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Das Personen- und Sachschadensrecht bei Verkehrsunfällen in der Corona-Pandemie: Desinfektionskosten usw.

PD Dr. Martin Zwickel, Maître en droit  PD Dr. Martin Zwickel, Maître en droit
Akademischer Oberrat, Erlangen

Die Corona-Pandemie hat, nach den Daten des statistischen Bundesamts, zwischen März und Juni 2020 zu einem signifikanten Rückgang der Verkehrsunfälle geführt. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum wurden 26 % weniger Verkehrsunfälle polizeilich aufgenommen. Gleichwohl verbleibt aber allein für diesen Zeitraum die signifikante Zahl von ca. 670.000 Verkehrsunfällen. In der Coronazeit danach dürften, auch wenn dazu noch keine amtlichen Daten vorliegen, tendenziell wieder mehr Verkehrsunfälle passiert sein.

Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf das Haftungsrecht des Straßenverkehrs

Wie wirken sich die Besonderheiten der Corona-Pandemie auf das Schadensrecht nach Verkehrsunfällen aus?

Besonderheiten ergeben sich für Unfälle in der Corona-Pandemie v.a. im Rahmen des haftungsausfüllenden Tatbestands, d.h. Schadenspositionen können im Zuge der Corona-Pandemie höher oder niedriger ausfallen als sonst üblich. Inwiefern?

Auswirkungen der Corona-Pandemie auf das Sach- und Personenschadensrecht

Auf die meisten Schadenspositionen wirkt sich die Corona-Pandemie, sowohl im Bereich des Sachschadens als auch im Bereich des Personenschadens, schadenserhöhend aus.

  • Beim Sachschaden ist das beispielsweise für die Mietwagenkosten und die abstrakte Nutzungsausfallentschädigung der Fall. So waren im Lockdown teilweise Werkstätten geschlossen, der Gebrauchtwagenmarkt war zum Teil vollständig zum Erliegen gekommen. Dadurch kam es zu längeren Fahrzeugausfallzeiten wegen Reparatur oder Beschaffung eines Ersatzfahrzeugs. Es liegen bereits amtsgerichtliche Entscheidungen vor, die andeuten, dass Schädiger deutlich höhere Mietwagenkosten bzw. deutlich höhere abstrakte Nutzungsausfallentschädigung zu leisten haben. Teils wird von 10 zusätzlich ersatzfähigen Tagen ausgegangen.
  • Ähnlich verhält es sich im Bereich des Personenschadens für die Schadenspositionen des Haushaltsführungsschadens und Schmerzensgeldes. So war und ist wegen der Corona-Pandemie oft eine intensivere Führung des eigenen Haushalts erforderlich (wegen Home-Office ist mehr einzukaufen, mehr zu reinigen, mehr Kinderbetreuung zu leisten usw.). Ist dies nachgewiesen, führt dies zu einem höheren Haushaltsführungsschaden. Im Bereich des Schmerzensgeldes wirkt sich schmerzensgelderhöhend aus, dass sich wegen verschobener Operationen bzw. Behandlungen die Leidenszeit des Unfallopfers oft verlängert hat.
  • Der einzige Schadensposten, bei dem ggf. eine Schadensverringerung eintritt, ist der des so genannten Erwerbsschadens, der für einen Ausgleich in der Situation sorgt, in der ein Unfallopfer seiner Berufstätigkeit oder selbständigen Erwerbstätigkeit nicht nachgehen kann. Zu ermitteln ist der Erwerbsschaden über eine vom Gericht anzustellende Prognose. Hätte ein Unfallgeschädigter wegen der Corona-Pandemie voraussichtlich weniger gearbeitet oder wäre er in Kurzarbeit geschickt worden, so mindert dies den zuzusprechenden Erwerbsschadensersatz.

Ãœbersicht

Die Behandlung all dieser Schadenspositionen weist zwar durch die Corona-Pandemie ausgelöste Veränderungen auf. Sie erfolgt aber mit den altbekannten juristischen Instrumentarien für diese Schadenspositionen. Änderungen aufgrund der Corona-Pandemie halten sich damit in Grenzen.

Die Problematik der Fahrzeugdesinfektionskosten

Eine neue Schadensposition ist die der Ersatzfähigkeit von Kosten der Fahrzeugdesinfektion bei Reparatur. Kann die Reparaturwerkstatt dem Schädiger ihre Kosten für die Desinfektion des Fahrzeugs in Rechnung stellen? Die Behandlung dieser Schadenspositionen ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten:

Meinungsstand zur Ersatzfähigkeit von Kosten der Fahrzeugdesinfektion

Urteil des LG Stuttgart v. 21.7.2021 – 13 S 25/21

In einem aktuellen Urteil vom 21.7.2021 hat sich nun das Landgericht Stuttgart mit der Ersatzfähigkeit sogenannter Desinfektionskosten nach einem Verkehrsunfall während der Corona-Pandemie befasst (LG Stuttgart vom 21.7.2021 – 13 S 25/21, juris). Das Urteil des LG Stuttgart ist deshalb besonders beachtlich, weil es eines der ersten Berufungsurteile zur Thematik des Schadensrechts in der Corona-Pandemie ist und das Landgericht zudem die Revision nach § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zugelassen hat.

Folgende Punkte aus dem Urteil sind herauszustellen:

  1. Das LG Stuttgart differenziert zwischen den Kosten einer Desinfektion des Fahrzeugs vor Übernahme in die Werkstatt und denjenigen einer Desinfektion vor Übergabe des Fahrzeugs an einen Kunden. Die Erforderlichkeit für die Wiederherstellung wird nur für die letztgenannten Desinfektionskosten bejaht. Das LG führt aus: „In Zeiten der Corona-Pandemie darf der Geschädigte eine Desinfektion der wesentlichen Kontaktflächen vor Abholung des Fahrzeugs erwarten. Unabhängig davon, ob ein nennenswertes Risiko einer Schmierinfektion über Kontaktflächen objektiv besteht, wäre es für den Geschädigten eine über die bloße Lästigkeit hinausgehende Beeinträchtigung, wenn er das Fahrzeug ohne solche Maßnahmen entgegennehmen müsste.“
  2. Das LG Stuttgart lehnt eine Ersatzfähigkeit der Kosten einer Desinfektion des Fahrzeugs vor Übernahme in die Werkstatt nach den Grundsätzen des so genannten Werkstattrisikos ab. Über die Kosten einer Innenraumdesinfektion nach der Reparatur und vor Übergabe an den Kunden hinausgehende Maßnahmen seien kein unmittelbarer Bestandteil der Reparaturarbeiten. Die Grundsätze des Werkstattrisikos fänden mithin auf den Fall keine Anwendung.
  3. Auch die so genannte Indizwirkung der Rechnung führt, mangels bezahlter Werkstattrechnung, nicht zu einer Ersatzfähigkeit von über die unter 1.) genannten hinausgehenden Desinfektionskosten.
  4. Eine Ersatzpflicht sei wertungsmäßig nicht geboten, denn die Versagung des Anspruchs führe zu keiner unangemessenen Benachteiligung des Geschädigten.

Stellungnahme

Die Entscheidung des LG Stuttgart vom 21.7.2021 überzeugt in ihrem Ausgangspunkt, nach dem allenfalls die Kosten einer Innenraumdesinfektion des Fahrzeugs zur Wiederherstellung des Zustands vor dem schädigenden Ereignis erforderlich sind (Desinfektionskosten vor Übergabe des Fahrzeugs an den Werkstattkunden). Bei den übrigen Desinfektionskosten handelt es sich um nicht ersatzfähige Allgemeinkosten der Werkstatt.

Offen lässt das LG aber die Frage, ob sich bei den Kosten der Desinfektion vor Herausgabe des Fahrzeugs an den Kunden nicht nur ein allgemeines Lebens- bzw. Infektionsrisiko verwirklicht, das jeder selbst zu tragen hat. Es bestünde dann kein adäquat kausaler Zusammenhang zwischen Unfall und Desinfektionskosten. Eine Kontrollüberlegung mag bei der Entscheidung helfen: Könnte der Geschädigte seine Behandlungskosten der Corona-Erkrankung dem Unfallschädiger in Rechnung stellen, wenn er sich in einem in der Werkstatt kontaminierten Fahrzeug angesteckt hat? Nach der bisherigen Rechtsprechung, etwa zu einer Grippeinfektion anlässlich einer Krankenhausbehandlung oder zum Sturz bei der Schadensbesichtigung, wohl eher nicht! Viel spricht daher dafür, einen Kausalzusammenhang in einer Zeit hoher Inzidenzwerte mit Schutzmaßnahmen, die alle gesellschaftlichen Bereiche betreffen, für die Desinfektionskosten zu verneinen und diese als mit der allgemeinen Auslagenpauschale abgegolten zu sehen. Auch beim Supermarktbesuch ist ja schließlich niemand auf die Idee gekommen, den Kunden Desinfektionskosten gesondert in Rechnung zu stellen.

Es ist sehr zu begrüßen, dass das LG Stuttgart die Revision zum BGH zugelassen hat. Das Revisionsverfahren bietet über die Gelegenheit zu einer Beendigung des Meinungsstreits zu den Desinfektionskosten hinaus für den BGH die Chance, Grunddeterminanten des Sachschadensrechts abzustecken. So betrachtet könnte ein eventuelles BGH-Urteil auch Relevanz für ähnliche Fragestellungen aus dem Bereich der Nebenschäden wie z. B. der nach der Fahrzeugreinigung im Falle eines Unfalls, entfalten.

Fazit

  1. In der Regel kommt es durch die Corona-Pandemie zu einer Ausweitung einzelner Schadenspositionen (z. B. Mietwagenkostenersatz und abstrakte Nutzungsausfallentschädigung). Neue Rechtsinstrumente für deren Behandlung sind nicht erforderlich.
  2. Zu einer Schadensminderung kann es, infolge der Corona-Pandemie, beim so genannten Erwerbsschaden kommen.
  3. Die Ersatzfähigkeit der neuen Schadensposition der Desinfektionskosten bleibt streitig. Eine BGH-Entscheidung ist mit Spannung, aber wohl kaum zeitnah zu erwarten.

Trotz des Rückgangs der Verkehrsunfallzahlen wird uns die Corona-Pandemie daher auch im Schadensrecht noch länger beschäftigen.

 

Hinweis:
Ausführliche Nachweise sowie Erläuterungen zur Ersatzfähigkeit von Fahrzeugdesinfektionskosten in der Corona-Pandemie finden Sie im Beitrag „Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Schadensabwicklung bei Verkehrsunfällen“ in der MDR 14/2021, S. 845 ff. Gegenstand des Beitrags sind außer den Desinfektionskosten u.a. auch die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Mietwagenkostenersatz, die abstrakte Nutzungsausfallentschädigung und das Personenschadensrecht (Änderungen beim Erwerbs- und Haushaltsführungsschaden und beim Schmerzensgeld).

Mehr zum Autor: PD Dr. Martin Zwickel ist Akademischer Oberrat an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) und Mitherausgeber des Werkes Haftung im Straßenverkehr von Greger/Zwickel.

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