Otto Schmidt Verlag

Sozialversicherungs-Handbuch-Blog

Waisenrenten – Neue Entwicklungen in Rechtsprechung und Gesetzgebung

Stefan Sieben  Stefan Sieben

Waisenrenten aus einer berufsständischen Versorgungseinrichtung sind bei der Prüfung, ob die Einkommensgrenze für die kostenfreie Familienversicherung überschritten wird, als Bestandteil des Gesamteinkommens zu berücksichtigen, BSG, Urt. v. 29.6.2016 – B 12 KR 1/15 R.

Vom 1.1.2017 an sind Waisenrentner in aller Regel versicherungspflichtig. Aus der Waisenrente sind durch den Versicherten aber keine Beiträge zu entrichten.

Allgemeines – Voraussetzungen für die Durchführung der Familienversicherung

Die beitragsfreie Familienversicherung in der Kranken- und Pflegeversicherung ist nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V bzw. § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB XI ausgeschlossen, wenn die Familienangehörigen ein Gesamteinkommen haben, das regelmäßig im Monat 1/7 der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 Abs. 1 SGB IV (2016 = 415 Euro, 2017 = 425 Euro) überschreitet. Bei Renten wird der Zahlbetrag ohne den auf Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten entfallenden Teil berücksichtigt; für geringfügig Beschäftigte beträgt das zulässige Gesamteinkommen monatlich 450,00 Euro. Der Ausschluss der beitragsfreien FV bei der Höhe nach bestimmten eigenen Einkünften trägt den Grundsätzen des Solidarausgleichs und der Beitragsgerechtigkeit Rechnung. Familienangehörige, die entsprechende Einkünfte erzielen, werden in der Folge auf eine eigenständige Absicherung verwiesen. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BVerfG, Beschl. v. 9.6.1978 – 1 BvR 53/78).

Begriff des Gesamteinkommens

Der Begriff des Gesamteinkommens wird in § 16 SGB IV definiert. Diese Umschreibung ist auch für die Durchführung der FV maßgebend. Hiernach ist bei der Ermittlung des Gesamteinkommens von der Summe der Einkünfte im Sinne des Einkommensteuerrechts auszugehen. Renten sind mit ihrem Zahlbetrag und nicht mit dem steuerpflichtigen Betrag zu berücksichtigen. Diese Sonderregelung für Renten geht der allgemeinen Vorschrift über die Berücksichtigung des Gesamteinkommens i.S.d. § 16 SGB IV mit seiner engen Bezugnahme auf das Steuerrecht vor (BSG v. 10.3.1994 – 12 RK 4/92, USK 9430 und v. 25.1.2006 – B 12 KR 10/04 R, USK 2006-1). Das bedeutet, dass nicht nur die Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung und die Versorgungsbezüge i.S.d. § 229 SGB V, sondern auch Renten aus privaten Rentenversicherungen in Höhe des Zahlbetrags als Gesamteinkommen zu berücksichtigen sind.

Fundstelle im Sozialversicherungshandbuch

Die Themen Familienversicherung/Gesamteinkommen sind im Sozialversicherungshandbuch in den Hauptabschnitten 4.0 und 5.6 abgehandelt. Zur Berücksichtigung von Renten vgl. Abschn. 5.6.0.2.1.4.1.

Entscheidung des Bundessozialgerichts

Das Bundessozialgericht hatte in diesem Zusammenhang über folgenden Fall zu befinden:

Die Klägerin ist Witwe eines im Dezember 2009 verstorbenen Arztes und Mutter ihrer 1998, 2001 und 2005 geborenen Kinder. Der Verstorbene war Mitglied der Beklagten und die Klägerin sowie die Kinder waren über ihn familienversichert. Die Kinder beziehen seit 1.1.2010 Halbwaisenversorgung der Versorgungseinrichtung einer Ärztekammer (ab 1.4.2010 458,34 Euro monatlich). Nach Ãœberprüfung stellte die Beklagte gegenüber der Klägerin im April 2010 durch Bescheid fest, dass deren Familienversicherung zum 31.12.2009 geendet habe, weil die Halbwaisenrenten die für die Kinder bestehende Gesamteinkommensgrenze für die Familienversicherung überstiegen. Nachdem die Klägerin für ihre Kinder – wie von der Beklagten angeregt – deren „eigenständige Mitgliedschaft“ beantragt hatte, führte die Beklagte diese ab 1.1.2010 als freiwillig Versicherte. Mit drei Bescheiden stellte sie der Klägerin gegenüber im Juni 2010 – auch im Namen der Pflegekasse – unter Hinweis auf das Ende der Familienversicherung diesen Umstand fest und machte jeweils monatliche Beiträge zur GKV und zur spV von insgesamt je 143,35 Euro geltend. Die gegen die maßgeblichen Widerspruchsbescheide angestrengte Klage sowie die Berufung hatten keinen Erfolg.

Auch die Revision vor dem BSG scheiterte. Denn die den Kindern der Klägerin von der Versorgungseinrichtung der Ärztekammer gewährten Halbwaisenrenten sind nach Ansicht des BSG bei der Ermittlung ihres Gesamteinkommens heranzuziehen und überschritten mit ihrem zu berücksichtigenden vollen Zahlbetrag von 458,34 Euro monatlich die Grenze von 1/7 der monatlichen Bezugsgröße. Der Begriff „Rente“ i.S. dieser Vorschrift erfasst nicht nur „einkommensersetzende“ Renten, sondern auch solche, die – wie Halbwaisenrenten – eine „Unterhaltsersatzfunktion“ haben. Dazu zählen auch Waisenrenten der Berufsständischen Versorgungseinrichtungen.

Die Heranziehung der Halbwaisenrenten bei der Ermittlung des Gesamteinkommens und auch deren Berücksichtigung mit dem vollen Zahlbetrag verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Zwar sind die Kinder der Klägerin gegenüber solchen Kindern benachteiligt, deren Eltern noch leben; denn sowohl tatsächlich geleisteter Natural- oder Betreuungsunterhalt als auch bei Getrenntleben geleisteter Barunterhalt bleiben bei der Ermittlung des Gesamteinkommens unberücksichtigt. Kinder wie diejenigen der Klägerin haben diese Härten und Ungerechtigkeiten jedoch im Hinblick auf die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers hinzunehmen. Bei ihnen liegt eine Ausnahmesituation vor, der der Gesetzgeber nicht durch Sonderregelungen Rechnung tragen musste: Der Vater hatte sich freiwillig der GKV angeschlossen anstatt sich privat gegen Krankheit zu versichern; an die Stelle des verstorbenen Vaters der Kinder war ihre Mutter als neue Stammversicherte getreten; nur wegen des frühen Versterbens des Vaters und des Alters der Kinder bezogen diese überhaupt ihre (kindbezogenen) Halbwaisenrenten. Auch die (mögliche) Benachteiligung der Kinder der Klägerin gegenüber solchen mit Halbwaisenrenten aus der gesetzlichen Rentenversicherung verletzt nicht Art. 3 Abs. 1 GG. Soweit Letztere nur auf den Rentenzahlbetrag Krankenversicherungsbeiträge entrichten müssen und nicht auf diesen ggf. übersteigende Mindesteinnahmen nach § 240 Abs. 4 Satz 1 SGB V, liegt der sachliche Grund hierfür darin, dass als Rentner krankenversicherte Personen zuvor dem Alterssicherungssystem der gesetzlichen Rentenversicherung – und nicht einem anderen – zugeordnet waren.

Schließlich verstößt die Heranziehung der Halbwaisenrenten der Kinder auch nicht deshalb gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, weil dies zu einer Gleichbehandlung mit „einkommensersetzenden“ Renten bzw. einer Ungleichbehandlung mit anderen „unterhaltsersetzenden“ Renten und solchen Renten führt, die betragsmäßig unter der Gesamteinkommensgrenze liegen.

Rechtsänderung ab 1.1.2017

Ob es speziell dieser Fall war, der den Gesetzgeber auf den Plan gerufen hat, das SGB V anzupassen, ist nicht bekannt. Jedenfalls wird sich die versicherungs- und beitragsrechtliche Situation für Waisenrentner aus berufsständischen Versorgungseinrichtungen und auch für Waisenrentner aus der gesetzlichen Rentenversicherung grundlegend ändern, so dass das v.g. Urteil nur eine kurze Halbwertzeit hat. Denn vom 1.1.2017 an werden Waisenrentner sowohl der gesetzlichen Rentenversicherung als auch der berufsständischen Versorgungseinrichtung ohne Prüfung einer Vorversicherungszeit versicherungspflichtig. Dies ergibt sich aus der Regelung des § 5 Abs. 1 Nr. 11b SGB V, eingeführt durch Art. 1a Buchst. a des Gesetzes für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen sowie zur Änderung weiterer Gesetz v. 21.12.2015 (BGBl. I, 2408). Das gilt auch für Sachverhalte bei denen der Rentenbezug vor dem 1.1.2017 begonnen hat. Mit der Versicherungspflicht geht auch die Freistellung von der Beitragszahlung einher. D.h. weder aus einer Waisenrente der gesetzlichen Rentenversicherung noch einer entsprechenden Leistung aus einer berufsständischen Versorgungseinrichtung hat der Waise Beiträge zu zahlen. Allerdings hat bei Waisenrentnern der gesetzlichen Rentenversicherung, der Rentenversicherungsträger seinen Beitragsanteil von 7,3 % zu entrichten.

Erläuterungen im Sozialversicherungshandbuch

Die komplexen Neuregelungen werden im Sozialversicherungshandbuch z.B. im Hauptabschn. 2.7 und in Abschn. 6.17.2.2 umfassend erläutert werden. Die Ausführungen sind Bestandteil der 113. Nachtragslieferung, die zum Jahreswechsel 2016/2017 erscheinen wird.

Ein Kommentar

  1. Veröffentlicht 16. November 2021 um 16:43 | Permalink

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