Korrekturhinweis der Heubeck-AG: Kapitalwerte stimmen nicht!

 Die Heubeck AG hat einen Warnhinweis ausgegeben: Die Heubeck Richttafeln 2018-G enthalten offensichtlich einen finanzmathematischen Kalkulationsfehler, der zur Fehlberechnung der Kapitalwerte von betrieblichen und privaten Altersversorgungen führen kann. Die neuen Richttafeln 2018 G sind erst im Juli 2018 veröffentlicht worden. Die Kalkulationsergebnisse der neuen Gerichtstafeln weichen nur unwesentlich von denen der alten Gerichtstafeln ab und wären versorgungsausgleichsrechtlich weitgehend zu ignorieren gewesen.

Die jetzige Korrekturmitteilung lässt indessen aufhorchen und bietet all denjenigen, die eine Verzögerung von Versorgungsausgleichsverfahren aus dem Interesse ihrer Mandanten heraus betreiben die Chance, erneut auf die Zeitbremse zu treten und eine Korrektur der Tabellen und der Bewertungen abzuwarten.

Gegenüber den alten Tabellenwerten ist jedoch nichts wesentlich Neues zu erwarten. Waren bereits die auf der Basis der neuen Tabellen für den klassischen Scheidungsfall errechneten Werte nur unwesentlich anders als die nach den alten Tabellen ermittelten Werte, werden auch die neuen Tabellen keine revolutionären neuen Zahlen erbringen. Wie gering die Differenzen der unterschiedlichen Berechnungsmethoden sind, macht der nachfolgende Vergleich deutlich:

Kapitalwertkontrolle

Das Beispiel zeigt, dass die mithilfe des kostenlosen Programms von Hauß/Glockner nahezu identische Ergebnisse erzielt werden wie mit den Heubeck Tabellen. (Das Programm finden Sie auch auf der Homepage des FamRB!)

Die Heubeck AG hat eine Korrektur ihrer Tabellen 2018-G für die nächsten 14 Tage angekündigt. Es wird sicherlich ein bis zwei Monate dauern, bis die Versorgungsträger Auskünfte auf der Basis der neuen Tabellen erteilen können. Derzeit vorliegende Auskünfte über die Kapitalwerte der Versorgungen sind mit den Heubeck Tabellen 2005-G erstellt. Im Hinblick darauf, dass deren Werte nicht mehr aktuell sein dürften, könnten die Verfahrensbeteiligten neue Auskünfte der Versorgungsträger einfordern. Ob dies angesichts der geringen Differenzen sinnvoll ist, mag jeder für sich entscheiden. Eine Verzögerung des Versorgungsausgleichsverfahrens bringt den ausgleichspflichtigen Rentenbeziehern in der Regel Vorteile, wiewohl jedes familiengerichtliche Verfahren eine Beeinträchtigung der Lebensqualität der Beteiligten darstellt.

Ein „Kampf um die Tabellen“ lohnt also nur in seltenen Fällen, zumal der Versorgungsträger einwenden könnte, die bilanzielle Rückstellung für die zu bewertende Versorgung sei noch mit Hilfe der alten Tabellen vorgenommen worden.

Wer ist eigentlich für Gerechtigkeit zuständig? (zu BGH v. 27.6.2018 – XII ZB 499/17)

Was Gerechtigkeit ist, ist eine philosophisch schwierige Frage. Ebenso die Frage, wer für sie zuständig ist. Ein Blog-Beitrag wird nicht klären, was die gesellschaftliche Diskussion bislang nicht geschafft hat. Eine Entscheidung des BGH zum Versorgungsausgleich indessen hilft weiter.

Der Fall ist schnell berichtet: M(62) und F(52) lassen sich scheiden. Zum Ehezeitende (2013) ist M Rentner. Der betriebliche Versorgungsträger teilt die ehezeitliche Rente von M mit 1.975 € mit und schlägt als Ausgleichswert eine Rente für F i.H.v. 1.570 € vor. Dieser Wert ergibt sich aus der Umrechnung der Mannesrente in einen Kapitalwert, dessen Halbteilung und der Umrechnung des hälftigen Kapitalwerts in eine Frauenrente. Deren die Halbteilung deutlich übersteigender Wert resultiert aus dem deutlich geringeren Alter der F.

Das Familiengericht hält sich nicht an den Vorschlag des Versorgungsträgers und begründet zugunsten der F eine Versorgung aus einem Ausgleichswert von 170.000 €. Dieser Systemwechsel (von Rente zum Kapital) empört die F, sie legt Beschwerde ein. Das OLG gibt dieser statt und begründet für F, wie vom Versorgungsträger vorgeschlagen, eine Versorgung in Höhe von 1.570 € anstelle des Kapitalwerts. Das empört nun den Mann, der die zugelassene Rechtsbeschwerde einlegt. Der BGH beschließt – dogmatisch korrekt – die Versorgung sei auf der Basis ihrer Bezugsgröße zu teilen, diese habe der Versorgungsträger als Rente angegeben, also müsse die Halbteilung auf Rentenbasis erfolgen. Er weist den Fall an das OLG zurück, das nun zu ermitteln hat, wie hoch die Rente des inzwischen Rente beziehenden M aktuell ist, damit deren aktualisierter Ehezeitanteil hälftig geteilt wird.

Na prima, wird der eilige Leser sagen, die Rententeilung ist doch das Gerechteste, was überhaupt passieren kann. Der Gesetzgeber hat einen allgemeinen Rahmen geschaffen, den die Gerichte – wenn auch über drei Instanzen mit unterschiedlichen Ergebnissen – schließlich zu einem individuell gerechten Ergebnis konkretisiert haben. Beide erhalten – bezogen auf die Ehezeit – die gleiche Rente, keine Transferverluste, der vollständige Sieg nomineller Gerechtigkeit.

Der Schein trügt. Für M und F ist nicht maßgeblich, ob im Ehezeitende 2013 gleich hohe Rentenanteile begründet werden, sondern dass sich die Renten auch gleich entwickeln. Das ist aber bei der vom BGH dogmatisch begründeten Lösung nicht der Fall, weil M seine Rente altersbedingt 10 Jahre vor F erhält. Aus seinem ehezeitlichen Rententeil von 1.975 / 2 = 987,50 € sind bei anzunehmender Leistungsdynamik von 1,75 % bei Renteneintritt von F bereits 1.175 € geworden. F wird aber bei Renteneintritt nur 987,50 € Rente erhalten. Dass sie ein Rentenminus von rd. 200 € monatlich als gerecht empfinden wird, ist zu bezweifeln.

An dieser Stelle kommen nun Beteiligte und Anwaltschaft bei der Suche nach Gerechtigkeit ins Spiel. Auch das Verfahrensrecht dient in seiner formalen Strenge der Gerechtigkeit. Eines ist nämlich gewiss: M verliert die Hälfte seines ehezeitlichen Versorgungserwerbs, also 987,50 €, ab Rechtskraft der Entscheidung, gleichgültig ob auf Kapital- oder Rentenbasis geteilt wird. F könnte aber 1.570 € Rente statt 987,50 € bekommen, wenn es bei der Entscheidung des OLG oder des Familiengerichts verbliebe. Die Umrechnung des Kapitalwerts von 170.000 € in eine Rente erbrächte ebendieses Ergebnis. Nähme also F ihre Beschwerde zurück, erwüchse die Entscheidung des Familiengerichts in Rechtskraft. F hätte eine schöne Rente, M keinen Nachteil und der Versorgungsträger keinen Vorteil. Die BGH-Lösung führt beim Versorgungsträger nämlich zu einer Einsparung von rd. 70.000 €. Im Interesse des ungekürzten weiteren Versorgungsbezugs durch M, der für F nicht nachteilig ist, sollten die beiden das Verfahren noch ein wenig verzögern. F sollte dann ihre Beschwerde zurücknehmen, bevor sie selbst in Rente geht. Das wäre dann eine gute anwaltliche Taktik, um M das „Rentnerprivileg“ zu verschaffen (vgl. dazu den Blogbeitrag des Verfassers „Das Märchen vom teuren Rentnerprivileg“).

Die eingangs gestellte Frage nach der Zuständigkeit wäre damit beantwortet: Alle Beteiligten sind zuständig, gerechte Ergebnisse zu produzieren: Der Gesetzgeber, indem er allgemeine Regelungen aufstellt und bei erkannten Fehlern zügig auch repariert, die Gerichte, indem sie diese Regeln auf den Einzelfall anwenden und im Rahmen ihrer judikativen Kompetenz ergänzen, und die Anwaltschaft, indem sie ihre Mandanten robust dazu anhält, sinnvolle Lösungen zu finden. Das vorliegende Beispiel zeigt, dass bei Verständnis für die Systematik von Versorgungen und ihres Ausgleichs ohne Schwierigkeiten Win-Win-Situationen zu vereinbaren sind.

 

Die Entzauberung des Zauberworts von der Funktionsäquivalenz oder: Wieviel Schutz brauchen Ehegatten? (zu BGH v. 20.6.2018 – XII ZB 84/17)

In seiner Entscheidung v. 20.6.2018 – XII ZB 84/17 leitsatzt der BGH, die richterliche Ausübungskontrolle von Eheverträgen diene nicht dazu, dem durch den Ehevertrag belasteten Ehegatten zusätzlich entgangene ehebedingte Vorteile zu gewähren und ihn dadurch besser zustellen, als hätte es die Ehe und die mit der ehelichen Rollenverteilung einhergehende Disposition über Art und Umfang seiner Erwerbstätigkeit nicht gegeben. Gleichzeitig hegt der BGH die unter dem Stichwort der Funktionsäquivalenz teilweise heranwachsenden Wünsche ein: Bei modifiziertem Zugewinnausgleich oder vereinbarter Gütertrennung ist auch im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung eine güterrechtliche Kompensation mangelnden Versorgungserwerbs nicht erforderlich, wenn der ehezeitliche Versorgungserwerb in einem dem Versorgungsausgleich unterliegenden primären Versorgungssystem ausreichend ist, dem Versorgungsberechtigten eine selbstständige (Basis-)Absicherung für den Fall von Alter oder Invalidität zu bieten. Für ein über die Halbteilung der berufsständischen Versorgungsanrechte hinausgehendes „Hinübergreifen“ auf das güterrechtliche Ausgleichssystem im Wege richterlicher Ausübungskontrolle bestehe jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Funktionsäquivalenz kein Raum (Rz. 27).

Die von „Ehevertragsreue“ gekennzeichnete Berufung eines Ehegatten im Scheidungsfall auf versorgungsrechtliche Benachteiligung durch Gütertrennung oder Modifikation der Zugewinnausgleichsgemeinschaft ist mit dieser Entscheidung weitgehend verstellt. Der Ehemann (Arzt) hatte in der Ärzteversorgung in 17-jähriger Ehe eine Versorgung von rund 709 € monatlich aufgebaut und damit einen jährlichen Versorgungserwerb in Höhe von knapp 42 € Monatsrente realisiert. Die Funktion eines primären Altersversorgungssystems sei es, dem Versorgungsberechtigten eine „selbstständige Basis-Absicherung für den Fall von Alter oder Invalidität zu bieten“. Bei einem Versorgungserwerb von 42 € Monatsrente pro Erwerbsjahr sei dieser Zweck erfüllt.

Einen den Ehevertrag durch ergänzende Vertragsauslegung zu korrigierenden ehebedingten Nachteil der Ehefrau vermochte der BGH nicht zu erkennen. Diese hätte, wenn sie ihren Beruf als Produktdesignerin ehezeitlich ausgeübt hätte, 19,32 Entgeltpunkte in der gesetzlichen Rentenversicherung erwerben können, was einem Kapitalwert i.H.v. 110.399,89 € entspräche. Der Kapitalwert des Ausgleichswerts der Ärzteversorgung habe 66.297 € betragen. Die Differenz zum fiktiven eigenen Versorgungserwerb der Ehefrau werde durch den ehevertraglich modifizierten Zugewinnausgleich (Teilhabe an zwei Kapitallebensversicherungen des Ehemannes) ausgeglichen.

Die Entscheidung macht deutlich: Wer einen Ehevertrag schließt, kann auch bei längerer Ehe nicht davon träumen, dessen Regelungen so einfach auszuhebeln. Die Ehe ist ein privatrechtliches Versprechen zweier Personen, dessen Bedingungen weitgehend privatautonom gestaltet werden können und dessen Folgewirkungen durch die Rechtsordnung nur öffentlich-rechtlich determiniert sind. Der staatlich zu garantierende Schutz des „schwächeren“ Ehegatten beschränkt sich auf den Ausgleich ehebedingter Nachteile, nicht aber auf die Teilhabe an ehebedingten Vorteilen, wenn die Ehegatten diesen Vorteilserwerb abbedungen haben. Dies entspricht einem modernen Eheverständnis, das der Privatautonomie den notwendigen Atmungsraum gewährt und diesen nur dann begrenzt, wenn ehebedingte Nachteile planwidrig nicht kompensiert werden, was Kompensationsfähigkeit voraussetzt.

Die Ehe ist im 21. Jahrhundert keine Institution zu Versorgungssicherung oder Vermögensmehrung. Sie ist eine freiwillig begründete Lebens- und Austauschgemeinschaft volljähriger gleichberechtigter Menschen, die des gesetzlichen Schutzes nur in Ausnahmefällen bedürfen.

 

Kurz & knapp: BGH zu § 1578b BGB

Der Sommer 2018 macht die Dringlichkeit klimaschützender Maßnahmen jedem schwitzenden Juristen überdeutlich. Umso erfreulicher, dass auch der BGH – trotz tendentiell zunehmender Textfülle seiner Entscheidungen – in einer Entscheidung v. 4.7.2018 (XII ZB 448/17), dem Konzentrationsgebot folgend, die in der Praxis so aufwendig zu begründende Unterhaltsbegrenzungsnorm anwaltspraktisch komprimiert dargestellt hat:

Rz. 24: „§ 1578 b BGB beschränkt sich allerdings nicht auf die

  • Kompensation ehebedingter Nachteile, sondern berücksichtigt auch
  • eine darüber hinaus gehende nacheheliche Solidarität. Auch wenn keine ehebedingten Nachteile feststellbar sind, ist eine Herabsetzung oder Befristung des nachehelichen Unterhalts nur bei Unbilligkeit eines fortdauernden Unterhaltsanspruchs nach den ehelichen Lebensverhältnissen vorzunehmen.
  • Bei der insoweit gebotenen umfassenden Billigkeitsabwägung ist das im Einzelfall gebotene Maß der nachehelichen Solidarität festzulegen. Wesentliche Aspekte hierbei sind neben der  
    • Dauer der Ehe insbesondere
    • die in der Ehe gelebte Rollenverteilung wie auch die
    • vom Unterhaltsberechtigten während der Ehe erbrachte Lebensleistung.
    • Bei der Beurteilung der Unbilligkeit einer fortwährenden Unterhaltszahlung sind ferner die wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien von Bedeutung, so dass der Tatrichter in seine Abwägung auch einzubeziehen hat, wie dringend der Unterhaltsberechtigte neben seinen eigenen Einkünften auf den Unterhalt angewiesen ist und
    • in welchem Maße der Unterhaltspflichtige unter Berücksichtigung weiterer Unterhaltspflichten durch diese Unterhaltszahlungen belastet wird.
    • In diesem Zusammenhang kann auch eine lange Dauer von Trennungsunterhaltszahlungen bedeutsam sein (Senatsbeschluss vom 8. Juni 2016 – XII ZB 84/15, FamRZ 2016, 1345 Rz. 15 m.w.N.).


Rz. 25:
Als Rechtsfolge sieht § 1578b Abs. 1 Satz 1 BGB die Herabsetzung bis auf den angemessenen Lebensbedarf vor. Dieser Maßstab bildet regelmäßig die Grenze für die Herabsetzung des nachehelichen Unterhalts und bemisst sich nach dem Einkommen, das der unterhaltsberechtigte Ehegatte ohne Ehe und Kindererziehung aus eigenen Einkünften zur Verfügung hätte. Aus dem Begriff der Angemessenheit folgt aber zugleich, dass der nach § 1578 b Abs. 1 BGB herabgesetzte Unterhaltsbedarf jedenfalls das Existenzminimum des Unterhaltsberechtigten erreichen muss (Senatsbeschluss vom 8. Juni 2016 – XII ZB 84/15, FamRZ 2016, 1345 Rz. 16 m.w.N.).

 

Das liest sich gut und leicht. Nur die gliedernde Struktur und die Fettmarkierungen mussten gesetzt werden. Wer in der Diskussion um § 1578b BGB diese Punkte beherzigt, kann eigentlich nichts mehr falsch machen. Danke. Dem Pariser Klimaschutzabkommen sollte ein beitrittsfähiges Karlsruher Textfüllebegrenzungsabkommen folgen. 2004 betrug die durchschnittliche Seitenzahl einer BGH-Entscheidung noch 10 Seiten, 2014 waren es bereits 14 Seiten.[1] Die jetzige Entscheidung ist 14 Seiten lang. Man sieht, das reicht.

[1] Das lässt sich dank ausgeklügelter Datenverarbeitung schnell ermitteln.

Versorgungsausgleich: BVV knickt ein!

Bei der internen Teilung von ehezeitlich erworbenen Ansprüchen in der betrieblichen und privaten Altersversorgung findet oftmals eine wundersame Abwertung der Versorgung für die ausgleichsberechtigte Person statt:

  • Der BVV (Bankenversicherungsverein) schlägt den Gerichten seit langem vor, den Ausgleichswert für die ausgleichsberechtigte Person im Tarif ARLEP zu begründen. Dieser Tarifwechsel ist verbunden mit einem Rechnungszinsverlust. Während im Ausgangstarif ein Rechnungszins von 3,5–4 % angewandt wird, ist der Zieltarif derzeit lediglich mit einem Rechnungszins von 0,9 % ausgestattet. Für eine 50-jährige Frau bedeutet dies, dass die gesicherte Versorgungserwartung sich gegenüber dem Quelltarif in etwa halbiert.
  • Auch die private Versicherungswirtschaft (Allianz & Co) begründet den Ausgleichswert der Versorgung für die ausgleichsberechtigte Person nach der Teilungsordnung zu den im Zeitpunkt der Rechtskraft maßgeblichen Versicherungstarifen. Auch bei diesen Versorgungen kommt der sog. aktuelle Höchstrechnungszins als „Garantiezins“ zur Anwendung, was zu einer deutlich verminderten Versorgungsleistung gegenüber der Quellversorgung führt.

Die Rechtsprechung hat dies teilweise erkannt und moniert.[1]

Der BVV korrigiert nun seine Praxis und hat angekündigt, künftig die Versorgungsverluste durch Umstellung der Tenorierung und Tarifierung zu vermeiden. In allen laufenden Verfahren werden indessen vom BVV nicht freiwillig neu Auskünfte erteilt. Die Anwaltschaft ist daher aufgerufen, in den noch nicht rechtskräftigen Verfahren unter Beteiligung des BVV das Gericht auf die Notwendigkeit der Einholung neuer Auskünfte ausdrücklich hinzuweisen. Für die ausgleichspflichtige Person entstehen dadurch keine versorgungsrechtlichen Nachteile. Die ausgleichsberechtigte Person gewinnt einen fairen Ausgleich und damit ein höheres Alterseinkommen, was möglicherweise auch zu geringeren Unterhaltsleistungen der ausgleichspflichtigen Person führt.

Die privaten Versorgungsträger beharren allerdings auf ihrer Standardteilungsordnung und bieten lediglich dann, wenn die Beteiligten die mangelnde Angemessenheit des Teilungsergebnisses rügen, an, die Tarifierung an die Quellversorgung anzupassen.

Die Anwaltschaft ist aufgerufen, im Versorgungsausgleich aufmerksam darauf zu achten, dass die interne Teilung nicht zu Lasten ihrer Mandanten in einen neuen Tarif des Versorgungsträgers erfolgt.

Vor Umstellung der Praxis des BVV hatte das OLG Köln[2] das Risiko des Versorgungsverlusts durch folgende Tenorierung gebannt:

Im Wege der internen Teilung werden zu Lasten der für die ausgleichspflichtige Person bei dem BVV-Versicherungsverein des Bankgewerbes a.G. unter der Vertragsnummer … bestehenden betrieblichen Altersversorgung zugunsten der ausgleichsberechtigten Person nach Maßgabe der Versicherungsbedingungen ARLEP/oG-V 2017 ein Anrecht in Höhe von … Euro, bezogen auf den … inklusive der Wertentwicklung bis zum 31.7.2018, verbunden mit der weiteren Maßgabe, dass für das zu begründende Anrecht der ausgleichsberechtigten Person der Rechnungszins, der dem auszugleichenden Anrecht des Antragstellers zugrunde liegt, zur Anwendung kommt.

Bis auch die privaten Versorgungen ihre Teilungsanordnung der Rechtslage entsprechend umstellen, kann eine Tenorierung analog der Praxis des OLG Köln Versorgungsverluste für die ausgleichsberechtigte Person vermeiden.

 

[1] OLG Schleswig v. 12.2.2014 – 13 UF 215/13, FamRZ 2014, 1113; OLG Frankfurt v. 25.8.2017 – 4 UF 146/15, FamRZ 2018, 500 (LS); OLG Frankfurt v. 30.11.2016 – 6 UF 115/16; OLG Saarbrücken v. 6.7.2015 – 6 UF 16/15; OLG Stuttgart v. 18.2.2016 – 11 UF 230/15, FamRZ 2016, 1689 (LS); OLG Köln v. 4.7.2017 – 4 UF 45/14, bestätigt durch BGH v. 9.5.2018 – XII ZB 391/17.

[2] OLG Köln v. 4.7.2017 – 4 UF 45/14, bestätigt durch BGH v. 9.5.2018 – XII ZB 391/17.

Die FDGO und Polygamie (BVerwG v. 29.5.2018 – BVerwG 1 C 15.17)

Selbst Familienrechtler straucheln gelegentlich, wenn es um die Frage der Zulässigkeit von Mehrehen geht. Deshalb hier ein Überblick:

  • § 1306 BGB schließt aus, dass in Deutschland eine Mehrehe geschlossen werden kann.
  • Bigamie oder Polygamie sind nach § 172 StGB strafbar. Dies gilt selbstverständlich nur für im Inland geschlossene Mehrehen, da das deutsche Strafrecht lediglich für Inlandsstraftaten gilt (§ 3 StGB).
  • Eine im Ausland geschlossene, nach dem Heimatrecht gestattete Mehrehe verstößt nicht gegen den ordre public (VG Gelsenkirchen FamRZ 1900 S 75,338; Landgericht Frankfurt FamRZ 1976,217; OLG Düsseldorf FamRZ 1983 90,189) und wäre demnach auch in Deutschland eine Ehe.
  • Für im Ausland rechtsgültig geschlossene Mehrehen beschränkt § 30 Abs. 4 AufenthG die Nachzugsberechtigung der Ehegatten: Nur ein Ehegatte kann sich auf § 30 Abs. 1 AufenthG berufen und auf die Ehe gestützt seinen Aufenthalt in Deutschland legitimieren.
  • Steuer- und sozialhilferechtlich wird lediglich der erste Ehegatte privilegiert.

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG v. 29.5.2018 – BVerwG 1 C 15.17) hat nun entschieden, Begründung und Verwirklichung einer polygamischen Beziehung widersprächen nicht der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (FDGO). Das Verschweigen einer im Ausland geschlossenen Zweitehe bei Stellung eines Einbürgerungsantrags nach § 9 StAG belege aber, dass eine Einordnung in die ‚deutschen Lebensverhältnisse‘ nicht erfolgt sei. Dies sei aber Voraussetzung für die Ehegatteneinbürgerung. Sei aber ein achtjähriger rechtmäßiger Aufenthalt in Deutschland gegeben, könne eine Einbürgerung nach § 10 StAG erfolgen, wenn sich der Ausländer zur FDGO bekenne.

Zunächst ist man erleichtert, dass das oberste deutsche Verwaltungsgericht (wie auch bereits zuvor der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH Mannheim v. 25.4.2017 – 12 S 2216/14, FamRZ 2017, 1529) das Bekenntnis zur Verfassung nicht mit dem Gebot zu mongamer Lebensweise verknüpft hat. Viele Prominente und auch nicht prominente Bürger wären in Schwierigkeiten gekommen, würde ihre eheliche Treue als Ausdruck ihrer Verfassungstreue gewertet. Bundeskanzlerin Merkel wäre sofort ein drängendes Problem los, aber (wahrscheinlich) auch sonst einen Teil ihres Kabinetts.

Allerdings ist man beunruhigt, dass auch das Bundesverwaltungsgericht Polygamie als den ‚grundlegenden deutschen Lebensverhältnissen‘ widersprechend angesehen hat. „Zu den grundlegenden deutschen Lebensverhältnissen gehöre das Prinzip der Einehe… Mit Eingehung der Zweitehe habe der Kläger gezeigt, dass er in einem zentralen Punkt nach wie vor den Wertvorstellungen und Lebensverhältnissen seiner syrischen Heimat verhaftet sei“, hatte das Verwaltungsgericht formuliert. Populisten, Stammtische und der Boulevard könnten jubilieren.

Wer die Mehrehe als ‚undeutsch‘ brandmarkt, müsste zunächst sein Verständnis von Ehe definieren. Ist die Ehe mehr als der bürgerlich-rechtliche Vertrag der sich Liebenden, die sich versprechen, füreinander einzustehen? Ist damit die durch das staatlich beurkundete Heiratsversprechen begründete rechtliche Hülle oder mehr gemeint? Ist es ‚deutsch‘, wenn über die aus der Eheschließung resultierenden rechtlich verankerten Pflichten hinaus ein moralischer Verhaltenskodex gewoben wird, dessen Konturen – völlig undeutsch – unscharf sind? ‚Sexuelle Treue‘ kann keine zentrale Eheanforderung sein, sonst wäre Ehebruch strafbar geblieben und Swinger-Clubs für Verheiratete verboten. Auch die Aufrechterhaltung einer ‚lebenslangen‘ Partnerschaft kann kein Kernelement der Ehe sein, sonst könnten wir nicht scheiden. Zur Lebensgemeinschaft sind die Gatten nicht verpflichtet (§ 1353 Abs. 2 BGB). Wer will und möchte Wohngemeinschaften mehrerer Personen gleichen oder ungleichen Geschlechts als ‚deutsch‘, die in gleicher Form begründeten Sexualgemeinschaften als ‚undeutsch‘ brandmarken, wo doch der Sozialstaat der ‚Bedarfsgemeinschaft‘ die wechselseitige Unterhaltungsverpflichtung auferlegt hat? Was schließlich unterscheidet die konsekutive Mehrehe von der konvergenten Mehrehe? Letztere ist ehrlicher. Sie begründet für die Ehegatten rechtlichen Schutz und Anspruch auf Versorgung, den unsere Rechtsordnung – einem archaischen Prinzip folgend – Konkubi(e)nen und Konkudrohnen verwehrt. Vielleicht ist daher die staatlich beurkundete Mehrehe gleichberechtigter Partner ‚deutscher‘ als die verlogene Sexualmoral, die Heimlichkeit außerehelicher Beziehungen und die rechtliche Schutzlosigkeit der Partner polyamouröser Beziehungen. Wenn 35 % aller Kinder von nicht verheirateten Müttern geboren und 1/3 aller Ehen geschieden werden, scheinen die ‚deutschen Lebensverhältnisse‘ (§ 9 StAG) volatil und erfreulich liberal geworden zu sein. Man muss Polygamie nicht mögen, sie aber als ‚undeutsch‘ zu brandmarken, ist wirklichkeitsfremd. Sie wird praktiziert – nur nicht so benannt – und das Abendland geht trotzdem nicht unter.

Da waren’s nur noch zwei (zu BGH v. 7.3.2018 – XII ZB 408/14 – Anwartschaftsdynamik, Halbteilungsgrundsatz, Rententrend)

Das Lied von den zehn kleinen Negerlein[1] kennen sogar Juristinnen und Juristen. Der BGH hat nun im Versorgungsausgleich – offenbar im Bewusstsein ansonsten entstehender Langeweile – gleich mit der achten Strophe angefangen.

Für die Teilungsmöglichkeiten der Betriebsrenten hatte der Gesetzgeber die Barwerthalbteilung, die Rentenhalbteilung und die Rentenhalbteilung auf Basis geschlechtsneutraler Barwertfaktoren zugelassen. Alle diese drei Methoden hatten ihre Vor- und Nachteile, die von den Versorgungsträgern meist zu ihrem Vorteil genutzt wurden:

  • Die Barwerthalbteilung führt bei Kostenneutralität für den Versorgungsträger in bestimmten Fällen zu einem die Halbteilung verfehlenden Rentenertrag der ausgleichsberechtigten Person.
  • Die Rentenhalbteilung verfehlt in bestimmten Fällen die Kostenneutralität für den Versorgungsträger, dieser kann sparen, aber auch draufzahlen.
  • Die geschlechtsneutrale Barwertteilung führt – bei Kostenneutralität für den Versorgungsträger – in bestimmten Fällen zu einer Rente, die unter dem halben Rentenwert für die ausgleichspflichtige Person liegt.

Am häufigsten wird die Barwerthalbteilung praktiziert. Die ausgleichsberechtigte Person verliert dabei immer die Hälfte ihrer ehezeitlichen Rente. Der Rentenertrag für die ausgleichsberechtigte Person bleibt im Dunkeln, solange der Gesetzgeber den Versorgungsträgern nicht auferlegt, diesen beim Teilungsvorschlag mit anzugeben und öffnet daher Tür und Tor für Betrügereien. Welche ausgleichsberechtigte Frau im Alter 50 weiß am 31.12.2017, wie hoch die Rente aus 50.000 € Ausgleichswert ab ihrer Regelaltersgrenze sein müsste.[2]

Seltener ist die Rentenhalbteilung. Sie kann – geschlechts- und altersabhängig – die Kostenneutralität des Versorgungsträgers verletzen, ihn aber auch begünstigen. Sie ist für die Beteiligten transparent. Jeder bekommt die halbe ehezeitliche Rente, gleich wie alt oder weiblich man ist.

Ganz selten geschieht die Teilung auf der Basis geschlechtsneutraler Barwertfaktoren, die – wiederum geschlechts- und altersabhängig – dazu führen kann, dass beiden Ehegatten weniger als die Hälfte der ehezeitlich erworbenen Rente der ausgleichspflichtigen Person verbleibt. Ein solcher Fall lag der Entscheidung des BGH zugrunde. Die IBM wollte so teilen und scheiterte beim BGH, der kurzerhand dieses ‚Negerlein‘ für unzulässig erklärte:

  1. Der Halbteilungsgrundsatz gebietet es nicht nur, dass die ausgleichsberechtigte Person die Hälfte des in der Ehezeit erworbenen Anrechts abzüglich der anteiligen Kosten der Teilung erhält, sondern ebenso, dass der ausgleichspflichtigen Person die Hälfte des von ihr erworbenen Anrechts abzüglich der anteiligen Teilungskosten verbleibt (im Anschluss an Senatsbeschl. v. 17.2.2016 – XII ZB 447/13, BGHZ 209, 32 = FamRZ 2016, 775 = FamRB 2016, 176).

(BGH, Beschl. v. 7.3.2018 – XII ZB 408/14)

Nun fragt man sich verdutzt, wie denn Gerichte und Anwaltschaft erkennen sollen, welcher Rentenertrag für die beiden Ehegatten entstehen soll, wenn der Versorgungsträger sich weigert, diesen mitzuteilen. Denn – so der BGH – nur die ausgleichspflichtige Person ist halbteilungssensibel. Es existiert leider keine Verpflichtung des Versorgungsträgers mitzuteilen, um welchen Betrag die Rente der ausgleichspflichtigen Person durch den Versorgungsausgleich verringert wird. Ganz zu schweigen davon, dass fast alle Versorgungsträger sich beharrlich weigern, den Rentenerwartungswert für die ausgleichsberechtigte Person zu offenbaren.

Bei der externen Teilung ist es einfach, die Rentenerwartung für die ausgleichsberechtigte Person zu bestimmen: Der Kapitalwert wird in der gesetzlichen Rentenversicherung in Entgeltpunkte umgerechnet[3] und mit dem aktuellen Rentenwert multipliziert[4].

Bei der internen Teilung kann man den Rentenerwartungswert nur vom Versorgungsträger oder kostenträchtig von einem Gutachter bzw. Versicherungsmathematiker oder durch Anwendung des Ihnen auf der FamRB-Homepage kostenlos zur Verfügung gestellten BerechnungstoolsKapitalwertkontrolle im Versorgungsausgleich[5] erfahren. Das alles bleibt aber solange im obskuren Dunkel des Unwissens verborgen, solange Gerichte und Anwälte sich von den versicherungsmathematischen Zusammenhängen überfordert fühlen und ihre versorgungsausgleichsrechtliche Erkenntnisaversion pflegen.

Der Gesetzgeber bleibt aufgefordert, wenigstens an dieser Stelle das Gesetz zu ändern und den Versorgungsträgern aufzuerlegen, die Auswirkungen des Versorgungsausgleichs auf die Rente der ausgleichspflichtigen Person und die Rentenerwartung der ausgleichsberechtigten Person darzustellen. Anderenfalls wird die Entscheidung des BGH weitgehend wirkungslos verhallen, weil die Betroffenen zu spät merken, dass die ehezeitlich erarbeitete Rente zu stark gekürzt wird oder das Teilungsergebnis unangemessen niedrig ist. Der Tenor bindet nämlich den betrieblichen Versorgungsträger.[6] Was einmal familienrechtlich verkorkst wurde, ist rettungslos verloren.

Gerichte und Anwaltschaft bleiben aufgefordert, zur Kontrolle des angemessenen Teilungsergebnisses (§ 11 VersAusglG) den Versorgungsträger zu veranlassen, die Rentenerwartungen der Ehegatten nach dem Versorgungsausgleich zu dokumentieren.

Die Entscheidung des BGH hat aber auch noch andere Aspekte und offenbart bundesrichterliches Mitgefühl mit der Praxis:

„Selbst wenn die Teilungsordnung eindeutige Regelungen dazu enthält, wie der Kürzungsbetrag beim Ausgleichspflichtigen zu ermitteln ist, sind diese – in erster Linie an den Versicherungsmathematiker gerichteten – Beschreibungen regelmäßig sehr technisch gehalten und erschweren dadurch eine inhaltliche Kontrolle der Regelung durch Gericht und Verfahrensbeteiligte erheblich.“(Rz. 40)

Beherzt räumt der BGH denn auch gleich zwei andere Problemfelder ab:

Der Rententrend, also die Dynamik einer betrieblichen Altersversorgung in der Rentenbezugsphase, ist bei Ermittlung des korrespondierenden Kapitalwerts und damit auch des Ausgleichswerts mit zu berücksichtigen, selbst wenn nicht sicher vorausgesagt werden kann, wie hoch dieser Rententrend ist. Das Gesetz (§ 16 BetrAVG) lässt für betriebliche Altersversorgungen drei Möglichkeiten zu: Die Leistungsanpassung kann dadurch erfolgen,

  • dass jährlich die Renten um ein Prozent angehoben werden oder
  • alle drei Jahre die Renten nach Entwicklung des Verbraucherpreisindex angehoben werden oder
  • die Anhebung entsprechend der Entwicklung der Nettolöhne der vergleichbaren Arbeitnehmergruppen des Unternehmens im Dreijahreszeitraum erfolgt.

Der BGH entscheidet nun klipp und klar, dass der Rententrend bei der Bewertung der Versorgung zu berücksichtigen ist. In der Praxis muss dies dazu führen, dass Anwaltschaft und Gerichte zu prüfen haben, ob in der Auskunft des Versorgungsträgers ein Rententrend angegeben worden ist. Sieht die Versorgungsordnung eine Rentenerhöhung von ein Prozent pro Jahr vor, ist dieser Prozentsatz zugrunde zu legen. Erfolgt die Anhebung nicht nach einem festen Prozentsatz, kann für die anzunehmende Rentendynamik ein Steigerungssatz von 1,75 % bis 2 % angenommen werden. Im klassischen Scheidungsalter von 50 Jahren führt die Annahme eines Rententrends von einem Prozent zu einer etwa zehnprozentigen Steigerung des Ausgleichswerts.

Bei endgehaltsbezogenen Versorgungszusagen ist die Gehaltssteigerung zwischen Ehezeitende und der Entscheidung über den Versorgungsausgleich in die Entscheidung aufzunehmen und bei der Berechnung des Ausgleichswerts zu berücksichtigen. Dies ist nicht ganz unproblematisch. Eine nachehezeitliche Gehaltssteigerung beruht nämlich auf nachehezeitlich erbrachter Leistung der ausgleichspflichtigen Person. Dies gilt auch dann, wenn es sich nicht um einen Karrieresprung handelt. Deshalb ist vertreten worden, dass bei endgehaltsbezogenen Versorgungen der nachehezeitliche Versorgungszuwachs unberücksichtigt bleiben muss (Erman/Norpoth/Sasse, 14. Aufl., § 5 VersAusglG Rz. 8; differenzierend wie jetzt auch der BGH in Rz. 35 der Entscheidung: NK-FamR/Hauß, 3. Aufl., § 19 VersAusglG Rz. 8f.). Eine Gehaltssteigerung, die lediglich dem Inflationsausgleich dient, ist danach bei Bewertung der Versorgung zu berücksichtigen, eine Gehaltssteigerung, die auf individueller nachehezeitlicher Leistung der ausgleichspflichtigen Person beruht, wird nicht ausgeglichen (Karrieresprung).

Und zum Schluss noch der Hinweis: Mehr und mehr setzt sich die Erkenntnis durch, dass das Ehezeitende lediglich erforderlich ist, um die Höhe der ehezeitlich erdienten Versorgung zu bestimmen. Die Bewertung dieser Versorgung, also ihre Kapitalisierung, erfolgt zu einem entscheidungsnahen Zeitpunkt, weil auch die Umsetzung der Entscheidung des Gerichts in der Regel nicht zum Ehezeitende erfolgt, sondern nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung.

[1] Ich weiß um die mangelnde Korrektheit dieses ‚Unworts‘, die allerdings in der Miniaturisierung relativiert wird. ‚Farbige‘ passt rythmisch nicht und ist vielleicht auch nicht korrekt und ‚farbige Weiße‘ wäre soziologisch korrekt, im Lied aber nicht unterzubringen.

[2] Es sind ca. 378 € bei einem Rententrend von 1 %.

[3] Derzeit knapp 7.000 € pro Entgeltpunkt.

[4] Derzeit noch 31,03 €, ab 1.7.2018 32,03 €.

[5] Dazu Hauß, FamRB 2017, 122.

[6] BAG v. 10.11.2015 – 3 AZR 813/14, FamRZ 2015, 535 = FamRB 2016, 184.

Zahlensalat

Die Neufassung der Düsseldorfer Tabelle zum 1.1.2018 wirbelt immer noch Staub auf.[1] Die theoretische Aufregung über das Schicksal der Kinder, die unerwartet weniger Unterhalt als zuvor erhalten, ist groß, die praktische nicht. Die Gerichte melden keine Abänderungsanträge und die Sozial- und Gesundheitsbehörden keine kindliche Hungersnot. Gleichwohl werden Beiträge publiziert, deren Zahlendichte die Wortdichte fast übersteigt und die ahnen lassen, welch sprachzerstörende Wirkung Empörung haben kann.

Es lohnt sich, anlässlich der Neufassung der Düsseldorfer Tabelle über ihren Sinn zu reflektieren. Sie dient der erleichterten Ermittlung des ‚angemessenen Barbedarfs‘ eines unterhaltsbedürftigen Kindes. Ihre Umstrukturierung und die Neubemessung der Einkommensstufen war offenbar für viele überraschend. Die Tabelle leitet aus dem Einkommen eines Elternteils einen angemessenen Bedarf des Kindes ab. Allerdings muss nicht nur dieses angemessen alimentiert werden, sondern auch der Alimentierer. Dessen ökonomisches Siechtum löst aber nicht den Kinderschutzreflex aus, weil das ihm verbleibende Nettoeinkommen nicht augenfällig einer Tabelle entnommen werden kann, sondern errechnet werden muss.

Allüberall wird konstatiert, die Tabelle binde nicht. Wozu dann der Lärm? Ist der tabellarische Unterhalt für ein 10 Jahre altes Kind bei einem Elterneinkommen von 2.500 € in Höhe von 459 €[2] unangemessen und wäre ein Betrag in Höhe von 472 €[3] angemessener? Gibt es überhaupt eine Steigerungsform von ‚angemessen‘? Der Duden verneint das, die Logik auch.[4] Und welche Empörung wird erst einmal die Kindergelderhöhung zum 1.7.2019 um 10 € und Anfang 2021 um 15 € auslösen?[5] Da nimmt ‚die Tabelle‘ dem schutzbedürftigen Kind zum 1.1.2018 2,8 % seines Barbedarfs weg und schon bald wird der zahlende Elternteil infolge der hälftigen Kindergeldanrechnung schon wieder um 1,4 % entlastet. Gut nur, dass der Mindestbedarf des Kindes zum 1.1.2019 – was schon jetzt sicher ist – um 1,8 % heraufgesetzt wird.[6] Die Tabellenänderung zum 1.1.2019 ist schon gebucht.

Der ‚Fahrplan‘ für Eltern und Kinder lautet daher für den obigen Fall:

  • Abänderungsantrag am 1.1.2018 von 375 € auf (459 € – 97 € =) 362 €
  • Abänderungsantrag am 1.1.2019 von 362 € auf 369 €
  • Abänderungsantrag am 1.7.2019 von 369 € auf 364 €
  • Betreuungsantrag am 1.8.2019 von Amts wegen nach Eingang des letztgenannten Abänderungsantrags für Eltern, Kinder und Anwältinnen und Anwälte, die das begleiten.

Nachfragen bei Gerichten haben ergeben, dass die Änderung der Düsseldorfer Tabelle so gut wie keine Änderungsanträge verursacht hat. Auch die barunterhaltspflichtigen Elternteile wissen nämlich um die ökonomischen Bedürfnisse ihrer Kinder und die deutliche Ausweitung des Anwendungsbereichs der ersten Einkommensstufe hat die Luft gegeben, ‚Fünfe gerade sein zu lassen‘. Das gilt auch für die Staffelung der Einkommensstufen. Die recht grobe Rasterung in 400-Euro-Schritte erspart uns in der Praxis die kleinliche Auseinandersetzung um Berücksichtigung von Kosten der Kinderbetreuung in den Zeiten, in denen das Kind vom barunterhaltspflichtigen Elternteil betreut wird, und die buchhalterische Berücksichtigung anderer Bagatellbeträge. Die Grobrasterung der Einkommensstufen wirkt, wie § 18 VersAusglG wirken sollte: Die kleinkarierte ‚Wut über den verlorenen Groschen‘ ist sinnlos und kann deswegen ausbleiben. Auch barunterhaltspflichtige Eltern streiten nur selten außerhalb des Mangelfalls um Groschen. Die öffentliche Aufregung um die aus der Anhebung der Einkommensgrenzen resultierenden teilweise geringeren Zahlbeträge gedeiht auch deswegen so prächtig, weil der Kindesunterhalt oft immer noch als Strafe für die Trennung begriffen wird. ‚Dann soll er (nur selten sie) wenigstens ordentlich zahlen.‘

Der neue Zuschnitt der Düsseldorfer Tabelle war notwendig, weil eine Tabelle, die auf den Barbedarf zweier unterhaltsbedürftiger Kinder zugeschnitten ist (die Umstellung auf nur ein Kind bei unveränderten Einkommensstufen, ist von den Oberlandesgerichten abgelehnt worden), diesen in der ersten Einkommensstufe auch mangelfallfrei befriedigen muss. Die Veränderungen in der Altersgruppe 4 waren erforderlich, weil deren Mindestbedarf deutlich oberhalb des Existenzminimums lag.[7]

Man mag beklagen, dass die Berechnung des Kindesunterhalts nicht mehr ganz so computerkonform erfolgen kann und in geeigneten Fällen von den Bedarfssätzen der Düsseldorfer Tabelle abgewichen werden muss. Das ist sicher nicht strafbar. Der fach-literarische Zahlensalat, der um die neue Düsseldorfer Tabelle betrieben wird, lenkt davon ab, dass die Bestimmung des angemessenen Unterhalts JurJob[8] und nicht JurTech ist.

 

[1] Schürmann, Düsseldorfer Tabelle 2018, FamRB 2018, 32; Borth, Die neue Düsseldorfer Tabelle in der Kritik, FamRZ 2018, 407; Schwamb, Die Düsseldorfer Tabelle 2018 – eine bittere Pille für Kinder Alleinerziehender, FamRB 2018, 67; Wohlgemuth, Veränderung der Düsseldorfer Tabelle zum 1.1.2018 – kein großer Wurf, FamRZ 2018, 405; Viefhues, Weniger Kindesunterhalt ab 01.01.2018, FuR 2018, 20.

[2] Einkommensstufe 4 DDorfer Tabelle 2018 wegen einer geringeren Zahl unterhaltsberechtigter Personen.

[3] Einkommensgruppe 5 DDorfer Tabelle 2017.

[4] Angeklagter ist ja schließlich auch nicht die Steigerungsform von angeklagt.

[5] Koalitionsvertrag 2018 Rz. 696.

[6] Die Erhöhung des Bedarfs der ersten Einkommensstufe zum 1.1.2019 auf 353, 406 und 475 € ist bereits jetzt sicher.

[7] Und auch jetzt noch liegt.

[8] Phonetisch: Your Job.

Juristischer Sirtaki, die GroKo und Tabellentümelei

Der Film „Alexis Sorbas“ hat mindestens in gleichem Maße wie die Philosophen der Antike und die Finanzkrise den „Mythos Griechenland“ begründet. Da bauen die Bewohner eines vom – natürlich – blauen Meer umrahmten Dorfes mit großem Eifer eine Seilbahn auf den Hügel eines Berges, um das im Hinterland wachsende Holz zur Sanierung des maroden Bergwerks eines Amerikaners und ihrer eigenen wirtschaftlichen Lage zu nutzen. Das Werk wird vollendet, der Plan nicht. Der erste Holztransport reißt die ganze Anlage schon bei der Einweihung nieder und der Amerikaner ist pleite. Der Schock schlägt in berstende sirtakitanzende Lebensfreude um, als der Hauptprotagonist den Satz sagt: „He Boss, hast Du schon jemals gesehen, dass etwas so schön zusammenkracht?“[1].

Die Parallele dieses Films zum elektronischen Anwaltspostfach zu ziehen ist billig. Statt Trübsal über mangelnde technische Kompetenz im Facebook- und WhatsApp-Zeitalter zu blasen, dominieren die ‚Wir-haben-es-ja-immer-schon-gewusst‘-Juristen die hämischen Debatten in der Gerichtskantine.

Zurück am Schreibtisch wird in der Trennungssache X ./. Y der Unterhalt für y(6) und x(10) berechnet.[2] Die Kinder sind natürlich in Obhut der Mutter, die 2/3-schichtig 1.400 € verdient. Bereinigtes Einkommen des Vaters: 1.910 €. Umgangsrecht wie üblich, nur fährt der Vater x immer zusätzlich zu seinen Fußballturnieren am Wochenende und übernimmt auch die Beschaffung der Sportkleidung und die Kosten der Musikschule für y. Ein Blick in die Düsseldorfer Tabelle oder auf den Bildschirm: für x sind 322 € und für y 268 € zu berappen. Resteinkommen X: 1.320 €.

Nächste Akte: Scheidung (VKH) V ./. M. Heirat 2010, ein Kind, Trennung 2013, einverständlicher Scheidungsantrag 2016. Versorgungserwerb V: 0,855 EP, M: 4,3500 EP. Entscheidungsvorschlag des Gerichts zum Versorgungsausgleich: Halbteilung. Ein Blick auf Bildschirm, Taschenrechner oder – im Vertrauen darauf, dass der Richter die Daten richtig erfasst hat – aus dem Fenster und das Ergebnis wird abgenickt.

Begründung für beide Ergebnisse: Tabelle und Halbteilungsgrundsatz.

Bewertung der Ergebnisse: beide (wahrscheinlich) falsch.

Grund: Tabellen und Rechenprogramme können kein Jura.[3]

Die GroKo erwägt in ihrem Programm, die Selbstbehalts- und Bedarfssätze für Kinder ins Gesetz zu schreiben, weil die Strukturänderung der Tabelle zum Jahr 2018 so brutal aufgedeckt hat, dass wir in Deutschland ein Armutsproblem haben. Das zu kaschieren traut man sich selbst eher zu als der Jurisdiktion. Wenn nämlich der Kindesunterhalt auch nur minimal gesenkt wird, löst das einen archaischen Beschützerreflex und damit ein boulevardeskes Empörungsritual aus, dem sich die Politik offenbar nicht entziehen kann.

Um nun auf unsere beiden Fälle zurückzukommen:

  • Fall 1: Bei so knappem Erreichen der Einkommensgruppe 2 und der Übernahme von eigentlich aus dem Kindesunterhalt zu finanzierenden Bedarfen im Rahmen der von X übernommenen Betreuungszeiten (vulgo Umgangszeiten) kann auch eine Abgruppierung in Einkommensstufe 1 oder einen Zwischenwert berechtigt sein, oder man bereinigt das Einkommen des Vaters um einen Betreuungsbarbetrag für Fahrdienst und Sportbekleidungskosten (einschließlich der Currywurstverpflegung beim Bambini-Turnier). Schließlich bleibt der Mutter am Ende mehr Liquidität als dem Vater.
  • Fall 2: Ein Blick in den Versicherungsverlauf offenbarte bei M ehezeitliche Inhaftierung und Therapie und bei Y, dass ausschließlich Kindererziehungszeiten dem Versorgungserwerb zugrunde lagen. § 27 VersAusglG kann in diesen Fällen angewendet und der Mutter so geholfen werden.

Um auf die GroKo zurückzukommen: Wenn wir Angemessenheits- und Billigkeitsprüfungen den Rechnern und Tabellen überlassen und die mit deren Hilfe gefundenen Ergebnisse nicht auf ihren Gerechtigkeitsgehalt überprüfen, werden wir zu Opfern von Rechenprogrammen und Tabellen oder einer großen Koalition. Das wird auch dann nicht besser, wenn die Sätze im Gesetz stehen, sondern eher schlechter, weil noch zementierter. Es ist Sache der Anwaltschaft zu den Besonderheiten eines Falls vorzutragen, die tatsächlichen Kosten des Wohnens, die Betreuungskosten während des Umgangs und den Mehrbedarf eines musizierenden oder kickenden Kindes, aber auch berufs- oder sonstigen Mehrbedarf des barunterhaltspflichtigen Elternteils zu thematisieren. Es ist Sache der Richterschaft, solchen Vortrag zur Kenntnis zu nehmen, ihn abzuwägen und zu würdigen, anstatt ihn mit Verweis auf Tabellen, Leitlinien und Berechnungsprogramme abzubügeln und den Programmausdruck auch noch zur Urteilsbegründung zu machen.

Die Macher der Düsseldorfer Tabelle haben solche Öffnungsklauseln in die Tabelle und die Leitlinien geschrieben und damit die für Juristen nötige ‚Luft zum Atmen‘ implementiert. Die Tabelle selbst ist ja – zum Glück – kein Gesetz, sondern versteht sich als Hilfe zur Ermittlung eines angemessenen Ergebnisses. Würde sie juristisches Denken und Handeln ersetzen, brauchten Familienrechtler kein Studium, sondern eine EDV-Schulung.

Und um schließlich auf Alexis Sorbas zurückzukommen: Der bildschöne Crash der Technik hat die Rodung des Gemeindewaldes und die damit verbundene ökologische Sünde verhindert und den Sirtaki berühmt gemacht. Ich wünsche uns Familienrechtlern einen längeren Computercrash, die Zeit, die Anmerkungen zur Tabelle und die Leitlinien zum Unterhalt in Ruhe zu lesen, und dass wir dann juristischen Sirtaki tanzen, solange wir können, um lebensechte und -gerechte Ergebnisse zu erzielen.

[1] Kein Beitrag ohne Fußnote: www.youtube.com/watch?v=JQU6KApL3xI.

[2] X für Mann, Y für Frau, x für Bub, y für Mädchen.

[3] Weil der Satz so schlechtes Deutsch ist, prägt er sich besser ein.

Blick über den Zaun: Sperrzeit & Liebe (zu LSG Nds.-Bremen v. 12.12.2017 – L 7 AL 36/16)

Familienrecht wird nicht nur durch das Bundesverfassungsgericht und die Familiengerichtsbarkeit beeinflusst. Familienrecht ist überall und deshalb auch im Sozialrecht.

Lovestory:

Die 58-jährige F arbeitet mit einer Wochenarbeitszeit von 20 Stunden als Verkäuferin. Ihr Lebensgefährte, mit dem sie seit zwei Jahren zusammen und seit einem Jahr verlobt ist, wohnt 175 km von ihrem Wohnort entfernt. Aus diesem Grund verbringen die beiden lediglich Wochenenden, Freizeit und Urlaub gemeinsam und versorgen sich bei Krankheit wechselseitig. Um mit ihrem Partner zusammenzuleben, kündigt F ihren Arbeitsvertrag und zieht zu ihm. Zuvor hat sie sich intensiv am Wohnort ihres Freundes – wenn auch vergeblich – um Arbeit bemüht.

Verwaltungsstory:

Die Arbeitsverwaltung reagiert bürokratisch und verhängt gegen sie eine zwölfwöchige Sperrfrist nach § 159 SGB III, da die Begründung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft kein „wichtiger Grund“ zur Kündigung eines bestehenden Arbeitsverhältnisses sei; ein solcher sei aber erforderlich, um von der zwölfwöchigen Sperrung des Arbeitslosengeldes abzusehen. Die Arbeitsverwaltung stellt sich auf den Standpunkt, ein Sperrzeitenschutz der nicht ehelichen Lebensgemeinschaft bestehe erst, wenn ein auf Dauer angelegtes gemeinsames Wohnen mit dem Lebenspartner gegeben sei, weil erst dadurch die Ernsthaftigkeit der Beziehung dokumentiert werde (BSG v. 17.10.2007 – B 11a/7a AL 52/06 R).

Gerichtsstory:

Das Sozialgericht Hannover und das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen folgen diesem moralischen Rigorismus nicht. Der unbestimmte Rechtsbegriff des „wichtigen Grundes“ sei ausgehend von Sinn und Zweck der Vorschrift unter Beachtung der systematischen Einordnung im gesamten Gesetzeswerk inhaltlich auszufüllen. An erster Stelle des Abwägungsvorgangs müsse die Erkenntnis stehen, das die Sperrzeit weder eine Strafvorschrift noch ein Instrument zur Disziplinierung und Durchsetzung von gesellschaftlichen, religiösen oder moralischen Vorstellungen darstelle, sondern nur dem Schutz der Versichertengemeinschaft vor einer Manipulation des versicherten Risikos der Arbeitslosigkeit diene. Vor diesem Hintergrund erscheine es nicht mehr zeitgemäß, sondern zweifelhaft, die Anwendung der Sperrzeitvorschrift bei Arbeitsaufgabe wegen Umzugs bereits im Ansatz an einen familienrechtlichen Status anzuknüpfen. Als wichtige Gründe seien auch andere nicht statusabhängige Gründe anerkannt (gesundheitliche Gründe, Lage am Wohnungsmarkt, Schwangerschaft, Scheidung). Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, die einen Zusammenzug Nichtverheirateter als sperrzeitvermeidenden wichtigen Grund nicht akzeptiere, habe sich überlebt. Die Förderung von Ehe und Familie können nicht mehr durch sozialrechtliche Diskriminierung anderer Lebensentwürfe erfolgen. Zwar habe das Bundessozialgericht entschieden, ein ‚wichtiger Grund‘, der ein Absehen von der Sperrfrist ermögliche, sei die Aufrechterhaltung einer verfestigten nichtehelichen Lebensgemeinschaft. Diese Rechtsprechung sei jedoch nicht mehr zeitgemäß. Dem statusrechtlich bedeutsamen Verlöbnis sei kein sozialrechtliches Gewicht beizumessen. Entscheidend sei allein, ob die Partnerschaft nach außen erkennbar eine solche Dauerhaftigkeit und Kontinuität zeige, die von einem gegenseitigen Verantwortungsbewusstsein geprägt sei, dass diese in der Abwägung gegenüber den Interessen der Versichertengemeinschaft Vorrang genieße. Ein vorheriges gemeinsames Wohnen sei kein unerlässliches Kriterium.

Happy End:

Der auch im Familienrecht diskutierte Gedanke, die Förderung von Familie nicht an den Status der Ehe zu binden, beginnt auch im Sozialrecht Fuß zu fassen. Der Staat hat Lebensentwürfe seiner Bürger unabhängig von ihrem rechtlichen Status zu fördern und jegliche Diskriminierung zu unterlassen. Schließlich geht es um die Wahrung der persönlichen Bindungen der Bürger, völlig unabhängig davon, wie diese Bindungen und Beziehungen verrechtlicht sind. Wenn nichteheliche Lebensgemeinschaften niemandem schaden, können sie auch gefördert werden. Nur sollte man sie nicht übereifrig verrechtlichen. Viele Lebensgemeinschaften entstünden dann gar nicht erst.