Und ewig grüßt das Murmeltier – zum im RefE eines Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts mitgeregelten Ehegattenvertretungsrecht

Es gibt Gesetzesvorhaben, die werden auf dem Marktplatz geboren. Stellt man sich auf selbigen und befragt Passanten, ob denn im Fall plötzlich eintretender Bewusstlosigkeit eines Ehegatten der andere für ihn über ärztliche Eingriffe entscheiden, Behandlungsverträge abschließen dürfe und ärztliche Informationen entgegennehmen könne, wird man mehrheitlich Zustimmung und Verwunderung gleichzeitig ernten. Die Passanten werden zustimmen, dass Ehegatten über den Gesundheitszustand des anderen informiert werden dürfen und sie füreinander Behandlungsmaßnamen einleiten können, wenn der erkrankte, verunglückte, demente oder sonst geschäftsunfähig gewordene Ehepartner dies nicht mehr entscheiden kann. Verwunderung würde die juristische Information auslösen, dass all das derzeit nicht möglich ist.

Es ist daher nachvollziehbar, dass die Politik die wechselseitige Vertretungsbefugnis der Ehegatten dem Ergebnis der Marktplatzumfrage anzupassen gedenkt. Der Referentenentwurf des BMJV zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts nutzt die freigebliebene Hausnummer des § 1358 BGB um ein umfassendes wechselseitiges Vertretungsrecht der Ehegatten zu etablieren, wenn „ein Ehegatte aufgrund von Bewusstlosigkeit oder einer Krankheit seine Angelegenheiten der Gesundheitsfürsorge rechtlich nicht besorgen“ kann. Der (gesetzlich als Ehefolge) vertretungsbefugte Ehegatte kann über Untersuchungen, Gesundheitszustand und Heilbehandlungen und andere ärztliche Eingriffe und sogar über freiheitsentziehende Maßnahmen für den anderen Ehegatten entscheiden, sofern die Dauer der Maßnahme im Einzelfall sechs Wochen nicht überschreitet. Gleichzeitig werden die Ärzte von ihrer Schweigepflicht unter den Voraussetzungen der Notwendigkeit einer Vertretung entbunden.

Während der Marktplatz-Bürger dem noch verständnisvoll zustimmt, graust es den Familienrechtler: Wer heiratet, gibt sich als Mensch nicht in die Hand seines Gatten. Juristisch bleibt er Individuum. Wenn er möchte, dass seinem Ehegatten eine so weitgehende Kompetenz eingeräumt wird, ist dies auch heute ohne Gesetzesänderung über Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht zu regeln. Einer gesetzlichen Initiative bedarf es nicht.

Das in § 1357 BGB geregelte Ehegattenvertretungsrecht bei „Geschäften zur Deckung des Lebensbedarfs“ ist völlig ausreichend und schützt den Handel in seinem Vertrauen.

Eines weitergehenden Ehegattenvertretungsrechts bedarf es nicht. In der Ehe begegnen sich zwei selbstständige Rechtssubjekte, deren Entschluss, das Leben gemeinsam zu versuchen, keineswegs ihre Rechtssubjektivität beseitigt. Deutlich wird dies darin, dass das Gesetz als gesetzlichen Güterstand den der Gütertrennung mit Zugewinnausgleich vorsieht. Die Vorstellung des Verschmelzens zweier Personen zu einer „Ehe“, die dann als Rechtsadressat in Betracht, kommt entspricht nicht der gelebten Realität und nicht dem gesetzlichen Verständnis von der Ehe.

Die Verantwortung für Leben und Wohl eines hilfsbedürftigen Bürgers trifft den Staat und nicht den anderen Ehegatten, es sei denn der hilfsbedürftige Ehegatte hätte ausdrücklich ein derartiges Vertretungsrecht gewünscht. Aus der Eheschließung auf Vertretungsmacht zu schließen, ist ein Rückfall in die 60er Jahre. Als ich unverheiratet mit meiner Freundin die erste gemeinsame Wohnung anmietete, gaben wir uns als verheiratet aus und trugen Eheringe von Freunden. Als der Mietvertrag von meiner Frau unterzeichnet werden sollte, habe ich der Vermieterin, einer älteren Bonner Bürgersdame, erklärt, soweit werde es in Deutschland nicht kommen, dass der Mann nicht für seine Frau unterschreiben dürfe. Noch heute verfolgt mich dieser Satz, den die Vermieterin aus dem Mund eines kurz vor dem Examen stehenden Jurastudenten akzeptierte und der meine Frau vor einer Urkundenfälschung schützte.

Von den praktischen Schwierigkeiten der gesetzlichen Vertretungsvermutung will ich gar nicht reden. Sie gilt nämlich dann nicht, wenn die Ehegatten getrennt leben, dem Vertreter oder dem behandelnden Arzt ein entgegenstehender Wille des Vertretenen oder ein von ihm benannter anderer Vertreter bekannt war oder mehr als drei Monate seit Eintritt der Bewusstlosigkeit oder krankheitsbedingter Unfähigkeit zur eigenständigen Erledigung der Gesundheitsbesorgung vergangen sind. Wie ein Arzt all dies und insbesondere das Zusammenleben der Ehegatten feststellen soll, bleibt im Unklaren.

Träte diese Norm in Kraft, würde allen Altehen plötzlich ein gesetzliches Vertretungsrecht beschert, das nur durch Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung abgewählt werden kann.

Ein solches gesetzliches Ehebild ist personaler Unselbständigkeit verhaftet und hat in einem modernen Familienrecht nichts zu suchen, mag es auch noch so sehr der falschen Marktplatzmeinung entsprechen. Nur um derentwillen führen wir ja auch nicht die Errungenschafts- oder Gütergemeinschaft als gesetzlichen Güterstand ein. Wer heiratet, gibt sich nicht in die Hand des anderen Gatten, nur weil der Standesbeamte durch sein Testat der Eheschließung steuerliche Vor- und sozialrechtliche Nachteile für die Ehegatten auslöst. Meine Bürokolleginnen und Kollegen habe ich früher deutlich häufiger als meine Frau gesehen. Aus gesellschaftlicher Verrechtlichung auf Vertretungsbefugnis zu schließen, läge vielleicht noch näher.

Das Ehegattenvertretungsrecht ist nicht neu. Periodisch taucht es auf und verschwindet wieder. Es ist zu vermuten, dass die in der Tat sinnvolle Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts auch ohne die Reform des Ehegattenvertretungsrechts diskutiert und verabschiedet werden kann. Einer Erweiterung gesetzlicher Vertretungsbefugnis bedarf es nicht, sonst kommen wir wieder auf das Niveau zurück, das bis Mitte der 70er Jahre dem Ehemann die Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Ehefrau ermöglichte. Der einzige „Fort“schritt wäre, dass nun auch die Frau den Mann vertreten kann.

Zum Referentenentwurf (Vorsicht: 500 Seiten!) kommen Sie hier.

Corona-Krise zum Zweiten …

… nein, nicht die befürchtete zweite Infektionswelle rollt auf uns zu, sondern das 2. Paket steuerlicher Hilfsmaßnahmen durchläuft im Eiltempo das Gesetzgebungsverfahren. Nachdem der Regierungsentwurf am 12. Juni auf den Weg gebracht wurde, soll das Gesetz in Sondersitzungen von Bundestag und Bundesrat am 29. Juni beschlossen werden, um am 1. Juli 2020 in Kraft zu treten.

Neben einer Reihe steuerrechtlicher Detailfragen sind es vor allem drei Gesetzesänderungen, die Familien aufhorchen lassen. Diese betreffen

  • die angekündigte Senkung der Umsatzsteuer von 19 % auf 16 % sowie von 7 % auf 5 % beim ermäßigten Satz. Die Umsatzsteuer wird befristet vom 1. Juli 2020 bis zum 31. Dezember 2020 gesenkt. Davon verspricht sich die Regierung einen kräftigen Impuls bei den Konsumausgaben. Die Hoffnung ist nicht ganz unberechtigt, weil die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen diese Mittel in der Regel vollständig für den laufenden Lebensunterhalt verbrauchen und sie daher durch Verbrauchssteuern überproportional belastet sind. Ob sich der gewünschte Erfolg wirklich einstellt, hängt aber nicht allein vom Verbrauchsverhalten ab, sondern auch davon, ob sich die Senkung des Steuersatzes in entsprechend ermäßigten Preisen niederschlägt.
  • den sog. Kinderbonus von 300 €, der in zwei Raten von jeweils 150 € im September und Oktober 2020 ausgezahlt werden soll, sofern im September 2020 ein Anspruch auf Kindergeld besteht. Die Leistung wird aber auch dann erbracht, wenn die Anspruchsvoraussetzungen zumindest in einem Monat des Jahres 2020 vorgelegen haben – nur erfolgt die Auszahlung dann möglicherweise verzögert und in einem Betrag. Auch von dieser Leistung verspricht sich die Regierung einen mit der Steuersenkung vergleichbaren Effekt. Für die unterhaltsrechtlichen Folgen ist wesentlich, dass es sich bei diesen Zahlungen um ein erhöhtes Kindergeld handelt und diese auch steuerlich so behandelt werden. Die Bezeichnung als Kinderbonus oder Einmalbetrag ändert hieran nichts. Denn die Regelung findet sich in der Vorschrift zur Höhe des Kindergeldes (§ 66 Abs. 1 Satz 2 EStG bzw. § 6 Abs. 3 BKGG), weshalb § 1612b Abs. 1 BGB unmittelbar anzuwenden ist. Besondere Vorschriften zur Nichtberücksichtigung gibt es lediglich bei mehreren Sozialleistungen und beim Unterhaltsvorschuss. Insofern ist die Rechtslage mit dem 2009 ausgezahlten Kinderbonus vergleichbar (s. AG Offenburg FamRZ 2009, 2014; Diehl, FamRZ 2009, 932).
  • den für zwei Jahre (2020, 2021) um 2.100 € erhöhte Entlastungsbetrag für Alleinerziehende (§ 24b EStG). Dieser bewirkt abhängig von dem individuellen Steuersatz eine zusätzliche steuerliche Entlastung zwischen 35 € und 75 € und ein entsprechend höheres Monatseinkommen. Die Erhöhungsbetrag von jeweils 240 € für das zweite und weitere Kinder bleibt unverändert erhalten.

Bei den schrittweise eingeführten Lockerungen beginnt sich allmählich ein Gefühl von Normalität einzustellen. Gleichwohl sollten wir nicht vergessen, dass sich die Welt unverändert im Krisenmodus befindet und wir von einem „Normalzustand“ noch weit entfernt sind. Daher hat das Motto „gemeinsam schaffen wir es“ auch im Familienrecht weiterhin seine Berechtigung. Die aktuellen Gesetzesänderungen mögen nicht ohne Folgen für den Unterhalt sein; an die Stelle streng schematischer Berechnungen sollte daher gleichwohl die Suche nach maßgeschneiderten Modellen treten, die den tatsächlichen Lebensverhältnissen aller Beteiligten gerecht werden.

Hier kommen Sie zum Regierungsentwurf: https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Gesetzestexte/Gesetze_Gesetzesvorhaben/Abteilungen/Abteilung_IV/19_Legislaturperiode/Gesetze_Verordnungen/2020-06-12-Zweites-Corona-Steuerhilfegesetz/0-Gesetz.html

Gerechtigkeit für die Ausgleichsberechtigten (BVerfG v. 26.5.2020 – 1 BvL 5/18)

Karlsruhe lucuta – causa finita. Das BVerfG hat zwar § 17 VersAusglG nicht für verfassungswidrig erklärt, aber dafür die Auslegung und Anwendung der Norm durch die bisherige Rechtsprechung. Wenn die Halbteilung des Kapitalwerts des ehezeitlichen Versorgungserwerbs bei externer Teilung für die ausgleichsberechtigte Person ein Versorgungsergebnis ergäbe, das die Hälfte des ehezeitlichen Anwartschaftserwerbs um mehr als 10 % unterschreitet, sei entweder durch das Gericht der Ausgleichswert zu Lasten des Versorgungsträgers zu erhöhen, oder der Versorgungsträger zur internen Teilung zu verpflichten.

Konsequenzen für die Praxis:

Seit Mitte 2017 beträgt der von der bisherigen Rechtsprechung zur Berechnung der Kapitalwerte angewandte Rechnungszins weniger als 3 %. Bei externer Teilung des ehezeitlich erworbenen betrieblichen Anrechts in die gesetzliche Rentenversicherung übersteigt daher der Rentenertrag der ausgleichsberechtigten Person den der ausgleichspflichtigen. Zuvor war das anders, Transferverluste bis 50 % waren damals nicht selten und passieren auch noch heute, wenn ein Ausgleich in die gesetzliche Rentenversicherung nicht mehr möglich ist, weil die ausgleichsberechtigte Person bereits Altersrente bezieht.

In der Praxis bedeutet das für Altfälle (Ehezeit bis Mitte 2017) und Rentnerscheidungen:

Verlangt in Fällen des § 17 VersAusglG der Versorgungsträger die externe Teilung, ist beim Zielversorgungsträger anzufragen, in welcher Höhe aus dem vom Versorgungsträger ermittelten Ausgleichswert für eine gleich alte Person gleichen Geschlechts wie die ausgleichspflichtige Person eine Versorgung resultieren würde. Dabei kommt es nicht nur auf die nominelle Höhe der Versorgung bei Rentenbeginn, sondern auch auf deren Dynamik an. Kurz: Das in der Zielversorgung zu erwartende Versorgungsvolumen vom Rentenbeginn bis zum Tod muss für die ausgleichspflichtige Person in Quell- und Zielversorgung nahezu identisch sein. Meist hat die ausgleichsberechtigte Person andere biometrische Risiken (Geschlecht und Alter, also Lebenserwartung und Renteneintritt) wie die ausgleichspflichtige Person. Es sei nicht zu beanstanden, wenn die nominelle Höhe der zu erwartenden Versorgung von der Quellversorgung abweicht, solange das Rentenvolumen nahezu identisch ist. Maßgeblich ist die Rentenvolumenerwartung. Unterschreitet die Rentenvolumenerwartung in der Zielversorgung die Rentenvolumenerwartung der Quellversorgung um mehr als 10 %, ist der Ausgleichswert, den der Quellversorgungsträger zu zahlen hätte, durch das Gericht entsprechend anzupassen. Will der Quellversorgungsträger das vermeiden, kann er die interne Teilung wählen.

Das alles ist nicht ganz einfach zu ermitteln:

  • Wie soll ein mit mittelmäßigen mathematischen und versicherungsmathematischen Kenntnissen ausgestatteter Jurist das zu erwartende Rentenvolumen bestimmen?
  • Was passiert, wenn die Rentenvolumenerwartung in der Zielversorgung oberhalb der der Quellversorgung liegt, kann dann der Ausgleichswert abgesenkt werden, um für beide Ehegatten eine gleiche Volumenerwartung zu begründen, oder wird der Versorgungsträger entlastet?
  • Was, wenn der ausgleichsberechtigte Ehegatte eine „ungünstige, teure“ Zielversorgung wählt? Wird sein Wahlrecht nach § 15 VersAusglG auf die „günstigste“ Variante beschränkt?

Die erste Frage kann durch Software gelöst werden. Schon die nächste Version des Programms zur Kapitalwertkontrolle (zu finden auf der Homepage des FamRB) wird die Rentenvolumenbestimmung für die Quell- und Zielversorgung (auch aus der gesetzlichen Rentenversicherung) ermöglichen.

Über die zweite und dritte Frage müssen wir noch gemeinsam nachdenken. Aber wie so oft: Man kommt klüger, aber auch nachdenklicher aus einem Gerichtsverfahren heraus, als man hineingegangen ist.

Keine Gebühren verschenken: UG-Vergleich im SO-Verfahren verdoppelt auch den Verfahrenswert (OLG Nürnberg v. 16.1.2020 – 11 WF 1243/19)

Das AG Neustadt/Eich hat den Wert eines Verfahrens um das Aufenthaltsbestimmungsrecht nach § 45 Abs. 3 FamFG vom Regelwert 3.000 € auf 4.500 € erhöht, weil es zwei Termine gab, eine Zwischenvereinbarung geschlossen und ein SV-Gutachten eingeholt wurde.

Nach Einholung des Gutachtens trafen die Eltern eine Vereinbarung, die das Beibehalten des gemeinsamen Aufenthaltsbestimmungsrechts und zugleich den Umgang im Umfang eines 9:5-Modells regelte. Das OLG Nürnberg erhöhte den Gegenstandswert des SO-Verfahrens wegen der getroffenen Umgangsregelung um weitere 3.000 € auf 7.500 €. (Die Zwischenvereinbarung wäre, weil eine eA vermeidend, 1.500 € wert gewesen, was aber in den 3.000 € unterging.)

Der Leitsatz des Gerichts lautet: „Wird in einem Verfahren zur elterlichen Sorge auch eine vom Gericht gebilligte Umgangsregelung getroffen, so ist also ein Verfahrenswert aus der Summe der Verfahrensgegenstände Umgang und elterliche Sorge festzusetzen, weil die Billigung eine Sachprüfung, mithin ein Verfahren, voraussetzt und einer Entscheidung zum Umgang gleichsteht (im Anschluss an BGH FamRZ 2019, 1616 Rz. 20).“

Dabei macht das OLG keinen dogmatischen Unterschied, ob es sich um eine übliche Umgangsregelung handele oder ob deren Umfang einem Wechselmodell entspräche, weil es sich bei jeder Umgangsregelung um eine Frage der tatsächlichen Ausübung der elterlichen Sorge handele. Jede Umgangsregelung greife in die Ausübung des Sorgerechts ein, indem das Aufenthaltsbestimmungsrecht und gegebenenfalls das Umgangsbestimmungsrecht des oder der Sorgeberechtigten eingeschränkt werden, ohne aber elterliche Kompetenzen zu entziehen.

Aus den Gründen: „Gemäß § 45 Abs. 1 FamGKG beträgt in den dort genannten Kindschaftssachen der Verfahrenswert 3.000 €. Eine Korrektur gemäß § 45 Abs. 3 FamGKG kommt in Betracht, wenn besondere Umstände, die Festsetzung des Regelwertes als unbillig erscheinen lassen (vgl. hierzu Bundestags-Drucksache 16/6308 S. 306). Solche besonderen Umstände sind insbesondere anzunehmen, wenn das Verfahren besonders umfangreich und schwierig gewesen ist, an eine Reduzierung ist zu denken, wenn die Beteiligten nur über ein geringes Einkommen verfügen und das Verfahren sich einfach gestaltet hat. Der vermehrte Aufwand durch eine Einigung der Beteiligten wird bereits durch die Einigungsgebühr abgegolten. Sie kann deshalb nicht auch noch zur Rechtfertigung eines erhöhten Verfahrenswertes herangezogen werden. Wird in einem Sorgerechtsverfahren auch das Umgangsrecht für längere Zeit geregelt, handelt es sich um mehrere Kindschaftssachen, deren Werte gesondert nach § 45 FamGKG zu ermitteln und dann nach § 33 Abs. 1 Satz 1 FamGKG zu addieren sind.“

(OLG Nürnberg v. 16.1.2020 – 11 WF 1243/19, FamRB 2020, 147)

Wer betreut – bestimmt auch! (Brandenburgisches OLG v. 24.2.2020 – 13 UF 125/19)

In der Praxis sind diese Fallkonstellationen immer wieder anzutreffen: Der Elternteil, in dessen Haushalt das Kind lebt, ist mit der Ausgestaltung der Umgangskontakte nicht einverstanden, sei es dass der andere Elternteil zu umfangreiche Fernsehzeiten gewährt, eine aus Sicht des anderen Elternteils „ungesunde“ Nahrung ermöglicht oder einfach während des Umgangs Aktivitäten plant, mit denen der Obhutselternteil – aus welchen Gründen auch immer – nicht einverstanden ist. Nicht immer sind die erhobenen Einwände unberechtigt. Nicht selten zeigt sich aber auch, dass die geltend gemachten Bedenken weniger in der berechtigten Sorge um das Kindeswohl wurzeln, sondern eher in der Paarproblematik ihre Begründung finden.

Mit einem entsprechend gelagerten Sachverhalt hat sich aktuell das Brandenburgische OLG befasst:

Der Antragsteller war durch gerichtlichen Vergleich zum Umgang mit seinen beiden Söhnen berechtigt, wobei der Umgang mit dem älteren Sohn von Donnerstag nach der Schule/Hort bis Montag Schulbeginn und mit dem jüngeren Sohn von Freitag nach der Kita bis Sonntag 18.00 Uhr ausgeübt wurde. Die Kinder waren spätestens um 16.00 Uhr von der Schule bzw. Kita abzuholen. Den älteren Sohn hatte der Antragsteller aufgefordert, an den Umgangsfreitagen allein vom Schul-/Hortgebäude zum Kitagebäude seines Bruders zu gehen und dort auf den Vater zu warten. Nachdem das Kind an mindestens einem Freitag etwa 15 Minuten lang vor der verschlossenen Kitatür warten musste, forderte die Antragsgegnerin die Horterzieherin auf, es dem Kind nicht mehr zu erlauben, den Hort zu verlassen, um zur Kita zu gehen. Im gerichtlichen Verfahren forderte der Antragsteller, der Antragsgegnerin aufzugeben, das Verbot gegenüber dem Hort zurückzunehmen.

Der Senat ist in der Beschwerdeinstanz diesem Antragsbegehren gefolgt und hat darauf verwiesen, dass der Antragsteller für die Dauer des festgelegten Umgangs das Recht zur alleinigen Entscheidung über die tatsächliche Umgangsgestaltung hat und eine Einschränkung dieser Befugnis aus Gründen des Kindeswohls nicht in Betracht kommt. Zur Begründung hat der Senat weitergehend ausgeführt, dass die Art und Weise der Abholung des Kindes regelmäßig Bestandteil der Alltagssorge ist. Was aber Gegenstand der Alltagssorge ist, kann nicht gleichzeitig Umgangsmodalität sein. Ist daher ausdrücklich vereinbart, dass der Umgang nach der Schule beginnt, so ist der Moment des Schulschlusses der tatsächliche Beginn der Alltagssorge des Umgangsberechtigten, auch wenn die Umgangsvereinbarung die Formulierung enthalt, dass das Kind „spätestens um 16.00 Uhr“ von der Schule oder der Kita abzuholen ist.

Weitergehend hat der Senat auch keine Notwendigkeit gesehen, familiengerichtlich in die Entscheidungsbefugnis des Antragstellers zu der Frage einzugreifen, wie der Schulweg konkret bewältigt werden soll, da keine Kindeswohlgefährdung vorliegt, d.h. der Senat ist in Übereinstimmung mit den anderen Verfahrensbeteiligten davon ausgegangen, dass der in Rede stehende Schulweg von 800 Meter für einen Achtjährigen normal ist und die hiesigen Witterungsverhältnisse hierbei keine Gesundheitsbeeinträchtigung befürchten lassen.

Auch wenn Eltern die Sorge für ihre Kinder gemeinsam ausüben und damit grundsätzlich das Gesamtvertretungsprinzip gilt, bleibt davon ein mögliches Alleinvertretungsrecht eines Elternteils unberührt. Dieses kann sich kraft Gesetzes ergeben, etwa das Alleinentscheidungsrecht für Angelegenheiten des täglichen Lebens oder im Fall des angeordneten Ruhens der elterlichen Sorge. Daneben kommt ein Notvertretungsrecht in Betracht bei Gefahr in Verzug. Und letztlich kann einem Elternteil durch gerichtlichen Beschluss die Entscheidungsbefugnis für eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung übertragen werden, wenn die Eltern zu dieser Frage kein Einvernehmen erzielen können.

Während der Dauer eines Umgangskontakts ist der berechtigte Elternteil damit nicht nur zur Entscheidung über Angelegenheiten des täglichen Lebens berechtigt. Er bestimmt ebenso den Ort an dem der Umgang stattfindet, d.h. den Aufenthaltsort des Kindes, sowie die konkrete Ausgestaltung des Umgangs. Zu beachten sind allerdings die Belange des Kindes, etwa folgend aus gesundheitlichen Einschränkungen, so dass etwaigen Sicherheitsbedenken des anderen Elternteils auch nur in dem Umfang Rechnung zu tragen ist, als sie sich am Kindeswohl orientieren und nicht als rechtsmissbräuchlich zu werten sind.

 

Familienpflege bei IKEA (zu VerfGH des Saarlandes v. 28.4.2020 – Lv 7/20)

Einige Wochen haben die emotionalisierenden omnipräsenten Bilder italienischer Beerdigungs-LKWs und der kollabierenden New-Yorker Intensivstationen den Hurra-Epidemiologismus der Bevölkerung genährt und Innenstädte und Grundrechte sediert. Jetzt beginnt die juristische Auf- und Abarbeitung. Zunächst noch gehemmt, weil einstweilige Eilentscheidungen zwar alle die Grundrechtsbegrenzung konstatieren, bislang haben aber die befassten Richterinnen und Richter im Eilverfahren Verantwortung für die Domestizierung der Exekutive gescheut.

Die Entscheidung des Saarländischen Verfassungsgerichtshofs vom heutigen Tag, die die weitgehenden Ausgangsbeschränkungen des Saarlandes außer Vollzug setzt, macht da eine erfreuliche Ausnahme. Die Richterinnen und Richter monieren – nun ganz juristisch – dass

  • es keinen statistischen Nachweis der Eignung einer Ausgangssperre zur Senkung der Neuinfektionen und
  • keinen nachweisbaren Zusammenhang zwischen Todesrate der Erkrankten und der Ausgangssperre gibt,
  • angesichts der stark ausgebauten Intensivbettenkapazität in Krankenhäusern kein Zusammenbruch des Gesundheitswesens droht und
  • absolute Infektions- und Erkrankungszahlen keinerlei Aussagekraft haben, solange sie nicht in Relation zur Bevölkerungszahl und zur Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesens und zu Infektionszeiträumen gesetzt werden.

Der Verfassungsgerichtshof stellt dagegen, dass der Verlust und die Beschränkung des individuellen Freiheitsrechts, des Rechts zur Pflege familiärer Kontakte auch mit den Familienangehörigen, mit denen man nicht unter einem Dach wohnt, endgültig ist. Verlorene Freiheit ist nicht nachzuholen.

Und die Entscheidung bemüht die Logik. Juristen wissen, dass alles Unlogische auch ungerecht ist. Zum Sport durften die Saarländer nämlich die Wohnung verlassen, nicht aber, um sich auf einer Bank zu sonnen.

Die Kontaktbeschränkungen gelten auch für die grundrechtlich besonders geschützte Wohnung. Es kann also eine Ordnungswidrigkeit sein, wenn sich Enkel, Großeltern oder Geschwister – in gebotenem Abstand versteht sich – in der Enkel-, Großeltern- oder Geschwisterwohnung treffen. Sie können aber sanktionsfrei zu Aldi ausweichen. Während dort die Großeltern Milch und Kukident aussuchen, können sie mit den herumtollenden Enkeln kommunizieren ohne Bußgelder zu riskieren. Logisch ist das nicht.

Auch scheint das Virus ein ausgesprochen feines Zeitgefühl zu haben. Wer als deutscher Staatsbürger aus dem Ausland nach mehr als 72 Stunden zurückkehrt, muss in 14-tägige Quarantäne. Bei einem Aufenthalt bis 72 Stunden springt das Virus nicht über. Es fremdelt offenbar mit Fremden, bis diese Stallgeruch annehmen und nach Gouda oder belgischen Fritten riechen.

Glückliches Nordrhein-Westfalen! Hier können Familien bei IKEA und anderen Großmöbelhäusern Distanz-Kontakt pflegen. Woanders geht’s nur im Blumenladen, Baumarkt oder beim Obsthändler. Für Familienrechtler ist das fürwahr eine seltsame Perspektive.

Hört sich kompliziert an, ist aber einfacher: Dynamische Antragstellung zwecks Aussetzung der VA-Rentenkürzung wegen Unterhalt

Problemstellung: M zahlt Nachscheidungsunterhalt an F, kommt in Rente und könnte sich den Unterhalt nun nicht mehr leisten, weil seine Rente durch den Versorgungsausgleich gekürzt ist – aus dem F ihrerseits noch keinen Nutzen zieht, weil sie jünger und noch nicht Rentnerin ist. In der Ex-Familie entsteht eine Liquiditätslücke. Die Lösung bieten §§ 33, 34 VersAusglG: In (maximal) der Höhe des (geschuldeten) Unterhaltes wird die Rentenkürzung ausgesetzt.  

Es bleibt ein Praktiker-Problem, das der BGH mit Beschl. v. 26.2.2020 – XII ZB 531/19 gelöst hat: Der Sachverhalt ist dynamisch, bei jeder Rentenerhöhung müsste neu gerechnet werden. Die Lösung dafür fand das OLG Frankfurt a.M. als Vorinstanz und titulierte dynamisch: „In Höhe eines sich aus der Multiplikation von 15.6253 Entgeltpunkten der allgemeinen Rentenversicherung und von 1,006 Entgeltpunkten der knappschaftlichen Rentenversicherung mit einem Zugangsfaktor von 1,0, einem Rentenartfaktor von 1,0 für die Entgeltpunkte der allgemeinen Rentenversicherung und von 1,3333 für die knappschaftlichen Entgeltpunkte und dem jeweilige(n aktuellen Rentenwert ergebenden monatlichen Rentenbetrags, höchstens jedoch in Höhe eines monatlichen Rentenbetrags von 1.463 €“ wurde die Rentenkürzung ausgesetzt (OLG Frankfurt v. 17.10.2019 – 4 UF 52/19, FamRB 2020, 95). Ok, sagte der BGH nun, das ist hinreichend bestimmbar. Die genannten Entgeltpunkte können durch Multiplikation mit dem aktuellen, jeweils im Bundesgesetzblatt veröffentlichten aktuellen Rentenwert in einen jeweils aktuellen Rentenkürzungsbetrag umgerechnet werden. Rechnen muss ja dann auch nicht mehr der Jurist, sondern der Rententräger.

 

Unterhalt in der Krise oder die Krise im Unterhalt

„Das Corona-Virus ist in aller Munde“ – sehr doppeldeutig beginnt das Merkblatt einer Arztpraxis zu den Verhaltensregeln anlässlich der Covid-19-Pandemie. Zum Glück gilt dies nur im übertragenen Sinn, betrifft aber längst nicht mehr nur medizinische Aspekte. Inzwischen hat ein mit bloßem Auge unsichtbares Virus alle Bereiche des öffentlichen Lebens fest im Griff und spart auch das Familienrecht nicht aus. Sehr plastisch führt uns die Schließung von Schulen und Kitas vor Augen, welch hohen Stellenwert gesicherte Betreuungsarrangements für Kinder im Alltag haben. Daran schließen sich sehr praktische Fragen an: Lässt sich ein getrennt lebender Elternteil in die Kinderbetreuung einbinden, ist ein Wechselmodell noch praktikabel oder welche Folgen hat die verordnete Einschränkung sozialer Kontakte auf einen vereinbarten Umgang? Sehr schnell spürbar wurden für viele Betroffene auch die wirtschaftlichen Folgen der Krise, die sich zugleich unmittelbar auf die Unterhaltspflichten auswirken. Längst erreichen die Jugendämter zahlreiche Anfragen – von Unterhaltspflichtigen, die den Unterhalt nicht mehr aufbringen können, ebenso wie von Alleinerziehenden, die dringend auf Unterstützung angewiesen sind.

Laufende Unterhaltspflichten werden regelmäßig aufgrund einer Prognose festgelegt, die an das in der Vergangenheit bezogene Einkommen anknüpft. Dahinter steht die unausgesprochene Erwartung, dass sich diese Verhältnisse im Wesentlichen unverändert fortsetzen. Nun stehen wir plötzlich vor der Situation, dass diese jahrzehntelang nicht unrealistische Erfahrung für große Gruppen der Bevölkerung nicht mehr zutrifft. Welches Einkommen kann ein Gastwirt erzielen, der seinen Betrieb zunächst noch für einige Stunden offen halten durfte und dem infolge der nächsten Schließungsverfügung von einem Tag auf den anderen auch die letzten Einnahmen wegbrechen. In vielen anderen Branchen – Dienstleistungen, Luftfahrt, Touristik, Kulturbetriebe bis hin zu sozialen Diensten und Einrichtungen – sieht es nicht besser aus. Eine große Zahl von Arbeitnehmern ist bereits in Kurzarbeit, anderen droht die Arbeitslosigkeit. Das Einkommen sinkt dadurch auf 60 % bzw. 67 % des früheren Nettoverdienstes, während viele Kosten wie Miete, Versicherungen und Kreditbelastungen unverändert weiterlaufen. Dieses Szenario ist längst real – für wen, in welcher Weise und zu welchem Zeitpunkt es sich wieder ändern wird, ist noch lange nicht abzusehen. Zwar bringt die Bundesregierung große Hilfspakete auf den Weg, um die Folgen für die unmittelbar Betroffenen abzumildern. Erleichterungen beim Bezug von Wohngeld, Kurzarbeitergeld, Kinderzuschlag sowie ALG II, Zuschüsse an Selbständige und ein erweiterter Kündigungsschutz von Wohnraum können die wirtschaftlichen Belastungen zwar abmildern, aber nicht alle Einkommenseinbußen kompensieren. In all diesen Fällen erweist sich urplötzlich eine den Unterhaltspflichten zugrunde liegende Einkommensprognose als unzutreffend. Sollen die bisherigen Unterhaltspflichten nicht zu einem weiteren Schuldenberg anwachsen, sind bestehende Titel an die veränderten Verhältnisse anzupassen.

Anders als bei vertraglich begründeten Zahlungspflichten ist die Leistungsfähigkeit des Pflichtigen eine notwendige Voraussetzung für den gesetzlichen Unterhaltsanspruch. Vermindert sich das verfügbare Einkommen, sinkt die Unterhaltspflicht oder entfällt vollständig. Den Maßstab dafür bilden nicht mehr unterhaltsrechtliche Formeln und Pauschalen, sondern die realen wirtschaftlichen Verhältnisse des einzelnen Betroffenen. Denn dieser hat sich mit seiner Lebensführung abhängig von der bestehenden Unterhaltspflicht eingerichtet. In einer breite Bevölkerungskreise unvorbereitet treffenden und vielfach als existenzbedrohend erlebten Krise sind keine kurzfristigen Änderungen im persönlichen Lebensumfeld zu erwarten. Vielmehr sind die vorgefundenen Verhältnisse als gegeben hinzunehmen und allen unterhaltsrechtlichen Beurteilungen zugrunde zu legen.

Aus der früheren Rechtsprechung (Brandenburgisches OLG v. 12.1.1995 – 9 UF 90/94, FamRZ 1995, 1220; OLG Dresden v. 25.11.1997 – 10 WF 455/97, FamRZ 1998, 767) genährte Überlegungen, vorübergehende Einkommensrückgänge könnten in den ersten Monate einer Kurzarbeit überbrückt werden, sind ebenso realitätsfremd wie die Annahme, bei selbständiger Tätigkeit ließen sich mehrmonatige Umsatzeinbußen einige Monate später noch aufholen. Im Unterhalt gilt das Liquiditätsprinzip – d.h. die Zahlung muss aus dem laufenden Einkommen möglich sein. Ist dies nicht der Fall, sind auch kurzfristige Veränderungen zu beachten und können zu einem – möglicherweise auch nur vorübergehenden – Wegfall des Anspruchs führen.

Auch wenn alle hoffen, dass die Krise nicht allzu lange andauern möge, weiß noch niemand, wie sich Auftragslage und Arbeitsmarkt nach einer Rückkehr zum gesellschaftlichen Normalzustand entwickeln werden. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass wir derzeit eine weltweite Krisensituation durchleben, für die es keine Erfahrungswerte gibt und deren langfristigen Folgen sich nicht prognostizieren lassen. Daher folgt aus der Einkommenskrise des Einzelnen die notwendige Reaktion beim Unterhalt.

Aber auch für diese Anpassung gibt es keine unterhaltsrechtlich verlässlichen Erfahrungswerte. So werden derzeit eine ganze Reihe von Unterstützungsmaßnahmen installiert, die teils den betrieblichen Sektor, teils auch die private Lebenssituation betreffen und zudem Familien mit Kindern in besonderer Weise begünstigen sollen. Deren Wirkungen und Dauer lassen sich aktuell noch nicht überblicken, wie sich auch noch nicht absehen lässt, wann sich die Verhältnisse wieder stabilisieren werden. Bei diesem unsicheren Terrain ist es nicht zielführend, sich auf kleinteilige Unterhaltsberechnungen nach den bekannten unterhaltsrechtlichen Schemata einzulassen. Gefragt sind vielmehr Verständnis für die tatsächliche Lebenssituation der jeweils anderen Seite sowie die Bereitschaft, sich kreativ mit flexiblen Lösungen auseinanderzusetzen. Dabei lassen sich in einem – mit dem gebotenen Abstand geführte – persönlichen Gespräch schneller pragmatische, maßgeschneiderte Lösungen erreichen, als in einer ganzen Reihe gerichtlicher Abänderungsverfahren.

Corona und Umgangskontakte

In Coronazeiten sind paradoxe Situationen und Reaktionen häufig. Wir haben in Deutschland glücklicherweise keine praktische Erfahrung mit Ausgangssperren oder -beschränkungen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die jetzt verfügten Maßnahmen neben erheblichen verfassungsrechtlichen Diskussionen auch familienrechtliche Irritationen auslösen.

Sind noch Betreuungszeiten (Umgangskontakte) von dem Elternteil zulässig, der nicht Residenzelternteil ist?

Die Frage ist uneingeschränkt zu bejahen. Solange keine konkrete Gefahr für das Kind besteht, hat das Kind das Recht auf Betreuung durch beide Elternteile und die Eltern haben die Pflicht, das Kind auch nach der Trennung gemeinsam (nicht unbedingt zeitgleich) zu betreuen. Der in Art. 6 GG begründete grundrechtliche Schutz der Familie betrifft nicht nur die zusammenlebende, sondern auch die getrennte Familie. In deren innerstes Gefüge darf und kann der Staat nur dann eingreifen, wenn das Wohl des Kindes konkret gefährdet ist. Dies dient dem Schutz des Kindes.

Eine konkrete Gefährdung liegt aber nicht vor, wenn allgemein ‚Corona‘ umgeht. Der Infektionsgrad der bundesrepublikanischen Bevölkerung beträgt knapp 0,03%.[1] Die ergriffenen Maßnahmen der Landes- und Bundesregierung zur Vermeidung der Ausbreitung des Virus indizieren keinerlei konkrete Gefahr für das jeweilige Kind, sondern dienen der allgemeinen Gefahrenabwehr.

Eine Weigerung des Residenzelternteils auf Zulassung der Betreuung des gemeinsamen Kindes durch den anderen Elternteil, die auf die allgemeine Gefahr einer Ansteckung gestützt würde, verletzt dessen elterliches Grundrecht und die des Kindes. Im Übrigen ist ja auch nicht garantiert, dass eine Ansteckung des Kindes nicht auch beim und durch den Residenzelternteil erfolgt. Dies gilt auch dann, wenn der Elternteil, der nicht Residenzelternteil ist, zum Zweck der Realisierung seiner Betreuungsanteile mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreist.

Anders kann zu entscheiden sein, wenn die Voraussetzungen einer Quarantäne des Elternteils nach § 30 IfSG vorliegen. Dies wäre dann der Fall, wenn der Betreuungszeiten geltend machende Elternteil innerhalb der Inkubationszeit von 14 Tagen aus einem vom Robert-Koch-Institut als Risikogebiet[2] eingestuftem Gebiet eingereist ist oder sich dort aufgehalten hat. In diesem Fall kann eine konkrete Gefährdung des Kindes angenommen werden und eine Beschränkung von Betreuungszeiten durch den anderen Elternteil angezeigt sein.

Sind Umgangskontakte von Großeltern mit den Kindern zulässig?

Umgangskontakte von Kindern mit ‚Dritten‘, also von Bezugspersonen, die nicht die Eltern sind, sind leichter zu beschränken als die der Eltern. Nach der gesetzlichen Konzeption des § 1685 Abs. 1 BGB sind sie im Interesse des Kindeswohls zuzulassen. Ihre Beschränkung setzt damit keine Kindeswohlgefährdung voraus. Die Einstufung von Großeltern-Enkelkontakten durch das RKI als risikoreich würde daher m.E. eine Beschränkung und Aussetzung solcher Kontakte rechtfertigen. Dazu finden sich allerdings bislang keine Hinweise. Die angeblichen Warnungen werden vielmehr von kompetenter Seite als fehlerhaft bewertet.[3] Soweit erkennbar ist bislang von medizinisch kompetenter Seite ein generationsübergreifendes Kontaktgebot nie gefordert worden. Allenfalls dem Schutz der Großeltern vor einer Infektion könnte ein solches Distanzverbot dienen, nicht aber dem Schutz der Kindern. Bislang sind keine Bevölkerungsgruppen ausgemacht worden, die schneller oder leichter angesteckt werden, wohl aber solche, bei denen das Virus gravierendere Erkrankungsverläufe aufzeigt. Ein Distanzgebot kann daher m.E. von den Kinder betreuenden Elternteilen nicht ohne weiteres den Großeltern gegenüber ausgesprochen werden. Diese sind als mündige Erwachsene selbst für ihren Schutz zuständig.

Anders könnten Pflegeheim, in denen Großeltern leben, den Kontakt der Heimbewohner innerhalb des Heimes mit anderen Personen ausschließen oder begrenzen, wenn dadurch die Ansteckungsgefahr anderer Heimbewohner steigen würde. Diese Befugnis beschränkt sich aber auf den unmittelbaren Heimbereich. Weder kann ein Pflegeheim seinen Bewohnern den ‚Ausgang‘ noch aushäusige Kontakte zu den Enkeln verbieten.

Einsicht in Corona-Testergebnisse

Ist ein Elternteil auf den Corona-Virus getestet worden und verlangt der andere Elternteil Information über das Testergebnis, wird eine solche in der Regel gegeben werden. Erfolgt die Information nicht, löst dieses Verhalten des anderen Elternteils zwar wahrscheinlich Kopfschütteln, nicht aber einen konkreten Verdacht auf eine bestehende Corona-Infektion aus.

Weiß ein Elternteil allerdings um seine Infizierung und übernimmt gleichwohl, ohne den anderen Elternteil davon in Kenntnis zu setzen, die Betreuung des Kindes, kann dies als Kindeswohlgefährdung angesehen werden, schließlich käme bei einer Übertragung der Infektion auf das Kind auch eine Straftat in Betracht.[4]

Sind Auslands- und Urlaubsreisen mit Kindern zulässig?

Die Frage ist eher akademischer Natur, da inzwischen weltweite Reisebeschränkungen bestehen, die touristische Reisen komplett unmöglich machen. Da aber zu erwarten ist, dass die derzeitigen Beschränkungen nicht ewig bestehen bleiben, ist eine Beschränkung von Reisekontakten minderjähriger Kinder mit einem Elternteil nur dann möglich, wenn

  • eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes für das betreffende Land oder Gebiet besteht, oder
  • das Zielgebiet als Infektionsrisikogebiet durch das Robert-Koch-Institut eingestuft wird,
  • die konkrete Gefahr besteht, dass dem anderen Elternteil das Kind entzogen werden soll und der die Reise begleitende Elternteil nicht mit dem Kind nach Deutschland zurückkehren wird,
  • die Aufrechterhaltung einer für das Kind notwendigen medizinischen Behandlung am beabsichtigten Aufenthaltsort des Kindes nicht gewährleistet ist.

Andere die Betreuung und Kontakte des Kindes mit einem Elternteil oder Bezugspersonen betreffende Beschränkungen sind nur unter dem allgemeinen Aspekt einer konkreten Gefährdung des Kindeswohls denkbar. ‚Ungute‘ Gefühle, allgemeine Ängste und Befürchtungen reichen nicht aus.

Will also ein iranischer Vater mit Arbeitsplatz und Vita in Deutschland mit seiner 5-jährigen Tochter einen 14-tägigen Urlaub in Marokko verleben, stellt die Vermutung, er werde den Aufenthalt in Marokko nutzen, um mit seiner Tochter in den Iran zu fliegen (der als Corona-Risikogebiet geführt wird), um die Tochter dort der Familie zu präsentieren und eventuell nicht mehr zurückzukehren, sicher nicht aus, eine Umgangsbeschränkung zu rechtfertigen.

Schlussbemerkung

Der derzeitige kollektive Erregungszustand wird hoffentlich bald nüchterner Gelassenheit weichen. Es ist zu hoffen, dass die individuellen Freiheitsrechte der Bürger nicht leichtfertig einem sich zwischen Presse und Exekutive des Bundes und der Länder aufschaukelndem Bekämpfungsradikalismus geopfert werden. Dies zu verhindern ist gerade die Anwaltschaft berufen. Wir sind nicht Sprachrohr oder sogar Verstärker irrationaler Hysteriker, sondern haben die Aufgabe, das Kindeswohl sinnvoll zu verteidigen.

Individuelle Gesundheit ist zwar ein hohes Gut und ein wichtiges Menschenrecht. Sie ist aber nicht alles. Für die grundrechtlich garantierten Freiheitsrechte, das Versammlungs-, das Demonstrations-, das Recht auf Bewegungsfreiheit im Bundesgebiet, sind unzählige Deutsche und später Millionen Russen, Amerikaner, Engländer, Franzosen, Polen, Kanadier, Australier und Angehörige vieler anderer Nationen gestorben. Es wäre fatal, wenn auch die Juristen das Gespür für die Balance des Schutzes der kollektiven und individuellen Bürgerrechte in Konkurrenz zum Schutz individueller Gesundheit verlören. Einmal gebrochene Deiche sind schwer zu reparieren.

[1] https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Fallzahlen.html

[2] https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikogebiete.html

[3] https://www.evangelisch.de/inhalte/167483/20-03-2020/corona-krise-kinderaerzte-praesident-warnt-vor-haeuslicher-gewalt

[4] Vgl. die gleiche Fragestellung bei HIV-Infektionen.

Ferndiagnose BVerfG zu § 17 VersAusglG

Die mündliche Verhandlung über die Verfassungsgemäßheit von § 17 VersAusglG beim BverfG hat am 10.3.2020 stattgefunden.[1] Die Frage bleibt, wie das Gericht entscheiden wird. Der Worte sind aber vielleicht noch nicht genug gewechselt, weil einige Argumente der Anhänger der derzeitigen Lösung auch durch Wiederholung nicht besser werden.

Fangen wir also beim Argument des BGH an, die sog. Transferverluste, also die bei der externen Teilung eintretenden Rentenverluste der ausgleichsberechtigten Person, widersprächen nicht dem Halbteilungsgrundsatz. Bei hohem Niveau des Rechnungszinses träten sie zwar tatsächlich auf, falle aber das Zinsniveau, könne die externe Teilung sogar vorteilhaft sein.[2] Dieses Argument wurde auch in der mündlichen Verhandlung vor dem BverfG wiederholt. Richtiger wird es deswegen nicht. Der im Jahr 2010 geschiedenen und in die externe Teilung gezwungenen Frau, die beim Wechsel in die gesetzliche Rentenversicherung oder die Versorgungsausgleichskasse 40 % oder teilweise auch 60 % der ihr zustehenden Versorgung verloren hat, nutzt es nichts, dass sei bei einer Scheidung im Jahr 2020 einen Gewinn von ca. 25 % bei externer Teilung eingefahren hätte. Der Verfassungsrang beanspruchende Halbteilungsgrundsatz gilt für die jeweilige Ehescheidung und nicht für den 20-jährigen Durchschnitt aller Scheidungen. Das Grundgesetz fordert keine Durchschnitts-, sondern Einzelfallgerechtigkeit.

Die Auseinandersetzung mit der Rettungsargumentation der Arbeitsgemeinschaft betrieblicher Altersversorgungen ist da schon komplizierter. Sie befürchtet, dass durch Aufnahme der ausgleichsberechtigten Personen in das System der betrieblichen Altersversorgung zusätzliche belastende Verwaltungskosten für die betriebliche Altersversorgung entstünden, die deren Rentabilität beeinträchtigen werde. Dieses Argument ist nicht von der Hand zu weisen, überzeugt aber gleichwohl nicht. Aus vielerlei Erfahrung wissen wir, dass die Verwaltungskosten betrieblicher Versorgungsträger selten 10 € pro Monat übersteigen. Im klassischen Scheidungsalter einer 50-jährigen Frau entstünden dem Versorgungsträger damit Verwaltungskosten von ca. 3.200 € bis zum Versterben der Berechtigten.[3] Derzeit können Versorgungen bis zu einem Kapitalwert von 82.800 € extern geteilt werden. Die Verwaltungskosten entsprächen gerade einmal ca. 3,8 % des Ausgleichswerts. Wenn also die Verwaltungskosten der springende Punkt wären, läge nichts näher, als die ausgleichsberechtigte Person entscheiden zu lassen, ob zu Lasten der auszugleichenden Versorgung – und damit auch ihrer Versorgung – die entstehenden Verwaltungskosten berücksichtigt werden können oder ob stattdessen externe Teilung gewünscht wird. Ich bin sicher, dass die Betroffenen statt eines großen, manchmal 50 % übersteigenden Verlusts einen 3,8 %igen gewählt hätten.

Es bleibt auch nach der Verhandlung völlig unklar, warum nur Betriebe und Unterstützungskassen vor einem hohen Verwaltungsaufwand zu schützen sind, während die Versicherten der anderen Durchführungswege der betrieblichen Altersversorgung mit den Verwaltungskosten belastet werden.

Auch wenn sich Bundesregierung und betriebliche Altersversorgungen in der Anhörung bemühten, die Wertgrenze der Beitragsbemessungsgrenze (derzeit 82.800 €) für die Externalisierung einer betrieblichen Versorgung zu erklären, bleibt die Grenzziehung willkürlich. Die Bundesregierung argumentierte, diese Wertgrenze sei der Versorgungsträgern bekannt, weswegen man daran angeknüpft hätte. Ich kenne noch eine ganze Reihe anderer den Versorgungsträgern bekannter Wertgrenzen. Deren unbekannteste war die „monatliche Bezugsgröße“ des § 18 Abs. 1 SGB IV. Mit dieser hatten die Versorgungsträger bis zum 1.9.2009 überhaupt nichts zu tun. Trotzdem hat der Gesetzgeber den Betrieben diese Bezugsgröße in § 14 Abs. 2 Nr. 2 VersAusglG ohne Zaudern zugemutet. Die jetzt etablierte Wertgrenze in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze privilegiert Managergattinnen und -gatten im Versorgungsausgleich. Wie man das rechtfertigen will, ist nicht nachvollziehbar.

Die betrieblichen Altersversorgungen verteidigten die Grenze mit dem Argument, dies sei die Grenze, bis zu der man durch Pflichtbeiträge einen Rentenanspruch in der gesetzlichen Rentenversicherung pro Jahr erwerben könne. Das erinnert an die TV-Werbung eines Matratzenherstellers, der der Mitteilung eines Matratzenliegers, seine qualitätsstrotzende Matratze habe ein „Vermögen gekostet“, entgegensetzt, die in Deutschland meistgekaufte Matratze koste nur 199 €. Das eine hat mit dem anderen nicht das geringste zu tun. Durch das VersAusglG ist die Grenze, bis zu der eine Versorgung in der gesetzlichen Rentenversicherung begründet werden kann aufgehoben worden. Warum soll diese Grenze dann herangezogen werden, um die interne Teilung zu begründen? Der Verfasser plant derzeit, aus dem Versorgungsausgleich eine Versorgung in der gesetzlichen Rentenversicherung für eine ausgleichsberechtigte Frau aus einem Ausgleichswert von 1,7 Millionen Euro zu begründen. Die DRV nimmt auch Ausgleichswerte in dieser Höhe auf.

Die Berichte über die mündliche Verhandlung vor dem BVerfG stimmen zuversichtlich. Vielleicht hat der Gesetzgeber (heimlich) auf die heilende Kraft des Bundesverfassungsgerichts vertraut, es werde den Schönheitsfleck des VersAusglG, § 17, schon korrigieren. Schade nur, dass viele ausgleichsberechtigte Personen, deren Versorgungen durch die externe Teilung atomisiert wurden, von der Entscheidung nichts mehr haben werden. Zu hoffen bleibt, dass die ausgleichspflichtigen Personen zukünftig nicht die Hälfte ihrer ehezeitlich erworbenen betrieblichen Versorgung im Versorgungsausgleich verlieren und davon nur ein Bruchteil bei der ausgleichsberechtigten Person ankommt. Auch das ist nämlich eine Verletzung des Halbteilungsgrundsatzes.

Es bleibt also spannend.

[1] Der Verfasser war selbst bei der Verhandlung nicht zugegen, sondern fernab im Urlaub. Er war Mitautor der Stellungnahme des DAV zum Verfahren vor dem BVerfG und ist Autor eines Beitrags in der Festschrift Brudermüller mit dem Titel „Ist § 17 VersAusglG verfassungswidrig?“, FS Brudermüller, S. 277. Die Ausführungen basieren auf Pressemeldungen und insbesondere dem Bericht von Werner Schwamb für hefam, dem hierfür ausdrücklich gedankt sei.

[2] BGH v. 9.3.2016 – XII ZB 540/14, FamRZ 2016, 781 = FamRB 2016, 175.

[3] Barwert der Verwaltungskosten mit 2 % abgezinst.