Anwaltsblog 27/2024: Wiedereinsetzung bei Störung des Intermediärs der Justiz

Ob einer Partei Wiedereinsetzung zu gewähren ist, wenn die elektronische Einreichung am Tage des Fristablaufs wegen einer technischen Störung auf Seiten des Gerichts nicht möglich war, hatte das OLG Celle zu entscheiden (OLG Celle, Beschluss vom 03.06.2025 – 14 U 226/24):

 Für die Beklagte und Berufungsklägerin lief die Frist zur Berufungsbegründung am 20.02.2025 ab. Ihr Prozessbevollmächtigter versuchte an diesem Tag vergeblich um 21:56 Uhr, 22:36 Uhr, 23:06 Uhr, 23:50 Uhr und 23:58 Uhr, die Berufungsbegründung mittels beA an das OLG zu übersenden. Der Intermediär des OLG war zwischen dem 20.02.2025 um 21:56 Uhr und 13:08 Uhr am 21.02.2025 nicht erreichbar. Der Prozessbevollmächtigte erhielt die Nachricht: „Oberlandesgericht Celle (29221 Celle) F001 Die Nachricht konnte nicht an den Intermediär des Empfängers übermittelt werden Fehlerhaft“ Eine beA-Störung des EGVP-Servers des OLG wurde auf keinem der üblichen Portale ausgewiesen, der Prozessbevollmächtigte konnte am Abend des Fristablaufs weitere beA-Nachrichten bei anderen Gerichten erfolgreich einreichen. Ausweislich der vorgelegten Ausdrucke wurde die Störung der Justiz-IT bei dem OLG Celle erst seit dem 21.02.2025 ausgewiesen; dort hieß es: „ACHTUNG: Eingeschränkte Erreichbarkeit der Justiz in Niedersachsen seit 20.02.2025, 20:44 Uhr – Ursache: Störung der Justiz-IT – Seit 20.02.2025, 20:44 Uhr treten Einschränkungen beim Versand an Gerichte und Behörden in Niedersachsen auf.“ Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten musste an dem in Rede stehenden Abend Schriftsätze mit Umfängen von 75 Seiten bzw. 112 Seiten übermitteln. Da die übliche Fax-Zeit 30 sec. pro Seite betrage, sei ihm eine Ersatzeinreichung per Telefax nicht fristwahrend möglich gewesen, nachdem auch um 23:06 Uhr die Einreichung per beA aufgrund der Störung unmöglich war.

 Der Beklagten ist Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren, weil sie gemäß § 233 Satz 1 ZPO ohne ihr Verschulden daran gehindert war, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten. Die Störung des Intermediärs der Niedersächsischen Justiz am Abend des 20.02.2025 stellte eine Verhinderung des fristgerechten Zugangs dar, der dem Verantwortungsbereich des Gerichts zuzuordnen ist. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten war daher nicht in der Lage, gemäß § 130d S. 1 ZPO den relevanten Schriftsatz fristgereicht einzureichen. Zwar normiert § 130d S. 2 ZPO, dass in diesen Fällen die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig bleibt – eine gesetzliche Pflicht zur fristgemäßen Ersatzeinreichung bei Vorliegen einer vorübergehenden technischen Störung lässt sich daraus jedoch dann nicht ableiten, wenn die Störung – wie hier – nicht der Partei des Rechtsstreits, sondern dem Gericht zuzurechnen ist. Ist wegen einer technischen Störung auf Seiten der Justiz keine Kommunikation mit dem Gericht möglich, besteht wegen einer darauf beruhenden Fristversäumnis ein Wiedereinsetzungsgrund. Der Absender muss dann auch keine andere Art der Einreichung wählen. Ob eine Ersatzeinreichung möglich, zumutbar und deshalb geboten ist, ist nach dem Verschuldensmaßstab des § 233 ZPO und den Umständen des jeweiligen Einzelfalles zu beurteilen. Zudem sind die Gerichte nach dem aus Art. 2 Abs 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip verbürgten Recht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes gehalten, bei der Anwendung der Vorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die Anforderungen an das, was der Betroffene zur Fristwahrung veranlasst haben muss, nicht zu überspannen. Vorliegend resultierte die Störung eindeutig aus dem Bereich des Gerichts. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat nach seinem glaubhaft gemachten Vortrag noch bis zum Ablauf der Berufungsbegründungsfrist versucht, den relevanten Schriftsatz auf dem gesetzlich vorgeschriebenen, elektronischen Wege über das beA einzureichen. Er war auch nicht gehalten, frühzeitig eine Ersatzeinreichung iSd. § 130d S. 2 ZPO zu beginnen, denn zum einen durfte er die Rechtsmittelbegründungsfrist bis zum Ende ausschöpfen, zum anderen durfte er darauf vertrauen, dass die Störung der gerichtlichen Erreichbarkeit bis zum Ablauf der Frist behoben sein würde. Ferner ist in die Betrachtung einzubeziehen, dass die Störung des Intermediärs noch nicht auf den üblichen Portalen gemeldet war – dies erfolgte erst am Folgetag bei Anhalten der technischen Störung – und es daher für den Parteivertreter offen war, ob er das Vorliegen der nur vorübergehenden technischen Störung im Verantwortungsbereich des Gerichts würde beweisen können, was für die Zulässigkeit einer wirksamen Ersatzeinreichung nach § 130 d S. 2 ZPO erforderlich gewesen wäre. Bei einer ex-ante-Betrachtung aller Umstände des hier zu betrachtenden Einzelfalls war daher von einem unverschuldeten Versäumen der Frist auszugehen, sodass der Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren war.

Fazit: Ist wegen einer technischen Störung auf Seiten der Justiz keine Kommunikation mit dem Gericht möglich, besteht wegen einer darauf beruhenden Fristversäumnis ein Wiedereinsetzungsgrund. Der Absender muss dann auch keine andere Art der Einreichung wählen. Eine gesetzliche Pflicht zur fristgemäßen Ersatzeinreichung bei Vorliegen einer vorübergehenden technischen Störung lässt sich aus § 130 d S. 2 ZPO jedenfalls dann nicht ableiten, wenn die Störung – wie hier – nicht der Partei des Rechtsstreits, sondern dem Gericht zuzurechnen ist.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Statthaftigkeit eines Einspruchs gegen ein Versäumnisurteil im schriftlichen Vorverfahren.

Einspruch gegen Versäumnisurteil im schriftlichen Vorverfahren
BGH, Urteil vom 11. Juni 2025 – IV ZR 83/24

Der IV. Zivilsenat entscheidet eine bislang umstrittene Rechtsfrage.

Der Kläger macht als Insolvenzverwalter gegen die Beklagte aus übergegangenem Recht einen Deckungsanspruch aus einer Vermögensschadenhaftpflichtversicherung für Geschäftsführer (D&O-Versicherung) in Höhe von 2 Millionen Euro geltend. Das LG hat das schriftliche Vorverfahren angeordnet und nach Ablauf der Frist für die Anzeige der Verteidigungsbereitschaft ein Versäumnisurteil erlassen. Dieses ist dem Kläger am 17. und der Beklagten am 19. Februar 2021 zugestellt worden. Am 18. Februar 2021 hat die Beklagte Einspruch „gegen ein möglicherweise bereits ergangenes Versäumnisurteil eingelegt. Am 4. Mai 2021 hat sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und erneut Einspruch eingelegt. Das LG hat das Versäumnisurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Das OLG hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Entgegen der Auffassung des OLG war der am 18. Februar 2021 eingelegte Einspruch statthaft. Ein im schriftlichen Verfahren ergangenes Versäumnisurteil wird zwar erst dann wirksam, wenn es allen Parteien zugestellt ist. Ein Einspruch gegen ein solches Urteil ist aber jedenfalls vom Zeitpunkt der ersten Zustellung an statthaft. Von diesem Zeitpunkt an kann das Gericht seine Entscheidung nicht mehr abändern. Spätestens dann gibt es keinen zureichenden Grund mehr, einer durch das Urteil beschwerten Partei die Einlegung eines Rechtsmittels zu verwehren.

Praxistipp: Trotz der Entscheidung des BGH sollte ein „auf Verdacht“ eingelegter Einspruch umgehend wiederholt werden, sobald das Versäumnisurteil der Partei zugestellt worden ist – und die Partei gebeten werden, die Zustellung sofort mitzuteilen. Ergänzende Ermittlungen, ob und zu welchem Zeitpunkt das Urteil den anderen Parteien zugestellt wurde, sind hingegen nicht erforderlich.

BGH: Wert der Beschwer für die Berufungsinstanz

Die Parteien sind Nachbarn. An Sylvester schoss der Kläger auf seinem Grundstück Böller ab. Die Beklagte sorgte sich um ihre Tiere (Pferde und Hunde) und fertigte Videoaufnahmen des Klägers an. Der Kläger erhob anschließend Klage und beantragte u. a., die Beklagte zu verurteilen, die aufgenommenen Bilder zu löschen und nicht zu verbreiten sowie es zukünftig zu unterlassen, Bilder des Klägers auf dessen Privatgrundstück anzufertigen. Darüber hinaus verlangte er Rechtsanwaltskosten aus einem Wert in Höhe von 5.000,00 Euro. Die Klage hatte Erfolg. Die Beklagte legte Berufung ein. Diese wurde von dem LG verworfen, weil die Beklagte nicht mit mehr als 500 Euro beschwert sei, weil der Wert des Löschungsanspruch diesen Wert nicht überschreite.

Die Beklagte legte die diesbezüglich stets zulässige (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) Nichtzulassungsbeschwerde ein und hatte damit Erfolg. Die Sicht des LG verletzt die Beklagten in ihrem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutz, da es den Zugang zu einer grundsätzlich eingeräumten zweiten Instanz in nicht zu rechtfertigender Weise erschwert. Das LG hat das Rechtsschutzziel der Beklagten nicht vollständig berücksichtigt. Es hat vorliegend lediglich den Anspruch auf Löschung berücksichtigt und diesen mit weniger als 500,00 Euro bewertet. Zu dem gleichzeitig geltend gemachten Anspruch auf Unterlassung hat es nichts gesagt. Deshalb kann es nicht ausgeschlossen werden, dass das LG, hätte es diesen Anspruch berücksichtigt, zu einer höheren Beschwer der Beklagten als die erwähnten 500 Euro gekommen wäre. Der BGH (Beschl. v. 25.3.2025 – VI ZB 32/24, MDR 2025, 879) setzte schließlich den Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren auf 1.000 Euro fest. Daraus folgt wohl, dass er den Unterlassungsanspruch in derselben Höhe bewerten möchte wie den Löschungsanspruch.

Obiter weist der BGH noch auf Folgendes hin: Da das AG die § 708 Nr. 11 und § 711 S. 1 ZPO bei der vorläufigen Vollstreckbarkeit angewendet hatte, musste das LG davon ausgehen, dass das AG nicht über die Zulässigkeit der Berufung entschieden hat (§ 511 Abs. 4 ZPO), weil es davon ausging, die Entscheidung unterliege ohnehin der Berufung. In einem solchen Fall muss das Rechtsmittelgericht nach ständiger Rechtsprechung vor einer Verwerfung des Rechtsmittels die Zulassungsprüfung nachholen. Dies allein rechtfertigt jedoch noch nicht eine unzumutbare Erschwerung des Zugangs zu der Berufungsinstanz. Notwendig hierfür wäre vielmehr, dass tatsächlich ein Zulassungsgrund vorliegt. Ein solcher war aber hier nicht ersichtlich und wurde auch von der Rechtsbeschwerde nicht dargelegt.

Fazit: Bei der Festsetzung des Streitwertes sowie auch des Wertes einer Beschwer sind stets alle Anträge zu berücksichtigen!

LG Frankfurt a. M.: E-Mail-Kommunikation mit dem Mandanten

Bei einer Entscheidung des LG Frankfurt a. M. (Beschl. v. 3.4.2025 – 2-13 T 21/25)  ging es obiter um eine Wiedereinsetzungsfrage im Zusammenhang mit einer Beschlussanfechtungsklage nach dem WEG, vgl. § 45 S. 2 WEG. Die Frist war versäumt worden. Der Rechtsanwalt hatte dem Mandanten rechtzeitig eine Mail mit der gerichtlichen Vorschussrechnung geschickt und darauf hingewiesen, dass der Vorschuss rechtzeitig einzuzahlen ist. Diese Mail war jedoch in dem SPAM-Ordner des Mandanten gelandet und blieb deshalb unbeachtet. Dies wurde erst zu spät im Rahmen eines Gesprächs zwischen Rechtsanwalt und Mandanten bemerkt.

Das LG Frankfurt a. M. erinnert in diesem Zusammenhang im Rahmen einer Beschwerdeentscheidung an die Rechtsprechung des BGH (Beschl. v. 18.11.2021 – I ZR 125/21, MDR 2022, 788), wonach der Versand einer einfachen E-Mail an den Mandanten nicht ausreicht, um bei fristgebundenen Nachrichten der Pflicht des Rechtsanwalts zu genügen. Vielmehr muss die Kenntnisnahme derartiger Nachrichten sichergestellt werden. Es muss also entweder eine Lesebestätigung angefordert werden oder bei dem Mandanten nachgefragt werden.

Im konkreten Fall sieht es daher für die beantragte Wiedereinsetzung schlecht aus. Wegen Besonderheiten des WEG-Verfahrens konnte diese Frage allerdings im konkreten Fall in der Beschwerdeinstanz unentschieden bleiben.

Fazit: Der Rechtsanwalt sollte sich somit bewusst sein, dass die heute übliche E-Mail-Kommunikation mit dem Mandanten in manchen Fällen durchaus besondere Haftungsrisiken mit sich bringt.

Anwaltsblog 26/2025: Signaturpflicht auch bei Nutzung eines sicheren Übermittlungswegs!

Mit dem Erfordernis der Wiedergabe des Anwaltsnamens am Ende des Schriftsatzes bei einer einfachen Signatur hatte sich erneut der BGH zu befassen (BGH, Beschluss vom 9. April 2025 – XII ZB 599/23):

 

Der Prozessbevollmächtigten der Beklagten, einer Einzelanwältin, ist das Urteil des Landgerichts am 4. August 2023 zugestellt worden. Mit Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten vom 4. September 2023 ist auf einem sicheren Übermittlungsweg aus einem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) Berufung eingelegt und durch Schriftsatz vom 22. September 2023 begründet worden. Beide Schriftsätze enden mit der Bezeichnung „Rechtsanwältin“, ohne dass sich darüber ein Name oder eine Unterschrift befindet. In den Transfervermerken findet sich in dem Feld „Qualifiziert elektronisch signiert“ die Angabe „nein“. Das OLG hat den von der Beklagten gestellten Wiedereinsetzungsantrag und die Berufung verworfen (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 4. Dezember 2023 – 9 U 141/23 –, MDR 2024, 462).

Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Das OLG ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Berufungseinlegung nicht formgerecht erfolgt ist, weil es an der nach § 130 a Abs. 3 Satz 1 ZPO erforderlichen einfachen Signatur fehlt. Die einfache Signatur besteht aus der Wiedergabe des Namens am Ende des Textes. Dies kann der maschinenschriftliche Namenszug unter dem Schriftsatz oder eine eingescannte Unterschrift sein. Die einfache Signatur soll – ebenso wie die eigene Unterschrift oder die qualifizierte elektronische Signatur – die Identifizierung des Urhebers der schriftlichen Verfahrenshandlung ermöglichen und dessen unbedingten Willen zum Ausdruck bringen, die volle Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen und diesen bei Gericht einzureichen. Fehlt es hieran, ist das Dokument nicht ordnungsgemäß eingereicht. Die einfache Signatur soll sicherstellen, dass die von dem Übermittlungsweg beA ausgewiesene Person mit der Person identisch ist, welche mit der wiedergegebenen Unterschrift die inhaltliche Verantwortung für das Dokument übernimmt. Dem genügen die von der Prozessbevollmächtigten der Beklagten eingereichten Schriftsätze nicht. Die Anfügung der Bezeichnung „Rechtsanwältin“ stellt keine Signatur dar. Damit sind die zwingenden Formerfordernisse nicht erfüllt.

Das Erfordernis der einfachen Signatur kann auch nicht deshalb als entbehrlich angesehen werden, weil die mit ihm verbundenen Zwecke auf anderem Weg erfüllt wären. Zwar spricht die gewählte Übermittlung auf einem sicheren Übermittlungsweg nach § 130 a Abs. 4 ZPO für die Identifizierbarkeit des Urhebers. Dennoch bietet der Briefbogen einer Anwaltskanzlei keine Gewähr für eine vollständige Aufzählung der in einer Kanzlei tätigen Rechtsanwälte und ist daher kein rechtssicherer Bezugspunkt für die Zuordnung der Verantwortlichkeit für einen Schriftsatz zu einem bestimmten Berufsträger. Dass im Briefbogen der Kanzlei nur ein Rechtsanwalt genannt ist, schließt nicht aus, dass ein dort nicht aufgeführter Rechtsanwalt die Verantwortung für den Schriftsatz übernommen hat.

Eine Wiedereinsetzung in die Berufungseinlegungsfrist kommt wegen des der Beklagten nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschuldens ihrer Rechtsanwältin nicht in Betracht.

 

Fazit: Die bloße Angabe der Berufsbezeichnung am Ende eines Schriftsatzes stellt keine Signatur dar. Erforderlich ist die Wiedergabe des Namens, etwa als maschinenschriftlicher Namenszug oder eingescannte Unterschrift. Auch wenn ein Schriftsatz über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) eingereicht wird, muss die einfache Signatur vorhanden sein. Dies gilt auch dann, wenn im Briefbogen der Kanzlei nur ein Rechtsanwalt genannt ist. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass ein dort nicht aufgeführter Rechtsanwalt die Verantwortung für den Schriftsatz übernommen hat (BGH, Urteil vom 11. Oktober 2024 – V ZR 261/23 –, MDR 2024, 1601).

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Präklusion neuen Vorbringens in der Berufungsinstanz.

Nicht bestrittenes neues Vorbringen in der Berufungsinstanz
BGH, Urteil vom 18. Juni 2025 – I ZR 82/24

Der I. Zivilsenat stellt klar, dass eine bloße Verspätungsrüge nicht ausreicht, um neues Vorbringen unberücksichtigt zu lassen.

Der Kläger ist Berufsfotograf. Für die Beklagte, die unter anderem Fitnessgeräte anbietet und Nahrungsergänzungsmittel vertreibt, hat er im Jahr 2011 für ein Honorar von 180 Euro mehrere Fotos angefertigt. Einen daraus gefertigten Bildausschnitt, der ihre Geschäftsführerin zeigt, hat die Beklagte auf den Verpackungen ihrer Nahrungsergänzungsmittel und in Werbematerialien verwendet. Der Kläger macht geltend, der Bildausschnitt sei millionenfach verwendet worden. Deshalb stünden ihm ein Anspruch auf Vertragsanpassung gemäß § 32a Abs. 1 UrhG sowie Ansprüche auf Auskunft und Rechenschaft gemäß § 242 BGB bzw. § 32d UrhG zu.

Das LG hat die auf Auskunft und Rechnungslegung und auf Feststellung der Pflicht zur Einwilligung in eine Vertragsänderung gerichtete Klage abgewiesen. In der zweiten Instanz hat der Kläger seine Ansprüche im Wege der Stufenklage weiterverfolgt. Das OLG hat die Beklagte antragsgemäß zu Auskunft und Rechnungslegung verurteilt.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Das OLG ist allerdings zu Recht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Auskunft und Rechnungslegung aus § 242 BGB bzw. § 32d UrhG erfüllt sind.

Zu Unrecht hat das OLG jedoch den Vortrag der Beklagten zur Verwirkung des Anspruchs gemäß § 531 Abs. 2 ZPO unberücksichtigt gelassen.

Die diesbezügliche Behauptung, der Kläger habe die Verwendung des Bildausschnitts über acht Jahre hinweg nicht beanstandet, obwohl er mit der Beklagten in ständiger Geschäftsbeziehung gestanden und monatliche Honorare in der Größenordnung von 15.000 Euro abgerechnet habe, ist zwar erstmals in zweiter Instanz erhoben worden, obwohl sie der Beklagten schon in erster Instanz möglich gewesen wäre. Der Vortrag muss dennoch berücksichtigt werden, weil der Kläger ihn nicht bestritten hat und unstreitiges Vorbringen nicht als verspätet zurückgewiesen werden darf.

Das OLG wird im wieder eröffneten Berufungsverfahren zu beurteilen haben, ob das vorgetragene Verhalten des Klägers zu einer Verwirkung des Anspruchs geführt hat.

Praxistipp: Die Entscheidung veranschaulicht, dass eine Partei unrichtigem Vortrag des Gegners auch dann inhaltlich entgegentreten muss, wenn er offensichtlich verspätet ist.

Anwaltsblog 25/2025: Kein Erfolgshonorar für Vermittlung der Zulassung zum Studium bei Nichtannahme des Studienplatzes

Der BGH hatte die Wirksamkeit einer Klausel in einem Vertrag über die Vermittlung eines Studienplatzes zu beurteilen, nach der die volle Vergütung bereits mit der Studienplatzzusage gezahlt werden muss (BGH, Urteil vom 5. Juni 2025 – I ZR 160/24):

Die Klägerin vermittelt deutschen Studienbewerbern Plätze in medizinisch-pharmazeutischen Studiengängen an ausländischen Universitäten. Der Beklagte beauftragte die Klägerin mit der Vermittlung eines Medizinstudienplatzes an der Universität Mostar/Bosnien. In den Vermittlungsbedingungen heißt es: „Erhält der Studienbewerber einen Studienplatz unter Mitwirkung der Klägerin, zahlt der Studienbewerber an die Klägerin ein Erfolgshonorar (netto) in Höhe einer Jahresstudiengebühr der jeweiligen Universität für den beauftragten Studiengang.“ In der Folge erklärte der Beklagte, er nehme Abstand vom Vertrag. Die Klägerin macht geltend, die Universität Mostar habe ihn bereits zum Studium zugelassen. Die Pflicht zur Zahlung des Vermittlungshonorars bestehe unabhängig davon, ob der Beklagte das Studium dort auch aufnehme. Das Landgericht wie Berufungsgericht haben die Klage auf Zahlung des Erfolgshonorars abgewiesen. Ein Provisionsanspruch bestehe nicht, weil die Honorarvereinbarung den Beklagten unangemessen benachteilige und daher unwirksam sei.

Die Revision der Klägerin wird zurückgewiesen. Nach § 307 Abs. 2 BGB ist eine unangemessene Benachteiligung im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist (Nr. 1) oder wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist (Nr. 2). Voraussetzung ist zunächst eine Benachteiligung des Vertragspartners von einigem Gewicht. Eine solche Benachteiligung ist iSv. § 307 BGB unangemessen, wenn der Verwender durch eine einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen.

Die gesetzliche Regelung, deren wesentlicher Grundgedanke für die gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB vorzunehmende Inhaltskontrolle der Vermittlungsbedingungen maßgeblich ist, ist dem Maklerrecht iSd. §§ 652 ff. BGB zu entnehmen. Dies gilt, obwohl es sich bei der Vermittlungsvereinbarung um einen gemischttypischen Vertrag handelt, der auch dienst- und werkvertragliche Elemente aufweist. Ein gemischter Vertrag bildet ein einheitliches Ganzes und kann deshalb bei der rechtlichen Beurteilung nicht in dem Sinn in seine verschiedenen Bestandteile zerlegt werden, dass beispielsweise auf den Mietvertragsanteil Mietrecht, auf den Dienstvertragsanteil Dienstvertragsrecht und auf den Kaufvertragsanteil Kaufrecht anzuwenden wäre. Der Eigenart des Vertrags wird vielmehr grundsätzlich nur die Unterstellung unter ein einziges Vertragsrecht gerecht, nämlich dasjenige, in dessen Bereich der Schwerpunkt des Vertrags liegt. Überwiegt ein Vertragsbestandteil und ist er deshalb für das Wesen dieses Vertrags prägend, so ist grundsätzlich das Recht dieses Bestandteils für den ganzen Vertrag entscheidend.

Nach den Vermittlungsbedingungen hat der Studienbewerber der Klägerin ein Erfolgshonorar in Höhe einer Jahresstudiengebühr der jeweiligen Universität für den beauftragten Studiengang zu zahlen, wenn er unter Mitwirkung der Klägerin einen Studienplatz erhält. Die Vergütungsregelung hält der Inhaltskontrolle nicht stand und ist daher unwirksam, weil sie den Auftraggeber gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unangemessen benachteiligt. Die Vergütung ist als Erfolgshonorar ausgestaltet. Sie sollte nicht erst mit dem Abschluss des Studienvertrags durch den Beklagten, sondern mit der Zulassung zum Studium durch die Universität, das heißt mit dem Nachweis einer Möglichkeit zum Vertragsschluss, verdient sein. Zum Leitbild des Maklervertrags gemäß § 652 BGB gehören die Erfolgsabhängigkeit der Provision, die Entschließungsfreiheit des Auftraggebers, die Ursächlichkeit der Maklertätigkeit für den Vertragsabschluss und die fehlende Verpflichtung des Maklers zur Leistungserbringung. Klauseln, welche die Entscheidungsfreiheit des Auftraggebers durch Zahlungsverpflichtungen einschränkten, sind deshalb regelmäßig als unangemessen und unwirksam zu bewerten. Ein Vertragspartner, der die volle Erfolgsvergütung bereits mit der Studienplatzzusage zahlen müsste, ist – gerade auch in Anbetracht der Höhe der Vergütung, die einer Jahresstudiengebühr entspreche – in seiner Entschließungsfreiheit über die Annahme dieses Studienplatzes beeinträchtigt. Dies benachteiligt den Auftraggeber unangemessen, da die Leistung für ihn bei einem Wegfall seines Interesses an dem Abschluss des Hauptvertrags keinen Wert habe.

Die Abweichung von den wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelungen zum Maklervertrag ist auch nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt. Zwar führt die Abweichung vom gesetzlichen Leitbild nicht zur Unwirksamkeit Allgemeiner Geschäftsbedingungen, wenn die Leitbildabweichung sachlich gerechtfertigt ist und die Wahrung des gesetzlichen Schutzzwecks auf andere Weise sichergestellt wird. Solche besonderen Umstände sind nicht ersichtlich.

 

Fazit: Gemischte Verträge, die Elemente verschiedener Vertragstypen aufweisen, sind nach dem Grundsatz zu beurteilen, dass der Eigenart des Vertrags grundsätzlich nur die Unterstellung unter ein einziges Vertragsrecht gerecht wird, nämlich dasjenige, in dessen Bereich der Schwerpunkt des Vertrags liegt. Ein gemischttypischer Vertrag, der zwar dienst- und werkvertragliche Elemente aufweist, im Schwerpunkt aber darauf gerichtet ist, Bewerbern aus Deutschland gegen Entgelt Studienplätze an ausländischen Universitäten zu vermitteln, ist bei der Prüfung der unangemessenen Benachteiligung unter dem Gesichtspunkt der Abweichung von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB) am Leitbild des Maklervertrags zu messen.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Bemessung des Restwerts eines Unfallwagens.

Subjektbezogene Schadensbetrachtung bei Beschädigung von Sicherungseigentum
BGH, Urteil vom 25. März 2025 – VI ZR 174/24

Der VI. Zivilsenat stellt klar, wessen Erkenntnismöglichkeiten bei der Berechnung eines Schadens maßgeblich sind.

Der Kläger verlangt Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall, für dessen Folgen die Beklagte als Haftpflichtversicherer in vollem Umfang einzustehen hat. Der Kläger hatte das beschädigte Fahrzeug bei der Seat Bank gekauft und im Rahmen einer Finanzierung an diese zur Sicherheit übereignet. Der von ihm beauftragte Sachverständige bezifferte den Unfallschaden mit rund 16.000 Euro. Hierbei ging er auf der Grundlage von drei regionalen Angeboten von einem Restwert in Höhe von 7.100 Euro aus. Die Beklagte beziffert den Restwert auf der Grundlage einer Internet-Recherche mit 10.290 Euro.

Wenige Wochen nach dem Unfall teilte die Seat Bank dem Kläger mit, die Finanzierung sei erledigt und er sei ermächtigt, Zahlungen aus dem Schadensereignis in Anspruch zu nehmen oder zu verlangen. Die unter Bezugnahme auf diese Erklärung erhobene Klage auf Zahlung von 3.190 Euro hatte in erster Instanz Erfolg. Das LG wies sie auf die Berufung der Beklagten hingegen ab.

Die Revision des Klägers bleibt ohne Erfolg.

Das LG hat den Klageantrag zu Recht als hinreichend bestimmt angesehen. Aus dem Vorbringen des Klägers geht hervor, dass er keinen eigenen Anspruch wegen Verletzung seiner Rechte als Sicherungsgeber und Besitzer geltend macht, sondern einen Anspruch der Seat Bank als Eigentümerin des Fahrzeugs im Zeitpunkt des Unfalls.

Ebenfalls zu Recht hat das LG die Klage als unbegründet angesehen.

Nach der Rechtsprechung des BGH ist ein Unfallgeschädigter grundsätzlich nicht gehalten, zusätzliche Ermittlungen zum Restwert des beschädigten Fahrzeugs anzustellen, wenn ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger in einem Gutachten, das eine konkrete Wertermittlung erkennen lässt, einen bestimmten Betrag als Wert auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat.

Etwas anderes gilt, wenn es sich beim Geschädigten um ein Unternehmen handelt, welches sich jedenfalls auch mit dem Verkauf von gebrauchten Kraftfahrzeugen befasst. Diese Voraussetzung ist im Streitfall nach dem unwidersprochen gebliebenen Vorbringen der Beklagten zwar nicht beim Kläger erfüllt, wohl aber bei der Seat Bank.

Der BGH hat bereits entschieden, dass bei Ersatzansprüchen eines Leasinggebers nicht die Erkenntnismöglichkeiten des Leasingnehmers maßgeblich sind, sondern diejenigen des Leasinggebers. Er tritt dem LG nunmehr darin bei, dass Entsprechendes bei Ersatzansprüchen eines Sicherungseigentümers gilt. Dafür spricht bereits, dass der Sicherungsnehmer in der Regel ein eigenes Interesse hat, den Restwert des Sicherungsguts nach der Beschädigung zu ermitteln.

Praxistipp: Eine Klage auf Schadensersatz wegen Beschädigung einer geleasten oder zur Sicherheit übereigneten Sache muss erkennen lassen, ob die Ansprüche auf das Eigentum des Leasinggebers bzw. Sicherungseigentümers oder auf die Rechtsstellung des Leasingnehmers bzw. Sicherungsgebers gestützt ist. Werden beide Rechtsgrundlagen geltend gemacht, muss die Reihenfolge angegeben werden.

Anwaltsblog 24/2025: Vertragsstrafe trotz Rücktritts vom Vertrag?

Nach § 325 BGB wird das Recht, bei einem gegenseitigen Vertrag Schadensersatz zu verlangen, durch den Rücktritt nicht ausgeschlossen. Die bisher höchstrichterlich nicht geklärte Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen dies auch für den Vertragsstrafenanspruch gilt, hatte der BGH zu entscheiden (BGH, Urteil vom 22. Mai 2025 – VII ZR 129/24):

Die Parteien schlossen am 18. Oktober 2018 einen notariellen Kaufvertrag, nach dem die Beklagte für netto 7.300.000 € ein sanierungsbedürftiges Fabrikgebäude zu einem Wohnhaus mit 27 Wohnungen umbauen und das Grundstück übereignen sollte. Gemäß Ziffer 5.9. hatte die Fertigstellung spätestens bis zum 17. Oktober 2020 zu erfolgen. Ziffer 6.8. des Vertrags lautet: „Kann der Verkäufer den Fertigstellungstermin aus Gründen, die er zu vertreten hat, nicht einhalten, schuldet er dem Käufer eine Vertragsstrafe in Höhe von EUR 1.276,57 pro Werktag, maximal jedoch 5 % des Kaufpreises insgesamt.“ Nach Ziffer 18.2. des Vertrags stand beiden Parteien bis zum 15. Dezember 2022 ein Rücktrittsrecht zu, sofern die Kaufpreisfälligkeit bis zum 15. August 2022 nicht eingetreten war („Longstop-Date“).

Das Bauvorhaben wurde nicht abnahmereif fertiggestellt. Mit Schreiben vom 14. Dezember 2022 trat die Klägerin vom Vertrag zurück. Das Berufungsgericht hat die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 365.000 € Vertragsstrafe zu zahlen. Der Klägerin stehe ein Anspruch in Höhe des Maximalbetrags von 365.000 € zu, weil seit dem Fertigstellungstermin bis zum Rücktritt 286 Werktage verstrichen seien.

Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg. Die vertraglichen Voraussetzungen einer Vertragsstrafe in Höhe von 5 % des Kaufpreises und damit in der zuerkannten Höhe lagen bis zum Rücktritt der Klägerin vor. Dieser Anspruch ist durch den von der Klägerin erklärten und wirksamen Rücktritt nicht erloschen. Der Rücktritt der Klägerin hat ihren Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe unberührt gelassen. Die gesetzlichen Vorschriften über Rücktritt (§§ 346 ff. BGB) und Vertragsstrafe (§§ 339 ff. BGB) enthalten zu den Rechtsfolgen eines Rücktritts in Bezug auf eine – wie hier – zum Zeitpunkt des Rücktritts bereits verwirkte, jedoch noch nicht gezahlte Vertragsstrafe keine ausdrücklichen Regelungen. Sie sind dahin auszulegen, dass durch einen Rücktritt der Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe grundsätzlich nicht erlischt. Die allgemeinen Wirkungen des Rücktritts führen nicht zu einem Erlöschen des Anspruchs auf Zahlung der bereits verwirkten Vertragsstrafe. Der Rücktritt von einem Vertrag führt nur zu dessen Umgestaltung für die Zukunft; der Rücktritt wirkt ex nunc. Durch ihn wird das ursprüngliche Vertragsverhältnis in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt, wodurch die primären Leistungspflichten erlöschen. Damit führt er nicht ohne weiteres dazu, dass der (rechtliche) Zustand besteht, der ohne den Vertragsschluss bestanden hätte. Vielmehr ist im Einzelnen zu prüfen, welche Ansprüche erlöschen, verändert werden oder neu entstehen, um den Vertrag rückabzuwickeln. Aus dem Umstand, dass die Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagte auf Umbau des Gebäudes und Übereignung des Grundstücks erloschen sind, folgt nicht, dass der verwirkte Strafanspruch ebenfalls erloschen ist. Auch der Zweck einer Vertragsstrafe, die bei nicht rechtzeitiger Leistung verwirkt sein soll, spricht dafür, diese bei einem nachfolgenden Rücktritt nicht wieder entfallen zu lassen. Eine solche Strafe dient regelmäßig zum einen dazu, den Schuldner zur pünktlichen Leistungserbringung anzuhalten (Druckfunktion). Zum anderen soll sie pauschaliert einen dem Gläubiger durch den Verzug des Schuldners entstehenden Schaden ersetzen und insbesondere den Gläubiger davon entlasten, dessen Entstehung und Höhe im Einzelnen darzulegen und zu beweisen (Ausgleichsfunktion). Diese Ziele könnten nicht erreicht werden, wenn ein bereits entstandener Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe durch einen Rücktritt wieder entfiele. Die Druckfunktion wäre herabgesetzt, weil der Schuldner – sogar gerade durch fortgesetzte Verzögerung seiner Leistung – darauf spekulieren könnte, den Gläubiger zu einem Rücktritt vom Vertrag zu provozieren. Die Ausgleichsfunktion wäre beeinträchtigt: Der Gläubiger erhielte nach einem Rücktritt vom Vertrag keinen pauschalen Ersatz eines ihm entstandenen Schadens.

 

Fazit: Tritt ein Besteller aufgrund eines ihm vertraglich eingeräumten Rücktrittsrechts wegen nicht termingerechter Fertigstellung eines abnahmereifen Bauwerks von dem Vertrag zurück, erlischt hierdurch nicht der Anspruch auf Zahlung einer vereinbarten und bereits verwirkten Vertragsstrafe wegen des Verzugs des Unternehmers mit der Fertigstellung, sofern die Parteien nichts Abweichendes vereinbart haben.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Formbedürftigkeit von längerfristigen Grundstücksmietverträgen.

Schriftform bei Änderung der Nebenkostenvorauszahlung
BGH, Beschluss vom 14. Mai 2025 – XII ZR 88/23

Der XII. Zivilsenat stellt eine vertragliche Änderung der Nebenkostenvorauszahlung einer Änderung der Miethöhe gleich.

Die Entscheidung des BGH enthält keine Darstellung des Sachverhalts. Den Gründen ist zu entnehmen, dass der Kläger durch Erwerb eines Grundstücks gemäß § 566 BGB in einen Mietvertrag eingetreten ist, der für einen Zeitraum mehr als ein Jahr abgeschlossen worden war, und dass der Kläger geltend macht, der Vertrag gelte gemäß § 550 BGB für unbestimmte Zeit, weil eine zwischen dem früheren Vermieter und dem Beklagten getroffene Vereinbarung über die Erhöhung der Nebenkostenvorauszahlung nicht der Schriftform genüge.

Der BGH weist die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten zurück.

Der BGH hat wiederholt entschieden, dass eine Vereinbarung über die Änderung der Miethöhe bei längerfristig abgeschlossenen Verträgen gemäß § 550 BGB der Schriftform bedarf. Wenn die Änderungsvereinbarung dieser Anforderung nicht genügt, gilt der gesamte Vertrag fortan nur noch für unbestimmte Zeit.

Eine Änderung über die Miethöhe liegt auch dann vor, wenn die Höhe der Nebenkostenvorauszahlung geändert wird. Eine mündliche Vereinbarung dieses Inhalts hat deshalb zur Folge, dass die Befristung unwirksam wird.

Nach der Rechtsprechung des BGH ist es einer Vertragspartei allerdings nach Treu und Glauben verwehrt, sich auf den Formmangel zu berufen, wenn die Änderungsvereinbarung sie ausschließlich rechtlich und wirtschaftlich begünstigt. Im Streitfall hätte der ursprüngliche Vermieter sich deshalb wohl nicht von der Befristung lösen können. Diese Beschränkung gilt grundsätzlich aber nur für Parteien, die an der Vertragsänderung beteiligt waren, nicht für einen Erwerber, der gemäß § 566 BGB in den geänderten Vertrag eintritt. Der Klägerin ist deshalb nicht daran gebunden.

Praxistipp: Die formwirksame Änderung eines nach § 550 BGB formbedürftigen Mietvertrags erfordert eine hinreichend deutliche Bezugnahme auf den ursprünglichen Mietvertrag und alle zuvor abgeschlossenen Änderungsvereinbarungen.