Aufklärung des Notars über das Verfügungsverbot des § 1365 BGB, aber keine Nachforschungspflicht

Verkauft ein Ehegatte, der Alleineigentümer ist, eine Immobilie, kann es sich um sein (nahezu) gesamtes Vermögen handeln. Unklar ist, wieviel Restvermögen ihm verbleiben muss. Bisher ging man von 10 bis 15 % bei kleineren und 15 % für größere Vermögen aus, wobei die Grenze zwischen beiden bei ca. 250.000 Euro liegt. Brudermüller will nunmehr in seiner Kommentierung im Palandt ohne diese Unterscheidung von mindestens 10 % Restvermögen ausgehen.

 

Auch bei Veräußerung eines Einzelgegenstandes kann es sich um das Vermögen im Ganzen handeln. Allerdings muss der Käufer bei Abschluss des schuldrechtlichen Vertrages positive Kenntnis davon gehabt haben, dass es sich bei dem vorliegenden Gegenstand um das gesamte oder nahezu gesamte Vermögen des Verkäufers handelt (BGH, Beschluss vom 21.2.2013 – V ZB 15/12, FamRB 2013, 205). Die Beweislast für die Kenntnis des Dritten trifft denjenigen Ehegatten, der sich auf die Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts beruht.

 

Der Notar muss bei Beurkundung eines Grundstückskaufvertrages die Vorschrift des § 1365 BGB berücksichtigen. Ihn trifft allerdings keine Pflicht zur Stellungnahme und Nachforschung, ob die Vorschrift im konkreten Fall eingreift, wie der BGH zu Recht im Beschluss vom 26.2.2015 – III ZR 279/14, entschieden hat. Der Notar hat in der Regel ebenso wie der Käufer keine Kenntnis der genauen Vermögensverhältnisse des Verkäufers. Er hat auch nicht die Aufgabe, einen gutgläubigen fremden Käufer durch die Anforderung einer Art Vermögensaufstellung vom Verkäufer „bösgläubig“ zu machen.

 

Löschung zwangsvernetzter Apps zur Abwehr von Kindeswohlgefährdungen (AG Bad Hersfeld v. 22.07.2016 – F 361/16 EASO)

Wohl kaum ein anderer Begriff wie der der Kindeswohlgefährdung ist in der familiengerichtlichen Praxis mit so viel negativen Emotionen aber auch häufiger Unsicherheit bei der Frage verbunden, ob getroffene Maßnahmen tatsächlich geeignet sind, der bestehenden Gefährdung entgegenzuwirken und wie sich die Lebenswelt des Kindes durch diese Maßnahme künftig bestimmt. Nicht selten wird allein das zu schützende Kind – statt des Schädigers – belastet und in seiner kindlichen Entwicklung eingeschränkt durch Maßnahmen, die seinem Schutz dienen sollen.

Dass zur kindlichen Entwicklung nicht nur der regelmäßige Kontakt mit Gleichaltrigen gehört, sondern auch die Nutzung neuester technischer Kommunikationsmittel, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Gerade die sich hieraus ergebenden uneingeschränkten Kontaktmöglichkeiten bergen jedoch in einem zunehmend unkontrollierbaren Datenaustausch ebenso nur noch schwer kontrollierbare und beherrschbare Gefahren für Kinder. Für Eltern ist es daher auch zunehmend schwieriger, nicht nur mit der technischen Entwicklung Schritt zu halten, sondern auch – bei gleichzeitiger Vertrauenssicherung gegenüber dem Kind – mit dem notwendigen Fingerspitzengefühl eine Kontrolle darüber zu halten, mit wem und mit welchem Inhalt das Kind Daten austauscht.

Mit einem entsprechenden Sachverhalt hat sich das AG Bad Hersfeld umfassend in einer aktuellen Entscheidung auseinander gesetzt, in der es um die Frage ging, wie konkret ein Elternteil sexuellen Belästigungen der beiden Töchter mittels der Messenger-App „WhatsApp“ entgegenwirken kann bzw. welche konkreten Handlungen von den Eltern in dieser Situation zu verlangen sind. Das Gericht hat in seinem Beschluss dem betreuenden Vater Auflagen erteilt, durch die er nicht nur verpflichtet wurde, einen physisch-realen Kontakt des Belästigers zu den Kindern zu unterbinden, sondern auch jeglichen virtuellen Kontakt, indem er die auf Zwangsvernetzung beruhende App von den Smartphones zu entfernen und diesen abgesicherten Zustand mittels geeigneter Kontrollen der Geräte laufend aufrecht zu erhalten hatte. Daneben wurde er verpflichtet, in regelmäßigen Abständen mit den Kindern den aktuellen Stand der Smartphones zu besprechen und die Geräte gemeinsam mit seinen Töchtern auf gespeicherte Apps und etwaig auftretende Ungereimtheiten zu prüfen.

Die rechtliche Situation stellt sich so dar, dass nach § 1666 Abs. 1 BGB als ultima ratio Eingriffe in die Personensorge erfolgen können, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl eines Kindes nachhaltig gefährdet ist und die Eltern nicht willens oder in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden. Von einer Kindeswohlgefährdung im Sinn dieser Vorschrift ist auszugehen, wenn entweder die Gefahr bereits konkret besteht oder zumindest so nahe bevorsteht, dass eine erhebliche Schädigung des Kindeswohls mit ziemlicher Sicherheit voraussehbar ist. Neben den Fällen der tatsächlich missbräuchlichen Ausübung der elterlichen Sorge ist vor allem das unverschuldete Versagen der Eltern von hoher praktischer Bedeutung. Der Entzug der Personensorge insgesamt oder in Teilbereichen kommt gleichwohl jedoch nur dann in Betracht, wenn andere niederschwelligere Maßnahmen erfolglos geblieben sind oder bereits zuverlässig abgeschätzt werden kann, dass sie zur Gefahrenabwehr nicht ausreichend sind. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit findet in diesem Kontext seine besondere Ausprägung. Die Gerichte haben bei der Auswahl der in Betracht kommenden Maßnahmen jeweils zu prüfen, ob diese zur Gefahrenabwehr geeignet, erforderlich und auch zumutbar sind. Erforderlich in diesem Sinn sind daher Maßnahmen nur dann, wenn aus den zur Zielerreichung geeigneten Maßnahmen das mildeste Mittel gewählt wird, das die geschützte Rechtsposition am wenigsten beeinträchtigt. Das Gesetz differenziert weitergehend danach, ob sich die zum Schutz des Kindes zu treffenden Maßnahmen gegen die sorgeberechtigten Eltern richten oder die Gefährdung von einem Dritten ausgeht. Sollen Maßnahmen gegenüber den Eltern selbst ergriffen werden, so werden in § 1666 Abs. 3 BGB konkrete Beispiele aufgelistet, durch die der Kindeswohlgefährdung begegnet werden kann, d.h. diese Beispiele präzisieren in gewisser Weise den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, da sie dem Eingriff in die elterliche Sorge vorgelagert sind. Folgt demgegenüber die Kindeswohlgefährdung aus dem Verhalten eines Dritten, so sieht § 1666 Abs. 4 BGB vor, dass auch unmittelbar diesem gegenüber Schutzmaßnahmen veranlasst werden können. In dieser Konstellation ist ein doppelter Kindesschutz möglich. Einerseits haben die Eltern die Möglichkeit, gestützt auf das GewSchG, gerichtlichen Rechtsschutz einzufordern, etwa durch ein Näherungsverbot. Parallel wird zudem das Familiengericht von Amts wegen tätig und trifft die zur Abwehr der Gefährdung notwendigen Maßnahmen, die sich auf Ermahnungen, Verhaltensgebote und -verbote sowie auf Umgangsverbote richten können. Im äußersten Fall kann aber auch ein Wohnungswechsel angeordnet werden.

In der Praxisberatung ist es wichtig, Eltern die mit gerichtlichen Maßnahmen zum Schutz des Kindes konfrontiert werden, umfassend darüber aufzuklären, dass das gerichtliche Eingreifen auch als Chance für sie zu verstehen ist. Nur durch ein konstruktives Zusammenwirken von Eltern, Gericht und Jugendamt ist ein effektiver Kindesschutz zu gewährleisten, aber auch zu verhindern, dass weitere Eingriffe in das Elternrecht erforderlich werden.

Neuauflage: Schürmann, Sozialrecht für die familienrechtliche Praxis

Schürmann, Sozialrecht für die familienrechtliche Praxis, Gieseking 2016, FamRZ-Buch 42, ca. 450 Seiten, 59 €, ISBN: 978-3-7694-1165-2.

Der Flug von Boston nach Düsseldorf dauert alles in allem 7 Stunden. Normalerweise schlafe ich im Flugzeug. Diesmal nicht. Das Buch von Heinrich Schürmann hält mich wach und beunruhigt mich, weil es gravierende Lücken meiner sozialrechtlichen Kenntnisse aufdeckt und fast im gleichen Moment schließt. Auf rund 450 Seiten stellt Schürmann das für den Familienrechtlicher erforderliche sozialrechtliche Handwerkszeug zusammen.

Ich bewundere stets Profihandwerker, die ohne einen 3-maligen Ausflug in den Baumarkt eine Steckdose montieren können und das dazu erforderliche Handwerkszeug übersichtlich in einem kleinen Beautykoffer bereithalten. So ist es auch bei Schürmann. In fünf großen Kapiteln behandelt er die Leistungen des Sozialstaates zur Sozialversicherung (Arbeitsförderung, Kranken- und Pflegeversicherung, Renten- und Unfallversicherung), zur Familienförderung (Mutterschafts-, Eltern- und Kindergeld, Jugendhilfe, Wohngeld, Ausbildungsförderung, Unterhaltsvorschuss und Entschädigungsrecht), zur Existenzsicherung (Grundsicherung für Arbeitssuchende, Kinderzuschlag, Sozialhilfe) sowie den Regress des Sozialhilfeträgers. Für Familienrechtler bleibt keine Lücke.

Sorgfältig wird die Darstellung der einzelnen Leistungen mit einer historischen Vorstellung, der Angabe von Rechtsgrundlagen und Zuständigkeiten und weiterführenden Literaturangaben eingeleitet. Teilweise wird auch der Text einer Leistungsnorm wiedergegeben. Der Autor weiß, dass Juristen zwar Normen anwenden, sie aber ungern lesen.

Heinrich Schürmann ist Praktiker. Deshalb wird die Lektüre nicht langweilig. Leistungen und deren Voraussetzungen sind oft in übersichtlichen Tabellen zusammengestellt, das beschleunigt den Zugriff. Da die Übersichten aber nicht allein stehen, sondern durch Texte und teilweise Berechnungsbeispiele erläutert werden, liegt es in der Hand des Lesers, die Kenntnis eines Wertes abzugreifen oder das System einer Leistung verstehen zu wollen. Wenn letzteres der Fall ist, wird ihm der Text gefallen, da er juristisch exakt, aber auch dem eiligen Leser zugängig ist.

Im Zeitalter elektronischer Medien ist dem Buch, besonders dem Fachbuch, oft ein elender Tod vorausgesagt worden. Im Printmedium wird der durch die Verlinkung entstehende Vorteil des elektronischen Mediums durch Index und Querverweise kompensiert. Beides bietet das Buch in Premiumqualität. Man vermisst die elektronische Buchversion daher nicht. Des Lesers Wunsch ist allerdings des Autors Fluch. Bei der elektronischen Version erwartet der Konsument eine immerwährende Aktualität. Diese zu liefern ist für einen Autor quälend. Deswegen hoffe ich als Leser, dass das Buch regelmäßig neu aufgelegt und dadurch aktualisiert wird, auch ganz ohne Elektronik. Zusammengefasst: 5 „Likes“ für das Buch, das jedem Familienrechtler Pflichtlektüre sein müsste.

Umgangsverweigerung ist Körperverletzung – oder: Warum der Kuss so wichtig ist

Die Teilnahme an juristischen Kongressen und Veranstaltungen lehrt und bildet ja bekanntlich. Letzteres förderte auf der Herbsttagung der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht im DAV vom 24. bis 26.11.2016 in Nürnberg Professor Dr. rer. nat., Dipl.-Ing. (Informatik/E-Technik) Peter Beyerlein, Professor und Leiter der Arbeitsgruppe Bioinformatik. Der Titel seines Vortrags „Neurobiologie und Kindeswohl – Viel mehr als Recht und Psychologie“ weckt in Juristinnen und Juristen voyeuristische Erwartungseuphorie, Einblick in eine fremde naturwissenschaftliche Welt zu bekommen, der schon begrifflich kaum beizukommen ist und deren Begriffe, kaum dass sie entbeamt werden, dem Gedächtnis entschwinden.

Gleichwohl habe ich Folgendes behalten: Der Informationsaustausch zwischen Eltern und ihren Kindern ist nicht auf den Austausch ihres genetischen Materials bei der Zeugung und die anschließende intellektuelle, kulturelle und sprachliche Korrespondenz beschränkt. Die Neurobiologie kann vielmehr heute erklären, dass jeder Kuss, jeder Handschlag und jeder Körperkontakt ein Informationsaustausch ungeahnten Ausmaßes verursacht, dessen Resultat nicht auf die Psyche allein beschränkt bleibt, sondern unmittelbar die genetisch kodierte Funktion der Zellen beeinflusst. So kann die Wissenschaft nachweisen, dass Fehler im menschlichen Genom durch solch postnatalen Kontakte larviert („verdeckt“) und funktional repariert werden können, weil die bei den Eltern bereits erfolgte verhaltenskontrollierte Reparatur des Defekts an das Kind weitergegeben wird, nicht durch ‚Vererbung‘ sondern durch den bei jedem Körperkontakt über das Mikrobiom vermittelten Datenaustausch. Das funktioniert neurobiologisch allerdings nur beim Kontakt zwischen Kindern und ihren leiblichen Eltern, weil nur die Eltern neben einem genetischen Defekt auch das erfolgreiche Larvierungsmuster erworben haben. Stief- und Pflegeeltern versagen dabei, weil ihnen der zu larvierende genetische Defekt fehlt. Deswegen kam der Referent zu dem Schluss, dass die Verweigerung von Umgangskontakten zwischen Kindern und ihren leiblichen Eltern Körperverletzung am Kind sei.

Nach dem Genom-Project, das das menschliche Genom entschlüsselt, hat die Forschung das Human Brain Project in Angriff genommen. Darin wird das menschliche Hirn kartographiert und nachgewiesen, dass wir derzeit nur einen winzigen Bruchteil unseres intellektuellen Potentials nutzen und an welcher Stelle des Hirns das zu lokalisieren ist. Jetzt entzaubert die Neurobiologie unsere Vorstellung vom eigenverantwortlich handelnden ‚Freien Menschen‘ und führt Aggressivität, Duldsamkeit, Liebe und Sexualität, Faulheit und Dummheit auf biochemische Prozesse zurück, die in Formeln und chemischen Reaktionsketten ausgedrückt werden können.

Ist das das Ende der Autonomie? Natürlich nicht. Sie zu ermöglichen und zu fördern, sollten wir Familienrechtler aber vielleicht nicht allzu forsch Umgangskontakte verweigern und damit den Kindern die Möglichkeit nehmen, genetisch kodierte Defizite zu reparieren. Biochemisch gesprochen scheinen Umgangskontakte zwischen Eltern und Kindern letzteren zu helfen, Herr ihrer Defizite zu werden und damit tatsächlich autonom zu entscheiden.

Unerwartete Rechtsfolgen einer Ehe – Wohnungszuweisung wegen Übernachtungsbesuchen der neuen Partnerin

Es ist offenbar unüblich, sich bei Eingehung einer Ehe über die Rechtsfolgen einer etwaigen späteren Trennung und Scheidung Gedanken zu machen. Letztlich hätte das allerdings auch wenig Sinn, denn das gesamte Familienrecht wimmelt nur so vor unbestimmten Rechtsbegriffen, die den Ausgang etwaiger gerichtlicher Streitigkeiten ohnehin so gut wie unvorhersehbar machen. Mandanten ist das nur schwer zu vermitteln. Gefragt nach der voraussichtlichen Dauer des nachehelichen Unterhaltsanspruchs des Ehepartners, zitiere ich häufig das Gesetz: „Der nacheheliche Unterhalt ist zeitlich zu begrenzen, wenn ein zeitlich unbegrenzter Unterhaltsanspruch … unbillig wäre.“. Ach so … Nach der Lektüre des Gesetzes weiß man nicht mehr als vorher. Als Rechtsanwalt bleibt einem nur noch zu versuchen, auf der Grundlage einer Vielzahl von Einzelentscheidungen nach und nach gewisse Wahrscheinlichkeiten auszumachen. Wie wenig man Einzelfallentscheidungen vorhersagen kann, die durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe vom Gesetzgeber erzwungen werden, zeigt beispielsweise ein Beschluss des OLG Hamm v. 28.12.2015 – II-2 UF 186/15, FamRZ 2016, 1082:

In diesem Fall wurde die Eigentumswohnung des Ehemannes seiner Ehefrau zur alleinigen Nutzung zugewiesen, obwohl die Wohnung im Alleineigentum des Ehemannes stand. Der Ehemann durfte also seine eigene Wohnung nicht mehr betreten, geschweige denn, seine Ehefrau der Wohnung verweisen. Immerhin erfolgte die Ehewohnungszuweisung nur befristet bis zum Ablauf des Trennungsjahres. Das Gesetz sieht in § 1361b Abs. 1 BGB für die Trennungszeit vor, dass die Ehewohnung einem der beiden Ehegatten zur alleinigen Nutzung zugewiesen werden kann, wenn das weitere Zusammenleben mit dem anderen für den Antragsteller eine „unbillige Härte“ bedeuten würde. Wann eine solche „unbillige Härte“ anzunehmen ist, lässt sich dem Gesetz allerdings nicht entnehmen. Immerhin ist vorgeschrieben, dass bei der Entscheidung etwaiges Alleineigentum an der Ehewohnung „besonders zu berücksichtigen“ ist. Das OLG Hamm nahm in dem am 28.12.2015 entschiedenen Fall eine „unbillige Härte“ für die Ehefrau an, weil der Ehemann seiner neuen Lebensgefährtin mehrfach gestattet hatte, bei ihm zu übernachten, und sie ihn zudem sehr häufig tagsüber zu Hause besuchte. Das Alleineigentum des Ehemannes an der Wohnung wurde in der Weise „besonders berücksichtigt“, dass die Ehewohnungszuweisung nicht für die gesamte Trennungszeit, sondern nur für das Trennungsjahr ausgesprochen wurde. Die Tatsache, dass die Ehefrau statt einer Ehewohnungszuweisung auch mit Erfolg hätte beantragen könne, ihrem Ehemann und seiner Lebensgefährtin dies zu untersagen, wird in der Entscheidung des OLG Hamm nicht erwähnt.

Fazit: Das Trennungs- und Scheidungsfolgenrecht hält für Mandanten wie für Rechtsanwälte viele Überraschungen bereit. Aus der im Familienrecht leider besonders häufigen Verwendung unbestimmter Rechtsbegriff im Gesetzestext, wie etwa desjenigen der „unbilligen Härte“, ergibt sich eine schwer erträgliche Rechtsunsicherheit. Klarere Regelungen durch den Gesetzgeber wären wünschenswert, auch wenn die Ergebnisse dieser Regelungen in der Praxis im Einzelfall „unbillig“ sein mögen. Sollte dies tatsächlich einmal der Fall sein, kann ausnahmsweise immer noch von der gesetzlichen Regelung abgewichen werden, wie dies auf jedem Rechtsgebiet der Fall ist. Wenn nebulöse Formulierungen wie „unbillige Härte“, „unzumutbar“ u.Ä. zum Regelfall im Gesetzestext werden, wie es im Familienrecht der Fall ist, hat der Gesetzgeber versagt. Klare Regelungen sollen hier anscheinend aus politischen Gründen vermieden werden, damit auf diesem hochsensiblen und emotionalen Gebiet am Ende die Juristen, nicht aber die eigentlich zuständigen Parlamentarier schuld sind. In der Praxis führt das bei den Betroffenen zu sehr viel vermeidbarem Leid.

Wissenschaftliches Symposium in Würzburg: Die Europäischen Güterrechtsverordnungen

Der Regensburger Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung (Prof. Dr. Anatol Dutta) veranstaltet am 10.2.2017 gemeinsam mit dem Deutschen Notarinstitut in Würzburg eine wissenschaftliche Tagung zu den im Sommer dieses Jahres vom europäischen Gesetzgeber erlassenen Güterrechtsverordnungen für Ehegatten und eingetragene Partner, die das internationale Güterrecht der Mitgliedstaaten ab Januar 2019 nahezu vollständig verdrängen werden. Das neue Recht soll einer ersten kritischen Analyse unterzogen werden.

Vortragen werden:

Prof. Dr. Andrea Bonomi, Université de Lausanne

Prof. Dr. Michael Coester, Ludwig-Maximilians-Universität München

Dr. Christoph Döbereiner, Notar in München

Prof. Dr. Anatol Dutta, Universität Regensburg

Dr. Andreas Köhler, Universität Passau

Prof. Dr. Christian Kohler, Europa-Institut der Universität des Saarlandes

Prof. Dr. Stephan Lorenz, Ludwig-Maximilians-Universität München

Prof. Dr. Peter Mankowski, Universität Hamburg

Joanna Serdynska, Europäische Kommission, Brüssel

Dr. Rembert Süß, Deutsches Notarinstitut, Würzburg

Dr. Johannes Weber, Geschäftsführer des Deutschen Notarinstituts, Würzburg

Teilnahmegebühr: 100 €. Auf Wunsch kann eine Bescheinigung über die Teilnahme und den Inhalt der Veranstaltung erteilt werden.

Anmeldung per Fax: 0931/35576-225 oder E-Mail: d.schmitt@dnoti.de. Programm und Anmeldeformular finden Sie aber auch hier.

Ordre public bei Kinderehen – Keine Überheblichkeit pflegen, sondern effektiven Kinder- und Jugendschutz gewährleisten

Eheschließung von Ausländern im Inland

Nach Art. 13 EGBGB unterliegen die Voraussetzungen für eine Eheschließung im Inland für jeden Verlobten dem Recht des Staates, dem er angehört. Nur wenn es danach an einer Voraussetzung fehlt, wäre deutsches Recht maßgeblich, wenn die Verlobten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben.

Nach Art. 13 Abs. 3 EGBGB kann eine Ehe im Inland nur in der hier vorgeschriebenen Form geschlossen werden, also vor einem Standesbeamten (§ 1310 BGB). Ist keiner der Verlobten Deutscher, kann die Ehe im Inland auch von einer Person geschlossen werden, die der Staat, dem einer der Verlobten angehört, dazu ermächtigt hat (Art. 13 Abs. 3 Satz 2 EGBGB). Das sind teilweise diplomatische oder konsularische Vertretungen, aber auch Militärgeistliche, Truppenoffiziere von Stationierungsstreitkräften oder griechisch-orthodoxe Geistliche, die von Ihrer Regierung benannt sind.

Würde eine ausländische Rechtsordnung für die Eheschließung geringere Voraussetzungen an das Alter der Verlobten stellen als die deutsche Rechtsordnung, könnte das als Verstoß gegen den ‚ordre public‘ angesehen werden und die standesamtliche Eheschließung in Deutschland hindern.

Im Ausland geschlossene Kinderehen im Inland

Eine im Ausland von Ausländern geschlossene Ehe bedarf aber keinerlei ‚Anerkennung‘ in Deutschland. Das deutsche Recht geht bei der Beurteilung der Rechtsnatur einer im Ausland geschlossenen Ehe von deren Beurteilung nach dem Recht des die Eheschließung beurkundenden Staates (oder Institution) aus. Die Ehe ist nach der Rechtsprechung des BVerfG eine auf Willenseinigung der Ehegatten unter staatlicher Mitwirkung formalisierte Rechtsgemeinschaft und Rechtseinrichtung (BVerfGE 29, 166, 176; 36, 146, 161 f.). Einen Gesetzesvorbehalt, der einen Grundrechtseingriff rechtfertigen könnte, kennt Art. 6 GG nicht (BVerfGE 36, 146 ). Deshalb ist es konsequent, wenn die deutsche Rechtsordnung den nach den Bestimmungen eines anderen Staates ordnungsgemäß erfolgten, für die Ehe konstitutiven Hoheitsakt hinnimmt und eine irgendwie geartete Anerkennung dieses staatlichen Aktes nicht kennt.

Ebenso konsequent ist es, dass das deutsche Recht für die Frage, ob eine Ehe nichtig ist oder aufgehoben werden kann, an das ausländische Recht anknüpft. Der Respekt der deutschen Rechtsordnung vor dem Hoheitsakt eines anderen Staates gebietet es, diesen nicht als nichtig anzusehen. Aus diesem Grund gilt auch im deutschen Recht eine mit einer geschäftsunfähigen Person geschlossene Ehe nicht als nichtig, sondern als aufhebbar (§§ 1314, 1304 BGB).

Ein minderjähriger, aber nicht geschäftsunfähiger Ehegatte (ab Vollendung des siebten Lebensjahres) kann auch von unserer Rechtsordnung nicht aus der Ehe gezwungen werden. Nach § 125 Abs. 1 FamFG gilt er als verfahrensfähig. Nur für den geschäftsunfähigen Ehegatten wird das Eheverfahren durch den gesetzlichen Vertreter geführt.

Angesichts dieser Rechtslage ist die jetzt geführte Diskussion um Kinderehen wenig verständlich. Wenn vorgeschlagen wird, im Ausland mit Minderjährigen geschlossenen Ehen im Inland ‚die Anerkennung‘ zu verweigern und sie ‚aufzuheben‘ (so Heiko Maas im Interview mit der katholischen Nachrichten-Agentur KNA am 3.11.2016), wird deutlich übers Ziel hinausgeschossen. Ausländische Ehen bedürfen in Deutschland keiner Anerkennung, ihre Aufhebung unterliegt dem Recht des Heimatstaates der Ehegatten. Dieser definiert die Voraussetzungen, unter denen die Eheschließung der Ehegatten staatlich testiert wird. Der staatlicherseits gebotene Respekt vor einer anderen staatlichen Rechtsordnung gebietet es, ihre das Personalstatut ihrer Bürger regelnde Hoheitsakte zu akzeptieren. Sie als ‚nichtig‘ oder – trotz Vorliegen der rechtlichen Voraussetzungen – durch einen anderen Staat ‚aufhebbar‘ zu bezeichnen, offenbart mangelnden Respekt einer sich ‚überlegen‘ dünkenden Rechtsordnung und damit ein Stück Rechtskolonialismus.

Schutzlos sind die minderjährig Verheirateten dadurch in Deutschland nicht:

  • Sind sie unter 14 Jahre alt, schützt sie – trotz Heirat – § 176 StGB vor sexuellem Missbrauch.
  • Das Recht zur Trennung voneinander schützt Art. 2 GG. Kinder- und Jugendschutz könnte darüber hinaus durch das Jugendschutzrecht wirksam gewährleistet werden.
  • Nichts spricht dagegen, einem minderjährigen Verheirateten von Amts wegen einen Vormund zu bestellen (§ 1773 BGB), wenn wegen eines fehlenden Kontakts zu den Eltern gem. § 1674 BGB das Ruhen der elterlichen Sorge festgestellt ist.
  • Nichts spricht auch dagegen, Eltern minderjähriger Verheirateter das Sorgerecht zu entziehen und einen Vormund einzusetzen, wenn dies das Wohl eines minderjährig Verheirateten erfordert.
  • Nichts spräche auch dagegen, einem minderjährigen Verheirateten selbst dann einen amtlichen Vormund zu bestellen, wenn die ausländische Rechtsordnung den volljährigen Ehegatten mit der Vormundschaft über den minderjährigen ausstatten würde. Auch das wäre durch § 1773 BGB gedeckt, weil nicht die ‚Eltern‘ die Sorge wahrnähmen.

Wie differenziert und wenig einem konservativen Empörungsritual folgend die Rechtsprechung solche Fälle handhabt, lässt sich an der Entscheidung des OLG Bamberg v. 12.5.2016 (FamRB 2016, 375) ablesen. Das Jugendamt bestand auf ‚begleitetem‘ Umgang der 16-jährigen Ehefrau mit ihrem 22-jährigen Mann, weil ansonsten eine Schwangerschaft des Mädchens durch ungeschützten Geschlechtsverkehr mit ihrem Mann zu erwarten sei.Das OLG verweigerte sich diesem Anliegen. Pädagogisch ist das nachvollziehbar, weil ansonsten das Diskothekenpublikum sich um die Begleitpersonen verdoppeln müsste und die meisten Eltern keine Lust verspüren werden, Anstandshündchen für ihre Kinder zu spielen. Was aber nichtverheirateten Jugendlichen erlaubt ist, sollte doch auch verheirateten Jugendlichen erlaubt sein. Juristisch ist die Entscheidung zu begrüßen, weil sie Respekt vor der eigenen und einer fremden Rechtsordnung dokumentiert. Nichts deutete im Übrigen auf eine Zwangsehe und eine Gefährdung des Mädchens hin.

Standesamts-, Notars- oder Gerichtsscheidung

Bericht über das 13. Symposium für Europäisches Familienrecht mit dem Thema: „Scheidung ohne Gericht? – Neue Entwicklungen im europäischen Scheidungsrecht“

Im Jahr 2008 hat sich die Anwaltschaft erfolgreich gegen die Notarscheidung in Deutschland gewehrt. Unter der Flagge des ‚Schutzes des Schwächeren vor Übervorteilung‘, betrieb die deutsche Anwaltschaft ein berufspolitisches Artenschutzprogramm, dessen Schutzobjekt der Scheidungsanwalt war.

Schaut man sich indessen in Europa um, so scheint Deutschland FFH-Gebiet für Scheidungsanwälte zu sein. Europaweit wird Scheidungswilligen zunehmend die Standesamts- oder Notarscheidung, manchmal auch beides angeboten. Dies jedenfalls ist die Quintessenz des 13. Symposiums für Europäisches Familienrecht, das vom 6. bis 8. Oktober in Regensburg stattgefunden hat.

So mancher Familienrechtler fragt sich ja schon länger, warum

  • wir einen Scheidungsgrund (Zerrüttung) brauchen, wenn es für die Eheschließung keines Grundes bedarf,
  • wir volljährigen Scheidungswilligen ein Trennungsjahr aufnötigen, wenn die Ehe ohne Wartezeit ratzfatz geschlossen werden kann,
  • wir die standesamtliche Beurkundung der Eheschließung zur Begründung der Ehe ausreichen lassen, den kontradiktorischen Akt aber dem Richter vorbehalten.

Diese dogmatischen Fragezeichen beantworten wir regelmäßig mit dem Argument,

  • die Ehegatten seien vor übereilter Scheidung,
  • ihre Kinder vor den Trennungsschäden,
  • der schwächere Ehegatte vor Übervorteilung und sozialem Abstieg

zu schützen.

Unüberlegte Haus- und Autokäufe lassen wir indessen zu, obwohl sie meist deutlich gravierendere ökonomische Folgen zeitigen. Auch greift der Staat nicht im Trennungs-, sondern erst im Scheidungsfall zum Kinderschutz, obwohl dieser im Zeitpunkt der Trennung doch viel wichtiger wäre.

Es ist nicht zu befürchten, dass der schwächere Scheidungspartner ‚über den Tisch gezogen‘ und entrechtet wird, wenn die Scheidung ziviler geschähe. Eine Rechtsbelehrung durch den den Scheidungswusch der Ehegatten beurkundenden Notar oder Standesbeamten ist ja wohl möglich und würde durch diese Urkundspersonen weit besser erfolgen, als durch den um seine Unbefangenheit bangenden Familienrichter. Bislang hat auch noch niemand eine zwingende Rechtsberatung vor der Eheschließung gefordert, um die durch diese ausgelösten teilweise als ruinös empfundenen wirtschaftlichen Folgen den Ehewilligen vor Augen zu führen.

Unser Gesetzgeber hat das Verbundverfahren eingeführt, das alles so komplex und schwierig macht. Im Versorgungsausgleich ist der Verbund nicht nötig, wenn die Beteiligten noch keine Rente beziehen. Sind sie Rentenbezieher, muss ohnehin eine unterhaltsrechtliche Übergangslösung bis zur Umsetzung der rechtskräftigen Versorgungsausgleichsentscheidung gefunden werden, weil nur selten die Höhe des späteren Versorgungszuflusses zuverlässig zu prognostizieren ist. Im Zugewinnausgleich ist das Verbundverfahren meist ein Anwaltsfehler und dient der Verfahrensverschleppung und Prolongierung des Trennungsunterhalts, also sachfremden Zwecken.

In meine Praxis kommen die Menschen notgedrungen, um einen Scheidungsantrag zu stellen, nicht weil sie sich der Scheidung widersetzen wollen. Und sie kommen, weil ihre wirtschaftlichen Belange nicht geklärt sind oder hinsichtlich bestimmter Kindschaftsfragen keine Einigkeit besteht. Das würde auch dann so bleiben, wenn die Ehescheidung beim Standesbeamten beurkundet würde.

Für Portugiesen, Spanier, Italiener und wohl auch bald die Franzosen, die Skandinavier und andere ist auch nicht das Abendland untergegangen, weil sie die Scheidung wieder ein Stück weit privatisiert haben. Luther setzte dem sakramentalen Charakter der Eheschließung entgegen, sie sei ‚ein weltlich Ding‘. Vielleicht ist es nach 500-jähriger Okkupation der Ehe durch den Staat im Hinblick auf Art. 1 und 2 GG an der Zeit, darüber nachzudenken, die Eheschließung und Scheidung wieder zu privatisieren. Das verhindert nicht die in Art. 6 GG geforderte staatliche Förderung der Ehe. ‚Pactum facit nuptias‘ galt im Römischen Recht. ‚Back tot he roots‘ ist manchmal ein Fortschritt. Trotzdem ist es unendlich schwierig, ein seit mehr als tausend Jahren bestehendes kulturelles Institut zu entmystifizieren. Gegen die dadurch verursachte Enttäuschung ist die juristische Dogmatik vielleicht machtlos.

 

 

 

 

Kein eigenständiges Aufenthaltsrecht für gut integrierte Flüchtlingskinder

Flüchtlingskindern wird unabhängig davon, wie gut sie sich in Schule und Gesellschaft integriert haben, kein eigenständiges Aufenthaltsrecht zuerkannt. Stattdessen hängt das Schicksal dieser Kinder so lange von dem aufenthaltsrechtlichen Status ihrer Eltern ab, bis sie „Jugendliche“ im Sinne des Gesetzes sind, also bis sie das 14. Lebensjahr erreicht haben. Diese Regelung hat die groteske Konsequenz, dass ein Flüchtlingskind, das in Deutschland geboren wurde und aufgewachsen ist, grundsätzlich abgeschoben werden kann, weil seine Eltern die aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllen, etwa, weil sie – aus welchen Gründen auch immer – von Sozialleistungen abhängig sind und/oder noch nicht ausreichend gut Deutsch sprechen. Dies gilt auch dann, wenn das Kind selbst die deutsche Sprache perfekt beherrscht, in der Schule erfolgreich und sozial hervorragend eingebunden ist, es also die besten Aussichten hat, in Deutschland auch beruflich erfolgreich zu sein. Die Rechtswidrigkeit dieser Regelung hat der Kollege Rechtsanwalt von Auer, Frankfurt am Main schon sehr pointiert bereits im Jahr 2013 in seinem Rechtstipp wie folgt dargestellt:

Zu Recht wird auch kritisiert, dass die Altersgrenzen- Antragstellung nach Vollendung des 15. und vor Vollendung des 21. Lebensjahres – zu eng gefasst sind. Hier kann sich etwa die offenkundige Diskrepanz ergeben, dass ein Jugendlicher, der erst mit 9 Jahren eingereist ist, bereits nach sechsjährigem geduldeten Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 a) Abs. 1 AufenthG erhalten kann, nicht aber ein im Bundesgebiet geborener 14-Jähriger. Dies läuft ersichtlich sowohl dem Grundsatz der faktischen Integration, der für die Regelung des § 25 a) AufenthG maßgeblich ist, als auch dem Gleichbehandlungsgrundsatz zuwider (vgl. Stellungnahmen der Sachverständigen Dr. Parinas Parhisi und Reinhard Marx in der öffentlichen Anhörung vor dem Innenausschuss des Deutschen Bundestages, Protokoll Nr. 17/34, S. 49, 50). Weiter wird darauf verwiesen, dass § 25 a) AufenthG auch auf die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 8 EMRK zur Verwurzelung gut integrierter Menschen und deren Entwurzelung bezüglich des Herkunftslandes (sog. „faktische Inländer“) zurückzuführen ist, die eine solche starre Altersgrenze nicht kennt (Göbel-Zimmermann in der öffentlichen Anhörung vor dem Innenausschuss des Deutschen Bundestages, Protokoll Nr. 17/34, S. 49). Auch die – nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 17/5093, S. 15) vorgenommene – Anlehnung des § 25 a) AufenthG an § 37 AufenthG – der unter weiteren Voraussetzungen ein Recht auf Wiederkehr im Falle einer achtjährigen Voraufenthaltsdauer im Bundesgebiet eröffnet – ist in Bezug auf die von dort übernommene Altersgrenze nicht sachgerecht: Die Altersgrenze in § 37 AufenthG ist dem Umstand geschuldet, dass die bereits einmal während des Voraufenthalts in Deutschland begründete Integration und Bindung an die hiesigen Verhältnisse nicht durch Zeitablauf während des Auslandsaufenthalts verloren geht. Eine solche Befürchtung eines Integrationsverlusts kann aber bezüglich Jugendlicher/Heranwachsender, die ihr Leben lang oder einen Großteil ihres Lebens ununterbrochen im Bundesgebiet verbracht haben, nicht bestehen (vgl. Stellungnahme des Ausschusses Ausländer- u. Asylrecht des DAV zum Entwurf eines „Zwangsverheiratungsbekämpfungsgesetzes“, S. 12).“

Rechtlich betrachtet ist damit das Wesentliche bereits gesagt. Zur Veranschaulichung der dramatischen menschlichen Konsequenzen dieses fehlenden eigenständigen Aufenthaltsrechts für Kinder, möchte ich hier ergänzend ein konkretes Beispiel aus der Praxis schildern: Eine alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern flieht vor den Taliban aus Afghanistan nach Deutschland. Sie ist Analphabetin und hat nie gelernt, wie man eigenständig lernt, weil sie in ihrer Heimat nie eine Schule besuchen durfte. Ihre Kinder waren zum Zeitpunkt der Flucht erst ein und drei Jahre alt. Sie kennen Afghanistan nicht. Die Flucht war für alle Beteiligten traumatisch und zog sich über fünf Jahre und verschiedene Länder hin. Die Kinder sind bei ihrer Ankunft in Deutschland sechs und acht Jahre alt. Heute, zwei Jahre später, sind die Kinder trotz ihrer Vergangenheit schon nicht mehr von ihren deutschen Klassenkameraden zu unterscheiden. Der kleine Junge hat die erste Klasse übersprungen und absolviert derzeit erfolgreich die dritte Klasse. Die kleine Tochter ist eine der besten Schülerinnen in ihrer (zweiten) Klasse. Beide treiben erfolgreich und begeistert Sport, nehmen an Lesewettbewerben und Schulaufführungen teil, haben viele (deutsche) Freunde, mit denen sie ihre Freizeit und Kindergeburtstage verbringen, und schmieden Pläne für die Zukunft. Der Junge will Polizist, Geheimagent oder Wissenschaftler werden, das Mädchen Designerin, Schwimmlehrerin oder Kindergärtnerin. Die Mutter kann zwar inzwischen perfekt Lesen und Schreiben, müht sich hingegen immer noch mit dem Deutschkurs ab. Die gesamte Familie ist daher nach wie vor von Sozialleistungen abhängig. In 16 Monaten läuft der Aufenthaltstitel der Mutter aus. Es ist kaum zu erwarten, dass sie bis dahin ihre Familie allein unterhalten kann, was aber für eine Verlängerung des Aufenthaltstitels jedenfalls dann von ihr erwartet werden wird, wenn Afghanistan als „sicheres Herkunftsland“ eingestuft werden sollte. Sie wird also vermutlich abgeschoben werden. Und mit ihr – mangels eigenständigen Aufenthaltsrechts – auch ihre Kinder. Der Junge wird zu diesem Zeitpunkt bereits die höhere Schule besuchen, die Tochter wird kurz vor dem Abschluss der dritten Klasse stehen. Beide werden sich vermutlich spätestens zu diesem Zeitpunkt als Deutsche empfinden, da sie nie eine andere Heimat gekannt haben. In Afghanistan hat der Junge damit zu rechnen, von den Taliban rekrutiert, einer brutalen Gehirnwäsche unterzogen und dabei permanent vergewaltigt und geschlagen zu werden; was dem Mädchen blüht, kann sich jeder selbst ausmalen.

Das politische Kalkül, das hinter dem Fehlen eines eigenständigen Aufenthaltsrechts für Kinder steckt, liegt auf der Hand: Man möchte verhindern, dass die Eltern dieser Kinder, die – etwa aufgrund mangelnder Schulbildung – nicht in der Lage sind, sich selbst und ihre Kinder zu unterhalten und also dem Sozialstaat „auf der Tasche liegen“, mittelbar über die Kinder ein langjähriges Aufenthaltsrecht erhalten. Diese gesetzgeberische Entscheidung ist aber nicht nur rechtswidrig und menschenfeindlich, sondern – in Zeiten angeblichen Nachwuchsmangels – auch äußerst kurzsichtig, wenn man bedenkt, dass sich gerade die Kinder, die in sehr jungen Jahren nach Deutschland kommen, am leichtesten und am besten integrieren und damit auch in unserer Gesellschaft konstruktiv mitwirken können.