Teilungsordnungen auf dem Prüfstand

Der FamRB hatte um Hilfe gebeten (https://blog.otto-schmidt.de/famrb/2022/08/16/hilfeaufruf-an-die-famrb-leser-gefahr-aus-der-teilungsordnung/) und hat Hilfe bekommen und bekommt sie auch weiterhin, danke dafür.

Der FamRB revanchiert sich und präsentiert Ihnen eine Liste mit mittlerweile dank Ihrer tatkräftigen Unterstützung nahezu 300 Teilungsordnungen. Nur ein kleiner Bruchteil dieser Teilungsordnungen sind aus unserer Sicht wirklich in Ordnung und nicht zu beanstanden. Zudem haben wir in diese Liste Entscheidungen der Gerichte zu beanstandungswürdigen Teilungsordnungen aufgenommen – ohne Anspruch auf Vollständigkeit eine beeindruckende und für die Versicherer mindestens peinliche Anzahl.

Das werthaltigste Problem ist die Ziffer 5 der Teilungsordnungen, die manchmal auch an anderer Stelle zu finden ist und in der geregelt ist, dass die zu Gunsten der ausgleichsberechtigten Person zu begründende Versorgung zu den „im Zeitpunkt der Rechtskraft der Entscheidung geltenden aktuellen Versicherungsbedingungen“ begründet wird. Wenn im Tenor einer Entscheidung über den Versorgungsausgleich auf eine derartige Teilungsordnung unkorrigiert verwiesen wird, sollten Anwälte am besten gleich ihre Haftpflichtversicherung informieren. Im statistisch häufigsten Scheidungsfall eines 50-jährigen Mannes, der im Jahr 1995 eine private oder als betriebliche Direktversicherung begründete Rentenversicherung abgeschlossen hat, führt das zu einem Versorgungsverlust der ausgleichsberechtigten Person von bis zu gut 73 % oder anders ausgedrückt: Aus 10.000 € Ausgleichswert erhält die ausgleichsberechtigte Person statt rd. 131 € Monatsrente nur rd. 50 €. Leider profitiert davon in unserem Fall nicht der Mann, sondern die Versicherung. Es liegt daher auch im Interesse der ausgleichspflichtigen Person, darauf zu achten, dass eine solche Vernichtung ehelich erworbenen Vermögens unterbleibt.

Daneben findet sich Erstaunliches:

Viele Teilungsordnungen ermöglichen einen „doppelten Abzug der Teilungskosten“, indem sie diese bereits bei der Ermittlung des dem Gericht vorgeschlagenen Ausgleichswerts berücksichtigen und dann formulieren, dass die Versorgung zu Gunsten der ausgleichsberechtigten Person aus dem vom Gericht festgelegten Ausgleichswert „abzüglich der Teilungskosten“ begründet wird. In Großbritannien wäre das eine Straftat (contempt of court), in Deutschland nur ein lohnendes Geschäft, weil es kaum jemand merkt. Wie soll die ausgleichsberechtigte Person feststellen, ob die zu ihren Gunsten zu begründende Versorgung aus dem gerichtlich festgelegten Ausgleichswert von 50.000 € oder 49.500 € begründet wurde?

Auch behalten sich manche Versorgungsträger vor, den vom Gericht titulierten Ausgleichswert eigenmächtig zu korrigieren, indem Veränderungen des Ausgleichswerts zwischen Ehezeitende und Rechtskraftzeitpunkt vom Versorgungsträger in den Ausgleichswert eingepflegt werden.

Und schließlich – dies könnte die Praxis leicht korrigieren – nehmen es einige Versorgungsträger mit der Teilhabe der ausgleichsberechtigten Person an der Wertentwicklung zwischen Ehezeitende und Rechtskraft „nicht so genau“. Sie begründen aus dem gerichtlich festgelegten Ausgleichswert die Versorgung zum Zeitpunkt der Rechtskraft und nicht „bezogen auf das Ehezeitende“. Wenn da die Verzinsung des Ausgleichswerts in diesem Zeitraum nicht vom Gericht angeordnet wurde, kann bereits bei einer Verfahrenslaufzeit von nur zwei Jahren eine Versorgungsverlust von fast 10 % auftreten.

In der Liste der Teilungsordnungen haben wir zunächst unser Augenmerk nur auf die berüchtigte Ziffer 5 (s.o.) gerichtet. Erst später fiel auf, dass auch andere Punkte kritikwürdig sind. Nach Abschluss unserer Sammlung werden wir die Teilungsordnungen nochmals auf die weiteren Kritikpunkte überprüfen und das Ergebnis dann neu werten und publizieren.

Vorab nur schon einmal ein „Mustertenor“ mit einer Maßgabeanordnung, der die wichtigsten Probleme einer Teilungsordnung vermeidet:

„Zu Lasten des Anrechts der <ausgleichspflichtigen Person> bei der <Versorgungsträger nebst Vers.-Nr.> wird zu Gunsten der <ausgleichsberechtigten Person> bezogen auf den <Ehezeitende> eine Versorgung aus einem Ausgleichswert in Höhe von <#.###.##0 € (Kapital/Rente)> nach Maßgabe der Teilungsordnung <des Versorgungsträgers in der Fassung vom …> mit der Maßgabe begründet, dass

  • abweichend von <> der Teilungsordnung auf das zu begründende Anrecht Rechnungszins und Sterbetafel der auszugleichenden Versorgung anzuwenden sind und
  • abweichend von <Ziff. … > der Teilungsordnung ein Abzug der Teilungskosten vom titulierten Ausgleichsbetrag unzulässig ist und
  • abweichend von <> der Teilungsordnung das zu begründende Anrecht an der Wertentwicklung zwischen Ehezeitende und der Rechtskraft der Entscheidung teilzuhaben hat und der gerichtlich festgelegte Ausgleichswert mindestens mit dem Rechnungszins der auszugleichenden Versorgung zu verzinsen ist.“

Abschließend noch zwei Bitten:

  • Schicken Sie uns Ihnen vorliegende Teilungsordnungen, die in der Liste nicht erfasst sind, auch weiterhin ein. Die Liste wird ständig weiter aktualisiert und steht in aktualisierter Form zum Download bereit.
  • Vergessen Sie bitte nie, im Fall einer externen Teilung die Verzinsung des Ausgleichswerts zwischen Ehezeitende und Rechtskraft zu beantragen. Nur bei der gesetzlichen Rentenversicherung ist das entbehrlich, weil das auszugleichende Anrecht dann bezogen auf das Ehezeitende begründet wird und an der Dynamik der gesetzlichen Rentenversicherung teilnimmt (gemeinerweise kann aber u.U. auch hier die Verzinsung günstiger sein).

Zu der aktuellen Liste kommen Sie hier: Beanstandungsliste Teilungsordnungen 1-2023!

 

Online-Dossier: Die große Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts

Am 1.1.2023 ist das Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts in Kraft getreten. Es bleibt „kein Stein auf dem anderen“, alles ist neu strukturiert, die Paragrafen sind „gewandert“. Neben der grundlegenden Modernisierung des Rechts der Vormundschaft über Minderjährige, der Pflegschaft sowie der Betreuung Volljähriger kommt ein Notvertretungsrecht für Ehegatten in medizinischen Angelegenheiten und die Vorsorgevollmacht erhält mit § 1820 BGB n.F. einen eigenen Paragrafen.

Wir bieten Ihnen – in diesem Online-Dossier für Sie zusammengestellt – in unseren Werken und Datenbanken alle benötigten Arbeitsmittel – von der hilfreichen Synopse bis hin zur profunden Kommentierung, um sich im neuen Recht schnell zurechtzufinden.

FamRB-Aufsätze zum Familienrecht

  • Sarres, Aktuelle Aspekte zur Vorsorgevollmacht, FamRB 2023, 38
  • Kemper, Die große Reform: Das Notvertretungsrecht für Ehegatten kommt, FamRB 2021, 260
  • Bartels, Die große Reform: Primat der Wünsche des Betreuten – die neuen Vorschriften des Betreuungsrechts, FamRB 2021, 204
  • Bartels, Die große Reform: Vormundschafts- und Pflegschaftsrecht, FamRB 2021, 113

FamRZ-Aufsatzserie zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts

  • Böhm, Die Suspendierung von Vorsorgevollmachten nach dem neuen § 1820 Abs. 4 BGB, FamRZ 2022, 1253
  • Krämer, Die neue Funktion der Betreuungsbehörden nach der Reform des Betreuungsrechts, FamRZ 2022, 927
  • Dodegge, Vom Wohl des Betroffenen zu dessen Wünschen und Willen – neue Maßstäbe für die Betreuertätigkeit, FamRZ 2022, 844
  • Reh, Die Auswahl und Typisierung des Betreuers im Lichte des zum 1.1.2023 in Kraft tretenden Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, FamRZ 2022, 673
  • Wagner, Neufassung der Art. 7, 15, 17b II und 24 EGBGB durch das Gesetz zur Reform des Betreuungs- und Vormundschaftsrechts, FamRZ 2022, 405
  • Gottwald, Die neue Prozessfähigkeit bei rechtlicher Betreuung, FamRZ 2022, 331
  • Schneider, Bestimmungsbefugnisse des Betreuers im Lichte der Reform des Betreuungsrechts (insbesondere Aufenthalts- und Umgangsbestimmung, FamRZ 2022, 1
  • Croon-Gestefeld, Das gesetzliche Notvertretungsrecht von Ehegatten und seine kollisionsrechtliche Anknüpfung, FamRZ 2021, 1939
  • Kurze, Reform ist gut – Kontrolle ist besser?, FamRZ 2021, 1934
  • Socha, Die Auskunftspflicht des Betreuers gegenüber Angehörigen nach dem neuen § 1822 BGB, FamRZ 2021, 1861
  • Hoffmann, Der zusätzliche Pfleger nach § 1776 BGB in der Fassung des Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, FamRZ 2021, 1773
  • Veit, Die Rechtsstellung der Pflegeperson nach dem Kinder- und Jugendstärkungsgesetz sowie dem Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, FamRZ 2021, 1501
  • Müller-Engels, Vorsorgevollmacht und Kontrollbetreuung in der Reform – was kommt, was bleibt?, FamRZ 2021, 645
  • Christl, Akzeptanz und Qualität ehrenamtlicher Betreuung in der Reform, FamRZ 2021, 81
  • Socha, Sicherheit statt Sollbruchstelle – der „vorläufige Vormund“ in der Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, FamRZ 2021, 87
  • Wedel/Kraemer/Hyla, Die Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrecht aus Sicht der Landesjustizverwaltung Nordrhein-Westfalen, FamRZ 2021, 77
  • Dutta, Handlungsbefugnisse von Ehegatten in Angelegenheiten der Gesundheitssorge – ein weiterer Versuch für einen neuen § 1358 BGB, FamRZ 2020, 1881
  • Schneider, Die Neuregelung des Betreuungsrechts, FamRZ 2020, 1796
  • Dürbeck, Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts v. 25.9.2020, FamRZ 2020, 1789
  • Münch, Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts: Vermögensverwaltung, FamRZ 2020, 1513

Beiträge aus der Zeitschrift Rpfleger zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts

  • Felix, Die Genehmigungstatbestände im neuen Betreuungsrecht (Teil 1), Rpfleger 2022, 541
  • Luther, Jahresgebühren in Betreuungssachen, Rpfleger 2022, 289
  • Harm, Gerichtsgebühren beim sog. Behindertentestament, Rpfleger 2022, 229
  • Hofer, Streit um die Gerichtsgebühren beim sog. Behindertentestament kontra Fürsorge und Aufsicht des Betreuungsgerichts, Rpfleger 2021, 677
  • Harm, Die Reform des Betreuungsrechts – Teil 1: Neues Verfahren zur Wohnungsaufgabe, Rpfleger 2021, 613
  • Harm, Die Entwicklung im Vormundschafts-, Pflegschafts- und Betreuungsrecht seit 2019 bis Mai 2021 (ohne Vergütungsrecht), Rpfleger 2021, 556
  • Christl , Umsetzung der Reformziele im Vorgriff auf die Betreuungsrechtsreform zum 1.1.2023, Rpfleger 2021, 549
  • Gojowczyk, Zur funktionellen Zuständigkeit für die Abgabe des Betreuungsverfahrens an ein anderes Gericht (§§ 4, 273 FamFG), Rpfleger 2021, 463
  • Felix, Das Gesetz zur Anpassung der Betreuer- und Vormündervergütung, Rpfleger 2019, 624

 


 

Aus Erman, BGB Kommentar

online first

Infolge der durch die Reform erfolgten Neustrukturierung sind die Vorschriften im gesamten Abschnitt 3 umnummeriert worden. In seiner Neukommentierung der §§ 1773 bis 1888 BGB erläutert Prof. Dr. Kai Schulte-Bunert eingehend die neuen Regeln zur Vormundschaft. Prof. Dr. Andreas Roth kommentiert die Vorschriften zur Pflegschaft sowie das neue Betreuungsrecht und geht detailliert auf die zahlreichen Änderungen ein.

Titel 1 – Vormundschaft (§§ 1773-1808)

Titel 2 – Pflegschaft für Minderjährige (§§ 1809-1813)

Titel 3 – Rechtliche Betreuung (§§ 1814-1881)

Titel 4 – Sonstige Pflegschaft (§§ 1882-1888)

 

BGB

 


 

Aus Prütting/Helms, FamFG, online:

Insgesamt wurden durch das Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrecht 43 FamFG-Vorschriften geändert. Bei einigen Vorschriften wurden lediglich die dort erwähnten und durch die Reform geänderten BGB-Vorschriften angepasst. In der Auflistung finden Sie die Normen, die sich vor allem inhaltlich durch die Reform (und dessen „Reparaturgesetz“) geändert haben:

 

FamFG

 


 

 

Wichtige Standardwerke, informative Webinare und weitere Informationen zum Betreuungsrecht aus den Verlagen Dr. Otto Schmidt, Gieseking und C.F. Müller finden Sie auf unserer Landingpage im Überblick. Hier informieren!

 

Düsseldorfer Tabelle 2023 (Erwiderung auf Schwamb v. 20.12.2022)

Schwamb greift in seinem Beitrag die zu den Kontroversen bekannten Argumente auf, vernachlässigt dabei aber, dass sich die strittigen Punkte deshalb ergeben, weil die gesetzlichen Grundlagen der einzelnen Berechnungen längst nicht mehr mit den aus den Anfangsjahren des Unterhaltsrechts stammenden Maßstäben vergleichbar sind. Die strukturellen Veränderungen der letzten Jahrzehnte erfordern es, dass die Rechtsprechung die bisher angewandten Methoden auf ihre Eignung hinterfragt und die gewonnenen Ergebnisse auf ihre Angemessenheit und Stimmigkeit im Gesamtsystem überprüft.

Der um die Differenz zwischen zweiter und dritter Altersstufe erhöhte Bedarf volljähriger Kinder war schon seit den 1980er Jahren gebräuchlich (vgl. Hammer Leitlinien, Ziff. 18, FamRZ 1988, 1017); die Rechtsprechung zur Bemessung des Wohnkostenanteils mit 20 % des Tabellenwerts reicht zumindest bis in die 1990er Jahren zurück (vgl. Münch. Leitlinien 1996 Ziff. 4.1, FamRZ 1995, 1551). In dieser Zeit galt für die Eingangsstufe der Düsseldorfer Tabelle der Regelbedarf (§ 1515f BGB), dessen Höhe letztlich nicht durch ein wie auch immer berechnetes Existenzminimum, sondern durch die Leistungsfähigkeit bei kleinen Einkommen geprägt war (instruktiv BR-Drucks. 271/70). Dieselben Erwägungen galten auch noch für das Kindesunterhaltsgesetz von 1998 (BT-Drucks. 13/7338, 22; BT-Drucks. 13/9596, 31). Einen Bezug zum Existenzminimum stellte erstmals das Änderungsgesetz vom 2.11.2000 mit der Neufassung des § 1612b Abs. 5 BGB her (BT-Drucks. 14/3781, 8). Das Unterhaltsänderungsgesetz von 2008 ersetzte schließlich die sachwidrige 135 %-Regelung des § 1612b Abs. 5 BGB (BVerfGE 108, 52 Rz. 54) durch den steuerlichen Kinderfreibetrag, um den Kindesunterhalt anhand einer bundeseinheitlich geltenden Pauschale zu bestimmen. Dieser Freibetrag beruhe – so die Gesetzesbegründung – auf konkreten Zahlen zum Lebensbedarf und den Wohnkosten, so dass die Vorgaben für die Unterhaltspflichtigen und -berechtigten unmittelbar einsichtig und nachvollziehbar seien (BT-Drucks. 16/1830, 27). Dies gilt ohne weiteres für den offen ausgewiesenen Teilbetrag der Wohnkosten. In der Summe entsprechen 100 % des Mindestunterhalts dem vom Gesetz angestrebten Ergebnis; hier nicht erfasste Bedarfe begründen ohnehin einen Zusatzbedarf. Allerdings ist es mehr als nur ein Schönheitsfehler, wenn die gesetzlich vorgegebene Spreizung des Mittelwerts die methodischen Mängel der früheren Regelung beibehält und so das angestrebte Normziel für die jüngeren und älteren Kinder verfehlt. Dies zu korrigieren ist indes Aufgabe des Gesetzgebers. Andererseits kommen die Gerichte nicht daran vorbei, ihrerseits zu prüfen, ob angesichts dieses Befunds für volljährige Kinder eine nochmals höhere Steigerungsrate sachgerecht ist und das auf diese Weise ermittelte Ergebnisse dem vom Gesetz angestrebten Ziel eines existenzsichernden Mindestbedarfs entspricht. Es befremdet in der Tat, wenn sich für volljährige Schüler ein geringerer Bedarf errechnet, als er für die nur etwas jüngeren Geschwister gelten soll. Insofern gibt es gute Gründe, nicht allein auf den sozialrechtlichen Mindestbedarf abzustellen, zumal der Gesetzgeber mit der Privilegierung des § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB von vergleichbaren Lebensverhältnissen der noch in der Schulausbildung befindlichen Kinder ausgegangen ist. Dies rechtfertigt es, an dem – ohnehin schon erhöhten – Bedarf der 3. Altersstufe festzuhalten. Wer aber ungeachtet der veränderten Bezugsgrößen die bisherige Praxis eines um nochmals 8 % erhöhten Tabellensatzes beibehalten will, muss schon begründen, weshalb erst diese Berechnung zum existenznotwendigen Barbedarf führt. Man kann der Meinung sein, dass Jugendliche und junge Erwachsene einen höheren Wohnbedarf haben als Kleinkinder und entsprechendes auch für den persönlichen Schulbedarf gelten solle. Persönliche Überzeugungen eignen sich jedoch ebenso wenig für eine sachbezogene Begründung wie der Verweis auf eine über allen Instanzen hinweg unverändert praktizierte Rechtsprechung. Vielmehr wären die einzelnen Positionen anhand empirisch belegter Werte konkret zu beziffern.

Für den Bedarf minderjähriger Kinder bezieht sich das Gesetz explizit auf die Maßstäbe und Methoden des Existenzminimumberichts. Dieser entspricht sachlich den „sozialrechtlichen Grundsätzen“, auf die sich die Rechtsprechung auch ansonsten zur Bemessung von Mindestbedarf und Selbstbehalt stützt. Weshalb sollen diese Grundsätze allein beim Unterhalt für volljährige Kinder nicht gelten?

Düsseldorfer Tabelle 2023 (Erwiderung zu Schürmann FamRB 2023, 34)

„Alle Jahre wieder“ eine neue Düsseldorfer Tabelle; Heinrich Schürmann beschreibt es im Blog und in FamRB 2023, 34 zutreffend, weshalb das inzwischen erforderlich ist, und auch seiner Einschätzung, dass angesichts der fälligen Erhöhung der Selbstbehalte und der gleichzeitigen deutlichen Erhöhung der Bedarfsbeträge in der nochmals geänderten MindestunterhaltsVO 2023 eine Ausrichtung der Tabelle auf nur noch einen Berechtigten dieses Mal angezeigt gewesen wäre (anders als bei der Entnahme einer Einkommensgruppe vor 5 Jahren, vgl. damals kritisch Schwamb FamRB 2018, 67), kann ich folgen, denn der Abstand zwischen den Selbstbehalten und der zweiten Altersstufe ist nun so gering, dass eine Aufstufung bei nur einer unterhaltsberechtigten Person praktisch nicht mehr in Frage kommt.
Kritikwürdig sind und bleiben dagegen Schürmanns Ausführungen zur Bedarfssituation beim Kindesunterhalt in allen vier Altersstufen, insbesondere der von ihm weiterhin abgelehnten vierten, über deren Erhalt in vermindertem Abstand zur dritten Altersstufe jedoch ein in der Kommission mehrheitlich getragener Kompromiss vor drei Jahren zustande gekommen ist. Die Differenz liegt darin, dass Schürmann – insoweit abweichend von der gesetzlichen Regelung und auch der Rechtsprechung des BGH – eine vollständige Übereinstimmung mit der sozialhilferechtlichen Lage herstellen will. Gemeinsam ist beiden Rechtsgebieten aber nur der Ausgangspunkt des steuerbefreiten Existenzminimums, nach dem sich auch der Mindestunterhalt der zweiten Altersstufe richtet. Davon 87% für die erste Altersstufe und 117% für die dritte Altersstufe sind die gesetzliche Regelung, die man kritisieren kann, aber bei der alljährlichen Anpassung der Düsseldorfer Tabelle zugrunde zu legen ist. Schürmanns Kritik, dass 87% für die erste Altersstufe zu wenig, 117% für die dritte und 125% für die vierte Altersstufe dagegen zu viel seien, beruht inhaltlich im Wesentlichen auf seiner Annahme, dass der Wohnbedarf eines Kindes in allen Altersstufen unverändert bei derzeit 120 € liege.  Entgegen seiner Ansicht entspricht das aber nicht der Rechtslage im Unterhaltsrecht, insbesondere auch nicht den von ihm dafür in FamRB 2023, 35 unter Fußnoten 9, 10 zitierten beiden Entscheidungen des BGH vom 29.9.2021 (XII ZB 474/20 = FamRZ 2021, 1965 = FamRB 2022, 9 [M. Schneider]) und vom 18.5.2022 (XII ZB 325/20 = FamRZ 2022, 1366 = FamRB 2022, 342 [Schwamb]). Im Gegenteil liegt diesen beiden Entscheidungen sogar ausdrücklich zugrunde, dass 20% des jeweiligen Unterhaltsbedarfs eines Kindes nach dem zusammengerechneten Einkommen beider Elternteile den Wohnbedarf ausmachen und sich dieser somit ausdrücklich auch nach dem steigenden Lebensalter richtet (gerade anders als nach der abgelehnten, früher teilweise vertretenen Pro-Kopfberechnung). Auch wenn die Verwirklichung dieses Wohnbedarfs sicher nicht immer zeitgleich mit Erreichen der nächsten Altersstufe umgesetzt wird, dürfte es nicht zweifelhaft sein, dass ein Jugendlicher einen höheren Wohnbedarf hat als ein Kleinkind. Jedenfalls entspricht das der unterhaltsrechtlichen Rechtslage (s. o.). Soweit Schürmann die 4. Altersstufe ganz ablehnt, ja sogar für die 18-jährigen einen niedrigeren Bedarf errechnet als für die 12-17-jährigen Jugendlichen, ist seiner Argumentation schon wiederholt entgegen getreten worden (vgl. Schwamb FamRB 2018, 67 ff., 69 und im Experten-Blog vom 21.7.2021 Der Familien-Rechtsberater – Blog (otto-schmidt.de) . Dass in der Tabelle für die 18-jährigen (FamRB 2023, 35) nicht einmal die 15 € für gesellschaftliche Teilhabe auftauchen, die mit Volljährigkeit auf jeden Fall deutlich ansteigt, und auch 3 € für Ausflüge und 14,50 € für den Schulbedarf im letzten Jahr vor dem Abitur untersetzt sind, nimmt dieser Zusammenstellung bereits jede Überzeugungskraft. Auch hier gilt wieder, dass die unterhaltsrechtliche Sicht nicht mit der sozialhilferechtlichen verglichen werden darf, zumal der Sozialhilfesatz für die nicht in Berufsausbildung stehenden arbeitslosen jungen Erwachsenen nicht deren Bedarf entspricht und einen gewissen „Strafcharakter“ hat.  Zum wiederholten Mal muss schließlich der aufrechterhaltenen Auffassung widersprochen werden, ein „zu hoch angesetzter Bedarf im Mangelfall“ benachteilige die jüngeren Geschwister. Diese Sichtweise übersieht weiterhin, dass der Einsatzbetrag im Mangelfall der jeweilige Zahlbetrag nach Abzug des Kindergeldes ist (ausführlich Schwamb FamRB 2018, 67 ff., 70). Damit liegt der Einsatzbetrag der privilegierten Volljährigen sogar mit der 4. Altersstufe noch deutlich unter dem der Jugendlichen in der 3. Altersstufe und gerade noch einen Euro über dem der 2. Altersstufe. Auf das Rechenbeispiel im Anhang III. der Frankfurter Unterhaltsgrundsätze 2023  http://www.hefam.de/DT/ffmAPfr.html wird insoweit verwiesen. Von einer Benachteiligung der minderjährigen Geschwister im Mangelfall kann deshalb keine Rede sein.

Last not least überzeugt auch nicht die allerdings von allen Oberlandesgerichten inzwischen übernommene Streichung des „großen“ Selbstbehalts für den Eltern- und Großelternunterhalt (befürwortend Schürmann FamRB 2023, 34 ff, 37 f.). Immerhin enthalten die Frankfurter Unterhaltsgrundsätze noch die Beträge für den Enkelunterhalt (Nr. 21.3.4 und siehe dort auch Nr. 22.3). Das Angehörigenentlastungsgesetz hat eine völlig andere Bedeutung als die Selbstbehalte im Unterhaltsrecht (siehe bereits früher zu § 43 SGB XII: BGH v. 8.7.2015 – XII ZB 56/14, FamRZ 2015, 1467 Rz. 47, 48 = FamRB 2015, 330 [Hauß]). Sofern ein zum Unterhalt für seine Eltern grundsätzlich Verpflichteter mit einem Bruttoeinkommen von knapp über 100.000 Euro herangezogen werden soll, wären die früher von der Rechtsprechung anhand des dafür gebildeten großen Selbstbehalts, über dessen weitere Anpassung ggf. zu diskutieren wäre, entwickelten Grundsätze und vor allem der damit verbundene Familienselbstbehalt (siehe dazu weiterhin Nr. 22.3 der Frankfurter Unterhaltsgrundsätze) immer noch sinnvolle Instrumente für die Praxis, denn auch mit einem solchen Bruttoeinkommen kann es bei berechtigten Abzügen durchaus zu einem Nettoeinkommen führen, bei dem jedenfalls die bisherigen Grundsätze des Familienselbstbehalts, ggf. mit erhöhten Grenzen, weiterhin gebraucht werden könnten.

 

Alle Jahre wieder …

… kommt in der Vorweihnachtszeit die neue Düsseldorfer Tabelle. Dass die notwendigen Anpassungen regelmäßig in den Dezember fallen, folgt aus der Agenda des Gesetzgebers, der über wichtige Rahmendaten wie Existenzminimumbericht, Kinderfreibeträge und Regelbedarfe erst in den letzten Wochen des Jahres entscheidet. Zwar gab es schon einen Mindestunterhalt für 2023; die offensichtlich notwendige Korrektur der ein Jahr zuvor getroffenen Prognose folgte jedoch erst mit der 5. Änderungsverordnung v. 30.11.2022 (BGBl. I, 2130). Die Zeiten, in denen Tabellenwerte mehrere Jahre überdauerten, sind schon lange vorbei und die Überlegung des Gesetzgebers zur letzten Neufassung des § 1612a BGB, für jeweils zwei Jahre einen einheitlichen Mindestbedarf vorzugeben, haben sich von Anfang an als nicht praktikabel erwiesen.

Wer sich näher mit dem System der aktuellen Düsseldorfer Tabelle beschäftigt, kommt an der Erkenntnis nicht vorbei, dass diese durch die inflationäre Preisentwicklung des vergangenen Jahres an ihre Grenzen stößt. Der im Verhältnis zu den Vorjahren ungewöhnlich starke Anstieg des Kindesbedarfs und der Selbstbehaltssätze war angesichts der weit überproportional gestiegenen und noch weiter steigenden Lebenshaltungskosten keine Überraschung. Mit dem Kinderfreibetrag erhöhte sich der Mindestunterhalt um 10,3 %; die damit verbundene höhere Zahllast wird durch die Anhebung des Kindergeldes auf 250 € nur etwas gedämpft. Während diese Zahlen in etwa der Inflationsrate entsprechen, war beim notwendigen Selbstbehalt mit rund 18 % eine deutlich stärkere Anhebung zu verzeichnen. Hier wirken drei Faktoren zusammen: Neben dem allgemein höheren Lebensbedarf sind dies der nach 17 Jahren erstmals um 50 € (die lediglich den seither eingetretenen Kaufkraftverlust ausgleichen) angehobene Freibetrag für Erwerbstätige und die erheblich steigenden Wohnkosten. Der damit einhergehende sprunghafte Anstieg des Eigenbedarfs deckt auf, wie sehr sich die Gerichte in den letzten Jahren mit einer Anpassung der Selbstbehaltssätze zurückgehalten haben – oder anders ausgedrückt, die Unterhaltspflichtigen spürbare Einschränkungen in ihrer Lebensführung hinnehmen mussten. Für alle Beteiligten wäre es einfacher und überzeugender, wenn Unterhaltsbedarf und Eigenbedarf jeweils gleichzeitig und in kleineren Schritten an die sich ändernden Lebensumstände angepasst würden.

Nun gibt es nur ein Einkommen, aus dem die Bedarfe von Berechtigten und Verpflichteten aufgebracht werden müssen. Steigen diese, wird die Verteilungsmasse bei gleichbleibendem Einkommen kleiner. Dabei zeigen sich deutliche Risse in einer Tabellenstruktur, die immer noch davon ausgeht, sich am Bedarf für zwei Unterhaltsberechtigte zu orientieren. Wer nachrechnet, muss feststellen, dass er unter Wahrung des notwendigen Selbstbehalts der Mindestunterhalt nur aufgebracht werden kann, wenn für zwei Kinder der ersten Altersstufe ein Einkommen von wenigstens 2.000 € zur Verfügung steht und es 2.300 € sein müssen, sobald beide Kinder das 12. Lebensjahr erreicht haben. Dies alles fällt schon in den Bereich der zweiten Einkommensgruppe. Ein höherer Kindesbedarf kommt ohnehin erst dann in Betracht, wenn dem Pflichtigen selbst der angemessene Bedarf verbleibt (BGH v. 27.10.2021 – XII ZB 123/21, FamRB 2022, 51). Damit kann es selbst bei Einkommen aus der dritten Einkommensgruppe noch beim Mindestunterhalt verbleiben.

Unter diesen Umständen eignet sich die Tabelle in ihrem Hauptanwendungsbereich der kleinen und mittleren Einkommen nicht mehr, um unmittelbar den nach der Lebensstellung angemessenen Kindesbedarf abzulesen. Die vorstehend skizzierten Probleme dürften sich im kommenden Jahr noch verschärfen, da mit weiter steigenden Bedarfssätzen zu rechnen ist. Wenn die Gerichte sich nicht zeitnah um eine Neustrukturierung der Tabelle und ihrer Anwendungsgrundsätze bemühen, laufen sie Gefahr, eines ihrer wichtigsten Werkzeuge aus der Hand zu geben.

Einladung zum juristischen Streitgespräch

Kurz vor Weihnachten, am 21.12.2022, wird die seit Jahresanfang etablierte „Kaffeerunde Versorgungsausgleich“ online von 14:00 bis 15:00 Uhr den diesjährigen Jahresabschluss „feiern“:

Thema:

„Nachehezeitliche versorgungsschädliche Beendigung des Beamtenverhältnisses und § 27 VersAusglG“

Positionierungen jeweils ca. 5 Minuten:

VorsRiOLG a.D. Werner Schwamb, Marburg

VorsRiOLG Johannes Norpoth, Hamm

FAFamR Jörn Hauß, Duisburg

danach 30 Minuten offene Diskussion (hauptsächlich der Teilnehmer) und abschließend 10 Minuten vorweihnachtliche Versöhnung

Der Fall:

Die beiden Durchschnittsentgelt-Verdiener M(50) und F(50) lassen sich scheiden. M hat in der 23-jährigen Ehezeit eine Beamtenversorgung in Höhe von rd. 1.340 € (39.000 x 71,75 % / 40 / 12) erdient. Nach der Scheidung macht er sich selbständig und verlangt 12 Monate vor seinem Renteneintritt die Abänderung des seinerzeitigen Versorgungsausgleichs, weil durch die Nachversicherung in der DRV der ehezeitliche Versorgungsbezug sich auf rd. 830 € (36,02 x 23) reduziert habe und damit vom ehezeitlichen Versorgungserwerb der F nicht mehr abweiche.

Der Fall ist nicht alltäglich, die Lösung nicht bagatellhaft. Vor allem neigt man rasch dazu, den Sachverhalt zu variieren, um die als „gerecht“ empfundene Lösung leichter begründen zu können.

Es konkurrieren:

  • die „Freiheit“ des M, sein nachehezeitliches Leben so gestalten zu können, wie er möchte,
  • das „Recht“ der F, das erreichte ehezeitliche Versorgungs- und damit auch Vermögensniveau nicht durch „Fremdintervention“ zu verlieren.

Oder anders ausgedrückt:

  • Muss M die Aufgabe des ehezeitlichen Beamtenjobs mit einer die Halbteilung unterschreitenden Altersvorsorge bezahlen, indem ihm nach der Abänderung als ehezeitlicher Versorgungserwerb 575 €, der F aber 1.085 € verbleiben, weil deren Ausgleichswert über § 27 VersAusglG vermindert wird, oder
  • muss F hinnehmen, dass ihre Teilhabe am ehezeitlichem Versorgungserwerb des M durch dessen nachehezeitliche Selbstverwirklichung aufgezehrt wird und ihr statt 1.085 € monatlichem Rentenaufbau in der Ehe nur 830 € zukommen, was einem Kapitalwertverlust von ca. 51.224 € entspricht.

Sie werden mir zugeben, dass es dazu viele Lösungen geben wird.

Angefangen von der Annahme einer das Ehezeitende überdauernden versorgungsausgleichsrechtlichen Solidaritätspflicht bis hin zu deren stichtagsbezogener Beendigung wird fast alles vertreten und vielleicht auch vertretbar sein.

Sie haben noch nie von der „Kaffeerunde Versorgungsausgleich“ gehört? Dann schalten Sie sich doch einfach zum Streitgespräch oder, wenn Ihnen der 21.12. zu vorweihnachtlich ist, jeden 1. und 3. Mittwoch im Monat von 14:00 bis 15:00 Uhr kostenfrei dazu:

„Kaffeerunde Versorgungsausgleich“

Wir erörtern in einer Online-Schaltung alltägliche und manchmal auch spezielle

Fragen des Versorgungsausgleichs. Kostenlos und locker.

Sie können sich gern dazuschalten:

https://global.gotomeeting.com/join/205481741

Sie können sich auch über ein Telefon einwählen.
(Bei Geräten, die diese Funktion unterstützen, ist die sofortige Teilnahme über eine der unten aufgeführten Direktwahlnummern möglich.)

Deutschland: +49 891 2140 2090
– Direktwahl: +4989121402090,,205481741#

Zugangscode: 205-481-741

Wenn Sie in den Email-Verteiler zur „Kaffeerunde“ aufgenommen werden möchten, ganz einfach Mail an Haus@Anwaelte-DU.de.

 

 

Grundrente im Versorgungsausgleich

Ein großes juristisches Vergnügen ist es, § 97a SGB VI zu lesen. Schwierig ist es, ihn zu verstehen, weshalb ich auf Fortbildungen seit seiner Existenz stets eine „gute Flasche Rotwein“ dem versprochen habe, der nach Lektüre innerhalb von (zunächst 15) jetzt 30 Minuten seinen Inhalt erklären kann. Bis gestern lag die Flasche unangerührt in meinem Weinkeller.

Das hat sich geändert. Eine OLG Richterin aus Frankfurt rief an und kritisierte die Umsetzung der Grundrentenproblematik in meinem Grundrentenrechner als falsch. Sie hatte recht, das Problem war schnell beseitigt, aber niemandem bis dahin aufgefallen, obgleich wir einen Tag zuvor in der „Kaffeerunde Versorgungsausgleich[1], die jeden 1. und 3. Mittwoch im Monat von 14:00 bis 15:00 Uhr stattfindet und an der jeder kostenlos teilnehmen kann, uns eine Stunde lang mit der Grundrente beschäftigt haben und auch den „Grundrentenrechner“ vorgestellt haben.

Das zeigt: Die Grundrentenproblematik ist schwierig und überfordert auch erfahrene Versorgungsausgleichsrechtler.

Damit aber all diejenigen, die sich gleichwohl damit beschäftigen wollen, leichten Zugriff auf Aufsätze und Entscheidungen zu dem Thema haben, habe ich eine Entscheidungsliste zusammengestellt, der sich jeder gerne bedienen kann. Soweit möglich sind die Entscheidungen und Aufsätze verlinkt: Grundrente Entscheidungen und Aufsätze.

Es bleibt aber bei meiner Empfehlung: In den Fällen, in denen feststeht, dass einer der Ehegatten keine Leistungen aus den Grundrenten-Entgeltpunkten (für langjährig Versicherte) bekommen wird, weil die Einkommensgrenze (1.317 € / 2.055 €) nach § 97a Abs. 4 SGB VI überschritten werden wird, sollte man auf den Ausgleich der Grundrenten-EP verzichten. Das verbessert das Verhandlungsklima meist deutlich und ein Verzicht auf etwas, das man nie bekommt, ist eigentlich keiner.

Und jetzt wünsche ich allen viel Freude bei der Lektüre der Norm: § 97a SGB VI.

[1] Jeden 1. und 3. Mittwoch im Monat von 14:00 bis 15:00 Uhr (kostenfrei!)

 „Kaffeerunde Versorgungsausgleich“

Wir erörtern in einer Online-Schaltung alltägliche und manchmal auch spezielle Fragen des Versorgungsausgleichs. Kostenlos und locker. Sie können sich gern dazuschalten: https://global.gotomeeting.com/join/205481741

Keine ungetrübte Urlaubsfreude ohne ausreichende Planung (KG v. 22.6.2022 – 16 WF 29/22)

In den vergangenen Monaten haben sich die Beschwerdegerichte wiederholt mit Ordnungsmittelanträgen befassen müssen, die aus zeitlich unzureichenden Reiseplanungen eines Elternteils resultierten. Rückreisen aus dem Urlaub wurden zeitlich so knapp oder sogar zeitlich überlappend kalkuliert, dass zeitlich anschließend geplante Reisen des jeweils anderen Elternteils teilweise nicht mehr (vgl. OLG Hamm v. 24.1.2022 – 13 WF 210/21, FamRB 2022, 224) oder nur mit Zusatzkosten umgesetzt werden konnten. Mit einem solchen Sachverhalt hat sich aktuell auch das KG in seinem Beschluss vom 22.6.2022 auseinandergesetzt.

In dem zugrundeliegenden Sachverhalt war dem Vater für die Herbstferien 2021 ein Umgang in der ersten Ferienwoche zuerkannt worden. Die Übergabe des Kindes sollte am Sonntag den 17.10.2021 um 17.00 Uhr an eine Umgangspflegerin erfolgen. Seine Ferienwoche verbrachte der Vater in Galicien, wo er einen Tag vor dem geplanten Rückflug von dessen Stornierung erfuhr. Auf Initiative der Mutter, die seitens der Umgangspflegerin von der Stornierung informiert wurde, konnten mehrere Alternativflüge mit anderen Gesellschaften ermittelt werden bzw. buchte die Mutter ein mit Zusatzkosten verbundenes Upgrade, das einen Zustieg des Kindes in Madrid anlässlich eines Zwischenstopps des von der Mutter ebenfalls gebuchten Fluges zum Urlaub auf den Kanaren ermöglichte.

Dem seitens der Mutter gestellten Antrag auf Festsetzung eines Ordnungsmittels gegen den Vater wegen Zuwiderhandlung gegen den Umgangsbeschluss wurde erstinstanzlich entsprochen. Die seinerseits eingelegte Beschwerde wurde zurückgewiesen. In der Beschlussbegründung hat das KG darauf verwiesen, dass der Vater seine Pflicht zur zeitgerechten Übergabe des Kindes schuldhaft verletzt habe, da sein Verhalten als fahrlässig zu bewerten sei. Er habe keine ausreichende Vorsorge getroffen, um zu verhindern, dass es nicht zu der ganz fernliegenden Möglichkeit der Versäumung des Rückgabetermins komme. Es sei allgemein bekannt, dass es im Flugverkehr vielfach zu erheblichen Flugverschiebungen und -ausfällen komme. Wer – wie der Vater – eine Gefahrenlage durch zeitlich zu knappe Rückreisetermine schaffe, sei verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zur Schadensvermeidung und Sicherstellung einer rechtzeitigen Übergabe zu treffen.

Die Verhängung von Ordnungsmittel erfordert einen schuldhaften Verstoß gegen eine gerichtliche Entscheidung bzw. einen gerichtlich gebilligten Vergleich. Es bedarf daher einer objektiven Zuwiderhandlung des Pflichtigen, wobei es auf Seiten des Pflichtigen keines Verschuldens bedarf, sondern bloße Fahrlässigkeit genügt. Etwaiges Verschulden des Verfahrensbevollmächtigten ist dem jeweiligen Elternteil zuzurechnen. Die Substantiierungs- und Feststellungslast für das fehlende Vertretenmüssen liegt bei dem pflichtigen Elternteil, d.h. er muss die Umstände, die den Grund für das Scheitern des Umgangskontakts darstellen, im Einzelnen vortragen und ggf. unter Beweis stellen.

Elternteile, die während der Ferien mit dem Kind Flugreisen ins Ausland beabsichtigen, sollten bei ihren Buchungen zur Rückreise stets ausreichende Zeitpuffer einplanen, die – soweit der jeweils andere Elternteil nicht auf Anfrage im Vorfeld sich mit einer auch kurzfristigen Verspätung einverstanden erklärt hat – in jedem Fall die zeitgerechte Rückverbringung des Kindes sicherstellt, insbesondere wenn eine sich anschließende zeitlich gebundene Urlaubsreise des jeweils anderen Elternteils bekannt ist. Zutreffend hat das KG in seinem Beschluss auch ausdrücklich auf den Aspekt des Kindeswohls verwiesen, wenn – wie in dem entschiedenen Sachverhalt – ein 3 ½-jähriges Kind an einem Tag aus Spanien nach Berlin zurückfliegen und keine 24 Stunden später sich erneut in ein Flugzeug setzen muss, um wieder eine Reise nach Spanien anzutreten. Es wäre wünschenswert, wenn der ein oder andere Elternteil bei dem, was er seinem Kind als selbstverständlich abverlangt, gelegentlich hinterfragen würde, ob er sich diese Belastung selbst auferlegen würde.

Hilfeaufruf an die FamRB-Leserinnen und -Leser: Gefahr aus der Teilungsordnung – erste Ergebnisse

Die Teilungsordnung bestimmt bei der internen Teilung von Versorgungen die Höhe der aus der Teilung für die ausgleichsberechtigte Person fließenden Versorgung. Zwar gehen die Ehegatten, die Anwaltschaft und das Gericht regelmäßig davon aus, dass das für die ausgleichsberechtigte Person zu begründende Anrecht „zu den Bedingungen der Quellversorgung“ begründet wird, diese Erwartungshaltung ist indessen weder gerechtfertigt, noch wird sie in der Realität erfüllt. § 10 Abs. 3 VersAusglG formuliert nämlich knapp und eindeutig: „Maßgeblich sind die Regelungen über das auszugleichende und das zu übertragende Anrecht.“ Der BGH hat zu Recht mehrfach darauf hingewiesen, dass die Tenorierung der internen Teilung unter Angabe der konkreten Teilungsordnung zu geschehen hat,[1] die Rechtsprechung der OLG hat vielfach einzelne Teilungsordnungen korrigiert[2] und für „nichtig“ befunden, weil sie die Begründung des Anrechts zum Nachteil der ausgleichsberechtigten Person „zu den im Begründungszeitpunkt aktuellen Berechnungsgrundlagen“ vorsehen. Wird im Tenor der Entscheidung auf eine Teilungsordnung verwiesen, die nichtige und die ausgleichsberechtigte Person benachteiligende Regelungen enthält, ist nach Rechtskrafteintritt nichts mehr zu machen.[3] Einige der so gescholtenen Versorgungsträger haben selbst daraufhin die Teilungsordnungen nicht geändert, sondern setzen auf die Lesefaulheit und Unaufmerksamkeit der Anwaltschaft und der Gerichte.

Eine Untersuchung von gut 100 Teilungsordnungen hat nun ergeben:

Mehr als 1/3 der Teilungsordnungen enthält nach wie vor Regelungen, die zu beanstanden sind:

  • Ein für die ausgleichsberechtigte Person nachteiliger Tarifwechsel (Begründung des Anrechts zu den „aktuellen Versicherungsbedingungen“) ist meist in Ziffer 5 der Teilungsordnungen zu finden.
  • Oftmals ermöglichen die Teilungsordnungen auch eine Veränderung des gerichtlich festgelegten Ausgleichswerts.
  • Ebenso häufig ermöglichen sie auch den doppelten Abzug der Teilungskosten.

Da das Übersehen der für die ausgleichsberechtigte Person ungünstigen Klauseln für die Anwaltschaft Haftungsfälle, für die Ausgleichsberechtigten Versorgungsverluste von teilweise mehr als 60 % und für die Versorgungsträger völlig unberechtigte finanzielle Vorteile begründen kann, hat sich der FamRB entschlossen, eine Aufstellung der kritischen und der unbedenklichen Teilungsordnungen öffentlich zugänglich zu machen. Dazu sind wir auf die Hilfe unserer Leserschaft angewiesen. Zwar haben wir die ersten 100 Teilungsordnungen durchgesehen und klassifiziert. Es gibt aber deutlich mehr und sie werden von den Versorgungsträgern meist nur unwillig herausgegeben. Deshalb bitten wir alle Leserinnen und Leser, Ihnen vorliegende Teilungsordnungen der Versorgungsträger – gleich ob sie bedenklich oder unbedenklich sind – an famrb@otto-schmidt.de zu senden.

Wir haben uns entschlossen, schon jetzt – nach Ihren ersten Einsendungen – die Liste zu veröffentlichen, um allen am Versorgungsausgleich Beteiligten die Möglichkeit zu geben, schwerwiegende Fehler zu vermeiden. Wir werden die Liste  weiterhin aktuell halten.

Zur Liste kommen Sie hier: Teilungsordnungen Versorgungsverluste bei interner Teilung

[1] Seit BGH v. 26.1.2011 – XII ZB 504/10, FamRZ 2011, 547 m. Anm. Holzwarth = FamRB 2011, 106 (Norpoth).

[2] BGH v. 25.2.2015 – XII ZB 364/14, FamRZ 2015, 911 m. Anm. Borth = FamRB 2015, 208 (Götsche); BGH v. 19.8.2015 – XII ZB 443/14, FamRZ 2015, 1869 m. Anm. Holzwarth = FamRB 2015, 407 (Norpoth); Bdb. OLG v. 2.9.2020 – 9 UF 86/20; OLG Celle v. 5.4.2019 – 21 UF 202/18, FamRZ 2019, 1780; OLG Frankfurt v. 9.4.2020 – 4 UF 46/19; OLG Frankfurt v. 17.9.2019 – 4 UF 273/17, FamRZ 2020, 676; OLG Frankfurt v. 22.8.2019 – 4 UF 86/17, FamRZ 2020, 673 = FamRB 2020, 16 (Siede); OLG Hamm v. 20.6.2018 – 7 UF 213/17, FamRZ 2019, 26 (LS); OLG Karlsruhe v. 20.4.2021 – 5 UF 112/20, FamRZ 2022, 951; OLG Köln v. 2.10.2018 – 25 UF 34/18; OLG Nürnberg v. 18.12.2018 – 11 UF 815/18, FamRZ 2019, 876; Schl.-Holst. OLG v. 8.6.2020 – 15 UF 188/19.

[3] BGH v. 29.4.2020 – IV ZR 75/19, FamRZ 2020, 985; BGH v. 22.1.2020 – IV ZR 54/19, FamRZ 2020, 491 = FamRB 2020, 142 (Breuers).