Anwaltsblog 27/2024: Wiedereinsetzung bei Störung des Intermediärs der Justiz

Ob einer Partei Wiedereinsetzung zu gewähren ist, wenn die elektronische Einreichung am Tage des Fristablaufs wegen einer technischen Störung auf Seiten des Gerichts nicht möglich war, hatte das OLG Celle zu entscheiden (OLG Celle, Beschluss vom 03.06.2025 – 14 U 226/24):

 Für die Beklagte und Berufungsklägerin lief die Frist zur Berufungsbegründung am 20.02.2025 ab. Ihr Prozessbevollmächtigter versuchte an diesem Tag vergeblich um 21:56 Uhr, 22:36 Uhr, 23:06 Uhr, 23:50 Uhr und 23:58 Uhr, die Berufungsbegründung mittels beA an das OLG zu übersenden. Der Intermediär des OLG war zwischen dem 20.02.2025 um 21:56 Uhr und 13:08 Uhr am 21.02.2025 nicht erreichbar. Der Prozessbevollmächtigte erhielt die Nachricht: „Oberlandesgericht Celle (29221 Celle) F001 Die Nachricht konnte nicht an den Intermediär des Empfängers übermittelt werden Fehlerhaft“ Eine beA-Störung des EGVP-Servers des OLG wurde auf keinem der üblichen Portale ausgewiesen, der Prozessbevollmächtigte konnte am Abend des Fristablaufs weitere beA-Nachrichten bei anderen Gerichten erfolgreich einreichen. Ausweislich der vorgelegten Ausdrucke wurde die Störung der Justiz-IT bei dem OLG Celle erst seit dem 21.02.2025 ausgewiesen; dort hieß es: „ACHTUNG: Eingeschränkte Erreichbarkeit der Justiz in Niedersachsen seit 20.02.2025, 20:44 Uhr – Ursache: Störung der Justiz-IT – Seit 20.02.2025, 20:44 Uhr treten Einschränkungen beim Versand an Gerichte und Behörden in Niedersachsen auf.“ Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten musste an dem in Rede stehenden Abend Schriftsätze mit Umfängen von 75 Seiten bzw. 112 Seiten übermitteln. Da die übliche Fax-Zeit 30 sec. pro Seite betrage, sei ihm eine Ersatzeinreichung per Telefax nicht fristwahrend möglich gewesen, nachdem auch um 23:06 Uhr die Einreichung per beA aufgrund der Störung unmöglich war.

 Der Beklagten ist Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren, weil sie gemäß § 233 Satz 1 ZPO ohne ihr Verschulden daran gehindert war, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten. Die Störung des Intermediärs der Niedersächsischen Justiz am Abend des 20.02.2025 stellte eine Verhinderung des fristgerechten Zugangs dar, der dem Verantwortungsbereich des Gerichts zuzuordnen ist. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten war daher nicht in der Lage, gemäß § 130d S. 1 ZPO den relevanten Schriftsatz fristgereicht einzureichen. Zwar normiert § 130d S. 2 ZPO, dass in diesen Fällen die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig bleibt – eine gesetzliche Pflicht zur fristgemäßen Ersatzeinreichung bei Vorliegen einer vorübergehenden technischen Störung lässt sich daraus jedoch dann nicht ableiten, wenn die Störung – wie hier – nicht der Partei des Rechtsstreits, sondern dem Gericht zuzurechnen ist. Ist wegen einer technischen Störung auf Seiten der Justiz keine Kommunikation mit dem Gericht möglich, besteht wegen einer darauf beruhenden Fristversäumnis ein Wiedereinsetzungsgrund. Der Absender muss dann auch keine andere Art der Einreichung wählen. Ob eine Ersatzeinreichung möglich, zumutbar und deshalb geboten ist, ist nach dem Verschuldensmaßstab des § 233 ZPO und den Umständen des jeweiligen Einzelfalles zu beurteilen. Zudem sind die Gerichte nach dem aus Art. 2 Abs 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip verbürgten Recht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes gehalten, bei der Anwendung der Vorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die Anforderungen an das, was der Betroffene zur Fristwahrung veranlasst haben muss, nicht zu überspannen. Vorliegend resultierte die Störung eindeutig aus dem Bereich des Gerichts. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat nach seinem glaubhaft gemachten Vortrag noch bis zum Ablauf der Berufungsbegründungsfrist versucht, den relevanten Schriftsatz auf dem gesetzlich vorgeschriebenen, elektronischen Wege über das beA einzureichen. Er war auch nicht gehalten, frühzeitig eine Ersatzeinreichung iSd. § 130d S. 2 ZPO zu beginnen, denn zum einen durfte er die Rechtsmittelbegründungsfrist bis zum Ende ausschöpfen, zum anderen durfte er darauf vertrauen, dass die Störung der gerichtlichen Erreichbarkeit bis zum Ablauf der Frist behoben sein würde. Ferner ist in die Betrachtung einzubeziehen, dass die Störung des Intermediärs noch nicht auf den üblichen Portalen gemeldet war – dies erfolgte erst am Folgetag bei Anhalten der technischen Störung – und es daher für den Parteivertreter offen war, ob er das Vorliegen der nur vorübergehenden technischen Störung im Verantwortungsbereich des Gerichts würde beweisen können, was für die Zulässigkeit einer wirksamen Ersatzeinreichung nach § 130 d S. 2 ZPO erforderlich gewesen wäre. Bei einer ex-ante-Betrachtung aller Umstände des hier zu betrachtenden Einzelfalls war daher von einem unverschuldeten Versäumen der Frist auszugehen, sodass der Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren war.

Fazit: Ist wegen einer technischen Störung auf Seiten der Justiz keine Kommunikation mit dem Gericht möglich, besteht wegen einer darauf beruhenden Fristversäumnis ein Wiedereinsetzungsgrund. Der Absender muss dann auch keine andere Art der Einreichung wählen. Eine gesetzliche Pflicht zur fristgemäßen Ersatzeinreichung bei Vorliegen einer vorübergehenden technischen Störung lässt sich aus § 130 d S. 2 ZPO jedenfalls dann nicht ableiten, wenn die Störung – wie hier – nicht der Partei des Rechtsstreits, sondern dem Gericht zuzurechnen ist.

Anwaltsblog 5/2024: Was muss zur Begründung der Ersatzeinreichung nach § 130d Satz 2 ZPO glaubhaft gemacht werden?

Mit den Anforderungen an eine wirksame Ersatzeinreichung fristgebundener anwaltlicher Schriftsätze hatte sich zum wiederholten Mal der Bundesgerichtshof zu befassen (BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2024 – IX ZB 41/23):

 

Eine Berufungsbegründung wurde am 14. Februar 2023, dem letzten Tag der verlängerten Berufungsbegründungsfrist, um 13:57 Uhr per Telefax eingereicht. Zur Begründung der Einreichung per Telefax hat der Prozessbevollmächtigte mit beigefügtem Telefaxschreiben erklärt: „… sind wir leider gehalten, die Berufungsbegründung gemäß § 130d Satz 2 und Satz 3 ZPO per Telefax einzulegen, da der beA-Server leider nicht erreichbar ist (siehe Anlagen). Dies versichere ich hiermit an Eides statt.“ Ausweislich der Anlagen bestand beim besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) am 14. Februar 2023 seit ungefähr 10:20 Uhr eine Störung bei der Adressbuchsuche, so dass ein Versenden von Nachrichten nicht möglich war.

Das Berufungsgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen, weil der Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht nach § 130d Satz 3 ZPO glaubhaft gemacht habe, dass eine Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich gewesen sei. Hierfür bedürfe es einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände, die zu der vorübergehenden technischen Unmöglichkeit geführt hätten. Diesen Anforderungen genüge die abgegebene eidesstattliche Versicherung auch unter Berücksichtigung der beigefügten Anlagen nicht. Den Anlagen sei nicht zu entnehmen, dass in einem zeitlichen Zusammenhang zu der um 13:57 Uhr begonnenen Übermittlung der Unterlagen tatsächlich eine vorübergehende technische Störung bestanden habe. Die Anlage von beA.expert biete keine Anhaltspunkte dafür, dass die ab ca. 10:20 Uhr aufgetretene Störung noch über den Zeitpunkt der Statusangabe um 12:13 Uhr hinaus fortbestanden habe. Auch aus der eidesstattlichen Versicherung sei nicht ersichtlich, dass noch ein Versuch einer Übermittlung als elektronisches Dokument unternommen worden sei. Es sei daher nicht glaubhaft gemacht, dass die Störung nach 12:13 Uhr bis zur Einreichung fortbestanden habe.

Die Rechtsbeschwerde des Klägers hat Erfolg. Die Ersatzeinreichung per Telefax war nach § 130d Satz 2 und 3 ZPO zulässig, die Berufung somit rechtzeitig begründet. Gemäß § 130d Satz 1, § 520 Abs. 5 ZPO hat ein Rechtsanwalt die Berufungsbegründung als elektronisches Dokument zu übermitteln. Ist dies aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig (§ 130d Satz 2 ZPO). Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen (§ 130d Satz 3 Halbsatz 1 ZPO). Hieran fehlt es, wenn die glaubhaft gemachten Tatsachen jedenfalls auch den Schluss zulassen, dass die Unmöglichkeit nicht auf technischen, sondern auf in der Person des Einreichers liegenden Gründen beruht. Glaubhaft zu machen ist daher die technische Unmöglichkeit einschließlich ihrer vorübergehenden Natur. Die Glaubhaftmachung betrifft nur die vorübergehende technische Unmöglichkeit im Zeitpunkt der beabsichtigten Übermittlung des elektronisch einzureichenden Dokuments. Der Prozessbevollmächtigte, der aus technischen Gründen gehindert ist, einen fristwahrenden Schriftsatz elektronisch einzureichen, ist, nachdem er die zulässige Ersatzeinreichung veranlasst hat, nicht mehr gehalten, sich vor Fristablauf weiter um eine elektronische Übermittlung zu bemühen. Der Kläger hat unter Vorlage von um 12:13 Uhr erstellten Unterlagen geltend gemacht, eine Einreichung der Berufungsbegründung als elektronisches Dokument sei unmöglich. Deshalb hat er um 13:57 Uhr die Berufungsbegründung als Telefax eingereicht. Die Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger habe glaubhaft machen müssen, dass die Unmöglichkeit zeitnah vor oder bei der Ersatzeinreichung bestanden habe, überspannt die Anforderungen an die vorübergehende Unmöglichkeit. § 130d Satz 2 ZPO stellt auf die vorübergehende technische Unmöglichkeit im Zeitpunkt der beabsichtigten Übermittlung des elektronisch einzureichenden Dokuments ab. Nur hierzu ist vorzutragen. Weiterer Vortrag ist nicht erforderlich.

Der anwaltliche Vertreter des Klägers hat die Ersatzeinreichung damit begründet, dass der Server des beA nicht erreichbar sei. Er hat dabei Bezug genommen auf ein um 12:13 Uhr abgerufenes Verzeichnis von Störungsmeldungen durch beA.expert. Zu diesem Zeitpunkt war die Ersatzeinreichung veranlasst. Zu Vortrag hinsichtlich einer fortdauernden Unmöglichkeit der Übermittlung eines elektronischen Dokuments für den Zeitraum bis 13:57 Uhr war der Kläger vor diesem Hintergrund nicht gehalten. Er hat darüber hinaus glaubhaft gemacht, dass eine vorübergehende Unmöglichkeit der Einreichung vorlag. Das Berufungsgericht hat die Anforderungen an eine Ersatzeinreichung auch insoweit überspannt, als es zur Darlegung einer vorübergehenden Störung einen mindestens zweimaligen Versuch der Übermittlung als elektronisches Dokument verlangt. Auch diese Anforderung findet in der gesetzlichen Regelung keine Grundlage. Glaubhaft zu machen ist eine vorübergehende Unmöglichkeit der Einreichung nach § 130d Satz 2 ZPO. Diese liegt jedenfalls dann vor, wenn eine elektronische Übersendung über einen längeren Zeitraum hinweg nicht möglich und nicht abzusehen ist, wann die Störung behoben sein wird. Einer anwaltlichen Versicherung des Scheiterns einer oder mehrerer solcher Übermittlungen bedarf es hierfür nicht zwingend. Es bedarf ihrer insbesondere dann nicht, wenn sich aus einer Meldung auf den Internetseiten der Bundesrechtsanwaltskammer – der Betreiberin des beA -, des elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfachs oder aus einer anderen zuverlässigen Quelle ergibt, dass der betreffende Empfangsserver nicht zu erreichen ist, und nicht angegeben ist, bis wann die Störung behoben sein wird. Vorliegend ist in der Störungsmeldung der BRAK in einem Update von 12:00 Uhr unter Bezugnahme auf eine Meldung der Justiz vermerkt, dass aufgrund einer bundesweiten Störung des Verzeichnisdienstes seit 10:20 Uhr das Versenden von Nachrichten nicht möglich sei. Ein voraussichtliches Ende der Störung ist nicht angegeben. Bei einer derartigen Informationslage aus zuverlässiger Informationsquelle ist ein Rechtsanwalt zur Glaubhaftmachung der Störung nicht gehalten, einen Sendeversuch zu unternehmen und dessen Fehlschlag glaubhaft zu machen.

 

Fazit: Zur Glaubhaftmachung einer vorübergehenden Unmöglichkeit der Einreichung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument bedarf es der anwaltlichen Versicherung des Scheiterns einer oder mehrerer solcher Übermittlungen nicht, wenn sich aus einer Meldung auf den Internetseiten der Bundesrechtsanwaltskammer, des elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfachs oder aus einer anderen zuverlässigen Quelle ergibt, dass der betreffende Empfangsserver nicht zu erreichen ist, und nicht angegeben ist, bis wann die Störung behoben sein wird. Hat ein Prozessbevollmächtigter wegen vorübergehender technischer Unmöglichkeit der Einreichung eines elektronischen Dokuments die Ersatzeinreichung nach den allgemeinen Vorschriften veranlasst, ist er nicht gehalten, sich bis zur tatsächlichen Vornahme der Ersatzeinreichung weiter um eine elektronische Übermittlung des Dokuments zu bemühen.