Corona-Krise – Auswirkungen auf Jahresabschluss und Lagebericht

Viele börsennotierte Unternehmen haben ihren Jahresabschluss zum 31.12.2019 bereits im Februar 2020 aufgestellt und die Prüfung ist beendet. In diesem Fällen schlagen sich die Folgen des Coronavirus meist nur in einer kurzen Bemerkung im Chancen- und Risikobericht nieder. Anders ist dies bei der mittelständischen GmbH, bei der die Erstellung und Prüfung des Jahresabschlusses aktuell meist noch nicht abgeschlossen ist und somit in eine Zeit fällt, in der die massiven wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie deutlich werden. Daher stellt sich die Frage, welche Konsequenzen sich für den Jahresabschluss zum 31.12.2019 oder gar bei vom Kalenderjahr abweichendem Geschäftsjahr bspw. auf den 31.3.2020 ergeben.

  1. Wertbegründendes oder wertaufhellendes Ereignis

Für den Jahresabschluss gilt grds. das Stichtagsprinzip (§ 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB). Bei der Frage, ob ein Vermögensgegenstand in der Bilanz auszuweisen ist und zu welchem Wert er anzusetzen ist, sind alle Umstände zu berücksichtigen, die am Bilanzstichtag objektiv gegeben sind. Umstände, die erst nach dem Abschlussstichtag eintreten, sind bei der Bilanzierung oder Bewertung nicht zu berücksichtigen (wertbeeinflussende Tatsachen). Im Allgemeinen ist davon auszugehen, dass zwar erste Infektionen in China bereits 2019 bestanden, aber erst der sprunghafte Anstieg der Ausweitung der Infektion ab Januar 2020 zu den wirtschaftlichen Schwierigkeiten geführt hat und damit das Auftreten des Coronavirus als weltweite Gefahr wertbegründend einzustufen ist und dementsprechend die bilanziellen Konsequenzen im Jahresabschluss zum 31.12.2019 noch nicht zu ziehen sind.

  1. Grundsatz der Unternehmensfortführung

Allerdings erlangt die Bilanzierungsgrundregel, wonach der Jahresabschluss grds. unter Annahme der Fortführung des Unternehmens (Going-Concern-Konzept) aufzustellen ist, besondere Beachtung. Dies insbesondere, weil bei dieser Prüfung wertbegründende Ereignisse nach dem Stichtag bis zur Feststellung des Jahresabschlusses, die zu einem Wegfall der Fortführungsannahme führen, auf den Jahresabschluss zurück zu beziehen sind – Durchbrechung des Stichtagsprinzips. Dieser über den Bilanzstichtag hinausgehende Betrachtungszeitraum muss in der aktuellen Lage Anlass sein, die Frage, ob die Going-Concern-Annahme aufrechterhalten werden kann, sehr sorgfältig abzuwägen und dies entsprechend zu dokumentieren, denn alleine die behördlichen Einschränkungen für manche Branchen oder die Nichterreichbarkeit oder Nichtverfügbarkeit von Absatzmärkten müssen als Indizien für eine mögliche Durchbrechung der Fortführungsprognose gewertet werden. Insoweit muss in bestimmten Branchen aktuell davon ausgegangen werden, dass nicht nur allgemeine Unternehmensrisiken bestehen, sondern dies bestandsgefährdende Ausmaße annimmt. Dies erfordert dann zwingend die Erstellung einer Fortführungsprognose.

Bei prüfungspflichtigen Unternehmen ist die Anwendbarkeit der Going-Concern-Prämisse Prüfungsgegenstand. Insofern muss in Zweifelsfällen die Unternehmensführung ausreichende Nachweise für die der Aufstellung des Jahresabschlusses zu Grunde gelegte Annahme beibringen.

Im Mittelpunkt steht eine detaillierte Liquiditätsvorschau auf Basis einer Unternehmensplanung, insbesondere in Gestalt einer Produktions-/Absatzplanung. Umfang und Tiefe der Fortführungsprognose wird durch Umfang und Komplexität der Geschäftstätigkeit und die bestehenden Risiken im konkreten Fall bestimmt. Dabei sind in der aktuellen Situation insbesondere zu berücksichtigen:

  • Rahmenbedingungen der Bundesländer hinsichtlich der Einschränkungen beruflicher Betätigungen in Form von angeordneten Betriebsschließungen oder besonderen Hygienemaßnahmen;
  • Einschränkungen hinsichtlich ausländischer Beschaffungs- oder Absatzmärkte;
  • bereits zugesagte oder zumindest ausreichend sichere Hilfen des Staates;
  • Maßnahmen zur Reduktion von Kosten, wie Kurzarbeit, wegfallende Aufwendungen, Abreden mit Vermietern über die Herabsetzung oder Stundung von Mietzahlungen oder bspw. Abreden mit Banken über die Stundung von Kreditraten;
  • Maßnahmen zur Sicherung der Tätigkeit, wie vermehrter Onlinehandel, Home-Office der Mitarbeiter und Vorbereitung auf die Phase, in der unter hygienischen Auflagen Tätigkeiten wieder aufgenommen werden dürfen;
  • zu berücksichtigen sind die geänderten rechtlichen Rahmenbedingungen durch das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht v. 27.3.2020 (hierzu Hölzle/Schulenberg, ZIP 2020, 633; Thole, ZIP 2020, 650);
  • einer besonders sorgfältigen Erstellung der Fortführungsprognose bedarf es dann, wenn das Unternehmen bereits vor der Corona-Pandemie wirtschaftliche Schwierigkeiten hatte.

Zu Ansatz und Bewertung bei Abkehr von der Going-Concern-Prämisse, siehe auch Schiffers in GmbH-Handbuch, Rz. II 4571, 4630, 4661.

  1. Berichtspflichten im Anhang

Bestehen wesentliche Unsicherheiten, die Zweifel an der Fähigkeit des Unternehmens zur Fortführung der Unternehmenstätigkeit aufwerfen können, und werden diese nicht spätestens bis zum Zeitpunkt der Beendigung der Aufstellung des Abschlusses ausgeräumt, so erfordert dies eine Angabe im Anhang (hierzu IDW PS 270 n.F. Rz. 9).

Des Weiteren ergibt sich regelmäßig eine Berichtspflicht im Rahmen der Nachtragsberichterstattung im Anhang. Hierzu Schiffers in GmbH-Handbuch, Rz. II 2328.

M.E. besteht in der aktuellen Wirtschaftslage eine Erläuterungspflicht im Anhang für nahezu alle Unternehmen, insbesondere wenn Produktionsausfälle bestehen oder die Tätigkeit aufgrund behördlicher Auflagen aktuell nicht ausgeübt werden kann. Dies gilt erstrecht dann, wenn vorstehende Aspekte zusammen treffen mit einer schwierigen wirtschaftlichen Lage des Unternehmens bereits vor der durch die Corona-Pandemie ausgelösten Wirtschaftskrise. Aufgrund der Breitenwirkung der aktuellen wirtschaftlichen Krise ist m.E. auch im Falle der Nichtbetroffenheit des Unternehmens eine aussagekräftige Negativanzeige angezeigt. Art und Umfang der Angabepflicht sind dann unternehmensindividuell zu prüfen.

  1. Auch bei Einstufung der Corona-Pandemie als wertbegründendes Ereignis können sich bilanzielle Auswirkungen ergeben

Auch kann selbst dann, wenn sich durch die Corona-Pandemie auf Grund einer Einstufung als wertbegründendes Ereignis noch keine unmittelbaren bilanziellen Auswirkungen auf den Jahresabschluss zum 31.12.2019 ergeben, dies zum Anlass genommen werden, den Ermessensspielraum bei Ansatz und Bewertung hin zu einer vorsichtigen Bilanzierung zu nutzen, um Vorsorge für die in 2020 eintretenden Belastungen zu treffen. Insoweit erlangt die Bilanzpolitik im Jahresabschluss zum 31.12.2019 eine besondere Rolle.

  1. Lagebericht

Die aktuellen Entwicklungen müssen sich regelmäßig in der Risikoberichterstattung des Lageberichts niederschlagen. Im Einzelfall können die aktuellen Rahmenbedingungen natürlich auch Chancen bringen, die dargestellt werden müssen. So bspw. bei einem Medizintechnikunternehmen oder einem Onlineversand.

Auch ist die Prognoseberichterstattung (voraussichtliche Entwicklung der Kapitalgesellschaft mit ihren wesentlichen Chancen und Risiken) an die aktuellen Entwicklungen anzupassen. Die aktuell bestehende große Unsicherheit ist ggf. über verschiedene Zukunftsszenarien abzubilden.

Siehe zu alledem in Kürze auch Schiffers in GmbHR 10/2020.

Mehr zum Autor: WP/StB Prof. Dr. Joachim Schiffers ist Partner der Warth & Klein Grant Thornton AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Zu aktuellen Hilfestellung rund um die Thematik „Corona-Krise“: https://www.wkgt.com/themen/

 

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