Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Formbedürftigkeit von längerfristigen Grundstücksmietverträgen.

Schriftform bei Änderung der Nebenkostenvorauszahlung
BGH, Beschluss vom 14. Mai 2025 – XII ZR 88/23

Der XII. Zivilsenat stellt eine vertragliche Änderung der Nebenkostenvorauszahlung einer Änderung der Miethöhe gleich.

Die Entscheidung des BGH enthält keine Darstellung des Sachverhalts. Den Gründen ist zu entnehmen, dass der Kläger durch Erwerb eines Grundstücks gemäß § 566 BGB in einen Mietvertrag eingetreten ist, der für einen Zeitraum mehr als ein Jahr abgeschlossen worden war, und dass der Kläger geltend macht, der Vertrag gelte gemäß § 550 BGB für unbestimmte Zeit, weil eine zwischen dem früheren Vermieter und dem Beklagten getroffene Vereinbarung über die Erhöhung der Nebenkostenvorauszahlung nicht der Schriftform genüge.

Der BGH weist die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten zurück.

Der BGH hat wiederholt entschieden, dass eine Vereinbarung über die Änderung der Miethöhe bei längerfristig abgeschlossenen Verträgen gemäß § 550 BGB der Schriftform bedarf. Wenn die Änderungsvereinbarung dieser Anforderung nicht genügt, gilt der gesamte Vertrag fortan nur noch für unbestimmte Zeit.

Eine Änderung über die Miethöhe liegt auch dann vor, wenn die Höhe der Nebenkostenvorauszahlung geändert wird. Eine mündliche Vereinbarung dieses Inhalts hat deshalb zur Folge, dass die Befristung unwirksam wird.

Nach der Rechtsprechung des BGH ist es einer Vertragspartei allerdings nach Treu und Glauben verwehrt, sich auf den Formmangel zu berufen, wenn die Änderungsvereinbarung sie ausschließlich rechtlich und wirtschaftlich begünstigt. Im Streitfall hätte der ursprüngliche Vermieter sich deshalb wohl nicht von der Befristung lösen können. Diese Beschränkung gilt grundsätzlich aber nur für Parteien, die an der Vertragsänderung beteiligt waren, nicht für einen Erwerber, der gemäß § 566 BGB in den geänderten Vertrag eintritt. Der Klägerin ist deshalb nicht daran gebunden.

Praxistipp: Die formwirksame Änderung eines nach § 550 BGB formbedürftigen Mietvertrags erfordert eine hinreichend deutliche Bezugnahme auf den ursprünglichen Mietvertrag und alle zuvor abgeschlossenen Änderungsvereinbarungen.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Relevanz von Hilfsanträgen bei der Berechnung der Beschwer in einem Rechtsmittelverfahren.

Wert der Beschwer bei nicht beschiedenen Hilfsanträgen
BGH, Beschluss vom 20. Februar 2025 – I ZR 119/24

Eine Entscheidung des I. Zivilsenats verdeutlicht, dass das Bestreben, das Kostenrisiko möglichst gering zu halten, mit Nebenwirkungen verbunden sein kann.

Die Klägerin hat die Beklagte im Jahr 2018 mit dem Transport und der anschließenden Lagerung einer Druckmaschine betraut. Bei der Auslieferung der Maschine im Jahr 2022 stellte sich heraus, dass die Maschine starke Rostschäden aufweist und nicht mehr funktionsfähig ist. Die Klägerin beziffert den daraus resultierenden Schaden auf rund 370.000 Euro. Die Beklagte beruft sich unter anderem auf die in Nr. 24.1.2 ADSp vorgesehene Haftungsobergrenze von 35.000 Euro. Die Klägerin macht geltend, diese Obergrenze sei gemäß Nr. 27.1 ADSp nicht einschlägig, weil die Beklagte grob fahrlässig gehandelt habe.

Die Klägerin begehrt Zahlung von 35.001 Euro. Für den Fall, dass dieser Antrag in vollem Umfang Erfolg hat, verlangt sie ergänzend die Zahlung weiterer 335.000 Euro und die Feststellung, dass die Beklagte zum Ersatz aller weiteren Schäden verpflichtet ist. Das LG hat die Klage abgewiesen. Das OLG hat der Klägerin einen Ersatzanspruch in Höhe von 35.000 Euro zuerkannt und die weitergehende Berufung zurückgewiesen.

Der BGH setzt den Streitwert des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens auf 1 Euro fest.

Für die Berechnung der geltend zu machenden Beschwer ist nur die Differenz zwischen dem Hauptantrag und dem vom Berufungsgericht zugesprochenen Betrag maßgeblich. Diese beträgt 1 Euro.

Die Hilfsanträge der Klägerin wären nur dann maßgeblich, wenn das OLG über sie entschieden hätte. Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht gegeben.

Entgegen der Auffassung der Klägerin gilt der aufgezeigte Grundsatz nicht nur für Hilfsanträge, die für den Fall gestellt worden sind, dass der Hauptantrag erfolglos bleibt, sondern auch für solche, die unter der Bedingung stehen, dass der Hauptantrag Erfolg hat.

Praxistipp: Um die Möglichkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde offenzuhalten, muss der Hauptantrag in solchen Fällen auf Zahlung von mehr als 20.000 Euro gerichtet sein. Im vorliegenden Fall hätte der Kläger mithin mindestens 55.001 Euro einklagen müssen, um eine höchstrichterliche Entscheidung über die Anwendbarkeit der Haftungsobergrenze herbeiführen zu können.

Anwaltsblog 23/2025: Ist der Verzicht auf einen Zeugen widerruflich?

Ob eine Prozesspartei, die auf einen Zeugen zunächst verzichtet hatte, den Zeugen erneut benennen kann, hatte der BGH zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 8. Mai 2025 – V ZR 152/24):

Die Beklagte veräußerte 2011 an den Kläger eine Grundstücksteilfläche von ca. 1.000 m² zur Bebauung unter Ausschluss der Rechte wegen Sachmängeln aller Art. In einem im Jahr 2004 von der Beklagten mit ihrem damaligen Nachbarn, dem Zeugen Sch., geführten Schiedsverfahren hatte die Schiedsstelle im Juni 2004 festgestellt, durch das Grundstück der Beklagten verlaufe ein „verrohrtes Entwässerungssystem“. Bei den vom Kläger durchgeführten Abrissarbeiten wurde eine über das Teilgrundstück unterirdisch in ca. 13 cm Tiefe verlaufende Abwasserleitung, die der Entwässerung von vier Nachbargrundstücken diente, beschädigt. Die Existenz der Leitung war weder in amtlichen Unterlagen vermerkt noch in dem Lageplan, der der Niederschrift zum Grenztermin zur Neuvermessung des Kaufgrundstücks beigefügt war. Gestützt auf die Auffassung, die Beklagte habe die bestehende Verrohrung gekannt und arglistig verschwiegen, begehrt der Kläger u.a. Erstattung seiner Aufwendungen für die Wiederherstellung der Rohrleitungen.

Das Landgericht hat die Klage ab-, das OLG die Berufung zurückgewiesen. Wegen des wirksam vereinbarten Haftungsausschlusses setze eine Haftung der Beklagten voraus, dass sie dem Kläger die Entwässerungsleitung arglistig verschwiegen habe. Der Kläger habe den ihm obliegenden Beweis für das arglistige Verschweigen der Abwasserleitung durch die Beklagte nicht erbracht. Er habe ausdrücklich auf die Vernehmung des Zeugen Sch. verzichtet. Der Verzicht nach § 399 ZPO habe zur Folge, dass dem erstinstanzlichen Gericht eine Verwertung dieses Beweismittels verwehrt sei. Ob die in erster Instanz zurückgezogenen Zeugen im Berufungsverfahren erstmals zu vernehmen seien, sei nach den Regelungen zur Tatsachengrundlage der Berufungsentscheidung zu beantworten. Der Beweisantritt wäre als neues Angriffs- oder Verteidigungsmittel iSd. § 531 Abs. 2 ZPO zu werten. Diese Frage könne jedoch dahinstehen, weil der Zeuge Sch. von dem Kläger in zweiter Instanz nicht ausdrücklich erneut als Zeuge benannt sei.

Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, weil das Berufungsgericht den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Das Berufungsgericht übergeht das erhebliche, auf Vernehmung des Zeugen Sch. gerichtete Beweisangebot des Klägers prozessordnungswidrig. Es meint zu Unrecht, es mangele an einem Beweisantritt des Klägers, weil er erstinstanzlich gemäß § 399 ZPO auf die Vernehmung des von ihm benannten Zeugen Sch. verzichtet und damit sein ursprüngliches Beweisangebot widerrufen habe. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 29. Mai 2018 darauf hingewiesen, dass nach der bisherigen Beweisaufnahme von einer Kenntnis der Beklagten von der unterirdischen Abwasserleitung auszugehen sei, der Zeuge Sch. nach dem vorgelegten ärztlichen Attest gegenwärtig seiner Ladung wohl nicht nachkommen würde und daher unter Umständen nur eine Vernehmung vor Ort durch einen beauftragten und ersuchten Richter infrage komme, wenn der Kläger nicht auf diesen Zeugen verzichten wolle. Daraufhin hat der Kläger mit Schriftsatz vom 31. Juli 2018 erklärt, auf den Zeugen Sch. zu verzichten. Nachdem das Landgericht mit Verfügung vom 6. Juli 2022 mitgeteilt hatte, dass sich die Einschätzung des Gerichts hinsichtlich der Beweiswürdigung geändert habe, hat der Kläger mit Schriftsatz vom 23. Mai 2023 klargestellt, dass er auf den Zeugen Sch. allein unter der Voraussetzung verzichtet habe, dass das Gericht den Beweis als erbracht ansehe. Da der Verzicht unter den geänderten Voraussetzungen keinen Bestand mehr habe, weise er darauf hin, dass er an dem Beweisangebot ausdrücklich festhalte.

Nach diesem Prozessverlauf durfte das Berufungsgericht nicht annehmen, das Landgericht habe alle benannten Beweismittel ausgeschöpft, da der Kläger auf den Zeugen Sch. ausdrücklich verzichtet habe. Der Kläger hat den Verzicht zur Verfahrensbeschleunigung ersichtlich nur angesichts der von dem Landgericht geäußerten Überzeugung erklärt, der Beweis einer Arglist der Beklagten sei nach dem Ergebnis der bislang durchgeführten Beweisaufnahme bereits erbracht. Dies hat er im Schriftsatz vom 23. Mai 2023 auch ausdrücklich klargestellt. Die Erklärung des Einverständnisses mit dem Unterbleiben der Vernehmung für den Fall, dass das Gericht den Beweis der streitigen Behauptung schon als erbracht ansieht, ist schon kein Verzicht iSd. § 399 ZPO. Eine derartige Erklärung ist nicht von einem endgültigen Verzichtswillen getragen. Vielmehr ist zu erwarten, dass die erklärende Partei an ihrem Beweisantrag festhält, sofern das Gericht seine Überzeugung ändert. So war es hier. Dementsprechend ist das Landgericht zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger keinen Verzicht erklärt habe.

Zudem lässt das Berufungsgericht verfahrensfehlerhaft außer Acht, dass der Kläger bereits in erster Instanz einen etwa erklärten Verzicht widerrufen und erneut Beweis durch Benennung des Zeugen Sch. angetreten hat. In der Erklärung des Klägers in seinem Schriftsatz vom 23. Mai 2023, an dem Beweisangebot ausdrücklich festzuhalten, ist bei verständiger Würdigung daher jedenfalls ein erneuter Beweisantritt zu erblicken.

 

Fazit: Der Verzicht auf einen Zeugen nach § 399 ZPO ist widerruflich. Eine Partei, die auf einen Zeugen zunächst verzichtet hat, ist durch § 399 ZPO nicht gehindert, den Zeugen später erneut zu benennen.

Anwaltsblog 22/2025: Fernabsatzverträge nur bei auf Fernabsatz abgestelltem Vertriebssystem!

Nach § 312c BGB sind trotz der ausschließlichen Verwendung von Fernkommunkationsmitteln Verträge keine Fernabsatzverträge, wenn der Vertragsschluss „nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems“ erfolgt. Wann diese Ausnahme für Architektenverträge erfüllt ist, hatte der OLG Frankfurt zu entscheiden (OLG Frankfurt, Urteil vom 17. Februar 2025 – 29 U 42/24):

 

Die Parteien streiten um die Rückzahlung geleisteter Architektenvergütung aufgrund eines verbraucherschützenden Widerrufs. Die Klägerin und ihr Partner suchten eine bauliche Begleitung für die Sanierung eines von ihnen erworbenen Anwesens. Zu diesem Zweck traten sie an den Beklagten, einen Architekten, heran, der ihnen nach ausführlichem E-Mailverkehr und per Fernkommunikation mittels des Onlineportals „Zoom“ geführten Gesprächen sodann ein Angebot über die Erstellung von Bestandsplänen und eines ersten Entwurfs zum Preis von 4.460 € netto unterbreitete. Dieses Angebot nahm die Klägerin an. Dabei erfolgten sowohl die gesamte vorvertragliche Kommunikation als auch der Vertragsschluss selbst ausschließlich per E-Mail, Telefon und Videokonferenz, weil die Klägerin im fraglichen Zeitraum in L. weilte. Nichtsdestotrotz wurde dem Beklagten bereits vor Vertragsschluss Zugang zur Immobilie der Klägerin gewährt, indem vor Ort ein Schlüssel deponiert wurde, sodass der Beklagte das Objekt in Augenschein nehmen konnte. Diesen Ortsterminen wohnte die ortsabwesende Klägerin allerdings nicht bei. Der erste gemeinsame Ortstermin erfolgte vielmehr erst nach Vertragsschluss.

Anschließend widerrief die Klägerin den Vertrag und forderte den Beklagten zur Rückzahlung der gezahlten 5.307,40 € auf. Schriftliche oder mündliche Informationen zu einem Widerrufsrecht waren der Klägerin seitens des Beklagten zu keinem Zeitpunkt vor Vertragsschluss erteilt worden. Das Landgericht hat die Klage in vollem Umfang zuerkannt. Der Klägerin stehe das begehrte verbraucherschützende Widerrufsrecht infolge eines Fernabsatzvertrags zu.

Die Berufung des Architekten hat Erfolg. Die Regeln des verbraucherschützenden Widerrufsrechts beim Fernabsatzvertrags sind grundsätzlich einschlägig. Der Architektenvertrag ist zwar kein Verbraucherbauvertrag und die Vorschriften über den Widerruf dieses Vertragstyps sind auch nicht entsprechend anwendbar (vgl. § 650 q Abs. 1 BGB). Jedoch gelten die Vorschriften über das allgemeine Widerrufsrecht für Verbraucherverträge: Wurde ein Architekten- oder Ingenieurvertrag außerhalb von Geschäftsräumen des Architekten/Ingenieurs abgeschlossen, dann ist der Widerruf durch den Bauherrn bei Vorliegen der Voraussetzungen möglich (§§ 312 g, 355 BGB). Denn das Widerrufsrecht des Verbrauchers bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen gilt auch für Architektenverträge. Es ist jedoch eine Ausnahme anzunehmen, wenn der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt ist (§ 312c Abs. 1 BGB). Das Erfordernis eines solchermaßen zu verstehenden Fernabsatzsystems hat in erster Linie den Zweck, Geschäfte, die nur zufällig unter Einsatz von Fernkommunikationsmitteln geschlossen werden, aus dem Anwendungsbereich des Fernabsatzrechts auszuklammern. Solches trifft auch auf Unternehmer zu, die Angebote regelmäßig erst nach einem vorhergehenden Ortstermin abgeben; hier fehlt es häufig an einem auf den Fernabsatz ausgerichteten Geschäftsbetrieb. Ausweislich des vorgelegten Schriftverkehrs hat der Beklagte selbst ursprünglich auf einen gemeinsamen Ortstermin zur Angebotsbesprechung hingewirkt und der Vertragsschluss unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln war ersichtlich der Zufälligkeit einer Ortsabwesenheit der Klägerin geschuldet. So hat der Beklagte zuletzt vorgetragen, dass er selbst während seiner beruflichen Tätigkeit als Architekt in den letzten 22 Jahren ca. 250 Bauvorhaben betreut und im hiesigen Einzelfall erstmals einen entsprechenden Planungsvertrag unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmittel geschlossen habe. Im Übrigen hätten stets vor der Angebotsabgabe bzw. dem finalen Vertragsabschluss Ortstermine zwischen dem Beklagten und den Auftraggebern (Bauherren) an der jeweiligen Baustelle stattgefunden.

 

Fazit: Das Widerrufsrecht des Verbrauchers bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen gem. § 312 g Abs. 1 BGB gilt auch für Architektenverträge. Eine Ausnahme ist anzunehmen, wenn der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt ist (§ 312c Abs. 1 BGB).

KG: Erledigungserklärung in zweiter Instanz nebst Kostenentscheidung

Das KG (Beschl. v. 28.3.2025 – 2 W 9/25) hatte über die Kostentragung trotz Obsiegens im Falle einer „verspäteten“ Erledigungserklärung zu entscheiden.

Dem lag folgender Sacherhalt zugrunde: Die Gläubigerin brachte gegen die Schuldnerin vor dem LG einen Antrag auf Festsetzung eines Zwangsgeldes ein (§ 888 ZPO). Nach Zustellung des Antrages wurde der vollstreckte Anspruch durch die Übersendung der gewünschten Unterlagen erfüllt. Dies teilte die Schuldnerin dem Gericht mit. Die Schuldnerin hatte allerdings die Unterlagen bereits früher an ihren Rechtanwalt geschickt. Dort waren sie aber versehentlich zunächst liegen geblieben und wurden erst nach Zustellung des Zwangsgeldantrages an die Gläubigerin weitergeleitet.

Daraufhin reagierte die Gläubigerin zunächst nicht mehr, auch nicht auf die Nachfragen des LG. Das LG wies sodann den Antrag zurück und legte die Kosten des Verfahrens der Gläubigerin auf. Diese legte gegen den entsprechenden Beschluss sofortige Beschwerde ein und erklärte das Zwangsgeldverfahren für erledigt, die Schuldnerin widersprach.

Da die Schuldnerin nicht zugestimmt hatte, lag hier eine einseitige Erledigungserklärung vor, die auch im Zwangsgeldverfahren zulässig ist. Ein solcher Antrag kann auch noch in der Beschwerdeinstanz angebracht werden. Da die Schuldnerin den Anspruch verspätet erfüllt hatte, ist das Verfahren tatsächlich erledigt worden. Entscheidend für die Erfüllung ist der Eingang der Unterlagen bei der Gläubigerin, nicht der Eingang derselben bei dem Anwalt der Schuldnerin. Unerheblich ist auch, dass die Gläubigerin in der Beschwerdeinstanz mit neuem Vortrag aufwartete. Ein solcher ist im Beschwerdeverfahren zulässig (§ 571 Abs. 2 S. 1 ZPO).

Die Kostenentscheidung (§ 891 S. 3, § 91, § 97 ZPO) geht allerdings teilweise zu Lasten der Gläubigerin. Die Kosten der ersten Instanz hat die Schuldnerin zu tragen, da sie verspätet erfüllt hatte. Allerdings wurden die Kosten des Beschwerdeverfahrens der Gläubigerin auferlegt, da sie die Erledigung erst in der Beschwerdeinstanz erklärt hatte (§ 97 Abs. 2 ZPO) und dieser Erklärung ohne weiteres bei gewissenhafter Prozessführung auch vorher hätte abgeben können.

Fazit: Auch wenn im Beschwerdeverfahren noch einiges nachgeholt werden kann, sollte die Kostenfolge des § 97 Abs. 2 ZPO nicht übersehen werden. Nachlässige Prozessführung darf zudem nicht belohnt werden.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Zulässigkeit der Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil in Fällen mit unionsrechtlichem Einschlag.

Keine Vorlage an den EuGH nach zweitem Versäumnisurteil
BGH, Beschluss vom 27. März 2025 – I ZB 68/24

Der I. Zivilsenat befasst sich mit § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO.

Der Kläger begehrt die Rückzahlung von verlorenen Einsätzen in Höhe von rund 11.000 Euro, die er bei Online-Glücksspielen der in Malta ansässigen Beklagten getätigt hat. Die Beklagte hat in erster Instanz die Aussetzung des Verfahrens bis zum Abschluss eines bei EuGH anhängigen Verfahrens über die Zulässigkeit solcher Online-Dienste oder eine eigene Vorlage des LG an den EuGH beantragt. In der mündlichen Verhandlung war sie nicht vertreten. Das LG erließ gegen sie ein Versäumnisurteil. In dem nach Einspruch anberaumten Verhandlungstermin erschien für die Beklagte erneut niemand. Das LG hat den Einspruch verworfen. Die dagegen eingelegte Berufung der Beklagten hat das OLG als unzulässig verworfen.

Die Rechtsbeschwerde der Beklagten bleibt ebenfalls ohne Erfolg.

Das OLG hat die Berufung zu Recht als unzulässig verworfen. Nach § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO darf die Berufung gegen ein Urteil, mit dem ein Einspruch gegen ein Versäumnisurteil verworfen worden ist, nur mit der Begründung angefochten werden, ein Fall der Säumnis habe nicht vorgelegen. Die Rüge, die Klage sei unschlüssig, ist danach nicht zulässig.

Entgegen der Auffassung der Beklagten gilt dies auch dann, wenn die Schlüssigkeit von Vorschriften des Unionsrechts abhängt, die einer Vorabentscheidung durch den EuGH bedürfen. Das Unionsrecht gebietet nicht, von der Anwendung innerstaatlicher Verfahrensvorschriften, aufgrund derer eine Entscheidung Rechtskraft erlangt, abzusehen, wenn die Entscheidung inhaltlich gegen Unionsrecht verstößt.

Praxistipp: Eine Berufung darf auf den Einwand fehlender Schlüssigkeit gestützt werden, wenn es sich bei der ersten Entscheidung um einen Vollstreckungsbescheid gehandelt hat.

Anwaltsblog 21/2025: Keine Wiedereinsetzung von Amts wegen gegen den Willen einer Partei!

Unter welchen Voraussetzungen einer Partei von Amts wegen Wiedereinsetzung zu gewähren ist, hat der BGH entschieden (BGH, Beschluss vom 8. Mai 2025 – V ZB 44/24):

Nachdem die Frist zur Berufungsbegründung bereits bis zum 12. Januar 2024 verlängert worden war, hat der Vertreter des Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Schriftsatz vom 11. Januar 2024 beantragt, die Frist erneut bis zum 26. Januar 2024 zu verlängern, weil der Prozessbevollmächtigte als alleiniger Sachbearbeiter erkrankt sei. Die Beklagte hat am selben Tag kurz zuvor einer weiteren Fristverlängerung nicht zugestimmt. Die Berufungsbegründungsschrift ist am 25. Januar 2024 beim Berufungsgericht eingegangen. Nach dem Hinweis des Vorsitzenden, dass eine weitere Verlängerung der Begründungsfrist nicht gewährt worden sei und die Berufung als unzulässig verworfen werden müsse, hat die Klägerin geltend gemacht, über den Verlängerungsantrag sei noch nicht entschieden worden, weshalb eine Verwerfung der Berufung nicht in Betracht komme. Dem nach Ablehnung der Fristverlängerung zu stellenden Antrag auf Wiedereinsetzung werde stattzugeben sein, da der erkrankungsbedingte Ausfall ihres Prozessbevollmächtigten unvorhersehbar gewesen sei und dieser als Einzelanwalt den grundsätzlich vertretungsbereiten Kollegen nicht in zumutbarer Weise mit der Fertigung der Berufungsbegründung habe beauftragen können. Mit Verfügung vom 15. April 2024 hat der Vorsitzende des Berufungssenats mitgeteilt, es sei bereits deutlich zum Ausdruck gebracht worden, dass eine weitere Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht gewährt werden könne. Daraufhin hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 13. Mai 2024 wiederholt, dass über den Antrag auf Fristverlängerung durch mit Gründen versehenen Beschluss entschieden werden müsse. Demzufolge sei ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand noch nicht angebracht. Für den Fall der Ablehnung der Fristverlängerung hat sie angekündigt darzulegen, dass ihr Prozessbevollmächtigter mit einem grippalen Infekt bis zum 22. Januar 2024 ans Bett gefesselt gewesen sei.

Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen; die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei der Klägerin keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gewährt. Einen Wiedereinsetzungsantrag hat die Klägerin nicht gestellt. Die Wiedereinsetzungsfrist von einem Monat (§ 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO) wurde mit dem Wegfall der eine Erstellung der Berufungsbegründung hindernden Erkrankung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, also mit Ablauf des 22. Januar 2024 in Gang gesetzt (§ 234 Abs. 2 ZPO), und endete mit Ablauf des 22. Februar 2024. Innerhalb dieser Frist hat die Klägerin Wiedereinsetzung nicht beantragt.

Das Berufungsgericht war entgegen der Ansicht der Klägerin nicht gehalten, ihr von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO von Amts wegen gewährt werden, wenn die versäumte Prozesshandlung innerhalb der Antragsfrist nachgeholt wird. Weitere Voraussetzung ist, dass die Gründe für die unverschuldete Fristversäumnis innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO offenkundig sind oder nach einem erforderlichen gerichtlichen Hinweis offenkundig geworden wären. Eine Wiedereinsetzung von Amts wegen kommt aber nicht in Betracht, wenn die Partei ausdrücklich und unmissverständlich erklärt, die Wiedereinsetzung werde nicht beantragt, und daran nach einem Hinweis des Gerichts festhält. Die Vorschrift des § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO soll lediglich verhindern, dass die Partei einen unverschuldeten Rechtsverlust allein deshalb erleidet, weil sie keinen Wiedereinsetzungsantrag gestellt hat. Erklärt die Partei, nachdem sie von dem Gericht auf die Fristversäumung hingewiesen worden ist, sie stelle keinen Wiedereinsetzungsantrag, darf ihr über § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO die Wiedereinsetzung nicht gegen ihren Willen aufgedrängt werden. So wäre es hier. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat, auch nach mehreren Hinweisen des Berufungsgerichts auf die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist, erklärt, einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (noch) nicht zu stellen. Er hat die Wiedereinsetzung auch nicht vorsorglich oder hilfsweise beantragt. Im Gegenteil hat er auf seiner mit den prozessualen Vorgaben offenkundig unvereinbaren Rechtsauffassung beharrt, das Gericht müsse die Fristverlängerung durch begründeten Beschluss ablehnen und er sei erst im Anschluss daran gehalten, Wiedereinsetzung zu beantragen. Daran muss er sich festhalten lassen und kann nicht mit der Rechtsbeschwerde geltend machen, das Berufungsgericht hätte von Amts wegen Wiedereinsetzung gewähren müssen.

 

Fazit: Eine Wiedereinsetzung von Amts wegen kommt nicht in Betracht, wenn die Partei ausdrücklich und unmissverständlich erklärt, die Wiedereinsetzung werde nicht beantragt, und daran nach einem Hinweis des Gerichts festhält (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Februar 2023 – VIII ZB 17/22 –, MDR 2023, 861).

OLG Frankfurt a. M.: Unzulässige Beschwerde gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss

Das OLG Frankfurt/M. (Beschl. v. 2.4.2025 – 30 W 28/25) hat sich mit der Frage des Verhältnisses zwischen einem Rechtsmittel gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss und einer Nachfestsetzung befasst.

Nach der Kostengrundentscheidung des LG hatten die Kläger ¼ und die Beklagte ¾ der Kosten des Rechtsstreites zu tragen. Die Beklagte meldete Ihre Kosten an. Die Kläger reagierten trotz Aufforderung durch den Rechtspfleger (§ 106 Abs. 2 ZPO) nicht. Daraufhin erging ein Kostenfestsetzungsbeschluss zu Gunsten der Beklagten. Die Kläger legten gegen diesen Beschluss sofortige Beschwerde ein und rügten, dass ihre Kosten nicht berücksichtigt worden seien.

Das OLG verwarf die sofortige Beschwerde mangels Rechtsschutzbedürfnis als unzulässig. Der Antragsgrundsatz (§ 308 Abs. 1 ZPO) gilt auch im Kostenfestsetzungsverfahren. Da die Kläger sich nicht geäußert hatten, erschöpfte der erlassene Beschluss den seinerzeitigen Antrag. In derartigen Fällen verursacht eine sofortige Beschwerde die besonderen Kosten eines Rechtsmittels (Anwaltsgebühren nach Nr. 3500 VV RVG), wohingegen die Nachliquidation kostenfrei ist. Zwar wären die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gemäß § 97 Abs. 2 ZPO ohnehin den Klägern aufzuerlegen gewesen; jedoch ergibt sich daraus wiederum, dass der Weg der Nachfestsetzung für die Kläger der günstigere Weg ist, ihr Ziel zu erreichen. Damit vermeiden die Kläger die Kosten für das Rechtsmittelverfahren. Demzufolge ist die sofortige Beschwerde mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig, zumal die Kläger jederzeit aufrechnen könnten.

Fazit: Um derartige Probleme zu vermeiden, empfiehlt es sich regelmäßig, auf eine Aufforderung des Rechtspflegers, die eigenen Kosten zur Festsetzung anzumelden, rechtzeitig zu reagieren. Dann können im Kostenfestsetzungsbeschluss sogleich alle Kosten berücksichtigt werden.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die rechtzeitige Ausübung eines Vorkaufrechts.

Vertragsaufhebung bei siedlungsrechtlichem Vorkaufsrecht
BGH, Urteil vom 11. April 2025 – V ZR 194/23

Der V. Zivilsenat befasst sich mit der Rückwirkung einer Genehmigung gemäß § 184 BGB.

Die Kläger verkauften im April 2018 zwei landwirtschaftliche Grundstücke an eine Gesellschaft, die dort eine Photovoltaikanlage errichten und betreiben wollte. Der Notar beantragte die Genehmigung des Kaufvertrags nach dem Grundstücksverkehrsgesetz. Die Genehmigungsbehörde teilte mit, dass sie eine Erklärung über die Ausübung eines Vorkaufsrechts gemäß § 4 RSiedlG herbeiführen wird. Am 26. Juni 2018 ließen die Vertragsparteien den Kaufvertrag durch vollmachtlose Vertreter aufheben. Am 28. Juni 2018 ging beiden Vertragsparteien ein Bescheid zu, in dem die Genehmigungsbehörde mitteilte, die Veräußerung sei nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrdstVG nicht genehmigungsfähig und das (nunmehr beklagte) Siedlungsunternehmen habe das ihm für diesen Fall gemäß § 4 RSiedlG zustehende Vorkaufsrecht ausgeübt. Einige Tage danach genehmigten beide Vertragsparteien den Aufhebungsvertrag.

Das LG hat antragsgemäß festgestellt, dass das Vorkaufsrecht nicht wirksam ausgeübt worden ist. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben.

Der BGH weist die Klage auf die (auf Nichtzulassungsbeschwerde hin zugelassene) Revision der Beklagten ab.

Wenn die Genehmigungsbehörde zu dem Ergebnis gelangt, dass ein Grundstücksgeschäft nicht genehmigungsfähig ist, das zuständige Siedlungsunternehmen aber ein Verkaufsrecht gemäß § 4 RSiedlG hat, muss sie den Vertrag gemäß § 12 GrdstVG der Siedlungsbehörde vorlegen. Gemäß § 6 Abs. 1 RSiedlG kann das Vorkaufsrecht ausgeübt werden, sobald die Siedlungsbehörde den Kaufvertrag an das berechtigte Siedlungsunternehmen weitergeleitet hat. Die Erklärung ist über die Siedlungsbehörde der Genehmigungsbehörde zuzuleiten. Es wird ausgeübt, indem die Genehmigungsbehörde diese Erklärung dem Verpflichteten mitteilt. Damit gilt die Veräußerung für das Rechtsverhältnis zwischen Käufer und Vorkaufsberechtigtem als genehmigt.

Wie auch in anderem Zusammenhang können die ursprünglich am Kaufvertrag beteiligten Parteien den Vertrag nicht mehr aufheben, wenn alle zur Wirksamkeit erforderlichen Genehmigungen vorliegen und das Vorkaufsrecht ausgeübt worden ist. In der Konstellation des Streitfalls sind beide Voraussetzungen erfüllt, sobald die Genehmigungsbehörde gemäß § 6 Abs. 1 RSiedlG dem Verkäufer die fehlende Genehmigungsfähigkeit und die Ausübung des Vorkaufsrechts mitteilt, wodurch die bereits erwähnte Genehmigungsfiktion zugunsten des Siedlungsunternehmens eintritt.

Im Streitfall konnten die Vertragsparteien den Vertrag mithin nur bis zum Zugang des Bescheids am 28. Juni 2018 mit Wirkung gegenüber der Beklagten aufheben. Diese Voraussetzung ist entgegen der Auffassung der Vorinstanzen nicht erfüllt.

Der am 26. Juni 2018 geschlossene Aufhebungsvertrag war zunächst unwirksam, weil er von Vertretern ohne Vertretungsmacht geschlossen wurde. Die gemäß § 177 BGB erforderlichen Genehmigungen wurden erst nach dem maßgeblichen Stichtag erteilt.

Die Genehmigung wirkt zwar gemäß § 184 Abs. 1 BGB grundsätzlich auf den Tag des Vertragsschlusses zurück. Entsprechend § 184 Abs. 2 BGB gilt dies aber nicht im Verhältnis zu einem nach § 4 RSiedlG vorkaufsberechtigten Siedlungsunternehmen. Dieses erwirbt mit der Ausübung des Vorkaufsrechts eine schutzwürdige Rechtsstellung. Deren Aufhebung kraft einer Rückwirkung gemäß § 184 Abs. 1 BGB würde dem Gesetzeszweck widersprechen.

Praxistipp: Auch bei vertraglichen Vorkaufsrechten sind gemäß § 465 BGB Vereinbarungen, die die Wirksamkeit des Kaufvertrags von der Nichtausübung des Vorkaufsrechts abhängig machen oder dem Verpflichteten für den Fall der Ausübung den Rücktritt vorbehalten, gegenüber dem Vorkaufsberechtigten unwirksam. Vor diesem Hintergrund erscheint es zumindest zweifelhaft, ob ein Vorkaufsrecht dadurch abgewendet werden kann, dass die Vertragsparteien durch vollmachtlose Vertreter einen Aufhebungsvertrag schließen lassen und sich so die Möglichkeit einer rückwirkende Aufhebung verschaffen.

Anwaltsblog 20/2025: Nach Richterwechsel (erneute) mündliche Verhandlung notwendig!

309 ZPO bestimmt, dass das Urteil nur von denjenigen Richtern gefällt werden kann, die der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung beigewohnt haben. Wie bei einem Wechsel des Einzelrichters nach mündlicher Verhandlung und vor Verkündung eines Urteils zu verfahren ist, hatte der BGH zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 16. April 2025 – VII ZR 126/23):

Die Klägerin verlangt Kostenvorschuss wegen mangelhafter Ausführungen einer Tiefgaragenabdichtung. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben. Das Landgericht hat am 16. September 2021 mündlich verhandelt. Als Richterin amtierte Richterin W. als Einzelrichterin, die sodann Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 2. Dezember 2021 bestimmt hat. Richterin W. hat zum 1. Oktober 2021 das Landgericht verlassen. Die nunmehr zuständige Richterin B. hat am 2. Dezember 2021 ein klageabweisendes Urteil verkündet. Dieses ist ausweislich des Urteils durch die Richterin B. aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 16. September 2021 ergangen. Richterin B. hat das Urteil auch unterzeichnet. Die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Zwar sei das angefochtene Urteil unter Verstoß gegen § 309 ZPO ergangen. Dies führe aber nicht zur Begründetheit der Berufung. Insbesondere gebiete dieser Verstoß auch nicht die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Eine Entscheidung im Beschlusswege komme in Betracht, wenn sich aus der Berufungsbegründung keine Gesichtspunkte ergäben, die eine Abänderung des Ersturteils aus rechtlichen oder tatsächlichen Erwägungen rechtfertigten. Insbesondere sei nichts dafür ersichtlich, dass die vorzunehmende rechtliche Würdigung angemessen mit der Berufungsführerin nicht im schriftlichen Verfahren erörtert werden könne. Zu Recht habe das Landgericht angenommen, etwaige Ansprüche der Klägerin seien verjährt.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an einen anderen Senat des Berufungsgerichts. In dem vom Berufungsgericht zutreffend als solchen erkannten Verstoß des Landgerichts gegen § 309 ZPO lag zugleich eine Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das erkennende Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das ist nur durch die Mitwirkung an der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung möglich, weil nach § 309 ZPO nur Richter das Urteil fällen können, die dieser Verhandlung beigewohnt haben. Diese Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist in der Berufungsinstanz nicht geheilt worden, da das Berufungsgericht ohne mündliche Verhandlung über die Berufung der Klägerin entschieden hat. Dadurch hatte die Klägerin weder vor dem Landgericht noch dem Berufungsgericht die Möglichkeit, ihre Argumente in einer mündlichen Verhandlung darzulegen.

Damit hat – auch – das Berufungsgericht den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt. Zwar folgt aus Art. 103 Abs. 1 GG nicht unmittelbar ein Anspruch auf eine mündliche Verhandlung; vielmehr ist es Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, in welcher Weise rechtliches Gehör gewährt werden soll. Hat eine mündliche Verhandlung aber von Gesetzes wegen stattzufinden, begründet der Anspruch auf rechtliches Gehör ein Recht auf Äußerung in der mündlichen Verhandlung und zugleich auf deren Durchführung durch das Gericht. So liegt der Fall hier. Das Berufungsgericht durfte die Berufung nicht durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückweisen. Es durfte nicht annehmen, eine mündliche Verhandlung sei nicht geboten (§ 522 Abs. 2 Nr. 4 ZPO). In Fällen, in denen das mit der Berufung angefochtene Urteil durch einen Richter gefällt worden ist, der entgegen § 309 ZPO der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung nicht beigewohnt hat, ist eine mündliche Verhandlung in jedem Fall geboten.  Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben und der Rechtsstreit ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

 

Fazit: In Fällen, in denen das mit der Berufung angefochtene Urteil durch einen Richter gefällt worden ist, der entgegen § 309 ZPO der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung nicht beigewohnt hat, ist eine mündliche Verhandlung im Sinne von § 522 Abs. 2 Nr. 4 ZPO geboten.