Es ist eine im Großstadtverkehr beinahe alltägliche Situation, dass der Straßenbahnverkehr durch ein Hindernis auf den Schienen blockiert wird. Für die Fahrgäste bedeutet dies Verdruss, für das Verkehrsunternehmen – jedenfalls bei länger dauernden Störungen – erhebliche Aufwendungen, z.B. für die Einrichtung und Abwicklung eines Ersatzverkehrs. Wurde die Blockade durch ein Kfz verursacht, etwa weil es nach einem Unfall auf den Gleisen zum Liegen gekommen ist, stellt sich die Frage, ob diese Schäden durch die Gefährdungshaftung des Kfz-Halters (und seine Haftpflichtversicherung) abgedeckt sind. Es überrascht, dass diese Frage erst jüngst vom BGH entschieden werden musste – weil ein Verkehrsunternehmen aus dem Sächsischen derartige Aufwendungen aus vier Verkehrsunfällen zusammengerechnet und auf den Weg durch die Instanzen gebracht hat.
Angesichts der sehr inkonsistenten Rechtsprechung zur Haftung für Nutzungsbeeinträchtigungen verwundert es nicht, dass die Instanzgerichte zu unterschiedlichen Beurteilungen gekommen sind. Beim BGH bekam der Straßenbahnbetreiber aber Recht – ein Urteil, welches die Bahnunternehmen freuen, den Haftpflichtversicherern aber Sorgen machen wird. Mögen die Schäden aus solchen Vorfällen auch überschaubar bleiben, kann deren Häufung doch erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen haben.
Auch in rechtlicher Hinsicht wirft das Urteil Fragen auf. Der BGH leitet die Ansprüche des Verkehrsunternehmens aus § 7 Abs. 1 StVG ab. Die dort vorausgesetzte Beschädigung einer Sache sieht er in der Blockade der Gleise und überträgt die Rechtsprechung, wonach in der Beeinträchtigung der Nutzbarkeit einer Sache eine Eigentumsverletzung iS.v. § 823 Abs. 1 BGB liegen kann, ohne nähere Begründung und Auseinandersetzung mit dem Schrifttum auf die Gefährdungshaftung (anders z.B. Greger/Zwickel, Haftung im Straßenverkehr, 6. Aufl. 2021, Rn 3.53 m.w.N.). Diese Gleichsetzung von Sachbeschädigung und Nutzungsstörung überdehnt den Wortlaut des § 7 StVG und übergeht den fundamentalen Unterschied, dass die deliktische Haftung nach § 823 BGB an die Verletzung eines Rechts (s. die Definition des Eigentums in § 903 BGB), die verschuldensunabhängige Haftung für den Kfz-Betrieb an die Unversehrtheit einer Sache anknüpft. Dadurch wird der gesetzgeberisch gewollte Ausschluss reiner Vermögensschäden von der Gefährdungshaftung untergraben.
Auch soweit das BGH-Urteil den Zurechnungszusammenhang zwischen Kfz-Betrieb und den Kosten für die Abwicklung des gestörten Bahnverkehrs bejaht, bietet es Diskussionsstoff, denn zumindest kleinere Störungen (hier überschritten die vier Vorfälle zusammen nicht die Zuständigkeitsgrenze des AG) dürften eher dem Betriebsrisiko des Bahnunternehmens zuzurechnen sein. Außerdem kommt es zu schwer erklärbaren Ungleichbehandlungen, denn wenn das Bahnunternehmen (wie häufig) nicht Eigentümer der Schienen ist, bekommt es keine Entschädigung, ebenso wie der Betreiber einer Buslinie bei unfallbedingter Sperrung einer Straße.
Das Urteil des BGH v. 27.9.2022 – VI ZR 336/21 ist in MDR 2023, 32 und mit ausf. Anm. in NZV 2023, 42 abgedruckt.