Goldman Sachs hat im Jahr 2023 in einer Studie prognostiziert, dass 44 % der Arbeitsaufgaben im Rechtssektor durch KI automatisiert werden könnten. Der Bereich der Streitbeilegung vor staatlichen Gerichten und Schiedsgerichten wird von einer solchen Entwicklung nicht unberührt bleiben. Fraglich ist, ob und inwieweit ein KI-Einsatz in der Streitbeilegung nach aktueller Rechtslage möglich wäre und wo die Grenzen liegen. Könnte KI zukünftig Rechtsstreitigkeiten entscheiden? Kann sie Schiedsrichter im Sinne der §§ 1025 ff. ZPO sein? Diese Fragen stellt Dr. Daniel Schnabl, LL.M. (Univ. of Miami), Rechtsanwalt und Partner bei Freshfields in Frankfurt a.M. im Bereich Dispute Resolution, in einem Gastbeitrag für LTO.de.
Das Thema wurde auch auf der Frühjahrskonferenz der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit diskutiert. Die Veranstaltung war, unter dem Titel „Revolution der Schiedsgerichtsbarkeit: Künstliche Intelligenz als Gamechanger?“ vollständig dem Thema KI gewidmet. Für die staatliche Gerichtsbarkeit ist weitgehend unstreitig, dass Zivilprozesse nicht vollautomatisiert durch eine KI anstelle eines menschlichen Richters entschieden werden dürfen. Dem stehen sowohl das Grundgesetz (z.B. Art. 92 GG) als auch die KI-Verordnung (vgl. Erwägungsgrund 61) entgegen.
Auf der Frühjahrstagung der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit wurde der Gedanke aufgegriffen und als kreative Gestaltungsmöglichkeit vorgeschlagen, dass sich die Streitparteien in einem Restaurant treffen und ihre Streitigkeit durch eine KI entscheiden lassen könnten, um sie dann durch einen anwesenden Kellner als ad hoc eingesetzten Einzelschiedsrichter als Schiedsspruch mit vereinbartem Wortlaut ausfertigen zu lassen. Dazu wurde die Frage aufgeworfen, ob das dann überhaupt noch ein Schiedsverfahren im herkömmlichen Sinne des 10. Buchs der ZPO sei und eine solche Vorgehensweise zu einem wirksamen Schiedsspruch führen könne.
Funktionierende Technik, die Effizienz steigert und Kosten reduziert, wird sich zwangsläufig durchsetzen und durch rechtliche Bedenken kaum aufgehalten werden. Insofern stellt sich nicht die Frage, ob künstliche Intelligenz zukünftig in Schiedsverfahren eine größere Rolle spielen wird, sondern lediglich die Frage, wie schnell und wie weitreichend diese Entwicklung sein wird.
Wie schnell es gehen kann, zeigt anschaulich der Bereich der Übersetzungstätigkeit, in dem DeepL binnen weniger Jahre Übersetzungen durch Menschen weitgehend verdrängt hat. Noch vor 10 Jahren haben nicht viele eine solche Entwicklung für möglich gehalten. Eine ähnliche Entwicklung könnte sich auch in Bereichen des Rechts vollziehen.
Quelle: www.lto.de v. 6.8.2025
Bild: shutterstock.com / CHIEW
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