Düsseldorfer Tabelle 2023 (Erwiderung auf Schwamb v. 20.12.2022)

Schwamb greift in seinem Beitrag die zu den Kontroversen bekannten Argumente auf, vernachlässigt dabei aber, dass sich die strittigen Punkte deshalb ergeben, weil die gesetzlichen Grundlagen der einzelnen Berechnungen längst nicht mehr mit den aus den Anfangsjahren des Unterhaltsrechts stammenden Maßstäben vergleichbar sind. Die strukturellen Veränderungen der letzten Jahrzehnte erfordern es, dass die Rechtsprechung die bisher angewandten Methoden auf ihre Eignung hinterfragt und die gewonnenen Ergebnisse auf ihre Angemessenheit und Stimmigkeit im Gesamtsystem überprüft.

Der um die Differenz zwischen zweiter und dritter Altersstufe erhöhte Bedarf volljähriger Kinder war schon seit den 1980er Jahren gebräuchlich (vgl. Hammer Leitlinien, Ziff. 18, FamRZ 1988, 1017); die Rechtsprechung zur Bemessung des Wohnkostenanteils mit 20 % des Tabellenwerts reicht zumindest bis in die 1990er Jahren zurück (vgl. Münch. Leitlinien 1996 Ziff. 4.1, FamRZ 1995, 1551). In dieser Zeit galt für die Eingangsstufe der Düsseldorfer Tabelle der Regelbedarf (§ 1515f BGB), dessen Höhe letztlich nicht durch ein wie auch immer berechnetes Existenzminimum, sondern durch die Leistungsfähigkeit bei kleinen Einkommen geprägt war (instruktiv BR-Drucks. 271/70). Dieselben Erwägungen galten auch noch für das Kindesunterhaltsgesetz von 1998 (BT-Drucks. 13/7338, 22; BT-Drucks. 13/9596, 31). Einen Bezug zum Existenzminimum stellte erstmals das Änderungsgesetz vom 2.11.2000 mit der Neufassung des § 1612b Abs. 5 BGB her (BT-Drucks. 14/3781, 8). Das Unterhaltsänderungsgesetz von 2008 ersetzte schließlich die sachwidrige 135 %-Regelung des § 1612b Abs. 5 BGB (BVerfGE 108, 52 Rz. 54) durch den steuerlichen Kinderfreibetrag, um den Kindesunterhalt anhand einer bundeseinheitlich geltenden Pauschale zu bestimmen. Dieser Freibetrag beruhe – so die Gesetzesbegründung – auf konkreten Zahlen zum Lebensbedarf und den Wohnkosten, so dass die Vorgaben für die Unterhaltspflichtigen und -berechtigten unmittelbar einsichtig und nachvollziehbar seien (BT-Drucks. 16/1830, 27). Dies gilt ohne weiteres für den offen ausgewiesenen Teilbetrag der Wohnkosten. In der Summe entsprechen 100 % des Mindestunterhalts dem vom Gesetz angestrebten Ergebnis; hier nicht erfasste Bedarfe begründen ohnehin einen Zusatzbedarf. Allerdings ist es mehr als nur ein Schönheitsfehler, wenn die gesetzlich vorgegebene Spreizung des Mittelwerts die methodischen Mängel der früheren Regelung beibehält und so das angestrebte Normziel für die jüngeren und älteren Kinder verfehlt. Dies zu korrigieren ist indes Aufgabe des Gesetzgebers. Andererseits kommen die Gerichte nicht daran vorbei, ihrerseits zu prüfen, ob angesichts dieses Befunds für volljährige Kinder eine nochmals höhere Steigerungsrate sachgerecht ist und das auf diese Weise ermittelte Ergebnisse dem vom Gesetz angestrebten Ziel eines existenzsichernden Mindestbedarfs entspricht. Es befremdet in der Tat, wenn sich für volljährige Schüler ein geringerer Bedarf errechnet, als er für die nur etwas jüngeren Geschwister gelten soll. Insofern gibt es gute Gründe, nicht allein auf den sozialrechtlichen Mindestbedarf abzustellen, zumal der Gesetzgeber mit der Privilegierung des § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB von vergleichbaren Lebensverhältnissen der noch in der Schulausbildung befindlichen Kinder ausgegangen ist. Dies rechtfertigt es, an dem – ohnehin schon erhöhten – Bedarf der 3. Altersstufe festzuhalten. Wer aber ungeachtet der veränderten Bezugsgrößen die bisherige Praxis eines um nochmals 8 % erhöhten Tabellensatzes beibehalten will, muss schon begründen, weshalb erst diese Berechnung zum existenznotwendigen Barbedarf führt. Man kann der Meinung sein, dass Jugendliche und junge Erwachsene einen höheren Wohnbedarf haben als Kleinkinder und entsprechendes auch für den persönlichen Schulbedarf gelten solle. Persönliche Überzeugungen eignen sich jedoch ebenso wenig für eine sachbezogene Begründung wie der Verweis auf eine über allen Instanzen hinweg unverändert praktizierte Rechtsprechung. Vielmehr wären die einzelnen Positionen anhand empirisch belegter Werte konkret zu beziffern.

Für den Bedarf minderjähriger Kinder bezieht sich das Gesetz explizit auf die Maßstäbe und Methoden des Existenzminimumberichts. Dieser entspricht sachlich den „sozialrechtlichen Grundsätzen“, auf die sich die Rechtsprechung auch ansonsten zur Bemessung von Mindestbedarf und Selbstbehalt stützt. Weshalb sollen diese Grundsätze allein beim Unterhalt für volljährige Kinder nicht gelten?

Düsseldorfer Tabelle 2023 (Erwiderung zu Schürmann FamRB 2023, 34)

„Alle Jahre wieder“ eine neue Düsseldorfer Tabelle; Heinrich Schürmann beschreibt es im Blog und in FamRB 2023, 34 zutreffend, weshalb das inzwischen erforderlich ist, und auch seiner Einschätzung, dass angesichts der fälligen Erhöhung der Selbstbehalte und der gleichzeitigen deutlichen Erhöhung der Bedarfsbeträge in der nochmals geänderten MindestunterhaltsVO 2023 eine Ausrichtung der Tabelle auf nur noch einen Berechtigten dieses Mal angezeigt gewesen wäre (anders als bei der Entnahme einer Einkommensgruppe vor 5 Jahren, vgl. damals kritisch Schwamb FamRB 2018, 67), kann ich folgen, denn der Abstand zwischen den Selbstbehalten und der zweiten Altersstufe ist nun so gering, dass eine Aufstufung bei nur einer unterhaltsberechtigten Person praktisch nicht mehr in Frage kommt.
Kritikwürdig sind und bleiben dagegen Schürmanns Ausführungen zur Bedarfssituation beim Kindesunterhalt in allen vier Altersstufen, insbesondere der von ihm weiterhin abgelehnten vierten, über deren Erhalt in vermindertem Abstand zur dritten Altersstufe jedoch ein in der Kommission mehrheitlich getragener Kompromiss vor drei Jahren zustande gekommen ist. Die Differenz liegt darin, dass Schürmann – insoweit abweichend von der gesetzlichen Regelung und auch der Rechtsprechung des BGH – eine vollständige Übereinstimmung mit der sozialhilferechtlichen Lage herstellen will. Gemeinsam ist beiden Rechtsgebieten aber nur der Ausgangspunkt des steuerbefreiten Existenzminimums, nach dem sich auch der Mindestunterhalt der zweiten Altersstufe richtet. Davon 87% für die erste Altersstufe und 117% für die dritte Altersstufe sind die gesetzliche Regelung, die man kritisieren kann, aber bei der alljährlichen Anpassung der Düsseldorfer Tabelle zugrunde zu legen ist. Schürmanns Kritik, dass 87% für die erste Altersstufe zu wenig, 117% für die dritte und 125% für die vierte Altersstufe dagegen zu viel seien, beruht inhaltlich im Wesentlichen auf seiner Annahme, dass der Wohnbedarf eines Kindes in allen Altersstufen unverändert bei derzeit 120 € liege.  Entgegen seiner Ansicht entspricht das aber nicht der Rechtslage im Unterhaltsrecht, insbesondere auch nicht den von ihm dafür in FamRB 2023, 35 unter Fußnoten 9, 10 zitierten beiden Entscheidungen des BGH vom 29.9.2021 (XII ZB 474/20 = FamRZ 2021, 1965 = FamRB 2022, 9 [M. Schneider]) und vom 18.5.2022 (XII ZB 325/20 = FamRZ 2022, 1366 = FamRB 2022, 342 [Schwamb]). Im Gegenteil liegt diesen beiden Entscheidungen sogar ausdrücklich zugrunde, dass 20% des jeweiligen Unterhaltsbedarfs eines Kindes nach dem zusammengerechneten Einkommen beider Elternteile den Wohnbedarf ausmachen und sich dieser somit ausdrücklich auch nach dem steigenden Lebensalter richtet (gerade anders als nach der abgelehnten, früher teilweise vertretenen Pro-Kopfberechnung). Auch wenn die Verwirklichung dieses Wohnbedarfs sicher nicht immer zeitgleich mit Erreichen der nächsten Altersstufe umgesetzt wird, dürfte es nicht zweifelhaft sein, dass ein Jugendlicher einen höheren Wohnbedarf hat als ein Kleinkind. Jedenfalls entspricht das der unterhaltsrechtlichen Rechtslage (s. o.). Soweit Schürmann die 4. Altersstufe ganz ablehnt, ja sogar für die 18-jährigen einen niedrigeren Bedarf errechnet als für die 12-17-jährigen Jugendlichen, ist seiner Argumentation schon wiederholt entgegen getreten worden (vgl. Schwamb FamRB 2018, 67 ff., 69 und im Experten-Blog vom 21.7.2021 Der Familien-Rechtsberater – Blog (otto-schmidt.de) . Dass in der Tabelle für die 18-jährigen (FamRB 2023, 35) nicht einmal die 15 € für gesellschaftliche Teilhabe auftauchen, die mit Volljährigkeit auf jeden Fall deutlich ansteigt, und auch 3 € für Ausflüge und 14,50 € für den Schulbedarf im letzten Jahr vor dem Abitur untersetzt sind, nimmt dieser Zusammenstellung bereits jede Überzeugungskraft. Auch hier gilt wieder, dass die unterhaltsrechtliche Sicht nicht mit der sozialhilferechtlichen verglichen werden darf, zumal der Sozialhilfesatz für die nicht in Berufsausbildung stehenden arbeitslosen jungen Erwachsenen nicht deren Bedarf entspricht und einen gewissen „Strafcharakter“ hat.  Zum wiederholten Mal muss schließlich der aufrechterhaltenen Auffassung widersprochen werden, ein „zu hoch angesetzter Bedarf im Mangelfall“ benachteilige die jüngeren Geschwister. Diese Sichtweise übersieht weiterhin, dass der Einsatzbetrag im Mangelfall der jeweilige Zahlbetrag nach Abzug des Kindergeldes ist (ausführlich Schwamb FamRB 2018, 67 ff., 70). Damit liegt der Einsatzbetrag der privilegierten Volljährigen sogar mit der 4. Altersstufe noch deutlich unter dem der Jugendlichen in der 3. Altersstufe und gerade noch einen Euro über dem der 2. Altersstufe. Auf das Rechenbeispiel im Anhang III. der Frankfurter Unterhaltsgrundsätze 2023  http://www.hefam.de/DT/ffmAPfr.html wird insoweit verwiesen. Von einer Benachteiligung der minderjährigen Geschwister im Mangelfall kann deshalb keine Rede sein.

Last not least überzeugt auch nicht die allerdings von allen Oberlandesgerichten inzwischen übernommene Streichung des „großen“ Selbstbehalts für den Eltern- und Großelternunterhalt (befürwortend Schürmann FamRB 2023, 34 ff, 37 f.). Immerhin enthalten die Frankfurter Unterhaltsgrundsätze noch die Beträge für den Enkelunterhalt (Nr. 21.3.4 und siehe dort auch Nr. 22.3). Das Angehörigenentlastungsgesetz hat eine völlig andere Bedeutung als die Selbstbehalte im Unterhaltsrecht (siehe bereits früher zu § 43 SGB XII: BGH v. 8.7.2015 – XII ZB 56/14, FamRZ 2015, 1467 Rz. 47, 48 = FamRB 2015, 330 [Hauß]). Sofern ein zum Unterhalt für seine Eltern grundsätzlich Verpflichteter mit einem Bruttoeinkommen von knapp über 100.000 Euro herangezogen werden soll, wären die früher von der Rechtsprechung anhand des dafür gebildeten großen Selbstbehalts, über dessen weitere Anpassung ggf. zu diskutieren wäre, entwickelten Grundsätze und vor allem der damit verbundene Familienselbstbehalt (siehe dazu weiterhin Nr. 22.3 der Frankfurter Unterhaltsgrundsätze) immer noch sinnvolle Instrumente für die Praxis, denn auch mit einem solchen Bruttoeinkommen kann es bei berechtigten Abzügen durchaus zu einem Nettoeinkommen führen, bei dem jedenfalls die bisherigen Grundsätze des Familienselbstbehalts, ggf. mit erhöhten Grenzen, weiterhin gebraucht werden könnten.

 

Aufruf des DIJuF: Kindesunterhalt – Teilrechtsreform jetzt!

Die Ständige Fachkonferenz 3 (SFK 3) „Familienrecht und Beistandschaft, Amtsvormundschaft“ des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht e. V. (DIJuF) begrüßt es, dass laut den Vereinbarungen im Koalitionsvertrag die Modernisierung des Familienrechts vorgesehen ist und eine gute wirtschaftliche Absicherung der Kinder erreicht werden soll. Hierbei handelt es sich um umfangreiche Aufgaben, die Auswirkungen auf viele Lebensbereiche der Menschen haben. Daher ist es selbstverständlich, dass diese Projekte gründliche Vorarbeiten erfordern und Zeit in Anspruch nehmen. Das Ausbleiben der Reformen belastet jedoch die forensische und die beratende Praxis sowie die betroffenen Familien in hohem Maß. Daher bittet die SFK3 die Bundesregierung, einige der in der letzten Legislaturperiode angedachten Gesetzesänderungen aus dem Gesamtpakt herauszulösen und möglichst rasch umzusetzen. So sollte insbesondere jetzt eine Teilrechtsreform zum Kindesunterhalt stattfinden.

Den auch in JAmt 2022, 192 veröffentlichten Aufruf finden Sie hier.

Familienrechtliche Reformpläne im Koalitionsvertrag

Anbei die für den Familienrechtler relevantesten Passagen aus dem mehr als 170-seitigen Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP:

 

Familienrecht (S. 101/102)

Wir werden das Familienrecht modernisieren. Hierzu werden wir das „kleine Sorgerecht“ für soziale Eltern ausweiten und zu einem eigenen Rechtsinstitut weiterentwickeln, das im Einvernehmen mit den rechtlichen Eltern auf bis zu zwei weitere Erwachsene übertragen werden kann. Wir werden das Institut der Verantwortungsgemeinschaft einführen und damit jenseits von Liebesbeziehungen oder der Ehe zwei oder mehr volljährigen Personen ermöglichen, rechtlich füreinander Verantwortung zu übernehmen. Wir wollen Vereinbarungen zu rechtlicher Elternschaft, elterlicher Sorge, Umgangsrecht und Unterhalt schon vor der Empfängnis ermöglichen.

Wenn ein Kind in die Ehe zweier Frauen geboren wird, sind automatisch beide rechtliche Mütter des Kindes, sofern nichts anderes vereinbart ist. Die Ehe soll nicht ausschlaggebendes Kriterium bei der Adoption minderjähriger Kinder sein.

Auch außerhalb der Ehe soll die Elternschaftsanerkennung unabhängig vom Geschlecht der anerkennenden Person oder von einem Scheidungsverfahren möglich sein. Wir werden ein statusunabhängiges Feststellungsverfahren einführen, in dem ein Kind seine Abstammung gerichtlich klären lassen kann ohne zugleich die rechtliche Elternschaft anfechten zu müssen. Das Samenspenderregister wollen wir auch für bisherige Fälle, private Samenspenden und Embryonenspenden öffnen.

Wir werden die partnerschaftliche Betreuung der Kinder nach der Trennung fördern, indem wir die umgangs- und betreuungsbedingten Mehrbelastungen im Sozial- und Steuerrecht besser berücksichtigen. Wir wollen allen Familien eine am Kindeswohl orientierte partnerschaftliche Betreuung minderjähriger Kinder auch nach Trennung und Scheidung der Eltern ermöglichen und die dafür erforderlichen Bedingungen schaffen. Wir wollen im Unterhaltsrecht die Betreuungsanteile vor und nach der Scheidung besser berücksichtigen, ohne das Existenzminimum des Kindes zu gefährden.

Wir wollen gemeinsam mit den Ländern die Erziehungs-, sowie Trennungs- und Konfliktberatung verbessern und dabei insbesondere das Wechselmodell in den Mittelpunkt stellen. Wir werden den Kindern ein eigenes Recht auf Umgang mit den Großeltern und Geschwistern geben. Das Namensrecht liberalisieren wir, z.B. durch Einführung echter Doppelnamen.

Wir werden in familiengerichtlichen Verfahren den Kinderschutz und das Prinzip der Mündlichkeit der Verhandlungen stärken. Die Hürden für die Nichtzulassungsbeschwerde werden wir senken sowie einen Fortbildungsanspruch für Familienrichterinnen und Familienrichter gesetzlich verankern. Wenn häusliche Gewalt festgestellt wird, ist dies in einem Umgangsverfahren zwingend zu berücksichtigen.

Wir ermöglichen es unverheirateten Vätern in den Fällen, in denen die Eltern einen gemeinsamen Wohnsitz haben, durch einseitige Erklärung das gemeinsame Sorgerecht zu erlangen. Widerspricht die Mutter, so muss das Familiengericht über die gemeinsame Sorge entscheiden. Das Kindeswohl ist dabei besonders zu berücksichtigen. Wir werden die Modernisierung im Kindschafts- und Unterhaltsrecht mit Studien begleiten.

 

Zudem:

Wir wollen die Kinderrechte ausdrücklich im Grundgesetz verankern und orientieren uns dabei maßgeblich an den Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention. Dafür werden wir einen Gesetzesentwurf vorlegen und zugleich das Monitoring zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention ausbauen. (S. 98)

Wir wollen mit der Kindergrundsicherung bessere Chancen für Kinder und Jugendliche schaffen. … In einem Neustart der Familienförderung wollen wir bisherige finanzielle Unterstützungen – wie Kindergeld, Leistungen aus SGB II/XII für Kinder, Teile des Bildungs- und Teilhabepakets, sowie den Kinderzuschlag – in einer einfachen, automatisiert berechnet und ausgezahlten Förderleistung bündeln. Diese Leistung soll ohne bürokratische Hürden direkt bei den Kindern ankommen und ihr neu zu definierendes soziokulturelles Existenzminimum sichern. Die Kindergrundsicherung soll aus zwei Komponenten bestehen: Einem einkommensunabhängigen Garantiebetrag, der für alle Kinder und Jugendlichen gleich hoch ist, und einem vom Elterneinkommen abhängigen, gestaffelten Zusatzbetrag. Volljährige Anspruchsberechtigte erhalten die Leistung direkt. (S. 100)

Das BAföG wollen wir reformieren und dabei elternunabhängiger machen. Der elternunabhängige Garantiebetrag im Rahmen der Kindergrundsicherung soll künftig direkt an volljährige Anspruchsberechtigte in Ausbildung und Studium ausgezahlt werden. Wir richten das BAföG neu aus und legen dabei einen besonderen Fokus auf eine deutliche Erhöhung
der Freibeträge. Außerdem werden wir u. a. Altersgrenzen stark anheben, Studienfachwechsel
erleichtern, die Förderhöchstdauer verlängern, Bedarfssätze auch vor dem Hintergrund steigender
Wohnkosten anheben, einen Notfallmechanismus ergänzen und Teilzeitförderungen prüfen. (S. 97)

Wir werden das Elterngeld vereinfachen, digitalisieren und die gemeinschaftliche elterliche Verantwortung stärken. Wir werden eine zweiwöchige vergütete Freistellung für die Partnerin oder den Partner nach der Geburt eines Kindes einführen. Diese Möglichkeit soll es auch für Alleinerziehende geben. Den Mutterschutz und die Freistellung für den Partner bzw. die Partnerin soll es bei Fehl- bzw. Totgeburt künftig nach der 20. Schwangerschaftswoche geben. Die Partnermonate beim Basis-Elterngeld werden wir um einen Monat erweitern, entsprechend auch
für Alleinerziehende. Wir werden einen Elterngeldanspruch für Pflegeeltern einführen und den
Anspruch für Selbstständige modernisieren. Für die Eltern, deren Kinder vor der 37. Schwangerschaftswoche geboren werden, erweitern wir den Anspruch auf Elterngeld. Wir werden den Basis- und Höchstbetrag beim Elterngeld dynamisieren. Wir verlängern den elternzeitbedingten Kündigungsschutz um drei Monate nach Rückkehr in den
Beruf, um den Wiedereinstieg abzusichern. (S. 100/101)

Wir werden die Kinderkrankentage pro Kind und Elternteil auf 15 Tage und für Alleinerziehende auf 30 Tage erhöhen. (S. 101)

 

 

Zu dem auf den Internetseiten der SPD veröffentlichten vollständigen Koalitionsvertrag kommen Sie hier.

Ersatzhaftung von Großeltern für den Enkelunterhalt (BGH v. 27.10.2021 – XII ZB 123/21)

Die gesteigerte Unterhaltspflicht von Eltern gegenüber ihren minderjährigen Kindern entfällt, wenn leistungsfähige Großeltern als andere unterhaltspflichtige Verwandte (§ 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB) vorhanden und in der Lage sind, den Unterhalt der Enkel ohne Gefährdung ihres eigenen angemessenen Selbstbehalts aufzubringen. An dieser gesetzgeberischen Konzeption, die Ausdruck einer generationenübergreifenden Solidarität ist, hat sich bis heute nichts geändert.

Die Beteiligten streiten um rückständigen Kindesunterhalt aus übergegangenem Recht für den Zeitraum von 6/2016 bis 12/2017. Der Antragsgegner (Ag) ist Vater der 2010 geborenen M und des 2004 geborenen L. Er verfügte in der fraglichen Zeit über ein monatliches Nettoeinkommen von rund 1.441 € (2016) bzw.1.466 € (2017). Davon zahlte er an die Mutter, deren Nettoeinkommen aus einer Teilzeittätigkeit rund 1.000 € betrug, einen monatlichen Kindesunterhalt für M von 100 €. Seine Eltern – die Großeltern von M – erzielten als Polizeibeamter bzw. Briefzustellerin monatliche Nettoeinkünfte von knapp 3.500 € bzw. gut 2.200 €. Der Antragsteller (Ast) und Träger der Unterhaltsvorschusskasse hat im Anspruchszeitraum an die Mutter von M Unterhaltsvorschuss i.H.v. insgesamt 1.772 € gezahlt und den Vater aus übergegangenem Recht i.H.v. insgesamt 758,29 € in Anspruch genommen. Der Ag hat eingewandt, angesichts der leistungsfähigen Großeltern nur bis zur Höhe des angemessenen Selbstbehalts zu haften und deshalb über die von ihm geleisteten Zahlungen hinaus nicht leistungsfähig zu sein. Dass AG hat den Ag antragsgemäß verpflichtet. Auf seine Beschwerde hin hat das OLG die Entscheidung abgeändert und den Antrag abgewiesen. Dagegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde des Ast.

Der BGH weist die Rechtsbeschwerde zurück, weil der Ag nicht über die von ihm erbrachten Unterhaltszahlungen hinaus leistungsfähig i.S.v. § 1603 BGB gewesen sei. Er könne gegenüber M, deren Unterhaltsanspruch gemäß § 7 UVG auf den Ast übergegangen sei, gemäß 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB seinen angemessenen Selbstbehalt (von seinerzeit 1.300 €) verteidigen, indem er auf die Unterhaltspflicht der Großeltern väterlicherseits verweise. Denn nach dieser Regelung gelte die gesteigerte Unterhaltspflicht gegenüber minderjährigen Kindern (§ 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB) nicht, wenn ein anderer unterhaltspflichtiger Verwandter vorhanden ist. Dies seien hier die Großeltern, die ohne Gefährdung ihres erhöhten angemessenen Selbstbehalts leistungsfähig zur Zahlung des Kindesunterhalts gewesen seien. Deren Ersatzhaftung trete nicht erst dann ein, wenn der notwendige Selbstbehalt der Eltern unterschritten werde, sondern auch dann, wenn der barunterhaltspflichtige Elternteil den Kindesunterhalt nur aus dem Differenzbetrag zwischen dem angemessenen und dem notwendigen Selbstbehalt aufbringen könne. Diese Heranziehung von Großeltern für den Unterhalt ihrer Enkel stelle auch keine verdeckte Unterhaltsgewährung an die Kindeseltern selbst dar. Vielmehr haften die Großeltern gemäß § 1607 Abs. 1 BGB originär nur für Unterhalt gegenüber ihren Enkelkindern.

Der Unterhaltsbedarf der Enkel richtet sich nach den Lebensverhältnissen der Eltern und nicht der Großeltern. Soweit die Eltern nicht leistungsfähig sind, wird der Bedarf ihrer Kinder regelmäßig nicht über den Mindestunterhalt nach § 1612a Abs. 1 BGB hinausgehen. Daher werden die Großeltern, selbst wenn sie in guten wirtschaftlichen Verhältnissen leben, in aller Regel nur in dieser Höhe Unterhalt für ihre Enkel zahlen müssen. Das gilt auch dann, wenn gegen die Eltern oder den barunterhaltspflichtigen Elternteil höherer Kindesunterhalt tituliert worden ist. Denn dieser Unterhaltstitel entfaltet im Verhältnis zu den Großeltern keine Wirkung. In einem solchen Fall wird er auf einem entsprechenden früheren Einkommen der Eltern beruhen; die Kinder haben jedoch ein späteres Absinken des Einkommens ihrer Eltern mitzutragen.

Im vorliegenden Fall kommt es auch nicht auf die Frage an, ob ggf. die Großeltern mütterlicherseits neben den Großeltern väterlicherseits ebenfalls als weitere leistungsfähige Verwandte i.S.d. 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB in Betracht kommen. Denn für den Ausschluss der erweiterten Unterhaltsverpflichtung des von der Unterhaltsvorschusskasse in Anspruch genommenen Vaters nach § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB genügt es, wenn dieser mindestens einen anderen leistungsfähigen Unterhaltsverpflichteten i.S.d. § 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB benennen und nachweisen kann. Danach tritt die gesteigerte Unterhaltspflicht dann nicht ein, wenn ein anderer unterhaltspflichtiger Verwandter vorhanden ist. Welche Großeltern den Unterhalt leisten müssten, war vorliegend, da sie nicht in Anspruch genommen worden sind, nicht zu klären. Auch darauf, ob die Mutter der M eine weitere leistungsfähige Verwandte wäre, kam es nicht an, denn der Ag hatte im Verfahren nicht auf ihre Inanspruchnahme verwiesen. Im Übrigen läge ein etwaiges bereinigtes fiktives Einkommen der Mutter hier bei einer Vollzeitstelle auf der Grundlage ihrer tatsächlichen Einkünfte ebenfalls unterhalb des angemessenen Selbstbehalts.

Jedem Großelternteil ist entsprechend Anm. D I der Düsseldorfer Tabelle ein – gegenüber den Eltern höherer – angemessener Selbstbehalt von aktuell mindestens 2.000 € gegenüber seinen Enkeln zuzubilligen. Wie beim Elternunterhalt ist dieser Betrag um die Hälfte des Mehreinkommens, das über 2.000 € liegt, zu erhöhen. Bei zusammenlebenden Großeltern ist entsprechend zu differenzieren. Im Übrigen ergibt sich aus dem eindeutigen Wortlaut des § 7 Abs. 1 Satz 1 UVG, dass der staatliche Leistungsträger im Fall von Unterhaltsvorschusszahlungen keinen Rückgriff bei Großeltern (sondern nur gegenüber Eltern) nehmen kann. Dies stellt eine bewusste gesetzgeberische Entscheidung dar, die zu beachten ist.

Kein familienrechtlicher Ausgleichsanspruch für Arme?

In einem kürzlich beendeten Verfahren hatte das OLG Köln über einen sog. familienrechtlichen Ausgleichsanspruch zu entscheiden (OLG Köln v. 11.2.2021 – 14 UF 88/20). Dieser Anspruch spielt in der Praxis insbesondere dann eine Rolle, wenn der betreuende Elternteil während der Minderjährigkeit seines Kindes im eigenen Namen für das Kind Unterhaltsansprüche gegen den anderen Elternteil geltend gemacht hat und das Kind im Lauf des Verfahrens volljährig wird. In diesem Fall wird das Unterhaltsverfahren grundsätzlich auch rückwirkend unzulässig, da der betreuende Elternteil aufgrund der Volljährigkeit des Kindes dessen Ansprüche nicht mehr im eigenen Namen geltend machen kann. Das Kind muss in diesen Fällen also grundsätzlich seine Unterhaltsansprüche auch bezüglich der Vergangenheit selbst im eigenen Namen geltend machen. Dies ist aber häufig nicht gewollt. Die Rechtsprechung behilft sich in diesen Fällen grundsätzlich damit, dass hier im Rahmen einer tatsächlichen Vermutung angenommen wird, dass der betreuende Elternteil den Kindesunterhalt vorgestreckt hat (irgendwer muss ja den Lebensunterhalt des Kindes tatsächlich bezahlen). In diesen Fällen soll dem vorstreckenden Elternteil selbst ein Ausgleichsanspruch gegen den eigentlich barunterhaltsverpflichteten Elternteil zustehen, den er im Rahmen des bereits anhängigen Kindesunterhaltsverfahrens sodann geltend machen kann.

Im dem vom OLG nun entschiedenen Fall lag genau dieser Sachverhalt vor. Das dem Ganzen zugrundeliegende Kindesunterhaltsverfahren war bereits im Jahr 2017 eingeleitet worden, als das Kind noch 15 Jahre alt war. Nach knapp drei Jahren Verfahrensdauer wurde die Mutter im Jahr 2020 endlich zur Zahlung des Mindestunterhalts für das Kind verpflichtet. Da aber das Kind genau zwei Tage (!) vor der Verkündung der Entscheidung „unbemerkt“ 18 geworden war, legte die Kindesmutter gegen die Entscheidung Beschwerde ein, mit der (insoweit berechtigten) Begründung, der gesamte Antrag sei zwei Tage vor Verkündung der Entscheidung unzulässig geworden. Der Vater stellte daraufhin die Begründung seines Anspruchs dahin gehend um, dass er ihn nunmehr auf den familienrechtlichen Ausgleichsanspruch stützte. Der Sohn hatte ihm seinen Unterhaltsanspruch zudem sicherheitshalber abgetreten. Das OLG wies den Antrag ab.

Zunächst wies das OLG noch richtigerweise darauf hin, dass Unterhaltsansprüche gemäß § 400 BGB nicht abtretbar sind. Das Bedenkliche an dieser Entscheidung ist jedoch, dass das OLG auch den familienrechtlichen Ausgleichsanspruch für nicht begründet hielt – und zwar aus dem einzigen Grund, weil der Vater bereits bei Einleitung des Verfahrens in „prekären finanziellen Verhältnissen“ gelebt hatte. Diese Annahme stützte das OLG in erster Linie auf die Unterlagen zur Verfahrenskostenhilfe, die der Vater eingereicht habe. Das OLG war der Auffassung, unter diesen finanziellen Umständen könne eine Vermutung, dass der Vater tatsächlich Leistungen im Wert des Mindestunterhalts an sein Kind erbracht hatte, nicht gelten.

Diese Entscheidung hat nun zur Folge, dass der ohnehin bereits unter dem Existenzminimum lebende Vater nun sogar noch auf den unzweifelhaft ursprünglich bestehenden Kindesunterhaltsanspruch verzichten muss und darüber hinaus die Verfahrenskosten jedenfalls insoweit zu tragen hat, als es den Verfahrensbevollmächtigten der Mutter betrifft. Ob dies wirklich ein sinnvolles Ergebnis ist, darf bezweifelt werden.

Für die Praxis hat diese Entscheidung zumindest für den OLG-Bezirk Köln die Konsequenz, dass in derartigen Fällen kein Rechtsanwalt auf Verfahrenskostenhilfebasis noch vernünftigerweise einen familienrechtlichen Ausgleichsanspruch geltend machen kann. Die ohnehin bereits bestehende Hilflosigkeit der sozial Schwächeren im Hinblick auf eine angemessene rechtliche Vertretung ihrer Interessen wird damit zementiert.

Erwiderung auf „Die Düsseldorfer Tabelle 2022 – es besteht Handlungsbedarf“ (DFGT, FamRZ 2021, 923 = FamRB 2021, 348)

Da kommt etwas auf die unterhaltsrechtliche Praxis zu, auch wenn es zunächst nur ein Diskussionsbeitrag des Vorstands der Unterhaltskommission des DFGT ist.

Der in FamRZ 2021, 923 = FamRB 2021, 348 veröffentlichten Stellungnahme der Unterhaltskommission des DFGT mit dem Titel: „Die Düsseldorfer Tabelle 2022 – es besteht Handlungsbedarf“ kann zwar in ihrem Programmsatz zugestimmt werden, dem weiteren Inhalt jedoch allenfalls teilweise.

Soweit die neuen um 40 € bzw. 70 € erhöhten Selbstbehaltssätze ab 2022 vorgestellt werden (unter IV.), besteht kein großes Problem (mit einer Ausnahme beim Ehegattenselbstbehalt, dazu später), denn sie folgen den gestiegenen Lebenshaltungskosten seit der letzten Erhöhung.

Eine diskutable Änderung ist die erneute Umstellung der Düsseldorfer Tabelle hinsichtlich der Zahl der Berechtigten, dieses Mal von zwei auf einen. Dabei darf nicht aus den Augen verloren werden, dass damit – wie bereits erstmals 2010 bei der Umstellung von drei auf zwei Berechtigte (diese Änderung war bei dem Wegfall der Einkommensgruppe 1.501–1.900 € ab 1.1.2018 in der Begründung nicht erwähnt worden; krit. Schwamb, FamRB 2018, 67, 69) und eben auch wie beim Wegfall der vormals zweiten Einkommensgruppe – eine Ermäßigung der Unterhaltsverpflichtung in den höheren Einkommensgruppen verbunden ist, die wieder genau den Unterschiedsbetrag einer Einkommensgruppe ausmacht.

Wenn dem heute dennoch zugestimmt werden kann, dann deshalb, weil (insoweit eine Parallele zu 2010) tatsächlich eine deutlich überproportionale Anhebung des Mindestunterhalts 2020 und vor allem 2021 eingetreten ist, die die Verschiebung bei der Einordnung in die Einkommensgruppen eher rechtfertigt als 2018, wobei die Zahlbeträge trotz des gestiegenen Kindergelds nicht noch einmal hinter 2017 zurückfallen. Ärgerlich bleibt daran allerdings, dass anders als bei – schon 2016 vom Verfasser noch in der Kommission erstmals vorgeschlagenen – kleineren schrittweisen Anpassungen der Einkommensgruppen nun erneut wie 2018 ein einmaliger „harter Schnitt“ vollzogen wird, der zudem bei dynamischen Titeln nicht eintritt (ob deswegen eine Abänderung zulässig ist, ist zumindest nicht unstreitig) und auch die noch 2021 festgelegten starren Unterhaltstitel höher ausfallen als im kommenden Jahr erstellte.

Damit ist aber die Konsensfähigkeit des Kommissionspapiers auch schon weitgehend aufgebraucht.

Das gilt insbesondere für den erneuten Angriff auf die Altersstufe 4 mit etwa derselben Argumentation wie schon 2007 (!) und 2018 (Schürmann, FamRZ 2007, 545, 547 und FamRB 2018, 32; dagegen ausführlich Schwamb, FamRB 2018, 67, 69 und Staudinger/Klinkhammer, BGB, 2018, § 1610 Rz. 321). Wirklich Neues, was es rechtfertigt, dieses Fass erneut zu öffnen, nachdem erst vor 1 1/2 Jahren mühsam ein Kompromiss gefunden worden ist (mit seither 125 % gegenüber der Altersstufe 2 als Ausgangspunkt nach § 1612a Abs. 1 Nr. 2 BGB – bis 2017 waren es 134 %), enthält der neue Vorschlag nicht; vielmehr werden die in der letzten Diskussion eigentlich ausgeräumten, weil hier nicht passenden Vergleiche mit dem SGB II und dem ermäßigten, gelegentlich als „Strafunterhalt“ bezeichneten Betrag für die jungen arbeitslosen Erwachsenen nur aufgewärmt. Alle weiteren Argumente für den Erhalt der 4. Altersstufe aus den beiden obigen Fundstellen müssen hier nicht wiederholt werden. Angesichts der mit Volljährigkeit bei Vollanrechnung des Kindergeldes drastisch sinkenden Zahlbeträge sei aber doch auf folgende Zahlen seit 2017 aufgrund des zwischenzeitlichen Einfrierens der 4. Altersstufe bis auf jetzt 125 % gegenüber § 1612a Abs. 1 Nr. 2 BGB im Wege des Kompromisses hingewiesen.

Unterhaltspflichtiger M mit 1.800 € bereinigt netto und nur einem Kind K, geb. am 1.7.1999 (F ohne ausreichendes Einkommen):

  • Zahlbetrag 2017: 410 € bis Juni (damalige Einkommensgruppe 2 um eine hochgestuft nach 3 in der 3. Altersstufe), 388 € ab Juli (damalige Einkommensgruppe 2 um eine hochgestuft nach 3 in der 4. Altersstufe und Vollanrechnung Kindergeld)
  • Zahlbetrag 2018: 360 € (neue und eingefrorene Einkommensgruppe 1 um eine hochgestuft nach 2)
  • Zahlbetrag 2019: 360 € bis Juni, 350 € ab Juli (wegen Kindergelderhöhung um 10 €)
  • Zahlbetrag 2020: 353 € (erste geringfügige Erhöhung infolge des o.g. Kompromisses in der erweiterten Kommission)
  • Zahlbetrag 2021: 374 € (Erhöhung trotz Erhöhung des Kindergeldes, aber immer noch weniger zu zahlen als 2017)
  • Zahlbetrag 2022: 345 e (ohne mir noch nicht bekannte Erhöhung bei Einkommensgruppe 1, nun aber ohne Hochstufung nach 2)

Die Absenkung für einen 18 Jahre alten Schüler ggü. 2017 wird also noch nicht einmal durch das von 194 auf 219 € gestiegene Kindergeld kompensiert. Ohne den nun wieder in Frage gestellten Kompromiss von 2020 wären es noch einmal 24 € weniger, also Zahlbetrag 321 €. Dagegen erhält der 17 Jahre alte Schüler 418,50 € ausgezahlt.

Der Verfasser ist in der Vergangenheit nicht dafür bekannt geworden, unkritisch dem BGH zu folgen; aber in diesen Vorschlägen der Kommission zur Neufassung der Düsseldorfer Tabelle 2022, die ja eigentlich die obergerichtliche Rechtsprechung vereinfacht für die praktische Anwendung abbilden soll, wird dann doch recht sportlich mit der Rechtsprechung des BGH umgegangen.

Das betrifft zum Beispiel die (Wieder-)Aufgabe eines zutreffend geteilten Ehegattenselbstbehalts für Erwerbstätige und Nichterwerbstätige (gerade erst 2020 in der Düsseldorfer Tabelle eingeführt auf Grund BGH v. 16.10.2019 – XII ZB 341/17, FamRZ 2020, 97 Rz. 28 = FamRB 2020, 4 mit zust. Anm. Schwamb, bereits zuvor u.a. in den Leitlinien des OLG Hamm und Frankfurter Unterhaltsgrundsätzen jeweils Nr. 21.4).

Es geht weiter mit der Diskussion über die Höhe des Erwerbstätigenbonus beim Ehegattenunterhalt. Deutlich hatte sich hier der BGH (BGH v. 13.11.2019 – XII ZB 3/19, NZFam 2020, 109 Rz. 23 m. krit. Anm. Schürmann = NJW 2020, 238 m. Anm. Graba = FamRZ 2020, 171 = FamRB 2020, 53), und zwar ausdrücklich a.a.O. in Rz. 23 unter Hinweis auf seine Berechnungsweise in BGH v. 16.4.1997 – XII ZR 233/95, FamRZ 1997, 806, 807, für eine einheitliche 1/10-Lösung ausgesprochen (zustimmend Schwamb, NZFam 2020, 847, 849). Diese Diskussion ist zwar sowieso noch in vollem Gang (mit bekannt unterschiedlichen Ergebnissen auch in den Frankfurter Unterhaltsgrundsätzen), aber was die Kommission damit vorhat, ist schon bemerkenswert. Es soll das einheitliche 1/10 kommen, aber mit einer der bisherigen (wie gesagt gerade erneut zitierten) BGH-Rechtsprechung seit FamRZ 1997, 806, 807 ausdrücklich widersprechenden Berechnungsweise (nämlich Bonusbildung vor Abzug des Kindesunterhalts und privater Schulden, ohne die o.g. 1997-er Entscheidung und ihre damalige Begründung zu erwähnen). Das führt dann zu folgendem Berechnungsbeispiel:

M: 3.800 € netto – 300 € Schuldendienst – 700 € Kindesunterhalt = 2.800 € bereinigt. F: 700 € netto bereinigt.

  • Herkömmlicher 1/7-Bonus: 2.800 € – 700 € = 2.100 €. 3/7 = 900 € UE.
  • Der „neue“ 1/10-Bonus (gegen BGH FamRZ 1997, 807): M: 3.800 € – 380 € – 300 € – 700 € = 2.420 €. F: 700 € – 70 € = 630 €. 2.420 € – 630 € = 1.790 €, hiervon 1/2 = 895 € UE (mit „nur“ 1/10 Bonus).

Besser lässt es sich kaum veranschaulichen. Das neue 1/10 ist hier größer als das alte 1/7.

Wenn dazu u.a. ausgeführt wird „Halbteilung und Erwerbstätigenbonus beruhen nicht auf gesetzlichen Vorgaben“ (unter Bezugnahme auf Schwonberg, FF 2021, 47, 50) mag das für den Bonus gelten, nicht jedoch für den mit ihm eingeschränkten Halbteilungsgrundsatz, der das gesamte Familienvermögensrecht durchzieht und Verfassungsrang hat.

Soweit die Kommission zunächst die vom BGH (BGH v. 16.9.2020 – XII ZB 499/19, FamRZ 2021, 28 = FamRB 2021, 6) angeregte Fortschreibung der Düsseldorfer Tabelle über die bisherigen zehn Einkommensgruppen hinaus als nicht notwendig kritisiert, ihr dann aber doch folgen will, wird allerdings dem gut begründeten (jedoch von der Kommission mit 272 % und 24 Einkommensgruppen nicht zutreffend zitierten) Vorschlag von Borth, FamRZ 2020, 339 (mit 240 % und 20 Einkommensgruppen bei 11.000 € endend) als überhöht widersprochen und stattdessen mit einer keine klare Struktur aufweisenden Gruppenbildung gerade einmal die Erhöhung von 160 % auf 200 % (bei doppelter Einkommenshöhe) befürwortet. Für diese eher kosmetische Erhöhung bräuchte es tatsächlich keine Fortschreibung der Tabelle. Da die Kommission zudem die 10. Einkommensgruppe nun bei 5.600 € (statt derzeit 5.500 €) enden lassen will, ihre 15. (eigentlich verdoppelte) aber bei 11.000 Euro enden lässt, „verrutscht“ dabei – wohl unabsichtlich – auch noch die „doppelte“ Einkommenshöhe i.S.d. neuen BGH-Rechtsprechung (dazu beim Ehegattenunterhalt Schwamb, NZFam 2020, 847).

Zum Elternunterhalt sei nur angemerkt, dass für das angesprochene Problem, ein Kind verdient über 100.000 €, das andere unter 100.000 €, die dafür in Fn. 32 des Papiers (im FamRB: Fn. 31) zitierten Autoren noch um eine BGH-Entscheidung zu ergänzen wären, die zu § 43 SGB XII ergangen ist, bei dem es das Problem in abgewandelter Form schon zuvor gab (vgl. BGH v. 8.7.2015 – XII ZB 56/14, FamRZ 2015, 1467 Rz. 47, 48 = FamRB 2015, 330 [Hauß]; dazu Niepmann/Seiler, 14. Aufl. 2019 bzw. zuvor Niepmann/Schwamb, 13. Aufl. 2016, jew. Rz. 222 unter „Rückgriffseinschränkung“). Zumindest bedürfte es einer Auseinandersetzung mit der dort für § 43 SGB XII gefundenen differenzierenden Lösung.

Man darf gespannt sein, was aus dem „es besteht Handlungsbedarf“ weiter erwächst. Die Tendenz der Vorschläge geht jedenfalls (erneut) in Richtung Einschränkung von Unterhaltsansprüchen. Das Echo der 2018er-Reform der Tabelle und der damalige Ruf nach dem Gesetzgeber hallen noch nach.

Kindesunterhalt im Wechselmodell

Immer häufiger wird in Politik und Medien das so genannte „Wechselmodell“ diskutiert, in dem Kinder getrennter Paare, im Wechsel von beiden Elternteilen jeweils hälftig betreut werden. Die familienrechtliche Praxis zeigt, dass diese Betreuungsvariante auch tatsächlich zunehmend praktiziert wird. Entgegen einer weit verbreiteten Meinung in der Bevölkerung ist es nämlich keineswegs so, dass im Falle der Betreuung eines Kindes im Wechselmodell die Pflicht zur Leistung von Kindesunterhalt vollständig entfällt. Vielmehr ist es so, dass die Eltern anteilig entsprechend ihren Einkommensverhältnissen für den Kindesunterhalt aufzukommen haben. Der besser verdienende Elternteil muss also im Wechselmodell einen Ausgleich in Geld an den schlechter verdienenden Elternteil leisten.

Für den Rechtsberater ist diese Konstellation in Unterhaltsverfahren vor allem deshalb problematisch, weil ein Kind grundsätzlich nur von beiden sorgeberechtigten Elternteilen gemeinsam vertreten werden kann. Da das Kind und nicht etwa der schlechter verdienende Elternteil der Inhaber des Unterhaltsanspruchs ist, müssten also eigentlich beide Elternteile den Unterhaltsanspruch gemeinsam geltend machen. Es liegt auf der Hand, dass der unterhaltspflichtige Elternteil dazu häufig nicht ohne weiteres bereit ist. Für die „normale“ Konstellation, in der das Kind seinen Lebensmittelpunkt nur bei einem der beiden Elternteile hat, sieht das Gesetz daher bzgl. der Kindesunterhaltsansprüche eine Ausnahme von der gemeinsamen Vertretungsberechtigung vor. Gemäß § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB kann derjenige Elternteil, bei dem das Kind seinen Lebensmittelpunkt hat, dessen Unterhaltsansprüche gegen den anderen Elternteil alleine geltend machen. Da diese Ausnahme im Falle eines Wechselmodells nicht greift, behilft sich die Rechtsprechung bisher mit zwei „Notlösungen“, die der Bundesgerichtshof auch beide als rechtstechnisch möglich bestätigt hat (BGH v. 12.3.2014 – XII ZB 234/13, FamRZ 2014, 917 = FamRB 2014, 204). Beide Lösungen werden jedoch den Anforderungen der Praxis nicht gerecht:

Zum einen soll es möglich sein, dass das Familiengericht auf Antrag eines Elternteils das Sorgerecht bzgl. der Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen nach § 1628 BGB auf einen der beiden Elternteile zur alleinigen Ausübung überträgt (BGH v. 12.3.2014 – XII ZB 234/13, FamRZ 2014, 917 = FamRB 2014, 204; zur abweichenden Meinung s. Palandt/Götz, 80. Aufl., § 1628 BGB Rn. 5 m.w.N). Wählt der Rechtsberater diesen Weg, muss er, bevor er überhaupt ein Unterhaltsverfahren einleiten kann, zunächst einmal einen Antrag nach § 1628 BGB stellen, also ein Sorgerechtsverfahren führen. Angesichts dessen, dass der schlechter verdienende Elternteil häufig dringend auf die Zahlungen des anderen Elternteils zur Versorgung der gemeinsamen Kinder angewiesen ist, führt dies zu untragbaren Verzögerungen.

Zum anderen kann der schlechter verdienende Elternteil bei Gericht anregen, für das Kind einen Ergänzungspfleger zur Durchsetzung seiner Unterhaltsansprüche zu bestellen. Diese Variante ist zum einen deshalb problematisch, weil das Gericht in diesem Fall zunächst einmal eine geeignete Person finden und beauftragen und diese Person sich dann auch noch um die Durchsetzung der Unterhaltsansprüche bemühen muss. Hier ist also erst recht mit einer ganz erheblichen Verzögerung zu rechnen. Zudem hat der schlechter verdienende Elternteil keine Möglichkeit, auf den Verlauf des von dem Ergänzungspfleger zu führenden Verfahrens Einfluss zu nehmen.

Meines Erachtens gibt es hier einen weit einfacheren und praktikableren Weg, der im Interesse der betroffenen Kinder und Elternteile ständige Praxis bei den Familiengerichten werden sollte:

  1. Solange der unterhaltspflichtige Elternteil keine Einwände gegen die Durchsetzung des Unterhaltsanspruchs des Kindes durch den anderen Elternteil als solche, sondern nur gegen die Höhe des geltend gemachten Anspruchs erhebt, stellt dies eine zumindest konkludente Zustimmung des unterhaltspflichtigen Elternteils zur alleinigen Ausübung des Sorgerechts des anderen Elternteils bzgl. der Durchsetzung der Unterhaltsansprüche dar. Solange hier Einigkeit besteht, bedarf es keiner Entscheidung nach § 1628 BGB, der nur greift, wenn sich die Eltern „in einer Angelegenheit oder in einer bestimmten Art von Angelegenheit der elterlichen Sorge“ nicht einig sind.
  2. Wenn der unterhaltspflichtige Elternteil seine Zustimmung widerruft, kann das Familiengericht diesem Elternteil das Sorgerecht bzgl. der Durchsetzung der Kindesunterhaltsansprüche gemäß § 1629 Abs. 2 S. 3 BGB i.V.m. § 1796 Abs. 1, Abs. 2 BGB entziehen, da hier ganz offensichtlich eine Interessenkollision zwischen dem berechtigten Kind und dem verpflichteten Elternteil besteht. Damit fällt das Sorgerecht bzgl. der Durchsetzung der Kindesunterhaltsansprüche gemäß § 1680 Abs. 3 BGB automatisch dem anderen Elternteil alleine zu.
  3. Wenn der unterhaltspflichtige Elternteil seine Zustimmung zur Durchsetzung der Unterhaltsansprüche durch den anderen Elternteil bereits vorgerichtlich verweigert, kann der Unterhaltsantrag dennoch unmittelbar gestellt werden, verbunden mit der Anregung, dem anderen Elternteil das Sorgerecht bzgl. der Durchsetzung der Unterhaltsansprüche zu entziehen.

Würden die Gerichte in diesen Fällen standardmäßig dem unterhaltspflichtigen Elternteil das Sorgerecht bzgl. der Durchsetzung der Kindesunterhaltsansprüche wegen Interessenkollision entziehen, würde dies dazu führen, dass die unterhaltspflichtigen Elternteile zukünftig in den meisten Fällen freiwillig ihre Zustimmung zur Durchsetzung der Unterhaltsansprüche durch den anderen Elternteil erteilen würden, womit sich dieses in der Praxis äußerst hinderliche rechtstechnische Problem insgesamt erledigt hätte.

Mindestunterhaltsverordnung zum Dritten

Ab heute ist es offiziell: Es gibt eine „Dritte Verordnung zur Änderung der Mindestunterhaltsverordnung“ (VO v. 3.11.2020, BGBl. I, 2344).

Es deutete sich schon im August mit der Bekanntgabe der (vorläufigen) neuen Regelbedarfe an, mit der Veröffentlichung des 13. Existenzminimumberichts wurde es dann im September offensichtlich: Die sozialrechtlichen Bedarfe für Kinder sind von einem Jahr zum nächsten sehr viel stärker gestiegen, als es bei der Festsetzung des Mindestunterhalts für 2021 prognostiziert worden war. Der Grund dafür sind die im Frühsommer publizierten Daten der jüngsten Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS 2018), die dann noch einmal gemäß der Lohn- und Preisentwicklung fortgeschrieben werden mussten.

Das Ergebnis ist ein für Kinder steuerfrei zu stellendendes Existenzminimum von 5.412 Euro in 2021, also 541 Euro im Monat und damit 17 Euro mehr als in der zweiten Änderungsverordnung festgesetzt worden war. Eine so hohe Abweichung forderte eine Reaktion des Gesetzgebers heraus, der den Mindestunterhalt außerhalb des durch § 1612a Abs. 4 BGB vorgegeben Turnus an diese aktuelle Entwicklung angepasst hat. Der Mindestunterhalt wird sich daher ab Januar 2021 auf 393/451/528 Euro belaufen. Bei einem um mehr als 6% höheren Unterhalt handelt es sich um eine erhebliche Steigerung in einer Zeit, in der nicht wenige Arbeitnehmer mit den Folgen der Pandemie belastet sind. Daher ist es nur ein schwacher Trost, dass es zum Januar eine mit 15 Euro ebenfalls überproportionale Erhöhung des Kindergeldes geben wird. Diese genügt nicht, um den erhöhten Bedarf vollständig zu decken. Statt wie erwartet nahezu gleichbleibender Zahlbeträge ist beim Mindestunterhalt mit einer um 16,50 bis 23,50 Euro höheren Zahllast zu rechnen.

Neben diesen unterhaltsrechtlichen Folgen gibt es noch einen weiteren bemerkenswerten Gesichtspunkt. Der Anstieg der Regelbedarfe erfolgt keineswegs gleichförmig über alle Altersstufen. Vielmehr bleibt der Bedarf bei den 6 bis 13 Jahre alten Kindern praktisch unverändert, während bei den jüngeren und älteren Kindern (Regelbedarfsstufen 4 und 6) ein sprunghafter Anstieg von jeweils mehr als 13% zu verzeichnen ist. Daraus ergibt sich das paradoxe Ergebnis, dass der Bedarf von Jugendlichen noch über dem Bedarf der jungen Erwachsenen liegt, die als Schüler weiterhin im Elternhaus leben. Solche unerklärlichen Abweichungen sind geeignet, erneut Zweifel an einer sachgerechten Bemessung der existenznotwendigen Regelbedarfe zu nähren. Immerhin hat das BVerfG schon 2014 Bedenken hinsichtlich der Stichhaltigkeit der festgesetzten Beträge geäußert und auf die Gefahr einer Unterdeckung hingewiesen (BVerfG v. 23.7.2014 – 1 BvL 10/12, FamRZ 2014, 1765). Der Ruf nach grundlegenden Korrekturen dürfte lauter werden.

Corona-Krise zum Zweiten …

… nein, nicht die befürchtete zweite Infektionswelle rollt auf uns zu, sondern das 2. Paket steuerlicher Hilfsmaßnahmen durchläuft im Eiltempo das Gesetzgebungsverfahren. Nachdem der Regierungsentwurf am 12. Juni auf den Weg gebracht wurde, soll das Gesetz in Sondersitzungen von Bundestag und Bundesrat am 29. Juni beschlossen werden, um am 1. Juli 2020 in Kraft zu treten.

Neben einer Reihe steuerrechtlicher Detailfragen sind es vor allem drei Gesetzesänderungen, die Familien aufhorchen lassen. Diese betreffen

  • die angekündigte Senkung der Umsatzsteuer von 19 % auf 16 % sowie von 7 % auf 5 % beim ermäßigten Satz. Die Umsatzsteuer wird befristet vom 1. Juli 2020 bis zum 31. Dezember 2020 gesenkt. Davon verspricht sich die Regierung einen kräftigen Impuls bei den Konsumausgaben. Die Hoffnung ist nicht ganz unberechtigt, weil die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen diese Mittel in der Regel vollständig für den laufenden Lebensunterhalt verbrauchen und sie daher durch Verbrauchssteuern überproportional belastet sind. Ob sich der gewünschte Erfolg wirklich einstellt, hängt aber nicht allein vom Verbrauchsverhalten ab, sondern auch davon, ob sich die Senkung des Steuersatzes in entsprechend ermäßigten Preisen niederschlägt.
  • den sog. Kinderbonus von 300 €, der in zwei Raten von jeweils 150 € im September und Oktober 2020 ausgezahlt werden soll, sofern im September 2020 ein Anspruch auf Kindergeld besteht. Die Leistung wird aber auch dann erbracht, wenn die Anspruchsvoraussetzungen zumindest in einem Monat des Jahres 2020 vorgelegen haben – nur erfolgt die Auszahlung dann möglicherweise verzögert und in einem Betrag. Auch von dieser Leistung verspricht sich die Regierung einen mit der Steuersenkung vergleichbaren Effekt. Für die unterhaltsrechtlichen Folgen ist wesentlich, dass es sich bei diesen Zahlungen um ein erhöhtes Kindergeld handelt und diese auch steuerlich so behandelt werden. Die Bezeichnung als Kinderbonus oder Einmalbetrag ändert hieran nichts. Denn die Regelung findet sich in der Vorschrift zur Höhe des Kindergeldes (§ 66 Abs. 1 Satz 2 EStG bzw. § 6 Abs. 3 BKGG), weshalb § 1612b Abs. 1 BGB unmittelbar anzuwenden ist. Besondere Vorschriften zur Nichtberücksichtigung gibt es lediglich bei mehreren Sozialleistungen und beim Unterhaltsvorschuss. Insofern ist die Rechtslage mit dem 2009 ausgezahlten Kinderbonus vergleichbar (s. AG Offenburg FamRZ 2009, 2014; Diehl, FamRZ 2009, 932).
  • den für zwei Jahre (2020, 2021) um 2.100 € erhöhte Entlastungsbetrag für Alleinerziehende (§ 24b EStG). Dieser bewirkt abhängig von dem individuellen Steuersatz eine zusätzliche steuerliche Entlastung zwischen 35 € und 75 € und ein entsprechend höheres Monatseinkommen. Die Erhöhungsbetrag von jeweils 240 € für das zweite und weitere Kinder bleibt unverändert erhalten.

Bei den schrittweise eingeführten Lockerungen beginnt sich allmählich ein Gefühl von Normalität einzustellen. Gleichwohl sollten wir nicht vergessen, dass sich die Welt unverändert im Krisenmodus befindet und wir von einem „Normalzustand“ noch weit entfernt sind. Daher hat das Motto „gemeinsam schaffen wir es“ auch im Familienrecht weiterhin seine Berechtigung. Die aktuellen Gesetzesänderungen mögen nicht ohne Folgen für den Unterhalt sein; an die Stelle streng schematischer Berechnungen sollte daher gleichwohl die Suche nach maßgeschneiderten Modellen treten, die den tatsächlichen Lebensverhältnissen aller Beteiligten gerecht werden.

Hier kommen Sie zum Regierungsentwurf: https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Gesetzestexte/Gesetze_Gesetzesvorhaben/Abteilungen/Abteilung_IV/19_Legislaturperiode/Gesetze_Verordnungen/2020-06-12-Zweites-Corona-Steuerhilfegesetz/0-Gesetz.html