Anwaltsblog 41/2024: Rechtsbeschwerdeverfahren – Unzulässigkeit von Einwendungen nach versäumten Vortrag im Berufungsverfahren

Dass Berufungsführer, die auf Hinweise des Berufungsgerichts nicht angemessen reagieren, dies nicht im Rechtsbeschwerdeverfahren nach Verwerfung der Berufung nachholen können, hat der BGH erneut entschieden (BGH, Beschluss vom 30. Juli 2024 – VI ZB 30/22):

 

Der Kläger, der an einer pharmakologischen Erstanwendungsstudie des beklagten Forschungsinstitutes an gesunden Probanden teilgenommen hat, nimmt die Beklagte wegen Aufklärungsfehlern in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage auf Zahlung von Schmerzensgeld und Ersatz des Haushaltsführungsschadens abgewiesen. Ob der Kläger ordnungsgemäß aufgeklärt worden sei, bedürfe keiner Entscheidung, weil er nicht bewiesen habe, dass die Beschwerden durch das Prüfpräparat verursacht worden seien. Die Berufung hat das OLG nach vorherigem Hinweis als unzulässig verworfen. Der Kläger habe zwar die von dem Landgericht fehlerhaft verneinte Kausalität und damit auch die tragende Erwägung für den Aspekt des Aufklärungsmangels mit Erfolg angegriffen, denn der Kausalitätsnachweis zwischen der Gabe des Prüfpräparates und dem im zeitlichen Zusammenhang aufgetretenen Polyneuropathiesyndrom sei nach dem geringeren Beweismaßstab des § 287 ZPO als geführt anzusehen. Er habe aber in der Berufungsbegründung keine Ausführungen dazu gemacht, inwiefern die Rechtsverletzung des Landgerichts entscheidungserheblich gewesen sei. Hierzu habe es zumindest Ausführungen dazu bedurft, dass tatsächlich auch ein Aufklärungsmangel vorgelegen habe. Der Verweis in der Berufungsbegründung auf den erstinstanzlichen Vortrag sei nicht ausreichend, da der Kläger dort die detaillierten Ausführungen der Beklagten zur ordnungsgemäßen Aufklärung nicht erheblich bestritten habe und die Aufklärung nach dem deshalb zugestandenen Vortrag der Beklagten ordnungsgemäß erfolgt sei. Unabhängig davon könne sich die Beklagte auf eine hypothetische Einwilligung des Klägers berufen. Aus den genannten Gründen wäre die Berufung auch unbegründet. In der Stellungnahme des Klägers auf den Hinweisbeschluss fehle es an einer Auseinandersetzung mit der Auffassung des Senates, dass die Berufungsbegründung nicht den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO entspreche.

Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Die Berufungsbegründung muss die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben. Diesen Anforderungen wird die Berufungsbegründung entgegen der Auffassung des OLG gerecht. Sie lässt hinreichend erkennen, welche Gründe der Kläger den Erwägungen des Landgerichts entgegensetzt. Der Kläger hat in seiner Berufungsbegründung gerügt, dass das Landgericht rechtsirrig einen Aufklärungsfehler sowie die Kausalität zwischen der Behandlung und dem Schaden verneint habe. Er hat den für die Klageabweisung maßgeblichen Gesichtspunkt angegriffen, dass es ihm nicht gelungen sei, die Kausalität zwischen der Behandlung und den Schäden zu beweisen. Davon ist auch das Berufungsgericht ausgegangen. Aus der Berufungsbegründung ergibt sich, dass der Kläger Schmerzensgeld und Schadensersatzansprüche aufgrund der vermeintlich fehlerhaft durch die Beklagte durchgeführten pharmakologischen Studie geltend macht. Weiter hat er als Aufklärungsfehler geltend gemacht, dass es nur eine Gruppenaufklärung gegeben habe, bei der die Risiken bagatellisiert und die speziellen Risiken, die sich bei ihm realisiert hätten, gar nicht angesprochen worden seien. Damit wird in einer für die Zulässigkeit der Berufung hinreichend verständlichen Weise deutlich, dass der Kläger vom Berufungsgericht die Überprüfung der Auffassung des Landgerichts vom Fehlen der Kausalität und – bei deren Bejahung – die Prüfung der geltend gemachten Aufklärungsmängel durch das Berufungsgericht selbst begehrt. Es war nicht geboten, ausdrücklich noch einmal das gesamte erstinstanzliche Vorbringen zu den Voraussetzungen des verfolgten Klageanspruchs – auf das der Kläger in der Berufungsbegründung pauschal verwiesen hat – zu wiederholen und auf diese Weise die Entscheidungserheblichkeit des Berufungsangriffs darzutun. Die Entscheidungserheblichkeit ergibt sich bereits daraus, dass eine inhaltliche Prüfung der geltend gemachten Aufklärungsversäumnisse nicht erfolgt und die Klage allein mangels vermeintlich nicht feststellbarer Kausalität abgewiesen worden ist. Für die Zulässigkeit der Berufung ist ohne Bedeutung, ob diese Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Ob der Vortrag des Klägers gem. § 138 Abs. 2, 3 ZPO genügt, das Vorbringen der Beklagten zu Umfang und Inhalt der Aufklärung substantiiert zu bestreiten, ist eine Frage der Begründetheit der Berufung.

Der Kläger kann sich jedoch wegen des Grundsatzes der materiellen Subsidiarität auf die fehlerhafte Abweisung seiner Berufung als unzulässig nicht mit Erfolg berufen. Der Subsidiaritätsgrundsatz fordert, dass ein Beteiligter über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreifen muss, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine solche zu verhindern. Dieser Grundsatz ist nicht auf das Verhältnis zwischen Verfassungs- und Fachgerichtsbarkeit beschränkt, sondern gilt auch im Nichtzulassungsbeschwerde- und Revisionsverfahren. Denn einer Revision kommt bei der Verletzung von Verfahrensgrundrechten auch die Funktion zu, präsumtiv erfolgreiche Verfassungsbeschwerden vermeidbar zu machen. Daher sind für ihre Beurteilung die gleichen Voraussetzungen maßgebend, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Erfolg einer Verfassungsbeschwerde führten. Nichts Anderes gilt für das Rechtsbeschwerdeverfahren. Gemessen daran hat es der Kläger versäumt, zu den Ausführungen des Berufungsgerichts im Hinweisbeschluss vom 21. Februar 2022, dass und weshalb die Berufungsbegründung den Vorgaben aus § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO nicht gerecht werde, Stellung zu nehmen. In der kursorischen Stellungnahme zum Hinweisbeschluss finden sich keine Ausführungen dazu, weshalb die Berufung entgegen der im Hinweisbeschluss geäußerten Ansicht des Berufungsgerichts dennoch zulässig sei. Indem der Kläger zu der angedrohten Verwerfung der Berufung nicht Stellung genommen hat, hat er die ihm eingeräumte prozessuale Möglichkeit zur Verhinderung der nunmehr mit der Rechtsbeschwerde geltend gemachten Verfahrensgrundrechtsverletzung nicht genutzt.

 

Fazit: Eine auf die Verletzung des Grundrechts auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes gestützte Rechtsbeschwerde ist unzulässig, wenn es der Beschwerdeführer im Rahmen des vorinstanzlichen Rechtsmittels versäumt hat, eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (BGH, Beschluss vom 14. September 2021 – VI ZB 30/19 –, MDR 2022, 57).

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Obliegenheiten des Versicherungsnehmers bei einer Wohngebäudeversicherung.

Obliegenheit des Versicherungsnehmers zur Einhaltung von Sicherheitsvorschriften
BGH, Urteil vom 25. September 2024 – IV ZR 350/22

Der IV. Zivilsenat bestätigt eine Klausel in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Wohngebäudeversicherung.

Der Kläger unterhält bei den beklagten Versicherern eine Wohngebäudeversicherung. Im September wurde das versicherte Gebäude bei einem Brand beschädigt. Ausgangspunkt des Brandes war ein vom Kläger an der Hausfassade errichteter Pizzaofen. Der zuständige Bezirksschornsteinfegermeister hatte dem Kläger während der Errichtung bestimmte Vorgaben gemacht. Nach Fertigstellung nahm der Kläger den Ofen ohne Abnahme in Betrieb. Nach dem Brand teilte er der Versicherungsmaklerin mit, der Schornsteinfeger habe auf eine Abnahme verzichtet. Diese Mitteilung stellte sich im Laufe des Prozesses als unwahr heraus.

Das LG hat die auf Ersatz der entstandenen Schäden und auf Feststellung der Ersatzpflicht gerichtete Klage abgewiesen und den Kläger zur Rückzahlung der geleisteten Vorschüsse verurteilt. Das OLG hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und die Sache für das Betragsverfahren an das LG zurückverwiesen.

Die vom BGH zugelassene Revision der Beklagten führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung an das OLG.

Das Urteil des OLG unterliegt schon deshalb der Aufhebung, weil das OLG nur über den Zahlungsanspruch entschieden hat, nicht aber über den Feststellungsantrag, und deshalb ein unzulässiges Teilurteil vorliegt.

Unabhängig davon hat das OLG eine Obliegenheitsverletzung des Klägers mit nicht tragfähiger Begründung verneint.

Die Klausel unter B § 8 Nr. 1 Buchst. a Doppelbuchst. aa VGB 2014 (Allgemeine Versicherungsbedingungen der Wohngebäudeversicherung, Stand 2014), die den Versicherungsnehmer zur Einhaltung aller gesetzlichen, behördlichen und vertraglich vereinbarten Sicherheitsvorschriften verpflichtet, ist weder überraschend oder unangemessen noch intransparent. Die Bezugnahme auf gesetzliche und behördliche Vorschriften ist zwar dynamisch, bezieht sich also auch auf Änderungen der einschlägigen Vorgaben. Eine solche Verweisung ist aber auch in Allgemeinen Geschäftsbedingungen zulässig. Eine ausdrückliche Aufzählung aller einschlägigen Vorschriften und Anordnungen ist nicht erforderlich.

Darüber hinaus hat das Berufungsgericht auch ein arglistiges Verhalten des Klägers mit nicht tragfähiger Begründung verneint.

Wenn feststeht, dass Angaben des Versicherungsnehmers im Zusammenhang mit der Schadensregulierung objektiv fasch sind, muss der Versicherungsnehmer plausibel darlegen, wie und weshalb es zu diesen Angaben gekommen ist. Nur wenn er entlastende Umstände vorträgt, obliegt es dem Versicherer, diesen Vortrag zu widerlegen. Im Streitfall hat der Kläger seiner sekundären Darlegungslast nicht genügt.

Praxistipp: Wenn ein Zahlungsantrag mit einem Antrag auf Feststellung der Ersatzpflicht für weitere Schäden verbunden ist, darf ein Grundurteil über den Zahlungsanspruch nur zusammen mit einer Entscheidung über den Feststellungsantrag ergehen.

BGH: Streitwert bei Klagen auf Deckungsschutz

Schwierigkeiten bereitet mitunter der Streitwert für Klagen auf Deckungsschutz gegen eine Rechtsschutzversicherung, vor allem im Instanzenzug: Denn der Streitwert ist letztlich auch für die Frage maßgeblich, ob der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer über 20.000 Euro liegt. Dann wäre nämlich eine Nichtzulassungsbeschwerde eröffnet (§ 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

Sicher ist zunächst, dass es auf die Kosten ankommt, die von dem Versicherer voraussichtlich übernommen werden sollen. Allerdings gilt, da regelmäßig eine Feststellungsklage erhoben wird, zudem ein Feststellungsabschlag von 20 %.

Das entscheidende Problem waren in diesem Fall (BGH, Beschl. v. 4.9.2024 – IV ZR 24/23) allerdings die denkbaren Sachverständigenkosten. Ob diese den Wert erhöhen oder nicht, wird kontrovers diskutiert. Diesbezüglich hat der BGH entschieden, dass sie im Wege der Prognose zu berücksichtigen sind, wenn sie mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit anfallen. Dies entscheidet das Revisionsgericht, und zwar ohne Bindung an einen Streitwertbeschluss des Berufungsgerichts.

Es handelte sich im konkreten Fall um eine „Dieselklage“. Es standen grundsätzlich Sachverständigenkosten von 30.000 Euro im Raum. Allerdings stellen sich die entscheidenden Fragen in zahlreichen Verfahren. Bisher hatte das LG dazu jedoch in keinem Fall ein Gutachten eingeholt. Vielleicht wäre es aber denkbar, dass unter Umständen ein Gutachten zu spezifischen Fragen des betroffenen Fahrzeugs eingeholt werden muss. Von daher kommt der BGH letztlich auf einen angemessen erscheinenden Betrag in Höhe von 10.000 Euro.

Zusammen mit den Anwalts- und Gerichtskosten liegt der Gesamtstreitwert und damit auch die Beschwer des Klägers unter 20.000 Euro, womit die Nichtzulassungsbeschwerde vom BGH verworfen wurde.

Es wird daher bei Fahrzeugen, die nicht besonders hochwertig sind, die Frage des Deckungsschutzes ohne eine Zulassung durch das Berufungsgerichts kaum in die Revisionsinstanz gebracht werden können. Die „Dieselklageindustrie“ wird dies sicher bedauern.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Voraussetzungen für die Adoption eines durch private Samenspende gezeugten Kindes durch die Ehefrau der Mutter.

Zustimmung des privaten Samenspenders zur Adoption
BGH, Beschluss vom 31. Juli 2024 – XII ZB 147/24

Der XII. Zivilsenat bestätigt und ergänzt seine Rechtsprechung zu § 1747 BGB.

Die Beteiligte zu 1 und die Beteiligte zu 2 sind seit Dezember 2017 miteinander verheiratet. Im Juli 2020 gebar die Beteiligte zu 2 ein Kind, das durch private Samenspende gezeugt worden war. Anfang 2020 beantragte die Beteiligte zu 1 mit Zustimmung der Beteiligten zu 2 die Annahme des Kindes. Namen und Adresse des Samenspenders haben sie nicht mitgeteilt. Nach ihrem Vorbringen hat der Spender anlässlich des gerichtlichen Verfahrens in einem Telefongespräch erklärt, auf keinen Fall namentlich benannt werden zu wollen. Deshalb bestehe die Befürchtung, dass er sich bei Preisgabe seines Namens gegen seinen Willen zurückziehe und zu einem späteren Kontakt mit dem Kind nicht mehr bereit sei. Zum Beweis ihres Vortrags haben sie Screenshots einer WhatsApp-Kommunikation vorgelegt.

Das AG hat den Adoptionsantrag zurückgewiesen. Die Beschwerde der Beteiligten zu 1 ist erfolglos geblieben.

Die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1 bleibt ebenfalls ohne Erfolg.

Nach § 1747 Abs. 1 Satz 1 BGB ist für die Adoption die Einwilligung beider Eltern erforderlich. Wenn es keinen rechtlichen Vater im Sinne von § 1592 BGB gibt, gilt gemäß § 1747 Abs. 1 Satz 2 BGB als Vater, wer die Voraussetzungen des § 1600d Abs. 2 Satz 1 (Geschlechtsverkehr während der Empfängniszeit) glaubhaft macht. Im Zusammenhang mit § 1747 Abs. 1 BGB steht hierbei eine private Samenspende dem Geschlechtsverkehr gleich.

Die Sonderregelung in § 1600d Abs. 4 BGB, wonach ein Samenspender nicht als Vater festgestellt werden kann (und deshalb auch dessen Zustimmung zur Adoption nicht erforderlich ist), wenn die künstliche Befruchtung mit ärztlicher Unterstützung erfolgt ist und der Samen in einer Entnahmeeinrichtung im Sinne von § 2 Absatz 1 Satz 1 des Samenspenderregistergesetzes gespendet wurde, gilt für eine private Samenspende nicht.

Nach § 1747 Abs. 4 Satz 1 BGB ist die Einwilligung eines Elternteils entbehrlich, wenn dieser zur Abgabe einer Erklärung dauernd außerstande oder sein Aufenthalt dauernd unbekannt ist. Dieser Ausnahmetatbestand ist nicht erfüllt, wenn die Verfahrensbeteiligten Name und Kontaktdaten des Samenspenders kennen, diese Informationen dem Gericht aber nicht zur Verfügung stellen.

Bei einer privaten Samenspende ist die Zustimmung des Spenders ferner nicht erforderlich, wenn der Spender dem Adoptionsverfahren nicht beitritt. Dies gilt jedoch nur, wenn das Gericht den Spender gemäß § 7 Abs. 4 FamFG von der Einleitung des Verfahrens benachrichtigt hat. Hierzu müssen die Beteiligten dem Gericht Name und Kontaktdaten des Spenders mitteilen, sofern sie über diese Informationen verfügen. Die bloße Mitteilung, der Spender sei an einem Beitritt nicht interessiert, genügt nicht. Die Vorlage von schriftlicher Kommunikation zwischen den Beteiligten und dem Spender genügt ebenfalls nicht, wenn daraus die Identität des Spenders nicht hervorgeht.

Im vorliegenden Fall darf die Adoption danach nicht ausgesprochen werden, weil die Beteiligten Namen und Kontaktdaten des Spenders kennen, aber nicht mitgeteilt haben. Besondere Umstände, die die Mitteilung dieser Informationen als unzumutbar erscheinen lassen können, sind nicht ersichtlich.

Praxistipp: Die Einwilligung in eine Adoption bedarf gemäß § 1750 Abs. 1 Satz 2 BGB der notariellen Beurkundung.

Blog powered by Zöller: Mehrfachverfolgung nach VDuG und UWG – Ein altes Problem wird zum modernen Wiedergänger

Das BayObLG hat mit Beschluss vom 19.7.2024 – 102 VKI 1/24e, MDR 2024, 1264 entschieden, dass eine Abhilfeklage nach dem VDuG nicht mit Blick auf eine frühere Unterlassungsklage nach dem UWG ausgesetzt werden kann, auch wenn beide Verfahren dieselbe geschäftliche Handlung desselben Beklagten (hier die einseitige, die Kunden benachteiligende Änderung der Bedingungen für einen Videostreamingdienst) betreffen.

Worum geht es?

Amazon Germany hat seine Bedingungen für Videostreamingdienstleistungen geändert, indem Nutzer vor die Wahl gestellt wurden, entweder ein höheres Entgelt zu entrichten oder eine Verschlechterung der Dienstleistung (insbesondere durch Einspielen von Werbung) hinzunehmen.

Am 14.3.2024 reichte die Verbraucherzentrale Bundesverband eV deswegen vor dem sachlich und örtlich zuständigen LG München I eine Unterlassungsklage nach § 8 Abs. 1 UWG ein. Wenige Tage später, am 4.4.2024, ging beim BayObLG die Klage der Verbraucherzentrale Sachsen eV ein, mit der Abhilfe wegen derselben geschäftlichen Handlung begehrt wird. Soweit Verbraucher der Entgelterhöhung zustimmten, wird Schadensersatz nach § 9 Abs. 2 UWG verlangt, soweit sie nicht zustimmten, Schadensersatz wegen des Mangels des bezogenen digitalen Produkts (§ 327i Nr. 3 Alt. 2, § 327m Abs. 3 Satz 1, § 327e BGB). Die Beklagte beantragt, das spätere VDuG-Abhilfeverfahren mit Blick auf das frühere UWG-Verfahren auszusetzen.

Entscheidung des BayObLG

Das Gericht folgt dem Antrag nicht, weil kein Fall eines gesetzlichen Aussetzungstatbestandes gegeben sei. Für § 148 Abs. 1 ZPO fehlt es schon an der Identität der Parteien beider Prozesse (unterschiedliche Kläger), zudem ist fraglich, ob der UWG-Unterlassungsanspruch im Abhilfeprozess i.S.v. § 322 Abs. 1 ZPO vorgreiflich ist. Eine „Gesamtanalogie“ zu bestehenden Aussetzungsbestimmungen verbiete sich, weil keine planwidrige Regelungslücke bestehe; der Gesetzgeber habe vielmehr davon abgesehen, das Verhältnis von Abhilfe- und Unterlassungsklagen zu regeln.

Mehrfachverfolgung reloaded

Das Auftreten paralleler Verbandsprozesse mit dem Inkrafttreten des VDuG war (leider) abzusehen. Dabei hatten die bayerischen Gerichte sogar noch Glück, dass nicht auch noch eine dritte klageberechtigte Einrichtung wegen der Änderung beim Streamingdienst eine Unterlassungsklage nach dem UKlaG (§ 2 Abs. 1 UKlaG) vor dem dafür in Bayern ausschließlich zuständigen OLG Bamberg (§ 6 Abs. 1 UKlaG; § 13a Abs. 1 GVG; § 6 GZVJu) erhoben hat (Zöller/G. Vollkommer, ZPO, 35. Aufl. 2024 (Online-Version), § 3 VDuG Rn. 1).

Das Problem ist nicht neu: Die Mehrfachverfolgung desselben Wettbewerbsverstoßes durch verschiedene klagebefugte Einrichtungen gab es schon immer. Neu ist aber die Schärfe, die es gewonnen hat: Die zur Verfügung stehenden Klagearten haben sich vermehrt (neben dem Unterlassungsanspruch gibt es auch die Abhilfeklage), hierfür sind jetzt erstmals unterschiedliche Gerichte ausschließlich sachlich zuständig (§ 13 Abs. 1 UWG: LG; § 3 Abs. 1 VDuG und § 6 Abs. 1 UKlaG: OLG, bzw. BayObLG und OLG) und gelten jeweils eigene Rechtszüge. Das BayObLG versteht den Gesetzgeber so, dass er diese parallele Prozessführung auf verschiedenen Ebenen bewusst in Kauf genommen hat. Wollte man dem noch ein Argument hinzufügen, wird man in der Begründung zum KapMuG 2024 schnell fündig: KapMuG und VDuG sind wegen derselben kapitalmarktrechtlichen Haftung ausdrücklich nebeneinander anzuwenden (§ 1 Abs. 3 KapMuG; § 1 Abs. 3 VDuG). Die damit verbundene doppelte Prozessführung wird ausdrücklich hingenommen, notfalls muss der Große Senat beim BGH eine auftretende Divergenz auflösen (siehe BT-Drucksache 20/10942, S. 30; Zöller/G. Vollkommer, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 1 VDuG Online-Aktualisierung vom 29.8.2024).

Der moderne Gesetzgeber verfolgt bei seinen Vorhaben ausweislich der Gesetzesbegründungen ausdrücklich „Nachhaltigkeitsaspekte“ (siehe BT-Drucksache 20/6520, S. 64 zum VDuG) – aus Sicht der betroffenen Zivilgerichte gilt hier: difficile est, satiram non scribere.

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Anwaltsblog 40/2024: Rechtsanwälte müssen die Gesetze kennen, die in einer Anwaltspraxis gewöhnlich zur Anwendung kommen!

Ob es einen – zur Wiedereinsetzung führenden – unvermeidbaren Rechtsirrtum darstellt, wenn ein Rechtsanwalt die einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung zur Ersatzeinreichung von Rechtsmittelschriften (§ 130d Satz 2 ZPO) nicht kennt, hatte der BGH zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 4. September 2024 – IV ZB 31/23):

 

Die Klägerin beansprucht über ihre nicht in Rede stehende mindestens hälftige Erbenstellung hinaus, Alleinerbin eines Nachlasses in Höhe von 5.000.000 € zu sein. Gegen das die Klage abweisende und der Widerklage stattgebende Urteil des Landgerichts – zugestellt am 3. Juli 2023 – hat ihre Prozessbevollmächtigte durch einen Originalschriftsatz Berufung eingelegt, der am 1. August 2023 in den Nachtbriefkasten des OLG eingeworfen wurde. Am 2. August 2023 wurde die Prozessbevollmächtigte durch das Berufungsgericht auf § 130d ZPO hingewiesen. Am 3. August 2023 übermittelte sie die Berufungsschrift über das beA ihres Ehemannes und teilte mit am 4. August 2023 eingegangenen Schriftsatz mit, sie habe „seit einigen Tagen bis einschließlich heute, den 04.08.2023, ca. 12 Uhr aufgrund von technischen Schwierigkeiten keinen Zugang“ zu ihrem beA-Postfach gehabt. Nachdem das Berufungsgericht angekündigt hatte, die Berufung als unzulässig zu verwerfen, hat die Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Das OLG hat den Antrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen.

Die Rechtsbeschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg. Bis zum Ablauf der am 3. August 2023 endenden Frist ist keine ordnungsgemäße Berufungsschrift beim Berufungsgericht eingegangen. Die Einlegung der Berufung mittels des am 1. August 2023 eingegangenen Originalschriftsatzes ist unwirksam, weil die Klägerin bei Einreichung der Berufung in Schriftform nicht gemäß § 130d Satz 3 Halbsatz 1 ZPO zu den Voraussetzungen des § 130d Satz 2 ZPO vorgetragen und diese glaubhaft gemacht hat, obwohl ihr zu diesem Zeitpunkt die Hinderungsgründe für eine Einreichung auf dem gesetzlich vorgeschriebenen Weg bekannt waren und ihr zugleich eine sofortige Glaubhaftmachung dieser Gründe möglich war. Zum Zeitpunkt der Einlegung der Berufung in Schriftform war der Ausfall ihres beA der Prozessbevollmächtigen seit einigen Tagen bekannt. In einem solchen Fall ist es ohne rechtliche Wirkung, wenn erst nachträglich die Voraussetzungen für eine Ersatzeinreichung dargelegt und glaubhaft gemacht werden. Die Voraussetzungen der anerkannten Ausnahmen von dem Grundsatz, dass die Einlegung der Berufung ohne eine gleichzeitig mit der Ersatzeinreichung erfolgte Glaubhaftmachung unwirksam ist, liegen hier nicht vor. Weder hat die Klägerin die Darlegung der Hinderungsgründe am Tag der Ersatzeinreichung nachgeholt, noch hatte ihre Prozessbevollmächtigte das technische Defizit erst kurz vor Fristablauf bemerkt, so dass ihr keine Zeit blieb, die Hinderungsgründe glaubhaft zu machen. Letzteres ergibt sich daraus, dass die Frist zur Einlegung der Berufung erst mit Ablauf des übernächsten Tages endete.

Auch die Übermittlung der Berufungsschrift am 3. August 2023 in der Form eines von der Prozessbevollmächtigten der Klägerin einfach signierten Schriftsatzes über das beA ihres Ehemannes stellt keine wirksame Einlegung des Rechtsmittels dar. Die Einreichung eines elektronischen Dokuments bei Gericht ist nur dann formgerecht, wenn es entweder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist oder von der verantwortenden Person selbst auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht wird (§ 130a Abs. 3 und 4 ZPO). Entgegen der Auffassung der Klägerin stellt die Übersendung mit lediglich einer einfachen Signatur ihrer Prozessbevollmächtigen über das beA eines anderen Rechtsanwalts keine wirksame Einlegung des Rechtsmittels dar. Zwar ist das beA grundsätzlich ein sicherer Übermittlungsweg (§ 130a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ZPO). Allerdings soll durch die Regelungen des § 130a Abs. 3 und 4 ZPO sichergestellt werden, dass die Identität des Signierenden von einem Dritten geprüft und bestätigt wurde. Bei der Übermittlung mittels des beA erfolgt die Überprüfung der Identität des Absenders bei der Prüfung des Zulassungsantrags durch die Rechtsanwaltskammern und der nachfolgenden Zuteilung eines beA an den Rechtsanwalt. Der sichere Übermittlungsweg über das beA gewährleistet die Identität des Absenders deshalb nur dann, wenn die verantwortende Person – also der Rechtsanwalt als Inhaber des beA (hier der Ehemann der Prozessbevollmächtigten der Klägerin) – den Versand selbst vornimmt. Diese Voraussetzungen waren hier aber nicht erfüllt. Vielmehr hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin dargelegt, sie habe das Versenden der Berufungsschrift über das beA selbst vorgenommen, nachdem ihr Ehemann – unter Verstoß gegen § 23 Abs. 3 Satz 5 RAVPV – den Zugang zu seinem beA zur Verfügung gestellt hatte. In diesem Zusammenhang kommt es gerade nicht auf die Identität zwischen demjenigen, der das elektronische Dokument einfach signiert, und demjenigen, der die Absendung tatsächlich vornimmt, an.

Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht auch das Vorliegen eines Wiedereinsetzungsgrundes verneint. Die Klägerin war nicht ohne Verschulden verhindert, die Frist zur Einlegung der Berufung einzuhalten; sie muss sich insoweit das Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen. Ohne Erfolg macht sie geltend, der ihrer Prozessbevollmächtigten unterlaufene Fehler bei der Einreichung der Berufung durch einen Originalschriftsatz ohne gleichzeitige Glaubhaftmachung der Hinderungsgründe sei ein unvermeidbarer Rechtsirrtum gewesen. Der Rechtsirrtum eines Rechtsanwalts über gesetzliche Erfordernisse ist regelmäßig nicht unverschuldet. Ein Rechtsanwalt muss die Gesetze kennen, die in einer Anwaltspraxis gewöhnlich zur Anwendung kommen. Eine irrige Auslegung des Verfahrensrechts kann als Entschuldigungsgrund nur dann in Betracht kommen, wenn der Verfahrensbevollmächtigte die volle von einem Rechtsanwalt zu fordernde Sorgfalt aufgewendet hat, um zu einer richtigen Rechtsauffassung zu gelangen. Hierbei ist ein strenger Maßstab anzulegen, denn der Beteiligte, der dem Anwalt die Verfahrensführung überträgt, darf darauf vertrauen, dass er dieser als Fachmann gewachsen ist. Selbst wenn die Rechtslage zweifelhaft ist, muss der bevollmächtigte Anwalt den sicheren Weg wählen. Von einem Rechtsanwalt ist zu verlangen, dass er sich anhand einschlägiger Fachliteratur über den aktuellen Stand der Rechtsprechung informiert. Dazu besteht umso mehr Veranlassung, wenn es sich um eine vor kurzem geänderte Gesetzeslage handelt, die ein erhöhtes Maß an Aufmerksamkeit verlangt. Ein Rechtsirrtum ist nur ausnahmsweise als entschuldigt anzusehen, wenn er auch unter Anwendung der erforderlichen Sorgfaltsanforderungen nicht vermeidbar war. Hieran gemessen erweist sich der Rechtsirrtum der Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht als unvermeidbar. Die Rechtsfrage, ob im Falle einer Ersatzeinreichung eines Schriftsatzes nach § 130d Satz 2 ZPO die Glaubhaftmachung der Hinderungsgründe im Regelfall gleichzeitig zu erfolgen hat, ist höchstrichterlich geklärt, so dass sich die Prozessbevollmächtigte der Klägerin hieran hätte orientieren müssen. Es ergeben sich auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass hinsichtlich der unwirksamen Übermittlung der Berufung als elektronisches Dokument über das beA ihres Ehemannes ein unvermeidbarer Rechtsirrtum der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vorliegt. Auch insoweit war die Rechtslage geraume Zeit vor der hier in Rede stehenden Nutzung eines fremden beA mit einfacher Signatur am 3. August 2023 geklärt; an dieser Rechtsprechung hätte sich die Prozessbevollmächtigte der Klägerin orientieren müssen.

 

Fazit: Von einem Rechtsanwalt kann erwartet werden, dass er (selbst) die Voraussetzungen für die wirksame Einlegung eines Rechtsmittels kennt (BGH, Beschluss vom 10. Januar 2023 – VIII ZB 41/22 –, MDR 2023, 383).

Online-Dossier: Digitalisierung im Prozessrecht – Videokonferenztechnik, Elektronischer Rechtsverkehr, Online-Verfahren

Neue Gesetze im deutschen Prozessrecht – das Gesetz zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeiten, aber auch das Gesetz zur weiteren Digitalisierung der Justiz – befördern den modernen und überfälligen Digitalisierungsprozess in den Gerichten. Einen noch größeren Schritt in die Zukunft unternimmt das BMJ mit der Entwicklung und Erprobung eines vereinfachten, digital unterstützten Verfahren für Zahlungsklagen bis zu 5.000 € an bestimmten Amtsgerichten. Alle Neuregelungen sorgen einerseits für zeitgemäße Verfahrensweisen; andererseits stellen sich neue Fragen bzw. bleiben Probleme ungeklärt. Die Gerichte stehen vor erheblichen Veränderungen und die Anwaltschaft vor neuen Herausforderungen. In unserem stetig anwachsenden Online-Dossier finden Sie zahlreiche Aufsätze und wertvolle Kommentierungen zu den neuen Vorschriften sowie praxisnahe Hilfestellungen und bleiben bei allen Entwicklungen auf den neuesten Stand.

 

1. Aufsätze

  • Greger, Neue Regeln für elektronische Schriftsätze – Wie persönliche und rechtsgeschäftliche Erklärungen zu übermitteln sind, MDR 2024, 1013
  • Bacher, Gerichtsverhandlung per Videokonferenz — Neuregelungen durch das Gesetz zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik, MDR 2024, 945
  • Beck, Der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Entwicklung und Erprobung eines Online-Verfahrens in der Zivilgerichtsbarkeit, MDR 2024, R161
  • Odrig, Der zivilprozessuale Öffentlichkeitsgrundsatz im Zeitalter digitaler Kommunikation, MDR 2024, 877
  • Dötsch, Das digitale Präsidium, MDR 2024, 11
  • Bayreuther, Gesetz zur weiteren Digitalisierung der Justiz (§ 46h ArbGG, § 130e ZPO): Renaissance der Schriftsatzkündigung?, DB 2024, 1820
  • Beck, Die virtuelle Verhandlung, GVRZ 2023, 6

 

2. Literatur

 

Zöller, Zivilprozessordnung ZPO
Kommentar

— Gesetz zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und in den Fachgerichtsbarkeiten —

Komplettaustausch der Kommentierung:

Zu den anderen zahlreichen geänderten Normen finden Sie den neuen Gesetzestext unter dem bisherigen Normtext und Annotationen an Ort und Stelle in den Kommentierungen selbst:

 

— Gesetz zur weiteren Digitalisierung der Justiz —

Komplettaustausch der Kommentierung:

Annotationen:

 

Hinzu kommt eine Reihe von regelmäßigen Annotationen, vor allem zu wichtiger neuer Rechtsprechung, u.a. auch zum elektronischen Rechtsverkehr:

 

3. Aktuelle Rechtsprechung

  • BVerfG, Beschl. v. 15.1.2024 – 1 BvR 1615/23: Videoverhandlung: Verwendung nur einer Kamera ohne Zoomfunktion, MDR 2024, 320,
  • BFH, Beschl. v. 30.6.2023 – V B 13/22: Videokonferenz: Erfordernis der Sichtbarkeit aller Richter, MDR 2023, 1131,
  • BFH, Beschl. v. 30.6.2023 – V B 13/22: Videokonferenz: Erfordernis der Sichtbarkeit aller Richter, MDR 2023, 1570 (Greger),

 

4. Blog-Beiträge

Anwaltsblog 39/2024: Rechtsanwälte müssen immer den sichersten Weg wählen!

Welche Verpflichtungen den Rechtsanwalt treffen, wenn unklar ist, ob die Zustimmung zum Ruhen eines Verfahrens nach sechs Monaten die Hemmungswirkung einer Klage beendet (§ 204 Abs. 2 BGB), hatte der IX. Zivilsenat zu entscheiden (BGH, Urteil vom 19. September 2024 – IX ZR 130/23):

Der Kläger nimmt die Beklagten als seine früheren Rechtsanwälte auf Schadensersatz in Anspruch, weil sie nicht verhindert hätten, dass der ihm gegen seine frühere Ehefrau zustehende Zugewinnausgleichsanspruch verjährt sei. Die Ehefrau des Klägers nahm diesen vor dem Familiengericht Mannheim auf Zugewinn in Anspruch. Der Kläger erhob darauf ebenfalls eine auf Ausgleich des Zugewinns gerichtete Klage vor dem Familiengericht Delmenhorst. Dieses schlug den Parteien das Ruhen des Verfahrens vor; der Ausgang des Verfahrens in Mannheim solle abgewartet werden. Die Beklagten beantragten das Ruhen des Verfahrens; die Ehefrau des Klägers stimmte zu. Nach Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung des Klägers in dem in Mannheim betriebenen Verfahren riefen die Beklagten das Verfahren in Delmenhorst wieder auf. Das Familiengericht Delmenhorst wies die Klage ab, weil im Zeitpunkt der Wiederaufnahme des Verfahrens bereits Verjährung eingetreten gewesen sei. Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagten hätten erkennen müssen, dass das Ruhen des Verfahrens die Verjährung des Zugewinnausgleichsanspruchs zur Folge haben würde. Das OLG hat seine Klage abgewiesen.

Die Revision des Klägers hat Erfolg. Entgegen der Annahme des OLG haben die Beklagten die ihnen aufgrund des mit dem Kläger geschlossenen Anwaltsvertrags obliegende Pflicht verletzt, den sichersten Weg zu wählen, die Rechte des Klägers zu sichern und geltend zu machen. Denn sie haben ihn weder über die mit einem Ruhen des Verfahrens verbundenen Risiken für ein Ende der Hemmung der Verjährung aufgeklärt noch Maßnahmen aufgezeigt oder ergriffen, um erhebliche Unsicherheiten über die drohende Verjährung des Zugewinnausgleichsanspruchs zu vermeiden. Die Beklagten haben das ruhend gestellte Verfahren über den Zugewinnausgleichsanspruch des Klägers nicht vor dem Ablauf der in § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB geregelten Frist von sechs Monaten wieder aufgerufen und auch nicht mit der Ehefrau des Klägers eine ausdrückliche Vereinbarung über die weitere Hemmung der Verjährung getroffen.

Der Rechtsanwalt muss seinem Auftraggeber den sichersten und gefahrlosesten Weg vorzuschlagen und ihn über mögliche Risiken aufzuklären, damit der Mandant zu einer sachgerechten Entscheidung in der Lage ist. Wenn mehrere Maßnahmen in Betracht kommen, hat er diejenige zu treffen, welche die sicherste und gefahrloseste ist, und, wenn mehrere Wege möglich sind, um den erstrebten Erfolg zu erreichen, den zu wählen, auf dem dieser am sichersten erreichbar ist. Gibt die rechtliche Beurteilung zu begründeten Zweifeln Anlass, so muss der Rechtsanwalt auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass sich die zur Entscheidung berufene Stelle der seinem Auftraggeber ungünstigeren Beurteilung der Rechtslage anschließt.

Die Beklagten waren beauftragt, den Zugewinnausgleichsanspruch des Klägers geltend zu machen. Sie waren dabei auch verpflichtet, vermeidbare Nachteile für den Kläger als ihren Mandanten zu verhindern. Sie hatten deshalb dessen Anspruch vor der Verjährung zu sichern. Diese Pflicht haben sie schuldhaft verletzt. Sie haben keine ausreichenden Maßnahmen ergriffen, um eine drohende Verjährung des Zugewinnausgleichsanspruchs des Klägers rechtssicher auszuschließen. Die maßgebliche dreijährige Verjährungsfrist des § 1378 Abs. 4 Satz 1 BGB a.F. begann am 22. Juli 2004 mit der Kenntnis des Klägers von der Rechtskraft des Scheidungsurteils zu laufen. Durch die am 31. Mai 2007 erhobene Klage wurde die Verjährung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB gehemmt. Die Hemmung endete gemäß § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB sechs Monate nach der rechtskräftigen Entscheidung oder anderweitigen Beendigung des eingeleiteten Verfahrens. Gerät das Verfahren in Stillstand, weil es die Parteien nicht betreiben, so tritt gemäß § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB die letzte Verfahrenshandlung an die Stelle der Beendigung des Verfahrens. Mit Beschluss vom 14. Januar 2007 wurde das Ruhen des Verfahrens vor dem Familiengericht Delmenhorst angeordnet; das Verfahren geriet hierdurch in Stillstand (§ 204 Abs. 2 Satz 1 BGB). Dann mussten die Beklagten Rechnung stellen, dass im Regelfall die Hemmung der Verjährung des Anspruchs des Klägers sechs Monate später mit Ablauf des 14. Juli 2007 endete. Die zwischenzeitlich gehemmte Verjährung wäre dann wieder in Lauf gesetzt worden. Unter diesen Voraussetzungen wäre die Verjährung des Zugewinnausgleichsanspruchs des Klägers bereits eingetreten gewesen, als die Beklagten im November 2007 das Verfahren wieder aufriefen. Denn zu diesem Zeitpunkt wären die von der dreijährigen Verjährungsfrist vor Eintritt der Hemmung noch verbliebenen 52 Tage abgelaufen gewesen. Den Beklagten musste einerseits bekannt sein, dass nach § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB die Hemmung der Verjährung sechs Monate nach der rechtskräftigen Entscheidung oder anderweitigen Beendigung des eingeleiteten Verfahrens endete. Andererseits mussten sie wissen, dass gemäß § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB die letzte Verfahrenshandlung an die Stelle der Beendigung des Verfahrens tritt, wenn das Verfahren in Stillstand gerät, weil die Parteien es nicht betreiben. Die Beklagten durften nicht außer Acht lassen, dass die Rechtsprechung bereits im Jahr 2007 das Ruhen des Verfahrens als Stillstand iSd. § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB a.F. einordnete und auch in den zur Zeit der rechtlichen Beratung gängigen Kommentaren auf dieses Problem hingewiesen wurde.

Der Annahme einer Pflichtverletzung der Beklagten steht nicht entgegen, dass möglicherweise ein triftiger Grund iSd. § 204 Abs. 2 BGB für das Untätigbleiben der Beklagten zu 2 bestand. Denn nach dem gerade für Verjährungsfragen maßgeblichen „Gebot des sichersten Weges“ hatten die Beklagten im Hinblick auf eine etwaige ungünstigere Beurteilung der Rechtslage durch das mit der Sache befasste Gericht den Weg aufzuzeigen, der eine Verjährung des Zugewinnausgleichsanspruchs des Klägers jedenfalls sicher verhindert hätte. Demgemäß ist die Frage, ob im Streitfall ein triftiger Grund bestand, das Verfahren nicht zu betreiben, von drei Gerichten verneint, von dem Berufungsgericht jedoch bejaht worden. Bereits die unterschiedliche Beurteilung dieser Frage durch die Gerichte deutet darauf hin, dass die Beklagten insoweit nicht den sichersten Weg eingeschlagen haben. Die Beklagten hatten den Kläger über die Maßnahmen aufzuklären, die den Eintritt der Verjährung des Anspruchs zu verhindern vermochten. Auch hätten sie dem Kläger aufzeigen müssen, dass trotz der Anregung des Gerichts von einer entsprechenden Antragstellung abgesehen werden konnte. Sie hätte den Kläger auf die mit der Durchführung des Verfahrens verbundenen Risiken, insbesondere die dadurch anfallenden Kosten hinweisen müssen. Ferner hätten die Beklagten dem Kläger auch vorschlagen können, mit der Ehefrau des Klägers eine ausdrückliche Vereinbarung über die weitere Hemmung der Verjährung zu treffen. Soweit die Ehefrau des Klägers zu einer Vereinbarung nicht bereit gewesen wäre, hätten die Beklagten dem Kläger die dann zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, die Verjährung des Zugewinnausgleichsanspruchs zu verhindern, darstellen müssen.

 

Fazit: Der Rechtsanwalt hat, wenn mehrere Maßnahmen in Betracht kommen, diejenige zu treffen, welche die sicherste und gefahrloseste ist, und, wenn mehrere Wege möglich sind, um den erstrebten Erfolg zu erreichen, den zu wählen, auf dem dieser am sichersten erreichbar ist. Gibt die rechtliche Beurteilung zu ernstlich begründeten Zweifeln Anlass, so muss er auch in Betracht ziehen, dass sich die zur Entscheidung berufene Stelle der seinem Auftraggeber ungünstigeren Beurteilung der Rechtslage anschließt (BGH Urt. v. 23.9.2004 – IX ZR 137/03, MDR 2005, 435).

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um das Erfordernis einer familiengerichtlichen Genehmigung für die Ausschlagung einer Erbschaft.

Kein Genehmigungserfordernis für lenkende Ausschlagung
BGH, Beschluss vom 4. September 2024 – IV ZB 37/23

Der IV. Zivilsenat befasst sich mit § 1643 Abs. 3 Satz 1 BGB.

Die Beteiligten sind der Witwer, die beiden Kinder und der Enkel einer im Jahr 2022 verstorbenen Erblasserin. Diese hatte im Rahmen einer gegenseitigen Erbeinsetzung durch Erbvertrag ihren Ehemann zum Alleinerben bestimmt. Als Ersatzerben sind im Vertrag die beiden Kinder vorgesehen, ersatzweise deren Abkömmlinge.

Der Witwer und die beiden Kinder streben aus steuerlichen Gründen an, anstelle der vertraglich bestimmten Erbfolge die gesetzliche Erbfolge eintreten zu lassen. Deshalb haben sie die Erbschaft aus dem Berufungsgrund der gewillkürten Erbenstellung ausgeschlagen. Der Sohn und dessen Ehefrau haben dieselbe Erklärung auch im Namen ihres Kindes abgegeben.

Den daraufhin gestellten Antrag auf Erteilung eines Europäischen Nachlasszeugnisses, das den Witwer und die beiden Kinder als gesetzliche Erben zu ½ bzw. zu jeweils ¼ ausweist, wies das AG zurück. Die dagegen gerichtete Beschwerde blieb erfolglos.

Der BGH weist das AG an, das Europäische Nachlasszeugnis wie beantragt zu erteilen.

Zu Recht haben die Vorinstanzen angenommen, dass der Witwer und die beiden Kinder ihre Stellung als vertraglicher Erbe wirksam ausgeschlagen haben.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen ist auch die im Namen des Enkels erklärte Ausschlagung wirksam.

Nach § 1643 Abs. 1 und § 1851 Nr. 1 BGB können Eltern im Namen ihres minderjährigen Kindes eine Erbschaft nur mit Genehmigung des Familiengerichts ausschlagen. Nach§ 1643 Abs. 3 Satz 1 BGB ist eine Genehmigung entbehrlich, wenn die Erbschaft erst infolge der Ausschlagung eines Elternteils eintritt, der das Kind allein oder gemeinsam mit dem anderen Elternteil vertritt.

Wie auch die Vorinstanzen nicht verkannt haben, ist der Tatbestand dieser Ausnahmevorschrift im Streitfall dem Wortlaut nach erfüllt. Entgegen einer in Literatur und Instanzrechtsprechung verbreiteten Auffassung ist eine so genannte lenkende Ausschlagung – d.h. eine Ausschlagung, die zur Folge hat, dass der die Erklärung im Namen des Kindes abgebende Elternteil gesetzlicher Erbe wird – von diesem Tatbestand nicht aus anderen Gründen ausgenommen. Für eine teleologische Reduktion der Vorschrift fehlt es schon an einer planwidrigen Regelungslücke.

Nach § 1643 Abs. 3 Satz 1 BGB bleibt eine Genehmigung erforderlich, wenn ein ausschlagender Elternteil und das von ihm vertretene Kind Miterben sind. In dieser Konstellation besteht nach Einschätzung des Gesetzgebers ein Interessenkonflikt, weil es um eine Rechtsstellung geht, die das Kind unabhängig von der Entscheidung des Elternteils innehat. Ein vergleichbarer Interessenskonflikt droht nicht, wenn das Kind nur deshalb zum Erben berufen ist, weil ein Elternteil die Erbschaft ausgeschlagen hat. Wenn in diesem Fall der im Namen des Kindes ausschlagende Elternteil gesetzlicher Erbe wird, kann zwar ebenfalls ein Interessenkonflikt drohen. Der Gesetzgeber hat sich aber bewusst dafür entschieden, diese Konstellation dennoch vom Genehmigungserfordernis auszunehmen.

Praxistipp: Die Ausschlagung einer Erbschaft muss gemäß § 1944 BGB innerhalb von sechs Wochen nach Kenntnis von Anfall und Grund erfolgen, und zwar gemäß §1945 BGB durch öffentlich beglaubigte oder zu Protokoll abgegebene Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht.

Anwaltsblog 38/2024: Anscheinsbeweisfür beratungsgerechtes Verhalten des rechtsschutzversicherten Mandanten bei objektiver Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung

Welche Auswirkungen die Deckungszusage des Rechtsschutzversicherers seines Mandanten auf den Regressanspruch gegen den Rechtsanwalt wegen Führung eines aussichtlosen Prozesses hat, hat der BGH entschieden (BGH, Urteil vom 16. Mai 2024 – IX ZR 38/23):

 

Die Klägerin, ein Rechtsschutzversicherer, nimmt den beklagten Rechtsanwalt aus übergegangenem Recht von neun ihrer Versicherungsnehmer auf Ersatz eines Kostenschadens in Anspruch. Der Schaden soll dadurch verursacht worden sein, dass der Beklagte für die Versicherungsnehmer von vornherein aussichtslose Rechtsstreitigkeiten geführt habe. Diese hatten sich über eine Treuhandkommanditistin, eine Steuerberatungsgesellschaft, an einer Fondsgesellschaft beteiligt und daraus Verluste erlitten. Die Klagen gegen den Berufshaftpflichtversicherer der Steuerberatungsgesellschaft hatten keinen Erfolg. Der Regressprozess gegen den beklagten Rechtsanwalt hatte vor dem OLG Erfolg. Dieser habe die Anleger nicht über die erheblichen Prozessrisiken informiert. Hätte der Rechtsanwalt die Anleger richtig beraten, hätten sie von der Rechtsverfolgung Abstand genommen. Da die Klagen objektiv aussichtslos gewesen seien, spreche ein Anscheinsbeweis dafür, dass sich die Anleger bei korrekter Beratung entsprechend verhalten hätten.

Die Revision des Beklagten hat Erfolg. Sie führt zur Wiederherstellung des klageabweisenden erstinstanzlichen Urteils. Rechtsfehlerhaft ist die Feststellung des Berufungsgerichts, die Versicherungsnehmer der Klägerin hätten sich im Falle zutreffender Rechtsberatung gegen eine (weitere) Rechtsverfolgung entschieden. Die Frage, wie sich der Mandant bei vertragsgerechter Belehrung durch den rechtlichen Berater verhalten hätte, zählt zur haftungsausfüllenden Kausalität, die der Anspruchsteller nach dem Maßstab des § 287 ZPO zu beweisen hat. Zu Gunsten des Anspruchstellers ist jedoch zu vermuten, der Mandant wäre bei pflichtgemäßer Beratung den Hinweisen des Rechtsanwalts gefolgt, sofern im Falle sachgerechter Aufklärung aus der Sicht eines vernünftig urteilenden Mandanten eindeutig eine bestimmte tatsächliche Reaktion nahegelegen hätte. Eine solche Vermutung kommt hingegen nicht in Betracht, wenn nicht nur eine einzige verständige Entschlussmöglichkeit bestanden hätte, sondern nach pflichtgemäßer Beratung verschiedene Handlungsweisen ernsthaft in Betracht gekommen wären. Der Anscheinsbeweis setzt voraus, dass ein Sachverhalt feststeht, auf dessen Grundlage die Schlussfolgerung gerechtfertigt ist, dass der Mandant bei zutreffender Beratung von einer Rechtsverfolgung abgesehen hätte. Ausgangspunkt ist die allgemeine Lebenserfahrung. Dies kann angesichts der Interessen eines rechtsschutzversicherten Mandanten, mit Hilfe seiner Rechtsschutzversicherung von Kostenrisiken befreit zu werden, erst dann bejaht werden, wenn das Ergebnis der rechtlichen Beurteilung in jeder Hinsicht unzweifelhaft ist. Die Annahme der Aussichtslosigkeit unterliegt hohen Anforderungen. Die Rechtsverfolgung muss aus der maßgeblichen Sicht ex ante aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen objektiv aussichtslos gewesen sein. Dies kommt etwa in Betracht, wenn eine streitentscheidende Rechtsfrage höchstrichterlich abschließend geklärt ist. Fehlt es an einer höchstrichterlichen Klärung, muss sich der Sachverhalt zudem derart unter Rechtsvorschriften subsumieren lassen, dass das Ergebnis einer Auslegung unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zweifelhaft sein kann.

Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht verkannt. Die Voraussetzungen des Anscheinsbeweises bei einwandfrei erteilter Deckungszusage sind nicht aufgrund einer höchstrichterlich geklärten Rechtslage gegeben. Die Frage des Deckungsanspruchs gegen den Vermögensschadenhaftpflichtversicherer der Steuerberatungsgesellschaft war höchstrichterlich nicht abschließend geklärt.

 

Fazit: Der Rechtsanwalt ist zur Beratung des Mandanten über die Erfolgsaussichten einer in Aussicht genommenen Rechtsverfolgung verpflichtet, unabhängig davon, ob der Mandant rechtsschutzversichert ist oder nicht. Die Pflicht des Rechtsanwalts, den Mandanten über die Erfolgsaussichten einer in Aussicht genommenen Rechtsverfolgung aufzuklären, endet nicht mit deren Einleitung; verändert sich die rechtliche oder tatsächliche Ausgangslage im Laufe des Verfahrens, muss der Rechtsanwalt seinen Mandanten über eine damit verbundene Verschlechterung der Erfolgsaussichten aufklären (BGH, Urteil vom 16. September 2021 – MDR 2021, 1357).