BGH lehnt Verpflichtung des Darlehensgebers zur Zahlung von Negativzinsen ab

Negativzinsen sind seit einigen Jahren in der Diskussion und dies im Aktiv- wie Passivgeschäft der Banken (vgl. Renner, AcP 222 [2022], 217 ff. m.w.N.). Mit Urteil vom 9.5.2023 – XI ZR 544/21 hat der XI. Zivilsenat des BGH nun erstmals die Verpflichtung eines Darlehensgebers zur Zahlung von Negativzinsen abgelehnt. Das klagende Land hatte als Darlehensnehmerin einen Darlehensvertrag mit Zinsgleitklausel geschlossen, in welchem der Vertragszins mit einem Abstand von 0,1175 % an den 3-Monats-Euribor gebunden war. Als der Referenzzinssatz hinreichend ins Negative schlug, forderte das Land auf Basis der Gleitklausel „Negativzinsen“ von der darlehensgebenden Bank.

  1. Orientierung des BGH am Wortlaut des § 488 BGB

Der BGH wies die Klage unter Hinweis auf den – im konkreten Vertrag bestätigten – Wortlaut des § 488 Abs. 1 BGB ab. In der Vorschrift heißt es bekanntlich: „Durch den Darlehensvertrag wird der Darlehensgeber verpflichtet, dem Darlehensnehmer einen Geldbetrag in der vereinbarten Höhe zur Verfügung zu stellen. Der Darlehensnehmer ist verpflichtet, einen geschuldeten Zins zu zahlen und bei Fälligkeit das zur Verfügung gestellte Darlehen zurückzuzahlen.“ Aus dem zweiten Satz dieser gesetzlichen Formulierung ergibt sich, dass der Darlehensnehmer den Zins schuldet und damit umgekehrt eine Zinszahlungspflicht des Darlehensgebers ausgeschlossen ist. Das war für den BGH entscheidend.

Das neue BGH-Urteil ist für alle Darlehensverträge mit Zinsgleitklausel bedeutsam. Im konkreten Fall stellt der BGH zwar zusätzlich auf die Formulierung des konkreten Darlehensvertrags ab, in dem es in Ziff. 6. heißt, der Darlehensschuldner (= Darlehensnehmer) werde die Zins- und Tilgungsleistungen auf ein Konto des Darlehensgläubigers (= Darlehensgebers) überweisen. Darin sieht der BGH aber letztlich nur eine Bestätigung der Regelung aus § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB über die Pflicht des Darlehensnehmers, Zins und Tilgung leisten zu müssen. Sollte eine vergleichbare Formulierung in einem anderen Darlehensvertrag nicht enthalten sein, ist kaum denkbar, dass der BGH den Fall deshalb anders beurteilen würde.

Das Urteil gilt für Darlehen, die mit Verbrauchern und Unternehmern vereinbart wurden, gleichermaßen. Bekanntlich hat nämlich der XI. Zivilsenat auch in einem anderen rechtlichen Zusammenhang – der Frage nach einer (Un-)Zulässigkeit von laufzeitunabhängigen Einmalentgelten – seine primär auf den Wortlaut des § 488 BGB gestützte Argumentation auf beide Fälle angewendet (vgl. zu Verbraucherdarlehen BGHZ 201, 168 = ZIP 2014, 1266; BGH ZIP 2014, 1369; zu Unternehmerdarlehen BGHZ 215, 172 = ZIP 2017, 1610).

  1. Relevanz des Parteiwillens bei Zinsgleitklauseln

Doch erscheint der (alleinige) Hinweis auf den Wortlaut des § 488 BGB nicht nur im Fall der Einmalentgelte fragwürdig, welche in der Praxis absolut üblich waren und lange Zeit von der Rechtsprechung akzeptiert wurden (vgl. die Kritik bei Bitter, JZ 2015, 170 ff. m.w.N.; Bitter/Linardatos, ZIP 2018, 1203 und 2249 ff.; Casper/Möllers, BKR 2014, 59 ff.; Becher/Krepold, BKR 2014, 45 ff.; Piekenbrock/Ludwig, WM 2012, 2349 ff.; Müller/Marchant/Eilers, BB 2017, 2243 ff.). Auch im hier entschiedenen Fall kann der Wortlaut jener zur Parteidisposition stehenden (!) Norm nicht von primärer Bedeutung sein. Die Vorschrift ist nämlich in einer Zeit formuliert worden, in der noch niemand an Negativzinsen gedacht hat. In einem völlig veränderten Marktumfeld tritt der Wortlaut jener „alten“ Vorschrift zurück und der privatautonome Wille der Parteien ist letztlich maßgebend. Dann aber kommt in der Zinsgleitklausel, die eine vertragliche Bindung an einen Marktzins enthält, deutlich der Wille zum Ausdruck, sich mit den Darlehenskonditionen dem konkreten Marktumfeld anpassen zu wollen. Und genau jenes Umfeld hatte sich nun in der Niedrigzinsphase eben verändert!

  1. Offene Frage nach Verwahrentgelten bei Girokonten

Spannend bleibt die Frage, wie der BGH entscheiden wird, wenn es in Zukunft um die Verpflichtung von Verbrauchern und Unternehmern gehen wird, für ihr auf Girokonten liegendes Geld „Negativzinsen“ im Sinne eines Verwahrentgelts zu zahlen. Diese Sache ist gerade erst zum XI. Zivilsenat getragen worden (Urteil des OLG Düsseldorf vom 30.3.2023 – 20 U 16/22, ZIP 2023, 902; Revision beim BGH unter dem Az. XI ZR 65/23). Das neue BGH-Urteil vom heutigen Tag erlaubt m.E. keine Einschätzung darüber, wie der Senat jenen Fall entscheiden wird, in dem nicht nur das Recht des Darlehens (§ 488 BGB), sondern auch das Recht der unregelmäßigen Verwahrung (§ 700 BGB) relevant wird. Der BGH kann insoweit – wie das OLG Düsseldorf – anders entscheiden und die Verpflichtung zur Zahlung von Verwahrentgelten (= Negativzinsen) durch die Kontoinhaber akzeptieren. Höchst wünschenswert wäre dies, weil von einer Bank nicht verlangt werden kann, die Kundengelder kostenfrei zu verwahren, wenn sie selbst bei der EZB Negativzinsen auf ihre Einlagen entrichten muss.

Prof. Dr. Peter O. Mülbert, Prof. Dr. Andreas Früh und Dr. Thorsten Seyfried im Interview zu aktuellen Entwicklungen im Bankrecht und im Kapitalmarktrecht

Im Bankrecht und im Kapitalmarktrecht immer auf dem neuesten Stand zu bleiben, ist selbst für Experten eine Herausforderung. Aktuell müssen sich Berater insbesondere mit neuen Entwicklungen bei den Bankprodukten und den bankrechtlichen Rahmenbedingungen, dem im Frühjahr verabschiedeten sog. Banking Reform Package sowie mit zahlreichen Neuerungen im Commercial Banking auseinandersetzen. Ich habe mit den Herausgebern des Handbuchs zum Bank- und Kapitalmarktrecht, Prof. Dr. Peter O. Mülbert[1], Prof. Dr. Andreas Früh[2] und Dr. Thorsten Seyfried[3], über die wichtigsten Veränderungen und deren Aufbereitung im neuen „Kümpel“ gesprochen.

Peters: Zum Einstieg würde ich gerne wissen, ob es wichtige allgemeine Tendenzen im Bank- und Kapitalmarktrecht gibt, die man unabhängig von einzelnen Bankdienstleistungen gewissermaßen „vor die Klammer ziehen“ könnte?

Mülbert: Ja, die gibt es und einige davon haben wir im „Kümpel“ in der Tat in der Einführung „vor die Klammer gezogen“: Zunächst ist zu nennen die Internationalisierung und dabei vor allem die weitere Europäisierung des Bankrechts. Diese geht im Übrigen einher mit einer weiteren Tendenz, nämlich der zunehmenden Auflösung der Grenzen zwischen dem öffentlichen und dem privaten Bankrecht – ganz einfach, weil das europäische Recht diese Unterscheidung so nicht kennt, sondern in Zielen denkt. Und schließlich driftet das verbraucherschützende Element des Bankrechts immer mehr in die Richtung eines paternalistischen Konzeptes eine Entwicklung, die so gar nicht zur Grundidee des BGB passen will.

Peters: Auch in der 5. Auflage stellt der „Kümpel“ der Darstellung der einzelnen Produkte des Commercial und des Investment Banking einen Teil zum Bankaufsichtsrecht voran. Was ist denn hier an Neuerungen besonders hervorzuheben?

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 Früh: Richtig, uns war es wichtig, den bankaufsichtsrechtlichen Rahmen systematisch gegliedert, mit bewusster Schwerpunktsetzung voranzustellen, wohingegen der Leser die Besprechung einzelner Vorschriften richtigerweise in Kommentaren suchen wird; ähnliches haben wir mit den Grundzügen des Kapitalmarktrechts vor dem Investment Banking gemacht. Als ganz aktuelles Thema ist sicherlich das sog. Banking Reform Package zu nennen, das erst am 16. April vom Europäischen Parlament verabschiedet wurde; wir sind daher froh, dass dieses dennoch bereits in die Neuauflage Eingang finden konnte. Hier wird es eine Vielzahl von Neuerungen in den Bereichen Eigenkapital, Liquidität und Verschuldung, sowie beim SREP-Prozess und im Meldewesen geben, die mit entsprechenden Befugnissen der Bankenaufsicht sowie Änderungen bei der Bankenabwicklung einhergehen. Dabei geht es letztlich darum, den Weg insbesondere für ein Einheitliches Europäisches Einlagensicherungssystem (EDIS) zu ebnen und damit die Europäische Bankenunion „zu vollenden“.

Peters: Welche Entwicklungen waren denn im Commercial Banking vor allem zu berücksichtigen?

Seyfried: Wirklich unzählige, da Gesetzgeber, Gerichte und Aufsichtsbehörden außerordentlich aktiv waren und sind. Insofern können wir hier nur einige wenige nennen: Bei den übergreifenden Themen wurden vor allem die Aufklärungspflichten der Banken deutlich ausgebaut und die von den Banken vereinnahmten Entgelte einer immer kritischeren Würdigung unterzogen. Im Zahlungsverkehr gibt es nicht nur eine Vielzahl technisch bedingter neuer Produkte und Haftungsfragen, sondern zugleich neue rechtliche Rahmenbedingungen. Im Einlagengeschäft sowie – spiegelbildlich – im Kreditgeschäft macht es das sog. Negativzinsumfeld notwendig, zu überlegen, wie man dieser Entwicklung rechtlich Rechnung tragen kann. Ganz generell sollen viele Produkte en-to-end digitalisiert werden; insbesondere das BGB ist hierauf noch nicht ausgerichtet.

Peters: Um noch einmal auf den „Kümpel“ zurückzukommen: Der ist ja gerade unter dem neuen Herausgeberteam erschienen. Ist die 5. Auflage im Wesentlichen eine Aktualisierung des Werkes oder gibt es neben den bereits genannten noch weitere Neuerungen?

Früh: Wir haben versucht, zunächst alle Stärken – und davon gibt es viele dieser von Siegfried Kümpel begründeten Gesamtdarstellung des Bankrechts und des Kapitalmarktrechts zu erhalten. Gleichzeitig wollten wir eine Reihe von Ideen umsetzen: Mit der noch konsequenteren Ausrichtung der Darstellung auf die Produkte und Dienstleistungen (und weniger auf die Rechtsgebiete) soll das Werk noch praxisbezogener sein. Auch das neue Autorenteam schafft eine Verbreiterung der Bankpraxis. Gleichzeitig soll durch die neuen Herausgeber und die Autoren eine Verbindung zur Wissenschaft und damit ein Beitrag zum wissenschaftlichen Diskurs gewährleistet werden. Den neuen Entwicklungen bei den Bankprodukten und den bankrechtlichen Rahmenbedingungen trägt eine behutsame Anpassung der Schwerpunktsetzung Rechnung.

 

[1] Prof. Dr. Peter O. Mülbert ist Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, Bankrecht, Universität Mainz, und Direktor des Instituts für deutsches und internationales Recht des Spar-, Giro- und Kreditwesens.

[2] Prof. Dr. Andreas Früh ist Rechtsanwalt, Syndikusrechtsanwalt und Honorarprofessor an der Universität Augsburg.

[3] Dr. Thorsten Seyfried ist General Counsel Germany & EMEA, General Counsel Wealth Management & PCC Int. und Managing Director bei der Deutschen Bank.

Das Interview hat Dr. Birgitta Peters, Geschäftsbereichsleiterin Recht im Verlag Dr. Otto Schmidt, geführt.