Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Ersatzfähigkeit von Verdienstausfallschaden.

Verdienstausfall nach Krankschreibung
BGH, Urteil vom 8. Oktober 2024 – VI ZR 250/22

Der VI. Zivilsenat befasst sich mit den Auswirkungen einer objektiv unrichtigen Krankschreibung im Verhältnis zu einem zum Ersatz von Verdienstausfall verpflichteten Schädiger.

Der Kläger arbeitete in einer Waschstraße. Im Mai 2019 erlitt er durch einen Unfall, für dessen Folgen die Beklagten dem Grunde nach voll einzustehen haben, eine tiefe Riss- und Quetschwunde am linken Unterschenkel. Er war zwei Wochen in stationärer Behandlung und laut fachärztlicher Bescheinigung bis September 2020 arbeitsunfähig. Er begehrt deshalb Ersatz der Differenz zwischen seinem Gehalt und dem Krankengeld für einen Zeitraum von sechzehn Monaten. Dies sind insgesamt rund 2.200 Euro.

Das LG hat dem Kläger Verdienstausfall für zweieinhalb Monate (rund 350 Euro) zugesprochen und die weitergehende Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück.

Nach den nicht angegriffenen Feststellungen der Vorinstanzen war der Kläger in dem relevanten Zeitraum objektiv nur zweieinhalb Monate lang arbeitsunfähig.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen ist dem Kläger aber schon dann ein ersatzfähiger Schaden entstanden, wenn er im berechtigten Vertrauen auf die fachärztliche Krankschreibung nicht zur Arbeit gegangen ist.

Das OLG wird deshalb im wieder eröffneten Berufungsverfahren zu prüfen haben, ob der Kläger auf die Krankschreibung für den restlichen Zeitraum vertrauen durfte. Dies setzt voraus, dass er den Arzt vollständig und zutreffend informiert hat, insbesondere über die von ihm empfundenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die der Arzt zur Grundlage seiner Beurteilung und Empfehlung gemacht hat. Ferner muss das ärztliche Verfahren zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit so gestaltet sein, dass der Geschädigte zu Recht annehmen darf, dass die Feststellung inhaltlich zutreffend ist und auch einer späteren Überprüfung standhalten würde.

Praxistipp: Wegen des bei der Krankschreibung einzuhaltenden Verfahrens verweist der BGH auf die vom Gemeinsamen Bundesausschuss der gesetzlichen Krankenversicherung erlassene Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie. Diese ist im Bundesanzeiger veröffentlicht, aber auch auf den Internetseiten des Gemeinsamen Bundesausschusses abrufbar.

Anwaltsblog 43/2024: Darf das Gericht dem Sachverständigen das Diktat des Protokolls überlassen?

Dass es verfahrensrechtlich unbedenklich ist, wenn der Richter einem mündlich angehörten Sachverständigen zum Zwecke der vorläufigen Protokollaufzeichnung vorübergehend das Diktiergerät übergibt, hat das OLG Nürnberg entschieden (OLG Nürnberg, Beschluss vom 16. Oktober 2024 – 8 U 2323/23 –, juris):

 

Es ist üblich und wird als praktikabel empfunden, dass bei mündlichen Anhörungen von Sachverständigen der Vorsitzende Richter dem Sachverständigen das Diktat seiner Ausführungen für das Protokoll überlässt (Jäckel, MDR 2024, 688 Rn. 21). Das hat im vergangenen Jahr das OLG Hamm für verfahrensrechtlich unzulässig erklärt. Die Übernahme der Protokollführung über die Beweisaufnahme, konkret die Protokollierung des mündlichen Gutachtens durch den Sachverständigen selbst sei in § 159 ZPO nicht vorgesehen, daher verfahrensfehlerhaft, und könne keine Grundlage für eine instanzbeendende Entscheidung sein, so dass entweder die Beweisaufnahme in zweiter Instanz zu wiederholen oder das erstinstanzliche Urteil auf Antrag aufzuheben und das Verfahren an das Landgericht zurückzuverweisen sei (OLG Hamm, Urteil vom 19. Dezember 2023 – I-7 U 73/23 –, juris).

Dem ist jetzt das OLG Nürnberg entgegengetreten: Die vom OLG Hamm formulierten Bedenken gegen die „Übernahme der Protokollführung über die Beweisaufnahme, konkret die Protokollierung des mündlichen Gutachtens durch den Sachverständigen selbst“ überzeugen weder in der Begründung noch im Ergebnis. Soweit für den erkennenden Senat derzeit ersichtlich, ist dies eine vereinzelt gebliebene obergerichtliche Meinung zu einem konkreten Einzelfall. Der Inhalt der Aussagen der Parteien, Zeugen und Sachverständigen kann auf zwei Wegen vorläufig aufgezeichnet werden:

a) Bei Tonaufnahme durch Diktat oder Eingabe in ein Textverarbeitungssystem sollte tunlichst der Vorsitzende den Inhalt bestimmen und dies nicht dem Urkundsbeamten übertragen. Überlässt der Vorsitzende einem Sachverständigen das Diktat seiner Aussage, ändert dies nichts an seiner Verantwortlichkeit für die Vollständigkeit und Richtigkeit der Protokollierung; gegebenenfalls muss er eingreifen.

b) Zulässig ist auch eine vollständige Aufzeichnung durch ununterbrochene Ton- oder Videoaufnahme des Vernommenen und der Fragenden. Sie bedarf keiner Zustimmung der Beteiligten und bietet einige Vorteile, ist aber nicht zwingend.

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass – entgegen der vom OLG Hamm vertretenen Auffassung – auch dann ein richterliches Protokoll im Sinne der §§ 159, 160 ZPO vorliegt, wenn der Sachverständige den Wortlaut seiner Aussagen – zu Zwecken der vorläufigen Aufzeichnung – unmittelbar dem Tonträger zuführt und der dabei anwesende Richter dann später das gemäß § 160a Abs. 2 ZPO „unverzüglich“ hergestellte Protokoll ordnungsgemäß unterschreibt (vgl. § 163 Abs. 1 ZPO). Damit übernimmt der Richter die uneingeschränkte Verantwortung für den Inhalt der „Reinschrift“ des gesamten Protokolls und dies rechtfertigt dann auch dessen weitreichende Beweiskraft gemäß § 165 ZPO. Schon diese Differenzierung zwischen „vorläufiger Aufzeichnung“ und abschließender „Erstellung“ des Protokolls lässt die angeführte Entscheidung des OLG Hamm vermissen.

Es kann keinen prozessrechtlich relevanten Unterschied machen, ob der Richter Teile der vorläufigen Aufzeichnung des Sitzungsprotokolls (hier: mündliche Angaben des Sachverständigen) unmittelbar selbst in das Mikrofon des Aufzeichnungsgeräts spricht, ob er das Gerät dem Aussagenden entgegenhält und dessen Sprache unmittelbar ganz oder teilweise aufzeichnet oder ob der Richter dem Sachverständigen das Gerät übergibt mit der Bitte, selbst direkt in das Mikrofon zu sprechen. Denn in all diesen Fällen ist der Aufzeichnungsgegenstand für die im Sitzungssaal anwesenden Beteiligten unmittelbar wahrnehmbar und damit kontrollierbar. Unstimmigkeiten oder Missverständnisse über Wortlaut oder Inhalt des Aufgezeichneten können an Ort und Stelle direkt kommuniziert und geklärt werden. Die Gefahr von – entscheidungserheblichen – Unklarheiten oder Lückenhaftigkeiten wird durch diese Handhabung weder geschaffen noch vergrößert.

 

Fazit: Es ist verfahrensrechtlich unbedenklich, einem mündlich angehörten Sachverständigen zum Zwecke der vorläufigen Protokollaufzeichnung vorübergehend das Diktiergerät zu übergeben, wenn gewährleistet ist, dass Unstimmigkeiten oder Missverständnisse über Wortlaut und Inhalt der Aufzeichnung unmittelbar geklärt werden können.

OLG Dresden: Verschiedene Mittel der Glaubhaftmachung

Im Rahmen einer Entscheidung über den Bericht über Äußerungen eines AfD-Politikers aus einem Gespräch mit einem Geistlichen hat das OLG Dresden (Beschl. v. 28.5.2024 – 4 U 676/24) einige interessante Ausführungen zu Mitteln der Glaubhaftmachung, z. B. im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens, vorgelegt.

In der Sache ging es um einen Landtagsabgeordneten, der im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahren verbieten lassen wollte, in einem Medienhaus bestimmte Behauptungen zu verbreiten. In diesem Rahmen kommt es bekanntlich auf die Glaubhaftmachung an (§§ 936, 920 Abs. 2, 294 ZPO). In einem solchen Verfahren gelten nicht die förmlichen Beweisverfahren der ZPO, sondern der Freibeweis. Allerdings können auch präsente Zeugen vernommen werden (§ 294 Abs. 2 ZPO). Es kann jedoch auch die Gegenpartei benannt werden, ohne dass die Voraussetzungen des § 445 ZPO vorliegen müssen. Weiterhin ist die Vorlage unbeglaubigter Kopien von Schriftstücken sowie von Privatgutachten möglich. Darüber hinaus können ebenso anwaltliche Versicherungen eingebracht werden, schriftliche Zeugenaussagen und sogar einfache Parteierklärungen. Das OLG hält auch Zeugen vom Hörensagen für geeignet, eine Grundlage für eine Glaubhaftmachung zu legen. Dabei ist zu beachten, dass der Beweiswert derartiger Aussagen häufig geringer sein wird als derjenige von Zeugen, die von unmittelbar Erlebtem berichten. Es kommt dann immer auf die Gesamtwürdigung aller Beweistatsachen im Einzelfall an.

Auch der BGH (Beschl. v. 6.10.2016 – VII ZR 185/13 Rn. 26) hat bereits entschieden, dass ein Zeuge vom Hörensagen ein zu vernehmender Zeuge ist und daher als Beweismittel nicht ohne weiteres als ungeeignet angesehen werden kann. Im konkreten Fall war der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht erfolgreich, da das OLG – dem LG folgend – einer Zeugin vom Hörensagen letztlich mehr Glauben schenkte als den Angaben des Antragstellers selbst.

Man sieht also: Bei der Glaubhaftmachung hat man zahlreiche Möglichkeiten, ans Ziel zu kommen.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die die Frage, was Gegenstand einer Teilungsversteigerung sein kann.

Teilungsversteigerung eines Grundstücks
BGH, Beschluss vom 26. September 2024 – V ZB 8/24

Der V. Zivilsenat befasst sich mit dem Unterschied zwischen Grundstücken und Flurstücken.

Die Beteiligten sind Miteigentümer eines Grundstücks, das aus insgesamt vierzehn Flurstücken in drei Fluren besteht. Die Antragstellerin strebt die isolierte Teilungsversteigerung eines dieser Flurstücke an. Das AG hat den Antrag abgelehnt. Das LG hat die dagegen gerichtete Beschwerde zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin bleibt ebenfalls ohne Erfolg.

Gegenstand der Immobiliarvollstreckung sind nach § 864 und § 866 ZPO Grundstücke. Die Vollstreckung in den Bruchteil eines Grundstücks ist gemäß § 864 Abs. 2 ZPO grundsätzlich nur zulässig, wenn es sich dabei um einen Miteigentumsanteil handelt.

Eine Zwangsversteigerung zum Zwecke der Aufhebung der Gemeinschaft ist nach § 180 und § 181 Abs. 2 ZVG nur hinsichtlich eines Grundstücks zulässig, nicht aber hinsichtlich eines Bruchteils davon.

Aus rechtssystematischer Sicht ist ein Grundstück eine buchungstechnische Einheit des Grundbuchs. Nach ständiger Rechtsprechung ist es definiert als ein räumlich abgegrenzter Teil der Erdoberfläche, der im Bestandsverzeichnis eines Grundbuchblattes unter einer besonderen Nummer eingetragen ist.

Ein Flurstück ist hingegen eine buchungstechnische Einheit des Liegenschaftskatasters. Es ist definiert als ein zusammenhängender, abgegrenzter Teil der Erdoberfläche, der in der Flurkarte unter einer besonderen Nummer aufgeführt ist. Ein Grundstück kann aus einem oder mehreren Flurstücken bestehen. Ein Teil eines Flurstücks kann hingegen kein Grundstück bilden.

Ein Grundstück, das aus mehreren Flurstücken besteht, kann nach dieser Systematik nur in seiner Gesamtheit Gegenstand einer Teilungsversteigerung sein.

Dies steht in Einklang mit dem Zweck einer Teilungsversteigerung. Dieser besteht darin, die Auseinandersetzung einer Eigentümergemeinschaft zu ermöglichen, indem der gemeinschaftliche Gegenstand insgesamt veräußert wird.

Eine Aufteilung des gemeinschaftlichen Gegenstands bedarf demgegenüber der Zustimmung aller Miteigentümer. Dass es hierbei zu einer Blockade kommen kann, wenn die Miteigentümer sich nicht einigen können, ist kein zureichender Grund, einem einzelnen Miteigentümer das Recht einzuräumen, ohne oder gegen den Willen der übrigen Berechtigten einzelne Teile des Grundstücks abzutrennen.

Praxistipp: Die rechtsgeschäftliche Veräußerung einzelner Flurstücke eines Grundstücks ist zulässig. Für die Eigentumsumschreibung muss das veräußerte Flurstück aber als eigenständiges Grundstück im Grundbuch eingetragen werden. Zulässig ist auch die Veräußerung sonstiger Teilflächen eines Grundstücks. Für diese muss vor der Eintragung im Grundbuch ein eigenes Flurstück angelegt werden.

Anwaltsblog 42/2024: Anforderungen an elektronischen Fristenkalender

Wie die anwaltliche Fristenkontrolle bei elektronischer Kalenderführung organisiert sein muss, hatte der BGH zu klären (BGH, Beschluss vom 26. September 2024 – III ZB 82/23):

 

Die Klägerin hat gegen das am 18. April 2023 zugestellte Urteil am 25. April 2023 Berufung eingelegt. Nach Hinweis des Gerichts vom 23. Juni 2023, dass bis zu diesem Zeitpunkt keine Berufungsbegründung eingegangen war, hat die Klägerin ihre Berufung begründet und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat ihr Prozessbevollmächtigter ausgeführt, die Fristversäumung beruhe allein auf einem leichten Versehen zweier sehr zuverlässiger und ansonsten beanstandungsfrei arbeitender Kanzleimitarbeiter. Die Berufungsbegründungsfrist und die zugehörige Vorfrist seien aufgrund eines Datenverarbeitungsfehlers im Fristenkalender einer nicht mehr in der Kanzlei tätigen nichtanwaltlichen Mitarbeiterin eingetragen worden und nicht, wie alle anderen Fristen, im Kalender des damals sachbearbeitenden Rechtsanwalts K. Bei der Bearbeitung der Posteingänge seien durch die damalige Auszubildende die Fristen in der Fristerfassung der in der Kanzlei verwendeten Software (RA-Micro) eingetragen worden. Dabei werde durch die Eingabe der Aktennummer automatisch der zuständige Rechtsanwalt ausgewählt, der als Sachbearbeiter hinterlegt sei. Nach einer erneuten Überprüfung der Eintragung der Fristen habe sie in der E-Akte an dem Urteil einen elektronischen Aktenvermerk mit den jeweiligen Fristabläufen angebracht. Eine Überprüfung des Sachbearbeiterkürzels und der Fristeneintragung im Hauptkalender, in dem die für alle Anwälte laufenden Fristen eingetragen seien, sei ihrerseits nicht erfolgt. Anschließend habe ein weiterer Mitarbeiter eine erneute Kontrolle im System vorgenommen. Eine Kontrolle der Fristeneintragung im Hauptkalender habe er nicht vorgenommen. Er habe dies nicht für notwendig erachtet, weil es nach logischen Grundsätzen technisch ausgeschlossen sei, dass das System einen falschen Sachbearbeiter vorschlage. Zu einem Datenverarbeitungsfehler der vorliegenden Art sei es in der sechsjährigen anwaltlichen Tätigkeit von Rechtsanwalt K. nicht gekommen. Am 24. April 2023 habe dieser die Deckungsanfrage bei der Rechtsschutzversicherung gestellt und anhand der Notiz überprüft, dass die Fristen eingetragen seien. Er habe nicht davon ausgehen müssen, dass die Berufungsbegründungs- und die zugehörige Vorfrist nicht in seinem Termin- und Fristenkalender erscheinen würden.

Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und die Berufung der Klägerin verworfen. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Die Verwendung einer elektronischen Kalenderführung darf keine hinter der manuellen Führung zurückbleibende Überprüfungssicherheit bieten. Bei der Eingabe von Fristen in den elektronischen Fristenkalender bestehen spezifische Fehlermöglichkeiten, insbesondere auch bei der Datenverarbeitung. Es bedarf daher auch bei einer elektronischen Kalenderführung einer Kontrolle des Fristenkalenders, um Datenverarbeitungsfehler des eingesetzten Programms sowie Eingabefehler oder -versäumnisse mit geringem Aufwand rechtzeitig erkennen und beseitigen zu können. Danach ist die von der Rechtsbeschwerde als grundsätzlich angesehene Frage, ob eine hinreichende Fristenkontrolle durch den Rechtsanwalt bereits dadurch sichergestellt ist, dass eine auf dem Markt als erprobt und zuverlässig angesehene Kanzleisoftware verwendet und die Eingabe der fristrelevanten Daten in die Fristerfassungsmaske (sowie deren abschließende Bestätigung) geschultem und zuverlässigem Personal überlassen wird, das sie nach dem „Vier-Augen-Prinzip“ vorzunehmen hat, zum Nachteil der Klägerin bereits geklärt. Die Rechtsbeschwerde sieht selbst, dass hierdurch der in Rede stehende Verarbeitungsfehler nicht erkannt werden kann. Ihre Auffassung, ein Rechtsanwalt dürfe die Korrektheit der Datenverarbeitung ohne weiteren Kontrollschritt voraussetzen, ist mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht zu vereinbaren. Dabei bedarf es weiterhin keiner Entscheidung, wie diese Kontrolle im Einzelnen zu erfolgen hat, insbesondere ob es eines Kontrollausdrucks in Papierform bedarf. Denn die Klägerin hat vorgetragen, es sei überhaupt keine Kontrolle des Ergebnisses der Datenverarbeitung in Bezug auf die richtige Zuordnung zu dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt vorgenommen worden.

 

Fazit: Auch bei elektronischer Aktenführung ist der Rechtsanwalt verpflichtet, die ordnungsgemäße Notierung von Fristen in eigener Verantwortung zu überprüfen. Von der Anfertigung von Kontrollausdrucken darf deshalb allenfalls dann abgesehen werden, wenn andere Vorkehrungen getroffen werden, die ein vergleichbares Maß an Sicherheit ermöglichen (BGH, Beschluss vom 2. Februar 2021 – X ZB 2/20 –, AnwBl 2021, 301).

Anwaltsblog 41/2024: Rechtsbeschwerdeverfahren – Unzulässigkeit von Einwendungen nach versäumten Vortrag im Berufungsverfahren

Dass Berufungsführer, die auf Hinweise des Berufungsgerichts nicht angemessen reagieren, dies nicht im Rechtsbeschwerdeverfahren nach Verwerfung der Berufung nachholen können, hat der BGH erneut entschieden (BGH, Beschluss vom 30. Juli 2024 – VI ZB 30/22):

 

Der Kläger, der an einer pharmakologischen Erstanwendungsstudie des beklagten Forschungsinstitutes an gesunden Probanden teilgenommen hat, nimmt die Beklagte wegen Aufklärungsfehlern in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage auf Zahlung von Schmerzensgeld und Ersatz des Haushaltsführungsschadens abgewiesen. Ob der Kläger ordnungsgemäß aufgeklärt worden sei, bedürfe keiner Entscheidung, weil er nicht bewiesen habe, dass die Beschwerden durch das Prüfpräparat verursacht worden seien. Die Berufung hat das OLG nach vorherigem Hinweis als unzulässig verworfen. Der Kläger habe zwar die von dem Landgericht fehlerhaft verneinte Kausalität und damit auch die tragende Erwägung für den Aspekt des Aufklärungsmangels mit Erfolg angegriffen, denn der Kausalitätsnachweis zwischen der Gabe des Prüfpräparates und dem im zeitlichen Zusammenhang aufgetretenen Polyneuropathiesyndrom sei nach dem geringeren Beweismaßstab des § 287 ZPO als geführt anzusehen. Er habe aber in der Berufungsbegründung keine Ausführungen dazu gemacht, inwiefern die Rechtsverletzung des Landgerichts entscheidungserheblich gewesen sei. Hierzu habe es zumindest Ausführungen dazu bedurft, dass tatsächlich auch ein Aufklärungsmangel vorgelegen habe. Der Verweis in der Berufungsbegründung auf den erstinstanzlichen Vortrag sei nicht ausreichend, da der Kläger dort die detaillierten Ausführungen der Beklagten zur ordnungsgemäßen Aufklärung nicht erheblich bestritten habe und die Aufklärung nach dem deshalb zugestandenen Vortrag der Beklagten ordnungsgemäß erfolgt sei. Unabhängig davon könne sich die Beklagte auf eine hypothetische Einwilligung des Klägers berufen. Aus den genannten Gründen wäre die Berufung auch unbegründet. In der Stellungnahme des Klägers auf den Hinweisbeschluss fehle es an einer Auseinandersetzung mit der Auffassung des Senates, dass die Berufungsbegründung nicht den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO entspreche.

Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Die Berufungsbegründung muss die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben. Diesen Anforderungen wird die Berufungsbegründung entgegen der Auffassung des OLG gerecht. Sie lässt hinreichend erkennen, welche Gründe der Kläger den Erwägungen des Landgerichts entgegensetzt. Der Kläger hat in seiner Berufungsbegründung gerügt, dass das Landgericht rechtsirrig einen Aufklärungsfehler sowie die Kausalität zwischen der Behandlung und dem Schaden verneint habe. Er hat den für die Klageabweisung maßgeblichen Gesichtspunkt angegriffen, dass es ihm nicht gelungen sei, die Kausalität zwischen der Behandlung und den Schäden zu beweisen. Davon ist auch das Berufungsgericht ausgegangen. Aus der Berufungsbegründung ergibt sich, dass der Kläger Schmerzensgeld und Schadensersatzansprüche aufgrund der vermeintlich fehlerhaft durch die Beklagte durchgeführten pharmakologischen Studie geltend macht. Weiter hat er als Aufklärungsfehler geltend gemacht, dass es nur eine Gruppenaufklärung gegeben habe, bei der die Risiken bagatellisiert und die speziellen Risiken, die sich bei ihm realisiert hätten, gar nicht angesprochen worden seien. Damit wird in einer für die Zulässigkeit der Berufung hinreichend verständlichen Weise deutlich, dass der Kläger vom Berufungsgericht die Überprüfung der Auffassung des Landgerichts vom Fehlen der Kausalität und – bei deren Bejahung – die Prüfung der geltend gemachten Aufklärungsmängel durch das Berufungsgericht selbst begehrt. Es war nicht geboten, ausdrücklich noch einmal das gesamte erstinstanzliche Vorbringen zu den Voraussetzungen des verfolgten Klageanspruchs – auf das der Kläger in der Berufungsbegründung pauschal verwiesen hat – zu wiederholen und auf diese Weise die Entscheidungserheblichkeit des Berufungsangriffs darzutun. Die Entscheidungserheblichkeit ergibt sich bereits daraus, dass eine inhaltliche Prüfung der geltend gemachten Aufklärungsversäumnisse nicht erfolgt und die Klage allein mangels vermeintlich nicht feststellbarer Kausalität abgewiesen worden ist. Für die Zulässigkeit der Berufung ist ohne Bedeutung, ob diese Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Ob der Vortrag des Klägers gem. § 138 Abs. 2, 3 ZPO genügt, das Vorbringen der Beklagten zu Umfang und Inhalt der Aufklärung substantiiert zu bestreiten, ist eine Frage der Begründetheit der Berufung.

Der Kläger kann sich jedoch wegen des Grundsatzes der materiellen Subsidiarität auf die fehlerhafte Abweisung seiner Berufung als unzulässig nicht mit Erfolg berufen. Der Subsidiaritätsgrundsatz fordert, dass ein Beteiligter über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreifen muss, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine solche zu verhindern. Dieser Grundsatz ist nicht auf das Verhältnis zwischen Verfassungs- und Fachgerichtsbarkeit beschränkt, sondern gilt auch im Nichtzulassungsbeschwerde- und Revisionsverfahren. Denn einer Revision kommt bei der Verletzung von Verfahrensgrundrechten auch die Funktion zu, präsumtiv erfolgreiche Verfassungsbeschwerden vermeidbar zu machen. Daher sind für ihre Beurteilung die gleichen Voraussetzungen maßgebend, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Erfolg einer Verfassungsbeschwerde führten. Nichts Anderes gilt für das Rechtsbeschwerdeverfahren. Gemessen daran hat es der Kläger versäumt, zu den Ausführungen des Berufungsgerichts im Hinweisbeschluss vom 21. Februar 2022, dass und weshalb die Berufungsbegründung den Vorgaben aus § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO nicht gerecht werde, Stellung zu nehmen. In der kursorischen Stellungnahme zum Hinweisbeschluss finden sich keine Ausführungen dazu, weshalb die Berufung entgegen der im Hinweisbeschluss geäußerten Ansicht des Berufungsgerichts dennoch zulässig sei. Indem der Kläger zu der angedrohten Verwerfung der Berufung nicht Stellung genommen hat, hat er die ihm eingeräumte prozessuale Möglichkeit zur Verhinderung der nunmehr mit der Rechtsbeschwerde geltend gemachten Verfahrensgrundrechtsverletzung nicht genutzt.

 

Fazit: Eine auf die Verletzung des Grundrechts auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes gestützte Rechtsbeschwerde ist unzulässig, wenn es der Beschwerdeführer im Rahmen des vorinstanzlichen Rechtsmittels versäumt hat, eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (BGH, Beschluss vom 14. September 2021 – VI ZB 30/19 –, MDR 2022, 57).

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Obliegenheiten des Versicherungsnehmers bei einer Wohngebäudeversicherung.

Obliegenheit des Versicherungsnehmers zur Einhaltung von Sicherheitsvorschriften
BGH, Urteil vom 25. September 2024 – IV ZR 350/22

Der IV. Zivilsenat bestätigt eine Klausel in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Wohngebäudeversicherung.

Der Kläger unterhält bei den beklagten Versicherern eine Wohngebäudeversicherung. Im September wurde das versicherte Gebäude bei einem Brand beschädigt. Ausgangspunkt des Brandes war ein vom Kläger an der Hausfassade errichteter Pizzaofen. Der zuständige Bezirksschornsteinfegermeister hatte dem Kläger während der Errichtung bestimmte Vorgaben gemacht. Nach Fertigstellung nahm der Kläger den Ofen ohne Abnahme in Betrieb. Nach dem Brand teilte er der Versicherungsmaklerin mit, der Schornsteinfeger habe auf eine Abnahme verzichtet. Diese Mitteilung stellte sich im Laufe des Prozesses als unwahr heraus.

Das LG hat die auf Ersatz der entstandenen Schäden und auf Feststellung der Ersatzpflicht gerichtete Klage abgewiesen und den Kläger zur Rückzahlung der geleisteten Vorschüsse verurteilt. Das OLG hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und die Sache für das Betragsverfahren an das LG zurückverwiesen.

Die vom BGH zugelassene Revision der Beklagten führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung an das OLG.

Das Urteil des OLG unterliegt schon deshalb der Aufhebung, weil das OLG nur über den Zahlungsanspruch entschieden hat, nicht aber über den Feststellungsantrag, und deshalb ein unzulässiges Teilurteil vorliegt.

Unabhängig davon hat das OLG eine Obliegenheitsverletzung des Klägers mit nicht tragfähiger Begründung verneint.

Die Klausel unter B § 8 Nr. 1 Buchst. a Doppelbuchst. aa VGB 2014 (Allgemeine Versicherungsbedingungen der Wohngebäudeversicherung, Stand 2014), die den Versicherungsnehmer zur Einhaltung aller gesetzlichen, behördlichen und vertraglich vereinbarten Sicherheitsvorschriften verpflichtet, ist weder überraschend oder unangemessen noch intransparent. Die Bezugnahme auf gesetzliche und behördliche Vorschriften ist zwar dynamisch, bezieht sich also auch auf Änderungen der einschlägigen Vorgaben. Eine solche Verweisung ist aber auch in Allgemeinen Geschäftsbedingungen zulässig. Eine ausdrückliche Aufzählung aller einschlägigen Vorschriften und Anordnungen ist nicht erforderlich.

Darüber hinaus hat das Berufungsgericht auch ein arglistiges Verhalten des Klägers mit nicht tragfähiger Begründung verneint.

Wenn feststeht, dass Angaben des Versicherungsnehmers im Zusammenhang mit der Schadensregulierung objektiv fasch sind, muss der Versicherungsnehmer plausibel darlegen, wie und weshalb es zu diesen Angaben gekommen ist. Nur wenn er entlastende Umstände vorträgt, obliegt es dem Versicherer, diesen Vortrag zu widerlegen. Im Streitfall hat der Kläger seiner sekundären Darlegungslast nicht genügt.

Praxistipp: Wenn ein Zahlungsantrag mit einem Antrag auf Feststellung der Ersatzpflicht für weitere Schäden verbunden ist, darf ein Grundurteil über den Zahlungsanspruch nur zusammen mit einer Entscheidung über den Feststellungsantrag ergehen.

BGH: Streitwert bei Klagen auf Deckungsschutz

Schwierigkeiten bereitet mitunter der Streitwert für Klagen auf Deckungsschutz gegen eine Rechtsschutzversicherung, vor allem im Instanzenzug: Denn der Streitwert ist letztlich auch für die Frage maßgeblich, ob der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer über 20.000 Euro liegt. Dann wäre nämlich eine Nichtzulassungsbeschwerde eröffnet (§ 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

Sicher ist zunächst, dass es auf die Kosten ankommt, die von dem Versicherer voraussichtlich übernommen werden sollen. Allerdings gilt, da regelmäßig eine Feststellungsklage erhoben wird, zudem ein Feststellungsabschlag von 20 %.

Das entscheidende Problem waren in diesem Fall (BGH, Beschl. v. 4.9.2024 – IV ZR 24/23) allerdings die denkbaren Sachverständigenkosten. Ob diese den Wert erhöhen oder nicht, wird kontrovers diskutiert. Diesbezüglich hat der BGH entschieden, dass sie im Wege der Prognose zu berücksichtigen sind, wenn sie mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit anfallen. Dies entscheidet das Revisionsgericht, und zwar ohne Bindung an einen Streitwertbeschluss des Berufungsgerichts.

Es handelte sich im konkreten Fall um eine „Dieselklage“. Es standen grundsätzlich Sachverständigenkosten von 30.000 Euro im Raum. Allerdings stellen sich die entscheidenden Fragen in zahlreichen Verfahren. Bisher hatte das LG dazu jedoch in keinem Fall ein Gutachten eingeholt. Vielleicht wäre es aber denkbar, dass unter Umständen ein Gutachten zu spezifischen Fragen des betroffenen Fahrzeugs eingeholt werden muss. Von daher kommt der BGH letztlich auf einen angemessen erscheinenden Betrag in Höhe von 10.000 Euro.

Zusammen mit den Anwalts- und Gerichtskosten liegt der Gesamtstreitwert und damit auch die Beschwer des Klägers unter 20.000 Euro, womit die Nichtzulassungsbeschwerde vom BGH verworfen wurde.

Es wird daher bei Fahrzeugen, die nicht besonders hochwertig sind, die Frage des Deckungsschutzes ohne eine Zulassung durch das Berufungsgerichts kaum in die Revisionsinstanz gebracht werden können. Die „Dieselklageindustrie“ wird dies sicher bedauern.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Voraussetzungen für die Adoption eines durch private Samenspende gezeugten Kindes durch die Ehefrau der Mutter.

Zustimmung des privaten Samenspenders zur Adoption
BGH, Beschluss vom 31. Juli 2024 – XII ZB 147/24

Der XII. Zivilsenat bestätigt und ergänzt seine Rechtsprechung zu § 1747 BGB.

Die Beteiligte zu 1 und die Beteiligte zu 2 sind seit Dezember 2017 miteinander verheiratet. Im Juli 2020 gebar die Beteiligte zu 2 ein Kind, das durch private Samenspende gezeugt worden war. Anfang 2020 beantragte die Beteiligte zu 1 mit Zustimmung der Beteiligten zu 2 die Annahme des Kindes. Namen und Adresse des Samenspenders haben sie nicht mitgeteilt. Nach ihrem Vorbringen hat der Spender anlässlich des gerichtlichen Verfahrens in einem Telefongespräch erklärt, auf keinen Fall namentlich benannt werden zu wollen. Deshalb bestehe die Befürchtung, dass er sich bei Preisgabe seines Namens gegen seinen Willen zurückziehe und zu einem späteren Kontakt mit dem Kind nicht mehr bereit sei. Zum Beweis ihres Vortrags haben sie Screenshots einer WhatsApp-Kommunikation vorgelegt.

Das AG hat den Adoptionsantrag zurückgewiesen. Die Beschwerde der Beteiligten zu 1 ist erfolglos geblieben.

Die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1 bleibt ebenfalls ohne Erfolg.

Nach § 1747 Abs. 1 Satz 1 BGB ist für die Adoption die Einwilligung beider Eltern erforderlich. Wenn es keinen rechtlichen Vater im Sinne von § 1592 BGB gibt, gilt gemäß § 1747 Abs. 1 Satz 2 BGB als Vater, wer die Voraussetzungen des § 1600d Abs. 2 Satz 1 (Geschlechtsverkehr während der Empfängniszeit) glaubhaft macht. Im Zusammenhang mit § 1747 Abs. 1 BGB steht hierbei eine private Samenspende dem Geschlechtsverkehr gleich.

Die Sonderregelung in § 1600d Abs. 4 BGB, wonach ein Samenspender nicht als Vater festgestellt werden kann (und deshalb auch dessen Zustimmung zur Adoption nicht erforderlich ist), wenn die künstliche Befruchtung mit ärztlicher Unterstützung erfolgt ist und der Samen in einer Entnahmeeinrichtung im Sinne von § 2 Absatz 1 Satz 1 des Samenspenderregistergesetzes gespendet wurde, gilt für eine private Samenspende nicht.

Nach § 1747 Abs. 4 Satz 1 BGB ist die Einwilligung eines Elternteils entbehrlich, wenn dieser zur Abgabe einer Erklärung dauernd außerstande oder sein Aufenthalt dauernd unbekannt ist. Dieser Ausnahmetatbestand ist nicht erfüllt, wenn die Verfahrensbeteiligten Name und Kontaktdaten des Samenspenders kennen, diese Informationen dem Gericht aber nicht zur Verfügung stellen.

Bei einer privaten Samenspende ist die Zustimmung des Spenders ferner nicht erforderlich, wenn der Spender dem Adoptionsverfahren nicht beitritt. Dies gilt jedoch nur, wenn das Gericht den Spender gemäß § 7 Abs. 4 FamFG von der Einleitung des Verfahrens benachrichtigt hat. Hierzu müssen die Beteiligten dem Gericht Name und Kontaktdaten des Spenders mitteilen, sofern sie über diese Informationen verfügen. Die bloße Mitteilung, der Spender sei an einem Beitritt nicht interessiert, genügt nicht. Die Vorlage von schriftlicher Kommunikation zwischen den Beteiligten und dem Spender genügt ebenfalls nicht, wenn daraus die Identität des Spenders nicht hervorgeht.

Im vorliegenden Fall darf die Adoption danach nicht ausgesprochen werden, weil die Beteiligten Namen und Kontaktdaten des Spenders kennen, aber nicht mitgeteilt haben. Besondere Umstände, die die Mitteilung dieser Informationen als unzumutbar erscheinen lassen können, sind nicht ersichtlich.

Praxistipp: Die Einwilligung in eine Adoption bedarf gemäß § 1750 Abs. 1 Satz 2 BGB der notariellen Beurkundung.

Blog powered by Zöller: Mehrfachverfolgung nach VDuG und UWG – Ein altes Problem wird zum modernen Wiedergänger

Das BayObLG hat mit Beschluss vom 19.7.2024 – 102 VKI 1/24e, MDR 2024, 1264 entschieden, dass eine Abhilfeklage nach dem VDuG nicht mit Blick auf eine frühere Unterlassungsklage nach dem UWG ausgesetzt werden kann, auch wenn beide Verfahren dieselbe geschäftliche Handlung desselben Beklagten (hier die einseitige, die Kunden benachteiligende Änderung der Bedingungen für einen Videostreamingdienst) betreffen.

Worum geht es?

Amazon Germany hat seine Bedingungen für Videostreamingdienstleistungen geändert, indem Nutzer vor die Wahl gestellt wurden, entweder ein höheres Entgelt zu entrichten oder eine Verschlechterung der Dienstleistung (insbesondere durch Einspielen von Werbung) hinzunehmen.

Am 14.3.2024 reichte die Verbraucherzentrale Bundesverband eV deswegen vor dem sachlich und örtlich zuständigen LG München I eine Unterlassungsklage nach § 8 Abs. 1 UWG ein. Wenige Tage später, am 4.4.2024, ging beim BayObLG die Klage der Verbraucherzentrale Sachsen eV ein, mit der Abhilfe wegen derselben geschäftlichen Handlung begehrt wird. Soweit Verbraucher der Entgelterhöhung zustimmten, wird Schadensersatz nach § 9 Abs. 2 UWG verlangt, soweit sie nicht zustimmten, Schadensersatz wegen des Mangels des bezogenen digitalen Produkts (§ 327i Nr. 3 Alt. 2, § 327m Abs. 3 Satz 1, § 327e BGB). Die Beklagte beantragt, das spätere VDuG-Abhilfeverfahren mit Blick auf das frühere UWG-Verfahren auszusetzen.

Entscheidung des BayObLG

Das Gericht folgt dem Antrag nicht, weil kein Fall eines gesetzlichen Aussetzungstatbestandes gegeben sei. Für § 148 Abs. 1 ZPO fehlt es schon an der Identität der Parteien beider Prozesse (unterschiedliche Kläger), zudem ist fraglich, ob der UWG-Unterlassungsanspruch im Abhilfeprozess i.S.v. § 322 Abs. 1 ZPO vorgreiflich ist. Eine „Gesamtanalogie“ zu bestehenden Aussetzungsbestimmungen verbiete sich, weil keine planwidrige Regelungslücke bestehe; der Gesetzgeber habe vielmehr davon abgesehen, das Verhältnis von Abhilfe- und Unterlassungsklagen zu regeln.

Mehrfachverfolgung reloaded

Das Auftreten paralleler Verbandsprozesse mit dem Inkrafttreten des VDuG war (leider) abzusehen. Dabei hatten die bayerischen Gerichte sogar noch Glück, dass nicht auch noch eine dritte klageberechtigte Einrichtung wegen der Änderung beim Streamingdienst eine Unterlassungsklage nach dem UKlaG (§ 2 Abs. 1 UKlaG) vor dem dafür in Bayern ausschließlich zuständigen OLG Bamberg (§ 6 Abs. 1 UKlaG; § 13a Abs. 1 GVG; § 6 GZVJu) erhoben hat (Zöller/G. Vollkommer, ZPO, 35. Aufl. 2024 (Online-Version), § 3 VDuG Rn. 1).

Das Problem ist nicht neu: Die Mehrfachverfolgung desselben Wettbewerbsverstoßes durch verschiedene klagebefugte Einrichtungen gab es schon immer. Neu ist aber die Schärfe, die es gewonnen hat: Die zur Verfügung stehenden Klagearten haben sich vermehrt (neben dem Unterlassungsanspruch gibt es auch die Abhilfeklage), hierfür sind jetzt erstmals unterschiedliche Gerichte ausschließlich sachlich zuständig (§ 13 Abs. 1 UWG: LG; § 3 Abs. 1 VDuG und § 6 Abs. 1 UKlaG: OLG, bzw. BayObLG und OLG) und gelten jeweils eigene Rechtszüge. Das BayObLG versteht den Gesetzgeber so, dass er diese parallele Prozessführung auf verschiedenen Ebenen bewusst in Kauf genommen hat. Wollte man dem noch ein Argument hinzufügen, wird man in der Begründung zum KapMuG 2024 schnell fündig: KapMuG und VDuG sind wegen derselben kapitalmarktrechtlichen Haftung ausdrücklich nebeneinander anzuwenden (§ 1 Abs. 3 KapMuG; § 1 Abs. 3 VDuG). Die damit verbundene doppelte Prozessführung wird ausdrücklich hingenommen, notfalls muss der Große Senat beim BGH eine auftretende Divergenz auflösen (siehe BT-Drucksache 20/10942, S. 30; Zöller/G. Vollkommer, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 1 VDuG Online-Aktualisierung vom 29.8.2024).

Der moderne Gesetzgeber verfolgt bei seinen Vorhaben ausweislich der Gesetzesbegründungen ausdrücklich „Nachhaltigkeitsaspekte“ (siehe BT-Drucksache 20/6520, S. 64 zum VDuG) – aus Sicht der betroffenen Zivilgerichte gilt hier: difficile est, satiram non scribere.


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