in diesem Fall hat das Kind nur ganz ausnahmsweise die Möglichkeit, den Namen der Mutter nach der Adoption als Teil eines Doppelnamens weiter zu führen, obwohl die Adoption in diesen Fällen weder rechtlich noch emotional in irgendeiner Weise eine Abkehr von der Mutter bedeutet.  

Ist die Adoption einmal erfolgt, ohne dass dem Antrag auf Weiterführung des bisherigen Namens als Teil eines Doppelnamens stattgegeben bzw. ohne dass dieser überhaupt gestellt wurde, ist es sehr schwierig, sich von der Namensänderung wieder zu befreien. Der Antrag nach § 1757 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 BGB kann nicht nachgeholt werden (BayOblG v. 23.9.2002 – 1Z BR 113/02, FamRZ 2003, 1773 [LS]), wenn die Adoption einmal wirksam ist. Selbst wenn der Anzunehmende im Vorfeld der Adoption nicht darauf hingewiesen wurde, dass die Volljährigenadoption eine Änderung des Geburtsnamens (und damit auch des aktuellen Namens, wenn der Anzunehmende selbst nicht den Namen seines Ehepartners führt) nach sich zieht, soll dies keinen hinreichenden Grund für eine Namensänderung nach § 3 Abs. 1 NamÄndG sein (so jedenfalls VG Ansbach v. 10.11.2004 – AN 15 K 04.01600, BeckRS 2012, 48331). In Betracht zu ziehen ist auch noch eine Readoption durch den leiblichen Elternteil. Zumindest das AG Starnberg v. 13.2.1995 – XVI 22/94, FamRZ 1995, 827, hat einem solchen Antrag in einem Einzelfall stattgegeben, weil es die Readoption für sittlich gerechtfertigt hielt, obwohl die einzige Rechtsfolge der Adoption in diesem Fall die Wiedererlangung des alten Geburtsnamens war. 

Wie man an diesen absurden rechtlichen Verrenkungen unschwer erkennen kann, die sowohl Betroffene als auch Gerichte unternehmen, um die Vorschrift des § 1757 BGB zu umgehen, wobei gleichzeitig kein Grund ersichtlich ist, dem Anzunehmenden den Namen des Annehmenden aufzudrängen, besteht jedenfalls bzgl. dieser Rechtsfolge der Erwachsenenadoption dringender Reformbedarf (siehe hierzu Molls, ZRP 2012, 174 ff.).

 

Geschenkt ist geschenkt, wiederholen ist gestohlen?

Bundesgerichtshof: Eine Schenkung kann bei Verarmung des Schenkers oder groben Undanks des Beschenkten selbst dann rückabgewickelt werden, wenn als Gegenleistung für die Vermögensübertragungen ein Erbverzicht erklärt wurde.

Grundsätzlich ist die alten Volksweisheit „geschenkt ist geschenkt, wiederholen ist gestohlen“ auch rechtlich zutreffend. Ein wirksam verschenkter Gegenstand kann von dem Schenker nur in eng begrenzten Ausnahmefällen von dem Beschenkten zurückgefordert werden. Dies ist zum einen der Fall, wenn der Schenker innerhalb von 10 Jahren ab Vollzug der Schenkung „verarmt“ (§ 528 BGB), zum anderen dann, wenn sich der Beschenkte des „groben Undanks“ (§ 530 BGB) gegen den Schenker schuldig macht. Mit der Problematik der Rückabwicklung einer Schenkung wegen Verarmung des Schenkers ist der Rechtsberater häufig dann konfrontiert, wenn der ehemals vermögende Schenker im Alter pflegebedürftig wird und deshalb auf Sozialleistungen angewiesen ist. Der Sozialhilfeträger kann in diesen Fällen den Rückabwicklungsanspruch des Schenkers auf sich überleiten und im eigenen Namen gegen den Beschenkten geltend machen.

In dem vom Bundesgerichtshof kürzlich entschiedenen Fall (Urt. v. 7.7.2015 – X ZR 59/13, FamRB 2016, 63) ging es um den zweiten möglichen Rückforderungstatbestand, nämlich den groben Undank. Die Tochter des Klägers hatte ihrem Vater vorgetäuscht, mittellos zu sein, um ihn über die bereits zuvor unentgeltlich übertrage Eigentumswohnung hinaus noch zu weiteren finanziellen Zuwendungen zu veranlassen. Der grobe Undank als solcher stand hier allerdings nicht infrage. Vielmehr musste der Bundesgerichtshof zu der in der juristischen Literatur sehr umstritten Frage Stellung nehmen, ob auch dann eine Schenkung im Rechtssinne anzunehmen ist, wenn der Beschenkte im Gegenzug einen Erbverzicht erklärt. Diese Rechtsfrage hatte der Bundesgerichtshof im Zusammenhang mit den Regelungen der §§ 528 und 530 BGB erstmalig zu beantworten und kam zu dem Ergebnis, dass Sinn und Zweck der Vorschriften der §§ 528 und 530 BGB, nämlich der Schutz des Schenkers zu seinen Lebzeiten, es rechtfertigt, die Schenkungen gegebenenfalls auch dann rückabzuwickeln, wenn als Gegenleistung ein Erbverzicht erklärt wurde (Hinweis: dieser Erbverzicht könnte gegebenenfalls natürlich im Gegenzug auch rückabgewickelt werden, § 812 BGB). Dies sei jedenfalls dann der Fall, wenn die Höhe der Zuwendung in etwa der Erberwartung entspricht oder diese gar übersteigt. Demgegenüber soll es gegen eine Schenkung sprechen, wenn die Zuwendung wertmäßig deutlich hinter der Erberwartung zurückbleibt.

Verzichtet also ein zukünftiger Erbe beispielsweise gegen eine Zahlung von 50.000,00 € auf eine Erbschaft, die voraussichtlich einen Wert von 100.000,00 € haben wird, so soll es sich nicht um eine Schenkung im Sinne der §§ 528 und 530 BGB handeln. Hier könnte also der „Schenker“ die 50.000,00 € weder dann von dem Beschenkten zurückfordern, wenn er selbst innerhalb von 10 Jahren nach der Zuwendung verarmen sollte, noch dann, wenn sich der Beschenkte des groben Undanks gegen ihn schuldig machen sollte. Hätte der zukünftige Erblasser hingegen 100.000,00 € gezahlt und sich im Gegenzug einen Erbverzicht erklären lassen, könnte er gegebenenfalls die volle Summe zurückfordern.

Fazit: Es ist erfreulich, dass der Bundesgerichtshof in diesem Urteil einmal Gelegenheit hatte, sich ausführlich mit dieser sehr umstrittenen Rechtsfrage auseinanderzusetzen. Das Ergebnis, dass die Zuwendung eines gegenüber dem Erbverzicht wertmäßig zu geringen Geldbetrages eine Schenkung darstellen soll, die Zuwendung eines dem Erbverzicht wertmäßig entsprechenden Geldbetrages jedoch nicht, kann jedoch kaum als unmittelbar einleuchtend bezeichnet werden.

Hinweis auf das 13. Symposium für europäisches Familienrecht

Im Zusammenhang mit dem vorgehenden Blogbeitrag von Herrn Rechtsanwalt Hauß zur u.a. „Entdramatisierung der Scheidung: Standesamtsscheidung“ weist die FamRB-Redaktion auf das thematisch passende 13. Symposium für europäisches Familienrecht hin:

Scheidung ohne Gericht? – Neue Entwicklungen im europäischen Scheidungsrecht

6. bis 8. Oktober 2016, Regensburg

Das Scheidungsrecht hat in den europäischen Ländern seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts tiefgreifende Änderungen erfahren. Das betrifft zum einen das Recht der Scheidungsgründe: Die Tendenz geht seitdem dahin, die Scheidung zu erleichtern. Neben die Liberalisierung der Scheidungsgründe tritt zum anderen aber auch mehr und mehr der Gedanke der zwischen den Ehegatten vereinbarten Scheidung als Ausfluss der Privatautonomie. Innerhalb des herkömmlichen Systems, das die Auflösung der Ehe an eine Gerichtsentscheidung bindet, erfolgt die einverständliche Scheidung durch entsprechende Erklärungen der Ehegatten gegenüber dem Gericht, die dann die Grundlage der richterlich ausgesprochenen Scheidung bilden. In neueren Reformen einiger Länder, etwa in Italien, wird demgegenüber auf die Mitwirkung einer richterlichen Erkenntnis verzichtet: Die Scheidung erfolgt privatautonom durch Vereinbarung oder Erklärungen gegenüber den für die Registrierung zuständigen Stellen.

Das 13. Symposium für europäisches Familienrecht will anlässlich dieser neueren Entwicklungen den derzeitigen Stand des europäischen Scheidungsrechts rechtsvergleichend in den Blick nehmen, auch um eine Grundlage für eine rechtspolitische Diskussion in Deutschland zu legen.

Themen:

  • Entwicklung des deutschen Scheidungsrechts
  • Länderberichte zu Belgien, den Niederlanden, Frankreich, Großbritannien, Italien, Norwegen, Österreich, Polen, der Schweiz, Slowenien, Spanien und der Tschechischen Republik
  • Blick in das Scheidungsrecht der islamischen Länder
  • Neue Entwicklungen im Scheidungsrecht als Herausforderung für das Internationale Privat- und Verfahrensrecht

Die Tagungsunterlagen können angefordert werden bei:
Prof. Dr. Anatol Dutta, M. Jur (Oxford)
Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung
Universität Regensburg
93040 Regensburg
Tel.: +49 941 – 9432281; Fax: +49 941 – 9434980
e-Mail: christa.kraemer-eul@ur.de
Das Tagungsprogramm ist abrufbar unter http://dutta.uni-regensburg.de/symposium2016.

Durch die Teilnahme an den Fachvorträgen und Diskussionen können auf Antrag 15 Zeitstunden im Sinne des § 15 der Fachanwaltsordnung bescheinigt werden.

Komplexität und Verfahrensdauer als Stressoren eliminieren

Ich las kürzlich in einer psychologischen Fachzeitschrift, Trennung und Scheidung seien für ca. 80 % der Patienten eine der wichtigen Ursachen, die den Behandlungsbedarf ausgelöst hätten. Ob die Zahl stimmt, kann ich nicht prüfen. Sie klingt aber plausibel und ist gleichzeitig erschütternd. Als Familienrechtler verbietet es sich, fachfremde Überlegungen über die Auswirkungen des Verlustes eines Lebensabschnitts und manchmal auch einer Perspektive anzustellen. Wir können aber darüber diskutieren, welchen Beitrag das materielle und verfahrensrechtliche Familienrecht leisten kann, Trennung und Scheidung für die Menschen leichter erträglich zu gestalten.

1. Entdramatisierung der Scheidung: Standesamtsscheidung

Selbst auf die Gefahr hin, mit der Anwaltschaft in einen standespolitischen Konflikt zu geraten, sollten wir darüber nachdenken, ob es wirklich erforderlich ist, die Auflösung der Ehe durch das Gericht aussprechen zu lassen. Schließlich wird die Ehe auch nicht vom Gericht geschlossen, sondern von den Ehegatten, die sich – beurkundet vom Standesbeamten – versprechen, lebenslang ein Paar zu sein.

Rast nicht die Welt in allen Strömen fort,
und mich soll ein Versprechen halten?

heißt es im Faust und nicht nur dort. Die Ehe ist ein Vertrag. Die Auflösung eines Vertrages geschieht durch Kündigung und in der Regel in der gleichen Form des Vertragsschlusses. Um das versprochene Bündnis aufzulösen, bedarf es nicht des Richters. Das können die Ehegatten selbst. Und um die mit der Ehe verbundenen steuerlichen und sozialrechtlichen Privilegien beweisfest zu beseitigen, bedarf es der staatlichen Beurkundung des Anfangs und des Endes des Vertrages. Mehr nicht. Gibt es streitige Ehescheidungen? Ich habe in 30 Jahren Familienrecht keine erlebt, wohl aber Streit um Unterhalt, Kinder, Versorgungsausgleich und die Vermögensverteilung, aber nie um den Fortbestand einer gescheiterten Ehe.

Wo bleibt dann der staatliche Schutzschild für die Gatten vor Übervorteilung und für die Kinder? Dafür müssen die Gerichte zuständig bleiben. Aber auch nur dafür. Ein Unterhaltsanspruch besteht unabhängig vom Scheidungsausspruch. Er setzt einen anerkennenswerten Bedarf, Bedürftigkeit und Leistungsfähigkeit voraus. Daran ändert auch die Standesamtsscheidung nichts. Auch heute können Ehegatten geschieden werden, ohne dass der Unterhalt gesichert ist. Sie brauchen den Unterhaltsanspruch nur nicht geltend zu machen.

Die Standesamtsscheidung löst nicht alle Probleme, sie schafft aber auch keine und entdramatisiert den Trennungsprozess.

2. Komplexitätsreduktion: Auflösung des Scheidungsverbunds

Die Auflösung einer oft Jahrzehnte gehaltenen Ehe hat viele Aspekte. Der Anspruch der Scheidungsverbundfreunde, mit einem ‚clear break‘ klare Verhältnisse für alle Beteiligten zu schaffen scheitert an der Realität. Wer nachehelichen Unterhalt, Zugewinnausgleich und Versorgungsausgleich, vielleicht auch noch Kindschaftssachen in den Verbund aufnimmt, schafft keinen clear break, sondern ‚clear mist‘.

Im Fall einer Rentnerscheidung kann der nacheheliche Unterhalt ohnehin erst mit Rechtskraft der Versorgungsausgleichsentscheidung und deren Durchführung bestimmt werden. Und wie nachehelicher Unterhalt bei streitiger güterrechtlichen Auseinandersetzung bestimmt werden soll, weiß ich auch nicht.

Diese Komplexität kann nur durch radikale Reduktion aufgelöst werden. First things first. Also erst einmal Unterhalt. Danach kann über das Vermögen gestritten werden. Hat dieser Streit Auswirkungen auf den Unterhalt, mag dieser nachkorrigiert werden. Aber wie häufig wird das nötig sein?

Und der Versorgungsausgleich? Ist die Ehe im Rentenbezugsfall geschieden und der Versorgungsausgleich noch nicht durchgeführt, kann eine Bedarfslücke ohne weiteres mit Unterhalt überbrückt werden. Dann vermieden wir auch die Schwierigkeiten, die durch den Kapitalverzehr bei laufenden Versorgungen entstehen (BGH v. 17.2.2016 – XII ZB 447/13, FamRB 2016, 176).

Der Scheidungsverbund führt oft dazu, dass auch die Fachleute den Überblick verlieren. Wie mag es da den Ehegatten gehen, deren Scheidung jahrelang vor sich hindümpelt.

3. Beschleunigung

Die Auflösung des Scheidungsverbundes würde bereits zu einer Beschleunigung beitragen. Jede Beschleunigung eines familienrechtlichen Verfahrens führt zu einem ‚Mehr‘ an Lebensqualität für die beteiligten Ehegatten. Wenn in Unterhaltsverfahren nach Eingang des Antrags innerhalb von sechs Wochen terminiert und dem Gegner eine 4-wöchige Erwiderungsfrist gesetzt würde, könnten auch VKH-Verfahren in acht bis zehn Wochen erledigt sein. Wer für die Beteiligten schnell wieder neue Lebensqualität schaffen will, muss die Verfahrenszeiten verkürzen.

Wir Familienrechtler können die Belastung der Menschen durch Trennung und Scheidung nicht aufheben. Wenn wir diese Belastung aber auch nur um 1 % vermindern könnten, sollten wir es versuchen. Darüber lohnt es sich mehr zu debattieren, als über Detailfragen des Unterhaltsrechts, die zu 30 € mehr oder weniger Unterhalt führen. Die Lebensqualität der Geschiedenen wird durch schnellere, überschaubarere und weniger dramatische Verfahrensweisen mehr verbessert als durch dreißig Euro mehr oder weniger Unterhalt. Eine familienfreundliche Scheidung durchzuführen, erfordert gewisse Eingriffe ins materielle und Verfahrensrecht. Eine Revolution wäre es nicht. Vieles könnte bei sinnvoller Verfahrensführung auch schon heute möglich gemacht werden.

 

Kindesunterhalt bei Wechselmodell oder deutlich erweitertem Umgang

Alle Eltern sind ihren Kindern zu Unterhalt verpflichtet. In intakten Familien ist dies eine Selbstverständlichkeit und stellt somit kein rechtliches Problem dar. Nach einer Trennung der Eltern kommt es bezüglich des Kindesunterhalts jedoch häufig zu Streit. Das Gesetz sieht hierzu vor, dass derjenige Elternteil, bei dem die Kinder nach einer Trennung der Eltern ihren Lebensmittelpunkt haben, von dem anderen Elternteil Barunterhalt verlangen kann (§ 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB). Der betreuende Elternteil erfüllt seine Unterhaltsverpflichtung in diesen Fällen hingegen bereits durch die tatsächliche „Pflege und Erziehung“ (§ 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB).

Da die Rollenverteilung in den Familien aber längst nicht mehr so klar ist wie zu dem Zeitpunkt, in dem der Gesetzgeber diese Regelung schuf, sondern sich zunehmend viele Eltern die tatsächliche Betreuung der Kinder teilen, muss die Rechtsprechung immer häufiger für Betreuungsmodelle unterhaltsrechtliche Lösungen finden, die nicht dem gesetzlich ausdrücklich geregelten Fall entsprechen.

Bedauerlicherweise hat der Bundesgerichtshof durch seine bisherigen Entscheidungen zur Verteilung der Unterhaltsverpflichtung in Betreuungskonstellationen, die nicht dem gesetzlichen Regelfall entsprechen, nicht dazu beigetragen, Rechtsfrieden zu schaffen, sondern ganz im Gegenteil dafür gesorgt, dass es häufig zu erbitterten umgangsrechtlichen Streitigkeiten kommt, in die auch die Kinder zwangsläufig mit hineingezogen werden, obwohl es im Kern lediglich um Unterhaltsfragen geht:

In seinem Beschluss vom 12.3.2014 – XII ZB 234/13, FamRZ 2014, 917 = FamRB 2014, 204 führt der Bundesgerichtshof aus, dass die Verpflichtung zur Leistung von Barunterhalt so lange allein bei einem Elternteil liegt, als der Betreuungsschwerpunkt bei dem jeweils anderen Elternteil zu erkennen ist. Erst dann, wenn die Betreuungsleistungen annähernd paritätisch zwischen den Eltern aufgeteilt sind, soll die Barunterhaltsverpflichtung beide Elternteile (anteilig nach den Einkommensverhältnissen) treffen.

Der Betreuungsschwerpunkt in diesem Sinne soll nach der instanzgerichtlichen Rechtsprechung sogar dann noch bei einem Elternteil liegen, wenn der andere das Kind an drei von vier Tagen in der Woche betreut. Die erhöhten Kosten, die der barunterhaltspflichtige Elternteil durch die erweiterte Betreuungsleistung, und die geringeren Kosten, die der „hauptsächlich“ betreuende Elternteil hat, werden bisher unterhaltsrechtlich in diesen Fällen nur durch die Herabstufung um eine oder mehrere Einkommensgruppen in der Düsseldorfer Tabelle erfasst.

Beraterhinweis

Bevor man sich auf ein Umgangsverfahren aus unterhaltsrechtlichen Gründen einlässt, sollte (abgesehen davon, dass vorher die emotionalen Folgen für die Kinder bedacht werden sollten) dringend durch konkrete Berechnung geprüft werden, ob das Wechselmodell im jeweiligen Einzelfall tatsächlich erhebliche negative finanzielle Auswirkungen hätte. Je nach Einkommensverhältnissen ergibt sich für die konkrete Zahlungsverpflichtung gegenüber einer Herabstufung der Düsseldorfer Tabelle keinerlei Unterschied, da die Eltern auch im Falle eines Wechselmodells nicht etwa ohne weiteres zu gleichen Teilen, sondern anteilig nach ihren Einkommensverhältnissen für den Unterhalt haften.

Mehr zum Thema: Siehe auch den Beitrag von Frau RiOLG Dr. Liceni-Kierstein zu den nicht verringerten Erwerbsobliegenheiten trotz Ausübung eines erweiterten Umgangsrechts, FamRB 2014, 132.