Wenn die Rechte nicht weiß, was die Linke tut – die Kündigung einer Vollkaskoversicherung als alltägliches Bedarfsdeckungsgeschäft (BGH v. 28.2.2018 – XII ZR 94/17)

Die in § 1357 BGB verankerte sog. Schlüsselgewalt basiert in ihrem Grundsatz unverändert auf dem Rollenbild, wonach die Haushaltsführung einem Ehegatten und die Erwerbstätigkeit dem anderen Ehegatten übertragen ist. Zwar hat § 1357 BGB im Zuge des zum 1.7.1977 in Kraft getretenen EheRG eine Neufassung dahin gehend erhalten, dass es nicht mehr darum geht, die „Ehefrau zu berechtigen, innerhalb ihres häuslichen Wirkungskreises, Geschäfte mit Wirkung für den Mann zu besorgen“, sondern nun jeder Ehegatte berechtigt ist, Geschäfte zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie mit Wirkung auch für den anderen Ehegatten zu besorgen, so dass hieraus beide Ehegatten berechtigt und verpflichtet werden. Vor dem Hintergrund eines gewandelten Rollenverständnisses, das gerade nicht mehr strikt zwischen Haushaltsführung und Erwerbstätigkeit differenziert, ist die in der juristischen Literatur erhobene Kritik an § 1357 BGB verständlich. Es darf aber auch nicht aus dem Blick verloren werden, dass eine zentrale Aufgabe des § 1357 BGB der Gläubigerschutz ist.

Mit einem Sachverhalt, der einerseits zwar den Gläubigerschutz, andererseits aber auch die für einen Ehegatten nachteiligen Folgen der Schlüsselgewalt aufzeigt, hat sich der BGH in einer aktuellen Entscheidung auseinander gesetzt:

In dem zugrunde liegenden Sachverhalt hatte der Ehemann bezüglich des auf ihn zugelassenen Familienfahrzeugs die bestehende Vollkaskoversicherung mit einem Schreiben gekündigt, das im Briefkopf seine Ehefrau – die Versicherungsnehmerin war – als Verfasserin des Kündigungsschreibens auswies, während das Schreiben selbst von ihm unterzeichnet war. Rund 10 Monate nach der Kündigung wurde das Fahrzeug in einem selbst verschuldeten Unfall beschädigt. Die Ehefrau begehrte von der Versicherung Erstattung der Reparaturkosten und widerrief kurze Zeit später die Kündigung der Vollkaskoversicherung.

Der BGH hat ebenso wie die Vorinstanzen die Klage der Ehefrau gegen die Versicherung zurückgewiesen. In seiner Begründung ist er davon ausgegangen, dass der Abschluss eines Versicherungsvertrags vom Anwendungsbereich des § 1357 BGB gedeckt sein kann, d.h. der Tatrichter jeweils im Einzelfall festzustellen hat, ob der Abschluss des konkreten Vertrags sich als ein Geschäft zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie darstellt, wovon auszugehen ist, wenn das in Rede stehende Geschäft einen Bezug zum angemessenen Lebensbedarf der Familie besitzt. Spiegelbildlich zu der danach grundsätzlich im Rahmen der Schlüsselgewalt bestehenden Befugnis – auch mit Wirkung für den jeweils anderen Ehegatten – einen Versicherungsvertrag abschließen zu können, besteht damit gleichermaßen auch die Befugnis zur Kündigung eines solchen Vertrags mit Wirkung zu Lasten des anderen Ehegatten.

1357 BGB knüpft die Mitverpflichtung des jeweils anderen Ehegatten bezüglich der Rechtswirkungen des von einem Ehegatten eingegangenen Rechtsgeschäfts an drei wesentliche Voraussetzungen:

Zunächst muss es sich bei dem in Rede stehenden Rechtsgeschäft um ein alltägliches Bedarfsdeckungsgeschäft handeln. Hiervon ist grundsätzlich auszugehen, wenn das konkrete Geschäft den Unterhaltsbedarf der Familie berührt. Nicht erfasst werden in der Regel davon Geschäfte, die grundlegend die Lebensbedingungen der Familie ändern, etwa der Erwerb oder die Anmietung einer Immobilie. Ebenso erstreckt sich die Schlüsselgewalt nicht auf Maßnahmen der Vermögensanlage und -verwaltung sowie berufliche Maßnahmen oder persönliche Angelegenheiten eines Ehegatten.

Darüber hinausgehend muss das Geschäft angemessen sein. Es muss sich im Rahmen des üblichen wirtschaftlichen Konsumzuschnitts der Familie bewegen. Hierbei ist auf den nach außen in Erscheinung tretenden Lebenszuschnitt der Familie abzustellen.

Letztlich darf sich aber auch kein expliziter Ausschluss der Schlüsselgewalt ergeben, wobei § 1357 BGB in seinem Wortlaut die insoweit maßgeblichen Ausschlussgründe auflistet. Keine Mitverpflichtung des jeweils anderen Ehegatten tritt danach ein, wenn der handelnde Ehegatte zu erkennen gegeben hat, dass er nicht für seinen Ehepartner handelt. Ebenso kann der Gläubiger für sich keinen Schutz in Anspruch nehmen, wenn ihm gegenüber eine bestehende Verpflichtungsbeschränkung mitgeteilt wurde oder sich eine solche aus einer Eintragung im Güterrechtsregister ergibt. Letztlich endet die Mitverpflichtung des jeweils anderen Ehegatten mit der Trennung.

In der Praxisberatung entfaltet die vom Güterstand unabhängige Norm des § 1357 BGB Bedeutung im Zusammenhang mit ehevertraglichen Regelungen. Sollte von den Ehegatten – nach entsprechender Belehrung – keine Mitverpflichtung, aber auch keine Mitberechtigung durch eingegangene Rechtsgeschäfte gewünscht werden, so sollte auf eine entsprechende Eintragung im Güterrechtsregister verwiesen werden.

Die Vereitelung einer Umgangsregelung kann teuer werden (OLG Bremen v. 24.11.2017 – 4 UF 61/17)

Werden Umgangsregelungen – folgend aus familiengerichtlichem Beschluss oder einer familiengerichtlich gebilligten Vereinbarung – unterlaufen, so fällt üblicherweise der Blick zunächst auf die nach §§ 89 ff. FamFG sich eröffnenden Ordnungsmittel. Gelingt der Nachweis eines schuldhaften Verstoßes eines Elternteils gegen eine solche Regelung, so werden Ordnungsgelder festgesetzt. Ob, wann und in welchem Umfang diese dann tatsächlich beigetrieben werden, unterliegt aber nicht mehr dem Einfluss des tatsächlich in seinem Umgangsrecht beeinträchtigten Elternteils. Gerade wenn es um die Vereitelung einer Urlaubsreise geht, verbleiben ihm zunächst nicht nur die vereitelte Urlaubsfreude, sondern auch die nutzlos aufgewendeten Reisekosten.

Sowohl das KG Berlin (KG Berlin v. 6.4.2017 – 19 UF 87/16, FamRZ 2018, 270) als auch das OLG Bremen haben sich im Jahr 2017 mit der Frage einer Schadensersatzpflicht des die Umgangsvereinbarung verletzenden Elternteils auseinandergesetzt und sie zugunsten des beeinträchtigten Elternteils bejaht.

In der Entscheidung des OLG Bremen hatten die Eltern in einer gerichtlichen Umgangsvereinbarung einen Ferienkontakt der Mutter mit den Kindern in der ersten Hälfte der Sommerferien in der Türkei vorgesehen. Die Übergabe der Kinder für die nächsten – ebenfalls in der Türkei vorgesehenen – drei Ferienwochen sollte sodann an den Vater erfolgen. Zwar wurden dem Vater dann auch die Kinder herausgegeben, nicht jedoch deren Reisepässe. Um eine Rückkehr nach Deutschland sicherzustellen, musste der Vater daher zunächst in der Türkei einen Anwalt mit der Durchsetzung der Passherausgabe beauftragen bzw. dann auch in Deutschland ein Eilverfahren anhängig machen.

Das OLG Bremen hat den seitens des Vaters geltend gemachten Schadensersatzanspruch gem. § 280 BGB, folgend aus den ihm entstandenen Kosten und Gebühren seiner anwaltlichen Vertretung, aber auch Übersetzungskosten, bestätigt, da das Umgangsrecht nach § 1684 BGB ein Rechtsverhältnis familienrechtlicher Art begründe, einhergehend mit der Pflicht, auf die Vermögensbelange des Umgangsberechtigten Rücksicht zu nehmen. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass das Umgangsrecht ein absolutes Recht i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB sei, das auch gegen den Mitinhaber der elterlichen Sorge wirke. Im konkreten Fall habe der Mutter bewusst sein müssen, dass es für die Rückreise nach Deutschland zwingend der Reisepässe bedurfte. Sie habe sich auch nicht auf ein Zurückbehaltungsrecht berufen können, um eine von ihr behauptete Kostenbeteiligung des Vaters an den von ihr erworbenen Flugtickets umzusetzen. Ein solches Anliegen hätte von ihr im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens geltend gemacht werden müssen, in dem die Umgangsvereinbarung getroffen wurde.

In § 1684 Abs. 1 BGB wird der Umgang zwischen dem nicht betreuenden Elternteil und dem minderjährigen Kind gesetzgeberisch ausdrücklich als Recht des Kindes ausgestaltet, d.h. der Elternteil ist nicht nur zum Umgang berechtigt, sondern vielmehr verpflichtet. Ein betreuender Elternteil, der die Umsetzung von Umgangskontakten verhindert, verletzt daher die ihm auferlegte Erziehungspflicht aus Art. 6 Abs. 2 GG.

Daneben steht der die Umgangsregelung beeinträchtigende Elternteil zudem in der Pflicht, die durch die Vereitelung entstandenen Mehrkosten zu tragen. Da die Umgangskosten grundsätzlich dem zum Umgang berechtigten Elternteil obliegen, ohne dass er sie unterhaltsrechtlich in Ansatz bringen könnte, wird er auch vor den Folgen fehlgehender Dispositionen geschützt. Nutzlos zur Wahrnehmung des Umgangs aufgewendete Kosten können daher zum Ersatz geltend gemacht werden. Im Fall einer nicht wahrgenommenen Urlaubsreise werden davon aber nicht die eigenen Hotel- und Flugkosten des umgangsberechtigten Elternteils umfasst, sondern nur jene des nicht an der Reise teilnehmenden Kindes.

Ergeben sich in der Praxisberatung Anzeichen dafür, dass ein Elternteil einer Umgangsregelung im Zusammenhang mit einer Urlaubsreise ablehnend gegenübersteht, sollte zwingend auf eine mögliche Schadensersatzpflicht hingewiesen werden, die neben der Verhängung von Ordnungsmitteln unmittelbar gegenüber dem anderen Elternteil droht, wenn aus unberechtigten Gründen die Teilnahme des Kindes an einer geplanten Urlaubsreise verhindert wird. Davon unabhängig sollte auch nicht aus dem Blick verloren werden, dass sich ein Elternteil langfristig selbst schadet, wenn er dem heranwachsenden Kind die Urlaubsteilnahme unmöglich macht.

Juristischer Sirtaki, die GroKo und Tabellentümelei

Der Film „Alexis Sorbas“ hat mindestens in gleichem Maße wie die Philosophen der Antike und die Finanzkrise den „Mythos Griechenland“ begründet. Da bauen die Bewohner eines vom – natürlich – blauen Meer umrahmten Dorfes mit großem Eifer eine Seilbahn auf den Hügel eines Berges, um das im Hinterland wachsende Holz zur Sanierung des maroden Bergwerks eines Amerikaners und ihrer eigenen wirtschaftlichen Lage zu nutzen. Das Werk wird vollendet, der Plan nicht. Der erste Holztransport reißt die ganze Anlage schon bei der Einweihung nieder und der Amerikaner ist pleite. Der Schock schlägt in berstende sirtakitanzende Lebensfreude um, als der Hauptprotagonist den Satz sagt: „He Boss, hast Du schon jemals gesehen, dass etwas so schön zusammenkracht?“[1].

Die Parallele dieses Films zum elektronischen Anwaltspostfach zu ziehen ist billig. Statt Trübsal über mangelnde technische Kompetenz im Facebook- und WhatsApp-Zeitalter zu blasen, dominieren die ‚Wir-haben-es-ja-immer-schon-gewusst‘-Juristen die hämischen Debatten in der Gerichtskantine.

Zurück am Schreibtisch wird in der Trennungssache X ./. Y der Unterhalt für y(6) und x(10) berechnet.[2] Die Kinder sind natürlich in Obhut der Mutter, die 2/3-schichtig 1.400 € verdient. Bereinigtes Einkommen des Vaters: 1.910 €. Umgangsrecht wie üblich, nur fährt der Vater x immer zusätzlich zu seinen Fußballturnieren am Wochenende und übernimmt auch die Beschaffung der Sportkleidung und die Kosten der Musikschule für y. Ein Blick in die Düsseldorfer Tabelle oder auf den Bildschirm: für x sind 322 € und für y 268 € zu berappen. Resteinkommen X: 1.320 €.

Nächste Akte: Scheidung (VKH) V ./. M. Heirat 2010, ein Kind, Trennung 2013, einverständlicher Scheidungsantrag 2016. Versorgungserwerb V: 0,855 EP, M: 4,3500 EP. Entscheidungsvorschlag des Gerichts zum Versorgungsausgleich: Halbteilung. Ein Blick auf Bildschirm, Taschenrechner oder – im Vertrauen darauf, dass der Richter die Daten richtig erfasst hat – aus dem Fenster und das Ergebnis wird abgenickt.

Begründung für beide Ergebnisse: Tabelle und Halbteilungsgrundsatz.

Bewertung der Ergebnisse: beide (wahrscheinlich) falsch.

Grund: Tabellen und Rechenprogramme können kein Jura.[3]

Die GroKo erwägt in ihrem Programm, die Selbstbehalts- und Bedarfssätze für Kinder ins Gesetz zu schreiben, weil die Strukturänderung der Tabelle zum Jahr 2018 so brutal aufgedeckt hat, dass wir in Deutschland ein Armutsproblem haben. Das zu kaschieren traut man sich selbst eher zu als der Jurisdiktion. Wenn nämlich der Kindesunterhalt auch nur minimal gesenkt wird, löst das einen archaischen Beschützerreflex und damit ein boulevardeskes Empörungsritual aus, dem sich die Politik offenbar nicht entziehen kann.

Um nun auf unsere beiden Fälle zurückzukommen:

  • Fall 1: Bei so knappem Erreichen der Einkommensgruppe 2 und der Übernahme von eigentlich aus dem Kindesunterhalt zu finanzierenden Bedarfen im Rahmen der von X übernommenen Betreuungszeiten (vulgo Umgangszeiten) kann auch eine Abgruppierung in Einkommensstufe 1 oder einen Zwischenwert berechtigt sein, oder man bereinigt das Einkommen des Vaters um einen Betreuungsbarbetrag für Fahrdienst und Sportbekleidungskosten (einschließlich der Currywurstverpflegung beim Bambini-Turnier). Schließlich bleibt der Mutter am Ende mehr Liquidität als dem Vater.
  • Fall 2: Ein Blick in den Versicherungsverlauf offenbarte bei M ehezeitliche Inhaftierung und Therapie und bei Y, dass ausschließlich Kindererziehungszeiten dem Versorgungserwerb zugrunde lagen. § 27 VersAusglG kann in diesen Fällen angewendet und der Mutter so geholfen werden.

Um auf die GroKo zurückzukommen: Wenn wir Angemessenheits- und Billigkeitsprüfungen den Rechnern und Tabellen überlassen und die mit deren Hilfe gefundenen Ergebnisse nicht auf ihren Gerechtigkeitsgehalt überprüfen, werden wir zu Opfern von Rechenprogrammen und Tabellen oder einer großen Koalition. Das wird auch dann nicht besser, wenn die Sätze im Gesetz stehen, sondern eher schlechter, weil noch zementierter. Es ist Sache der Anwaltschaft zu den Besonderheiten eines Falls vorzutragen, die tatsächlichen Kosten des Wohnens, die Betreuungskosten während des Umgangs und den Mehrbedarf eines musizierenden oder kickenden Kindes, aber auch berufs- oder sonstigen Mehrbedarf des barunterhaltspflichtigen Elternteils zu thematisieren. Es ist Sache der Richterschaft, solchen Vortrag zur Kenntnis zu nehmen, ihn abzuwägen und zu würdigen, anstatt ihn mit Verweis auf Tabellen, Leitlinien und Berechnungsprogramme abzubügeln und den Programmausdruck auch noch zur Urteilsbegründung zu machen.

Die Macher der Düsseldorfer Tabelle haben solche Öffnungsklauseln in die Tabelle und die Leitlinien geschrieben und damit die für Juristen nötige ‚Luft zum Atmen‘ implementiert. Die Tabelle selbst ist ja – zum Glück – kein Gesetz, sondern versteht sich als Hilfe zur Ermittlung eines angemessenen Ergebnisses. Würde sie juristisches Denken und Handeln ersetzen, brauchten Familienrechtler kein Studium, sondern eine EDV-Schulung.

Und um schließlich auf Alexis Sorbas zurückzukommen: Der bildschöne Crash der Technik hat die Rodung des Gemeindewaldes und die damit verbundene ökologische Sünde verhindert und den Sirtaki berühmt gemacht. Ich wünsche uns Familienrechtlern einen längeren Computercrash, die Zeit, die Anmerkungen zur Tabelle und die Leitlinien zum Unterhalt in Ruhe zu lesen, und dass wir dann juristischen Sirtaki tanzen, solange wir können, um lebensechte und -gerechte Ergebnisse zu erzielen.

[1] Kein Beitrag ohne Fußnote: www.youtube.com/watch?v=JQU6KApL3xI.

[2] X für Mann, Y für Frau, x für Bub, y für Mädchen.

[3] Weil der Satz so schlechtes Deutsch ist, prägt er sich besser ein.

Beachtlichkeit des Kindeswillens bei der Sorgerechtsregelung (BVerfG v. 7.12.2017 – 1 BvR 1914/17)

Der „Kindeswille“ wird in Kindschaftsverfahren sehr häufig in die Argumentation eingeführt. Antragsteller und Antragsgegner der jeweiligen Verfahren sind intensiv bemüht, den seitens des Kindes geäußerten Willen darzulegen, und gehen davon aus, dass dieser selbstverständlich maßgeblich für die familiengerichtliche Entscheidung sein wird.

Mit einem Sachverhalt, in dem durch die jeweiligen Vorinstanzen dem geäußerten Kindeswillen ersichtlich zu wenig Bedeutung beigemessen wurde, hat sich aktuell das BVerfG befasst.

Die Eltern hatten wechselseitig die alleinige Sorge für ihr 2008 geborenes Kind beantragt, das personenstandsrechtlich als Junge registriert worden war, nach seinen Äußerungen aber ein Mädchen sein wollte. Diesen Äußerungen des Kindes stand der Vater ablehnend gegenüber. Während des laufenden Sorgerechtsverfahrens wurde dem Vater – ein Tag vor der Einschulung des Kindes – im Eilverfahren die Entscheidungsbefugnis zu der Frage übertragen, ob das Kind in mädchentypischer Kleidung an Schulveranstaltungen teilnehmen sollte. Im Hauptsachverfahren wurde ihm sodann die alleinige Sorge übertragen. Die Beschwerde der Mutter wurde zurückgewiesen, die sodann gegen diese Entscheidung Verfassungsbeschwerde einlegte und u.a. eine Verletzung ihres Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG rügte.

Das BVerfG hob die Entscheidung der Vorinstanzen auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung zurück. Zur Begründung führt es u.a. aus, dass in die Sorgerechtsentscheidung der Wille des Kindes einzubeziehen sei, soweit er mit dem Kindeswohl vereinbar sei. Dem Kindeswillen komme mit zunehmendem Alter verstärkt Bedeutung zu als Ausdruck des Rechts zur Selbstbestimmung. Der Argumentation des Beschwerdegerichts widerspreche neben der eigenen gerichtlichen Erwartung, dass sich gerade der Vater „gegen den Willen des Kindes durchsetzen“ werde, auch die Feststellung der Sachverständigen, wonach das Kind beim Vater eine Abweisung mit seinen mädchenorientierten Verhaltensintentionen erlebe und insoweit eine Unsicherheit im Bindungsmuster zum Vater zeige, sowie letztlich der Umstand, dass der Vater in einem Eilverfahren beantragt habe, die Mutter zu verpflichten, das Kind „seinem Geschlecht entsprechend zu kleiden und es zu unterlassen, ihn in mädchentypischer Kleidung in die Öffentlichkeit gehen zu lassen.“ In der Entscheidung werde nicht hinterfragt, welche Auswirkungen es kurz- und mittelfristig für das Kind habe, wenn der Vater dem Wunsch des Kindes zum Tragen von Mädchenkleidung nicht entgegenkomme.

Im Rahmen einer nach § 1671 BGB zu treffenden Sorgerechtsregelung hat sich die gerichtliche Entscheidung am Kindewohl zu orientieren. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff des Kindeswohls wird in der Rechtsprechung durch verschiedene Kriterien näher präzisiert. Neben dem Kontinuitätsgrundsatz, der Förderungskompetenz oder den Bindungen eines Kindes fließt in die richterliche Bewertung auch der Kindeswille ein, da das Kind selbst Grundrechtsträger ist mit dem Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit. Als Ausdruck des Rechts auf Selbstbestimmung gewinnt dieser Wille mit zunehmendem Alter des Kindes entsprechend stärkere Bedeutung.

Hieraus kann aber nicht geschlossen werden, dass der geäußerte Kindeswille in jedem Fall auch streitentscheidend sein wird. Neben dem Risiko einer Manipulation des Kindes muss auch ein etwaiger Loyalitätskonflikt des Kindes, folgend aus seinen Äußerungen, beachtet werden. Bei der Bewertung des geäußerten Kindeswillens ist daher stets zu prüfen, ob dieser Wille eigengebildet und Ausdruck der Selbstbestimmung ist. Dem Gericht obliegt jeweils die Prüfung der Stabilität des Kindeswillens und dessen Kompatibilität mit dem Kindeswohl. Um diese Prüfung im Interesse des Kindes vornehmen zu können, sieht nicht nur die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung eine Anhörung des Kindes ab vollendeten dritten Lebensjahr vor, sondern gibt das Gesetz dem Gericht auch die Möglichkeit der Bestellung eines Verfahrensbeistands für das Kind sowie weitergehend auch der Einholung eines Sachverständigengutachtens. Die Kindschaftsverfahren werden durch den Grundsatz der Amtsermittlung bestimmt. Es ist damit Aufgabe der Gerichte, von Amts wegen die notwendige Kindeswohlprüfung vorzunehmen und die hiermit einhergehenden juristisch nicht zu bewertenden Fragen einer ggf. sachverständigen Begutachtung zuzuführen. Voraussetzung ist allerdings, dass die zur Kindeswohlprüfung im Einzelfall erforderlichen Fragestellungen auch erkannt werden.

In der Praxisberatung sollte dem Kindeswillen in angemessener Form Rechnung getragen werden. Es ist durchaus verständlich, dass ein Elternteil auf einen ihm gegenüber geäußerten Willen des Kindes Bezug nimmt. Dieser Elternteil sollte allerdings auch darauf hingewiesen werden, in welcher besonderen Lage sich das Kind nach der Trennung seiner Eltern befindet und daher der geäußerte Kindeswille in jedem Fall darauf zu prüfen ist, ob er nicht nur Ausdruck einer Loyalitätsproblematik des Kindes ist. Bleibt der Kindeswille stabil, sollte in der gerichtlichen Auseinandersetzung dann aber darauf geachtet werden, dass er in der gebotenen Form – insbesondere durch Bestellung eines Verfahrensbeistands – in das Verfahren eingebracht und berücksichtigt wird.

Blick über den Zaun: Sperrzeit & Liebe (zu LSG Nds.-Bremen v. 12.12.2017 – L 7 AL 36/16)

Familienrecht wird nicht nur durch das Bundesverfassungsgericht und die Familiengerichtsbarkeit beeinflusst. Familienrecht ist überall und deshalb auch im Sozialrecht.

Lovestory:

Die 58-jährige F arbeitet mit einer Wochenarbeitszeit von 20 Stunden als Verkäuferin. Ihr Lebensgefährte, mit dem sie seit zwei Jahren zusammen und seit einem Jahr verlobt ist, wohnt 175 km von ihrem Wohnort entfernt. Aus diesem Grund verbringen die beiden lediglich Wochenenden, Freizeit und Urlaub gemeinsam und versorgen sich bei Krankheit wechselseitig. Um mit ihrem Partner zusammenzuleben, kündigt F ihren Arbeitsvertrag und zieht zu ihm. Zuvor hat sie sich intensiv am Wohnort ihres Freundes – wenn auch vergeblich – um Arbeit bemüht.

Verwaltungsstory:

Die Arbeitsverwaltung reagiert bürokratisch und verhängt gegen sie eine zwölfwöchige Sperrfrist nach § 159 SGB III, da die Begründung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft kein „wichtiger Grund“ zur Kündigung eines bestehenden Arbeitsverhältnisses sei; ein solcher sei aber erforderlich, um von der zwölfwöchigen Sperrung des Arbeitslosengeldes abzusehen. Die Arbeitsverwaltung stellt sich auf den Standpunkt, ein Sperrzeitenschutz der nicht ehelichen Lebensgemeinschaft bestehe erst, wenn ein auf Dauer angelegtes gemeinsames Wohnen mit dem Lebenspartner gegeben sei, weil erst dadurch die Ernsthaftigkeit der Beziehung dokumentiert werde (BSG v. 17.10.2007 – B 11a/7a AL 52/06 R).

Gerichtsstory:

Das Sozialgericht Hannover und das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen folgen diesem moralischen Rigorismus nicht. Der unbestimmte Rechtsbegriff des „wichtigen Grundes“ sei ausgehend von Sinn und Zweck der Vorschrift unter Beachtung der systematischen Einordnung im gesamten Gesetzeswerk inhaltlich auszufüllen. An erster Stelle des Abwägungsvorgangs müsse die Erkenntnis stehen, das die Sperrzeit weder eine Strafvorschrift noch ein Instrument zur Disziplinierung und Durchsetzung von gesellschaftlichen, religiösen oder moralischen Vorstellungen darstelle, sondern nur dem Schutz der Versichertengemeinschaft vor einer Manipulation des versicherten Risikos der Arbeitslosigkeit diene. Vor diesem Hintergrund erscheine es nicht mehr zeitgemäß, sondern zweifelhaft, die Anwendung der Sperrzeitvorschrift bei Arbeitsaufgabe wegen Umzugs bereits im Ansatz an einen familienrechtlichen Status anzuknüpfen. Als wichtige Gründe seien auch andere nicht statusabhängige Gründe anerkannt (gesundheitliche Gründe, Lage am Wohnungsmarkt, Schwangerschaft, Scheidung). Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, die einen Zusammenzug Nichtverheirateter als sperrzeitvermeidenden wichtigen Grund nicht akzeptiere, habe sich überlebt. Die Förderung von Ehe und Familie können nicht mehr durch sozialrechtliche Diskriminierung anderer Lebensentwürfe erfolgen. Zwar habe das Bundessozialgericht entschieden, ein ‚wichtiger Grund‘, der ein Absehen von der Sperrfrist ermögliche, sei die Aufrechterhaltung einer verfestigten nichtehelichen Lebensgemeinschaft. Diese Rechtsprechung sei jedoch nicht mehr zeitgemäß. Dem statusrechtlich bedeutsamen Verlöbnis sei kein sozialrechtliches Gewicht beizumessen. Entscheidend sei allein, ob die Partnerschaft nach außen erkennbar eine solche Dauerhaftigkeit und Kontinuität zeige, die von einem gegenseitigen Verantwortungsbewusstsein geprägt sei, dass diese in der Abwägung gegenüber den Interessen der Versichertengemeinschaft Vorrang genieße. Ein vorheriges gemeinsames Wohnen sei kein unerlässliches Kriterium.

Happy End:

Der auch im Familienrecht diskutierte Gedanke, die Förderung von Familie nicht an den Status der Ehe zu binden, beginnt auch im Sozialrecht Fuß zu fassen. Der Staat hat Lebensentwürfe seiner Bürger unabhängig von ihrem rechtlichen Status zu fördern und jegliche Diskriminierung zu unterlassen. Schließlich geht es um die Wahrung der persönlichen Bindungen der Bürger, völlig unabhängig davon, wie diese Bindungen und Beziehungen verrechtlicht sind. Wenn nichteheliche Lebensgemeinschaften niemandem schaden, können sie auch gefördert werden. Nur sollte man sie nicht übereifrig verrechtlichen. Viele Lebensgemeinschaften entstünden dann gar nicht erst.

Sondierungsergebnisse und Familienrecht

Die Ergebnisse der Sondierungsgespräche von CDU, CSU und SPD sollten Familienrechtler aufhorchen lassen. Unter der Überschrift „Familie, Frauen und Kinder“ findet sich der Einleitungssatz: „Familien halten unsere Gesellschaft zusammen.“. Dieser Satz zeigt, dass die gesellschaftliche Entwicklung an den potentiellen Koalitionären nicht spurlos vorbeigegangen ist. Noch vor kurzem wäre die Ehe als Kit der Gesellschaft bezeichnet worden. Dass nunmehr die Familien in den Mittelpunkt gestellt werden, ist ein erfreulicher Schritt auf dem Weg der Entinstitutionalisierung der Ehe und hoffentlich auch des Familienrechts.

Es werden in dem 28-seitigen Sondierungspapier Maßnahmen angekündigt, die auch den familienrechtlichen Alltag von Anwältinnen und Anwälten verändern werden:

Maßnahmen zur Bekämpfung der Kinderarmut:

Das Kindergeld als bewährte und wirksame familienpolitische Leistung werden wir in dieser Legislaturperiode pro Kind um 25 Euro pro Monat erhöhen – in zwei Teilschritten (zum 1.7.2019 um zehn Euro, zum 1.1.2021 um weitere 15 Euro). Gleichzeitig steigt der steuerliche Kinderfreibetrag entsprechend (S. 9).

Angesichts der Notwendigkeit der Erhöhung des Mindestunterhalts zum 1.1.2019 auf 406 € (Einkommensstufe 1) bewirkt die wenige Monate später in Kraft zu setzende Erhöhung des Kindergeldes lediglich eine Erhöhung der Belastung der barunterhaltspflichtigen Personen um zwei Euro (406 – 204/2). Dies ist begrüßenswert, weil dadurch die gesellschaftliche Verantwortung für Kinder betont und ein Schritt zur Bekämpfung der Kinderarmut gemacht wird.

 

Wir werden ein Maßnahmenpaket zur Bekämpfung der Kinderarmut schüren: Dazu wollen wir zur Entlastung einkommensschwacher Familien den Kinderzuschlag erhöhen. Gemeinsam mit dem Kindergeld soll der Mindestbedarf des sächlichen Existenzminimums (derzeit 399 €) gedeckt werden (S. 9).

Auch diese Absichtserklärung ist gegenüber der derzeitigen Situation ein Fortschritt, zumal er mit einer Entbürokratisierung der Leistungsbeantragung durch die entsprechenden Familien gekoppelt werden soll. Die Festschreibung des Mindestbedarfs auf das „Existenzminimum“ ist zwar nicht das, was man sich unter einer kinderfreundlichen Gesellschaft vorstellt, es würde aber die Familien entlasten.

 

Auch die Bedarfe für Bildung und Teilhabe werden wir verbessern, unter anderem sollen hierzu das Schulstarterpaket erhöht und die Eigenanteile zur gemeinschaftlichen Mittagsverpflegung in Kitas und Schulen und für Schülerbeförderung entfallen (S. 9).

Wir werden einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung im Grundschulalter schaffen. Dabei werden wir auf Flexibilität achten, bedarfsgerecht Vorgehen und die Vielfalt der in den Ländern und Kommunen bestehenden Betreuungsmöglichkeiten der Kinder und Jugendhilfe und die schulischen Angebote berücksichtigen (S. 10).

 Alle diese Vorhaben haben unterhaltsrechtliche Auswirkungen, weil sie die berufliche Integration der alleinerziehenden Eltern unterstützen und gleichzeitig strukturelle Bildungsdifferenzierungen verringern.

Maßnahmen im Versorgungsrecht:

Mit dem zweiten Kindererziehungsjahr in der Rente für Geburten vor 1992 haben wir einen ersten Schritt getan. Wir wollen die Gerechtigkeitslücke schließen: Mütter, die ihre Kinder vor 1992 auf die Welt gebracht haben, sollen künftig auch das dritte Jahr Erziehungszeit in der Rente angerechnet bekommen. Wir wollen die Mütterrente II einführen. Das ist ein wichtiger Baustein zur Bekämpfung von Altersarmut. Diese Verbesserungen bei der Mütterrente durch einen 3. Punkt sollen für Mütter gelten, die drei und mehr Kinder vor 1992 zur Welt gebracht haben (S. 13).

Was für die Rentenbezieher ein Segen ist, ist für Versorgungsausgleichsrechtler eine Pflicht. Da davon auszugehen ist, dass eine zukünftige Regierung (wann und in welcher Konstellation sie auch immer entsteht) hinter diese Absichtserklärung nicht zurückfällt, sollten die Familienrechtler Abänderungsverfahren im Versorgungsausgleich sorgfältig prüfen und in den Fällen, in denen das Abänderungspotenzial derzeit nicht groß genug ist (§ 225 FamFG), die Mandanten darauf hinweisen, dass spätestens nach Umsetzung dieses Vorhabens ausreichendes Abänderungspotenzial bestehen wird.

Maßnahmen im Elternunterhalt:

Auf das Einkommen der Kinder von pflegebedürftigen Eltern soll zukünftig erst ab einem Einkommen i.H.v. 100.000 Euro im Jahr zurückgegriffen werden (S. 15).

Dieses Vorhaben ist überfällig. Wenn auf das Einkommen von Kindern im Fall der Grundsicherungsgewährung erst ab einem Schwellwert von 100.000 € zurückgegriffen werden soll (§ 43 Abs. 2 Satz 1 SGB XII), ist diese Grenze sinnvollerweise auch in § 94 Abs. 3 SGB XII zu verankern. Unterhaltsansprüche von Eltern gegen ihre Kinder sollten auf den Träger der Sozialhilfe nur dann übergehen, wenn die Kinder ein Einkommen ab 100.000 € haben. Ob der Grenzwert von 100.000 € noch zeitgemäß ist, ist dabei zu erörtern. Die 100.000 € Grenze wurde mit der Grundsicherung zum 1.1.2005 eingeführt. Wollte man diesen Wert mit der Entwicklung der Durchschnittsgehälter in Deutschland (Durchschnittsentgelt) dynamisieren, wäre die Grenze heute mit ca. 130.000 € zu bemessen. Immerhin wird allerdings diese Grenzanhebung dazu führen, dass eine Unterhaltsverpflichtung erst ab einem Nettoeinkommen i.H.v. 4.500 € eingreift. Damit wären nach der hier geführten Statistik aus ca. 2.000 Beratungsfällen etwa 78 % der betroffenen Kinder vom Elternunterhalt befreit. Anwaltskanzleien, die im Elternunterhalt stark vertreten sind, werden sich auf diese Änderung einstellen müssen, da die Initiative für diese Veränderung aus der CDU kommt und eine Regierungsbildung ohne CDU derzeit wohl kaum vorstellbar ist.

Bundesgerichtshof sorgt für kräftige Rentennachzahlung in der Zusatzversorgung

Rentner der Zusatzversorgung des öffentlichen oder kirchlichen Dienstes, die vor dem 1.10.2010 geschieden worden sind, können sich auf eine kräftige Rentennachzahlung freuen. Der Bundesgerichtshof hat am 10.1.2018 entschieden, dass die durch den Versorgungsausgleich verursachte Kürzung der Renten aus der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes über viele Jahre hinweg rechtswidrig zu hoch vorgenommen worden ist. Für die Rentner bedeutet dies, dass Sie eine Nachzahlung der unberechtigt einbehaltenen Rentenanteile einfordern können. Für die Zeit ab Januar 2015 sind diese Rückforderungsansprüche auch nicht verjährt.

In dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall (BGH v. 10.1.2018 – IV ZR 262/16) hatte der Versorgungsträger die Rente des geschiedenen Mannes um 53 € gekürzt. Das sei zu viel, entschied der Bundesgerichtshof und verwarf damit gleichzeitig die entsprechende Satzungsbestimmung des Versorgungsträgers. Eine Kürzung von allenfalls 11 Euro sei berechtigt gewesen.

Für geschiedene Rentenbezieher aus der Zusatzversorgung des öffentlichen und kirchlichen Dienstes bedeutet diese Entscheidung ein erhebliches Neujahrsgeschenk. In nahezu allen Fällen ist die Rentenkürzung zwischen 50 und 80 % zu hoch ausgefallen.

Die Versorgungsträger werden den betroffenen Rentnern die vorenthaltenen Renten nicht freiwillig auszahlen. Der Anspruch muss vielmehr bei den Versorgungsträgern geltend gemacht werden.

Für die Betroffenen und die beratenden Anwälte ist die Geltendmachung des Anspruchs nicht ganz ungefährlich, weil der Versorgungsträger ein Abänderungsverfahren nach § 51 Abs. 3 VersAusglG einleiten und damit bewirken kann, dass der nach dem bis zum 31.8.2009 geltenden Versorgungsausgleichsrecht durchgeführte Versorgungsausgleich den neuen Regelungen des Versorgungsausgleichsgesetzes unterworfen wird. Dies kann wegen der dann erfolgenden Realteilung auch Nachteile für den Rentner bergen. Solche Nachteile sind insbesondere zu beachten, wenn weitere betriebliche Anrechte auf seiten des Beziehers der ZVK-Versorgung bestehen oder auf der Gegenseite Anrechte aus der Beamtenversorgung in der Ehezeit erworben worden sind und die Ehezeit vor dem 1.1.2002 geendet hat. Aus Gründen anwaltlicher Vorsorglichkeit ist daher immer anhand des alten Scheidungsurteils eine mandantenbezogene Prognose für den Fall der Einleitung eines Abänderungsverfahrens nach § 51 Abs. 3 VersAusglG vorzunehmen.

Bis zur Umstellung der Rente auf das neue Recht steht den Rentnern allerdings der Anspruch auf den unberechtigt einbehaltenen Kürzungsbetrag zu. Für den nicht verjährten Forderungszeitraum von drei Jahren kann dieser Anspruch beim Versorgungsträger geltend gemacht und, falls dieser die Zahlung verweigert, bei Gericht eingeklagt werden.

Ob es sich für die Betroffenen überhaupt lohnt, können diese recht einfach feststellen:

  • Die Entscheidung über den Versorgungsausgleich muss beim Familiengericht vor dem 1.10.2010 ergangen sein.
  • In der Entscheidung ist der Ehezeitanteil der Zusatzversorgung angegeben, der mit Hilfe der Barwertverordnung (BarwertVO) in einen dynamisierten Ehezeitanteil umgerechnet worden ist. Die Hälfte der Differenz zwischen dem Ehezeitanteil und dem dynamisierten Ehezeitanteil ist die unberechtigt einbehaltene Rentenkürzung, die vom Versorgungsträger für die Zeit ab 2015 nachzuzahlen wäre.

Zeitpunkte

Hinweis der Redaktion: Lesen Sie zu dem Thema auch die Blog-Beiträge des Autors vom 6.6.2017 und vom 17.8.2016.

Die Wesentlichkeit im Versorgungsausgleich (zu BGH v. 8.11.2017 – XII ZB 105/16)

Thematisch passend hatte sich der Bundesgerichtshof in der Adventszeit mit der Wesentlichkeit beschäftigt. Wer aber unter dieser Überschrift Ausführungen des zwölften Zivilsenats zu der Frage „wer sind wir und wenn ja wie viele“ erwartet hat, wird enttäuscht: Es geht um die Frage, wann eine nachehezeitliche rechtliche oder tatsächliche Veränderung des Ausgleichswerts einer Versorgung so bedeutsam ist, dass sie die Durchbrechung des hehren Rechtskraftprinzips einer Versorgungsausgleichsentscheidung rechtfertigt.

Wer etwas über die Wesentlichkeit von Veränderungen im Versorgungsausgleich lernen möchte, dem sei die Quintessenz der Entscheidung des Bundesgerichtshofs v. 8.11.2017 – XII ZB 105/16 kurz erklärt: Bei Abänderungen von nach altem Versorgungsausgleichsrecht ergangenen Entscheidungen wird für Abänderungen von Anrechten aus der gesetzlichen Rentenversicherung zur Bestimmung des absoluten Minimalwerts, der erreicht werden muss, um eine Abänderung zu rechtfertigen, auf die Abweichung der Rentenwerte der Alt- und Neuentscheidung abgestellt. 

Praktiker werden nun fragen, ob diese Entscheidung des Bundesgerichtshofs die Wesentlichkeitsgrenze überschreitet. Sie seien beruhigt. Für den derzeitigen Hauptanwendungsfall von Abänderungen im Versorgungsausgleich wegen Veränderung der Kindererziehungszeiten für vor dem 1.1.1992 geborene Kinder ändert sich kaum etwas: Ist aus der Ehe nur ein vor dem 1.1.1992 geborenes Kind hervorgegangen, wurde auch schon bei einer Bestimmung der Grenzwerte auf Kapitalwertbasis nur selten die Wesentlichkeitsgrenze des § 225 Abs. 2 FamFG überschritten. Bei zwei Kindern wird diese Grenze immer überschritten. Die Abänderung kann allenfalls ausnahmsweise in diesen Fällen einmal daran scheitern, dass das Abänderungspotenzial keine 5 % erreicht.

Der vom Bundesgerichtshof entschiedene Fall ist atypisch, weil die beiden vor dem Stichtag 1992 geborenen Kinder nicht zu einer Erhöhung des Ehezeitanteils der Versorgung i.H.v. 2 Entgeltpunkten geführt haben. Es müssen also andere Faktoren noch zusätzlich eine Rolle gespielt haben. Nur in wenigen Zeiträumen führt die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für Kindererziehungszeiten nun zu einer Einschränkung der Abänderungsmöglichkeit. In der nachfolgenden Tabelle sind die Berechnungen für ein und zwei vor 1992 geborene Kinder durchgeführt. Die Farbe grün signalisiert Abänderungsmöglichkeit. Rot sind die Zeiten ausgewiesen, in denen aufgrund der Veränderung von Kindererziehungszeiten keine Abänderungsmöglichkeit besteht. Von 1978–2017 liegt damit lediglich in 14 Jahren eine Beschränkung der Abänderungsmöglichkeit vor.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs klärt die in der Rechtsprechung und Literatur umstrittene Frage, worauf sich die Wesentlichkeitsgrenze bezieht. Diese Frage ist nun geklärt: Bei Altentscheidungen zum Versorgungsausgleich, die sich nach dem bis zum 30.9.2009 geltenden Recht richten, kommt es auf den Rentenwert, bei Entscheidungen nach neuem Recht auf den Kapitalwert an.

Gut, dass nun geklärt ist, wie sich die Wesentlichkeit in § 225 Abs. 3 FamFG bestimmt. Wir können uns nunmehr den anderen Wesentlichkeiten des Lebens und des Versorgungsausgleichs zuwenden.

Die Wesentlichkeit im Versorgungsausgleich

Verpflichtung zum Antrag auf Veranlagung in den Steuerklassen III und V zugunsten der Insolvenzgläubiger des Ehegatten?

Eheleute sind einander aus § 1353 BGB zur Solidarität verpflichtet. Dies bedeutet einfach gesagt, dass ein Ehegatte dem anderen verpflichtet ist, alle Handlungen vorzunehmen, die dem anderen nützen, wenn sie ihm selbst nicht schaden. In der Praxis spielt dieser Anspruch auf „eheliche Solidarität“ hauptsächlich in Steuerfragen eine Rolle, nämlich beispielsweise dann, wenn ein Ehegatte sich in der für ihn günstigeren Steuerklasse III veranlagen will, was nur möglich ist, wenn der andere Ehegatte zugleich die Veranlagung seines Einkommens in der für ihn ungünstigeren Steuerklasse V beantragt (§ 38b Abs. 1 Nr. 5 EStG). Eine Verpflichtung eines Ehegatten, diese Art der steuerlichen Veranlagung gemeinsam mit dem anderen zu beantragen, besteht nur, wenn sich hierdurch das Familieneinkommen insgesamt und damit auch der Unterhaltsanspruch des steuerlich benachteiligten Ehegatten erhöht, sein Nachteil also zumindest ausgeglichen wird. Dieses Prinzip ist einfach und unmittelbar einleuchtend. Für jeden, der auf dem Gebiet des Familienrechts tätig ist, handelt es sich daher auch um eine Selbstverständlichkeit.

 Grundlegendes Unverständnis bzgl. der Herkunft und des Sinnes des Anspruchs auf steuerliche Veranlagung in den Steuerklassen III und V herrscht allerdings – sehr zum Nachteil der meist ohnehin schon gebeutelten Insolvenzschuldner und ihrer Familien – offenbar bei den Insolvenzgerichten. Jedenfalls das Amtsgericht Kleve (AG Kleve v. 26.7.2107 – 38 IN 2/17) und leider auch das Landgericht Kleve (LG Kleve v. 26.10.2017 – 4 T 193/17) als Beschwerdeinstanz stellen das Prinzip der ehelichen Solidarität geradezu auf den Kopf, wenn sie den Ehegatten eines Privatinsolvenzschuldners sogar dann für verpflichtet halten, einer Veranlagung in den Steuerklassen III und V zuzustimmen, wenn es für beide Ehegatten ungünstig ist und das Familieneinkommen insgesamt hierdurch sinkt (!). Der Schuldner mag ja grundsätzlich den Gläubigern gegenüber verpflichtet sein, sich in der für die Gläubiger günstigsten Steuerklasse zu veranlagen, es kann aber doch offensichtlich keine Verpflichtung des Ehegatten des Schuldners bestehen, sich in der für ihn ungünstigsten Steuerklasse zu veranlagen, wenn dies ausschließlich den Gläubigern nützt. Woraus soll sich denn dieser Anspruch ergeben? Ein direkter Anspruch der Gläubiger gegen den Ehegatten des Schuldners scheidet – vermutlich sogar für die Insolvenzgerichte offensichtlich – aus. Aber auch ein Anspruch aus § 1353 BGB besteht nicht. Inwiefern soll es denn eheliche Solidarität darstellen, dafür zu sorgen, dass das in diesen Fällen meist ohnehin schon dürftige Familieneinkommen noch weiter sinkt?

Erstaunlicherweise berufen sich das Amtsgericht und das Landgericht Kleve für ihre interessante Rechtsauffassung auch noch auf die Rechtsprechung verschiedener Senate des Bundesgerichtshofs, wobei keiner der Senate des Bundesgerichtshofs derlei selbstredend jemals geäußert hat. Das Amtsgericht Kleve zitiert für seine Entscheidung die Beschlüsse des BGH v. 5.3.2009 – IX ZB 2/07, v. 3.7.2008 – IX ZB 65/07 und v. 4.10.2005 – VII ZB 26/05. Sämtliche dieser Beschlüsse beziehen sich aber auf die Verpflichtung eines Schuldners, von der für ihn und die Gläubiger ungünstigeren Steuerklasse V in die günstigere Steuerklasse IV zu wechseln. Ja, dieser Wechsel ist natürlich aber auch ohne Mitwirkung des Ehegatten möglich! Immerhin nimmt das Landgericht Kleve in seiner Beschwerdebegründung davon Abstand, die genannten Beschlüsse erneut zu zitieren, bezieht sich aber stattdessen auf eine Entscheidung des Familiensenats des Bundesgerichtshofs, nämlich auf ein Urteil vom 23.3.1983  (BGH v. 23.3.1983 – IVb ZR 369/81), die ebenfalls nicht das Geringste zur Sache tut. In dieser Entscheidung ist nämlich ausschließlich die o.g. bereits geschilderte Selbstverständlichkeit zu lesen, dass ein Ehegatte dem anderen helfen muss, solange es ihm selbst nicht schadet.  

Hinweis für die Praxis: Die Situation der Insolvenzschuldner und ihrer Familien ist bzgl. dieser Rechtsfrage einigermaßen katastrophal. Auch wenn die Rechtsprechung der Insolvenzgerichte noch so offensichtlich falsch ist, kann der Insolvenzschuldner sich gegen eine Entscheidung der 2. Instanz nicht wehren, wenn nicht die Rechtsbeschwerde zugelassen wird, denn noch nicht einmal eine Nichtzulassungsbeschwerde ist in diesen Fällen möglich. Außerdem besteht die Gefahr, dass dem Schuldner auch noch die Restschuldbefreiung versagt wird, wenn die Insolvenzgerichte irrigerweise der Auffassung sind, der Schuldner habe durch die „Wahl“ der Steuerklasse IV versucht, seine Gläubiger zu schädigen, obwohl schlicht der Ehegatte die Zustimmung zur Veranlagung in den Steuerklassen III und V verweigert hat (und das auch noch zu Recht). Es bleibt zu hoffen, dass die juristische Literatur zunehmend auf dieses Problem hinweist und die Insolvenzgerichte in Zukunft in derlei Fällen wenigstens die Rechtsbeschwerde zulassen.

Das Märchen vom „teuren Rentnerprivileg“ – Zur Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage zu den Auswirkungen der Abschaffung des Rentnerprivilegs

Die 18. Legislaturperiode des Deutschen Bundestags neigte sich schon dem Ende zu, als mehrere Abgeordnete und die Bundestagsfraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN von der Bundesregierung wissen wollten, ob sich die Abschaffung des Rentnerprivilegs im neuen Versorgungsausgleich bewährt habe (BT-Drucks. 18/13470). Die Frage ist berechtigt, denn immerhin führt die Abschaffung des Rentnerprivilegs in laufenden Rentenbezugsfällen oftmals zur Halbierung der Renteneinkünfte der Betroffenen. Das löst für diese ernste soziale Probleme aus.

In ihrer Antwort (BT-Drucks. 18/13594) verteidigt die Bundesregierung die Abschaffung des Rentnerprivilegs mit einer Demagogie. Sie führt aus, dieses Privileg führe „zu Belastungen des Versorgungsträgers des Ausgleichspflichtigen, da trotz Durchführung des Versorgungsausgleichs zunächst in voller Höhe weiterhin an die privilegierten Ausgleichspflichtigen zu leisten war, später an den Ausgleichsberechtigten“.

Das Argument unberechtigter Kostenbelastung ist aber falsch. Das Rentnerprivileg steht nämlich zu Unrecht im Verdacht, die Versorgungsträger zu ruinieren. Dies macht folgende Kontrollüberlegung deutlich: Ein Versorgungsträger, der ein Rentenversprechen an einen verheirateten Versicherten gegeben hat, hat schlimmstenfalls (bei hohen Altersabstand der Eheleute) an den Versicherten die volle Altersrente und an seine Witwe über deren Restlebenserwartung die Hinterbliebenenversorgung zu zahlen. Diese beträgt im Regelfall 60 % der Altersrente des Versicherten. Schlimmstenfalls kommt also eine Leistungspflicht i.H.v. 160 % der Versorgungszusage auf den Versicherungsträger zu. Da der Altersabstand in der Regel aber nur 3–4 Jahre beträgt, liegt die tatsächliche Belastung deutlich darunter. Lässt sich nun unser Versicherter bei Erreichen der Regelaltersgrenze scheiden, würde der Versorgungsträger bei Fortgeltung des Rentnerprivilegs an den Versicherten 100 % des Ehezeitanteils der Versorgung zu zahlen haben und an seinen Ehegatten 50 %. Insgesamt also schlimmstenfalls 150 % des Versorgungsvolumens. Ohne Rentnerprivileg sieht die Sache für den Versorgungsträger noch schöner aus: Die Leistung an den Versicherten reduziert sich auf 50 % des Ehezeitanteils und an seinen Gatten schlimmstenfalls ebenfalls auf 50 %. Insgesamt zahlt der Versorgungsträger in diesen Fällen daher nur 100 %.

Noch deutlicher wird die Ungerechtigkeit des Wegfalls des Rentnerprivilegs in Invaliditätsfällen. Wer aus einer betrieblichen Altersversorgung wegen Invalidität eine Versorgung erhält, verliert in der Regel im Scheidungsfall die Hälfte dieser Versorgung. Nur in Ausnahmefällen kann dieser Versorgungsverlust über § 35 VersAusglG kompensiert werden. Der betriebliche Versorgungsträger indessen kann sich freuen: Er spart vom Zeitpunkt der Rechtskraft der Entscheidung 50 % der Versorgung, ohne dass er für die ausgleichsberechtigte Person äquivalente Vorsorge treffen müsste. Der Versorgungsausgleich wird so zum guten Geschäft.

Das oberflächlich so einleuchtend klingende Argument, dass Rentnerprivileg werde von der Versichertengemeinschaft finanziert, ist richtig. Jede Rente wird nämlich von der Versichertengemeinschaft finanziert. Die Beiträge der planwidrig Frühversterbenden finanzieren die Renten der planwidrig Spätversterbenden. Die entscheidende Frage ist, ob die Finanzierung einer Rente unzulässigerweise zum Nachteil der Versichertengemeinschaft geschieht. Dies ist indessen nicht der Fall, wenn der Versorgungsträger lediglich das von ihm bei Erteilung der Versorgungszusage übernommene Versorgungsrisiko trägt. Der Wegfall von Rentner- und Pensionistenprivileg ist nicht mit einer angeblich ungerechtfertigten Belastung der Versichertengemeinschaft zu rechtfertigen. Der Wegfall der Versorgungsprivilegien privilegiert die Versorgungsträger und schädigt die Rentenberechtigten.

In der Antwort der Bundesregierung verblüffen einige Tabellen, aus denen sich ergibt, dass in der gesetzlichen Rentenversicherung über den Versorgungsausgleich mehr Renten mit höheren Ausgleichswerten begründet als ausgeglichen werden. Dies resultiert indessen aus dem Umstand, dass im Versorgungsausgleichsfall Versorgungen der Landes- und Kommunalbeamten in die gesetzliche Rentenversicherung ausgeglichen werden und in verstärktem Maße auch von der Möglichkeit Gebrauch gemacht wird, Betriebsrenten im Fall des externen Ausgleichs in die gesetzliche Rentenversicherung auszugleichen. Insoweit hat die Diskussion der letzten Jahre (s. z.B. zur „Qual der Wahl einer Zielversorgung“ Götsche, FamRB 2013, 151 und Hauß, FamRB 2013, 223) offenbar gefruchtet. Die gesetzliche Rentenversicherung wird als der derzeit wohl profitabelste, jedenfalls aber als der sicherste Versicherungszweig erkannt.

Übrigens: Für Soldaten wurde das Pensionistenprivileg auch schon wieder eingeführt (§ 55c SVG; s. dazu Hauß, FamRB 2015, 239) und einige Länder haben es für ihre Landesbeamten immer noch (Norpoth, FamRB 2014, 109).

Die Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die GRÜNEN kam zu spät, um zum Ende der vergangenen Legislaturperiode noch legislative Aktivität auszulösen. Manchmal werden aber Märchen wahr und es wäre wahrhaft märchenhaft, würde der Gesetzgeber der Logik folgen und für alle Versorgungssysteme das Rentner-und Pensionistenprivileg wieder einführen. Weil es die Versorgungsträger nicht mehr kostet als die Fortsetzung der Ehe ihrer Versicherten, sollte man es nicht nur für die öffentlich-rechtlichen, sondern auch für alle privaten Versorgungsträger wieder einführen.

Es mag sein, dass die Versorgungsausgleichsrechtler noch lange argumentieren müssen, bis der Gesetzgeber die Ungerechtigkeit des Wegfalls von Rentner- und Pensionistenprivileg begreift. Diese beiden als „Privilegien“ denunzierten Korrektive zu reaktivieren, würde ein wirklich sinnvolles familienrechtliches Vorhaben in einer neuen Koalition sein. Bis zu seiner flächendeckenden Wiedereinführung bleibt uns Anwälten nur eins übrig: Laufende Versorgungen sollten aus dem Ausgleich ausgenommen und solche Verfahren verzögert werden. Ein paar Jahre sind da immer drin.