Christliche Patientenverfügung führt im Ernstfall bei COVID-19-Erkrankung zum Abschalten

Das von der Deutschen Bischofskonferenz und dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland herausgegebene Formular der Christlichen Patientenvorsorge enthält hinsichtlich der medizinischen Behandlung den Passus:

„Auf künstliche Beatmung soll verzichtet werden, aber Medikamente zur Linderung der Atemnot sollen verabreicht werden. Die Möglichkeit einer Bewusstseinseindämpfung oder einer ungewollten Verkürzung meiner Lebenszeit durch diese Medikamente nehme ich in Kauf.“

Diese im aktuellen Formular enthaltene Bestimmung wurde leider an die durch die COVID-19-Pandemie hervorgerufene Situation nicht angepasst. Wer hier ein Kreuz gemacht hat, untersagt die bei einer COVID-19-Erkrankung übliche Therapie. Hier besteht dringender Handlungsbedarf: Entweder diesbezügliche Anweisung („Kreuz an dieser Stelle“) streichen oder Ergänzung in Bezug auf COVID-19-Erkrankung (vgl. Corona, Patientenverfügung und Triage) oder (noch besser) Muster der Justiz verwenden.

Corona, Patientenverfügung und Triage

Steigende Inzidenzzahlen und offenbar ansteckendere Mutationen des Covid-19-Virus haben zur Beunruhigung zahlreicher Menschen geführt, die eine Patientenverfügung verfasst haben. Sie befürchten, bei einer Erkrankung an dem Virus nicht ausreichend medizinisch versorgt zu werden. Insbesondere wenn nicht genügend Beatmungsgeräte zur Verfügung stehen, würden möglicherweise erkrankte Personen mit einer Patientenverfügung nicht weiter behandelt.

Ob insoweit ein Risiko besteht, muss im Einzelfall anhand der konkreten Patientenverfügung geprüft werden. Enthält die Patientenverfügung die Ablehnung einer künstlichen Beatmung, muss der Betreuer oder Vorsorgebevollmächtigte zunächst prüfen, ob die Verfügung in der möglicherweise nicht bedachten Pandemie-Situation noch dem wirklichen Willen des Betroffenen entspricht. Nochmals: Dies gilt vor allem für ältere Verfügungen, in denen das Problem noch nicht bekannt war. Regelmäßig wird man ferner davon ausgehen müssen, dass der Betroffene lediglich in den Fällen, in denen keine Hoffnung auf Genesung besteht, eine (Weiter-)Behandlung untersagt. Bei den Mustern der Justiz (BMJV und BayStMJ) besteht diesbezüglich kein Problem, da, sofern keine diesbezügliche eigene Ergänzung erfolgt ist, invasive und nicht invasive Formen der Beatmungstherapie nicht ausdrücklich untersagt werden. Besteht bei einer Covid-19-Erkrankung nach ärztlicher Einschätzung auch bei einer Intensivtherapie keine Aussicht auf Genesung, ist der in der Patientenverfügung niedergelegte Wille des Erkrankten auf Verzicht auf eine Weiterbehandlung zu respektieren.

Familienpflege bei IKEA (zu VerfGH des Saarlandes v. 28.4.2020 – Lv 7/20)

Einige Wochen haben die emotionalisierenden omnipräsenten Bilder italienischer Beerdigungs-LKWs und der kollabierenden New-Yorker Intensivstationen den Hurra-Epidemiologismus der Bevölkerung genährt und Innenstädte und Grundrechte sediert. Jetzt beginnt die juristische Auf- und Abarbeitung. Zunächst noch gehemmt, weil einstweilige Eilentscheidungen zwar alle die Grundrechtsbegrenzung konstatieren, bislang haben aber die befassten Richterinnen und Richter im Eilverfahren Verantwortung für die Domestizierung der Exekutive gescheut.

Die Entscheidung des Saarländischen Verfassungsgerichtshofs vom heutigen Tag, die die weitgehenden Ausgangsbeschränkungen des Saarlandes außer Vollzug setzt, macht da eine erfreuliche Ausnahme. Die Richterinnen und Richter monieren – nun ganz juristisch – dass

  • es keinen statistischen Nachweis der Eignung einer Ausgangssperre zur Senkung der Neuinfektionen und
  • keinen nachweisbaren Zusammenhang zwischen Todesrate der Erkrankten und der Ausgangssperre gibt,
  • angesichts der stark ausgebauten Intensivbettenkapazität in Krankenhäusern kein Zusammenbruch des Gesundheitswesens droht und
  • absolute Infektions- und Erkrankungszahlen keinerlei Aussagekraft haben, solange sie nicht in Relation zur Bevölkerungszahl und zur Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesens und zu Infektionszeiträumen gesetzt werden.

Der Verfassungsgerichtshof stellt dagegen, dass der Verlust und die Beschränkung des individuellen Freiheitsrechts, des Rechts zur Pflege familiärer Kontakte auch mit den Familienangehörigen, mit denen man nicht unter einem Dach wohnt, endgültig ist. Verlorene Freiheit ist nicht nachzuholen.

Und die Entscheidung bemüht die Logik. Juristen wissen, dass alles Unlogische auch ungerecht ist. Zum Sport durften die Saarländer nämlich die Wohnung verlassen, nicht aber, um sich auf einer Bank zu sonnen.

Die Kontaktbeschränkungen gelten auch für die grundrechtlich besonders geschützte Wohnung. Es kann also eine Ordnungswidrigkeit sein, wenn sich Enkel, Großeltern oder Geschwister – in gebotenem Abstand versteht sich – in der Enkel-, Großeltern- oder Geschwisterwohnung treffen. Sie können aber sanktionsfrei zu Aldi ausweichen. Während dort die Großeltern Milch und Kukident aussuchen, können sie mit den herumtollenden Enkeln kommunizieren ohne Bußgelder zu riskieren. Logisch ist das nicht.

Auch scheint das Virus ein ausgesprochen feines Zeitgefühl zu haben. Wer als deutscher Staatsbürger aus dem Ausland nach mehr als 72 Stunden zurückkehrt, muss in 14-tägige Quarantäne. Bei einem Aufenthalt bis 72 Stunden springt das Virus nicht über. Es fremdelt offenbar mit Fremden, bis diese Stallgeruch annehmen und nach Gouda oder belgischen Fritten riechen.

Glückliches Nordrhein-Westfalen! Hier können Familien bei IKEA und anderen Großmöbelhäusern Distanz-Kontakt pflegen. Woanders geht’s nur im Blumenladen, Baumarkt oder beim Obsthändler. Für Familienrechtler ist das fürwahr eine seltsame Perspektive.

Unterhalt in der Krise oder die Krise im Unterhalt

„Das Corona-Virus ist in aller Munde“ – sehr doppeldeutig beginnt das Merkblatt einer Arztpraxis zu den Verhaltensregeln anlässlich der Covid-19-Pandemie. Zum Glück gilt dies nur im übertragenen Sinn, betrifft aber längst nicht mehr nur medizinische Aspekte. Inzwischen hat ein mit bloßem Auge unsichtbares Virus alle Bereiche des öffentlichen Lebens fest im Griff und spart auch das Familienrecht nicht aus. Sehr plastisch führt uns die Schließung von Schulen und Kitas vor Augen, welch hohen Stellenwert gesicherte Betreuungsarrangements für Kinder im Alltag haben. Daran schließen sich sehr praktische Fragen an: Lässt sich ein getrennt lebender Elternteil in die Kinderbetreuung einbinden, ist ein Wechselmodell noch praktikabel oder welche Folgen hat die verordnete Einschränkung sozialer Kontakte auf einen vereinbarten Umgang? Sehr schnell spürbar wurden für viele Betroffene auch die wirtschaftlichen Folgen der Krise, die sich zugleich unmittelbar auf die Unterhaltspflichten auswirken. Längst erreichen die Jugendämter zahlreiche Anfragen – von Unterhaltspflichtigen, die den Unterhalt nicht mehr aufbringen können, ebenso wie von Alleinerziehenden, die dringend auf Unterstützung angewiesen sind.

Laufende Unterhaltspflichten werden regelmäßig aufgrund einer Prognose festgelegt, die an das in der Vergangenheit bezogene Einkommen anknüpft. Dahinter steht die unausgesprochene Erwartung, dass sich diese Verhältnisse im Wesentlichen unverändert fortsetzen. Nun stehen wir plötzlich vor der Situation, dass diese jahrzehntelang nicht unrealistische Erfahrung für große Gruppen der Bevölkerung nicht mehr zutrifft. Welches Einkommen kann ein Gastwirt erzielen, der seinen Betrieb zunächst noch für einige Stunden offen halten durfte und dem infolge der nächsten Schließungsverfügung von einem Tag auf den anderen auch die letzten Einnahmen wegbrechen. In vielen anderen Branchen – Dienstleistungen, Luftfahrt, Touristik, Kulturbetriebe bis hin zu sozialen Diensten und Einrichtungen – sieht es nicht besser aus. Eine große Zahl von Arbeitnehmern ist bereits in Kurzarbeit, anderen droht die Arbeitslosigkeit. Das Einkommen sinkt dadurch auf 60 % bzw. 67 % des früheren Nettoverdienstes, während viele Kosten wie Miete, Versicherungen und Kreditbelastungen unverändert weiterlaufen. Dieses Szenario ist längst real – für wen, in welcher Weise und zu welchem Zeitpunkt es sich wieder ändern wird, ist noch lange nicht abzusehen. Zwar bringt die Bundesregierung große Hilfspakete auf den Weg, um die Folgen für die unmittelbar Betroffenen abzumildern. Erleichterungen beim Bezug von Wohngeld, Kurzarbeitergeld, Kinderzuschlag sowie ALG II, Zuschüsse an Selbständige und ein erweiterter Kündigungsschutz von Wohnraum können die wirtschaftlichen Belastungen zwar abmildern, aber nicht alle Einkommenseinbußen kompensieren. In all diesen Fällen erweist sich urplötzlich eine den Unterhaltspflichten zugrunde liegende Einkommensprognose als unzutreffend. Sollen die bisherigen Unterhaltspflichten nicht zu einem weiteren Schuldenberg anwachsen, sind bestehende Titel an die veränderten Verhältnisse anzupassen.

Anders als bei vertraglich begründeten Zahlungspflichten ist die Leistungsfähigkeit des Pflichtigen eine notwendige Voraussetzung für den gesetzlichen Unterhaltsanspruch. Vermindert sich das verfügbare Einkommen, sinkt die Unterhaltspflicht oder entfällt vollständig. Den Maßstab dafür bilden nicht mehr unterhaltsrechtliche Formeln und Pauschalen, sondern die realen wirtschaftlichen Verhältnisse des einzelnen Betroffenen. Denn dieser hat sich mit seiner Lebensführung abhängig von der bestehenden Unterhaltspflicht eingerichtet. In einer breite Bevölkerungskreise unvorbereitet treffenden und vielfach als existenzbedrohend erlebten Krise sind keine kurzfristigen Änderungen im persönlichen Lebensumfeld zu erwarten. Vielmehr sind die vorgefundenen Verhältnisse als gegeben hinzunehmen und allen unterhaltsrechtlichen Beurteilungen zugrunde zu legen.

Aus der früheren Rechtsprechung (Brandenburgisches OLG v. 12.1.1995 – 9 UF 90/94, FamRZ 1995, 1220; OLG Dresden v. 25.11.1997 – 10 WF 455/97, FamRZ 1998, 767) genährte Überlegungen, vorübergehende Einkommensrückgänge könnten in den ersten Monate einer Kurzarbeit überbrückt werden, sind ebenso realitätsfremd wie die Annahme, bei selbständiger Tätigkeit ließen sich mehrmonatige Umsatzeinbußen einige Monate später noch aufholen. Im Unterhalt gilt das Liquiditätsprinzip – d.h. die Zahlung muss aus dem laufenden Einkommen möglich sein. Ist dies nicht der Fall, sind auch kurzfristige Veränderungen zu beachten und können zu einem – möglicherweise auch nur vorübergehenden – Wegfall des Anspruchs führen.

Auch wenn alle hoffen, dass die Krise nicht allzu lange andauern möge, weiß noch niemand, wie sich Auftragslage und Arbeitsmarkt nach einer Rückkehr zum gesellschaftlichen Normalzustand entwickeln werden. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass wir derzeit eine weltweite Krisensituation durchleben, für die es keine Erfahrungswerte gibt und deren langfristigen Folgen sich nicht prognostizieren lassen. Daher folgt aus der Einkommenskrise des Einzelnen die notwendige Reaktion beim Unterhalt.

Aber auch für diese Anpassung gibt es keine unterhaltsrechtlich verlässlichen Erfahrungswerte. So werden derzeit eine ganze Reihe von Unterstützungsmaßnahmen installiert, die teils den betrieblichen Sektor, teils auch die private Lebenssituation betreffen und zudem Familien mit Kindern in besonderer Weise begünstigen sollen. Deren Wirkungen und Dauer lassen sich aktuell noch nicht überblicken, wie sich auch noch nicht absehen lässt, wann sich die Verhältnisse wieder stabilisieren werden. Bei diesem unsicheren Terrain ist es nicht zielführend, sich auf kleinteilige Unterhaltsberechnungen nach den bekannten unterhaltsrechtlichen Schemata einzulassen. Gefragt sind vielmehr Verständnis für die tatsächliche Lebenssituation der jeweils anderen Seite sowie die Bereitschaft, sich kreativ mit flexiblen Lösungen auseinanderzusetzen. Dabei lassen sich in einem – mit dem gebotenen Abstand geführte – persönlichen Gespräch schneller pragmatische, maßgeschneiderte Lösungen erreichen, als in einer ganzen Reihe gerichtlicher Abänderungsverfahren.

Corona und Umgangskontakte

In Coronazeiten sind paradoxe Situationen und Reaktionen häufig. Wir haben in Deutschland glücklicherweise keine praktische Erfahrung mit Ausgangssperren oder -beschränkungen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die jetzt verfügten Maßnahmen neben erheblichen verfassungsrechtlichen Diskussionen auch familienrechtliche Irritationen auslösen.

Sind noch Betreuungszeiten (Umgangskontakte) von dem Elternteil zulässig, der nicht Residenzelternteil ist?

Die Frage ist uneingeschränkt zu bejahen. Solange keine konkrete Gefahr für das Kind besteht, hat das Kind das Recht auf Betreuung durch beide Elternteile und die Eltern haben die Pflicht, das Kind auch nach der Trennung gemeinsam (nicht unbedingt zeitgleich) zu betreuen. Der in Art. 6 GG begründete grundrechtliche Schutz der Familie betrifft nicht nur die zusammenlebende, sondern auch die getrennte Familie. In deren innerstes Gefüge darf und kann der Staat nur dann eingreifen, wenn das Wohl des Kindes konkret gefährdet ist. Dies dient dem Schutz des Kindes.

Eine konkrete Gefährdung liegt aber nicht vor, wenn allgemein ‚Corona‘ umgeht. Der Infektionsgrad der bundesrepublikanischen Bevölkerung beträgt knapp 0,03%.[1] Die ergriffenen Maßnahmen der Landes- und Bundesregierung zur Vermeidung der Ausbreitung des Virus indizieren keinerlei konkrete Gefahr für das jeweilige Kind, sondern dienen der allgemeinen Gefahrenabwehr.

Eine Weigerung des Residenzelternteils auf Zulassung der Betreuung des gemeinsamen Kindes durch den anderen Elternteil, die auf die allgemeine Gefahr einer Ansteckung gestützt würde, verletzt dessen elterliches Grundrecht und die des Kindes. Im Übrigen ist ja auch nicht garantiert, dass eine Ansteckung des Kindes nicht auch beim und durch den Residenzelternteil erfolgt. Dies gilt auch dann, wenn der Elternteil, der nicht Residenzelternteil ist, zum Zweck der Realisierung seiner Betreuungsanteile mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreist.

Anders kann zu entscheiden sein, wenn die Voraussetzungen einer Quarantäne des Elternteils nach § 30 IfSG vorliegen. Dies wäre dann der Fall, wenn der Betreuungszeiten geltend machende Elternteil innerhalb der Inkubationszeit von 14 Tagen aus einem vom Robert-Koch-Institut als Risikogebiet[2] eingestuftem Gebiet eingereist ist oder sich dort aufgehalten hat. In diesem Fall kann eine konkrete Gefährdung des Kindes angenommen werden und eine Beschränkung von Betreuungszeiten durch den anderen Elternteil angezeigt sein.

Sind Umgangskontakte von Großeltern mit den Kindern zulässig?

Umgangskontakte von Kindern mit ‚Dritten‘, also von Bezugspersonen, die nicht die Eltern sind, sind leichter zu beschränken als die der Eltern. Nach der gesetzlichen Konzeption des § 1685 Abs. 1 BGB sind sie im Interesse des Kindeswohls zuzulassen. Ihre Beschränkung setzt damit keine Kindeswohlgefährdung voraus. Die Einstufung von Großeltern-Enkelkontakten durch das RKI als risikoreich würde daher m.E. eine Beschränkung und Aussetzung solcher Kontakte rechtfertigen. Dazu finden sich allerdings bislang keine Hinweise. Die angeblichen Warnungen werden vielmehr von kompetenter Seite als fehlerhaft bewertet.[3] Soweit erkennbar ist bislang von medizinisch kompetenter Seite ein generationsübergreifendes Kontaktgebot nie gefordert worden. Allenfalls dem Schutz der Großeltern vor einer Infektion könnte ein solches Distanzverbot dienen, nicht aber dem Schutz der Kindern. Bislang sind keine Bevölkerungsgruppen ausgemacht worden, die schneller oder leichter angesteckt werden, wohl aber solche, bei denen das Virus gravierendere Erkrankungsverläufe aufzeigt. Ein Distanzgebot kann daher m.E. von den Kinder betreuenden Elternteilen nicht ohne weiteres den Großeltern gegenüber ausgesprochen werden. Diese sind als mündige Erwachsene selbst für ihren Schutz zuständig.

Anders könnten Pflegeheim, in denen Großeltern leben, den Kontakt der Heimbewohner innerhalb des Heimes mit anderen Personen ausschließen oder begrenzen, wenn dadurch die Ansteckungsgefahr anderer Heimbewohner steigen würde. Diese Befugnis beschränkt sich aber auf den unmittelbaren Heimbereich. Weder kann ein Pflegeheim seinen Bewohnern den ‚Ausgang‘ noch aushäusige Kontakte zu den Enkeln verbieten.

Einsicht in Corona-Testergebnisse

Ist ein Elternteil auf den Corona-Virus getestet worden und verlangt der andere Elternteil Information über das Testergebnis, wird eine solche in der Regel gegeben werden. Erfolgt die Information nicht, löst dieses Verhalten des anderen Elternteils zwar wahrscheinlich Kopfschütteln, nicht aber einen konkreten Verdacht auf eine bestehende Corona-Infektion aus.

Weiß ein Elternteil allerdings um seine Infizierung und übernimmt gleichwohl, ohne den anderen Elternteil davon in Kenntnis zu setzen, die Betreuung des Kindes, kann dies als Kindeswohlgefährdung angesehen werden, schließlich käme bei einer Übertragung der Infektion auf das Kind auch eine Straftat in Betracht.[4]

Sind Auslands- und Urlaubsreisen mit Kindern zulässig?

Die Frage ist eher akademischer Natur, da inzwischen weltweite Reisebeschränkungen bestehen, die touristische Reisen komplett unmöglich machen. Da aber zu erwarten ist, dass die derzeitigen Beschränkungen nicht ewig bestehen bleiben, ist eine Beschränkung von Reisekontakten minderjähriger Kinder mit einem Elternteil nur dann möglich, wenn

  • eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes für das betreffende Land oder Gebiet besteht, oder
  • das Zielgebiet als Infektionsrisikogebiet durch das Robert-Koch-Institut eingestuft wird,
  • die konkrete Gefahr besteht, dass dem anderen Elternteil das Kind entzogen werden soll und der die Reise begleitende Elternteil nicht mit dem Kind nach Deutschland zurückkehren wird,
  • die Aufrechterhaltung einer für das Kind notwendigen medizinischen Behandlung am beabsichtigten Aufenthaltsort des Kindes nicht gewährleistet ist.

Andere die Betreuung und Kontakte des Kindes mit einem Elternteil oder Bezugspersonen betreffende Beschränkungen sind nur unter dem allgemeinen Aspekt einer konkreten Gefährdung des Kindeswohls denkbar. ‚Ungute‘ Gefühle, allgemeine Ängste und Befürchtungen reichen nicht aus.

Will also ein iranischer Vater mit Arbeitsplatz und Vita in Deutschland mit seiner 5-jährigen Tochter einen 14-tägigen Urlaub in Marokko verleben, stellt die Vermutung, er werde den Aufenthalt in Marokko nutzen, um mit seiner Tochter in den Iran zu fliegen (der als Corona-Risikogebiet geführt wird), um die Tochter dort der Familie zu präsentieren und eventuell nicht mehr zurückzukehren, sicher nicht aus, eine Umgangsbeschränkung zu rechtfertigen.

Schlussbemerkung

Der derzeitige kollektive Erregungszustand wird hoffentlich bald nüchterner Gelassenheit weichen. Es ist zu hoffen, dass die individuellen Freiheitsrechte der Bürger nicht leichtfertig einem sich zwischen Presse und Exekutive des Bundes und der Länder aufschaukelndem Bekämpfungsradikalismus geopfert werden. Dies zu verhindern ist gerade die Anwaltschaft berufen. Wir sind nicht Sprachrohr oder sogar Verstärker irrationaler Hysteriker, sondern haben die Aufgabe, das Kindeswohl sinnvoll zu verteidigen.

Individuelle Gesundheit ist zwar ein hohes Gut und ein wichtiges Menschenrecht. Sie ist aber nicht alles. Für die grundrechtlich garantierten Freiheitsrechte, das Versammlungs-, das Demonstrations-, das Recht auf Bewegungsfreiheit im Bundesgebiet, sind unzählige Deutsche und später Millionen Russen, Amerikaner, Engländer, Franzosen, Polen, Kanadier, Australier und Angehörige vieler anderer Nationen gestorben. Es wäre fatal, wenn auch die Juristen das Gespür für die Balance des Schutzes der kollektiven und individuellen Bürgerrechte in Konkurrenz zum Schutz individueller Gesundheit verlören. Einmal gebrochene Deiche sind schwer zu reparieren.

[1] https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Fallzahlen.html

[2] https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikogebiete.html

[3] https://www.evangelisch.de/inhalte/167483/20-03-2020/corona-krise-kinderaerzte-praesident-warnt-vor-haeuslicher-gewalt

[4] Vgl. die gleiche Fragestellung bei HIV-Infektionen.