Anwaltsblog 6/2025: Reicht für den erstmaligen Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist die Angabe aus, dass die Begründung „binnen einer Frist von sechs Wochen“ erfolgen wird?

Mit den Anforderungen an einen erstmaligen Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist hatte sich zum wiederholten Mal der BGH zu befassen (BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2024 – IX ZB 16/23):

 

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hatte gegen das Urteil des Landgerichts Berufung eingelegt. In der Berufungsschrift heißt es: „Anträge und die Begründung bleiben einem besonderen Schriftsatz vorbehalten, welcher binnen einer Frist von sechs Wochen und somit bis zum 07.02.2023 erfolgen wird.“ Auf den Hinweis des Berufungsgerichts vom 2. Februar 2023, dass die Frist für die Berufungsbegründung am 30. Januar 2023 abgelaufen sei, hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Berufung begründet und hilfsweise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung dieser Frist beantragt, weil die Berufungsschrift einen Antrag auf Fristverlängerung enthalten habe. Das Berufungsgericht hat unter Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen.

Die Rechtsbeschwerde des Klägers hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat dem Kläger mit Recht die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt und seine Berufung als unzulässig verworfen, weil die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung auf einem Verschulden seines Prozessbevollmächtigten beruht. Nach § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO kann die Frist zur Berufungsbegründung ohne Einwilligung des Gegners – auf eine solche hat sich der Kläger nicht berufen – auf Antrag um bis zu einen Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt. Ein Berufungskläger muss grundsätzlich damit rechnen, dass der Vorsitzende des Berufungsgerichts in Ausübung seines pflichtgemäßen Ermessens eine beantragte Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist versagt. Ohne Verschulden iSv. § 233 ZPO handelt der Rechtsanwalt daher nur dann, wenn er auf die Fristverlängerung vertrauen durfte, weil deren Bewilligung mit großer Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. Das setzt die Vollständigkeit des Fristverlängerungsantrags voraus. Hierzu gehört auch die Darlegung eines erheblichen Grundes iSd. § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO für die Notwendigkeit der Fristverlängerung, an die bei einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist keine hohen Anforderungen gestellt werden dürfen. Wird der Antrag auf Fristverlängerung nicht in diesem Sinne begründet, muss der Rechtsmittelführer hingegen damit rechnen, dass der Vorsitzende in einem solchen Antrag eine Verzögerung des Rechtsstreits sehen und das Gesuch deshalb ablehnen werde.

Bei Anlegung dieses Maßstabs bedarf es keiner Entscheidung, ob der Berufungsschrift überhaupt ein konkludenter Antrag auf Verlängerung der Frist zur Berufungsbegründung zu entnehmen ist. Denn mangels Darlegung eines erheblichen Grundes durfte der Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht auf die Gewährung einer Fristverlängerung vertrauen. Im Übrigen kann einem (unterstellten) Verlängerungsantrag auch keine konkludente Darlegung eines erheblichen Grundes entnommen werden. Der Kläger beruft sich darauf, sein Prozessbevollmächtigter sei wegen einer Häufung von Fristsachen im Januar 2023 an der rechtzeitigen Prüfung der Erfolgsaussichten der Berufung und der Fertigstellung der Berufungsbegründung gehindert gewesen. Zwar kann unter Umständen auch eine konkludente Darlegung der für eine Fristverlängerung erforderlichen Voraussetzungen genügen und zählt zu den erheblichen Gründen insbesondere die Arbeitsüberlastung des Prozessbevollmächtigten. Einer Auslegung des Fristverlängerungsantrags dahingehend, dass sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers konkludent auf eine Arbeitsüberlastung berufen habe, steht jedoch entgegen, dass im Antrag überhaupt keine Umstände genannt werden, aus denen der Anlass der begehrten Fristverlängerung hätte entnommen und aus denen somit ein Rückschluss auf den erheblichen Grund hätte gezogen werden können. Allein aus der unterbliebenen Angabe anderer Hinderungsgründe folgt nicht, dass sich der Klägervertreter zur Begründung seines Fristverlängerungsantrags (konkludent) auf eine Arbeitsüberlastung berufen habe. Denn eine solche ist nicht ohne weiteres als erheblicher Grund iSd. § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO zu vermuten.

 

Fazit: Beantragt ein Prozessbevollmächtigter in der Berufungsschrift allenfalls konkludent eine Verlängerung der Frist für die Berufungsbegründung und führt er hierfür keine Umstände an, muss er mit einer Ablehnung des Fristverlängerungsantrags rechnen.

BGH zum stillschweigenden Wiedereinsetzungsantrag

Im Rahmen eines Teilungsversteigerungsverfahrens hatte die Antragsgegnerin gegen einen am 25.1.2018 zugestellten Beschluss am 21.2.2018 Beschwerde eingelegt. Die Frist zur Begründung wurde antragsgemäß bis zum 20.4.2018 verlängert. Mit Schriftsatz vom 16.4.2018 bat die Verfahrensbevollmächtigte um eine weitere Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist, weil noch eine ausführliche Besprechung mit der Antragsgegnerin notwendig sei, diese aber krankheitsbedingt noch nicht durchgeführt werden konnte. Die Antragsgegnerin befinde sich in einer stationären Rehabilitationsmaßnahme, die voraussichtlich vier Wochen (12.4. bis 10.5.2018) andauern werde. Am 11.5.2018 teilte das OLG der Antragsgegnerin mit, die Frist könne mangels Zustimmung des Gegners nicht nochmals verlängert werden und sei damit versäumt. Mit Schriftsatz vom 29.5. begründete die Verfahrensbevollmächtigte die Beschwerde ausführlich und teile nochmals ergänzend weitere Umstände zur Erkrankung der Antragsgegnerin mit. Nach einem weiteren Hinweis des OLG beantragte die Antragsgegnerin am 22.6.2018 schließlich Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand wegen der Versäumung der Beschwerdefrist. Dies wurde u.a. damit begründet, der Antragsgegnerin sei durchgängig von ärztlicher Seite geraten worden, sich während der Rehabilitation nicht mit Prozessen zu befassen. Das OLG hat den Wiedereinsetzungsantrag und die Beschwerde verworfen.

Die Rechtsbeschwerde hatte Erfolg! Nach der Auffassung des BGH (Beschl. v. 12.6.2019 – XII ZB 432/18, MDR 2019, 1149 = MDR 2019, 1299 [Elzer]) hat das OLG mit der angefochtenen Entscheidung das Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes der Antragsgegnerin verletzt. Die Wiedereinsetzung sei nicht verspätet beantragt worden. Der Schriftsatz vom 29.5.2018 sei vielmehr als stillschweigender Wiedereinsetzungsantrag anzusehen. Ausreichend dafür sei bereits, dass in dem Schriftsatz konkludent zum Ausdruck gebracht werde, dass das Verfahren trotz einer verspäteten Einreichung eines Schriftsatzes fortgesetzt werden solle. Die erforderliche, aus sich heraus verständliche und geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe, aus denen sich die Gründe für die Fristversäumnis ergeben, sei in dem Schriftsatz enthalten. Der ausdrückliche Wiedereinsetzungsantrag vom 22.6.2018 enthalte nur noch ergänzende Angaben.

Damit stehe allerdings noch nicht fest, dass die beantragte Wiedereinsetzung auch bewilligt werden kann. Die Erkrankung des Rechtsmittelführers kann grundsätzlich eine Wiedereinsetzung rechtfertigen, wenn dieser nicht dazu in der Lage ist, den Rat eines Rechtsanwalts einzuholen und diesen sachgemäß zu unterrichten. Notwendig dafür ist allerdings, dass selbst eine telefonische Verständigung über eine fristgerecht vorzulegende Beschwerdebegründung mit einem Verfahrensbevollmächtigten nicht möglich war. Der BGH gibt dem OLG dann auf, zu prüfen, ob dies vorliegend wirklich glaubhaft gemacht wurde. Insbesondere dränge es sich hier auf, unter Umständen weitere ärztliche Bescheinigungen anzufordern. Die Antragsgegnerin hat somit nur einen Etappensieg errungen. Ob sie tatsächlich Wiedereinsetzung bewilligt bekommt, bleibt zunächst offen.

Für den Rechtsanwalt ist es wichtig, die Fristen für einen Wiedereinsetzungsantrag immer im Auge zu behalten. Sobald diesbezüglich etwas auffällt, ist die Frist zu berechnen und im Kalender – auffällig (!) – zu notieren. Lediglich als Notanker muss in Zweifelsfällen noch geprüft werden, ob ein anderer, noch fristgemäß eingereichter Schriftsatz unter Umständen schon als stillschweigender Wiedereinsetzungsantrag ausgelegt werden kann. Dies kann dann vielleicht eine „Rettung“ sein. Verlassen sollte man sich darauf jedoch besser nicht.