In der Februar-Ausgabe der ZKM (Heft 1/2019) werbe ich für den Erlass eines Deutschen Konfliktmanagementkodex (DKMK). Der Beitrag ist außerdem als kostenloser Download auf der Website der ZKM verfügbar. Der Deutsche Konfliktmanagementkodex könnte die Best Practice guter Konfliktlösung aus Sicht der Unternehmen vermitteln. Thematisch würde der Kodex sowohl die interne als auch die externe Konfliktbehandlung erfassen. Zudem könnten die Empfehlungen allgemeine Grundlagen der Unternehmensorganisation betreffen, also zum Beispiel die unternehmensinternen Anreizstrukturen der Konfliktbehandlung. Darüber hinaus könnten Entscheidungsprinzipien der Konfliktlösung empfohlen werden, etwa betreffend die Auswahl von Konfliktlösungsmechanismen. Dabei liegt es nahe, sämtliche Konfliktlösungsverfahren abzudecken, angefangen bei der Verhandlung über die Mediation, die Schlichtung, das Schiedsgutachten, das Schiedsgerichtsverfahren bis hin zum Gerichtsverfahren. Der Konfliktmanagementkodex ginge in Inhalt und Umfang also weit über Selbstverpflichtungen der Unternehmen zur Vorgehensweise bei Konflikten (sog. Dispute Resolution Pledges oder Corporate Pledges) hinaus.
Der Kodex sollte von einer unabhängigen und ständigen Regierungskommission erlassen werden, deren Zusammensetzung das Gremium klar als Vertretung der Unternehmerschaft ausweist. Neben einer Mehrheit an Unternehmensvertretern könnten dem Gremium auch Wissenschaftler und einzelne Vertreter anderer Stakeholdergruppen angehören. Mitglieder der Regierung oder der Politik sollten der Kommission jedoch nicht angehören. Andernfalls könnte der Eindruck staatlicher Beeinflussung entstehen. Die Kommission könnte vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz im Einvernehmen mit dem/der Kommissionsvorsitzenden bestellt werden. Der Kodex sollte keinerlei unmittelbare rechtliche Pflichten oder Rechte schaffen. Er sollte allerdings im amtlichen Teil des Bundesanzeigers und auf der Website der Kommission veröffentlicht werden.
Die Idee eines Deutschen Konfliktmanagementkodex wird von zwei Gedanken getragen: erstens den fortbestehenden Defiziten guter Konfliktlösung auf Seiten der Unternehmen und zweitens dem Versuch, diesen Defiziten nicht durch Rechtsregeln, sondern durch eine Aktivierung des Eigeninteresses der Unternehmen zu begegnen. Die hier angesprochenen Defizite unternehmerischer Konfliktlösung sind keine Mängel, die sich aus der fehlenden Berücksichtigung der Interessen anderer Betroffener ergeben. Vielmehr handeln die Unternehmen – wie der Beitrag in der ZKM unter Verweis auf empirische Untersuchungen zeigt – systematisch gegen ihre eigenen Präferenzen. Macht man sich klar, dass der Ertrag und die Kosten der Konfliktbehandlung unmittelbar und mittelbar in das Unternehmensergebnis eingehen, bedeutet das, dass die Unternehmen Potentiale des Unternehmenserfolgs systematisch nicht ausschöpfen. Die im Beitrag in Bezug genommene empirische Forschung belegt das Handeln der Unternehmen gegen die eigenen Erfolgsinteressen für einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren. Auch wenn Unternehmen im Vergleich zu Verbrauchern eher rational handeln, zeigen Seitenblicke auf die empirische Forschung zu anderen Aspekten unternehmerischen Handelns – etwa zur Unternehmensfinanzierung oder zur Unternehmensleitung –, dass auch Unternehmen für systematische Entscheidungsdefizite anfällig sein können.
Der Ansatz des Deutschen Konfliktmanagementkodex ist, das Interesse der Unternehmen am eigenen Erfolg auch für den Bereich der Konfliktlösung zu wecken. Wie könnte das geschehen? Erstens dadurch, dass die Kommission Deutscher Konfliktmanagementkodex als Vertretung unternehmerischer Interessen wahrgenommen wird, und zweitens dadurch, dass der Kodex die Best Practice der Konfliktlösung zusammenfasst. Die Befolgung der Kodexempfehlungen wäre dann ein Zeichen dafür, dass das befolgende Unternehmen seinen Erfolg auch durch eine optimierte Konfliktlösung erreicht. Aus Sicht der Investoren wäre dies ein Signal dafür, dass die Erträge des Unternehmens höher sind als die Erträge von Unternehmen, deren Konfliktmanagement dem Kodex nicht entspricht. Aus Sicht des Unternehmens würden sich infolgedessen die Finanzierungskosten verringern.
Aus dieser Logik ergeben sich weitere Anreize, die dem Grundgedanken des Kodex entsprechend nicht auf gesetzlichem Zwang, sondern auf unternehmerischer Freiheit beruhen. Investoren, also Gesellschafter und Eigentümer, würden die Frage an das Management, also Vorstände und Geschäftsführer, richten, ob eine Befolgung der Kodexempfehlungen dem Unternehmensertrag zugutekäme. In der Voraussicht dieses Investoreninteresses würde das Management von sich aus nach bisher unentdeckten Erfolgspotentialen besserer Konfliktlösung suchen. Im nächsten Schritt würden die Manager ihre Berater auffordern, die Kodexempfehlungen zu berücksichtigen und Abweichungen davon zu erklären. Unternehmensintern würde der Kodex Mitarbeiter legitimieren, die überholte Strukturen der Konfliktbehandlung ansprechen und verbessern wollen. Da der Kodex kein Gesetz ist, könnten Unternehmen in begründeten Fällen von den Kodexempfehlungen selbstverständlich abweichen und dies – falls erforderlich – auch erklären (beispielsweise gegenüber Investoren). In der Gesamtschau könnte der Kodex so frischen Wind in die Konfliktlösungspraxis der Unternehmen bringen.
Ein ähnliches Vorgehen hat sich auf dem Gebiet der Unternehmensleitung (Corporate Governance) bewährt. Eine Regierungskommission hat im Jahr 2002 den Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK; dazu <www.dcgk.de>) vorgelegt, um verfestigte Mängel der Leitung deutscher Unternehmen zu beheben. Der Corporate Governance Kodex hat sich besonders deshalb bewährt, weil er als untergesetzliche Norm die Unternehmen dazu anregt, die eigene Unternehmensführung an der im Kodex zusammengefassten Best Practice zu messen. Für den Erfolg des Kodex ist entscheidend, dass die erlassende Kommission zweifellos im Interesse der Wirtschaft agiert und die Kommissionsmitglieder in der öffentlichen Wahrnehmung für eine moderne und erfolgreiche Unternehmenspraxis stehen.
Im Fall des Corporate Governance Kodex ging der Gesetzgeber noch einen Schritt weiter. Gemäß § 161 AktG muss die Leitung börsennotierter Gesellschaften jährlich erklären, ob den Empfehlungen des Corporate Governance Kodex entsprochen wurde und wird oder welche Empfehlungen nicht angewendet wurden oder werden und warum nicht. Für den Deutschen Konfliktmanagementkodex wird dieser Ansatz des Comply or Explain (Befolge oder Erkläre) zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht empfohlen. Während der Corporate Governance Kodex auf in- und ausländische Vorläufer aufbauen konnte, gibt es für den Konfliktmanagementkodex kaum Vorbilder. Im Vordergrund sollte hier zunächst die Ernennung einer überzeugenden Kommission sowie die Diskussion und Konsolidierung der Kodexempfehlungen stehen. Wenn sich der Konfliktmanagementkodex bewährt hat, kann zu einem späteren Zeitpunkt freilich über weitere Maßnahmen nachgedacht werden, darunter auch eine Regelung im Sinne des Befolge oder Erkläre.
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Ein Kommentar
Lieber Herr Steffek,
ich finde Ihre Idee sehr gut und werde damit den Vorstand der EUCON befassen.
Mit besten Grüßen
Hans-Uwe Neuenhahn