Schenk dich reich – oder: Verzichte nie auf dein Wohnrecht! (zu BGH v. 17.4.2018 – X ZR 65/17)

Der Sachverhalt ist alltäglich: Im Jahr 1995 übertragen die Eltern ihr Eigenheim an ihre Tochter und behalten sich daran ein lebenslanges Wohnungsrecht vor. 2003 verzichten die Eltern auf das Wohnungsrecht, das im Grundbuch gelöscht wird. Die Tochter vermietet die Wohnung nach dem Tod des Vaters für monatlich 340 € an die Mutter, die im Jahr 2012 in eine Pflegeeinrichtung wechseln muss und seitdem sozialhilfebedürftig ist. Der Sozialhilfeträger macht gegen die Tochter den Rückforderungsanspruch aus § 528 Abs. 1 Satz 1 BGB geltend und verlangt von der Tochter bis zum Tod der Mutter im Jahr 2015 aufgebrachte Sozialhilfeleistungen i.H.v. 22.000 €.

Da zwischen der Schenkung der Immobilie und der Entstehung der Bedürftigkeit der Mutter mehr als zehn Jahre vergangen waren, kommt diese Schenkung als Ansatz für den Rückforderungsanspruch nicht in Betracht (§ 529 Abs. 1 Alt. 2 BGB).

Ansatzpunkt für das Begehren des Sozialhilfeträgers kann daher zunächst nur die im Jahr 2003 erfolgte Löschung des Wohnungsrechts sein. Diese wird von der Rechtsprechung – sofern sie unentgeltlich erfolgt – zu Recht als Schenkung i.S.v. § 516 BGB angesehen. Ihr Wert wird an der Höhe der Wertsteigerung der Immobilie durch Wegfall der dinglichen Belastung bemessen (BGH v. 26.10.1999 – X ZR 69/97, NJW 2000, 728 = MDR 2000, 873; OLG Nürnberg v. 22.7.2013 – 4 U 1571/12, ZEV 2014, 38 = MDR 2014, 22 = ErbStB 2014, 97; Koch in MünchKomm/BGB, 7. Aufl., § 528 Rz. 5 Fn. 26).

Um den Anspruch des Sozialhilfeträgers abzuwehren, könnte man nun auf den Gedanken kommen, die Schenkung herauszugeben, also das Wohnrecht wieder einzuräumen. Dies scheitert indessen daran, dass der Rückforderungsanspruch des verarmten Schenkers lediglich „soweit“ besteht, als er außerstande ist, seinen angemessenen Unterhalt zu bestreiten. D.h. im Umfang des monatlichen Fehlbetrags. Dieser wird durch Wiedereinräumung des Wohnungsrechts indessen nicht realisiert. Das Schenkungsrecht verweist in § 528 Abs. 1 Satz 1 BGB auf das Bereicherungsrecht. Danach hat der Beschenkte, wenn die Herausgabe des Geschenks wegen der Beschaffenheit des Erlangten nicht möglich ist, Wertersatz zu leisten (§ 818 Abs. 2 BGB). Dieser Wertersatzanspruch ist in seiner Höhe begrenzt auf die Höhe der durch die Schenkung verursachten Bereicherung (§ 818 Abs. 3 BGB).

Da die Wiedereinräumung des Wohnungsrechts aus den oben dargestellten Gründen zur Abwehr des Zahlungsanspruchs des Sozialhilfeträgers nicht in Betracht kommt, kommt es auf die Höhe der durch die Löschung des Wohnungsrechts eingetretenen Bereicherung der Tochter an. Das OLG Hamm als Vorinstanz hatte angenommen, die Bereicherung der Tochter werde durch die ihr zukommenden Einkünfte aus Vermietung der Wohnung markiert, da die Tochter die Immobilie nicht veräußert und damit die durch den Wegfall des Wohnungsrechts eingetretene Steigerung des Marktwerts der Immobilie nicht realisiert habe (OLG Hamm v. 17.5.2017 – I-30 U 117/16). Dies hat der BGH nicht gelten lassen. Er stellt vielmehr darauf ab, dass der durch den Wegfall der dinglichen Wohnrechtsbelastung entstehende Wertzuwachs der Immobilie die vermögensrechtliche Bereicherung der Tochter darstellt, die gegebenenfalls von dieser herauszugeben ist.

Damit befindet sich der BGH in völliger Übereinstimmung mit seiner bisherigen Rechtsprechung, die für den Wert einer Schenkung auf die Bereicherung des Beschenkten abstellt und nicht etwa auf den Wert des Geschenks für den Schenker. Beide Werte können massiv differieren. Während das lebenslange Wohnrecht für eine 70-jährige Frau an einer Eigentumswohnung deren Verkehrswert auf Null reduzieren wird, weil bei Annahme einer 18-jährigen Restlebensdauer (nach Generationensterbetafeln des Statistischen Bundesamts DESTATIS) sich für eine solche Wohnung kein Käufer finden wird, kann der Gebrauchsvorteil des Wohnrechts für die berechtigte Person einen beachtlichen Vermögenswert darstellen (bei Annahme eines Rechnungszinses von 4 % und einem monatlichen Gebrauchsvorteil von 500 € wären dies ca. 77.000 €, bei Bewertung nach § 14 Abs. 1 Satz 4 BewG i.V.m. der Tabelle des BMF v. 4.11.2016 – IV C 7 – S 3104/09/10001 DOK 2016/101267, die auch für Bewertungsstichtage ab dem 1.1.2018 anzuwenden ist, ergäbe sich ein Betrag i.H.v. 66.492 €).

Das schwer zu vermittelnde Paradoxon der Entscheidung des BGH besteht nun darin, dass die Mutter durch Aufgabe eines für sie im Zeitpunkt des Eintritts ihrer Bedürftigkeit wertlosen Wohnungsrechts, ihre unterhaltsrechtliche Position deutlich verbessert hat, weil der Grundstückswert durch diesen Wegfall der Belastung einen enormen Anstieg erlebt haben kann, der deutlich oberhalb des Werts des Wohnungsrechts liegen wird. Die unterhaltsbedürftige Person verbessert daher durch Aufgabe eines vermögenswerten Rechts im Wege der Schenkung ihre unterhaltsrechtliche Position deutlich. Der inkongruente Verkehrswert des Wohnrechts für den Berechtigten und den Eigentümer bewirkt eine Besserstellung des Schenkers gegenüber der Situation vor der Schenkung. Es besteht nämlich völlige Einigkeit darüber, dass eine pflegebedürftige Person, die Inhaberin eines Wohnungsrechts ist, dieses aber infolge ihrer Pflegebedürftigkeit nicht ausüben kann, keinen Anspruch auf Zahlung in Höhe des fiktiven Mietzinses hat, weil das Wohnrecht unveräußerbar ist (BGH v.13.7.2012 – V ZR 206/11, FamRZ 2012, 1708).

Der BGH hat die Sache zur Entscheidung an das OLG Hamm zurückverwiesen. Dort kann sich nun die beschenkte Tochter darauf berufen, den Wertersatzanspruch der Mutter nur im Rahmen ihrer unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit erfüllen zu können (§ 529 Abs. 2 BGB). Anstelle des altertümlichen Wörtchens „standesgemäß“ ist nach einhelliger Auffassung „angemessen“ zu lesen. Angemessen ist grundsätzlich der entsprechend familienrechtlich zu berechnende Unterhalt nach elternunterhaltsrechtlichen Gesichtspunkten (Palandt/Weidenkaff, 77. Aufl., § 529 BGB Rz. 3). Ob die unterhaltspflichtige Tochter den Wertersatzanspruch aus Ihrem Vermögen zu erfüllen hat, ist bislang nicht entschieden. Da im Elternunterhalt den Unterhaltspflichtigen ein hohes Altersvorsorgeschonvermögen ein geräumt wird (BGH v. 30.8.2006 – XII ZR 98/04, FamRZ 2006, 1511), scheitert der Zahlungsanspruch des Sozialhilfeträgers möglicherweise an der Notbedarfseinrede der Tochter.

Für die anwaltliche Praxis und die beschenkten Kinder ist indessen als Grundsatz festzuhalten, dass die Aufgabe eines Wohnungsrechts an einer Immobilie zum Bumerang werden kann, wenn die wohnberechtigte Person innerhalb der Revokationsfrist von zehn Jahren sozialhilfe- und damit unterhaltsbedürftig wird.

Die familienrechtlichen Auswirkungen einer längeren Versöhnung der Eheleute nach einer Trennung

Nicht selten versuchen Eheleute nach einer Trennung oder sogar noch während eines laufenden Scheidungsverfahrens, ihre Ehe zu retten, und versöhnen sich für eine Weile wieder. Um die Eheleute nicht von solchen – vom Gesetzgeber offenbar gewünschten – Versuchen künstlich abzuhalten, sieht das Gesetz vor, dass das Trennungsjahr nicht von einem Zusammenleben über „kürzere Zeit“ unterbrochen wird (§ 1567 Abs. 2 BGB). Die Obergrenze, innerhalb der es sich noch um eine „kürzere Zeit“ handelt, beträgt nach der Rechtsprechung drei Monate des erneuten Zusammenlebens.

Die Rechtsfolgen einer längeren Versöhnung sind äußerst weitreichend. Wenn die Eheleute sich nach einer solchen Phase erneut trennen, kann nicht einfach an ein bereits anhängiges Scheidungsverfahren angeknüpft werden. Der ursprünglich eingereichte Scheidungsantrag müsste gegebenenfalls abgewiesen werden, weil das (neue) Trennungsjahr noch nicht abgelaufen ist. Dies gilt sogar dann, wenn beide Eheleute wieder geschieden werden möchten. Die Eheleute sind in diesem Fall gezwungen, erneut das Trennungsjahr abzuwarten, um dann die Scheidung erneut zu beantragen.

Mit der Einleitung eines neuen Scheidungsverfahrens verändert sich auch der Stichtag für die Berechnung des Zugewinnausgleichs. Erhebliche Vermögenssteigerungen oder Verluste eines der beiden Ehegatten während der Versöhnung und dem daran anschließenden weiteren Trennungsjahr sind also bei dem Ausgleich mit zu berücksichtigen. Auch die Altersvorsorge, die die Eheleute während dieser Phase aufgebaut haben, ist in den Versorgungsausgleich einzubeziehen.

Soweit mit dem ursprünglichen Scheidungsantrag bereits Folgesachenanträge (insbesondere Anträge auf Durchführung des Zugewinnausgleichs und auf nachehelichen Unterhalt) verbunden waren, sind auch diese mit der Zurückweisung bzw. der Rücknahme des Scheidungsantrags erledigt. Auch diese Anträge müssen nach Zustellung des neuerlichen Scheidungsantrags erneut gestellt werden. Die häufig ganz erheblichen Kosten für diese Gerichtsverfahren einschließlich Anwaltskosten und gegebenenfalls Kosten für Sachverständige fallen also doppelt an.

Mit der Zurückweisung bzw. Rücknahme des Scheidungsantrags lebt auch das Erb- und Pflichtteilsrecht des Ehegatten wieder auf. Dieses entfällt erst dann wieder, wenn nach Ablauf des weiteren Trennungsjahrs der neue Scheidungsantrag zugestellt wird.

Soweit noch ein Unterhaltstitel bezüglich des Trennungsunterhalts vorliegt, wird dieser mit dem Ablauf der längeren Versöhnungszeit zwar nicht unwirksam, der Trennungsunterhaltsanspruch entfällt allerdings und eine Vollstreckung aus dem Alttitel könnte im Wege des Vollstreckungsgegenantrags abgewehrt werden (s. nur Musielak/Borth, FamFG, 6. Aufl. 2018, § 238 Rz. 14).

Wirksam bleiben allerdings Unterhaltstitel bezüglich des Kindesunterhalts, da der Kindesunterhalt auch während längerer Versöhnungsphasen geschuldet bleibt.

Keine Verwirkung des Anspruchs auf rückständigen Unterhalt durch bloßen Zeitablauf (BGH v. 31.1.2018 – XII ZB 133/17)

Seit dem Urteil des BGH v. 13.01.1988 – IVb ZR 7/87 hat sich in der familiengerichtlichen Praxis weitgehend die Auffassung durchgesetzt, dass Unterhalt maximal für ein Jahr rückwirkend verlangt werden kann, wenn der Unterhaltsgläubiger seinen Unterhaltsanspruch länger als ein Jahr nicht verfolgt hat. Bzgl. der Ansprüche aus einem länger als ein Jahr zurückliegenden Zeitraum wurde regelmäßig Verwirkung angenommen.  

Tatsächlich hat der BGH diese Auffassung aber nie geäußert. In dem genannten Urteil heißt es zwar:               

„Auf der anderen Seite spricht vieles dafür, bei der Frage der Verwirkung von Trennungsunterhalt an das „Zeitmoment“ keine zu hohen Anforderungen zu stellen. (…) Von einem Unterhaltsgläubiger, der lebensnotwendig auf Unterhaltsleistungen angewiesen ist, ist eher als von Gläubigern anderer Forderungen zu erwarten, dass er sich um die Durchsetzung des Anspruchs bemüht. Tut er das nicht, erweckt sein Verhalten in der Regel den Eindruck, er sei in dem fraglichen Zeitraum nicht bedürftig, zumal seine wirtschaftlichen Verhältnisse dem Unterhaltsschuldner meist nicht genau bekannt sind (…). Wie der vorliegende Fall zeigt, können Unterhaltsrückstände zudem zu einer erdrückenden Schuldenlast anwachsen, die die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten für den laufenden Unterhalt beeinträchtigen kann. Auch sind im Unterhaltsprozess die für die Unterhaltsbemessung maßgeblichen Einkommensverhältnisse der Parteien nach längerer Zeit oft nur schwer aufklärbar. (…). Nach Auffassung des Senats sind aber die bereits angeführten Gründe, die eine möglichst zeitnahe Geltendmachung von Unterhalt nahelegen, so gewichtig, dass das „Zeitmoment“ für die Verwirkung von Trennungsunterhalt auch dann erfüllt sein kann, wenn die Rückstände Zeitabschnitte betreffen, die – wie hier – etwas mehr als ein Jahr zurück liegen.“ 

Wie sich diesem Zitat selbst bereits entnehmen lässt, beziehen sich diese Ausführungen ausschließlich auf das „Zeitmoment“ der Verwirkung. Das „Umstandsmoment“, also die Frage, ob der Schuldner sich nach dem Verhalten des Gläubigers darauf einrichten durfte und sich auch tatsächlich darauf eingerichtet hat, dass der Unterhalt nicht mehr geltend gemacht werden wird,  ist auch nach diesem Urteil des BGH noch gesondert zu prüfen. Die Prüfung des Umstandsmoments ist allerdings in der anwaltlichen und amtsgerichtlichen – teilweise auch in der oberlandesgerichtlichen – Praxis in Vergessenheit geraten bzw. wurde bereits dann als begründet angesehen, wenn der Unterhaltsanspruch länger als ein Jahr lang nicht verfolgt wurde (siehe etwa OLG Brandenburg v. 12.1.2011 – 9 WF 383/07; KG Berlin v. 28.6.2017 – 13 UF 75/16, sogar für titulierten Unterhalt). Das mag daran liegen, dass einige der oben zitierten Ausführungen des BGH zum „Zeitmoment“ besser unter den Prüfungspunkt „Umstandsmoment“ gepasst hätten, insbesondere die Passage zu dem Eindruck, den das Stillhalten des Unterhaltsschuldners über einen längeren Zeitraum beim Unterhaltsgläubiger hinterlässt. 

Mit Beschluss vom 31.1.2018 hat der BGH nun deutlich mit dieser Praxis aufgeräumt. Bereits im Leitsatz stellt er  klar, dass „das bloße Unterlassen der Geltendmachung des Unterhalts oder der Fortsetzung einer begonnenen Geltendmachung“ das Umstandsmoment der Verwirkung nicht begründen kann (BGH v. 31.1.2018 – XII ZB 133/17,  FamRZ 2018, 589 = FamRB 2018, 134; fortgeführt BGH v. 7.2.2018 – XII ZB 338/17, FamRZ 2018, 681 zum Kindesunterhalt).  

Hinweis für die Praxis: Spätestens nach diesem Beschluss des BGH muss jeder anwaltliche Berater sich auch in Fällen, in denen ein Unterhaltsanspruch länger als ein Jahr nicht verfolgt wurde, die Frage stellen, ob rückständiger Unterhalt nicht dennoch auch für einen länger zurück liegenden Zeitraum verlangt werden kann. Unabhängig davon müssen natürlich die Voraussetzungen des § 1613 BGB erfüllt sein, um einen Anspruch auf rückständigen Unterhalt überhaupt geltend machen zu können. Hinsichtlich des nachehelichen Unterhalts ist auf § 1585b Abs. 3 BGB zu achten, der ausdrücklich vorschreibt, dass für eine mehr als ein Jahr zurückliegende Zeit Erfüllung oder Schadenersatz wegen Nichterfüllung nur verlangt werden kann, wenn anzunehmen ist, dass der Verpflichtete sich der Leistung absichtlich entzogen hat.

 

Zahlensalat

Die Neufassung der Düsseldorfer Tabelle zum 1.1.2018 wirbelt immer noch Staub auf.[1] Die theoretische Aufregung über das Schicksal der Kinder, die unerwartet weniger Unterhalt als zuvor erhalten, ist groß, die praktische nicht. Die Gerichte melden keine Abänderungsanträge und die Sozial- und Gesundheitsbehörden keine kindliche Hungersnot. Gleichwohl werden Beiträge publiziert, deren Zahlendichte die Wortdichte fast übersteigt und die ahnen lassen, welch sprachzerstörende Wirkung Empörung haben kann.

Es lohnt sich, anlässlich der Neufassung der Düsseldorfer Tabelle über ihren Sinn zu reflektieren. Sie dient der erleichterten Ermittlung des ‚angemessenen Barbedarfs‘ eines unterhaltsbedürftigen Kindes. Ihre Umstrukturierung und die Neubemessung der Einkommensstufen war offenbar für viele überraschend. Die Tabelle leitet aus dem Einkommen eines Elternteils einen angemessenen Bedarf des Kindes ab. Allerdings muss nicht nur dieses angemessen alimentiert werden, sondern auch der Alimentierer. Dessen ökonomisches Siechtum löst aber nicht den Kinderschutzreflex aus, weil das ihm verbleibende Nettoeinkommen nicht augenfällig einer Tabelle entnommen werden kann, sondern errechnet werden muss.

Allüberall wird konstatiert, die Tabelle binde nicht. Wozu dann der Lärm? Ist der tabellarische Unterhalt für ein 10 Jahre altes Kind bei einem Elterneinkommen von 2.500 € in Höhe von 459 €[2] unangemessen und wäre ein Betrag in Höhe von 472 €[3] angemessener? Gibt es überhaupt eine Steigerungsform von ‚angemessen‘? Der Duden verneint das, die Logik auch.[4] Und welche Empörung wird erst einmal die Kindergelderhöhung zum 1.7.2019 um 10 € und Anfang 2021 um 15 € auslösen?[5] Da nimmt ‚die Tabelle‘ dem schutzbedürftigen Kind zum 1.1.2018 2,8 % seines Barbedarfs weg und schon bald wird der zahlende Elternteil infolge der hälftigen Kindergeldanrechnung schon wieder um 1,4 % entlastet. Gut nur, dass der Mindestbedarf des Kindes zum 1.1.2019 – was schon jetzt sicher ist – um 1,8 % heraufgesetzt wird.[6] Die Tabellenänderung zum 1.1.2019 ist schon gebucht.

Der ‚Fahrplan‘ für Eltern und Kinder lautet daher für den obigen Fall:

  • Abänderungsantrag am 1.1.2018 von 375 € auf (459 € – 97 € =) 362 €
  • Abänderungsantrag am 1.1.2019 von 362 € auf 369 €
  • Abänderungsantrag am 1.7.2019 von 369 € auf 364 €
  • Betreuungsantrag am 1.8.2019 von Amts wegen nach Eingang des letztgenannten Abänderungsantrags für Eltern, Kinder und Anwältinnen und Anwälte, die das begleiten.

Nachfragen bei Gerichten haben ergeben, dass die Änderung der Düsseldorfer Tabelle so gut wie keine Änderungsanträge verursacht hat. Auch die barunterhaltspflichtigen Elternteile wissen nämlich um die ökonomischen Bedürfnisse ihrer Kinder und die deutliche Ausweitung des Anwendungsbereichs der ersten Einkommensstufe hat die Luft gegeben, ‚Fünfe gerade sein zu lassen‘. Das gilt auch für die Staffelung der Einkommensstufen. Die recht grobe Rasterung in 400-Euro-Schritte erspart uns in der Praxis die kleinliche Auseinandersetzung um Berücksichtigung von Kosten der Kinderbetreuung in den Zeiten, in denen das Kind vom barunterhaltspflichtigen Elternteil betreut wird, und die buchhalterische Berücksichtigung anderer Bagatellbeträge. Die Grobrasterung der Einkommensstufen wirkt, wie § 18 VersAusglG wirken sollte: Die kleinkarierte ‚Wut über den verlorenen Groschen‘ ist sinnlos und kann deswegen ausbleiben. Auch barunterhaltspflichtige Eltern streiten nur selten außerhalb des Mangelfalls um Groschen. Die öffentliche Aufregung um die aus der Anhebung der Einkommensgrenzen resultierenden teilweise geringeren Zahlbeträge gedeiht auch deswegen so prächtig, weil der Kindesunterhalt oft immer noch als Strafe für die Trennung begriffen wird. ‚Dann soll er (nur selten sie) wenigstens ordentlich zahlen.‘

Der neue Zuschnitt der Düsseldorfer Tabelle war notwendig, weil eine Tabelle, die auf den Barbedarf zweier unterhaltsbedürftiger Kinder zugeschnitten ist (die Umstellung auf nur ein Kind bei unveränderten Einkommensstufen, ist von den Oberlandesgerichten abgelehnt worden), diesen in der ersten Einkommensstufe auch mangelfallfrei befriedigen muss. Die Veränderungen in der Altersgruppe 4 waren erforderlich, weil deren Mindestbedarf deutlich oberhalb des Existenzminimums lag.[7]

Man mag beklagen, dass die Berechnung des Kindesunterhalts nicht mehr ganz so computerkonform erfolgen kann und in geeigneten Fällen von den Bedarfssätzen der Düsseldorfer Tabelle abgewichen werden muss. Das ist sicher nicht strafbar. Der fach-literarische Zahlensalat, der um die neue Düsseldorfer Tabelle betrieben wird, lenkt davon ab, dass die Bestimmung des angemessenen Unterhalts JurJob[8] und nicht JurTech ist.

 

[1] Schürmann, Düsseldorfer Tabelle 2018, FamRB 2018, 32; Borth, Die neue Düsseldorfer Tabelle in der Kritik, FamRZ 2018, 407; Schwamb, Die Düsseldorfer Tabelle 2018 – eine bittere Pille für Kinder Alleinerziehender, FamRB 2018, 67; Wohlgemuth, Veränderung der Düsseldorfer Tabelle zum 1.1.2018 – kein großer Wurf, FamRZ 2018, 405; Viefhues, Weniger Kindesunterhalt ab 01.01.2018, FuR 2018, 20.

[2] Einkommensstufe 4 DDorfer Tabelle 2018 wegen einer geringeren Zahl unterhaltsberechtigter Personen.

[3] Einkommensgruppe 5 DDorfer Tabelle 2017.

[4] Angeklagter ist ja schließlich auch nicht die Steigerungsform von angeklagt.

[5] Koalitionsvertrag 2018 Rz. 696.

[6] Die Erhöhung des Bedarfs der ersten Einkommensstufe zum 1.1.2019 auf 353, 406 und 475 € ist bereits jetzt sicher.

[7] Und auch jetzt noch liegt.

[8] Phonetisch: Your Job.

Juristischer Sirtaki, die GroKo und Tabellentümelei

Der Film „Alexis Sorbas“ hat mindestens in gleichem Maße wie die Philosophen der Antike und die Finanzkrise den „Mythos Griechenland“ begründet. Da bauen die Bewohner eines vom – natürlich – blauen Meer umrahmten Dorfes mit großem Eifer eine Seilbahn auf den Hügel eines Berges, um das im Hinterland wachsende Holz zur Sanierung des maroden Bergwerks eines Amerikaners und ihrer eigenen wirtschaftlichen Lage zu nutzen. Das Werk wird vollendet, der Plan nicht. Der erste Holztransport reißt die ganze Anlage schon bei der Einweihung nieder und der Amerikaner ist pleite. Der Schock schlägt in berstende sirtakitanzende Lebensfreude um, als der Hauptprotagonist den Satz sagt: „He Boss, hast Du schon jemals gesehen, dass etwas so schön zusammenkracht?“[1].

Die Parallele dieses Films zum elektronischen Anwaltspostfach zu ziehen ist billig. Statt Trübsal über mangelnde technische Kompetenz im Facebook- und WhatsApp-Zeitalter zu blasen, dominieren die ‚Wir-haben-es-ja-immer-schon-gewusst‘-Juristen die hämischen Debatten in der Gerichtskantine.

Zurück am Schreibtisch wird in der Trennungssache X ./. Y der Unterhalt für y(6) und x(10) berechnet.[2] Die Kinder sind natürlich in Obhut der Mutter, die 2/3-schichtig 1.400 € verdient. Bereinigtes Einkommen des Vaters: 1.910 €. Umgangsrecht wie üblich, nur fährt der Vater x immer zusätzlich zu seinen Fußballturnieren am Wochenende und übernimmt auch die Beschaffung der Sportkleidung und die Kosten der Musikschule für y. Ein Blick in die Düsseldorfer Tabelle oder auf den Bildschirm: für x sind 322 € und für y 268 € zu berappen. Resteinkommen X: 1.320 €.

Nächste Akte: Scheidung (VKH) V ./. M. Heirat 2010, ein Kind, Trennung 2013, einverständlicher Scheidungsantrag 2016. Versorgungserwerb V: 0,855 EP, M: 4,3500 EP. Entscheidungsvorschlag des Gerichts zum Versorgungsausgleich: Halbteilung. Ein Blick auf Bildschirm, Taschenrechner oder – im Vertrauen darauf, dass der Richter die Daten richtig erfasst hat – aus dem Fenster und das Ergebnis wird abgenickt.

Begründung für beide Ergebnisse: Tabelle und Halbteilungsgrundsatz.

Bewertung der Ergebnisse: beide (wahrscheinlich) falsch.

Grund: Tabellen und Rechenprogramme können kein Jura.[3]

Die GroKo erwägt in ihrem Programm, die Selbstbehalts- und Bedarfssätze für Kinder ins Gesetz zu schreiben, weil die Strukturänderung der Tabelle zum Jahr 2018 so brutal aufgedeckt hat, dass wir in Deutschland ein Armutsproblem haben. Das zu kaschieren traut man sich selbst eher zu als der Jurisdiktion. Wenn nämlich der Kindesunterhalt auch nur minimal gesenkt wird, löst das einen archaischen Beschützerreflex und damit ein boulevardeskes Empörungsritual aus, dem sich die Politik offenbar nicht entziehen kann.

Um nun auf unsere beiden Fälle zurückzukommen:

  • Fall 1: Bei so knappem Erreichen der Einkommensgruppe 2 und der Übernahme von eigentlich aus dem Kindesunterhalt zu finanzierenden Bedarfen im Rahmen der von X übernommenen Betreuungszeiten (vulgo Umgangszeiten) kann auch eine Abgruppierung in Einkommensstufe 1 oder einen Zwischenwert berechtigt sein, oder man bereinigt das Einkommen des Vaters um einen Betreuungsbarbetrag für Fahrdienst und Sportbekleidungskosten (einschließlich der Currywurstverpflegung beim Bambini-Turnier). Schließlich bleibt der Mutter am Ende mehr Liquidität als dem Vater.
  • Fall 2: Ein Blick in den Versicherungsverlauf offenbarte bei M ehezeitliche Inhaftierung und Therapie und bei Y, dass ausschließlich Kindererziehungszeiten dem Versorgungserwerb zugrunde lagen. § 27 VersAusglG kann in diesen Fällen angewendet und der Mutter so geholfen werden.

Um auf die GroKo zurückzukommen: Wenn wir Angemessenheits- und Billigkeitsprüfungen den Rechnern und Tabellen überlassen und die mit deren Hilfe gefundenen Ergebnisse nicht auf ihren Gerechtigkeitsgehalt überprüfen, werden wir zu Opfern von Rechenprogrammen und Tabellen oder einer großen Koalition. Das wird auch dann nicht besser, wenn die Sätze im Gesetz stehen, sondern eher schlechter, weil noch zementierter. Es ist Sache der Anwaltschaft zu den Besonderheiten eines Falls vorzutragen, die tatsächlichen Kosten des Wohnens, die Betreuungskosten während des Umgangs und den Mehrbedarf eines musizierenden oder kickenden Kindes, aber auch berufs- oder sonstigen Mehrbedarf des barunterhaltspflichtigen Elternteils zu thematisieren. Es ist Sache der Richterschaft, solchen Vortrag zur Kenntnis zu nehmen, ihn abzuwägen und zu würdigen, anstatt ihn mit Verweis auf Tabellen, Leitlinien und Berechnungsprogramme abzubügeln und den Programmausdruck auch noch zur Urteilsbegründung zu machen.

Die Macher der Düsseldorfer Tabelle haben solche Öffnungsklauseln in die Tabelle und die Leitlinien geschrieben und damit die für Juristen nötige ‚Luft zum Atmen‘ implementiert. Die Tabelle selbst ist ja – zum Glück – kein Gesetz, sondern versteht sich als Hilfe zur Ermittlung eines angemessenen Ergebnisses. Würde sie juristisches Denken und Handeln ersetzen, brauchten Familienrechtler kein Studium, sondern eine EDV-Schulung.

Und um schließlich auf Alexis Sorbas zurückzukommen: Der bildschöne Crash der Technik hat die Rodung des Gemeindewaldes und die damit verbundene ökologische Sünde verhindert und den Sirtaki berühmt gemacht. Ich wünsche uns Familienrechtlern einen längeren Computercrash, die Zeit, die Anmerkungen zur Tabelle und die Leitlinien zum Unterhalt in Ruhe zu lesen, und dass wir dann juristischen Sirtaki tanzen, solange wir können, um lebensechte und -gerechte Ergebnisse zu erzielen.

[1] Kein Beitrag ohne Fußnote: www.youtube.com/watch?v=JQU6KApL3xI.

[2] X für Mann, Y für Frau, x für Bub, y für Mädchen.

[3] Weil der Satz so schlechtes Deutsch ist, prägt er sich besser ein.

Sondierungsergebnisse und Familienrecht

Die Ergebnisse der Sondierungsgespräche von CDU, CSU und SPD sollten Familienrechtler aufhorchen lassen. Unter der Überschrift „Familie, Frauen und Kinder“ findet sich der Einleitungssatz: „Familien halten unsere Gesellschaft zusammen.“. Dieser Satz zeigt, dass die gesellschaftliche Entwicklung an den potentiellen Koalitionären nicht spurlos vorbeigegangen ist. Noch vor kurzem wäre die Ehe als Kit der Gesellschaft bezeichnet worden. Dass nunmehr die Familien in den Mittelpunkt gestellt werden, ist ein erfreulicher Schritt auf dem Weg der Entinstitutionalisierung der Ehe und hoffentlich auch des Familienrechts.

Es werden in dem 28-seitigen Sondierungspapier Maßnahmen angekündigt, die auch den familienrechtlichen Alltag von Anwältinnen und Anwälten verändern werden:

Maßnahmen zur Bekämpfung der Kinderarmut:

Das Kindergeld als bewährte und wirksame familienpolitische Leistung werden wir in dieser Legislaturperiode pro Kind um 25 Euro pro Monat erhöhen – in zwei Teilschritten (zum 1.7.2019 um zehn Euro, zum 1.1.2021 um weitere 15 Euro). Gleichzeitig steigt der steuerliche Kinderfreibetrag entsprechend (S. 9).

Angesichts der Notwendigkeit der Erhöhung des Mindestunterhalts zum 1.1.2019 auf 406 € (Einkommensstufe 1) bewirkt die wenige Monate später in Kraft zu setzende Erhöhung des Kindergeldes lediglich eine Erhöhung der Belastung der barunterhaltspflichtigen Personen um zwei Euro (406 – 204/2). Dies ist begrüßenswert, weil dadurch die gesellschaftliche Verantwortung für Kinder betont und ein Schritt zur Bekämpfung der Kinderarmut gemacht wird.

 

Wir werden ein Maßnahmenpaket zur Bekämpfung der Kinderarmut schüren: Dazu wollen wir zur Entlastung einkommensschwacher Familien den Kinderzuschlag erhöhen. Gemeinsam mit dem Kindergeld soll der Mindestbedarf des sächlichen Existenzminimums (derzeit 399 €) gedeckt werden (S. 9).

Auch diese Absichtserklärung ist gegenüber der derzeitigen Situation ein Fortschritt, zumal er mit einer Entbürokratisierung der Leistungsbeantragung durch die entsprechenden Familien gekoppelt werden soll. Die Festschreibung des Mindestbedarfs auf das „Existenzminimum“ ist zwar nicht das, was man sich unter einer kinderfreundlichen Gesellschaft vorstellt, es würde aber die Familien entlasten.

 

Auch die Bedarfe für Bildung und Teilhabe werden wir verbessern, unter anderem sollen hierzu das Schulstarterpaket erhöht und die Eigenanteile zur gemeinschaftlichen Mittagsverpflegung in Kitas und Schulen und für Schülerbeförderung entfallen (S. 9).

Wir werden einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung im Grundschulalter schaffen. Dabei werden wir auf Flexibilität achten, bedarfsgerecht Vorgehen und die Vielfalt der in den Ländern und Kommunen bestehenden Betreuungsmöglichkeiten der Kinder und Jugendhilfe und die schulischen Angebote berücksichtigen (S. 10).

 Alle diese Vorhaben haben unterhaltsrechtliche Auswirkungen, weil sie die berufliche Integration der alleinerziehenden Eltern unterstützen und gleichzeitig strukturelle Bildungsdifferenzierungen verringern.

Maßnahmen im Versorgungsrecht:

Mit dem zweiten Kindererziehungsjahr in der Rente für Geburten vor 1992 haben wir einen ersten Schritt getan. Wir wollen die Gerechtigkeitslücke schließen: Mütter, die ihre Kinder vor 1992 auf die Welt gebracht haben, sollen künftig auch das dritte Jahr Erziehungszeit in der Rente angerechnet bekommen. Wir wollen die Mütterrente II einführen. Das ist ein wichtiger Baustein zur Bekämpfung von Altersarmut. Diese Verbesserungen bei der Mütterrente durch einen 3. Punkt sollen für Mütter gelten, die drei und mehr Kinder vor 1992 zur Welt gebracht haben (S. 13).

Was für die Rentenbezieher ein Segen ist, ist für Versorgungsausgleichsrechtler eine Pflicht. Da davon auszugehen ist, dass eine zukünftige Regierung (wann und in welcher Konstellation sie auch immer entsteht) hinter diese Absichtserklärung nicht zurückfällt, sollten die Familienrechtler Abänderungsverfahren im Versorgungsausgleich sorgfältig prüfen und in den Fällen, in denen das Abänderungspotenzial derzeit nicht groß genug ist (§ 225 FamFG), die Mandanten darauf hinweisen, dass spätestens nach Umsetzung dieses Vorhabens ausreichendes Abänderungspotenzial bestehen wird.

Maßnahmen im Elternunterhalt:

Auf das Einkommen der Kinder von pflegebedürftigen Eltern soll zukünftig erst ab einem Einkommen i.H.v. 100.000 Euro im Jahr zurückgegriffen werden (S. 15).

Dieses Vorhaben ist überfällig. Wenn auf das Einkommen von Kindern im Fall der Grundsicherungsgewährung erst ab einem Schwellwert von 100.000 € zurückgegriffen werden soll (§ 43 Abs. 2 Satz 1 SGB XII), ist diese Grenze sinnvollerweise auch in § 94 Abs. 3 SGB XII zu verankern. Unterhaltsansprüche von Eltern gegen ihre Kinder sollten auf den Träger der Sozialhilfe nur dann übergehen, wenn die Kinder ein Einkommen ab 100.000 € haben. Ob der Grenzwert von 100.000 € noch zeitgemäß ist, ist dabei zu erörtern. Die 100.000 € Grenze wurde mit der Grundsicherung zum 1.1.2005 eingeführt. Wollte man diesen Wert mit der Entwicklung der Durchschnittsgehälter in Deutschland (Durchschnittsentgelt) dynamisieren, wäre die Grenze heute mit ca. 130.000 € zu bemessen. Immerhin wird allerdings diese Grenzanhebung dazu führen, dass eine Unterhaltsverpflichtung erst ab einem Nettoeinkommen i.H.v. 4.500 € eingreift. Damit wären nach der hier geführten Statistik aus ca. 2.000 Beratungsfällen etwa 78 % der betroffenen Kinder vom Elternunterhalt befreit. Anwaltskanzleien, die im Elternunterhalt stark vertreten sind, werden sich auf diese Änderung einstellen müssen, da die Initiative für diese Veränderung aus der CDU kommt und eine Regierungsbildung ohne CDU derzeit wohl kaum vorstellbar ist.

Änderungsbedarf der Unterhaltsleitlinien bzgl. der Abziehbarkeit von Tilgungsleistungen vom Wohnwert beim Ehegattenunterhalt?

Wenn ein Ehegatte nach Zustellung des Scheidungsantrags in einer Immobilie lebt, die in seinem Alleineigentum steht, wird für die Unterhaltsberechnung sein Einkommen um den objektiven Wohnwert (Kaltmietwert) dieser Immobilie erhöht, weil er keine Miete zahlen muss. Die zur Finanzierung der Immobilie aufgenommenen Darlehen sind nach den bisherigen Unterhaltsleitlinien der Oberlandesgerichte nur mit dem Zinsanteil der Monatsraten von dem unterhaltsrechtlichen Einkommen abziehbar. Der Tilgungsanteil soll hingegen nicht abziehbar sein. Dahinter steht der Gedanke, dass nicht ein Ehegatte auf Kosten des anderen Ehegatten Vermögen aufbauen können soll. Auf den ersten Blick überzeugt dieser Gedanke. 

Nach dem Beschluss des BGH v. 18.1.2017 – XII ZB 118/16, FamRZ 2017, 519 = FamRB 2017, 170 – werden die Oberlandesgerichte ihre Richtlinien an diesem Punkt allerdings wohl dennoch überdenken müssen. Zwar betraf die Entscheidung des BGH ausdrücklich nur den Elternunterhalt (in diesem Blog bereits genauer dargestellt und kommentiert am 1.3.2017 von Rechtsanwalt Jörn Hauß), sie enthält in Rz. 33 jedoch einen Gedanken, der offensichtlich ebenso für den Ehegattenunterhalt gilt: 

Es fehlt an einer Vermögensbildung auf Kosten des Unterhaltsberechtigten, wenn und soweit den Tilgungsanteilen ein einkommenserhöhender Wohnvorteil gegenübersteht. Denn ohne Zins- und Tilgungsleistungen gäbe es den Wohnvorteil in Form einer ersparten Miete nicht. 

Das bedeutet: Soweit der eine Ehegatte unterhaltsrechtlich nicht schlechter steht, als wenn der andere zur Miete wohnen würde, können die Darlehensraten einschließlich Tilgungsanteil abgezogen werden. 

Dieser Gedanke ist so überzeugend und eindeutig richtig, dass die Oberlandesgerichte kaum darum herum kommen werden, die Leitlinien dahin gehend anzupassen, dass die Darlehensraten einschließlich Tilgungsanteil immer in Höhe des vollen Wohnwerts vom unterhaltsrechtlichen Einkommen abziehbar sind.  

Ähnlich äußerte sich auch bereits Dr. Johannes Norpoth, Richter am OLG Hamm, 10. Familiensenat, in der NZFam 2017, 303, 308, in seiner Anmerkung zu dem oben genannten Beschluss des BGH und auch der Vorsitzende Richter am BGH, Hans-Joachim Dose, äußert im Rahmen seiner Dozententätigkeit für Fachanwälte für Familienrecht ausdrücklich, dass es ihn nicht überraschen würde, wenn der BGH zum Ehegattenunterhalt entsprechend entscheiden würde.