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Steuerrecht-Blog

Begriff der wirtschaftlichen Einheit – Maßgeblichkeit der vom Gutachterausschuss mitgeteilten Vergleichspreise

Franz Rothenberger  Franz Rothenberger
RiFG a.D.

Am 20.9.2016 gingen insg. zehn Eigentumswohnungen (ETW) durch Schenkung auf die Steuerpflichtige (Stpfl.) über. Die Wohnungen befinden sich in zwei aneinan­dergebauten Wohnanlagen (Haus A und B) mit jeweils sechs Wohneinheiten. Zwei Wohnungen im Haus B wurden bereits nach Fertigstellung im Jahr 1995/1996 an Dritte verkauft. Die Stpfl. ist somit Eigentümerin sämtlicher ETW des Hauses A und von vier ETW des Hauses B. Für jede der Wohnungen ist ein eigenes Wohnungsgrundbuchblatt angelegt.

Das FA bewertete die im Besprechungsfall streitgegenständliche einzelne ETW als selbständiges Objekt und zog hierfür den Immobilienpreiskalkulator der Gutachterausschüsse für Grundstückswerte in Niedersachsen heran. Neben dem Geltungsjahr und der Lage des Grundstücks legte es hierbei die Objektart (ETW), das Baujahr 1995 und die Wohnfläche (91 qm) zugrunde. Den sich hieraus ergebenden Wert i.H.v. 125.000 € stellte das FA auf den Stichtag 20.9.2016 als Grundbesitzwert für das Objekt fest.

Im Einspruchsverfahren legte die Stpfl. das Immobilien-Wertgutachten eines Bausachverständigen vor, wonach es sich bei dem Wertermittlungsobjekt um ein Mehrfamilienhaus handele und der Verkehrswert 880.000 € betrage. Hiergegen wendete das FA ein, ein Verkehrswertgutachten für die Grundstücksart Wohnungs- und Teileigentum sei nicht erbracht worden.

Nach Aufforderung durch das FA teilte der zuständige Gutachterausschuss im März 2019 als Durchschnittswert der Vergleichspreise für das streitige Objekt einen Wert von 133.036 € mit. Nach entspr. Hinweis erhöhte das FA den Grundstückswert für die streitige ETW auf 133.036 €.

Mit ihrer Klage machte die Stpfl. geltend, der Begriff Wohnungseigentum werde durch das FA falsch ausgelegt. Eine Teilungserklärung, wodurch Wohnungseigentum entstehe, ziele immer auf eine einzelne Wohnung ab. Die Stpfl. habe im vorliegenden Fall jedoch nichts anderes als Mietwohngrundstücke übertragen bekommen. Maßgebend könne also nur der Gesamtwert dieses Immobilienvermögens am Stichtag 20.9.2016 sein. Aus der Sicht der Beschenkten handele es sich um ein einziges Mietobjekt mit zehn Wohneinheiten. Ohne das Vorliegen einer Teilungserklärung würde der Immobilienwert unstreitig sowohl nach dem BewG als auch nach der ImmWertV nach dem Ertragswertverfahren in seiner Gesamtheit bewertet und entspr. besteuert werden.

Unabhängig davon könne hier der durch das FA angesetzte, aus Vergleichspreisen des Gutachterausschusses abgeleitete Grundbesitzwert nicht sachgerecht sein. Im vorliegenden Fall seien zehn Wohnungen in einem einzigen Vorgang übertragen worden. Ein gedanklicher Käufer würde kaum den Preis für zehn einzelne ETW zahlen. Im Übrigen habe der Gutachterausschuss bei seiner Wertfindung keinen Abgleich mit den tatsächlichen Eigenschaften des Wertermittlungsobjekts vorgenommen. Es sei keine Besichtigung erfolgt und es habe auch kein Abgleich der wertbeeinflussenden oder besonderen objektspezifischen Merkmale stattgefunden.

Das FG hat die Klage abgewiesen. Das FA hat zu Recht einen Grundstückswert für die einzelne ETW i.H.v. 133.036 € festgestellt und, dass das vorliegende Objekt als Wohnungseigentum nach § 182 Abs. 2 Nr. 1 BewG im Vergleichswertverfahren zu bewerten ist. Eine Bewertung als Mehrfamilienhaus im Ertragswertverfahren nach § 184 BewG scheidet entgegen der Auffassung der Stpfl. aus. Nach der einschlägigen BFH-Rspr. bildet grundsätzlich jedes Wohnungseigentum eine wirtschaftliche Einheit, die mit Eintragung in das Grundbuch entsteht (BFH v. 24.7.1991 – II R 132/88, BFHE 165, 294 = BStBl. II 1993, 87; s.a. Mannek in Stenger/Loose, BewG, § 93 Rz. 6.2).

Vorliegend sind die Voraussetzungen für die Annahme einer wirtschaftlichen Einheit der insg. auf die Stpfl. übertragenen zehn Wohnungen nicht erfüllt, da für jede der übertragenen ETW jeweils ein gesonderter Miteigentumsanteil vorliegt und keine räumliche Verbindung zwischen den Wohnungen besteht (BFH v. 1.8.1990 – II R 46/88, BFHE 161, 172 = BStBl. II 1990, 1016).

Grundlage des Vergleichswertverfahrens sind vorrangig die von den Gutachterausschüssen i.S.d. §§ 192 ff. BauGB mitgeteilten Vergleichspreise (§ 183 Abs. 1 Satz 2 BewG). Der Gesetzgeber hat die Ermittlung von Vergleichspreisen und –faktoren ausdrücklich den Gutachterausschüssen aufgegeben, da diesen auf Grund ihrer besonderen Sach- und Fachkenntnis und ihrer größeren Ortsnähe sowie der in hohem Maße von Beurteilungs- und Ermessenserwägungen abhängigen Wertfindung eine vorgreifliche Kompetenz zukommt. Eine fachliche Prüfung durch – mit geringerer Sachkunde ausgestattete – Gerichte würde dem widersprechen.

Mit diesem Rechtsgedanken hat der BFH (vgl. BFH v. 11.5.2005 – II R 21/02, BFHE 210, 48 = BStBl. II 2005, 686; BFH v. 26.4.2006 – II R 58/04, BStBl. II 2006, 793 = ErbStB 2006, 248 [Halaczinsky] und BFH v. 16.12.2009 – II R 15/09, BFH/NV 2010, 1085) auch entschieden, dass die von den Gutachterausschüssen nach § 145 Abs. 3 Satz 2 BewG ermittelten und den FA mitgeteilten Bodenrichtwerte für die Beteiligten im Steuerrechtsverhältnis verbindlich und einer gerichtlichen Überprüfung regelmäßig nicht zugänglich sind (vgl. Nds. FG v. 7.12.2017 – 1 K 219/15, EFG 2018, 619 = ErbStB 2018, 138 [Grootens]). Die gerichtliche Überprüfung von Mitteilungen der Gutachterausschüsse für Grundstückswerte ist auf offensichtliche Unrichtigkeiten beschränkt (Nds. FG v. 17.9.2015 – 1 K 147/12, EFG 2016, 185 = ErbStB 2016, 76 [Günther]; FG Köln v. 11.4.2019 – 4 V 405/19, EFG 2019, 1261 = ErbStB 2019, 258 [Günther]; Halaczinsky in Rössler/Troll, BewG, § 183 Rz. 6; Vorbeck, DStR 2020, 322).

Vorliegend ist die Mitteilung des Gutachterausschusses nicht offensichtlich unrichtig. Das in der Mitteilung gem. § 183 Abs. 1 BewG bezeichnete Bewertungsobjekt (die streitgegenständliche ETW) stimmt mit dem im Antragsschreiben des FA an den Gutachterausschuss genannten Objekt überein. Die Mitteilung ist auch zu dem vom FA angefragten Bewertungszeitpunkt (20.9.2016) ergangen.

Der Einwand der Stpfl., die vom Gutachterausschuss mitgeteilten Vergleichspreise ließen keine Rückschlüsse auf wertbeeinflussende Umstände zu, die sich aus der Lage und dem Zustand der Wohnung ergeben, vermag keine offensichtliche Unrichtigkeit zu begründen.

Der Stpfl. ist der Nachweis eines niedrigeren Verkehrswerts nicht gelungen (§ 198 BewG). Das von ihr eingereichte Sachverständigengutachten ist für das „Objekt […] als Mehrfamilienhaus“ erstellt worden. Die streitgegenständliche ETW ist jedoch als eine selbständige wirtschaftliche Einheit anzusehen, eine Zusammenfassung der mehreren auf die Stpfl. übertragenen Wohnungen zu einer wirtschaftlichen Einheit scheidet aus.

Da die tatsächlichen Verhältnisse von Wohnungseigentum und das Marktgeschehen andere sind als die für ein Mehrfamilienhaus ist das eingereichte Gutachten nicht geeignet, einen geringeren Wert nachzuweisen. Auch eine Anpassung des Gutachtens zwecks Wertfindung ist nicht möglich. Insofern müsste das FG einen weiteren Sachverständigen bestellen, was jedoch wegen der Maßgeblichkeit der vom Gutachterausschuss mitgeteilten Vergleichswerte ausgeschlossen ist.

Gegen die vorläufig nicht rechtskräftige Besprechungsentscheidung ist unter dem Az. II R 17/22 das Revisionsverfahren anhängig. Die Entscheidung des BFH bleibt abzuwarten. Halten Sie vergleichbare Steuerfestsetzungen verfahrensrechtlich offen.

Nds. FG v. 24.3.2022 – 1 K 267/19 (Rev. II R 17/22), ErbStB 2022, 297

Mehr zum Autor: RiFG a.D. Franz Rothenberger gehört zum festen Autorenteam des Erbschaft-Steuerberaters (ErbStB).

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