Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat einen Referentenentwurf für eine Verordnung veröffentlicht, nach der die bestehenden COVID-19-Erleichterungen zur Abhaltung von Gesellschafterversammlungen und (virtuellen) Hauptversammlungen bis Ende 2021 verlängert werden sollen. Im Referentenentwurf sind auch einige Hinweise enthalten, wie Gesellschaften künftig mit den Ausnahmeregelungen umgehen sollen.
Hintergrund
Als Reaktion auf die COVID-19-Pandemie hatte der Gesetzgeber am 27. März 2020 durch das Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie (BGBl. I S. 569, 570) verschiedene Maßnahmen eingeführt, um Gesellschafterversammlungen und Hauptversammlungen trotz der Pandemie durchführen zu können. Sämtliche Instrumente waren dabei bis zum 31. Dezember 2020 befristet. Von hoher praktischer Relevanz waren vor allem die gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten, virtuelle Hauptversammlungen durchzuführen und / oder eine ordentliche Hauptversammlung bis zum Ende des Geschäftsjahres (und nicht in den ersten acht Monaten) abzuhalten sowie GmbH-Beschlüsse in Textform oder durch schriftliche Abgabe der Stimmen auch ohne Einverständnis sämtlicher Gesellschafter zu fassen. Insbesondere von der Möglichkeit einer virtuellen Hauptversammlung haben nahezu alle Publikums-Aktiengesellschaften Gebrauch gemacht.
Erleichterungen für Hauptversammlungen auch in 2021
Der nun vorgelegte Verordnungsentwurf verlängert die bestehenden COVID-19-Sonderregelungen bis zum 31. Dezember 2021.
Das betrifft zum einen folgende Erleichterungen für die AG, die KGaA, den Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (VVaG) und die Europäische Gesellschaft (SE):
Möglichkeit der „virtuellen“ Hauptversammlung mit eingeschränkten Anfechtungsrechten, alternativ Online-Teilnahme an der Hauptversammlung auch ohne Satzungsermächtigung, Möglichkeit einer präsenzlosen Hauptversammlung mit eingeschränkten Anfechtungsmöglichkeiten, Möglichkeit der Verkürzung der Einberufungsfrist auf 21 Tage, Möglichkeit, Abschlagszahlungen auf den Bilanzgewinn auch ohne Satzungsregelung vorzunehmen, sowie (dies nicht für die SE) Ermöglichung der Durchführung der Hauptversammlung innerhalb des Geschäftsjahres) bis zum 31. Dezember 2021.
Virtuelle Hauptversammlungen nur noch bei Erforderlichkeit aufgrund der Pandemie im Einzelfall möglich
Der Referentenentwurf begrenzt in seiner Begründung die Option der virtuellen Hauptversammlung allerdings: Unternehmen können von diesem Instrument nur „im Einzelfall“ Gebrauch machen, wenn dies unter Berücksichtigung des konkreten Pandemiegeschehens erforderlich erscheint. Ziel sei es, durch die Verlängerung für diejenigen Unternehmen Planungssicherheit zu schaffen, die ihre ordentlichen oder außerordentlichen Hauptversammlungen in den ersten Monaten des Kalenderjahres 2021 abhalten wollen. Sollten Großveranstaltungen wieder möglich sein, seien die Gesellschaften keineswegs zur Abhaltung einer virtuellen Hauptversammlung gezwungen, sondern könnten wieder zur Präsenzversammlung zurückkehren oder hybride zweigleisige Formate wählen. Interessant ist zudem der Hinweis im Entwurf, wonach Gesellschaften auch Gelegenheiten zur entsprechenden Anpassung ihrer Satzungen oder Statute nutzen sollen. Dies kann als Indiz gewertet werden, dass auch künftig zumindest Mischformen der Normalfall sein werden.
Aktionärsfreundliche Umsetzung virtueller Hauptversammlung gefordert
Einen von der Praxis als wesentlich empfundenen Vorteil der virtuellen Hauptversammlung schafft die Begründung aber faktisch ab: Die Unternehmen sollen in Bezug auf Aktionärsfragen möglichst aktionärsfreundlich verfahren. Es sollte – im Rahmen der im Einzelfall zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten – gegebenenfalls ermöglicht werden, dass Fragen auch noch während der Hauptversammlung eingereicht werden können und nicht nur – wie bislang zumeist – bis zwei Tage vor der Versammlung. Zudem solle der Vorstand das ihm zustehende pflichtgemäße und freie Ermessen dahingehend ausüben, möglichst viele der eingereichten Fragen auch zu beantworten und nicht nur ausgewählte Fragen. Letzteres entsprach allerdings sowieso der überwiegenden Praxis in 2020.
Verlängerung der Einberufungsfrist für SE noch offen
Mangels nationaler Gesetzgebungskompetenz kann die Frage, ob auch die Einberufungsfrist für Europäische Aktiengesellschaften auf zwölf Monate (SE) verlängert wird, hingegen nur auf europäischer Eben entschieden werden (siehe zur Problematik in 2020 unseren Blog-Beitrag).
Auch GmbH-Beschlussfassungen in Textform weiterhin möglich
Der Verordnungsentwurf sieht zudem eine Verlängerung der Möglichkeit vor, abweichend von § 48 Abs. 2 GmbHG, Beschlüsse der GmbH-Gesellschafter in Textform oder durch schriftliche Abgabe der Stimmen auch ohne Einverständnis sämtlicher Gesellschafter zu fassen. Daneben sollen auch die bestehenden Erleichterungen im Recht der Genossenschaften sowie im Vereins- und Stiftungsrecht verlängert werden.
Längere Frist für Stichtagsbilanz bei Verschmelzungen / Spaltungen
Ebenfalls bis zum 31. Dezember 2021 verlängert werden soll die derzeitige Sonderregelung für Verschmelzungen und Spaltungen, wonach es abweichend von § 17 Abs. 2 Satz 4 UmwG für die Zulässigkeit der Handelsregistereintragung genügt, wenn die Bilanz auf einen höchstens zwölf Monate vor der Anmeldung liegenden Stichtag aufgestellt worden ist.
Fazit
Es bleibt abzuwarten, ob es im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens noch zu Änderungen kommt. Der Referentenentwurf ist noch nicht innerhalb der Bundesregierung abgestimmt und erste Kritik an den aktienrechtlichen Vorschriften von Fraktionen bereits vernehmbar. Länder und Verbände können bis zum 25. September 2020 Stellung nehmen. Auch wenn es zu keinen weiteren Anpassungen mehr kommen sollte, ist zu erwarten, dass Aktionärsschützer und Stimmrechtsberater auf eine aktionärsfreundliche Umsetzung der Sonderregelungen im Jahr 2021 drängen werden. Dies gilt umso mehr, als im regulierten Markt notierte Gesellschaften erstmals über das Vergütungssystem für den Vorstand und damit eine wesentliche Neuerung durch das ARUG II abstimmen müssen. Gesellschaften sollten daher in jedem Fall das Erfordernis einer virtuellen Hauptversammlung sorgfältig abwägen und frühzeitig nach technischen Möglichkeiten einer aktionärsfreundlichen Umsetzung Ausschau halten. Die geplante Verlängerung der bestehenden Erleichterungen im GmbH- und Umwandungsrecht ist ausdrücklich zu begrüßen.