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Die Professoren Stefan Leible, Peter Mankowski und Ansgar Staudinger im Interview zu grenzüberschreitenden B2B-Verträgen, der nicht einfachen Suche nach dem zuständigen Gericht bei grenzüberschreitenden Klagen und der dabei entscheidenden Frage, wie Mandanten zu ihrem Recht kommen sowie zum Komplex der grenzüberschreitenden Verbrauchersachen

Andreas Pittrich  Andreas Pittrich
Rechtsassessor, Verlagsleiter und Prokurist Otto Schmidt Verlagskontor und Otto Schmidt/De Gruyter

Grenzüberschreitende Mandate nehmen in der anwaltlichen Praxis von Jahr zu Jahr zu. Die damit verbundenen Fragestellungen sind vielfältig, häufig schwer und mit hohem Rechercheaufwand zu beantworten. Daran orientiert, haben die Autoren des gerade in 5. Auflage erschienenen Bandes „Brüssel Ia-VO“ aus der Reihe „Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht“ ihre Kommentierung konsequent ausgerichtet. Die drei Autoren des Bandes standen mir für einige sehr unterschiedliche praxisrelevante Fragen zur Verfügung.

Pittrich: Vielen Dank, dass Sie uns für das Interview zur Verfügung stehen. Ich darf, Herr Professor Mankowski, mit der Frage beginnen, mit denen viele grenzüberschreitend beratende Anwält_innen konfrontiert sind: Gibt es für die Gestaltung grenzüberschreitender B2B-Verträge eigentlich etwas Wichtigeres als Gerichtsstandsvereinbarungen?

Mankowski: Ein klares Nein. Die Dispute Resolution Clause sollte am Anfang jeder seriösen „internationalen“ Vertragsgestaltung stehen. Im europäischen Raum ist Art. 25 Brüssel Ia-VO von überragender Bedeutung. In der täglichen Praxis sind Spezialfragen und Details zu klären, z.B. zu Unternehmensverbünden, Mehrparteienvereinbarungen oder Konflikten zwischen mehreren Gerichtsstandsvereinbarungen. Das spiegelt sich auch in einer Vielzahl von Entscheidungen des EuGH wider.

Pittrich: Eine andere Frage, die ich immer wieder aus der Praxis höre, ist: Wo ist die „Grenze“ zwischen grenzüberschreitendem Zivil- und Öffentlichem Recht?

Mankowski: Die Abgrenzung zwischen Zivilsachen einerseits und öffentlich-rechtlichen Sachen hat sich zu einem Dauerbrenner entwickelt. Hier ist die Grenze für eine Vielzahl von Gebieten, z.B. für die staatliche Exportförderung durch Bürgschaften und Garantien, zu ziehen. Aktuelles Beispiel für die Bedeutung der Abgrenzung ist die Entscheidung des EuGH vom 7. Mai 2020 (C-641/18, ECLI:EU:C:2020:349 – LG/Rina SpA u. Ente Registro Italiano Navale): Auf welche Seite der Grenze fällt die Haftung eines Schiffszertifizierers, wenn eine Zertifizierung rechtlich zwingend vorgeschrieben ist? Das betrifft übrigens keineswegs nur die Schiffszertifizierung, sondern vielmehr jegliche Art von Pflichtzertifizierung.

Pittrich: Die nachfolgende Frage, Herr Professor Leible, hört sich einfacher an, als sie vielleicht ist: Wie findet man bei grenzüberschreitenden Klagen das zuständigen Gericht, damit die Mandanten schnell zu ihrem Recht kommen?

Leible: In der Tat ist diese Frage nicht so leicht zu beantworten, da sich, je nach Fall, viele unterschiedliche Fragen anschließen. Um die Komplexität der Frage zu verdeutlichen möchte ich mit „Gegenfragen“ antworten. Grenzüberschreitende Verträge sind einer der häufigsten Gründe für grenzüberschreitende Klagen. Aber wie bestimme ich das für Streitigkeiten aus solchen Verträgen zuständige Gericht, wenn es an einer Gerichtsstandsvereinbarung fehlt? Wie bestimme ich autonom, d.h. ohne Rückgriff auf das nationale Recht, nach der Brüssel Ia-VO den vertraglichen Erfüllungsort? Welche Besonderheiten gelten für Kauf- und welche für Dienstleistungsverträge? Wie und vor allem unter welchen Voraussetzungen wirken Erfüllungsortvereinbarungen? Und was gilt bei mehreren Liefer- oder Leistungsorten? Es fehlt hier leider der Platz, um Ihre Frage zu beantworten, ich hoffe aber einen Einblick in die Problematik gegeben zu haben und erlaube mir auf meine ausführliche Kommentierung in „Brüssel Ia-VO“ zu verweisen.

Pittrich: Ein brennendes, aktuelles Problem sind über das Internet begangene unerlaubte Handlungen und die Bestimmung des Gerichtsstands. Was ist hier zu beachten?

Leible: Bei der ohnehin häufig schwierigen Bestimmung des Gerichtsstands bei grenzüberschreitenden Delikten, spielen seit dem Eintritt in das elektronische Zeitalter über das Internet begangene unerlaubte Handlungen eine besondere Rolle. Maßgeblich ist auch hier grundsätzlich der Ort des Eintritts des schädigenden Ereignisses. Für Internetdelikte hat der EuGH in den vergangenen Jahren freilich die Kriterien zur Bestimmung des Schadensortes weiterentwickelt und verfeinert. Dies gilt ebenso für die gerade auch im grenzüberschreitenden Bereich in letzten Jahren immer bedeutsamer gewordenen Fälle er Veruntreuung von Anlagegeldern oder des Kapitalanlagebetrugs.

Pittrich: Herr Professor Staudinger, von erhebliche Praxisrelevanz sind grenzüberschreitende Verbrauchersachen, die in den Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO geregelt sind. Wie sieht es aus, wenn ein privater Kapitalanleger, möglicherweise in Millionenhöhe, Geld investiert? Gilt auch der als Verbraucher?

Staudinger: In der Tat geht es hier um eine Abgrenzungsfrage. Eine Antwort gibt der Europäische Gerichtshof in seiner aktuellen Entscheidung vom 2. April 2020 (Rechtsache C-500/18). So hängt die Verbrauchereigenschaft für das Internationale Zivilverfahrensrecht lediglich davon ab, dass eine natürliche Person mit dem Abschluss des Vertrages einen privaten Zweck verfolgt. Die Höhe der investierten Geldbeträge oder auch die Anzahl von durchgeführten Transaktionen sind insofern irrelevant.

Pittrich: Haben Sie einen Tipp, welcher Punkt oder welche Regelungen bei der Beantwortung von Zuständigkeitsfragen in Verbrauchersachen des Unionsprivatrechts zusätzlich zu beachten sind?

Staudinger: Wichtig ist bei der Beantwortung der Frage nach der Zuständigkeit in grenzüberschreitenden Verbrauchersachen, dass immer auch das anwendbare Recht nach Maßgabe der Rom I-VO in den Blick genommen wird. Ein Beispiel hierfür ist die Kontrolle von Gerichtsstandsvereinbarungen zwischen Unternehmern und Verbrauchern. Derartige Gerichtsstandsklauseln werden nicht nur nach Art. 19 und Art. 25 Brüssel Ia-VO überprüft, sondern gleichermaßen anhand des AGB-Rechtes. Doch welches AGB-Recht ist überhaupt einschlägig bei einem internationalen Sachverhalt? Hier sind die einschlägigen Regelungen der Rom I-VO mitzuberücksichtigen.

Pittrich: Herzlichen Dank für das Interview!

[1] Professor Dr. Stefan Leibleist Präsident der Universität Bayreuth, und hat dort den Lehrstuhl Zivilrecht IV: Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung inne. Seine Forschungsschwerpunkte liegen vor allem im deutschen und europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht und der Privatrechtsvergleichung.

[2] Professor Dr. Peter Mankowski ist Ordinarius für Bürgerliches Recht, Rechtsvergleichung und Internationales Privat- und Prozessrecht an der Universität Hamburg. Er veröffentlicht in deutscher und englischer Sprache, mit dem Schwerpunkt des internationalen Privat- und Prozessrechts. Weitere Themenbereiche seiner Publikationen sind: Allgemeines Zivilrecht, Lauterkeitsrecht, Verbraucherschutzrecht, Schiedsrecht und Internationales Einheitsrecht sowie Rechtsvergleichung.

[3] Professor Dr. Ansgar Staudinger ist Universitätsprofessor für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht, Deutsches und Internationales Verfahrensrecht, Europäisches Privatrecht, Versicherungsrecht sowie Rechtsvergleichung an der Universität Bielefeld. Er engagiert sich in vielen Institutionen und ist u.a Präsident des Deutschen Verkehrsgerichtstags und der Deutschen Gesellschaft für Reiserecht.

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