Klimaschutz oder Klimawahnsinn?

Das EU-Parlament hat am 14. März 2023 das „Go“ für Mindest-Energiestandards bei Gebäuden erklärt. Zwar muss der Rat noch zustimmen, aber das ist Formsache. Parallel steht in Berlin die geplante Novelle zum Gebäude-Energie-Gesetz an, ebenfalls mit dem Ziel einer „ordentlichen“ energetischen Ertüchtigung bestehender Gebäude und Neubauten, denn 40 % der CO₂-Emissionen sollen derzeit aus dem Gebäudebestand kommen.

„Angefasst“ werden sollen durch das Gebäude-Energie-Gesetz im Ergebnis vor allem die Heizungstechnik und auch die Gebäudehülle; ab 2024 sollen keinen neuen Heizsysteme mehr mit rein fossilen Energieträgern verbaut werden dürfen, sondern nur noch hybride Techniken, die zumindest 65 % des Energiebedarfs aus regenerativen Energien decken. 2045 soll der Einsatz fossiler Energieträger (Gas, Kohle, Öl) beim Heizen auf jeden Fall verboten sein. Die europäischen Vorstellungen verlagern diesen Stichtag noch vor.

Darüber hinaus sollen alle Gebäude in Europa bis 2033 mindestens die Energieklasse D erreichen. Das ist als Sanierungspflicht zu verstehen, alle nachgeordneten Energieklassen sollen eliminiert werden.

Das alles führt zu enormen wirtschaftlichen und logistischen Belastungen beim energetischen Umbau. Die aktuell bekannten Vorstellungen aus Brüssel führen dazu, dass 45 % der Wohngebäude in Deutschland innerhalb von 9 Jahren saniert werden müssen. Technische Machbarkeit und wirtschaftliche Belastung spielen für die Europäische Union keine Rolle. Vorsichtigen Schätzungen zufolge kostet der so definierte Sanierungsaufwand zwischen 125 und 182 Milliarden € pro Jahr.

Die Bewertung der Baubranche: „Völlig unrealistisch“!

Die Baubranche – zusammengefasst aus Industrie und Handwerk – berichtet, das im Jahre 2022 bei 1 Million verbauter Heizungen in Deutschland 2/3 reine Gas- und Ölheizungen installiert wurden. Erdgas ist die weit dominierende Energieform. Viele Gebäude sind bautechnisch noch nicht aufnahmefähig für moderne Heizsysteme, die mit regenerativer Energie betrieben werden. Das gilt insbesondere für den erstrebten Betrieb von Wärmepumpen und Solaranlagentechnik. Bausanierungen sind also vorgreiflich nötig. Dazu werden Handwerkerressourcen, Baumaterialien und Ausführungstermine benötigt, so Christoph Blepp, Berater in der Baubranche im WDR 5 Morgenecho – Interview am 06.03.2023.

Und weiter: Die dafür notwendigen Handwerkerkapazitäten fehlen. Schon deshalb ist die geplante Novelle des GEG (Habeck-Entwurf) als unrealistisch zu bewerten.

Vor allem: Wenn Gas-, Öl- und Kohleheizungen ab 2024 vor allem durch Wärmepumpen und durch Photovoltaiksysteme ersetzt werden sollen, müssen sie in der ausreichenden Zahl vorproduziert worden sein. Die Industrie baut entsprechende Produktionskapazitäten in beiden Bereichen auf. Dies ist aber über Nacht schon bis zum Jahre 2024 nicht möglich. Den Vorstellungen Robert Habeck‘s fehlt deshalb die Grundlage. Für eine zeitlich realistische Umstellung ist folgendes zu bedenken:

In Deutschland existieren ca. 41 Millionen Haushalte; davon werden 30 Millionen Haushalte mit Gas- und Ölheizungen versorgt. Lassen sich von den verfügbaren Kapazitäten 1 Million Heizungen pro Jahr tauschen, wären bis zu einem vollständigen „Roll Over“ 30 Jahre notwendig!

Die Bewertung der Wohnungswirtschaft: „Unbezahlbarer Zwangsansatz“

Mit dem Hinweis auf fehlende Industriekapazitäten, Handwerkerüberlastungen und ein wirtschaftlich untragbares wie unzumutbares Finanzopfer zieht der Verband „Haus & Grund“ dasselbe Fazit. Und: „Der Gesetzesentwurf aus dem Wirtschaftsministerium zeigt, dass Minister Habeck bei der Energiewende im Gebäudebestand ausschließlich auf Zwang und Verbote setzt. Die soziale Marktwirtschaft hat hier offenbar keinen Platz mehr. Das wird für viele Menschen gerade in älteren Einfamilienhäusern unbezahlbar. Jetzt hilft nur noch ein konsequentes Eingreifen des Bundeskanzlers“, so Verbandspräsident Dr. Kai H. Warnecke. Auch der Gesamtverband der Wohnungswirtschaft warnt vor Überteuerung und Kapazitätsengpässen

Die Bewertung durch den Deutschen Städte- und Gemeindebund: „Unrealistische Fristen“

„Die Umstellung der Wärmeerzeugung zu beschleunigen, ist grundsätzlich ein richtiger Ansatz. Wir warnen allerdings davor, hier nun Fristen in den Blick zu nehmen, die unrealistisch sind und die jetzt bereits laufenden, zum Teil sehr komplexen Planungen bei kommunalen Bauvorhaben gefährden“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg; ebenso im Ergebnis GdW-Präsident Axel Gedaschko.

Die Bewertung der Politik: „Nicht zustimmungsfähig“

Auch die Bundesunion lehnt als politische Opposition die Pläne mit den hier schon vorgestellten Argumenten ab. Auch aus der Ampel-Koalition selbst kommt Widerspruch von der FDP. Ihr wohnungsbaupolitischer Sprecher, Daniel Föst, bezeichnet den GEG-Entwurf als nicht zustimmungsfähig. Er schieße weit über die Vereinbarung der Koalition hinaus.

Kritische Töne kommen auch aus Niedersachsen von Bauminister Olaf Lies. Auch er warnt vor den Folgen der geplanten Novelle des GEG. Vor allem die Fristen zur Umrüstung von Heizungsanlagen würden die Baubranche sowie Haus- und Wohnungseigentümer überfordern.

Die eigene Bewertung: „Hochexplosiver sozialen Sprengstoff“

Olaf Lies hat absolut recht. Den hier skizzierten Argumenten und Schlussfolgerungen kann man sich nur anschließen. Ungeklärte technische Umsetzung und eine immens überfordernde wirtschaftliche Belastung der betroffenen Immobilieneigentümer zeigen sich geradezu als „Fallbeil“. Klimaschutz, so wichtig er ist, und bezahlbare Mieten entfernen sich immer weiter voneinander. Knallharte Ordnungspolitik beim Klimaschutz „nach Gutsherrenart“ – an schier absolutistische Machtformen erinnernd – lösen dies nicht – und können dies auch nicht lösen, weil ein ganzes Pflichtenheft von Geboten und Verboten noch nie zu einer technischen Umsetzbarkeit und Bezahlbarkeit geführt hat!

Man kann nur hoffen, dass die Haltung Niedersachsens über den Bundesrat Schule macht und zum Scheitern der Novelle in der augenblicklichen Planung führt, wenn die Bundesregierung nicht selbst vernünftig werden sollte.

Es bleibt die Frage, wie mit der neuen EU-Gebäude-Energieeffizienzrichtlinie umzugehen ist. Denn sie steht buchstäblich vor der Tür.

Insgesamt führen die Pläne einer so drakonischen energetischen Ertüchtigung mit entsprechenden Sanierungspflichten zu einer Kostenexplosion. Sie ergibt sich unabhängig davon, ob es sich um Wohngebäude oder anders genutzte Gebäude handelt, ob es sich um einzelne Haushalte oder um Großunternehmen handelt, oder ob es um private oder öffentliche Gebäude geht. Ohne Belang bleibt auch, ob die Gebäude vermietet sind oder privat genutzt werden.

Genauso vernachlässigt wird die Frage, ob die verlangte Sanierung / Modernisierung unter Berücksichtigung des Lebenszyklus des Gebäudes überhaupt angezeigt ist. Gerade dieser Umstand führt zusätzlich zu stark erhöhten Kosten.

Überhaupt keine Rolle soll die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Gebäudeeigentümer spielen. Dies ist für ältere Gebäudeeigentümer und für hochverschuldete Eigentümer besonders fatal. Denn in beiden Fällen wird es entweder keine Kredite oder nur Kredite zu sehr hohen Konditionen geben können. Wenn aufgrund der Modernisierungspflichten der anzunehmende Verkehrswert und damit auch der Beleihungswert der Immobilie nach unten erodiert, wird dieser Effekt zusätzlich verstärkt.

Und die Gretchenfrage all derer, die das nicht stemmen können: Was passiert mir mit meinem Haus, wenn ich die Vorgaben der EU-Gebäude-Energie-Effizienzrichtlinie und der ehrgeizigen nationalen Vorstellungen dazu nicht einhalte? Ein Verkaufs- und / oder Vermietungsverbot? Ein Nutzungsverbot für mich selbst? Ein Betriebsverbot für bisherige Anlagentechnik? Ein – wahrscheinlich saftiges – Bußgeld? Die staatlich erzwungene Zwangssanierung mit Eintrag einer „Aufbauhypothek“ im Grundbuch (als staatlich gelenkte und verordnete Maßnahme aus DDR-Zeiten bekannt – „ökonomischer Zwang“ – mit der Folge einer Rückführung der so entwundenen Immobilien über die damalige Restitutionsgesetzgebung)? Oder gar eine Enteignung?

Diese „Details“ sollen im Rahmen der Umsetzung in nationales Recht geklärt werden. Der Verordnungsentwurf bestimmt dazu in seinem Artikel 31 lediglich: „Die Mitgliedstaaten legen fest, welche Sanktionen bei einem Verstoß (…) zu verhängen sind, und ergreifen die zu deren Durchsetzung erforderlichen Maßnahmen.“ Damit entscheidet Deutschland über die Folgen einer „verpassten Energieoffensive.“

Wie auch immer: Im Ergebnis wird dies in einer Vielzahl von Fällen im Ergebnis zu einer wirtschaftlichen Enteignung und damit zu einem hochexplosiven sozialen Sprengstoff führen – alles im Dienste eines völlig überzogenen Klimaschutzes, den niemand mehr stemmen kann?

 

 

Fiktive Schadensberechnung im (Gewerberaum-)Mietrecht

Nach dem Urteil des BGH vom 31.03.2021 (XII ZR 42/20) können Ansprüche des Vermieters auf Schadensersatz statt der Leistung im (Gewerberaum-)Mietrecht nach wie vor ohne Weiteres auch fiktiv abgerechnet werden. Die baurechtliche Rechtsprechung des VII. Zivilsenats des BGH, wonach eine fiktive Schadensbemessung von Mängelbeseitigungskosten außer Betracht bleibt, findet im (Gewerberaum-)Mietrecht keine Anwendung.

I.      Ausgangslage

Seit der Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung des VII. Zivilsenats des BGH zum Baurecht in der Entscheidung vom 22.02.2018[1], wonach ein (Werk-)Besteller bei Vorliegen eines Mangels nicht mehr fiktiv den Schaden in Höhe der Mangelbeseitigungskosten abrechnen konnte, wurde diskutiert, ob diese werkvertragliche Rechtsprechung auch auf das Kaufrecht und das (Gewerberaum-)Mietrecht übertragen werden kann. Für das (Wohnraum-)Mietrecht hat das Amtsgericht Hamburg-Blankenese in seinem Urteil vom 12.06.2019[2] diese Frage konkret aufgeworfen und ausgeführt:

„Wenn man neueren Tendenzen in der Rechtsprechung folgt, dann dürfte die Vermieterin selbst bei Vorliegen eines Mangels gar nicht fiktiv ihren Schaden in Höhe der Mängelbeseitigungskosten abrechnen“.

Im Ergebnis hat das Amtsgericht Hamburg-Blankenese die Beantwortung dieser Frage dann allerdings offengelassen. Im Schrifttum wurde diese Frage ebenfalls eingehend diskutiert, und überwiegend wurde vertreten, dass eine Übertragbarkeit der werkvertraglichen Rechtsprechung des BGH auf das Mietrecht nicht in Betracht kommt.[3] Zwischenzeitlich hat der BGH eine Übertragbarkeit der werkvertraglichen Rechtsprechung auf das Kaufrecht abgelehnt.[4] Nunmehr hat der BGH dies auch ausdrücklich für das (Gewerberaum-)Mietrecht[5] klargestellt, und das zu Recht:

II.     Unterschiede zwischen dem Werkvertragsrecht und dem (Gewerberaum-) Mietrecht

Für das Werkvertragsrecht begründet der BGH seine Auffassung damit, dass die Abrechnung fiktiver Mängelbeseitigungskosten häufig zu einer Überkompensation und damit einer nach allgemeinen schadensrechtlichen Grundsätzen nicht gerechtfertigten Bereicherung führt. Denn der fiktiver Aufwand einer Mängelbeseitigung hängt von verschiedenen Umständen ab, z.B. dem Weg der Mängelbeseitigung, der Einbeziehung anderer Gewerke in die Mängelbeseitigung etc. und kann die vereinbarte Vergütung, mit der die Parteien das mangelfreie Werk bewertet haben, deutlich übersteigen. Mit demselben Argument wurde vom BGH früher die Erstattungsfähigkeit von Umsatzsteuer bei fiktiver Abrechnung verneint. Diese Grundsätze lassen sich nicht auf das (Gewerberaum-)Mietrecht übertragen.

1.     Kein werkvertraglicher Vorschussanspruch (§ 637 Abs. 3 BGB) im Mietrecht

Wörtlich führt der BGH insoweit in seiner Entscheidung vom 31.03.2021 – XII ZR 42/20) Folgendes aus:

„Soweit der VII. Zivilsenat in einer Bausache entschieden hat, dass eine fiktive Schadensbemessung von Mängelbeseitigungskosten außer Betracht bleibt (BGHZ 218, 1 = NJW 2018, 1463; vgl. auch BGH, Beschl. v. 18.02.2020 – VII ARZ 1/20, NJW 2021, 53), beruht das auf Besonderheiten des Werkvertragsrechts, insbesondere dem Vorschussanspruch nach § 637 Abs. 3 BGB, die bei den Ersatzansprüchen des Vermieters wegen Veränderungen oder Verschlechterungen der Mietsache keine Parallele finden (vgl. auch BGH, Urt. v. 12.03.2021 – V ZR 33/19).“

2.     Weitere Unterschiede

Neben dem werkvertraglichen Vorschussanspruch (§ 637 Abs. 3 BGB) bestehen weitere Besonderheiten gegenüber dem Mietrecht im Werkvertragsrecht. Dort werden regelmäßig Beschaffenheitsvereinbarungen getroffen, Mängel können Auswirkungen auf bestellereigene Sachen haben, und erhöhte Kosten der Mängelbeseitigung können das Verhältnis zur vereinbarten Vergütung tangieren, so dass dem Werkvertragsrecht tatsächlich die Gefahr einer Überkompensation innewohnt.

3.     Einzelfälle: Beschädigung der Mietsache durch Mieter/unterlassene Schönheitsreparaturen und Rückbau

Diese Aspekte gelten im Mietrecht nicht. Im Mietrecht kommt der Frage nach der Übertragbarkeit der werkvertraglichen Rechtsprechung vorrangig Bedeutung hinsichtlich der Beschädigung der Mietsache durch den Mieter, dem Unterlassen geschuldeter Schönheitsreparaturen und Rückbauten zu. Für sämtliche Fälle kommt – wie der BGH zu Recht konstatiert – eine Übertragbarkeit der Rechtsprechung nicht in Betracht.

Führt der Mieter rechtswidrige Beschädigungen der Mietsache herbei, handelt es sich um vertragliche respektive deliktische Ansprüche, die von § 280 Abs. 1 BGB erfasst werden und auf die schon mangels Anwendung des § 281 Abs. 1 BGB die Übertragbarkeit der werkvertraglichen Rechtsprechung des BGH ausschließt.[6]

Im Falle eines Anspruchs des Vermieters auf Rückbau liegt keine den Rückbau betreffende besondere Beschaffenheitsvereinbarung vor, noch besteht ein Konflikt mit einem Missverhältnis zwischen den Rückbaukosten und den Vorstellungen der Parteien hinsichtlich deren Werts. Denn der Rückbaupflicht steht keine Gegenleistung des Vermieters gegenüber, weil der Umbau nicht vom Mietvertrag gedeckt ist und somit nur bei Vorliegen einer Genehmigung erfolgen darf. Der Umbau dient allein dem Mieter, der bei Mietende die Mietsache so zurückgeben muss, wie er sie erhalten hat. Gleiches gilt bei der Pflicht des Mieters zur Vornahme von Schönheitsreparaturen.[7]

III.    Fazit

Die Rechtsprechung des BGH, wonach in der (Gewerberaum-)Miete nach wie vor Schadensersatzansprüche des Vermieters aufgrund von fiktiven Mängelbeseitigungskosten geltend gemacht werden können, ist somit (dogmatisch) zutreffend und bietet der Praxis erfreuliche Klarheit und Rechtssicherheit.

 

[1]     BGH, Urt. v. 22.02.2018 – VII ZR 46/17, NJW 2018, 1463 = ZMR 2019, 463; vgl. auch BGH, Beschl. v. 08.10.2020 – VII ARZ 1/20, NJW 2021, 53 = MDR 2021, 90.

[2]    AG Hamburg-Blankenese, Urt. v. 12.06.2019 – 131 C 60/17.

[3]    Eingehend: H. Schmidt, in: Beck-Online.GROSSKOMMENTAR, Stand: 01.07.2021, § 546, Rn. 155 und Riehm, NZM 2019, 273. Für nicht vorgenommene Schönheitsreparaturen bejaht Lehmann-Richter, NZM 2018, 315 eine Übertragbarkeit der Rechtsprechung.

[4]    BGH, Urt. v. 12.03.2021 – V ZR 33/19, NZBau 2021, 320 = NZM 2021, 583.

[5]    BGH, Urt. v. 31.03.2021 – XII ZR 42/20, NJW-RR 2021, 803 = MietRB 2021, 201 (Lehmann-Richter).

[6]     Vgl. auch H. Schmidt, in: Beck-Online.GROSSKOMMENTAR, Stand: 01.07.2021, § 546 BGB, Rn. 155; a.A. mit weniger überzeugender Begründung: LG Darmstadt, Urt. v. 25.10.2018 – 23 O 356/17, BeckRS 2018, 34836 = MDR 2019, 95.

[7]     H. Schmidt, in: Beck-Online.GROSSKOMMENTAR, Stand: 01.07.2021, § 546, Rn. 155.

Keine Gesetzgebungszuständigkeit des Landes Berlin für das Mietpreisrecht als Teil des bürgerlichen Rechts (hier: Mietendeckel)

1. Das Grundgesetz enthält – von der Ausnahme des Art. 109 Abs. 4 GG abgesehen – eine vollständige Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten entweder auf den Bund oder die Länder. Doppelzuständigkeiten sind den Kompetenznormen fremd und wären mit ihrer Abgrenzungsfunktion unvereinbar. Das Grundgesetz grenzt die Gesetzgebungskompetenzen insbesondere mit Hilfe der in den Art. 73 und Art. 74 GG enthaltenen Kataloge durchweg alternativ voneinander ab.
2. Regelungen zur Miethöhe für frei finanzierten Wohnraum, der auf dem freien Wohnungsmarkt angeboten werden kann (ungebundener Wohnraum), fallen als Teil des sozialen Mietrechts in die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit für das bürgerliche Recht i.S.v. Art.74 Abs. 1 Nr. 1 GG.
3. Mit den §§ 556 bis 561 BGB hat der Bundesgesetzgeber von der konkurrierenden Zuständigkeit für das Mietpreisrecht als Teil des bürgerlichen Rechts abschließend Gebrauch gemacht.

BVerfG, Beschl. v. 25. 3.2021 – 2 BvF 1/20, 2 BvL 4/20, 2 BvL 5/20
(LG Berlin 67 S 109/20, 65 S 76/20, 66 S 95/20)
BGB §§ 535 ff, 556d – 561; GG Art. 73, 74

I. Das Problem:

Am 23.0.2020 trat das Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin (MietenWoG Bln) in Kraft. In der Konsequenz wurde in etwa 1,5 Mio. Mietverhältnissen die Nettokaltmiete „abgesenkt“. Der Regelungsbereich des „Mietendeckel“ ging allerdings deutlich weiter als die Mietpreisbremse der §§ 556d ff. BGB. Er bestand wesentlich aus dem Mietenstopp, einer lageunabhängigen Mietobergrenze im Fall der Wiedervermietung und einem gesetzlichen Verbot überhöhter Mieten. Bereits ab dem 18.6.2019 war es Vermietern „untersagt“, die Nettokaltmiete über die Stichtagsmiete hinaus zu erhöhen. Bei der Miete für erstmals ab dem Jahr 2014 bezugsfertige Neubauten waren das Gesetz nicht anwendbar. Infolgedessen waren die Mieten und die maximal zulässigen Modernisierungserhöhungen beschränkt. In der Praxis war umstritten, ob sich der „Mietenstopp“ des § 3 Abs.1 S.1 MietenWoG Bln „mittelbar“ auf das zivilrechtliche Vertragsverhältnis und somit auf die Mieterhöhung auswirkte.

II. Die Entscheidung des Gerichts:
Das Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin (MietenWoG Bln) in der Fassung des Art. 1 des Gesetzes zur Neuregelung gesetzlicher Vorschriften zur Mietenbegrenzung vom 11. Februar 2020 (Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin vom 22. Februar 2020, Seite 50) ist mit Art. 74 Absatz 1 Nummer 1 i.V.m. Art. 72 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig.
Das Grundgesetz geht von einer in aller Regel abschließenden Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern aus. Der Bund hat das Recht zur Gesetzgebung, soweit das Grundgesetz ihm dieses ausdrücklich zuweist.
Solange und soweit er im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch macht, entfällt die Regelungsbefugnis der Länder.
Im Übrigen sind die Länder nach Art. 70 und Art. 72 Abs. 1 GG zur Gesetzgebung berufen
Welcher Materie eine gesetzliche Regelung zuzuordnen ist, bemisst sich nach ihrem objektiven Regelungsgehalt.
Nach Art. 70 Abs. 1 GG haben die Länder das Recht zur Gesetzgebung, soweit das Grundgesetz nicht dem Bund Gesetzgebungsbefugnisse zuweist. Eine solche Zuweisung von Gesetzgebungskompetenzen an den Bund findet sich ausweislich Art. 70 Abs. 2 GG vor allem in den Vorschriften über die ausschließliche (Art. 73 und Art. 105 Abs. 1 GG) und die konkurrierende Gesetzgebung (Art. 74 und Art. 105 Abs.2 GG).
Das Grundgesetz grenzt die Gesetzgebungskompetenzen insbesondere mit Hilfe der in den Art. 73 und Art. 74 GG enthaltenen Kataloge durchweg alternativ voneinander ab. Nach der Systematik der grundgesetzlichen Kompetenzordnung wird der Kompetenzbereich der Länder daher grundsätzlich durch die Reichweite der Bundeskompetenzen bestimmt, nicht umgekehrt. Aus der in Art. 30 und Art. 70 Abs. 1 GG verwendeten Regelungstechnik ergibt sich keine Zuständigkeitsvermutung zugunsten der Länder.
Die verfassungsrechtliche Kompetenzverteilung ist unverfügbar. Kompetenzen stehen nicht zur Disposition ihrer Träger.
Macht der Bund von der konkurrierenden Gesetzgebung Gebrauch, verlieren die Länder gemäß Art. 72 Abs. 1 GG das Recht zur Gesetzgebung in dem Zeitpunkt („solange“) und in dem Umfang („soweit“), in dem der Bund die Gesetzgebungskompetenz zulässigerweise in Anspruch nimmt (sog. Sperrwirkung). Soweit die Sperrwirkung reicht, entfällt die Gesetzgebungskompetenz der Länder. Die Sperrwirkung verhindert für die Zukunft den Erlass neuer Landesgesetze und entzieht in der Vergangenheit erlassenen Landesgesetzen die Kompetenzgrundlage, sodass sie nichtig sind beziehungsweise werden.
Die Sperrwirkung i.S.v. Art. 72 Abs. 1 GG setzt voraus, dass bundes- und landesgesetzliche Regelung denselben Gegenstand betreffen. Je nach Reichweite der bundesgesetzlichen Regelung kann der Landesgesetzgeber von der Rechtsetzung also gänzlich ausgeschlossen oder auf bestimmte Teilmaterien und -gegenstände beschränkt werden. Hat der Bund einen Gegenstand abschließend geregelt, tritt die Sperrwirkung des Art. 72 Abs. 1 GG für eine Regelung der Länder in diesem Sachbereich unabhängig davon ein, ob diese den bundesrechtlichen Bestimmungen widerstreitet, sie ergänzt oder lediglich (deklaratorisch) wiederholt. Maßgeblich ist, welche Sachverhalte der Bundesgesetzgeber gesehen hat und einer Regelung zuführen wollte.
Wie alle Zuständigkeitsvorschriften des Grundgesetzes gelten die Art. 70 ff. GG „strikt“. Das erfordert eine Auslegung, die dem Wortlaut und dem Sinn der Kompetenznorm gerecht wird und eine möglichst eindeutige vertikale Gewaltenteilung gewährleistet. Ob sich eine Regelung unter einen Kompetenztitel subsumieren lässt, hängt davon ab, ob der dort genannte Sachbereich unmittelbar oder lediglich mittelbar Gegenstand dieser Regelung ist.
Regelungen zur Miethöhe für frei finanzierten Wohnraum, der auf dem freien Wohnungsmarkt angeboten werden kann (ungebundener Wohnraum), fallen als Teil des sozialen Mietrechts in die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit für das bürgerliche Recht i.S.v. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG. Das bürgerliche Recht i.S.v. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG umfasst neben den fünf Büchern des Bürgerlichen Gesetzbuchs als weitgehend abschließender Regelung wichtiger Kernbestandteile des Privatrechts auch vielfältige Nebengesetze zur Ordnung von Privatrechtsverhältnissen wie etwa das Wohnungseigentumsrecht.
Das Recht der Mietverhältnisse ist seit dem Inkrafttreten des BGB am 1. Januar 1900 in den §§ 535 ff. BGB geregelt und – ungeachtet zahlreicher Änderungen – ein essentieller Bestandteil des bürgerlichen Rechts. Das gilt insbesondere für Mietverhältnisse über Wohnungen (§ 549 BGB).
Das heute vollständig im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelte soziale Mietrecht geht auf das Gesetz zur Neugliederung, Vereinfachung und Reform des Mietrechts (Mietrechtsreformgesetz) vom 19. Juni 2001 (BGBl I S. 1149) zurück, mit dem der Gesetzgeber das zersplitterte Wohnraummietrecht reformieren und das bisher im Gesetz zur Regelung der Miethöhe enthaltene Mietpreisrecht für ungebundenen Wohnraum (§§ 558 ff. BGB a.F.) in das Bürgerliche Gesetzbuch überführen wollte (vgl. BTDrucks 14/4553, S. 1, 53 f.).
Dementsprechend hat der Bundesgesetzgeber – insbesondere seit dem Mietrechtsreformgesetz vom 19. Juni 2001 – Gesetze zur Regelung der Miethöhe jeweils allein auf der Grundlage von Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG erlassen.
Das gilt für die – vorliegend besonders bedeutsame – Einführung der Mietpreisbremse (§§ 556d ff. BGB) mit dem Gesetz zur Dämpfung des Mietanstiegs auf angespannten Wohnungsmärkten und zur Stärkung des Bestellerprinzips bei der Wohnungsvermittlung (Mietrechtsnovellierungsgesetz) vom 21. April 2015 (BGBl I S. 610), das ausweislich der Entwurfsbegründung auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG gestützt wurde.
Mit den §§ 556 bis 561 BGB hat der Bundesgesetzgeber von der konkurrierenden Zuständigkeit für das Mietpreisrecht als Teil des bürgerlichen Rechts abschließend Gebrauch gemacht (Art. 72 Abs. 1 GG). Er hat damit ein umfassendes Regelungskonzept für die Miete für ungebundenen Wohnraum auf angespannten Wohnungsmärkten geschaffen. Das ergibt sich nicht nur aus dem Regelungsgegenstand, sondern auch aus den jeweiligen Gesetzesbegründungen und hat zur Folge, dass die Länder insoweit von der Gesetzgebungszuständigkeit ausgeschlossen sind.
Schon Regelungsintensität und Häufigkeit dieser bundesgesetzlichen Nachsteuerung legen nahe, dass es sich bei den §§ 556 ff. BGB um eine umfassende und abschließende Regelung handelt. Die §§ 556 ff. BGB enthalten außerdem keine Regelungsvorbehalte, Öffnungsklauseln oder Ermächtigungsvorschriften, die den Ländern den Erlass eigener oder abweichender mietpreisrechtlicher Vorschriften ermöglichen würden. Das ausdifferenzierte Regelungssystem und der Zusammenhang mit dem Kündigungsschutzrecht machen vielmehr deutlich, dass der Bundesgesetzgeber eine abschließende Regelung treffen wollte.
Die abschließende Regelung der Miethöhe durch die §§ 556 ff., 556d ff. BGB wird auch nicht durch die in § 556d Abs. 2 BGB normierte Verordnungsermächtigung der Länder in Frage gestellt. Sie ändert nichts an der durch die abschließende bundesgesetzliche Regelung bewirkten Sperrwirkung für den Landesgesetzgeber aus Art. 72 Abs. 1 GG.
Die Länder können daher nur innerhalb des engen bundesgesetzlich vorgegebenen Rahmens regelnd tätig werden und sind darauf beschränkt, die Vollziehbarkeit der bundesgesetzlichen Regulierung für ihren Bereich sicherzustellen. Dabei sind sie sogar zum Tätigwerden verpflichtet, wenn die in § 556d Abs. 2 BGB normierten Tatbestandsvoraussetzungen für den Verordnungserlass vorliegen und anderweitige Abhilfemaßnahmen (noch) keine Wirkung zeigen (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 18. Juli 2019 – 1 BvL 1/18 u.a. -, Rn. 111; Lehmann-Richter, WuM 2015, S. 204 <205>).
§ 1 i.V.m. § 3, § 4, § 5 Abs. 1, § 6 Abs. 1 bis Abs. 4, § 7 MietenWoG Bln regelt ebenfalls die zulässige Miete für ungebundenen Wohnraum und unterfällt dem „bürgerlichen Recht“ i.S.v. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG. Da dieser Bereich durch §§ 556 ff. BGB bundesrechtlich abschließend geregelt ist, fehlt dem Land Berlin insoweit die Gesetzgebungskompetenz; etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den Staatszielbestimmungen der Verfassung von Berlin.
„Berliner Mietendeckel“ und bundesgesetzliche Mietpreisbremse regeln im Wesentlichen denselben Gegenstand, nämlich den Schutz des Mieters vor überhöhten Mieten für ungebundenen Wohnraum (vgl. Herrlein/Tuschl, NZM 2020, S. 217 <229>).
Die Berliner Regelung verengt dabei die durch die bundesrechtlichen Regelungen belassenen Spielräume der Vertragsparteien (vgl. Farahat, JZ 2020, S. 602 <605 f.>) und führt ein paralleles Mietpreisrecht auf Landesebene mit statischen und marktunabhängigen Festlegungen ein (vgl. Ackermann, JZ 2021, S. 7,9). § 1 i.V.m. § 3, § 4, § 5 Abs. 1, § 6 Abs. 1 bis Abs. 4, § 7 MietenWoG Bln statuiert gesetzliche Verbote i.S.v. § 134 BGB, die die Privatautonomie der Parteien beim Abschluss von Mietverträgen über Wohnraum über das nach §§ 556 ff. BGB erlaubte Maß hinaus begrenzen. Er modifiziert damit die durch das Bundesrecht angeordneten Rechtsfolgen und verschiebt die von diesem angeordnete Austarierung der beteiligten Interessen.
§ 3 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 S. 2 MietenWoG Bln verbietet die nach § 557 Abs. 1 BGB zulässige Mieterhöhung im laufenden Mietverhältnis beziehungsweise für Neuvermietungen. Durch § 3 Abs. 1 S. 2 MietenWoG Bln sind die nach §§ 557a, 557b BGB zulässigen Staffel- oder Indexmieten auf die zum Stichtag geschuldete Miete eingefroren; eine nach dem Bundesrecht zulässige Staffel- oder Indexmiete wird somit ebenfalls außer Kraft gesetzt. § 7 MietenWoG Bln begrenzt die mieterhöhungsrelevanten Modernisierungsmaßnahmen auf einen Katalog, der enger ist als die Maßnahmen nach § 555b Nr. 1, Nr. 3 bis Nr. 6 BGB; die Erhöhung des Gebrauchswerts der Mietsache oder die Verbesserung der allgemeinen Wohnverhältnisse wird insoweit nicht berücksichtigt. Zudem begrenzt § 7 MietenWoG Bln die zulässige Mieterhöhung nach Modernisierungsmaßnahmen stärker als § 559 Abs. 1 BGB.
Der Anwendungsbereich der Mietpreisregulierung wird durch die Regelungen des Gesetzes zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin ausgeweitet, und nach Bundesrecht zulässige Mieterhöhungen werden ebenso wie nach Bundesrecht zulässige Vereinbarungen über die Miethöhe bei Mietbeginn verboten.
Während § 556f S. 2 BGB die Mietpreisbremse auf die erste Vermietung nach umfassender Modernisierung für unanwendbar erklärt, sieht § 1 Nr. 3 Mieten-WoG Bln eine Ausnahme vom Anwendungsbereich nur bei einem Neubau oder der Wiederherstellung von ansonsten dauerhaft unbewohnbarem Wohnraum vor. Damit ist im Ergebnis die Vereinbarung einer nach § 556g Abs. 1 S. 2 BGB wirksamen Miete verboten, weil die nach den §§ 556 ff. BGB zulässige Miete höher liegen kann als die nach § 6 Abs. 1 bis Abs. 3 MietenWoG Bln gestatteten Mietobergrenzen.
Mit diesen Beschränkungen tritt das Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin neben das Regelungsregime der Mietpreisbremse gemäß §§ 556d ff. BGB.
Die Berliner sozialpolitischen Zielsetzungen decken sich nahezu vollständig mit jenen, die den Bundesgesetzgeber zum Erlass seiner Regelungen über die höchstzulässige Miete veranlasst haben.
Da die zulässige Miethöhe im BGB abschließend geregelt ist, fehlt dem Land Berlin die Gesetzgebungskompetenz zum Erlass von § 1 i.V.m. § 3, § 4, § 5 Abs. 1, § 6 Abs. 1 bis Abs. 4, § 7 MietenWoG Bln. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Art. 28 VvB, der ein „Recht auf Wohnen“ als Staatszielbestimmung normiert.

III. Konsequenzen für die Praxis
1. Konsequenzen der verfassungsrechtlichen Unwirksamkeit
Die Konsequenzen der Entscheidung sind „mehrschichtig“. Die politisch gewollte „Atempause“ für Mieter in Berlin gibt es nicht (mehr). Alle ausgeklügelten Handlungsempfehlungen für Vermieter (vgl. Brückner, Berliner Mietendeckel, 2. Aufl., S. 145 ff., 176 etwa zur Entgegennahme vorübergehend verringerter Mietzahlungen) haben soweit wie möglich trotz scheinbar wirksamen Berliner Mietendeckels die Rechte der Vermieter gewahrt und müssen künftig nicht mehr umgesetzt werden.
Zunächst besteht für entsprechende landesgesetzliche Regelungen keine Gesetzgebungskompetenz. Der Berliner Mietendeckel ist „ex tunc“ nichtig. Weder die Gesetzgebungskompetenz des Art. 70 Abs.1 GG, des Art. 74 Abs.1 Nr.1 GG noch die abgeschlossenen Regelungen der Mietpreisvorschriften der §§ 556 ff. BGB lassen einen derartigen „Kunstgriff“ zu (Abramenko, AnwBl BE 2019, 418; Brückner, Berliner Mietendeckel, 2. Aufl., S.21), auch wenn dies im Gesetzgebungsverfahren durch die Gutachter anders bewertet wurde (Mayer/Artz, Öffentlich-rechtliche und privatrechtliche Aspekte eines Mietendeckels für das Land Berlin S.35 ff.). Teilweise ging auch die Instanzrechtsprechung mit einer „konstruierten“ Begründung von der Verfassungsmäßigkeit aus (AG Mitte v. 10.6.2020 -124 C 5060/19, ZMR 2020, 657; s.a. auch LG Berlin v. 31.7.2020 – 66 S 95/20, MDR 2020, 1115 f.; s.a. Weber, ZMR 2020, 825, 826). Diese Auffassungen sind somit obsolet, denn ein zivilrechtliches Vertragsverhältnis kann nicht kraft behördlichen Eingriffs reguliert werden, so dass die Vorschriften der §§ 3 bis 6 MietenWoG Bln keinen (Fort-)Bestand haben. Unabhängig von der Annahme eines rechtlichen „Könnens“ im Vorfeld des Gesetzesentwurfs haben die Argumente gegen das rechtliche „Dürfen“ vollumfänglich gegriffen. Das Mietrecht ist demnach kein Gegenstand des Kompetenztitels „Wohnungswesen“ (Pickert, GE 2019, 954, 955; a.A. Weber, ZMR 2019, 389). Mit den §§ 556 bis 561 BGB hat der Bundesgesetzgeber von der konkurrierenden Zuständigkeit für das Mietpreisrecht als Teil des bürgerlichen Rechts abschließend Gebrauch gemacht (Abramenko, AnwBl BE 2019, 418, 420). § 556d Abs.2 BGB enthält eine Verordnungsermächtigung für die einzelnen Bundesländer. Die Annahme einer eigenen Gesetzgebungskompetenz geht allerdings eindeutig zu „weit“. Der Bundesgesetzgeber leitet seine Gesetzgebungskompetenz aus Art. 74 Abs.1 Nr.1 GG ab (zum Gutachten von Papier, GE 2019, 1160). Anders als dies angenommen wurde, lässt sich auch nicht auf der Grundlage von Art. 28 VvB eine landesverfassungsrechtliche Kompetenzgrundlage schaffen (a.A. Weber, ZMR 2020, 389). Dies haben die Gegenstimmen bereits im Vorfeld des Gesetzgebungsvorhabens „prophezeit“ (Pickert, GE 2019, 954ff.; a.A. Weber, ZMR 2020, 825 ff.). Daraus folgt ab sofort für vergleichbare Gesetzesvorhaben, dass es kein Nebeneinander von zwei „Mietrechtssystemen“ gibt. Aus diesem Grund haben Amtsgerichte und das Landgericht Berlin (ZK 67) aufgrund verfassungsrechtlicher Zweifel Verfahren ausgesetzt, um eine Vorlagefrage zum BVerfG zu formulieren (LG Berlin v.12.3.2020 – 67 S 274/19, ZMR 2020, 510; LG Berlin v. 6.8.2020 – 67 S 109/20, MDR 2020, 1114 = ZMR, 2020, 954). In der Konsequenz wäre auch der limitierte Katalog der Modernisierungsmaßnahmen im Rahmen einer deutlich über den Rahmen des § 555b BGB hinausgehenden Einschränkung erheblich beschnitten worden. Letztendlich überzeugen die zahlreichen Gegenargumente, die das Landesgesetz im Ergebnis sogar handwerklich als „Skandal“ bewertet haben (Häublein, GE 2020, 308 ff.). Das MietenWoG Bln war von Anfang an verfassungsrechtlich chancenlos (s.a. Häublein, ZfPW 2020, 1 ff.). Das Berliner MietenWoG war ein „rustikaler Versuch“, den Anstieg der Preise auf dem Wohnungsmarkt zu verlangsamen (Kingreen, NVwZ 2020, 737, 743). Mit dem Bußgeldtatbestand des § 11 MietenWoG Bln ist der Landesgesetzgeber eindeutig über das zulässige gesetzgeberische Ziel „hinausgeschossen“.
2. Zivilrechtliche Konsequenzen der Entscheidung für die Mietverträge
Infolge der erklärten Nichtigkeit der Vorschriften der §§ 3 ff. MietenWoG Bln konnte weder ex tunc noch ex nunc eine Änderung der bestehenden Vertragsverhältnisse kraft öffentlich-rechtlicher Vorschriften eintreten. Die teils vertretene gesetzliche Unwirksamkeit von Mieterhöhungsverlangen gem. § 134 Abs.1 BGB ist gegenstandslos. Entgegen der teilweise in der Rechtsprechung vertretenen Auffassung bleiben die Mieterhöhungsverlangen vor und nach dem Stichtag des 18.06.2019 nach BGB uneingeschränkt wirksam (LG Berlin 65 S 76/20, MietRB 2020, 176 (Agatsy) = ZMR 2020, 945). Der Anspruch auf die Zustimmung zur ortsüblichen Vergleichsmiete resultiert aus §§ 558 ff. BGB. Der Landesgesetzgeber hat somit auch nicht mittelbar das Recht, in das laufende zivilvertragliche Verhältnis einzugreifen. Die verfassungsrechtlichen Zweifel haben im Ergebnis durchgegriffen. Demnach war die Annahme konsequent, dass die Frage der Mietpreishöhe einzig nach dem BGB zu beurteilen ist. Den systematischen Vorrang der mietrechtlichen Vorschriften der §§ 556 ff. BGB hat das Landgericht Berlin (ZK 65) herausgestellt und für die Frage der Mieterhöhung und somit für die nach dem BGB zulässige ortsübliche Vergleichsmiete darauf abgestellt, dass die Vertragsänderung ausschließlich nach den Vorschriften des BGB zu bewerten ist. Zwar konnte bislang dahinstehen, ob § 3 Abs. 1 MietenWoG Bln eine etwaige Sperrwirkung erst ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes entfalten konnte (AG Tempelhof-Kreuzberg v. 28.4.2020 – 4 C 118/19, IMR 2020, 289). Allerdings ist auch diese Frage im Zusammenhang der Ermittlung der Vergleichsmiete endgültig erledigt. Aufgrund der ex tunc eintretenden Unwirksamkeit der gesetzlichen Regelung des § 6 MietenWoG Bln entfällt sowohl die unzulässige Limitierung möglicher Modernisierungsmaßnahmen im Sinne des § 555b BGB als auch deren gedeckelte Maximalumlage. Bereits der BGH hat konsequent darauf abgestellt, dass die Vorschriften des MietenWoG Bln auf die zivilrechtlichen Mieterhöhungen keine Wirkung entfalten (BGH v. 29.4.2020 – VIII ZR 355/18, MietRB 2020, 226 [Kunze] = MDR 2020, 1112 = ZMR 2020, 632). Somit ist es wieder zulässig, eine zulässige Modernisierungsumlage von bis zu 8 % pro Jahr einzufordern. Mietvertragsabschlüsse unterliegen keiner „Beschränkung“.
Beraterhinweis
Falls die Mieter die Miete abgesenkt haben bestehen „Mietrückstände“. Die Fälligkeit der rückständigen Salden tritt mit sofortiger Wirkung ein. Daher ist den Mietern nahezulegen, die Rückstände zügig zu begleichen. Allerdings ist zweifelhaft, ob bei einem entsprechenden kündigungsrelevanten Rückstand unverzüglich gekündigt werden kann. Denn die Mieter durften auf den Fortbestand der gesetzlichen Regelungen vertrauen und haben sich an „geltendes“ Recht gehalten. Auch Mieterhöhungen nach den § 558 ff. BGB und § 559 ff. BGB sind nun wieder möglich. Die Mieten dürfen in laufenden Verträgen damit um bis zu 15 % in 3 Jahren steigen, wenn die ortsübliche Miete noch nicht erreicht ist (Schmid/Harz/Riecke, Mietrecht, BGB § 558 Rn.29; BGH v. 17.4.2019 – VIII ZR 33/18, MietRB 2019, 196 (Kunze) = ZMR 2019, 661 Rn.20). Beim Abschluss neuer Mietverträge gilt die Mietpreisbremse des Bundes. Bei Modernisierungen dürfen 8 % der (bereinigten, vgl. BGH, Urt. v. 11. 11. 2020 – VIII ZR 369/18) Kosten auf die Jahresmiete umgelegt werden, wobei die Miete innerhalb von 6 Jahren maximal um 3 €/m² erhöht werden darf. Unabhängig davon gelten auch die Vorschriften über die „Mietpreisbremse“ uneingeschränkt fort.

3. Fazit

Das BVerfG hat den gesetzgeberischen „Resetknopf“ gedrückt. Zivilrechtlich bleibt alles wie bisher und die aktuell bestehende Rechtsunsicherheit ist zumindest „vorläufig“ Rechtsgeschichte.

 

Corona-Eindämmungsverordnungen: Ist die 800 m²-Grenze verfassungswidrig?

Innerhalb von nur knapp einer Woche nach Inkrafttreten der jüngsten „Corona-Eindämmungsverordnungen“ der Bundesländer liegen bereits verschiedene Gerichtsentscheidungen zur (Nicht-)Verfassungsgemäßheit der 800 m²-Grenze für Einzelhandelsgeschäfte vor, die Einzelhändler zum Betrieb/Nichtbetrieb ihrer Ladenflächen berechtigen. Die bereits befürchtete „Rechtszersplitterung“ in den Bundesländern ist nunmehr auch „Alltag“ bei den Verwaltungsgerichten. Denn diese sind sich uneins bei der Beantwortung der Frage, ob die 800 m²-Grenze verfassungswidrig ist oder nicht.

1. Verwaltungsgericht Hamburg, Bayerischer Verwaltungsgerichtshof und Oberverwaltungsgericht Saarlouis einerseits

Das Verwaltungsgericht Hamburg und der Bayerische Verwaltungsgerichtshof halten die 800 m²-Grenze für verfassungswidrig. So hat das Verwaltungsgericht Hamburg mit Beschluss vom 21.04.2020 (Az.: 3 E 1675/20) konstatiert, dass Mieter von Mietflächen, die größer als 800 m² sind, entgegen den Vorgaben in der Hamburger Rechtsverordnung (wieder) öffnen dürfen. Das Verwaltungsgericht Hamburg bejaht insoweit einen Eingriff in die Berufsfreiheit aus Art. 12 GG und einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG). Ebenso wie das Verwaltungsgericht Hamburg hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 27.04.2020 (Az.: 20 NE 20.793) einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betreffend die bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung stattgegeben und klargestellt, dass die Verkaufsflächenregelung von 800 m² nicht dem Gleichheitssatz entspricht. Mit gleicher Argumentation hat der 2. Senat des Oberverwaltungsgerichts Saarlouis in seinem Beschluss vom 27.04.2020 (Az.: 2 B 143/20) im Eilverfahren entschieden, dass Einrichtungs- und Möbelhäuser unter Gleichheitsgesichtspunkten nach der Corona-Verordnung nicht als auf eine Verkaufsfläche von 800 m² begrenzte Geschäfte des Einzelhandels zu behandeln seien.

2. Oberverwaltungsgericht Hamburg und Oberverwaltungsgericht Saarlouis sowie Oberverwaltungsgericht Lüneburg andererseits

Demgegenüber entschied das Oberverwaltungsgericht Saarlouis in einem Eilverfahren mit Beschluss vom 24.04.2020 (Az.: 2 B 122/20), dass die Kaufhäuser der Galeria Karstadt Kaufhof im Saarland weiterhin geschlossen bleiben müssen. Die Begrenzung der zulässigen Verkaufsfläche auf 800 m² sei nach Auffassung des Oberverwaltungsgericht Saarlouis nicht zu beanstanden, da der Verordnungsgeber die Größe der Verkaufsfläche als Maßstab für den Käuferzustrom zugrunde gelegt habe und großflächige Einzelhandelsbetriebe, die aufgrund ihrer Größe regelmäßig ein breites Warensortiment oft zu günstigen Preisen anbieten und präsentieren könnten, als Einkaufsort besonders attraktiv seien. Im Einklang damit hat das Oberverwaltungsgericht Hamburg in einer Zwischenverfügung vom 22.04.2020 (Az.: 5 Bs 64/20) der Beschwerde der Stadt Hamburg stattgegeben und hat – entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts Hamburg (siehe zuvor unter 1.) – entschieden, dass die Betreiberin eines Sportwarengeschäfts in der Hamburger Innenstadt dieses vorläufig – zunächst befristet bis zum 30.04.2020 – nur mit einer maximalen Verkaufsfläche von 800 m² betreiben darf. Auch das Oberverwaltungsgericht Lüneburg ist in seinem Beschluss vom 27.04.2020 (Az.: 13 MN 98/20) der Auffassung, dass die Flächenbeschränkung von 800 m² eine notwendige infektionsschutzrechtliche Maßnahme darstellt und hat ein Verkaufsverbot für Geschäfte über 800 m² Verkaufsfläche bestätigt. Ein anderes solle indes nach der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Saarlouis in seinem Beschluss vom 24.04.2020 (Az.: 2 B 122/20) für Möbel- und Einrichtungshäuser gelten.

3. Oberverwaltungsgericht Münster

Das Oberverwaltungsgericht Münster will in dieser Woche über die 800 m² Regel in der nordrheinwestfälischen Verordnung entscheiden.

4. Streitgegenständliche Sachverhalte und gerichtliche Entscheidungen

Die Sachverhalte in den verschiedenen Fällen waren jeweils nahezu gleich gelagert. Die Antragsteller sind jeweils im Einzelhandel tätig und betreiben Einzelhandelsgeschäfte, die die Grenze von 800 m² überschreiten. Sie wandten sich – im Eilrechtsschutz – gegen die behördlichen Betriebsuntersagungen und machten geltend, dass die andauernde Betriebsschließung existenzgefährdend sei.

Das Verwaltungsgericht Hamburg und der Bayerische Verwaltungsgerichtshof sehen insoweit u.a. einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Denn die Freistellung von Buchhandlungen und Fahrradhändlern etc. ohne Begrenzung der Verkaufsfläche sei aus infektionsschutzrechtlicher Sicht sachlich nicht gerechtfertigt. Mit Blick auf den Gleichheitsgrundsatz sei zudem zu beanstanden, dass nach dem Wortlaut der Verordnung (in Bayern) im Fall der Ladenöffnung nur sonstige Einzelhandelsbetriebe eine Begrenzung der Kundenzahl auf einen Kunden je 20 m² sicherstellen müssen, nicht aber die übrigen Einzelhändler (so der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, a.a.O.). Das Verwaltungsgericht Hamburg bejaht darüber hinaus einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG. Denn die Differenzierung zwischen Verkaufsstellen des Einzelhandels mit einer Verkaufsfläche bis 800 m², die öffnen dürfen, und größeren Verkaufsstellen, die lediglich in einem bis zu dieser Größe reduzierten Umfang öffnen dürfen, sei nicht geeignet, die hiermit verfolgten Zwecke umzusetzen.

Während das Oberverwaltungsgericht Hamburg die Erfolgsaussichten der Beschwerde gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hamburg (siehe zuvor unter 1.) für offen hält, ist nach Auffassung des Oberverwaltungsgericht Saarlouis (Az.: 2 B 122/20) eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung nicht darin zu erblicken, dass in der Ausnahmeregelung des § 5 Abs. 5 Nr. 1 bis 17 der Saarländischen Verordnung spezialisierte Einzelhandelsgeschäfte ohne Beschränkung der Verkaufsfläche öffnen dürften, branchenübergreifende Warenhäuser jedoch nicht. Denn diese Branchen seien mit Warenhäusern nicht zu vergleichen. Unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten sei eine Reduzierung des Warenangebots durch eine Verkleinerung der Verkaufsfläche auf 800 m² auch nicht zu beanstanden.

5. „Großflächigkeit“ als geeignetes Abgrenzungskriterium?

Die Grenzmarke von 800 m² ist also in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung stark umstritten. Das zu Recht. Die 800 m² Grenze ist der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 24.11.2005, Az.: 4 C 8/05) entnommen, wonach Einzelhandelsbetriebe großflächig im Sinne von § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO sind, wenn sie eine Verkaufsfläche von 800 m² überschreiten. Das Merkmal der Großflächigkeit hat den Zweck, die Einzelhandelsbetriebe, auf die sich § 11 Abs. 3 BauNVO bezieht, von Vornherein abzugrenzen von kleineren Einzelhandelsbetrieben und Läden, die vor allem den Wohngebieten zugeordnet sind und für die die Zulässigkeit beschränkenden Regeln des § 11 Abs. 3 BauNVO nicht in Betracht kommen (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.05.1987 – 4 C 19.85 und 4 C 30.86). Die Grundvoraussetzung der Großflächigkeit für die Anwendung des § 11 Abs. 3 BauNVO hat daher auch die Funktion, die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nicht großflächiger Einzelhandelsbetriebe nicht auch von der Frage abhängig zu machen, ob und inwieweit sie jeweils städtebaulich nachteilige Auswirkungen haben können. Mit dem Begriff der Großflächigkeit soll damit vornehmlich städtebaulichen Auswirkungen einer Bauleitplanung begegnet werden.

Ob sich diese Grenzmarke bei der Eindämmung und Bewältigung des SARS-CoV-2-Virus heranziehen lässt, ist daher mehr als fraglich. Vor dem Hintergrund, dass das Kriterium der 800 m²-Grenze einer geordneten Stadtentwicklungsplanung dient, kommt diesem Abgrenzungskriterium nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Hamburg ein infektionsschutzrechtlicher Aspekt unmittelbar nicht zu. Das Verwaltungsgericht Hamburg stellt insoweit auch auf „mildere“ Mittel ab, beispielsweise die Umsetzung des in den jeweiligen Eindämmungsverordnungen einzuhaltenden Mindestabstands von 1,5 m. Soweit das Verwaltungsgericht Hamburg richtigerweise insoweit auf eine Überwachung dieses Mindestabstands und darauf abstellt, dass Verstöße als Ordnungswidrigkeiten geahndet werden können, stehen hier vornehmlich praktische Probleme der Umsetzung im Raume. Konkret geht es um Überwachungsmaßnahmen. Das gilt inzwischen auch für die seit Anfang dieser Woche geltende Maskenpflicht. Auch hier steht nicht selten in Frage, wer für die Überwachung der jeweiligen Pflicht Sorge zu tragen hat. Zum Teil finden sich in den jeweiligen Pressemitteilungen der Landesregierungen hierzu Vorgaben, dass „die Beachtung der Regelungen von den Geschäftsinhabern innerhalb ihrer Geschäfte genauso wie die bisherigen Vorgaben zu Mindestabständen, Personenbegrenzung etc. sicherzustellen sind“ (vgl. https://www.land.nrw/de/pressemitteilung/landesregierung-fuehrt-maskenpflicht-ein).

In der Tat erscheint es naheliegender, als mildere Mittel auf eine exaktere Umsetzung der jeweiligen (weiteren) Eindämmungsmaßnahmen, wie die Einhaltung des Mindestabstands, der Maskenpflicht etc. abzustellen, als „pauschal“ auf die 800 m²-Grenze der Großflächigkeit. Die praktischen Umsetzungsprobleme stehen dem nicht entgegen, da hier – wie zuvor erwähnt – auch die jeweiligen Geschäftsinhaber in der Pflicht stehen. Hinzu kommt folgende Überlegung: Es erscheint nicht nachvollziehbar, warum beispielsweise ein „Single-Tenant-Mieter“, der ein Einzelhandelsgeschäft in einem Gebäude betreibt, welches die Grenze von 800 m² überschreitet, sein Ladenlokal nicht öffnen kann, während kleinere Mietflächen im Innenstadtbereich, bei denen die Mindestabstandsregelungen etc. zum Teil viel schwieriger einzuhalten sind, ihrerseits in die Ausnahmetatbestände der jeweiligen Landesverordnungen fallen. Sofern in der Politik zur Stütze ausdrücklich darauf abgestellt wird, dass hier wirtschaftliche Interessen (namentlich bei den Möbelhäusern) auf dem Spiel stehen (so NRW Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann), so liegen exakt die gleichen wirtschaftlichen Interessen bei denjenigen Unternehmen vor, die ihre Einzelhandelsflächen nicht betreiben dürfen. Dieses Kriterium ist also ungeeignet, um die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen.

6. Ausblick

Interessant ist, dass sowohl der Bayerische Verwaltungsgerichtshof als auch das Oberverwaltungsgericht Hamburg  jeweils auf die „Kurzfristigkeit“ der Geltungsdauer der Einschränkungen in den einschlägigen Landesverordnungen (3. Mai 2020) Bezug genommen und – so der Bayerische Verwaltungsgerichtshof – deshalb davon abgesehen haben, die Bestimmungen der Corona-Eindämmungsverordnungen außer Vollzug zu setzen. Das dürfte dahin zu werten sein, dass der jeweilige (Landes-)Gesetzgeber/Verordnungsgeber „nachzubessern“ hat. Von daher bleibt die weitere Entwicklung – wie in den vergangenen Wochen – spannend und es dürfte zu weiteren Fortschreibungen kommen. Hierbei bleibt zu hoffen, dass – wie bei den damaligen Schließungen („Lockdown“) – die Bundesländer (wieder) an einem Strang ziehen und nicht – wie momentan – jedes Bundesland seinen eigenen Weg geht. Letzteres führt in der (Rechts-)Praxis nämlich zu großen Verunsicherungen und leider auch zu Ungleichbehandlungen, wie es die Gerichte bislang auch deutlich aufgezeigt haben.

Anm. der Red.: Einen Überblick von Lützenkirchen zum Thema „Corona und Mietrecht“ erhalten MietRB-Abonnenten unter diesem Link.

Das Corona-Moratorium im Mietrecht – Steine statt Brot?

Beherzt und entschlossen haben Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat ein Maßnahmenpaket zur Abmilderung der katastrophalen Folgen der Corona-Pandemie auf den Weg gebracht. Die Regeln treten am 1. April 2020 in Kraft. Enthalten ist auch ein Mietkündigungsmoratorium: wer coronabedingt seine Miete in dem Zeitraum vom 1.4.2020 bis zum 30.6.2020 nicht zahlen kann, muss deswegen zahlungsverzugsbedingte Kündigungen bis zum 30. Juni 2022 nicht fürchten.

Dem Corona-Notpaket werden bereits handwerkliche Fehler attestiert (vgl. Spiegel Online Wirtschaft vom 27.3.2020 – Interview mit Professor Dr. Markus Artz).

Dass der Gesetzgeber schnell reagiert hat, ist so gut wie notwendig. Denn coronabedingt soll kein Wohnungsmieter seine Wohnung verlieren müssen und kein Gewerbemieter bei „Nullumsatz“ wegen erdrückender Mietforderungen in Insolvenz gehen. Dass bei einem einmalig schnellen Handeln durch sämtliche Instanzen des Gesetzgebungsverfahrens in nur einer Woche dogmatische Schwächen auftreten, ist sicher nachvollziehbar – und verzeihlich. Der Gesetzgeber hat aber etwas völlig überflüssiges und im Ergebnis wirkungsloses geschaffen, dass in den Medien zu allem Unglück auch noch zu der Aussage verballhornt wird, Mieter müssten nun ab April überhaupt keine Miete mehr bezahlen. Das ist völliger Unsinn und vom Gesetzgeber auch keinesfalls gewollt.

Selbstverständlich werden Mieten auch in dieser Zeit wie gewohnt fällig und sind zu bedienen, im Verzugsfalle auch mit Verzugszinsen. Auch Zahlungsklagen bleiben uneingeschränkt möglich, wenn man von den coronabedingten Behinderungen der Justiz einmal absieht. Nur die Kündigung wegen der Mietaußenstände wird um zwei Jahre „vertagt“, damit auch eine darauf gegründete Räumungsklage. Dabei wäre all das überhaupt nicht nötig gewesen: Denn bekanntlich setzt ein Zahlungsverzug im Gegensatz zum eingetretenen Zahlungsrückstand ein Verschulden des Schuldners daran voraus. Dem steht es gleich, wenn ihm ein Verschulden Dritter zugeordnet werden muss (vertreten müssen; § 286 Abs. 4 BGB).

Kann der Gewerbemieter dafür, dass coronabedingt zwingend notwendige behördliche Betriebsverbote mit Nutzungsuntersagung der Mieträume erlassen werden müssen? Trägt er ein Verschulden daran, wenn ihm seine Kunden wegen behördlicher Ausgangsbeschränkungen und Kontaktverbote mit entsprechendem Umsatzrückgang ausbleiben? Kann er dafür, wenn Zulieferbetriebe nicht mehr funktionieren? Und vor allem: ist es ihm abgesehen von der nur zu geißelnden Teilnahme an „Corona Partys“ anzulasten, wenn er selbst infiziert wird und erkrankt? Natürlich nicht! Von einem verzugsbegründenden „Vertretenmüssen“ kann dann aber auch keine Rede sein. Eine Kündigung hätte in Coronafällen also schon deshalb überhaupt nicht mit Erfolg ausgesprochen werden können.

Alle anderen Konstellationen thematisiert das neue gesetzliche Moratorium nicht (vgl. hierzu den Beitrag von Lützenkirchen im Beratermodul Miet- und WEG-Recht). Zu Recht nicht! Wer also ohnehin schon bei den Mietverbindlichkeiten „auf lau machte“ und /oder „auf Zeit spielte“, der soll jetzt gerade nicht belohnt werden – und wird es auch nicht! Denn in all diesen Fällen bleiben zahlungsverzugsbedingte Kündigungen natürlich möglich. Nur muss eben nicht nur ein Mietaußenstand, sondern eben ein Mietzahlungsverzug eingetreten sein. „Corona“ im Mietrecht wäre  also durchaus ohne gesetzgeberische Bemühungen im Griff zu halten gewesen. Dogmatisch hätte es eines Kündigungsmoratoriums nicht bedurft.

Also nur Aktionismus? Soweit sollte man in seiner eigenen Bewertung in Zeiten der Ausnahmesituation auch nicht gehen. Der Gesetzgeber beabsichtigt vor allem eine Appellfunktion. Und die hat er erhalten – allerdings durch bisweilen verantwortungslos handelnde einzelne Medien in die völlig falsche Richtung!

Zumindest die Medien müssen sich sehr viel verantwortungsvoller verhalten und sich mit reißerischen Überschriften zurücknehmen. Fake News sind wirklich das allerletzte, was wir jetzt noch brauchen können. Als ob die Menschen nicht genug verunsichert wären! Als ob wir alle nicht schon genug Probleme hätten! Dieses ewige gegeneinander hetzen gesellschaftlicher Gruppen – diese schon vor „Corona“ mit immer stärkerer ideologischer Wucht betriebene Lagerbildung zwischen Vermietern und Mietern muss endlich ein Ende finden! Denn dafür ist jetzt wirklich nicht mehr die Zeit!

Mietverhältnisse in Zeiten Coronas

Weitere Infos zum Thema Mietrecht und Corona finden MietRB-Abonnenten in ihrer Datenbank „Beratermodul Miet- und WEG-Recht“ unter diesem Link

Der pandemischen Ausbreitung von COVID-19 kann – jedenfalls bis zur Verfügbarkeit eines Impfstoffes oder wirkungsvoller Medikation der Erkrankung – die Gesellschaft letzten Endes nur Konzepte sozialer Distanzierung entgegensetzen. Ziel hierbei ist eine zeitliche Streckung der Infektionsausbreitung, um das Gesundheitssystem handlungsfähig zu erhalten, Mittel sind vor allem (lokale) Ausgangssperren sowie Ansammlungs- und Kontaktverbote. Diese Konzepte sind alternativlos, führen aber zwangsläufig zu massiven ökonomischen Verwerfungen und in der Folge zu extremen Einkommensverlusten bei den durch die Maßnahmen direkt oder indirekt Betroffenen.

Von Seiten der Politik wird einerseits versucht, dem durch ein historisch einmaliges Paket an Unterstützungsleistungen für mehr oder weniger alle Sparten der Wirtschaft entgegenzuwirken. Andererseits ist erkannt worden, das schon sehr bald existenziell wichtige Dauerschuldverhältnisse von Auflösung bedroht sein werden, weil, bedingt durch solche Einkommensverluste, eine der Parteien ihren Verpflichtungen nicht mehr nachkommen kann.

Um zu verhindern, dass durch solche Vertragsimplosionen irreversible Folgen eintreten, hat der Bundesrat am 27.3.2020 das ihm am 26.3. vom Bundestag zugeleitete Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz-und Strafverfahrensrecht passieren lassen. Das Gesetz ist im Anschluss daran am gleichen Tag im BGBl. verkündet worden.

Betroffen hierdurch sind auch Mietverhältnisse, die bekanntlich aus wichtigem Grund bereits dann außerordentlich fristlos gekündigt werden können, wenn der Mieter für zwei aufeinander folgende Termine mit der Entrichtung der Miete oder eines nicht unerheblichen Teils der Miete in Verzug ist oder in einem Zeitraum, der sich über mehr als zwei Termine erstreckt, mit der Entrichtung der Miete in Höhe eines Betrages in Verzug ist, der die Miete für zwei Monate erreicht (§ 543 Absatz 1, Absatz 2 Satz 1 Nummer 3 BGB).

Diese Möglichkeiten zur außerordentlichen Kündigung werden durch das Gesetz für solche Mietschulden ausgesetzt, die aus dem Zeitraum vom 1.4.2020 bis 30.6.2020 datieren und für die der Mieter einen ursächlichen Zusammenhang mit der Corona-Pandemie glaubhaft macht.

Über die außerordentliche Kündigung hinaus betreffen die Folgen von COVID-19 aber eine Vielzahl weiterer Punkte, die geeignet sind, das Mietverhältnis empfindlich zu stören und zu denen das Gesetz nichts sagt:

  • Kommen Mietminderungen wegen eines Mangels der Mietsache in Betracht, wenn z.B. ein gewerblicher Vermieter das Mietobjekt schließt oder seine Öffnungszeiten beschränkt?
  • Hat der Mieter womöglich ein Kündigungsrecht, wenn die Mietsache z.B. nicht mehr zugäglich ist?
  • Muss der Vermieter die technischen Voraussetzungen zur Einrichtung von Home-Office dulden oder gar ermöglichen?
  • Kommen Mietanpassungen nach § 313 BGB in Betracht?
  • Wann stehen dem Mieter Schadenersatzansprüche zu?
  • Welche Mitwirkungspflichten treffen die Vertragsparteien, um Coronaschäden so gering wie möglich zu halten?

Wer als Mietrechtler für die Beratung seiner Mandanten jetzt sichere Anworten auf diese Fragen benötigt, findet sie im brandaktuellen Beitrag von Lützenkirchen: Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Mietverhältnisse.

Der Aufsatz wird im Aprilheft des MietRB erscheinen, steht Abonnenten wegen des dringenden Informationsbedarfs aber schon jetzt zum kostenlosen Abruf aus der Datenbank „Beratermodul Miet- und WEG-Recht“ unter diesem Link zur Verfügung.

Für Nichtabonnenten ist der Beitrag im Rahmen eines kostenlosen, vierwöchigen Datenbanktests ebenfalls unter diesem Link möglich.

Tipp: Wer als Miet- oder Wohnungseigentumsrechtler derzeit ins Homeoffice verbannt ist, sollte einen Test des Beratermoduls Miet- und WEG-Recht in jedem Fall in Betracht ziehen. Mit dieser Datenbank steht Ihnen für vier Wochen kostenlos alles zur Verfügung, was Sie für Ihre Arbeit benötigen:

Fundamental

Zur Notwendigkeit, eine Sprinkleranlage zu beheizen, meint das OLG Frankfurt, dass das Wasser stets zur Verfügung stehen müsse (OLG Frankfurt M. v. 10.01.2019 ‒  2 U 109/17, juris, dort: Randnr. 256):

„Feuer ist gefährlich. Da Wasser, ­ dies ist eine gerichtsbekannte Tatsache, ­ die spezifisch physikalische Eigenschaft aufweist, ab einer Temperatur von 0 °C zu frieren, sich gefrorenes Wasser ausdehnt, muss verhindert werden, dass das Wasser im Tank … friert.“

Wer hätte das gedacht: Wasser friert ab Null Grad und sich dehnt sich dann auch noch aus.

Heizungsrohre gedämmt oder nicht: Ein Wohnungs- und Kellerproblem

Das Wohnungs-Problem: Der Mieter klagt darauf, dass die bislang nach dem Schlüssel 50:50 abgerechneten Heizkosten künftig gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 HeizkostenV zu 30% nach Fläche und zu 70 % nach Verbrauch abzurechnen seien. Die klägerische Revision führt zur Zurückverweisung an das LG.

Das BGH-Urteil: Liegen die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 2 HeizkostenV vor, so hat der Mieter (ergänze: Nutzer)  einen Anspruch, dass die Heizkosten zu 70 % nach dem erfassten  Wärmeverbrauch der Nutzer verteilt werden. Der Vermieter kann den Mieter nicht darauf verweisen, er könne fehlerhafte Heizkostenabrechnungen abwarten und diese dann kürzen (BGH, Urteil vom 16.1.2019 – VIII ZR 113/17, MDR 2019, 340). Denn insoweit sei § 12 Abs. 1 HeizkostenV weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar. Denn es gehe nicht um das Kürzen einer bereits erteilten Abrechnung, sondern darum künftige Abrechnungen mit fehlerhaftem Verteilungsschlüssel unterbinden. Daher sei der Mieter nicht verpflichtet, weitere fehlerhafte Heizkostenabrechnungen abzuwarten und diese dann zu kürzen.

 Das Keller-Problem: Der BGH gibt im Hinblick auf die erneute Verhandlung dem Landgericht u.a. noch die Handreichung, es müsse durch Ortstermin der Behauptung nachzugehen, dass „Leitungen der Wärmeverteilung nur auf wenigen Metern im Keller des Gebäudes freilägen und diese mit »einer sehr dicken Isoliermanschette ummantelt« seien.

Nur: Soweit die Rohre „im Keller“ in Augenschein zu nehmen wären, ist zu bedenken, dass mit den Leitungen i.S.d. § 7 Abs. 1 Satz 2 HeizkostenV lediglich die Heizungsrohre in den Wohnungen gemeint sind. Das ergibt sich aus der Gesetzesbegründung in: Bundesratsdrucksache 570/08, auf Seite 14. Dort wird von Wärme gesprochen, die von „Ablesegeräten“ nicht erfasst werde. Diese „Ablesegeräte“ befinden sich aber nicht im Keller, sondern in den Wohnungen. Daher sind im Rahmen des § 7 Abs. 1 Satz 2 HeizkostenV die Rohre im Keller unbeachtlich. Im übrigen müssen Heizungsrohre im Keller ohnehin gedämmt sein (§ 10 Abs. 2 in Verb. mit Anlage 5 Tabelle 1 EnEV, in: BGBl. 2009, 966, 975, 976; vgl. auch § 69 Abs. 1 Gebäudeenergiegesetz [Entwurf 2017]).

Hinzu kommt, dass der Mieter über freiliegende bzw. gedämmte Rohre in den anderen Wohnungen gar keine Aussage treffen kann. Er ist hier nur auf Vermutungen angewiesen (vgl. BGH, 12.12.2018 ‒ XII ZR 99/17, Randn. 11 (z.Zt. in: Juris). Denn „eine Partei ist in einem Zivilprozess häufig darauf angewiesen, Tatsachen zu behaupten, über die sie zwar keine genauen Kenntnisse besitzt, die sie nach Lage der Dinge aber für wahrscheinlich hält.“

 

Rechtsanwalt Dr. Klaus Lützenkirchen im Interview zum Mietrechtsanpassungsgesetz

 

Die Schnelllebigkeit des Mietrechts stellt Fachautoren und Verlage vor das Problem, mit überraschender Rechtsprechung und gesetzgeberische Reformen so umzugehen, dass dem Rechtsanwender rechtzeitig die für seine Tagesarbeit notwendigen Informationen zur Verfügung stehen. Zu diesem Thema am Beispiel des Mietrechtsanpassungsgesetzes ein Interview mit Rechtsanwalt Dr. Klaus Lützenkirchen[1]:

Donnerbauer: Lieber Herr Dr. Lützenkirchen, Sie stehen mit Ihren mietrechtlichen Publikationen, insbesondere Ihrem Anwalts-Handbuch Mietrecht und einem großen einschlägigen Kommentar für Expertise im Mietrecht. Wie schätzen Sie das ein, ist das Mietrechtsanpassungsgesetz 2019 eine ernstzunehmende Novelle? Zum Mietrechtsnovellierungsgesetz 2015, vulgo „Mietpreisbremse“, gab es ja große Bedenken aus der Fachwelt, die allerdings kaum Eingang in das Gesetzgebungsverfahren gefunden haben.

Lützenkirchen: Nun ja, die Reform 2015 war ganz stark auf die Frage der zulässigen Miethöhe bei der Neuvermietung fokussiert. Und trotz dieses scheinbar überschaubaren Umfangs haben sich in der täglichen Praxis dann an vielen Stellen große Probleme bei der Anwendung des neuen Rechts ergeben, die der Gesetzgeber vorab nicht bedacht hatte und die zum Teil immer noch nicht abschließend geklärt sind. Mit dem Mietrechtsanpassungsgesetz 2019 hat der Gesetzgeber die „Mietpreisbremse“ durch die Auskunftspflicht des Vermieters zwar möglicherweise effektiver gemacht. Die zusätzliche Regeln, die sich thematisch mit der Modernisierung beschäftigen, spielen aber in die „Mietpreisbremse“ hinein und werfen viele Fragen auf, zu denen die Begründung des Gesetzes keine Antwort bietet. Gleichzeitig wurde noch eine neue Ordnungswidrigkeit eingeführt. Bei einer drohenden Geldbuße bis zu 100.000 € würde ich das durchaus als ernstzunehmend bezeichnen. Da die Neuregelungen ab dem 1.1.2019 geltendes Recht sind, besteht tatsächlich aktuell ein enormer Informationsbedarf bei Anwälten, Gerichten und in der Wohnungswirtschaft.

Donnerbauer: Wie gehen Sie als Fachautor mit dieser besonderen Situation um?

Lützenkirchen: Der klassische Weg zur schnellen Erstinformation ist sicherlich nach wie vor der (Fach-)Zeitschriftenaufsatz. Die einschlägigen Periodika wie MietRB, Das Grundeigentum, WuM, ZMR oder NZM sind in der Lage, einigermaßen zeitnah über eine solche Reform zu informieren. Durch den in Zeitschriften naturgemäß stark begrenzten Platz ist es aber häufig schwierig, dort Probleme vertieft darzustellen und konkrete Hinweise zum Umgang mit neuen Entwicklungen zu geben. Und meist stecken die kritischen Umsetzungsfragen ja gerade im Detail. Das kann man natürlich in Seminaren darstellen, für den Nutzer ist dieser Weg aber naturgemäß zeitlich sehr aufwändig.

MietR_BM

Donnerbauer: Stellt sich dieses Problem nicht ganz allgemein bei Printmedien?

Lützenkirchen: Ja, in der Tat. Das Recht ist ja nicht statisch, sondern wird vor allem durch die Gerichte immer schneller fortgeschrieben. Und der BGH hat schon immer mit einzelnen Entscheidungen, z.B. zum Thema Schönheitsreparaturen, für ähnliche Disruptionen gesorgt, wie das sonst eigentlich nur der Gesetzgeber mit einer mehr oder weniger gehaltvollen Reform schafft. Gedruckte Kommentare oder Handbücher mit ihren jahrelangen Auflagenfrequenzen kommen da kaum noch hinterher. Gerade deshalb ist für mich als Autor, aber auch für den Nutzer, das Medium „Online-Datenbank“ eine überaus sinnvolle Alternative oder zumindest eine gute Ergänzung zu klassischen Darstellungsformen. Tatsächlich wird der Mietrechtskommentar, den ich mit den Kollegen Dickersbach und Abramenko verantworte, in seiner Datenbankversion auch schon seit 2017 mit kurzen Online-Ergänzungen bei Rechtsprechungsänderungen aktualisiert. Und das Anwalts-Handbuch Mietrecht bietet Online schon seit einigen Wochen ein brandneues Kapitel zum Mietrechtsanpassungsgesetz 2019 an, wenn man so will, just in time.

Donnerbauer: Würden Sie sagen, das Print stirbt aus?

Lützenkirchen: Ich glaube, dass Print und Datenbanken noch längere Zeit koexistieren werden, vor allem, soweit es Kommentare und Handbücher betrifft. Ich halte mich durchaus für datenbankaffin, es gibt aber Werke, die ich unbedingt auch als Print im Büro stehen haben möchte. Ich merke aber auch, dass jüngere Kollegen zunehmend fast ausschließlich mit Datenbanken arbeiten, das hat einerseits sicherlich etwas mit dem Schlagwort „digital natives“ zu tun, ist also partiell eine Generationenfrage. Auf der anderen Seite bieten die elektronischen Varianten aber tatsächlich massive Vorteile bei Aktualität, Verlinkung und, ehrlich gesagt, auch beim Preis. Mit einem kleinen, feinen Datenbankmodul zum Miet- und WEG-Recht hat man zum Bruchteil des Printpreises eine überaus solide Bibliothek im Rücken. Nur die Haptik fehlt halt, und, wer es braucht, die dekorative Funktion.

Donnerbauer: Lieber Herr Dr. Lützenkirchen, ich danke Ihnen für das aufschlussreiche Gespräch!

[1] Dr. Klaus Lützenkirchen ist Fachautor und Herausgeber diverser mietrechtlicher Werke, u.a. des Anwalts-Handbuch Mietrecht und des Kommentars zum Mietrecht bei Otto Schmidt, und spezialisierter Anwalt in Köln. Das Interview wurde geführt von R. Donnerbauer, Leiter des mietrechtlichen Lektorates im Verlag Dr. Otto Schmidt.

 

Lösung für Schrottimmobilien

Der BGH hat in einer Entscheidung vom 23.3.2018 (V ZR 307/16) die Vorschrift § 10 Abs. 2 Satz 3 WEG erweiternd ausgelegt. Nach ihr kann jeder Wohnungseigentümer eine vom Gesetz abweichende Vereinbarung oder die Anpassung einer Vereinbarung verlangen, soweit ein Festhalten an der geltenden Regelung aus schwerwiegenden Gründen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Rechte und Interessen der anderen Wohnungseigentümer, unbillig erscheint, erweiternd ausgelegt.

Er geht davon aus, dass ein Anpassungsanspruch, der zunächst im Wege der Klage durchgesetzt werden muss, auch dann besteht, wenn ein Eigentümer an der wirtschaftlichen Verwertung seiner Einheit gehindert ist. Hierzu muss gegebenenfalls durch ein Sachverständigengutachten das Vorliegen schwerwiegender Gründe für eine Anpassung der Nutzung nachgewiesen werden.

Dies kann vor allem Bedeutung auch bei Schrottimmobilien haben, die zu dem vorgesehenen Zweck nicht mehr genutzt werden können. Betroffen sind leerstehende Hotelanlagen und Gewerbeimmobilien. Aber auch bei Wohnimmobilien in Schrumpfungsregionen kann sich eine abweichende Nutzung anbieten.

Voraussetzung ist in sämtlichen Fällen, dass die geänderte Nutzung auch baurechtlich möglich ist. Dies ist beispielsweise dann nicht der Fall, wenn ein Sondergebiet für ein „Hotel“ besteht und nunmehr eine Wohnnutzung angestrebt ist. In diesem Fall müssen die Eigentümer „doppelgleisig“ vorgehen.