Strukturierung des Parteivortrags – Brauchen wir mehr Einvernehmen zwischen Parteien und Gerichten?

Vor dem Hintergrund der künftigen Digitalisierung des Zivilprozesses wird aktuell besonders intensiv über die Strukturierung des Parteivortrags mittels eines so genannten elektronischen Basisdokuments diskutiert (vgl. dazu Zwickel, MDR 2021, 716 ff.). Kern der Idee ist, dass die beiden Parteien des Zivilprozesses ihren Tatsachenvortrag unter gemeinsamen Überschriften gegenüberstellen. Auf Gerichtsseite lässt sich daraus eine so genannte Relationstabelle erstellen, die das Auffinden streitiger bzw. unstreitiger Tatsachen erleichtert. Derartige Vorschläge in Richtung einer Vereinheitlichung von Parteischriftsätzen werden vor allem mit dem Einwand kritisiert, die Anwaltschaft sei kein Hilfsorgan der Justiz.

In Frankreich ist kürzlich der Abschlussbericht der vom französischen Staatspräsidenten initiierten so genannten Generalstände der Justiz (Etats généraux de la justice) erschienen. An den Etats généraux de la Justice haben nach Angaben des französischen Justizministeriums etwa 50.000 Personen (Bürger/-innen, Richter/-innen, Beamte/Beamtinnen, Wissenschaftler/-innen) teilgenommen. Der Bericht enthält auch Ideen zur Strukturierung der zivilprozessualen Schriftsätze, die als Schlüsselinstrument des künftigen, digitalen Zivilprozesses bezeichnet werden („Cet outil numérique sera, à l’avenir, l‘ une des clefs d’une procédure civile modernisée.“).

Drei Aspekte stechen in diesem Zusammenhang besonders hervor:

  • Die Vertretungen der Anwältinnen und Anwälte sollen, in Kooperation mit der Justiz, landesweit gültige Leitfäden (trames des écritures) für eine digitale Schriftsatzstruktur erarbeiten. Auf lokaler Ebene sollten diese ggf. auf bestimmte Streitgegenstände zugeschnittenen Schriftsatzmuster dann an die örtlichen Gegebenheiten angepasst werden. Rigide Rechtsregeln zur Stukturierung der Parteischriftsätze (Beschränkungen des Umfangs, etc.) werden von der Arbeitsgruppe explizit abgelehnt.
  • Zu Beginn eines zivilprozessualen Verfahrens soll neben einem rein formalen Termin ein zusätzlicher Termin für einen „nützlichen Dialog“ (dialogue utile) zur einvernehmlichen Gestaltung des Verfahrensablaufs etabliert werden. In diesem „Erörterungstermin“ kann dann auch eine Schriftsatzstruktur festgezurrt werden. Zudem soll sondiert werden, ob eine einvernehmliche Streitbeilegung in Betracht kommt. Neben der ihrer Bedeutung angemessenen Behandlung der jeweiligen Streitsache (prozessuales Verhältnismäßigkeitsprinzip) soll dadurch ein künftig in den Code de procédure civile aufzunehmendes Prinzip der Kooperation von Parteien und Gericht in die Praxis umgesetzt werden.
  • Zusätzlich zur Strukturierung des Parteivortrags sollen Überlegungen angestellt werden, welche Schriftsatzstruktur für eine Strukturierung zivilgerichtliche Urteile geeignet ist. Idealerweise sollen sich, so die Vorstellung der Arbeitsgruppe, Struktur der Parteischriftsätze und Urteilsstruktur vor dem Hintergrund von Open Data von Gerichtsentscheidungen, decken.

Besonders interessant ist an all diesen Vorschlägen, dass mit Frankreich nun ausgerechnet ein Land, in dem es schon sehr rigide zivilprozessuale Vorschriften für die Gestaltung von Schriftsätzen gibt (z.B. Art. 768 CPC), für die Feinstrukturierung des Prozessstoffs auf einvernehmlich erarbeitete Strukturen setzt.

Auch wenn sich diese französischen Vorschläge möglicherweise nicht (vollständig) für eine Übernahme in das deutsche Recht eignen, geben sie doch mehrere Denkanstöße für die deutsche Strukturierung des Prozessstoffs:

  1. Sollte das elektronische Basisdokument nicht in eine von Gericht und Parteien einvernehmlich erarbeitete Strukturierung des gesamten Verfahrensablaufs eingebettet werden?
  2. Kann die relativ grobe Struktur des elektronischen Basisdokuments, das derzeit letztlich nur Texte unterhalb von Überschriften einordnet, nicht durch zwischen Anwaltschaft und Gerichten ausgehandelte Strukturierungsleitfäden nach Art einer Formularsammlung für bestimmte Streitgegenstände verfeinert werden?
  3. Wäre nicht Parteien, Gericht und perspektivisch der Öffentlichkeit gleichermaßen gedient, wenn sich eine solche, auf Einvernehmen von Parteien und Gericht beruhende Struktur auch im Urteil niederschlagen würde?
  4. Bieten im Einvernehmen erarbeitete Strukturen nicht besondere Chancen auf einvernehmliche Streitbeilegung und damit entscheidende Verkürzungen der Verfahrensdauern?

Kurzgefasst: Fahren wir in Sachen Strukturierung des Prozessstoffs nicht mit einvernehmlich erarbeiteten Strukturen besser als mit zwingend (durch digitale Tools) vorgegebenen Strukturen?

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