Die Entzauberung des Zauberworts von der Funktionsäquivalenz oder: Wieviel Schutz brauchen Ehegatten? (zu BGH v. 20.6.2018 – XII ZB 84/17)

In seiner Entscheidung v. 20.6.2018 – XII ZB 84/17 leitsatzt der BGH, die richterliche Ausübungskontrolle von Eheverträgen diene nicht dazu, dem durch den Ehevertrag belasteten Ehegatten zusätzlich entgangene ehebedingte Vorteile zu gewähren und ihn dadurch besser zustellen, als hätte es die Ehe und die mit der ehelichen Rollenverteilung einhergehende Disposition über Art und Umfang seiner Erwerbstätigkeit nicht gegeben. Gleichzeitig hegt der BGH die unter dem Stichwort der Funktionsäquivalenz teilweise heranwachsenden Wünsche ein: Bei modifiziertem Zugewinnausgleich oder vereinbarter Gütertrennung ist auch im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung eine güterrechtliche Kompensation mangelnden Versorgungserwerbs nicht erforderlich, wenn der ehezeitliche Versorgungserwerb in einem dem Versorgungsausgleich unterliegenden primären Versorgungssystem ausreichend ist, dem Versorgungsberechtigten eine selbstständige (Basis-)Absicherung für den Fall von Alter oder Invalidität zu bieten. Für ein über die Halbteilung der berufsständischen Versorgungsanrechte hinausgehendes „Hinübergreifen“ auf das güterrechtliche Ausgleichssystem im Wege richterlicher Ausübungskontrolle bestehe jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Funktionsäquivalenz kein Raum (Rz. 27).

Die von „Ehevertragsreue“ gekennzeichnete Berufung eines Ehegatten im Scheidungsfall auf versorgungsrechtliche Benachteiligung durch Gütertrennung oder Modifikation der Zugewinnausgleichsgemeinschaft ist mit dieser Entscheidung weitgehend verstellt. Der Ehemann (Arzt) hatte in der Ärzteversorgung in 17-jähriger Ehe eine Versorgung von rund 709 € monatlich aufgebaut und damit einen jährlichen Versorgungserwerb in Höhe von knapp 42 € Monatsrente realisiert. Die Funktion eines primären Altersversorgungssystems sei es, dem Versorgungsberechtigten eine „selbstständige Basis-Absicherung für den Fall von Alter oder Invalidität zu bieten“. Bei einem Versorgungserwerb von 42 € Monatsrente pro Erwerbsjahr sei dieser Zweck erfüllt.

Einen den Ehevertrag durch ergänzende Vertragsauslegung zu korrigierenden ehebedingten Nachteil der Ehefrau vermochte der BGH nicht zu erkennen. Diese hätte, wenn sie ihren Beruf als Produktdesignerin ehezeitlich ausgeübt hätte, 19,32 Entgeltpunkte in der gesetzlichen Rentenversicherung erwerben können, was einem Kapitalwert i.H.v. 110.399,89 € entspräche. Der Kapitalwert des Ausgleichswerts der Ärzteversorgung habe 66.297 € betragen. Die Differenz zum fiktiven eigenen Versorgungserwerb der Ehefrau werde durch den ehevertraglich modifizierten Zugewinnausgleich (Teilhabe an zwei Kapitallebensversicherungen des Ehemannes) ausgeglichen.

Die Entscheidung macht deutlich: Wer einen Ehevertrag schließt, kann auch bei längerer Ehe nicht davon träumen, dessen Regelungen so einfach auszuhebeln. Die Ehe ist ein privatrechtliches Versprechen zweier Personen, dessen Bedingungen weitgehend privatautonom gestaltet werden können und dessen Folgewirkungen durch die Rechtsordnung nur öffentlich-rechtlich determiniert sind. Der staatlich zu garantierende Schutz des „schwächeren“ Ehegatten beschränkt sich auf den Ausgleich ehebedingter Nachteile, nicht aber auf die Teilhabe an ehebedingten Vorteilen, wenn die Ehegatten diesen Vorteilserwerb abbedungen haben. Dies entspricht einem modernen Eheverständnis, das der Privatautonomie den notwendigen Atmungsraum gewährt und diesen nur dann begrenzt, wenn ehebedingte Nachteile planwidrig nicht kompensiert werden, was Kompensationsfähigkeit voraussetzt.

Die Ehe ist im 21. Jahrhundert keine Institution zu Versorgungssicherung oder Vermögensmehrung. Sie ist eine freiwillig begründete Lebens- und Austauschgemeinschaft volljähriger gleichberechtigter Menschen, die des gesetzlichen Schutzes nur in Ausnahmefällen bedürfen.

 

Versorgungsausgleich: BVV knickt ein!

Bei der internen Teilung von ehezeitlich erworbenen Ansprüchen in der betrieblichen und privaten Altersversorgung findet oftmals eine wundersame Abwertung der Versorgung für die ausgleichsberechtigte Person statt:

  • Der BVV (Bankenversicherungsverein) schlägt den Gerichten seit langem vor, den Ausgleichswert für die ausgleichsberechtigte Person im Tarif ARLEP zu begründen. Dieser Tarifwechsel ist verbunden mit einem Rechnungszinsverlust. Während im Ausgangstarif ein Rechnungszins von 3,5–4 % angewandt wird, ist der Zieltarif derzeit lediglich mit einem Rechnungszins von 0,9 % ausgestattet. Für eine 50-jährige Frau bedeutet dies, dass die gesicherte Versorgungserwartung sich gegenüber dem Quelltarif in etwa halbiert.
  • Auch die private Versicherungswirtschaft (Allianz & Co) begründet den Ausgleichswert der Versorgung für die ausgleichsberechtigte Person nach der Teilungsordnung zu den im Zeitpunkt der Rechtskraft maßgeblichen Versicherungstarifen. Auch bei diesen Versorgungen kommt der sog. aktuelle Höchstrechnungszins als „Garantiezins“ zur Anwendung, was zu einer deutlich verminderten Versorgungsleistung gegenüber der Quellversorgung führt.

Die Rechtsprechung hat dies teilweise erkannt und moniert.[1]

Der BVV korrigiert nun seine Praxis und hat angekündigt, künftig die Versorgungsverluste durch Umstellung der Tenorierung und Tarifierung zu vermeiden. In allen laufenden Verfahren werden indessen vom BVV nicht freiwillig neu Auskünfte erteilt. Die Anwaltschaft ist daher aufgerufen, in den noch nicht rechtskräftigen Verfahren unter Beteiligung des BVV das Gericht auf die Notwendigkeit der Einholung neuer Auskünfte ausdrücklich hinzuweisen. Für die ausgleichspflichtige Person entstehen dadurch keine versorgungsrechtlichen Nachteile. Die ausgleichsberechtigte Person gewinnt einen fairen Ausgleich und damit ein höheres Alterseinkommen, was möglicherweise auch zu geringeren Unterhaltsleistungen der ausgleichspflichtigen Person führt.

Die privaten Versorgungsträger beharren allerdings auf ihrer Standardteilungsordnung und bieten lediglich dann, wenn die Beteiligten die mangelnde Angemessenheit des Teilungsergebnisses rügen, an, die Tarifierung an die Quellversorgung anzupassen.

Die Anwaltschaft ist aufgerufen, im Versorgungsausgleich aufmerksam darauf zu achten, dass die interne Teilung nicht zu Lasten ihrer Mandanten in einen neuen Tarif des Versorgungsträgers erfolgt.

Vor Umstellung der Praxis des BVV hatte das OLG Köln[2] das Risiko des Versorgungsverlusts durch folgende Tenorierung gebannt:

Im Wege der internen Teilung werden zu Lasten der für die ausgleichspflichtige Person bei dem BVV-Versicherungsverein des Bankgewerbes a.G. unter der Vertragsnummer … bestehenden betrieblichen Altersversorgung zugunsten der ausgleichsberechtigten Person nach Maßgabe der Versicherungsbedingungen ARLEP/oG-V 2017 ein Anrecht in Höhe von … Euro, bezogen auf den … inklusive der Wertentwicklung bis zum 31.7.2018, verbunden mit der weiteren Maßgabe, dass für das zu begründende Anrecht der ausgleichsberechtigten Person der Rechnungszins, der dem auszugleichenden Anrecht des Antragstellers zugrunde liegt, zur Anwendung kommt.

Bis auch die privaten Versorgungen ihre Teilungsanordnung der Rechtslage entsprechend umstellen, kann eine Tenorierung analog der Praxis des OLG Köln Versorgungsverluste für die ausgleichsberechtigte Person vermeiden.

 

[1] OLG Schleswig v. 12.2.2014 – 13 UF 215/13, FamRZ 2014, 1113; OLG Frankfurt v. 25.8.2017 – 4 UF 146/15, FamRZ 2018, 500 (LS); OLG Frankfurt v. 30.11.2016 – 6 UF 115/16; OLG Saarbrücken v. 6.7.2015 – 6 UF 16/15; OLG Stuttgart v. 18.2.2016 – 11 UF 230/15, FamRZ 2016, 1689 (LS); OLG Köln v. 4.7.2017 – 4 UF 45/14, bestätigt durch BGH v. 9.5.2018 – XII ZB 391/17.

[2] OLG Köln v. 4.7.2017 – 4 UF 45/14, bestätigt durch BGH v. 9.5.2018 – XII ZB 391/17.

Die familienrechtlichen Auswirkungen einer längeren Versöhnung der Eheleute nach einer Trennung

Nicht selten versuchen Eheleute nach einer Trennung oder sogar noch während eines laufenden Scheidungsverfahrens, ihre Ehe zu retten, und versöhnen sich für eine Weile wieder. Um die Eheleute nicht von solchen – vom Gesetzgeber offenbar gewünschten – Versuchen künstlich abzuhalten, sieht das Gesetz vor, dass das Trennungsjahr nicht von einem Zusammenleben über „kürzere Zeit“ unterbrochen wird (§ 1567 Abs. 2 BGB). Die Obergrenze, innerhalb der es sich noch um eine „kürzere Zeit“ handelt, beträgt nach der Rechtsprechung drei Monate des erneuten Zusammenlebens.

Die Rechtsfolgen einer längeren Versöhnung sind äußerst weitreichend. Wenn die Eheleute sich nach einer solchen Phase erneut trennen, kann nicht einfach an ein bereits anhängiges Scheidungsverfahren angeknüpft werden. Der ursprünglich eingereichte Scheidungsantrag müsste gegebenenfalls abgewiesen werden, weil das (neue) Trennungsjahr noch nicht abgelaufen ist. Dies gilt sogar dann, wenn beide Eheleute wieder geschieden werden möchten. Die Eheleute sind in diesem Fall gezwungen, erneut das Trennungsjahr abzuwarten, um dann die Scheidung erneut zu beantragen.

Mit der Einleitung eines neuen Scheidungsverfahrens verändert sich auch der Stichtag für die Berechnung des Zugewinnausgleichs. Erhebliche Vermögenssteigerungen oder Verluste eines der beiden Ehegatten während der Versöhnung und dem daran anschließenden weiteren Trennungsjahr sind also bei dem Ausgleich mit zu berücksichtigen. Auch die Altersvorsorge, die die Eheleute während dieser Phase aufgebaut haben, ist in den Versorgungsausgleich einzubeziehen.

Soweit mit dem ursprünglichen Scheidungsantrag bereits Folgesachenanträge (insbesondere Anträge auf Durchführung des Zugewinnausgleichs und auf nachehelichen Unterhalt) verbunden waren, sind auch diese mit der Zurückweisung bzw. der Rücknahme des Scheidungsantrags erledigt. Auch diese Anträge müssen nach Zustellung des neuerlichen Scheidungsantrags erneut gestellt werden. Die häufig ganz erheblichen Kosten für diese Gerichtsverfahren einschließlich Anwaltskosten und gegebenenfalls Kosten für Sachverständige fallen also doppelt an.

Mit der Zurückweisung bzw. Rücknahme des Scheidungsantrags lebt auch das Erb- und Pflichtteilsrecht des Ehegatten wieder auf. Dieses entfällt erst dann wieder, wenn nach Ablauf des weiteren Trennungsjahrs der neue Scheidungsantrag zugestellt wird.

Soweit noch ein Unterhaltstitel bezüglich des Trennungsunterhalts vorliegt, wird dieser mit dem Ablauf der längeren Versöhnungszeit zwar nicht unwirksam, der Trennungsunterhaltsanspruch entfällt allerdings und eine Vollstreckung aus dem Alttitel könnte im Wege des Vollstreckungsgegenantrags abgewehrt werden (s. nur Musielak/Borth, FamFG, 6. Aufl. 2018, § 238 Rz. 14).

Wirksam bleiben allerdings Unterhaltstitel bezüglich des Kindesunterhalts, da der Kindesunterhalt auch während längerer Versöhnungsphasen geschuldet bleibt.

Da waren’s nur noch zwei (zu BGH v. 7.3.2018 – XII ZB 408/14 – Anwartschaftsdynamik, Halbteilungsgrundsatz, Rententrend)

Das Lied von den zehn kleinen Negerlein[1] kennen sogar Juristinnen und Juristen. Der BGH hat nun im Versorgungsausgleich – offenbar im Bewusstsein ansonsten entstehender Langeweile – gleich mit der achten Strophe angefangen.

Für die Teilungsmöglichkeiten der Betriebsrenten hatte der Gesetzgeber die Barwerthalbteilung, die Rentenhalbteilung und die Rentenhalbteilung auf Basis geschlechtsneutraler Barwertfaktoren zugelassen. Alle diese drei Methoden hatten ihre Vor- und Nachteile, die von den Versorgungsträgern meist zu ihrem Vorteil genutzt wurden:

  • Die Barwerthalbteilung führt bei Kostenneutralität für den Versorgungsträger in bestimmten Fällen zu einem die Halbteilung verfehlenden Rentenertrag der ausgleichsberechtigten Person.
  • Die Rentenhalbteilung verfehlt in bestimmten Fällen die Kostenneutralität für den Versorgungsträger, dieser kann sparen, aber auch draufzahlen.
  • Die geschlechtsneutrale Barwertteilung führt – bei Kostenneutralität für den Versorgungsträger – in bestimmten Fällen zu einer Rente, die unter dem halben Rentenwert für die ausgleichspflichtige Person liegt.

Am häufigsten wird die Barwerthalbteilung praktiziert. Die ausgleichsberechtigte Person verliert dabei immer die Hälfte ihrer ehezeitlichen Rente. Der Rentenertrag für die ausgleichsberechtigte Person bleibt im Dunkeln, solange der Gesetzgeber den Versorgungsträgern nicht auferlegt, diesen beim Teilungsvorschlag mit anzugeben und öffnet daher Tür und Tor für Betrügereien. Welche ausgleichsberechtigte Frau im Alter 50 weiß am 31.12.2017, wie hoch die Rente aus 50.000 € Ausgleichswert ab ihrer Regelaltersgrenze sein müsste.[2]

Seltener ist die Rentenhalbteilung. Sie kann – geschlechts- und altersabhängig – die Kostenneutralität des Versorgungsträgers verletzen, ihn aber auch begünstigen. Sie ist für die Beteiligten transparent. Jeder bekommt die halbe ehezeitliche Rente, gleich wie alt oder weiblich man ist.

Ganz selten geschieht die Teilung auf der Basis geschlechtsneutraler Barwertfaktoren, die – wiederum geschlechts- und altersabhängig – dazu führen kann, dass beiden Ehegatten weniger als die Hälfte der ehezeitlich erworbenen Rente der ausgleichspflichtigen Person verbleibt. Ein solcher Fall lag der Entscheidung des BGH zugrunde. Die IBM wollte so teilen und scheiterte beim BGH, der kurzerhand dieses ‚Negerlein‘ für unzulässig erklärte:

  1. Der Halbteilungsgrundsatz gebietet es nicht nur, dass die ausgleichsberechtigte Person die Hälfte des in der Ehezeit erworbenen Anrechts abzüglich der anteiligen Kosten der Teilung erhält, sondern ebenso, dass der ausgleichspflichtigen Person die Hälfte des von ihr erworbenen Anrechts abzüglich der anteiligen Teilungskosten verbleibt (im Anschluss an Senatsbeschl. v. 17.2.2016 – XII ZB 447/13, BGHZ 209, 32 = FamRZ 2016, 775 = FamRB 2016, 176).

(BGH, Beschl. v. 7.3.2018 – XII ZB 408/14)

Nun fragt man sich verdutzt, wie denn Gerichte und Anwaltschaft erkennen sollen, welcher Rentenertrag für die beiden Ehegatten entstehen soll, wenn der Versorgungsträger sich weigert, diesen mitzuteilen. Denn – so der BGH – nur die ausgleichspflichtige Person ist halbteilungssensibel. Es existiert leider keine Verpflichtung des Versorgungsträgers mitzuteilen, um welchen Betrag die Rente der ausgleichspflichtigen Person durch den Versorgungsausgleich verringert wird. Ganz zu schweigen davon, dass fast alle Versorgungsträger sich beharrlich weigern, den Rentenerwartungswert für die ausgleichsberechtigte Person zu offenbaren.

Bei der externen Teilung ist es einfach, die Rentenerwartung für die ausgleichsberechtigte Person zu bestimmen: Der Kapitalwert wird in der gesetzlichen Rentenversicherung in Entgeltpunkte umgerechnet[3] und mit dem aktuellen Rentenwert multipliziert[4].

Bei der internen Teilung kann man den Rentenerwartungswert nur vom Versorgungsträger oder kostenträchtig von einem Gutachter bzw. Versicherungsmathematiker oder durch Anwendung des Ihnen auf der FamRB-Homepage kostenlos zur Verfügung gestellten BerechnungstoolsKapitalwertkontrolle im Versorgungsausgleich[5] erfahren. Das alles bleibt aber solange im obskuren Dunkel des Unwissens verborgen, solange Gerichte und Anwälte sich von den versicherungsmathematischen Zusammenhängen überfordert fühlen und ihre versorgungsausgleichsrechtliche Erkenntnisaversion pflegen.

Der Gesetzgeber bleibt aufgefordert, wenigstens an dieser Stelle das Gesetz zu ändern und den Versorgungsträgern aufzuerlegen, die Auswirkungen des Versorgungsausgleichs auf die Rente der ausgleichspflichtigen Person und die Rentenerwartung der ausgleichsberechtigten Person darzustellen. Anderenfalls wird die Entscheidung des BGH weitgehend wirkungslos verhallen, weil die Betroffenen zu spät merken, dass die ehezeitlich erarbeitete Rente zu stark gekürzt wird oder das Teilungsergebnis unangemessen niedrig ist. Der Tenor bindet nämlich den betrieblichen Versorgungsträger.[6] Was einmal familienrechtlich verkorkst wurde, ist rettungslos verloren.

Gerichte und Anwaltschaft bleiben aufgefordert, zur Kontrolle des angemessenen Teilungsergebnisses (§ 11 VersAusglG) den Versorgungsträger zu veranlassen, die Rentenerwartungen der Ehegatten nach dem Versorgungsausgleich zu dokumentieren.

Die Entscheidung des BGH hat aber auch noch andere Aspekte und offenbart bundesrichterliches Mitgefühl mit der Praxis:

„Selbst wenn die Teilungsordnung eindeutige Regelungen dazu enthält, wie der Kürzungsbetrag beim Ausgleichspflichtigen zu ermitteln ist, sind diese – in erster Linie an den Versicherungsmathematiker gerichteten – Beschreibungen regelmäßig sehr technisch gehalten und erschweren dadurch eine inhaltliche Kontrolle der Regelung durch Gericht und Verfahrensbeteiligte erheblich.“(Rz. 40)

Beherzt räumt der BGH denn auch gleich zwei andere Problemfelder ab:

Der Rententrend, also die Dynamik einer betrieblichen Altersversorgung in der Rentenbezugsphase, ist bei Ermittlung des korrespondierenden Kapitalwerts und damit auch des Ausgleichswerts mit zu berücksichtigen, selbst wenn nicht sicher vorausgesagt werden kann, wie hoch dieser Rententrend ist. Das Gesetz (§ 16 BetrAVG) lässt für betriebliche Altersversorgungen drei Möglichkeiten zu: Die Leistungsanpassung kann dadurch erfolgen,

  • dass jährlich die Renten um ein Prozent angehoben werden oder
  • alle drei Jahre die Renten nach Entwicklung des Verbraucherpreisindex angehoben werden oder
  • die Anhebung entsprechend der Entwicklung der Nettolöhne der vergleichbaren Arbeitnehmergruppen des Unternehmens im Dreijahreszeitraum erfolgt.

Der BGH entscheidet nun klipp und klar, dass der Rententrend bei der Bewertung der Versorgung zu berücksichtigen ist. In der Praxis muss dies dazu führen, dass Anwaltschaft und Gerichte zu prüfen haben, ob in der Auskunft des Versorgungsträgers ein Rententrend angegeben worden ist. Sieht die Versorgungsordnung eine Rentenerhöhung von ein Prozent pro Jahr vor, ist dieser Prozentsatz zugrunde zu legen. Erfolgt die Anhebung nicht nach einem festen Prozentsatz, kann für die anzunehmende Rentendynamik ein Steigerungssatz von 1,75 % bis 2 % angenommen werden. Im klassischen Scheidungsalter von 50 Jahren führt die Annahme eines Rententrends von einem Prozent zu einer etwa zehnprozentigen Steigerung des Ausgleichswerts.

Bei endgehaltsbezogenen Versorgungszusagen ist die Gehaltssteigerung zwischen Ehezeitende und der Entscheidung über den Versorgungsausgleich in die Entscheidung aufzunehmen und bei der Berechnung des Ausgleichswerts zu berücksichtigen. Dies ist nicht ganz unproblematisch. Eine nachehezeitliche Gehaltssteigerung beruht nämlich auf nachehezeitlich erbrachter Leistung der ausgleichspflichtigen Person. Dies gilt auch dann, wenn es sich nicht um einen Karrieresprung handelt. Deshalb ist vertreten worden, dass bei endgehaltsbezogenen Versorgungen der nachehezeitliche Versorgungszuwachs unberücksichtigt bleiben muss (Erman/Norpoth/Sasse, 14. Aufl., § 5 VersAusglG Rz. 8; differenzierend wie jetzt auch der BGH in Rz. 35 der Entscheidung: NK-FamR/Hauß, 3. Aufl., § 19 VersAusglG Rz. 8f.). Eine Gehaltssteigerung, die lediglich dem Inflationsausgleich dient, ist danach bei Bewertung der Versorgung zu berücksichtigen, eine Gehaltssteigerung, die auf individueller nachehezeitlicher Leistung der ausgleichspflichtigen Person beruht, wird nicht ausgeglichen (Karrieresprung).

Und zum Schluss noch der Hinweis: Mehr und mehr setzt sich die Erkenntnis durch, dass das Ehezeitende lediglich erforderlich ist, um die Höhe der ehezeitlich erdienten Versorgung zu bestimmen. Die Bewertung dieser Versorgung, also ihre Kapitalisierung, erfolgt zu einem entscheidungsnahen Zeitpunkt, weil auch die Umsetzung der Entscheidung des Gerichts in der Regel nicht zum Ehezeitende erfolgt, sondern nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung.

[1] Ich weiß um die mangelnde Korrektheit dieses ‚Unworts‘, die allerdings in der Miniaturisierung relativiert wird. ‚Farbige‘ passt rythmisch nicht und ist vielleicht auch nicht korrekt und ‚farbige Weiße‘ wäre soziologisch korrekt, im Lied aber nicht unterzubringen.

[2] Es sind ca. 378 € bei einem Rententrend von 1 %.

[3] Derzeit knapp 7.000 € pro Entgeltpunkt.

[4] Derzeit noch 31,03 €, ab 1.7.2018 32,03 €.

[5] Dazu Hauß, FamRB 2017, 122.

[6] BAG v. 10.11.2015 – 3 AZR 813/14, FamRZ 2015, 535 = FamRB 2016, 184.

Sondierungsergebnisse und Familienrecht

Die Ergebnisse der Sondierungsgespräche von CDU, CSU und SPD sollten Familienrechtler aufhorchen lassen. Unter der Überschrift „Familie, Frauen und Kinder“ findet sich der Einleitungssatz: „Familien halten unsere Gesellschaft zusammen.“. Dieser Satz zeigt, dass die gesellschaftliche Entwicklung an den potentiellen Koalitionären nicht spurlos vorbeigegangen ist. Noch vor kurzem wäre die Ehe als Kit der Gesellschaft bezeichnet worden. Dass nunmehr die Familien in den Mittelpunkt gestellt werden, ist ein erfreulicher Schritt auf dem Weg der Entinstitutionalisierung der Ehe und hoffentlich auch des Familienrechts.

Es werden in dem 28-seitigen Sondierungspapier Maßnahmen angekündigt, die auch den familienrechtlichen Alltag von Anwältinnen und Anwälten verändern werden:

Maßnahmen zur Bekämpfung der Kinderarmut:

Das Kindergeld als bewährte und wirksame familienpolitische Leistung werden wir in dieser Legislaturperiode pro Kind um 25 Euro pro Monat erhöhen – in zwei Teilschritten (zum 1.7.2019 um zehn Euro, zum 1.1.2021 um weitere 15 Euro). Gleichzeitig steigt der steuerliche Kinderfreibetrag entsprechend (S. 9).

Angesichts der Notwendigkeit der Erhöhung des Mindestunterhalts zum 1.1.2019 auf 406 € (Einkommensstufe 1) bewirkt die wenige Monate später in Kraft zu setzende Erhöhung des Kindergeldes lediglich eine Erhöhung der Belastung der barunterhaltspflichtigen Personen um zwei Euro (406 – 204/2). Dies ist begrüßenswert, weil dadurch die gesellschaftliche Verantwortung für Kinder betont und ein Schritt zur Bekämpfung der Kinderarmut gemacht wird.

 

Wir werden ein Maßnahmenpaket zur Bekämpfung der Kinderarmut schüren: Dazu wollen wir zur Entlastung einkommensschwacher Familien den Kinderzuschlag erhöhen. Gemeinsam mit dem Kindergeld soll der Mindestbedarf des sächlichen Existenzminimums (derzeit 399 €) gedeckt werden (S. 9).

Auch diese Absichtserklärung ist gegenüber der derzeitigen Situation ein Fortschritt, zumal er mit einer Entbürokratisierung der Leistungsbeantragung durch die entsprechenden Familien gekoppelt werden soll. Die Festschreibung des Mindestbedarfs auf das „Existenzminimum“ ist zwar nicht das, was man sich unter einer kinderfreundlichen Gesellschaft vorstellt, es würde aber die Familien entlasten.

 

Auch die Bedarfe für Bildung und Teilhabe werden wir verbessern, unter anderem sollen hierzu das Schulstarterpaket erhöht und die Eigenanteile zur gemeinschaftlichen Mittagsverpflegung in Kitas und Schulen und für Schülerbeförderung entfallen (S. 9).

Wir werden einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung im Grundschulalter schaffen. Dabei werden wir auf Flexibilität achten, bedarfsgerecht Vorgehen und die Vielfalt der in den Ländern und Kommunen bestehenden Betreuungsmöglichkeiten der Kinder und Jugendhilfe und die schulischen Angebote berücksichtigen (S. 10).

 Alle diese Vorhaben haben unterhaltsrechtliche Auswirkungen, weil sie die berufliche Integration der alleinerziehenden Eltern unterstützen und gleichzeitig strukturelle Bildungsdifferenzierungen verringern.

Maßnahmen im Versorgungsrecht:

Mit dem zweiten Kindererziehungsjahr in der Rente für Geburten vor 1992 haben wir einen ersten Schritt getan. Wir wollen die Gerechtigkeitslücke schließen: Mütter, die ihre Kinder vor 1992 auf die Welt gebracht haben, sollen künftig auch das dritte Jahr Erziehungszeit in der Rente angerechnet bekommen. Wir wollen die Mütterrente II einführen. Das ist ein wichtiger Baustein zur Bekämpfung von Altersarmut. Diese Verbesserungen bei der Mütterrente durch einen 3. Punkt sollen für Mütter gelten, die drei und mehr Kinder vor 1992 zur Welt gebracht haben (S. 13).

Was für die Rentenbezieher ein Segen ist, ist für Versorgungsausgleichsrechtler eine Pflicht. Da davon auszugehen ist, dass eine zukünftige Regierung (wann und in welcher Konstellation sie auch immer entsteht) hinter diese Absichtserklärung nicht zurückfällt, sollten die Familienrechtler Abänderungsverfahren im Versorgungsausgleich sorgfältig prüfen und in den Fällen, in denen das Abänderungspotenzial derzeit nicht groß genug ist (§ 225 FamFG), die Mandanten darauf hinweisen, dass spätestens nach Umsetzung dieses Vorhabens ausreichendes Abänderungspotenzial bestehen wird.

Maßnahmen im Elternunterhalt:

Auf das Einkommen der Kinder von pflegebedürftigen Eltern soll zukünftig erst ab einem Einkommen i.H.v. 100.000 Euro im Jahr zurückgegriffen werden (S. 15).

Dieses Vorhaben ist überfällig. Wenn auf das Einkommen von Kindern im Fall der Grundsicherungsgewährung erst ab einem Schwellwert von 100.000 € zurückgegriffen werden soll (§ 43 Abs. 2 Satz 1 SGB XII), ist diese Grenze sinnvollerweise auch in § 94 Abs. 3 SGB XII zu verankern. Unterhaltsansprüche von Eltern gegen ihre Kinder sollten auf den Träger der Sozialhilfe nur dann übergehen, wenn die Kinder ein Einkommen ab 100.000 € haben. Ob der Grenzwert von 100.000 € noch zeitgemäß ist, ist dabei zu erörtern. Die 100.000 € Grenze wurde mit der Grundsicherung zum 1.1.2005 eingeführt. Wollte man diesen Wert mit der Entwicklung der Durchschnittsgehälter in Deutschland (Durchschnittsentgelt) dynamisieren, wäre die Grenze heute mit ca. 130.000 € zu bemessen. Immerhin wird allerdings diese Grenzanhebung dazu führen, dass eine Unterhaltsverpflichtung erst ab einem Nettoeinkommen i.H.v. 4.500 € eingreift. Damit wären nach der hier geführten Statistik aus ca. 2.000 Beratungsfällen etwa 78 % der betroffenen Kinder vom Elternunterhalt befreit. Anwaltskanzleien, die im Elternunterhalt stark vertreten sind, werden sich auf diese Änderung einstellen müssen, da die Initiative für diese Veränderung aus der CDU kommt und eine Regierungsbildung ohne CDU derzeit wohl kaum vorstellbar ist.

Bundesgerichtshof sorgt für kräftige Rentennachzahlung in der Zusatzversorgung

Rentner der Zusatzversorgung des öffentlichen oder kirchlichen Dienstes, die vor dem 1.10.2010 geschieden worden sind, können sich auf eine kräftige Rentennachzahlung freuen. Der Bundesgerichtshof hat am 10.1.2018 entschieden, dass die durch den Versorgungsausgleich verursachte Kürzung der Renten aus der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes über viele Jahre hinweg rechtswidrig zu hoch vorgenommen worden ist. Für die Rentner bedeutet dies, dass Sie eine Nachzahlung der unberechtigt einbehaltenen Rentenanteile einfordern können. Für die Zeit ab Januar 2015 sind diese Rückforderungsansprüche auch nicht verjährt.

In dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall (BGH v. 10.1.2018 – IV ZR 262/16) hatte der Versorgungsträger die Rente des geschiedenen Mannes um 53 € gekürzt. Das sei zu viel, entschied der Bundesgerichtshof und verwarf damit gleichzeitig die entsprechende Satzungsbestimmung des Versorgungsträgers. Eine Kürzung von allenfalls 11 Euro sei berechtigt gewesen.

Für geschiedene Rentenbezieher aus der Zusatzversorgung des öffentlichen und kirchlichen Dienstes bedeutet diese Entscheidung ein erhebliches Neujahrsgeschenk. In nahezu allen Fällen ist die Rentenkürzung zwischen 50 und 80 % zu hoch ausgefallen.

Die Versorgungsträger werden den betroffenen Rentnern die vorenthaltenen Renten nicht freiwillig auszahlen. Der Anspruch muss vielmehr bei den Versorgungsträgern geltend gemacht werden.

Für die Betroffenen und die beratenden Anwälte ist die Geltendmachung des Anspruchs nicht ganz ungefährlich, weil der Versorgungsträger ein Abänderungsverfahren nach § 51 Abs. 3 VersAusglG einleiten und damit bewirken kann, dass der nach dem bis zum 31.8.2009 geltenden Versorgungsausgleichsrecht durchgeführte Versorgungsausgleich den neuen Regelungen des Versorgungsausgleichsgesetzes unterworfen wird. Dies kann wegen der dann erfolgenden Realteilung auch Nachteile für den Rentner bergen. Solche Nachteile sind insbesondere zu beachten, wenn weitere betriebliche Anrechte auf seiten des Beziehers der ZVK-Versorgung bestehen oder auf der Gegenseite Anrechte aus der Beamtenversorgung in der Ehezeit erworben worden sind und die Ehezeit vor dem 1.1.2002 geendet hat. Aus Gründen anwaltlicher Vorsorglichkeit ist daher immer anhand des alten Scheidungsurteils eine mandantenbezogene Prognose für den Fall der Einleitung eines Abänderungsverfahrens nach § 51 Abs. 3 VersAusglG vorzunehmen.

Bis zur Umstellung der Rente auf das neue Recht steht den Rentnern allerdings der Anspruch auf den unberechtigt einbehaltenen Kürzungsbetrag zu. Für den nicht verjährten Forderungszeitraum von drei Jahren kann dieser Anspruch beim Versorgungsträger geltend gemacht und, falls dieser die Zahlung verweigert, bei Gericht eingeklagt werden.

Ob es sich für die Betroffenen überhaupt lohnt, können diese recht einfach feststellen:

  • Die Entscheidung über den Versorgungsausgleich muss beim Familiengericht vor dem 1.10.2010 ergangen sein.
  • In der Entscheidung ist der Ehezeitanteil der Zusatzversorgung angegeben, der mit Hilfe der Barwertverordnung (BarwertVO) in einen dynamisierten Ehezeitanteil umgerechnet worden ist. Die Hälfte der Differenz zwischen dem Ehezeitanteil und dem dynamisierten Ehezeitanteil ist die unberechtigt einbehaltene Rentenkürzung, die vom Versorgungsträger für die Zeit ab 2015 nachzuzahlen wäre.

Zeitpunkte

Hinweis der Redaktion: Lesen Sie zu dem Thema auch die Blog-Beiträge des Autors vom 6.6.2017 und vom 17.8.2016.

Die Wesentlichkeit im Versorgungsausgleich (zu BGH v. 8.11.2017 – XII ZB 105/16)

Thematisch passend hatte sich der Bundesgerichtshof in der Adventszeit mit der Wesentlichkeit beschäftigt. Wer aber unter dieser Überschrift Ausführungen des zwölften Zivilsenats zu der Frage „wer sind wir und wenn ja wie viele“ erwartet hat, wird enttäuscht: Es geht um die Frage, wann eine nachehezeitliche rechtliche oder tatsächliche Veränderung des Ausgleichswerts einer Versorgung so bedeutsam ist, dass sie die Durchbrechung des hehren Rechtskraftprinzips einer Versorgungsausgleichsentscheidung rechtfertigt.

Wer etwas über die Wesentlichkeit von Veränderungen im Versorgungsausgleich lernen möchte, dem sei die Quintessenz der Entscheidung des Bundesgerichtshofs v. 8.11.2017 – XII ZB 105/16 kurz erklärt: Bei Abänderungen von nach altem Versorgungsausgleichsrecht ergangenen Entscheidungen wird für Abänderungen von Anrechten aus der gesetzlichen Rentenversicherung zur Bestimmung des absoluten Minimalwerts, der erreicht werden muss, um eine Abänderung zu rechtfertigen, auf die Abweichung der Rentenwerte der Alt- und Neuentscheidung abgestellt. 

Praktiker werden nun fragen, ob diese Entscheidung des Bundesgerichtshofs die Wesentlichkeitsgrenze überschreitet. Sie seien beruhigt. Für den derzeitigen Hauptanwendungsfall von Abänderungen im Versorgungsausgleich wegen Veränderung der Kindererziehungszeiten für vor dem 1.1.1992 geborene Kinder ändert sich kaum etwas: Ist aus der Ehe nur ein vor dem 1.1.1992 geborenes Kind hervorgegangen, wurde auch schon bei einer Bestimmung der Grenzwerte auf Kapitalwertbasis nur selten die Wesentlichkeitsgrenze des § 225 Abs. 2 FamFG überschritten. Bei zwei Kindern wird diese Grenze immer überschritten. Die Abänderung kann allenfalls ausnahmsweise in diesen Fällen einmal daran scheitern, dass das Abänderungspotenzial keine 5 % erreicht.

Der vom Bundesgerichtshof entschiedene Fall ist atypisch, weil die beiden vor dem Stichtag 1992 geborenen Kinder nicht zu einer Erhöhung des Ehezeitanteils der Versorgung i.H.v. 2 Entgeltpunkten geführt haben. Es müssen also andere Faktoren noch zusätzlich eine Rolle gespielt haben. Nur in wenigen Zeiträumen führt die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für Kindererziehungszeiten nun zu einer Einschränkung der Abänderungsmöglichkeit. In der nachfolgenden Tabelle sind die Berechnungen für ein und zwei vor 1992 geborene Kinder durchgeführt. Die Farbe grün signalisiert Abänderungsmöglichkeit. Rot sind die Zeiten ausgewiesen, in denen aufgrund der Veränderung von Kindererziehungszeiten keine Abänderungsmöglichkeit besteht. Von 1978–2017 liegt damit lediglich in 14 Jahren eine Beschränkung der Abänderungsmöglichkeit vor.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs klärt die in der Rechtsprechung und Literatur umstrittene Frage, worauf sich die Wesentlichkeitsgrenze bezieht. Diese Frage ist nun geklärt: Bei Altentscheidungen zum Versorgungsausgleich, die sich nach dem bis zum 30.9.2009 geltenden Recht richten, kommt es auf den Rentenwert, bei Entscheidungen nach neuem Recht auf den Kapitalwert an.

Gut, dass nun geklärt ist, wie sich die Wesentlichkeit in § 225 Abs. 3 FamFG bestimmt. Wir können uns nunmehr den anderen Wesentlichkeiten des Lebens und des Versorgungsausgleichs zuwenden.

Die Wesentlichkeit im Versorgungsausgleich

Das Märchen vom „teuren Rentnerprivileg“ – Zur Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage zu den Auswirkungen der Abschaffung des Rentnerprivilegs

Die 18. Legislaturperiode des Deutschen Bundestags neigte sich schon dem Ende zu, als mehrere Abgeordnete und die Bundestagsfraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN von der Bundesregierung wissen wollten, ob sich die Abschaffung des Rentnerprivilegs im neuen Versorgungsausgleich bewährt habe (BT-Drucks. 18/13470). Die Frage ist berechtigt, denn immerhin führt die Abschaffung des Rentnerprivilegs in laufenden Rentenbezugsfällen oftmals zur Halbierung der Renteneinkünfte der Betroffenen. Das löst für diese ernste soziale Probleme aus.

In ihrer Antwort (BT-Drucks. 18/13594) verteidigt die Bundesregierung die Abschaffung des Rentnerprivilegs mit einer Demagogie. Sie führt aus, dieses Privileg führe „zu Belastungen des Versorgungsträgers des Ausgleichspflichtigen, da trotz Durchführung des Versorgungsausgleichs zunächst in voller Höhe weiterhin an die privilegierten Ausgleichspflichtigen zu leisten war, später an den Ausgleichsberechtigten“.

Das Argument unberechtigter Kostenbelastung ist aber falsch. Das Rentnerprivileg steht nämlich zu Unrecht im Verdacht, die Versorgungsträger zu ruinieren. Dies macht folgende Kontrollüberlegung deutlich: Ein Versorgungsträger, der ein Rentenversprechen an einen verheirateten Versicherten gegeben hat, hat schlimmstenfalls (bei hohen Altersabstand der Eheleute) an den Versicherten die volle Altersrente und an seine Witwe über deren Restlebenserwartung die Hinterbliebenenversorgung zu zahlen. Diese beträgt im Regelfall 60 % der Altersrente des Versicherten. Schlimmstenfalls kommt also eine Leistungspflicht i.H.v. 160 % der Versorgungszusage auf den Versicherungsträger zu. Da der Altersabstand in der Regel aber nur 3–4 Jahre beträgt, liegt die tatsächliche Belastung deutlich darunter. Lässt sich nun unser Versicherter bei Erreichen der Regelaltersgrenze scheiden, würde der Versorgungsträger bei Fortgeltung des Rentnerprivilegs an den Versicherten 100 % des Ehezeitanteils der Versorgung zu zahlen haben und an seinen Ehegatten 50 %. Insgesamt also schlimmstenfalls 150 % des Versorgungsvolumens. Ohne Rentnerprivileg sieht die Sache für den Versorgungsträger noch schöner aus: Die Leistung an den Versicherten reduziert sich auf 50 % des Ehezeitanteils und an seinen Gatten schlimmstenfalls ebenfalls auf 50 %. Insgesamt zahlt der Versorgungsträger in diesen Fällen daher nur 100 %.

Noch deutlicher wird die Ungerechtigkeit des Wegfalls des Rentnerprivilegs in Invaliditätsfällen. Wer aus einer betrieblichen Altersversorgung wegen Invalidität eine Versorgung erhält, verliert in der Regel im Scheidungsfall die Hälfte dieser Versorgung. Nur in Ausnahmefällen kann dieser Versorgungsverlust über § 35 VersAusglG kompensiert werden. Der betriebliche Versorgungsträger indessen kann sich freuen: Er spart vom Zeitpunkt der Rechtskraft der Entscheidung 50 % der Versorgung, ohne dass er für die ausgleichsberechtigte Person äquivalente Vorsorge treffen müsste. Der Versorgungsausgleich wird so zum guten Geschäft.

Das oberflächlich so einleuchtend klingende Argument, dass Rentnerprivileg werde von der Versichertengemeinschaft finanziert, ist richtig. Jede Rente wird nämlich von der Versichertengemeinschaft finanziert. Die Beiträge der planwidrig Frühversterbenden finanzieren die Renten der planwidrig Spätversterbenden. Die entscheidende Frage ist, ob die Finanzierung einer Rente unzulässigerweise zum Nachteil der Versichertengemeinschaft geschieht. Dies ist indessen nicht der Fall, wenn der Versorgungsträger lediglich das von ihm bei Erteilung der Versorgungszusage übernommene Versorgungsrisiko trägt. Der Wegfall von Rentner- und Pensionistenprivileg ist nicht mit einer angeblich ungerechtfertigten Belastung der Versichertengemeinschaft zu rechtfertigen. Der Wegfall der Versorgungsprivilegien privilegiert die Versorgungsträger und schädigt die Rentenberechtigten.

In der Antwort der Bundesregierung verblüffen einige Tabellen, aus denen sich ergibt, dass in der gesetzlichen Rentenversicherung über den Versorgungsausgleich mehr Renten mit höheren Ausgleichswerten begründet als ausgeglichen werden. Dies resultiert indessen aus dem Umstand, dass im Versorgungsausgleichsfall Versorgungen der Landes- und Kommunalbeamten in die gesetzliche Rentenversicherung ausgeglichen werden und in verstärktem Maße auch von der Möglichkeit Gebrauch gemacht wird, Betriebsrenten im Fall des externen Ausgleichs in die gesetzliche Rentenversicherung auszugleichen. Insoweit hat die Diskussion der letzten Jahre (s. z.B. zur „Qual der Wahl einer Zielversorgung“ Götsche, FamRB 2013, 151 und Hauß, FamRB 2013, 223) offenbar gefruchtet. Die gesetzliche Rentenversicherung wird als der derzeit wohl profitabelste, jedenfalls aber als der sicherste Versicherungszweig erkannt.

Übrigens: Für Soldaten wurde das Pensionistenprivileg auch schon wieder eingeführt (§ 55c SVG; s. dazu Hauß, FamRB 2015, 239) und einige Länder haben es für ihre Landesbeamten immer noch (Norpoth, FamRB 2014, 109).

Die Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die GRÜNEN kam zu spät, um zum Ende der vergangenen Legislaturperiode noch legislative Aktivität auszulösen. Manchmal werden aber Märchen wahr und es wäre wahrhaft märchenhaft, würde der Gesetzgeber der Logik folgen und für alle Versorgungssysteme das Rentner-und Pensionistenprivileg wieder einführen. Weil es die Versorgungsträger nicht mehr kostet als die Fortsetzung der Ehe ihrer Versicherten, sollte man es nicht nur für die öffentlich-rechtlichen, sondern auch für alle privaten Versorgungsträger wieder einführen.

Es mag sein, dass die Versorgungsausgleichsrechtler noch lange argumentieren müssen, bis der Gesetzgeber die Ungerechtigkeit des Wegfalls von Rentner- und Pensionistenprivileg begreift. Diese beiden als „Privilegien“ denunzierten Korrektive zu reaktivieren, würde ein wirklich sinnvolles familienrechtliches Vorhaben in einer neuen Koalition sein. Bis zu seiner flächendeckenden Wiedereinführung bleibt uns Anwälten nur eins übrig: Laufende Versorgungen sollten aus dem Ausgleich ausgenommen und solche Verfahren verzögert werden. Ein paar Jahre sind da immer drin.

Ich muss wohl eine Riesenschildkröte sein

Wer sich im Rentenalter scheiden lässt, hat doppelt Pech. Nach bindender Bewilligung einer Altersrente kann der Ausgleichsbetrag aus einer betrieblichen Altersversorgung nicht mehr als Anrecht in der gesetzlichen Rentenversicherung begründet werden. Übrig bleibt – neben anderen privaten Versorgungen – nur die Versorgungsausgleichskasse. Für einen Ausgleichswert von 53.000 € gewährt diese eine lebenslange Garantierente i.H.v. 185,75 € monatlich. Das ist zwar immer noch mehr, als jede private sonstige Versorgung gewährt, aber doch reichlich wenig. Schaut man in die Sterbetafeln des Statistischen Bundesamtes, ergibt sich für einen 68 Jahre alten Mann des Baujahrs 1949 eine Restlebenserwartung von 16,79 Jahren. Da das Statistische Bundesamt seine Generationensterbetafeln jüngst aktualisiert hat, kann man davon ausgehen, dass diese Restlebenserwartung halbwegs realistisch ist. Die Versorgungsausgleichskasse müsste einen Rechnungszins von 0,9 % und damit nach der Versicherungsmathematik eine Versorgung i.H.v. monatlich 285 € garantieren. Sie gewährt allerdings ca. 100 € weniger. Bei dem derzeit niedrigen Zinssatz bedeutet dies, dass ich noch 27 Jahre leben müsste, um den Ausgleichswert rentenrechtlich zu verbrauchen. Man kann es auch anders ausdrücken: Der Ausgleichswert in der Versorgungsausgleichskasse wird mit einem Negativzins von ca. 3,6 % verrechnet.

Die Vorstellung ist grausam, da diese 27 Jahre die mittlere Lebenserwartung angeben. Ich würde also durchschnittlich 95 Jahre alt. Auch Riesenschildkröten haben eine mittlere Lebenserwartung von 95 Jahren. Ich werde mich bemühen, es schneller zu erledigen.

Für die versorgungsausgleichsrechtliche Praxis bedeutet dieses niederschmetternde Ergebnis, dass man insbesondere bei rentennahen Jahrgängen alle Register ziehen sollte, einen vernünftigen saldieren Vergleich im Versorgungsausgleich zu erreichen. Die Lebensversicherungsunternehmen bedienen sich zur Berechnung der Renten nämlich ganz offensichtlich der für Riesenschildkröten geltenden Sterbetafeln.

Und sie bewegt sich doch! – Fondsbasierte Versorgungen sind auf Basis der ehezeitlichen Fondsanteile zu teilen! (BGH v. 19.7.2017 – XII ZB 201/17)

Seit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 29.2.2012 – XII ZB 609/10, FamRZ 2012, 694 = FamRB 2012, 177, war ein versorgungsausgleichsrechtliches Ärgernis in der Welt: Die externe Teilung fondsgestützter Versorgungen durfte nicht in Fondsanteilen tenoriert werden, sondern, bezogen auf das Ehezeitende in einem Kapitalwert. Allein dies, so damals der BGH, ermögliche eine zweifelsfreie Vollstreckung. Gleichzeitig erklärte der BGH, dass ein nachehezeitlicher Wertverlust des Fonds im Versorgungsausgleich zu berücksichtigen sei, weil dem Versorgungsträger nicht zugemutet werden könne, zum Zeitpunkt der Rechtskraft mehr auszugleichen, als noch vorhanden sei. An einer Wertsteigerung der Fondsanteile zwischen Ehezeitende und Rechtskraft der Versorgungsausgleichsentscheidung nehme die ausgleichsberechtigte Person indessen nicht Teil, weil dies ein nachehezeitliches Ereignis sei. Dies hat zu dem flapsigen Spruch geführt: „Nach unten immer, nach oben nimmer“.

Dies gilt nun nicht mehr. Mit der Entscheidung vom 19.7.2017 – XII ZB 201/17 gibt der BGH diese Rechtsprechung ausdrücklich auf und lässt nunmehr auch im Fall externer Teilung eine Tenorierung zu, die die ehezeitlich erworbenen Fondsanteile teilt. Die Vollstreckbarkeit einer solchen Entscheidung sieht der BGH als gegeben an, weil der Kurswert dieser Fondsanteile anhand der ISIN-Nummer taggenau bestimmt werden kann (§ 170 KABG).

Diese Entscheidung adelt den hartnäckigen Widerstand einiger Versorgungsausgleichsrechtler und belohnt die Konsequenz, mit der das Oberlandesgericht Frankfurt seine Entscheidung, die der BGH gehalten hat, begründete (OLG Frankfurt v. 24.3.2017 – 4 UF 249/15; OLG Frankfurt v. 28.2.2013 – 4 UF 194/11, FamRZ 2013, 1806 = FamRB 2013, 242). Damit schließt der BGH eine Gerechtigkeitslücke und zwar in beide Richtungen: Die Teilung von Fondsanteilen spiegelt die Werthaltigkeit der Versorgung weit besser wider als jeder stets nur auf einen bestimmten Stichtag bezogene Kapitalwert, der wegen der Marktabhängigkeit des Werts der Fondsanteile ständigen Wandlungen unterzogen ist. Dies kann sich zum Nachteil der ausgleichsberechtigten Person, nunmehr aber auch zu deren Vorteil auswirken.

Gleichzeitig macht der BGH darauf aufmerksam, dass der im Tenor einer Versorgungsausgleichsentscheidung enthaltene Bezug auf das Ehezeitende lediglich zur Bemessung des Ehezeitanteils und zur Verdeutlichung des Ausschlusses der ausgleichspflichtigen Person an der Wertentwicklung des der ausgleichsberechtigten Person zustehenden Ausgleichswerts dient.

Wenn zwischen Ehezeitende und der Rechtskraft der Entscheidung eine größere Zeitspanne liegt, treten Wertentwicklungen des Ausgleichswerts ein, die angesichts teilweiser hoher Rechnungszinsen nicht unerheblich sind. Immerhin verdoppelt sich ein Kapital bei einem Zinssatz von 6 % in ca. sieben Jahren. (Man kann die Zeit, in der sich ein Kapital bei Aufzinsung verdoppelt relativ genau ermitteln, indem man 72 durch den Rechnungszinssatz teilt.) Ehescheidungsverfahren dauern leider oft länger. Würde man dem Versorgungsträger die Möglichkeit einräumen, die Versorgungsbegründung für die ausgleichsberechtigte Person erst zum Zeitpunkt der Rechtskraft der Entscheidung vorzunehmen, bliebe dieser Wertzuwachs in der Kasse des Versorgungsträgers. Deswegen ist die Anordnung der Verzinsung im Tenor der Versorgungsausgleichsentscheidung zwischen Ehezeitende und Rechtskraft wichtig. Bedauerlicherweise wird dies von der Anwaltschaft und den Gerichten nur sehr schlampig beachtet.

Der BGH führt aus, richtiger als die Verzinsung, sei die Aufzinsung. Dies stimmt. Wenn es der BGH gleichwohl bei der Verzinsung des Ausgleichswerts zwischen Ehezeitende und Rechtskraft Eintritt belässt, sieht er sich aus praktischen Gründen dazu veranlasst. Er meint, die Rechtspraxis sei mit der Aufzinsung des Ausgleichswerts überfordert (Rz. 34).

Dem kann abgeholfen werden. In dem kostenfrei zur Verfügung stehenden Berechnungstool zur Kontrolle der Kapitalwerte von Versorgungen (http://www.famrb.de/muster_formulare.html; https://www.anwaelte-du.de/kapitalwertkontrolle.html), wird ab 1.9.2017 eine einfache Aufzinsungsberechnung angeboten, die die Rechtspraxis nicht überfordern wird.