Die familienrechtlichen Auswirkungen einer längeren Versöhnung der Eheleute nach einer Trennung

Nicht selten versuchen Eheleute nach einer Trennung oder sogar noch während eines laufenden Scheidungsverfahrens, ihre Ehe zu retten, und versöhnen sich für eine Weile wieder. Um die Eheleute nicht von solchen – vom Gesetzgeber offenbar gewünschten – Versuchen künstlich abzuhalten, sieht das Gesetz vor, dass das Trennungsjahr nicht von einem Zusammenleben über „kürzere Zeit“ unterbrochen wird (§ 1567 Abs. 2 BGB). Die Obergrenze, innerhalb der es sich noch um eine „kürzere Zeit“ handelt, beträgt nach der Rechtsprechung drei Monate des erneuten Zusammenlebens.

Die Rechtsfolgen einer längeren Versöhnung sind äußerst weitreichend. Wenn die Eheleute sich nach einer solchen Phase erneut trennen, kann nicht einfach an ein bereits anhängiges Scheidungsverfahren angeknüpft werden. Der ursprünglich eingereichte Scheidungsantrag müsste gegebenenfalls abgewiesen werden, weil das (neue) Trennungsjahr noch nicht abgelaufen ist. Dies gilt sogar dann, wenn beide Eheleute wieder geschieden werden möchten. Die Eheleute sind in diesem Fall gezwungen, erneut das Trennungsjahr abzuwarten, um dann die Scheidung erneut zu beantragen.

Mit der Einleitung eines neuen Scheidungsverfahrens verändert sich auch der Stichtag für die Berechnung des Zugewinnausgleichs. Erhebliche Vermögenssteigerungen oder Verluste eines der beiden Ehegatten während der Versöhnung und dem daran anschließenden weiteren Trennungsjahr sind also bei dem Ausgleich mit zu berücksichtigen. Auch die Altersvorsorge, die die Eheleute während dieser Phase aufgebaut haben, ist in den Versorgungsausgleich einzubeziehen.

Soweit mit dem ursprünglichen Scheidungsantrag bereits Folgesachenanträge (insbesondere Anträge auf Durchführung des Zugewinnausgleichs und auf nachehelichen Unterhalt) verbunden waren, sind auch diese mit der Zurückweisung bzw. der Rücknahme des Scheidungsantrags erledigt. Auch diese Anträge müssen nach Zustellung des neuerlichen Scheidungsantrags erneut gestellt werden. Die häufig ganz erheblichen Kosten für diese Gerichtsverfahren einschließlich Anwaltskosten und gegebenenfalls Kosten für Sachverständige fallen also doppelt an.

Mit der Zurückweisung bzw. Rücknahme des Scheidungsantrags lebt auch das Erb- und Pflichtteilsrecht des Ehegatten wieder auf. Dieses entfällt erst dann wieder, wenn nach Ablauf des weiteren Trennungsjahrs der neue Scheidungsantrag zugestellt wird.

Soweit noch ein Unterhaltstitel bezüglich des Trennungsunterhalts vorliegt, wird dieser mit dem Ablauf der längeren Versöhnungszeit zwar nicht unwirksam, der Trennungsunterhaltsanspruch entfällt allerdings und eine Vollstreckung aus dem Alttitel könnte im Wege des Vollstreckungsgegenantrags abgewehrt werden (s. nur Musielak/Borth, FamFG, 6. Aufl. 2018, § 238 Rz. 14).

Wirksam bleiben allerdings Unterhaltstitel bezüglich des Kindesunterhalts, da der Kindesunterhalt auch während längerer Versöhnungsphasen geschuldet bleibt.

Der beste Freund des Menschen nur ein Haushaltsgegenstand? (OLG Nürnberg v. 20.12.2016 – 10 UF 1249/16)

Die Formen des familiären Zusammenlebens haben sich grundlegend verändert. Die noch das letzte Jahrhundert bestimmende klassische Rollenverteilung hat sich ebenso gewandelt, wie auch die tatsächliche Zusammensetzung der Haushalte. Der ehedem „klassischen Familie“, bestehend aus Eltern und Kindern, stehen zunehmend Haushalte von kinderlosen Paaren gegenüber und eine ebenso steigende Zahl von Haustieren, die in diesen Haushalten leben. Unabhängig davon, ob man diese Haustiere als „Kinderersatz“ bewertet, gilt in jedem Fall, dass sie für ihren jeweiligen Halter regelmäßig einen hohen Stellenwert besitzen. Die mit der Trennung der Paare dann einhergehenden Fragen zum künftigen Schicksal des Haustieres haben nicht nur längst auch die Gerichte erreicht, sondern werden häufig mit der gleichen Vehemenz geführt, wie sie für kindschaftsrechtliche Verfahren typisch sind. Neben dem familiengerichtlich erstrebten „Umgang“ mit dem Haustier bedarf es häufig der gerichtlichen Entscheidung zu der vorgelagerten Fragestellung, bei welchem Ehegatten denn künftig das Haustier leben soll.

Mit einer entsprechenden Fragestellung hat sich das OLG Nürnberg auseinandergesetzt (FamRB 2017, 85). Die dort beteiligten Ehegatten hielten bis zu ihrer Trennung insgesamt 6 Hunde, von denen 4 während der Ehe angeschafft worden waren. Alle Tiere blieben nach der Trennung bei der Ehefrau, die gerichtlich die Herausgabe des größeren der beiden vorhandenen Fahrzeuge beantragte unter Verweis darauf, dass sie dieses für den Transport der Tiere benötige. Erst im weiteren Verlauf dieses Verfahrens wurde dann seitens des Ehemannes die „Zuweisung“ von 3 Hunden beantragt, wobei sich die Ehegatten in dem geführten Verfahren dann zwar hinsichtlich der Haushaltsgegenstände im Übrigen vergleichsweise verständigen konnten, nicht jedoch zum Aufenthalt der Tiere. Die Entscheidung des Familiengerichts, wonach der Ehefrau die Tiere insgesamt zugewiesen wurden, hat das OLG Nürnberg bestätigt auf der Grundlage einer umfassenden Billigkeitsabwägung.

Die rechtliche Situation stellt sich so dar, dass grundsätzlich körperliche Gegenstände als Sachen i.S.d. § 90 BGB bewertet werden. Zwar sieht die auf den Grundsätzen des Tierschutzes aufbauende Regelung des § 90a BGB vor, dass Tiere keine Sachen sind, lässt im Ergebnis jedoch offen, welche rechtliche Qualifizierung Tieren de facto zukommt. Sie werden daher in Rechtsprechung und Literatur typischerweise als körperliche Gegenstände eigener Art bewertet, die rechtlich wie Sachen behandelt werden, d.h. die Vorschriften über Sachen finden letztlich entsprechende Anwendung.

Leben Ehegatten voneinander getrennt, so kann für die Dauer des Getrenntlebens eine Verteilung der Haushaltsgegenstände geltend gemacht werden.

Unabhängig von Anschaffungszeit, Motiv der Anschaffung und dem Wert, versteht man unter Haushaltsgegenständen alle Gegenstände, die nach den Vermögens- und Lebensverhältnissen der Familie für das Zusammenleben sowie für die Wohn- und Hauswirtschaft bestimmt sind. Neben den unstreitigen Dingen, wie etwa Wohnungseinrichtung, Geschirr und Wäsche wird in der Praxis häufig die rechtliche Qualifizierung eines Pkw diskutiert, der aber nur ausnahmsweise dann als Haushaltsgegenstand bewertet werden kann, wenn er überwiegend für familiäre Fahrten, Einkäufe, im Zusammenhang mit der Kindesbetreuung oder ähnlichem genutzt wird. Nicht vom Begriff des Haushaltsgegenstands umfasst werden Sachen, die dem persönlichen Gebrauch, individuellen Interessen oder beruflichen Zwecken eines Ehegatten zuzuordnen sind. Auf Haustiere findet § 1361a BGB entsprechende Anwendung.

Bei der für die Dauer des Getrenntlebens vorzunehmenden vorläufigen Nutzungsregelung ist danach zu differenzieren, ob ein Haushaltsgegenstand im Alleineigentum eines Ehegatten steht, d.h. insbesondere von ihm bereits vorehelich erworben wurde, oder aber Miteigentum besteht. Ist das Alleineigentum eines Ehegatten zu bejahen, so kann der Nichteigentümer die Überlassung nur dann verlangen, wenn er die Gegenstände zur Führung eines abgesonderten Haushalts benötigt. Die Überlassung muss dabei der Billigkeit entsprechen, so dass eine Abwägung zwischen der Notwendigkeit der Gebrauchsüberlassung einerseits und den Belangen des Eigentümers andererseits vorzunehmen ist. Besondere Bedeutung haben die Interessen der im Haushalt lebenden Kinder. Gegenüberzustellen ist die Situation bei bestehendem Miteigentum. Dieses wird hinsichtlich der während der Ehe für den gemeinsamen Haushalt angeschafften Gegenstände vermutet, es sei denn der das Alleineigentum behauptende Ehegatte kann den Gegenbeweis führen. Im Miteigentum stehende Gegenstände werden nach den Grundsätzen der Billigkeit verteilt. Neben den Interessen der Kinder ist im Rahmen dieser Abwägung auch zu berücksichtigen, welcher Ehegatten den Gegenstand dringender benötigt bzw. ihn – auch aus wirtschaftlichen Erwägungen folgend – leichter entbehren kann.

Soweit sich die Billigkeitsabwägung auf Haustiere erstreckt, darf nicht unberücksichtigt bleiben, welches Interesse ein Ehegatte – auch aus dem Inhalt seiner gerichtlichen Schriftsätze folgend – an dem jeweiligen Tier bislang zum Ausdruck gebracht hat. Zudem sind tierschutzrechtliche Aspekte beachtlich, etwa die Tatsache, dass ein Hund ein Rudeltier ist – ein Gesichtspunkt, der bei der Entscheidung des OLG Nürnberg eine Rolle spielte.

In der Praxisberatung sollte zwingend verdeutlicht werden, dass auf Haustiere kindschaftsrechtliche Erwägungen keine Anwendung finden. Ebenso darf aber auch nicht aus dem Blick verloren werden, dass Haustiere für zahlreiche – vor allem ältere – Menschen einen hohen emotionalen Stellenwert haben. Ob einer der Beteiligten sein Begehren tatsächlich an einem echten Interesse für das Tier ausrichtet, sollte daher sowohl mit Blick auf das Tier selbst als auch den jeweils anderen Ehegatten sorgfältig geprüft werden.

Unerwartete Rechtsfolgen einer Ehe – Wohnungszuweisung wegen Übernachtungsbesuchen der neuen Partnerin

Es ist offenbar unüblich, sich bei Eingehung einer Ehe über die Rechtsfolgen einer etwaigen späteren Trennung und Scheidung Gedanken zu machen. Letztlich hätte das allerdings auch wenig Sinn, denn das gesamte Familienrecht wimmelt nur so vor unbestimmten Rechtsbegriffen, die den Ausgang etwaiger gerichtlicher Streitigkeiten ohnehin so gut wie unvorhersehbar machen. Mandanten ist das nur schwer zu vermitteln. Gefragt nach der voraussichtlichen Dauer des nachehelichen Unterhaltsanspruchs des Ehepartners, zitiere ich häufig das Gesetz: „Der nacheheliche Unterhalt ist zeitlich zu begrenzen, wenn ein zeitlich unbegrenzter Unterhaltsanspruch … unbillig wäre.“. Ach so … Nach der Lektüre des Gesetzes weiß man nicht mehr als vorher. Als Rechtsanwalt bleibt einem nur noch zu versuchen, auf der Grundlage einer Vielzahl von Einzelentscheidungen nach und nach gewisse Wahrscheinlichkeiten auszumachen. Wie wenig man Einzelfallentscheidungen vorhersagen kann, die durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe vom Gesetzgeber erzwungen werden, zeigt beispielsweise ein Beschluss des OLG Hamm v. 28.12.2015 – II-2 UF 186/15, FamRZ 2016, 1082:

In diesem Fall wurde die Eigentumswohnung des Ehemannes seiner Ehefrau zur alleinigen Nutzung zugewiesen, obwohl die Wohnung im Alleineigentum des Ehemannes stand. Der Ehemann durfte also seine eigene Wohnung nicht mehr betreten, geschweige denn, seine Ehefrau der Wohnung verweisen. Immerhin erfolgte die Ehewohnungszuweisung nur befristet bis zum Ablauf des Trennungsjahres. Das Gesetz sieht in § 1361b Abs. 1 BGB für die Trennungszeit vor, dass die Ehewohnung einem der beiden Ehegatten zur alleinigen Nutzung zugewiesen werden kann, wenn das weitere Zusammenleben mit dem anderen für den Antragsteller eine „unbillige Härte“ bedeuten würde. Wann eine solche „unbillige Härte“ anzunehmen ist, lässt sich dem Gesetz allerdings nicht entnehmen. Immerhin ist vorgeschrieben, dass bei der Entscheidung etwaiges Alleineigentum an der Ehewohnung „besonders zu berücksichtigen“ ist. Das OLG Hamm nahm in dem am 28.12.2015 entschiedenen Fall eine „unbillige Härte“ für die Ehefrau an, weil der Ehemann seiner neuen Lebensgefährtin mehrfach gestattet hatte, bei ihm zu übernachten, und sie ihn zudem sehr häufig tagsüber zu Hause besuchte. Das Alleineigentum des Ehemannes an der Wohnung wurde in der Weise „besonders berücksichtigt“, dass die Ehewohnungszuweisung nicht für die gesamte Trennungszeit, sondern nur für das Trennungsjahr ausgesprochen wurde. Die Tatsache, dass die Ehefrau statt einer Ehewohnungszuweisung auch mit Erfolg hätte beantragen könne, ihrem Ehemann und seiner Lebensgefährtin dies zu untersagen, wird in der Entscheidung des OLG Hamm nicht erwähnt.

Fazit: Das Trennungs- und Scheidungsfolgenrecht hält für Mandanten wie für Rechtsanwälte viele Überraschungen bereit. Aus der im Familienrecht leider besonders häufigen Verwendung unbestimmter Rechtsbegriff im Gesetzestext, wie etwa desjenigen der „unbilligen Härte“, ergibt sich eine schwer erträgliche Rechtsunsicherheit. Klarere Regelungen durch den Gesetzgeber wären wünschenswert, auch wenn die Ergebnisse dieser Regelungen in der Praxis im Einzelfall „unbillig“ sein mögen. Sollte dies tatsächlich einmal der Fall sein, kann ausnahmsweise immer noch von der gesetzlichen Regelung abgewichen werden, wie dies auf jedem Rechtsgebiet der Fall ist. Wenn nebulöse Formulierungen wie „unbillige Härte“, „unzumutbar“ u.Ä. zum Regelfall im Gesetzestext werden, wie es im Familienrecht der Fall ist, hat der Gesetzgeber versagt. Klare Regelungen sollen hier anscheinend aus politischen Gründen vermieden werden, damit auf diesem hochsensiblen und emotionalen Gebiet am Ende die Juristen, nicht aber die eigentlich zuständigen Parlamentarier schuld sind. In der Praxis führt das bei den Betroffenen zu sehr viel vermeidbarem Leid.

Standesamts-, Notars- oder Gerichtsscheidung

Bericht über das 13. Symposium für Europäisches Familienrecht mit dem Thema: „Scheidung ohne Gericht? – Neue Entwicklungen im europäischen Scheidungsrecht“

Im Jahr 2008 hat sich die Anwaltschaft erfolgreich gegen die Notarscheidung in Deutschland gewehrt. Unter der Flagge des ‚Schutzes des Schwächeren vor Übervorteilung‘, betrieb die deutsche Anwaltschaft ein berufspolitisches Artenschutzprogramm, dessen Schutzobjekt der Scheidungsanwalt war.

Schaut man sich indessen in Europa um, so scheint Deutschland FFH-Gebiet für Scheidungsanwälte zu sein. Europaweit wird Scheidungswilligen zunehmend die Standesamts- oder Notarscheidung, manchmal auch beides angeboten. Dies jedenfalls ist die Quintessenz des 13. Symposiums für Europäisches Familienrecht, das vom 6. bis 8. Oktober in Regensburg stattgefunden hat.

So mancher Familienrechtler fragt sich ja schon länger, warum

  • wir einen Scheidungsgrund (Zerrüttung) brauchen, wenn es für die Eheschließung keines Grundes bedarf,
  • wir volljährigen Scheidungswilligen ein Trennungsjahr aufnötigen, wenn die Ehe ohne Wartezeit ratzfatz geschlossen werden kann,
  • wir die standesamtliche Beurkundung der Eheschließung zur Begründung der Ehe ausreichen lassen, den kontradiktorischen Akt aber dem Richter vorbehalten.

Diese dogmatischen Fragezeichen beantworten wir regelmäßig mit dem Argument,

  • die Ehegatten seien vor übereilter Scheidung,
  • ihre Kinder vor den Trennungsschäden,
  • der schwächere Ehegatte vor Übervorteilung und sozialem Abstieg

zu schützen.

Unüberlegte Haus- und Autokäufe lassen wir indessen zu, obwohl sie meist deutlich gravierendere ökonomische Folgen zeitigen. Auch greift der Staat nicht im Trennungs-, sondern erst im Scheidungsfall zum Kinderschutz, obwohl dieser im Zeitpunkt der Trennung doch viel wichtiger wäre.

Es ist nicht zu befürchten, dass der schwächere Scheidungspartner ‚über den Tisch gezogen‘ und entrechtet wird, wenn die Scheidung ziviler geschähe. Eine Rechtsbelehrung durch den den Scheidungswusch der Ehegatten beurkundenden Notar oder Standesbeamten ist ja wohl möglich und würde durch diese Urkundspersonen weit besser erfolgen, als durch den um seine Unbefangenheit bangenden Familienrichter. Bislang hat auch noch niemand eine zwingende Rechtsberatung vor der Eheschließung gefordert, um die durch diese ausgelösten teilweise als ruinös empfundenen wirtschaftlichen Folgen den Ehewilligen vor Augen zu führen.

Unser Gesetzgeber hat das Verbundverfahren eingeführt, das alles so komplex und schwierig macht. Im Versorgungsausgleich ist der Verbund nicht nötig, wenn die Beteiligten noch keine Rente beziehen. Sind sie Rentenbezieher, muss ohnehin eine unterhaltsrechtliche Übergangslösung bis zur Umsetzung der rechtskräftigen Versorgungsausgleichsentscheidung gefunden werden, weil nur selten die Höhe des späteren Versorgungszuflusses zuverlässig zu prognostizieren ist. Im Zugewinnausgleich ist das Verbundverfahren meist ein Anwaltsfehler und dient der Verfahrensverschleppung und Prolongierung des Trennungsunterhalts, also sachfremden Zwecken.

In meine Praxis kommen die Menschen notgedrungen, um einen Scheidungsantrag zu stellen, nicht weil sie sich der Scheidung widersetzen wollen. Und sie kommen, weil ihre wirtschaftlichen Belange nicht geklärt sind oder hinsichtlich bestimmter Kindschaftsfragen keine Einigkeit besteht. Das würde auch dann so bleiben, wenn die Ehescheidung beim Standesbeamten beurkundet würde.

Für Portugiesen, Spanier, Italiener und wohl auch bald die Franzosen, die Skandinavier und andere ist auch nicht das Abendland untergegangen, weil sie die Scheidung wieder ein Stück weit privatisiert haben. Luther setzte dem sakramentalen Charakter der Eheschließung entgegen, sie sei ‚ein weltlich Ding‘. Vielleicht ist es nach 500-jähriger Okkupation der Ehe durch den Staat im Hinblick auf Art. 1 und 2 GG an der Zeit, darüber nachzudenken, die Eheschließung und Scheidung wieder zu privatisieren. Das verhindert nicht die in Art. 6 GG geforderte staatliche Förderung der Ehe. ‚Pactum facit nuptias‘ galt im Römischen Recht. ‚Back tot he roots‘ ist manchmal ein Fortschritt. Trotzdem ist es unendlich schwierig, ein seit mehr als tausend Jahren bestehendes kulturelles Institut zu entmystifizieren. Gegen die dadurch verursachte Enttäuschung ist die juristische Dogmatik vielleicht machtlos.

 

 

 

 

Verzicht auf Trennungsunterhalt immer unwirksam – Verbleiben nach der neueren Rechtsprechung des BGH überhaupt noch Gestaltungsmöglichkeiten?

Sehr häufig wird von Eheleuten, die in Trennung leben, der Wunsch an die beratenden Rechtsanwälte herangetragen, sämtliche Trennungs- und Scheidungsfolgen abschließend endgültig zu regeln, da ein großes Bedürfnis nach Planungssicherheit für die Zukunft besteht. Fast immer sind die Eheleute in diesen Fällen auch bereit, etwaige finanzielle Nachteile, die sich aus einer solchen endgültigen und abschließenden Regelung ergeben könnten, zu Gunsten des Rechtsfriedens hinzunehmen. Entsprechend entsetzt reagieren die Mandanten in diesen Fällen meist auf den Hinweis, dass ein Verzicht auf den Trennungsunterhalt (den zwischen Trennung und Rechtskraft der Scheidung zu zahlenden Unterhalt) für die Zukunft schlicht nicht möglich ist. Selbst durch notariell beurkundeten Vertrag kann allenfalls auf den nachehelichen Unterhalt (den nach Rechtskraft der Scheidung zu zahlenden Unterhalt) verzichtet werden. Der Verzicht auf den Trennungsunterhalt für die Zukunft ist hingegen gesetzlich vollständig ausgeschlossen (§ 1614 Abs. 1 BGB). Angesichts der Vielzahl von Möglichkeiten, eine Scheidung auch nach Abschluss einer Trennungs- und Scheidungsfolgenvereinbarung über Monate, wenn nicht gar Jahre, zu verzögern und der häufig ganz erheblichen Höhe der im Raum stehenden Unterhaltsansprüche, ergibt sich durch diese Rechtslage eine für die Einigungsbereiten meist schwer erträgliche Unsicherheit. Daher bemühen sich Rechtsanwälte und auch Notare immer wieder, Möglichkeiten zu finden, das gesetzliche Verbot des Verzichts auf den Trennungsunterhalt für die Zukunft – dem Wunsch ihrer Mandanten entsprechend – zu umgehen oder zumindest so gut wie möglich aufzuweichen.

I. Bisherige Umgehungsversuche

  1. „pacta de non petendo“

Bis zur Entscheidung des BGH v. 29.1.2014 – XII ZB 303/13, FamRZ 2014, 629 = FamRB 2014, 162 war es beispielsweise nicht unüblich, dass in den Trennungs- und Scheidungsfolgenvereinbarung zwar nicht auf den Unterhaltsanspruch als solchen verzichtet wurde, sondern stattdessen vereinbart wurde, dass der Unterhaltsanspruch zwar Bestand haben sollte, die Vertragsparteien diesen aber nicht geltend machen würden (sog. pacta de non petendo). Mit diesem doch recht augenfälligen Versuch, die gesetzliche Regelung zu umgehen, hat der BGH mit dem genannten Beschluss aufgeräumt und ganz klar erklärt, dass auch eine solche Vereinbarung unwirksam ist, weil sie letztlich die gleichen Folgen zeitigt wie ein ausdrücklicher Verzicht auf den Trennungsunterhalt für die Zukunft.

  1. Festlegung einer Höchstgrenze für den Trennungsunterhalt

Seither wird in Trennungs- und Scheidungsfolgenvereinbarungen häufig versucht, wenigstens eine Höchstgrenze für den Trennungsunterhalt festzulegen. Auch die Festlegung einer Höchstgrenze ist allerdings nach dem Beschluss des BGH v. 30.9.2015 – XII ZB 1/15, FamRZ 2015, 2131 = FamRB 2015, 447 grundsätzlich als Verstoß gegen das gesetzliche Verbot eines Verzichts auf den Trennungsunterhalt anzusehen. Einen gewissen Spielraum lässt der BGH den Anwälten und Mandanten immerhin, indem er Regelungen, die einen um nur bis zu 20 % niedrigeren als den geschuldeten Trennungsunterhaltsbetrag als Höchstgrenze festlegen, noch als „Ausgestaltung“ des Trennungsunterhaltsanspruchs akzeptiert und hierin somit keinen unzulässigen Verzicht sieht.

II. Risiken einer unwirksamen Regelung zum Trennungsunterhalt in einer Trennungs- und Scheidungsfolgenvereinbarung

Auch wenn der BGH in seiner neueren Rechtsprechung den Eheleuten hier einen gewissen Gestaltungsspielraum einräumt, ist es äußerst risikoreich, eine Höchstgrenze für den Trennungsunterhalt in eine Trennungs- und Scheidungsfolgenvereinbarung aufzunehmen.

Einer der Risikofaktoren liegt darin, dass es den beratenden Anwälten in diesen Fällen häufig unmöglich ist, auch nur annähernd festzustellen, wie hoch der geschuldete Trennungsunterhalt tatsächlich wäre. Gerade einigungsbereite Eheleute haben häufig (verständlicherweise) keinerlei Bedürfnis, sich wochen- und monatelang mit ihren Einkommens- und Darlehensunterlagen oder gar teuren Sachverständigengutachten bzgl. Wohnwerten o.ä. auseinanderzusetzen.

Selbst wenn eine annähernd zutreffende Schätzung gelingt, kann eine ursprünglich noch wirksame Höchstgrenze für den Trennungsunterhalt, die nur 20 % unter dem gesetzlich geschuldeten liegt, im Lauf der Zeit unwirksam werden. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn sich etwa durch eine Einkommenserhöhung des Unterhaltsschuldners oder durch einen Einkommenseinbruch des Unterhaltsberechtigten der Trennungsunterhaltsanspruch nachträglich erhöht.

Noch schlimmer wird es dann, wenn versäumt wurde festzuhalten, dass die übrige Trennungs- und Scheidungsfolgenvereinbarung auch dann weiter gelten soll, wenn die Regelung zum Trennungsunterhalt unwirksam sein sollte. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist nämlich ohne eine solche ausdrückliche Regelung grundsätzlich davon auszugehen, dass die Unwirksamkeit einer Vertragsklausel sich auf den gesamten Vertrag erstreckt (§ 139 BGB). Mit dem Wegfall der Regelung zum Trennungsunterhalt sind ggf. dann also auch etwaige Verzichtserklärungen bzgl. nachehelichem Unterhalt und Zugewinnausgleich hinfällig.

III. Zusammenfassung

Ein Verzicht auf den Trennungsunterhalt für die Zukunft ist immer unwirksam. Das gilt auch für vertragliche Gestaltungen, die zwar keinen ausdrücklichen Verzicht auf den Anspruch beinhalten, aber sich im Ergebnis genauso auswirken. Auch ein teilweiser Verzicht auf den Trennungsunterhalt in Form einer Höchstbetragsklausel ist unwirksam. Dies gilt auch dann, wenn zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses der vereinbarte Betrag dem tatsächlich geschuldeten Betrag entsprach, sich der Unterhaltsanspruch jedoch durch Änderung der Einkommensverhältnisse im Nachhinein erhöht. Nur dann, wenn die Höchstbetragsregelung noch als „Ausgestaltung“ des gesetzlichen Unterhaltsanspruchs betrachtet werden kann, hält eine solche Regelung stand. Dies ist nur dann der Fall, wenn der vereinbarte Unterhalt nicht mehr als 20 % unter dem gesetzlich geschuldeten liegt. Ist eine Vertragsklausel in einer Trennungs- und Scheidungsfolgenvereinbarung unwirksam, so gilt dies im Zweifel für den gesamten Vertrag.

IV. Gestaltungshinweise

  1. Wenn Eheleute und ihre Anwälte den geringfügigen Gestaltungsspielraum von 20 % nutzen wollen, den der BGH ihnen bzgl. des Trennungsunterhalts lässt, muss ausnahmslos ausdrücklich klargestellt werden, dass der restliche Vertrag auch dann weiter gelten soll, wenn diese Klausel unwirksam sein sollte, da andernfalls immer die Gefahr besteht, dass das gesamte Vertragsgebäude zusammen bricht.
  2. Unwirksam dürfte m.E. auch eine Regelung sein, mit der der Unterhaltsberechtigte dynamisch auf jeweils 20 % des Trennungsunterhaltsanspruchs verzichtet, denn einen bewussten Verzicht dürfte der BGH auch dann nicht mehr aus „Ausgestaltung“ anerkennen, wenn dieser sich nur auf 20 % des tatsächlich geschuldeten Unterhalts beläuft.

Hinweis auf das 13. Symposium für europäisches Familienrecht

Im Zusammenhang mit dem vorgehenden Blogbeitrag von Herrn Rechtsanwalt Hauß zur u.a. „Entdramatisierung der Scheidung: Standesamtsscheidung“ weist die FamRB-Redaktion auf das thematisch passende 13. Symposium für europäisches Familienrecht hin:

Scheidung ohne Gericht? – Neue Entwicklungen im europäischen Scheidungsrecht

6. bis 8. Oktober 2016, Regensburg

Das Scheidungsrecht hat in den europäischen Ländern seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts tiefgreifende Änderungen erfahren. Das betrifft zum einen das Recht der Scheidungsgründe: Die Tendenz geht seitdem dahin, die Scheidung zu erleichtern. Neben die Liberalisierung der Scheidungsgründe tritt zum anderen aber auch mehr und mehr der Gedanke der zwischen den Ehegatten vereinbarten Scheidung als Ausfluss der Privatautonomie. Innerhalb des herkömmlichen Systems, das die Auflösung der Ehe an eine Gerichtsentscheidung bindet, erfolgt die einverständliche Scheidung durch entsprechende Erklärungen der Ehegatten gegenüber dem Gericht, die dann die Grundlage der richterlich ausgesprochenen Scheidung bilden. In neueren Reformen einiger Länder, etwa in Italien, wird demgegenüber auf die Mitwirkung einer richterlichen Erkenntnis verzichtet: Die Scheidung erfolgt privatautonom durch Vereinbarung oder Erklärungen gegenüber den für die Registrierung zuständigen Stellen.

Das 13. Symposium für europäisches Familienrecht will anlässlich dieser neueren Entwicklungen den derzeitigen Stand des europäischen Scheidungsrechts rechtsvergleichend in den Blick nehmen, auch um eine Grundlage für eine rechtspolitische Diskussion in Deutschland zu legen.

Themen:

  • Entwicklung des deutschen Scheidungsrechts
  • Länderberichte zu Belgien, den Niederlanden, Frankreich, Großbritannien, Italien, Norwegen, Österreich, Polen, der Schweiz, Slowenien, Spanien und der Tschechischen Republik
  • Blick in das Scheidungsrecht der islamischen Länder
  • Neue Entwicklungen im Scheidungsrecht als Herausforderung für das Internationale Privat- und Verfahrensrecht

Die Tagungsunterlagen können angefordert werden bei:
Prof. Dr. Anatol Dutta, M. Jur (Oxford)
Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung
Universität Regensburg
93040 Regensburg
Tel.: +49 941 – 9432281; Fax: +49 941 – 9434980
e-Mail: christa.kraemer-eul@ur.de
Das Tagungsprogramm ist abrufbar unter http://dutta.uni-regensburg.de/symposium2016.

Durch die Teilnahme an den Fachvorträgen und Diskussionen können auf Antrag 15 Zeitstunden im Sinne des § 15 der Fachanwaltsordnung bescheinigt werden.

Komplexität und Verfahrensdauer als Stressoren eliminieren

Ich las kürzlich in einer psychologischen Fachzeitschrift, Trennung und Scheidung seien für ca. 80 % der Patienten eine der wichtigen Ursachen, die den Behandlungsbedarf ausgelöst hätten. Ob die Zahl stimmt, kann ich nicht prüfen. Sie klingt aber plausibel und ist gleichzeitig erschütternd. Als Familienrechtler verbietet es sich, fachfremde Überlegungen über die Auswirkungen des Verlustes eines Lebensabschnitts und manchmal auch einer Perspektive anzustellen. Wir können aber darüber diskutieren, welchen Beitrag das materielle und verfahrensrechtliche Familienrecht leisten kann, Trennung und Scheidung für die Menschen leichter erträglich zu gestalten.

1. Entdramatisierung der Scheidung: Standesamtsscheidung

Selbst auf die Gefahr hin, mit der Anwaltschaft in einen standespolitischen Konflikt zu geraten, sollten wir darüber nachdenken, ob es wirklich erforderlich ist, die Auflösung der Ehe durch das Gericht aussprechen zu lassen. Schließlich wird die Ehe auch nicht vom Gericht geschlossen, sondern von den Ehegatten, die sich – beurkundet vom Standesbeamten – versprechen, lebenslang ein Paar zu sein.

Rast nicht die Welt in allen Strömen fort,
und mich soll ein Versprechen halten?

heißt es im Faust und nicht nur dort. Die Ehe ist ein Vertrag. Die Auflösung eines Vertrages geschieht durch Kündigung und in der Regel in der gleichen Form des Vertragsschlusses. Um das versprochene Bündnis aufzulösen, bedarf es nicht des Richters. Das können die Ehegatten selbst. Und um die mit der Ehe verbundenen steuerlichen und sozialrechtlichen Privilegien beweisfest zu beseitigen, bedarf es der staatlichen Beurkundung des Anfangs und des Endes des Vertrages. Mehr nicht. Gibt es streitige Ehescheidungen? Ich habe in 30 Jahren Familienrecht keine erlebt, wohl aber Streit um Unterhalt, Kinder, Versorgungsausgleich und die Vermögensverteilung, aber nie um den Fortbestand einer gescheiterten Ehe.

Wo bleibt dann der staatliche Schutzschild für die Gatten vor Übervorteilung und für die Kinder? Dafür müssen die Gerichte zuständig bleiben. Aber auch nur dafür. Ein Unterhaltsanspruch besteht unabhängig vom Scheidungsausspruch. Er setzt einen anerkennenswerten Bedarf, Bedürftigkeit und Leistungsfähigkeit voraus. Daran ändert auch die Standesamtsscheidung nichts. Auch heute können Ehegatten geschieden werden, ohne dass der Unterhalt gesichert ist. Sie brauchen den Unterhaltsanspruch nur nicht geltend zu machen.

Die Standesamtsscheidung löst nicht alle Probleme, sie schafft aber auch keine und entdramatisiert den Trennungsprozess.

2. Komplexitätsreduktion: Auflösung des Scheidungsverbunds

Die Auflösung einer oft Jahrzehnte gehaltenen Ehe hat viele Aspekte. Der Anspruch der Scheidungsverbundfreunde, mit einem ‚clear break‘ klare Verhältnisse für alle Beteiligten zu schaffen scheitert an der Realität. Wer nachehelichen Unterhalt, Zugewinnausgleich und Versorgungsausgleich, vielleicht auch noch Kindschaftssachen in den Verbund aufnimmt, schafft keinen clear break, sondern ‚clear mist‘.

Im Fall einer Rentnerscheidung kann der nacheheliche Unterhalt ohnehin erst mit Rechtskraft der Versorgungsausgleichsentscheidung und deren Durchführung bestimmt werden. Und wie nachehelicher Unterhalt bei streitiger güterrechtlichen Auseinandersetzung bestimmt werden soll, weiß ich auch nicht.

Diese Komplexität kann nur durch radikale Reduktion aufgelöst werden. First things first. Also erst einmal Unterhalt. Danach kann über das Vermögen gestritten werden. Hat dieser Streit Auswirkungen auf den Unterhalt, mag dieser nachkorrigiert werden. Aber wie häufig wird das nötig sein?

Und der Versorgungsausgleich? Ist die Ehe im Rentenbezugsfall geschieden und der Versorgungsausgleich noch nicht durchgeführt, kann eine Bedarfslücke ohne weiteres mit Unterhalt überbrückt werden. Dann vermieden wir auch die Schwierigkeiten, die durch den Kapitalverzehr bei laufenden Versorgungen entstehen (BGH v. 17.2.2016 – XII ZB 447/13, FamRB 2016, 176).

Der Scheidungsverbund führt oft dazu, dass auch die Fachleute den Überblick verlieren. Wie mag es da den Ehegatten gehen, deren Scheidung jahrelang vor sich hindümpelt.

3. Beschleunigung

Die Auflösung des Scheidungsverbundes würde bereits zu einer Beschleunigung beitragen. Jede Beschleunigung eines familienrechtlichen Verfahrens führt zu einem ‚Mehr‘ an Lebensqualität für die beteiligten Ehegatten. Wenn in Unterhaltsverfahren nach Eingang des Antrags innerhalb von sechs Wochen terminiert und dem Gegner eine 4-wöchige Erwiderungsfrist gesetzt würde, könnten auch VKH-Verfahren in acht bis zehn Wochen erledigt sein. Wer für die Beteiligten schnell wieder neue Lebensqualität schaffen will, muss die Verfahrenszeiten verkürzen.

Wir Familienrechtler können die Belastung der Menschen durch Trennung und Scheidung nicht aufheben. Wenn wir diese Belastung aber auch nur um 1 % vermindern könnten, sollten wir es versuchen. Darüber lohnt es sich mehr zu debattieren, als über Detailfragen des Unterhaltsrechts, die zu 30 € mehr oder weniger Unterhalt führen. Die Lebensqualität der Geschiedenen wird durch schnellere, überschaubarere und weniger dramatische Verfahrensweisen mehr verbessert als durch dreißig Euro mehr oder weniger Unterhalt. Eine familienfreundliche Scheidung durchzuführen, erfordert gewisse Eingriffe ins materielle und Verfahrensrecht. Eine Revolution wäre es nicht. Vieles könnte bei sinnvoller Verfahrensführung auch schon heute möglich gemacht werden.

 

40 Jahre nach Abschaffung des Schuldprinzips: Ein Plädoyer für eine neue familienrechtliche „Streitkultur“

Im Juni dieses Jahres ist es 40 Jahre her, dass das scheidungsrechtliche Schuldprinzip abgeschafft wurde. Bis Juni 1976 war die Frage des Verschuldens der Ehegatten nicht nur für die Scheidung selbst, sondern auch für die sich an die Trennung und Scheidung knüpfenden Rechtsfolgen, insbesondere für die Unterhaltsverpflichtung und das Sorgerecht, das entscheidende Kriterium. So konnte das Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder nach einer Scheidung nur in Ausnahmefällen auf denjenigen Ehegatten übertragen werden, der die Scheidung „verschuldet“ hatte. Die Unterhaltsverpflichtung des „nicht schuldigen“ Ehegatten konnte bis auf ein Minimum reduziert werden.

Seit Inkrafttreten des ersten Gesetzes zur Reform des Ehe- und Familienrechts vom 14.06.1976 spielt ein etwaiges „Verschulden“ eines Ehegatten an dem Scheitern der Ehe rechtlich betrachtet so gut wie keine Rolle mehr. Zum einen ist ein Verschulden eines Ehegatten keine Scheidungsvoraussetzungen mehr, zum anderen hat auch ein wie auch immer geartetes eheliches Fehlverhalten, insbesondere das Unterhalten außerehelicher Beziehungen, grundsätzlich keinen Einfluss mehr auf Unterhaltsansprüche, das Sorgerecht, den Zugewinnausgleich oder gar den Versorgungsausgleich.

Trotz der Abschaffung des Schuldprinzips, die nun schon 40 Jahre zurück liegt, wird in der anwaltlichen Korrespondenz zu familienrechtlichen Fragen bis heute (häufig über hunderte von Seiten hinweg) schmutzige Wäsche gewaschen. Auch scheint es in der familienrechtlichen Anwaltschaft bedauerlicherweise (vermutlich noch aus Zeiten des Schuldprinzips) üblich zu sein, den jeweiligen „Gegner“ nicht nur veranlassen zu wollen, seine familienrechtlichen Pflichten einzuhalten, sondern ihn darüber hinaus auch noch persönlich treffen zu wollen. Anstatt die ohnehin schon angespannte und problematische Situation im Interesse der Mandanten zu deeskalieren, wird durch derartige anwaltliche Korrespondenz häufig noch zusätzlich Öl ins Feuer gegossen und zwar selbst dann, wenn gemeinsame Kinder der Streitparteien vorhanden sind.

Ganze 40 Jahre nach Abschaffung des Schuldprinzips muss meines Erachtens die gesamte familienrechtliche Anwaltschaft Hand in Hand endlich den entsprechenden Kurswechsel vollziehen und auch bei der anwaltlichen Korrespondenz im Auge behalten, dass eine Eskalation auf persönlicher Ebene im Rahmen einer rechtlichen Auseinandersetzung nichts zu suchen hat. Persönliche Anwürfe ohne rechtliche Relevanz haben niemals Vorteile für den eigenen Mandanten, sondern machen die Auseinandersetzung für alle Beteiligten nur unangenehmer, ja häufig unerträglich.

Auch und gerade wenn ein Mandant aus einer meist mehr als nachvollziehbaren Kränkung und Frustration anfänglich nichts für wichtiger hält, als dem „Gegner“ seine Verfehlungen nochmals ausführlich über anwaltliche Schriftsätze vorzuhalten, sollten wir familienrechtlichen Anwälte es kollektiv als unsere Aufgabe ansehen, den jeweiligen Mandanten davon zu überzeugen, dass diese Art der Kommunikation allen Beteiligten in jeder Hinsicht nur schaden kann. Wenn der jeweilige „Gegner“ verletzend und persönlich beleidigend wird, kann es selbst dem besten Familienrechtsanwalt kaum noch gelingen, den eigenen Mandanten davon zu überzeugen, nicht auf der gleichen Ebene zurück zu schlagen. Der Kurswechsel kann also nur passieren, wenn alle familienrechtlichen Anwälte daran mitwirken.

Als Organe der Rechtspflege und Interessenvertreter unserer Mandanten sollten wir es als eine unserer Kernaufgaben ansehen, Rechtsfrieden und damit auch Frieden für unsere Mandanten zu schaffen. Die Erfahrung zeigt, dass wechselseitige Beschimpfungen in familienrechtlichen Auseinandersetzungen, allen Beteiligten nur zusätzlichen Schaden zufügen und zwar emotionalen UND wirtschaftlichen.

Wenn wir – wie es unserer Pflicht als Anwälten entspricht – im besten Interesse unserer Mandanten handeln wollen, muss die bisherige familienrechtliche „Streitkultur“ ein Ende haben.

Vereinsmitgliedschaft wertvoller als Ehescheidung?

Nach Ansicht des 2. BGH-Senats beträgt der Regelstreitwert einer durchschnittlichen nichtvermögensrechtlichen Streitigkeit regelmäßig 5.000 € in Anlehnung an § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG. Hintergrund der Entscheidung war die Mitgliedschaft in einem Verein. Na toll! Jetzt haben wir es also schriftlich, dass der Verbleib in einem Karnevalsverein höher zu bewerten ist als der Mindestwert einer Scheidung!