Der Bundesrat hat am 7. Juli 2017 die Umsetzung der neuen EU-Pauschalreiserichtlinie 2015/2302 vom 25. November 2015 durch tiefgreifende Änderungen der §§ 651a ff. BGB gebilligt. Der Bundestag hatte die Reform bereits am 1. Juni 2017 beschlossen. Wegen der Vollharmonisierung des Reiserechts in 28 Mitgliedstaaten der EU, werden bisher maßgebliche Eckpfeiler des deutschen Reisevertragsrechts auf dem Altar der Union geopfert. Leider ist die Diskussion über diesen Abbau des deutschen Recht im Gesetzgebungsverfahren in den Hintergrund getreten. Ich nenne dafür einige Beispiele, die auch durch das deutsche Umsetzungsgesetz nicht gerettet werden konnten.
- Preiserhöhungen bis zu 8 % bis 20 Tage vor Reise möglich
So berechtigen Preiserhöhungen zum Rücktritt vom Vertrag erst ab 8%, bisher erst ab 5%. Bis 20 Tage vor Reisebeginn ist damit ein Preiserhöhungsverlangen z. B. über 7,5 % zulässig, wenn sich Beförderungskosten, Abgaben oder Wechselkurse nach Vertragsschluss ändern!
- Wegfall der 4-Monatsgrenze bei Preiserhöhungen
Bisher ist eine Erhöhung des Reisepreises durch AGB nicht möglich, wenn zwischen Vertragsschluss und Reisebeginn weniger als 4 Monate liegen. Diese absolute 4-Monatsgrenze in § 309 Nr. 1 BGB fällt leider der Vollharmonisierung zum Opfer, da die gesetzliche Regelung der Preiserhöhung in § 651f BGB keine abweichende AGB-Regelung mehr zulässt (§ 651y BGB). Gerade diese wichtige Zeitgrenze des allgemeinen Wirtschaftsrechts hat bisher in Deutschland dazu geführt, dass Preiserhöhungen in der Praxis keine Rolle spielten. Wichtig ist zu wissen, dass diese 4-Monatsgrenze weiterhin bei Reiseeinzelleistungen wie z. B. bei Flugbuchungen gilt! Sie entfällt nur bei Pauschalreisen.
- Ersetzung der „höheren Gewalt“ durch „unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände“
Die Einführung des neuen unbestimmten Rechtsbegriffs der „unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstände“ statt des alten Begriffs der „höheren Gewalt“ wird weitreichende neue Auslegungsprobleme schaffen, welche die Gerichte bis zum EuGH für viele Jahre beschäftigen werden.
- Wegfall des Eigenverschuldens des Veranstalters beim Schadensersatz
Besonders ärgerlich erscheint mir der Wegfall des Eigenverschuldens beim Schadensersatz in § 651n I BGB. Dies widerspricht fundamental dem bisherigen deutschen Recht. Der Reiseveranstalter kann sich daher gegen einen Schadensersatzanspruch des Reisenden nicht mehr wegen fehlender eigener Fahrlässigkeit nach §§ 276 II, 280 BGB entlasten. Diese Änderung kann z. B. beim Reisemangel der Verkehrssicherungspflicht in Hotelanlagen der Leistungserbringer zu ruinösen Folgen führen. Der Reiseveranstalter haftet dann summenmäßig unbegrenzt für alle Folgen bei Personen- und Sachschäden. Dies gilt also auch dann, wenn das Unternehmen als ordentlichem Geschäftsmann kein nachweisbarer Fahrlässigkeitsvorwurf durch ein vorhersehbares und vermeidbares Verhalten trifft und er alle Kontrollpflichten erfüllt hat, welche von einem verantwortungsvollen Reiseveranstalter erwartet werden können! Das neue Recht lässt in § 651n BGB zur Entlastung beim vermuteten Verschulden des Veranstalters nur das Selbstverschulden des Reisenden, unbeteiligter Dritter oder unvermeidbare außergewöhnliche Umständen zu, nicht mehr das eigene fehlende Vertretenmüssen!
- Wegfall der Anmeldefrist von 1 Monat
Der Wegfall der einmonatigen Ausschlussfrist zur Anmeldung von Gewährleistungsrechten führt dazu, dass Reisende bis zu zwei Jahre nach dem Reiseende Ansprüche gegen den Veranstalter geltend machen können. Die weiter bestehende Pflicht zur Mangelanzeige durch den Reisenden während der Reise ist dafür kein Ersatz. Eine schnelle Beweissicherung können wir daher in Zukunft abschreiben! Auch der Rückgriff auf einen, den Mangel verursachenden Leistungsträger ist nach so langer Zeit illusorisch.
- Keine Verkürzung der Verjährung von 2 auf 1 Jahr durch AGB
Eine Verkürzung der gesetzlichen zweijährigen Verjährungsfrist für Gewährleistungsansprüche durch AGB auf ein Jahr wird nicht mehr möglich sein.
- Ferienunterkunft und Hotel als Einzelleistung eines Reiseveranstalters/Agentur künftig ungeschützt
Ferienimmobilien und Hotelzimmer, die von Agenturen oder Reiseveranstaltern als eigene Einzelleistung angeboten werden, stehen derzeit noch unter besonderem Schutz des deutschen Pauschalreiserechts. Mehr als 30 Jahre konnten sich deutsche Urlauber nach der gefestigten Rechtsprechung des BGH auf eine analoge Anwendung des Reisevertragsrechts verlassen. Daher sind heute noch die Kundengelder auch im Falle von Insolvenzen abgesichert. Nun entfällt ab 1. Juli 2018 die Absicherung. Diese Einzelleistungen unterliegen künftig dem durch AGB abänderbaren, also „weichen“ Beherbergungsrecht. Anbieter können sich damit durch eine Rechtswahl des Landes der Unterkunft aus dem deutschen Recht mit einer AGB-Klausel „herauswählen“. Urlauber müssen im jeweiligen Ausland ihr vorab gezahltes Geld für die Buchung wieder einklagen oder die dortigen Gewährleistungsrechte bei Mängeln am ausländischen Gerichtsstand geltend machen. Mit dieser schwerwiegenden Absenkung des bisherigen Schutzniveaus höhlt Berlin ohne Not und ohne Begründung im Gesetzesentwurf das Pauschalreiserecht weiter aus, als es die EU-Richtlinie vorgibt! Dieser umfassende Schutz war im ersten Referenten-Entwurf aus dem federführenden Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz noch vorgesehen. Auch bei der Anhörung vor dem Rechtsausschuss des Bundetages habe ich mich mit allen geladenen Rechtsexperten ebenfalls dafür ausgesprochen, dass Ferienunterkünfte und Hotels aus dem Angebot von Reiseveranstaltern und Agenturen auch weiterhin unter den Schutz des Pauschalreiserechts fallen. Doch die Lobby der Reiseverbände hat sich durchgesetzt. Der Verbraucherschutz hat eine Niederlage erlitten!