Covid-19 legt derzeit das gesellschaftliche Leben in Deutschland lahm. Die Tätigkeit der Gerichte bildet dabei keine Ausnahme. In Berlin hat Kammergerichtspräsident Bernd Pickel angeregt, grundsätzlich alle Sitzungstermine aufzuheben und nur noch in unaufschiebbaren Einzelfällen zu verhandeln. Andere Gerichtspräsidenten haben vergleichbare Empfehlungen ausgesprochen – und auch ohne solche Hinweise „von oben“ haben viele Richterinnen und Richter Verhandlungstermine abgesetzt oder weit in die Zukunft verschoben. Die Terminsabsetzungen stoßen bei den Rechtsanwälten teils auf Zustimmung, werden von diesen in einigen Fällen sogar gefordert, teils aber auch auf Ablehnung. Es ist daher sinnvoll, einen Blick auf die Rechtslage zu werfen.
Nach § 227 Abs. 1 ZPO bedarf jede Terminsaufhebung oder -verlegung eines „erheblichen Grundes“. Dies darf nicht zu streng gesehen werden. Besteht für die Prozessbeteiligten im Sitzungssaal oder auf dem Weg dorthin eine Gefahr für ihre Gesundheit durch die Übertragung des Corona-Virus, ist ein „erheblicher Grund“ sicherlich gegeben. Das Gleiche gilt, wenn die Durchführung des Termins eine Ansteckungsgefahr für Außenstehende bedeutet, etwa der Wachtmeister, die im Eingangsbereich des Gerichts die Personenkontrollen durchführen. Ob dies ein Vorsitzender auch nur einigermaßen sicher feststellen kann, ist aber fraglich. Momentan kann beobachtet werden, dass einzelne Gerichte prüfen, ob alle Beteiligten im Sitzungssaal einen Mindestabstand von 1,5 m einhalten können.
Der Gesundheitsschutz aller Beteiligten steht zudem im Spannungsverhältnis zum Justizgewährleistungsanspruch, der auch in bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten Rechtsschutz in angemessener Zeit verlangt (BVerfGE 82, 126, 155). Es sollten daher stets Wege gesucht werden, die Verfahren auf andere Weise zur Entscheidungsreife zu bringen. Leider sind diese häufig nicht praktikabel: Der Übergang ins schriftliche Verfahren (§ 128 Abs. 2 ZPO) ist bei einer notwendigen Beweisaufnahme gänzlich verschlossen, ermöglicht keine Güteverhandlungen und scheitert im Übrigen häufig an der fehlenden Zustimmung beider Parteien. Die Möglichkeit einer Videokonferenz besteht zwar seit 2002, wird aber bisher kaum angenommen, weil gerade auch auf Seiten des Gerichts nicht unberechtigte Vorbehalte wegen des technischen Aufwands und der Störanfälligkeit bestehen.
Es bleibt daher vielfach nur die Entscheidung: Termin oder kein Termin. Was kann nun der Rechtsanwalt tun, wenn er mit der Entscheidung des Gerichts nicht einverstanden ist? Die Entscheidung über die Terminsaufhebung und -verlegung ist nach § 227 Abs. 4 S. 3 ZPO unanfechtbar. Nur in Extremfällen wird bei einer Terminsaufhebung die Verzögerungsrüge (§ 198 GVG) erhoben werden können. Wird der Termin nicht aufgehoben, erscheint eine Partei bzw. ihr Vertreter aus Sorge um eine Ansteckung aber nicht, ist noch nicht geklärt, ob das Fernbleiben unverschuldet ist, so dass kein Versäumnisurteil erlassen werden darf, sondern die Sitzung von Amts wegen nach § 337 ZPO zu vertagen ist. Meine Meinung: Krankheit ist ein Entschuldigungsgrund, die Gefahr einer Erkrankung – bei sich oder auch für andere – sollte es ebenfalls sein, wenn sie wahrscheinlich oder schwerwiegend ist. Bei dem, was wir über das Covid-19-Virus wissen, dürfte dies jedenfalls bei weiter steigenden Infektionsraten der Fall sein.