Wissenschaftliches Symposium in Würzburg: Die Europäischen Güterrechtsverordnungen

Der Regensburger Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung (Prof. Dr. Anatol Dutta) veranstaltet am 10.2.2017 gemeinsam mit dem Deutschen Notarinstitut in Würzburg eine wissenschaftliche Tagung zu den im Sommer dieses Jahres vom europäischen Gesetzgeber erlassenen Güterrechtsverordnungen für Ehegatten und eingetragene Partner, die das internationale Güterrecht der Mitgliedstaaten ab Januar 2019 nahezu vollständig verdrängen werden. Das neue Recht soll einer ersten kritischen Analyse unterzogen werden.

Vortragen werden:

Prof. Dr. Andrea Bonomi, Université de Lausanne

Prof. Dr. Michael Coester, Ludwig-Maximilians-Universität München

Dr. Christoph Döbereiner, Notar in München

Prof. Dr. Anatol Dutta, Universität Regensburg

Dr. Andreas Köhler, Universität Passau

Prof. Dr. Christian Kohler, Europa-Institut der Universität des Saarlandes

Prof. Dr. Stephan Lorenz, Ludwig-Maximilians-Universität München

Prof. Dr. Peter Mankowski, Universität Hamburg

Joanna Serdynska, Europäische Kommission, Brüssel

Dr. Rembert Süß, Deutsches Notarinstitut, Würzburg

Dr. Johannes Weber, Geschäftsführer des Deutschen Notarinstituts, Würzburg

Teilnahmegebühr: 100 €. Auf Wunsch kann eine Bescheinigung über die Teilnahme und den Inhalt der Veranstaltung erteilt werden.

Anmeldung per Fax: 0931/35576-225 oder E-Mail: d.schmitt@dnoti.de. Programm und Anmeldeformular finden Sie aber auch hier.

Ordre public bei Kinderehen – Keine Überheblichkeit pflegen, sondern effektiven Kinder- und Jugendschutz gewährleisten

Eheschließung von Ausländern im Inland

Nach Art. 13 EGBGB unterliegen die Voraussetzungen für eine Eheschließung im Inland für jeden Verlobten dem Recht des Staates, dem er angehört. Nur wenn es danach an einer Voraussetzung fehlt, wäre deutsches Recht maßgeblich, wenn die Verlobten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben.

Nach Art. 13 Abs. 3 EGBGB kann eine Ehe im Inland nur in der hier vorgeschriebenen Form geschlossen werden, also vor einem Standesbeamten (§ 1310 BGB). Ist keiner der Verlobten Deutscher, kann die Ehe im Inland auch von einer Person geschlossen werden, die der Staat, dem einer der Verlobten angehört, dazu ermächtigt hat (Art. 13 Abs. 3 Satz 2 EGBGB). Das sind teilweise diplomatische oder konsularische Vertretungen, aber auch Militärgeistliche, Truppenoffiziere von Stationierungsstreitkräften oder griechisch-orthodoxe Geistliche, die von Ihrer Regierung benannt sind.

Würde eine ausländische Rechtsordnung für die Eheschließung geringere Voraussetzungen an das Alter der Verlobten stellen als die deutsche Rechtsordnung, könnte das als Verstoß gegen den ‚ordre public‘ angesehen werden und die standesamtliche Eheschließung in Deutschland hindern.

Im Ausland geschlossene Kinderehen im Inland

Eine im Ausland von Ausländern geschlossene Ehe bedarf aber keinerlei ‚Anerkennung‘ in Deutschland. Das deutsche Recht geht bei der Beurteilung der Rechtsnatur einer im Ausland geschlossenen Ehe von deren Beurteilung nach dem Recht des die Eheschließung beurkundenden Staates (oder Institution) aus. Die Ehe ist nach der Rechtsprechung des BVerfG eine auf Willenseinigung der Ehegatten unter staatlicher Mitwirkung formalisierte Rechtsgemeinschaft und Rechtseinrichtung (BVerfGE 29, 166, 176; 36, 146, 161 f.). Einen Gesetzesvorbehalt, der einen Grundrechtseingriff rechtfertigen könnte, kennt Art. 6 GG nicht (BVerfGE 36, 146 ). Deshalb ist es konsequent, wenn die deutsche Rechtsordnung den nach den Bestimmungen eines anderen Staates ordnungsgemäß erfolgten, für die Ehe konstitutiven Hoheitsakt hinnimmt und eine irgendwie geartete Anerkennung dieses staatlichen Aktes nicht kennt.

Ebenso konsequent ist es, dass das deutsche Recht für die Frage, ob eine Ehe nichtig ist oder aufgehoben werden kann, an das ausländische Recht anknüpft. Der Respekt der deutschen Rechtsordnung vor dem Hoheitsakt eines anderen Staates gebietet es, diesen nicht als nichtig anzusehen. Aus diesem Grund gilt auch im deutschen Recht eine mit einer geschäftsunfähigen Person geschlossene Ehe nicht als nichtig, sondern als aufhebbar (§§ 1314, 1304 BGB).

Ein minderjähriger, aber nicht geschäftsunfähiger Ehegatte (ab Vollendung des siebten Lebensjahres) kann auch von unserer Rechtsordnung nicht aus der Ehe gezwungen werden. Nach § 125 Abs. 1 FamFG gilt er als verfahrensfähig. Nur für den geschäftsunfähigen Ehegatten wird das Eheverfahren durch den gesetzlichen Vertreter geführt.

Angesichts dieser Rechtslage ist die jetzt geführte Diskussion um Kinderehen wenig verständlich. Wenn vorgeschlagen wird, im Ausland mit Minderjährigen geschlossenen Ehen im Inland ‚die Anerkennung‘ zu verweigern und sie ‚aufzuheben‘ (so Heiko Maas im Interview mit der katholischen Nachrichten-Agentur KNA am 3.11.2016), wird deutlich übers Ziel hinausgeschossen. Ausländische Ehen bedürfen in Deutschland keiner Anerkennung, ihre Aufhebung unterliegt dem Recht des Heimatstaates der Ehegatten. Dieser definiert die Voraussetzungen, unter denen die Eheschließung der Ehegatten staatlich testiert wird. Der staatlicherseits gebotene Respekt vor einer anderen staatlichen Rechtsordnung gebietet es, ihre das Personalstatut ihrer Bürger regelnde Hoheitsakte zu akzeptieren. Sie als ‚nichtig‘ oder – trotz Vorliegen der rechtlichen Voraussetzungen – durch einen anderen Staat ‚aufhebbar‘ zu bezeichnen, offenbart mangelnden Respekt einer sich ‚überlegen‘ dünkenden Rechtsordnung und damit ein Stück Rechtskolonialismus.

Schutzlos sind die minderjährig Verheirateten dadurch in Deutschland nicht:

  • Sind sie unter 14 Jahre alt, schützt sie – trotz Heirat – § 176 StGB vor sexuellem Missbrauch.
  • Das Recht zur Trennung voneinander schützt Art. 2 GG. Kinder- und Jugendschutz könnte darüber hinaus durch das Jugendschutzrecht wirksam gewährleistet werden.
  • Nichts spricht dagegen, einem minderjährigen Verheirateten von Amts wegen einen Vormund zu bestellen (§ 1773 BGB), wenn wegen eines fehlenden Kontakts zu den Eltern gem. § 1674 BGB das Ruhen der elterlichen Sorge festgestellt ist.
  • Nichts spricht auch dagegen, Eltern minderjähriger Verheirateter das Sorgerecht zu entziehen und einen Vormund einzusetzen, wenn dies das Wohl eines minderjährig Verheirateten erfordert.
  • Nichts spräche auch dagegen, einem minderjährigen Verheirateten selbst dann einen amtlichen Vormund zu bestellen, wenn die ausländische Rechtsordnung den volljährigen Ehegatten mit der Vormundschaft über den minderjährigen ausstatten würde. Auch das wäre durch § 1773 BGB gedeckt, weil nicht die ‚Eltern‘ die Sorge wahrnähmen.

Wie differenziert und wenig einem konservativen Empörungsritual folgend die Rechtsprechung solche Fälle handhabt, lässt sich an der Entscheidung des OLG Bamberg v. 12.5.2016 (FamRB 2016, 375) ablesen. Das Jugendamt bestand auf ‚begleitetem‘ Umgang der 16-jährigen Ehefrau mit ihrem 22-jährigen Mann, weil ansonsten eine Schwangerschaft des Mädchens durch ungeschützten Geschlechtsverkehr mit ihrem Mann zu erwarten sei.Das OLG verweigerte sich diesem Anliegen. Pädagogisch ist das nachvollziehbar, weil ansonsten das Diskothekenpublikum sich um die Begleitpersonen verdoppeln müsste und die meisten Eltern keine Lust verspüren werden, Anstandshündchen für ihre Kinder zu spielen. Was aber nichtverheirateten Jugendlichen erlaubt ist, sollte doch auch verheirateten Jugendlichen erlaubt sein. Juristisch ist die Entscheidung zu begrüßen, weil sie Respekt vor der eigenen und einer fremden Rechtsordnung dokumentiert. Nichts deutete im Übrigen auf eine Zwangsehe und eine Gefährdung des Mädchens hin.

Standesamts-, Notars- oder Gerichtsscheidung

Bericht über das 13. Symposium für Europäisches Familienrecht mit dem Thema: „Scheidung ohne Gericht? – Neue Entwicklungen im europäischen Scheidungsrecht“

Im Jahr 2008 hat sich die Anwaltschaft erfolgreich gegen die Notarscheidung in Deutschland gewehrt. Unter der Flagge des ‚Schutzes des Schwächeren vor Übervorteilung‘, betrieb die deutsche Anwaltschaft ein berufspolitisches Artenschutzprogramm, dessen Schutzobjekt der Scheidungsanwalt war.

Schaut man sich indessen in Europa um, so scheint Deutschland FFH-Gebiet für Scheidungsanwälte zu sein. Europaweit wird Scheidungswilligen zunehmend die Standesamts- oder Notarscheidung, manchmal auch beides angeboten. Dies jedenfalls ist die Quintessenz des 13. Symposiums für Europäisches Familienrecht, das vom 6. bis 8. Oktober in Regensburg stattgefunden hat.

So mancher Familienrechtler fragt sich ja schon länger, warum

  • wir einen Scheidungsgrund (Zerrüttung) brauchen, wenn es für die Eheschließung keines Grundes bedarf,
  • wir volljährigen Scheidungswilligen ein Trennungsjahr aufnötigen, wenn die Ehe ohne Wartezeit ratzfatz geschlossen werden kann,
  • wir die standesamtliche Beurkundung der Eheschließung zur Begründung der Ehe ausreichen lassen, den kontradiktorischen Akt aber dem Richter vorbehalten.

Diese dogmatischen Fragezeichen beantworten wir regelmäßig mit dem Argument,

  • die Ehegatten seien vor übereilter Scheidung,
  • ihre Kinder vor den Trennungsschäden,
  • der schwächere Ehegatte vor Übervorteilung und sozialem Abstieg

zu schützen.

Unüberlegte Haus- und Autokäufe lassen wir indessen zu, obwohl sie meist deutlich gravierendere ökonomische Folgen zeitigen. Auch greift der Staat nicht im Trennungs-, sondern erst im Scheidungsfall zum Kinderschutz, obwohl dieser im Zeitpunkt der Trennung doch viel wichtiger wäre.

Es ist nicht zu befürchten, dass der schwächere Scheidungspartner ‚über den Tisch gezogen‘ und entrechtet wird, wenn die Scheidung ziviler geschähe. Eine Rechtsbelehrung durch den den Scheidungswusch der Ehegatten beurkundenden Notar oder Standesbeamten ist ja wohl möglich und würde durch diese Urkundspersonen weit besser erfolgen, als durch den um seine Unbefangenheit bangenden Familienrichter. Bislang hat auch noch niemand eine zwingende Rechtsberatung vor der Eheschließung gefordert, um die durch diese ausgelösten teilweise als ruinös empfundenen wirtschaftlichen Folgen den Ehewilligen vor Augen zu führen.

Unser Gesetzgeber hat das Verbundverfahren eingeführt, das alles so komplex und schwierig macht. Im Versorgungsausgleich ist der Verbund nicht nötig, wenn die Beteiligten noch keine Rente beziehen. Sind sie Rentenbezieher, muss ohnehin eine unterhaltsrechtliche Übergangslösung bis zur Umsetzung der rechtskräftigen Versorgungsausgleichsentscheidung gefunden werden, weil nur selten die Höhe des späteren Versorgungszuflusses zuverlässig zu prognostizieren ist. Im Zugewinnausgleich ist das Verbundverfahren meist ein Anwaltsfehler und dient der Verfahrensverschleppung und Prolongierung des Trennungsunterhalts, also sachfremden Zwecken.

In meine Praxis kommen die Menschen notgedrungen, um einen Scheidungsantrag zu stellen, nicht weil sie sich der Scheidung widersetzen wollen. Und sie kommen, weil ihre wirtschaftlichen Belange nicht geklärt sind oder hinsichtlich bestimmter Kindschaftsfragen keine Einigkeit besteht. Das würde auch dann so bleiben, wenn die Ehescheidung beim Standesbeamten beurkundet würde.

Für Portugiesen, Spanier, Italiener und wohl auch bald die Franzosen, die Skandinavier und andere ist auch nicht das Abendland untergegangen, weil sie die Scheidung wieder ein Stück weit privatisiert haben. Luther setzte dem sakramentalen Charakter der Eheschließung entgegen, sie sei ‚ein weltlich Ding‘. Vielleicht ist es nach 500-jähriger Okkupation der Ehe durch den Staat im Hinblick auf Art. 1 und 2 GG an der Zeit, darüber nachzudenken, die Eheschließung und Scheidung wieder zu privatisieren. Das verhindert nicht die in Art. 6 GG geforderte staatliche Förderung der Ehe. ‚Pactum facit nuptias‘ galt im Römischen Recht. ‚Back tot he roots‘ ist manchmal ein Fortschritt. Trotzdem ist es unendlich schwierig, ein seit mehr als tausend Jahren bestehendes kulturelles Institut zu entmystifizieren. Gegen die dadurch verursachte Enttäuschung ist die juristische Dogmatik vielleicht machtlos.

 

 

 

 

Kein eigenständiges Aufenthaltsrecht für gut integrierte Flüchtlingskinder

Flüchtlingskindern wird unabhängig davon, wie gut sie sich in Schule und Gesellschaft integriert haben, kein eigenständiges Aufenthaltsrecht zuerkannt. Stattdessen hängt das Schicksal dieser Kinder so lange von dem aufenthaltsrechtlichen Status ihrer Eltern ab, bis sie „Jugendliche“ im Sinne des Gesetzes sind, also bis sie das 14. Lebensjahr erreicht haben. Diese Regelung hat die groteske Konsequenz, dass ein Flüchtlingskind, das in Deutschland geboren wurde und aufgewachsen ist, grundsätzlich abgeschoben werden kann, weil seine Eltern die aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllen, etwa, weil sie – aus welchen Gründen auch immer – von Sozialleistungen abhängig sind und/oder noch nicht ausreichend gut Deutsch sprechen. Dies gilt auch dann, wenn das Kind selbst die deutsche Sprache perfekt beherrscht, in der Schule erfolgreich und sozial hervorragend eingebunden ist, es also die besten Aussichten hat, in Deutschland auch beruflich erfolgreich zu sein. Die Rechtswidrigkeit dieser Regelung hat der Kollege Rechtsanwalt von Auer, Frankfurt am Main schon sehr pointiert bereits im Jahr 2013 in seinem Rechtstipp wie folgt dargestellt:

Zu Recht wird auch kritisiert, dass die Altersgrenzen- Antragstellung nach Vollendung des 15. und vor Vollendung des 21. Lebensjahres – zu eng gefasst sind. Hier kann sich etwa die offenkundige Diskrepanz ergeben, dass ein Jugendlicher, der erst mit 9 Jahren eingereist ist, bereits nach sechsjährigem geduldeten Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 a) Abs. 1 AufenthG erhalten kann, nicht aber ein im Bundesgebiet geborener 14-Jähriger. Dies läuft ersichtlich sowohl dem Grundsatz der faktischen Integration, der für die Regelung des § 25 a) AufenthG maßgeblich ist, als auch dem Gleichbehandlungsgrundsatz zuwider (vgl. Stellungnahmen der Sachverständigen Dr. Parinas Parhisi und Reinhard Marx in der öffentlichen Anhörung vor dem Innenausschuss des Deutschen Bundestages, Protokoll Nr. 17/34, S. 49, 50). Weiter wird darauf verwiesen, dass § 25 a) AufenthG auch auf die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 8 EMRK zur Verwurzelung gut integrierter Menschen und deren Entwurzelung bezüglich des Herkunftslandes (sog. „faktische Inländer“) zurückzuführen ist, die eine solche starre Altersgrenze nicht kennt (Göbel-Zimmermann in der öffentlichen Anhörung vor dem Innenausschuss des Deutschen Bundestages, Protokoll Nr. 17/34, S. 49). Auch die – nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 17/5093, S. 15) vorgenommene – Anlehnung des § 25 a) AufenthG an § 37 AufenthG – der unter weiteren Voraussetzungen ein Recht auf Wiederkehr im Falle einer achtjährigen Voraufenthaltsdauer im Bundesgebiet eröffnet – ist in Bezug auf die von dort übernommene Altersgrenze nicht sachgerecht: Die Altersgrenze in § 37 AufenthG ist dem Umstand geschuldet, dass die bereits einmal während des Voraufenthalts in Deutschland begründete Integration und Bindung an die hiesigen Verhältnisse nicht durch Zeitablauf während des Auslandsaufenthalts verloren geht. Eine solche Befürchtung eines Integrationsverlusts kann aber bezüglich Jugendlicher/Heranwachsender, die ihr Leben lang oder einen Großteil ihres Lebens ununterbrochen im Bundesgebiet verbracht haben, nicht bestehen (vgl. Stellungnahme des Ausschusses Ausländer- u. Asylrecht des DAV zum Entwurf eines „Zwangsverheiratungsbekämpfungsgesetzes“, S. 12).“

Rechtlich betrachtet ist damit das Wesentliche bereits gesagt. Zur Veranschaulichung der dramatischen menschlichen Konsequenzen dieses fehlenden eigenständigen Aufenthaltsrechts für Kinder, möchte ich hier ergänzend ein konkretes Beispiel aus der Praxis schildern: Eine alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern flieht vor den Taliban aus Afghanistan nach Deutschland. Sie ist Analphabetin und hat nie gelernt, wie man eigenständig lernt, weil sie in ihrer Heimat nie eine Schule besuchen durfte. Ihre Kinder waren zum Zeitpunkt der Flucht erst ein und drei Jahre alt. Sie kennen Afghanistan nicht. Die Flucht war für alle Beteiligten traumatisch und zog sich über fünf Jahre und verschiedene Länder hin. Die Kinder sind bei ihrer Ankunft in Deutschland sechs und acht Jahre alt. Heute, zwei Jahre später, sind die Kinder trotz ihrer Vergangenheit schon nicht mehr von ihren deutschen Klassenkameraden zu unterscheiden. Der kleine Junge hat die erste Klasse übersprungen und absolviert derzeit erfolgreich die dritte Klasse. Die kleine Tochter ist eine der besten Schülerinnen in ihrer (zweiten) Klasse. Beide treiben erfolgreich und begeistert Sport, nehmen an Lesewettbewerben und Schulaufführungen teil, haben viele (deutsche) Freunde, mit denen sie ihre Freizeit und Kindergeburtstage verbringen, und schmieden Pläne für die Zukunft. Der Junge will Polizist, Geheimagent oder Wissenschaftler werden, das Mädchen Designerin, Schwimmlehrerin oder Kindergärtnerin. Die Mutter kann zwar inzwischen perfekt Lesen und Schreiben, müht sich hingegen immer noch mit dem Deutschkurs ab. Die gesamte Familie ist daher nach wie vor von Sozialleistungen abhängig. In 16 Monaten läuft der Aufenthaltstitel der Mutter aus. Es ist kaum zu erwarten, dass sie bis dahin ihre Familie allein unterhalten kann, was aber für eine Verlängerung des Aufenthaltstitels jedenfalls dann von ihr erwartet werden wird, wenn Afghanistan als „sicheres Herkunftsland“ eingestuft werden sollte. Sie wird also vermutlich abgeschoben werden. Und mit ihr – mangels eigenständigen Aufenthaltsrechts – auch ihre Kinder. Der Junge wird zu diesem Zeitpunkt bereits die höhere Schule besuchen, die Tochter wird kurz vor dem Abschluss der dritten Klasse stehen. Beide werden sich vermutlich spätestens zu diesem Zeitpunkt als Deutsche empfinden, da sie nie eine andere Heimat gekannt haben. In Afghanistan hat der Junge damit zu rechnen, von den Taliban rekrutiert, einer brutalen Gehirnwäsche unterzogen und dabei permanent vergewaltigt und geschlagen zu werden; was dem Mädchen blüht, kann sich jeder selbst ausmalen.

Das politische Kalkül, das hinter dem Fehlen eines eigenständigen Aufenthaltsrechts für Kinder steckt, liegt auf der Hand: Man möchte verhindern, dass die Eltern dieser Kinder, die – etwa aufgrund mangelnder Schulbildung – nicht in der Lage sind, sich selbst und ihre Kinder zu unterhalten und also dem Sozialstaat „auf der Tasche liegen“, mittelbar über die Kinder ein langjähriges Aufenthaltsrecht erhalten. Diese gesetzgeberische Entscheidung ist aber nicht nur rechtswidrig und menschenfeindlich, sondern – in Zeiten angeblichen Nachwuchsmangels – auch äußerst kurzsichtig, wenn man bedenkt, dass sich gerade die Kinder, die in sehr jungen Jahren nach Deutschland kommen, am leichtesten und am besten integrieren und damit auch in unserer Gesellschaft konstruktiv mitwirken können.

Neues zur Vertretungsmacht von Ehegatten und zum Arztgeheimnis – § 1358 BGB soll wieder besetzt werden

Der Bundesrat (BR-Drucks. 505/16) hat eine Gesetzesinitiative auf den Weg gebracht, die viele Bürger verwundern wird, weil sie das Anliegen des Bundesrates längst erfüllt wähnen: Ehegatten und Lebenspartner sollen im Fall krankheits- oder behinderungsbedingter Beeinträchtigung der Handlungs- oder Willensentschließungsfreiheit füreinander handeln und entscheiden dürfen, soweit sie nicht getrennt leben.

Der Wortlaut von Absatz 1 der Norm soll wie folgt lauten:

§ 1358 BGB Beistand unter Ehegatten in Angelegenheiten der Gesundheitssorge und in der Fürsorge dienenden Angelegenheiten

(1) Soweit ein volljähriger Ehegatte auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung die nachgenannten Angelegenheiten nicht besorgen kann und weder einen entgegenstehenden Willen geäußert noch eine andere Person zur Wahrnehmung dieser Angelegenheiten bevollmächtigt hat und kein Betreuer bestellt ist, gilt sein volljähriger Ehegatte als bevollmächtigt,

  1. für den anderen Ehegatten gemäß § 630d Absatz 1 Satz 2 in Untersuchungen des Gesundheitszustandes, in Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einzuwilligen oder die Einwilligung zu versagen sowie ärztliche Aufklärungen nach § 630e Absatz 4 entgegen zu nehmen,
  2. für den anderen Ehegatten Willenserklärungen in Bezug auf ärztliche Behandlungsverträge, Krankenhausverträge sowie sonstige Verträge abzugeben und entgegenzunehmen, die der medizinischen Versorgung, Pflege, Betreuung oder Rehabilitation dienen, und dessen Rechte gegenüber den Erbringern solcher Leistungen wahrzunehmen,
  3. über Maßnahmen nach § 1906 Absatz 4 in Verbindung mit Absatz 1 und 2 in Bezug auf den anderen Ehegatten zu entscheiden und deren betreuungsgerichtliche Genehmigung einzuholen,
  4. für den anderen Ehegatten Ansprüche, die diesem aus Anlass von Krankheit, Behinderung, Pflegebedürftigkeit oder damit einhergehender Hilfebedürftigkeit zustehen, geltend zu machen und im rechtlich zulässigen Rahmen an Erbringer von medizinischen Leistungen, Pflege- oder Rehabilitationsleistungen abzutreten oder Zahlung an diese zu verlangen,
  5. zur Wahrnehmung der Angelegenheiten nach Nummer 1 bis 4 die Post des anderen Ehegatten entgegenzunehmen und zu öffnen.

Dies gilt nicht, wenn die Ehegatten getrennt leben (§ 1567 Absatz 1).

Die Frage, wie das „Getrenntleben“ festzustellen ist, mag Schwierigkeiten auslösen. Das Gesetz knüpft an die Erklärung des Ehegatten oder Lebenspartners an, nicht getrennt zu leben. Das ist vielleicht auch ganz gut und praxisnah. Insbesondere erfüllt eine solche Regelung die Erwartung von Ehegatten und Lebenspartnern, auch „in schlechten Zeiten“ füreinander einstehen zu sollen und auch füreinander einstehen zu können. Einzelheiten sind sicher zu diskutieren – und es wird viel zu diskutieren sein –, aber praktischer wird es allemal.

Rechtswidrige Umsetzung von Versorgungsausgleichsentscheidungen

Wird eine Ehe geschieden, wird der Versorgungsausgleich durchgeführt. In einem Fall lautete der Tenor der Entscheidung – wie üblicherweise bei der internen Teilung: „Zu Lasten der Versorgung der <ausgleichspflichtigen Person> wird zugunsten der <ausgleichsberechtigten Person> ein Anrecht in Höhe einer Monatsrente von 582 € bezogen auf den 30.9.2000 nach Maßgabe von § 36a der Versorgungsordnung begründet.“ Wenn nun – wie hier – zwischen Ehezeitende und der Rechtskraft der Entscheidung 16 Jahre liegen, fragt sich, ob die Rentenleistung des Versorgungsträgers zwischen Ehezeitende und Rechtskraft der Entscheidung vom Versorgungsträger bei der ausgleichspflichtigen Person zurückgefordert werden kann.

Die Architektenversorgung Baden-Württemberg meinte „ja“ und kürzte die Versorgung des Versorgungsbeziehers über den im Rahmen des Versorgungsausgleichs entschiedenen Kürzungsbetrag von 582 € monatlich hinaus, um die angebliche „Überzahlung“ der Versorgung bis zur Rechtskraft der Entscheidung zu kompensieren, obwohl die ausgleichsberechtigte Person nicht einmal Leistungen aus der Versorgung erhalten hatte. Sie zog einen Kapitalwert von immerhin mehr als 13.000 € dem ausgleichspflichtigen Mitglied ab. Auch argumentenreicher Protest des betroffenen Architekten bewirkte kein Einlenken. Erst Klageerhebung vor dem Verwaltungsgericht (öffentlich rechtlicher berufsständischer Versorgungsträger) brachte die abrupte Wende – ein sofortiges Anerkenntnis der Forderung.

Zu Recht: Die Ausgangsentscheidung im Versorgungsausgleich wird nach § 224 FamFG „erst mit Rechtskraft wirksam“. Bis dahin zahlt also der Versorgungsträger an den Berechtigten und mit Rechtsgrund.

Der Versorgungsträger berief sich zur Begründung seines Gesinnungswandels auf die BGH-Entscheidung zum Kapitalverzehr durch Rentenbezug (BGH v. 17.2.2016 – XII ZB 447/13, FamRB 2016, 176, 178). Nichts ist verkehrter. Denn da der Versorgungsträger auf Rentenbasis teilt und der Ausgleichswert in einer Rente angegeben ist, spielt das Problem des Kapitalverzehrs keine Rolle.

Das Verhalten dieses Versorgungsträgers ist keine Einzelfehlleistung. Versorgungsträger entdecken den Versorgungsausgleich als Geschäftsmodell zur Sanierung ihrer durch die Niedrigzinspolitik gebeutelten Versorgungssysteme. Es ist Aufgabe der Anwaltschaft, die Umsetzung der Versorgungsausgleichsentscheidungen zu kontrollieren. Der Einfallsreichtum der Versorgungsträger, aus dem Versorgungsausgleich Kapital zu schlagen, ist groß. Es wäre gut, wenn die ausgleichsberechtigten Personen die Korrektheit der Umsetzung von Versorgungsausgleichsentscheidungen prüfen ließen und Fehler der Umsetzung meldeten. Vielleicht würde es sich sogar lohnen, ein Fehlerregister aufzubauen.

 

Elternwunsch gleich Kindeswohl? Vegane Ernährung eines Kleinkindes (OLG Frankfurt v. 4.2.2016 – 4 UF 274/15)

Kindschaftsverfahren werden regelmäßig hochemotional geführt. Häufig haben die beteiligten Eltern eine schmerzhafte Trennung hinter sich und sehen sich sodann auch noch mit der Auseinandersetzung zu der Frage konfrontiert, im Haushalt welchen Elternteils künftig das oder die gemeinsamen Kinder leben werden. Nicht immer gelingt es den Eltern, emotionale Betroffenheit auszuklammern und ihr Verhalten konsequent darauf zu richten, was aus objektiver Sicht dem Kindeswohl am besten entspricht. Bestimmte Haltungen zum Erziehungsstil oder der allgemeinen Lebensführung werden nicht selten in einer intakten Beziehung gerade nur wegen dieser Beziehung mitgetragen, so dass deren Ende häufig auch das Ende der Akzeptanz der Erziehungsvorstellungen des anderen Elternteils ist.

Die damit einhergehende Problematik potenziert sich, wenn ein Elternteil zu Fragen der Ernährung oder der Gesundheitsfürsorge im Allgemeinen Vorstellungen verfolgt, die bei objektiver Betrachtung Risiken für ein ihm anvertrautes Kind befürchten lassen. Mit einem entsprechenden Sachverhalt hat sich das OLG Frankfurt in einer aktuellen Entscheidung auseinander gesetzt, in der es um die Frage der elterlichen Sorge ging vor dem Hintergrund einer streng veganen Ernährung eines Kleinkindes, die letztlich zu wiederholten kinderärztlichen Gefährdungsmeldungen u.a. wegen Wachstumsverzögerungen führte, bzw. einem Erziehungskonzept ohne erzieherische Vorgaben, sondern allein orientiert an den natürlichen Bedürfnisvorgaben des Kindes. In dieser Situation begehrte der Kindesvater, in dessen Obhut sich zum Zeitpunkt der Trennung das zweijährige Kind befand, das Recht der Gesundheitsfürsorge sowie das Aufenthaltsbestimmungsrecht. Gegenläufig verfolgte die Mutter mit ihrem Antrag die alleinige elterliche Sorge in ihrer Gesamtheit.

Die rechtliche Situation stellt sich so dar, dass bei bestehender gemeinsamer elterlicher Sorge und nicht nur vorübergehender Trennung der Eltern die Übertragung von Teilbereichen der elterlichen Sorge oder deren Übertragung in ihrer Gesamtheit gem. § 1671 Abs. 1 Nr. 2 BGB geltend gemacht werden kann. Steht bei nicht verheirateten Elternteilen die elterliche Sorge der Mutter nach § 1626a Abs. 3 BGB zu, so eröffnet § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB dem Vater die Möglichkeit zur Erlangung der alleinigen Sorge. In beiden Konstellationen bedarf es einer sog. großen Kindeswohlprüfung.

Im ersten Schritt erfolgt die Prüfung, ob die Aufhebung oder Nichtherstellung der gemeinsamen Sorge im Interesse des Kindes liegt, wobei nach geltender höchstrichterlicher Rechtsprechung es bezüglich der gemeinsamen Sorge keinen Vorrang gegenüber der Alleinsorge gibt. Entscheidend ist vielmehr, ob zwischen den Eltern eine tragfähige soziale Beziehung besteht, die ihnen die gemeinsame Ausübung der elterlichen Verantwortung ermöglicht. Es bedarf daher einer objektiven Kooperationsfähigkeit und einer subjektiven Kooperationswilligkeit, um im Interesse des Kindes regelungsbedürftige Fragen gemeinsam zu entscheiden.

Kann eine solche tragfähige Beziehung nicht festgestellt werden, so ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge gerade auf den antragstellenden Elternteil sich als die dem Kindeswohl beste Entscheidung darstellt. Der unbestimmte Begriff des Kindeswohls wird dabei von mehreren Kriterien näher präzisiert. Ein wesentlicher Aspekt ist der Kontinuitätsgrundsatz, d.h. die Frage, welcher Elternteil auch künftig eine möglichst einheitliche, stabile und gleichmäßige Erziehung und Betreuung des Kindes wird gewährleisten können. Ebenso bedeutsam ist der Förderungsgrundsatz, d.h. inwieweit ein Elternteil aufgrund eigener pädagogischer Kompetenz dem Kind in seiner weiteren Entwicklung die notwendige Sicherheit und Orientierung geben kann. Hierbei spielt es eine Rolle, ob dieser Elternteil ein tragfähiges Erziehungskonzept hat, er als Betreuungsperson stabil und verlässlich ist und letztlich ihm auch eine Bindungstoleranz attestiert werden kann. Gerade der Bindungstoleranz kommt eine wesentliche Bedeutung zu, d.h. der Fähigkeit eines Elternteils, spannungsfreie Kontakte des Kindes mit dem jeweils anderen Elternteil nicht nur zuzulassen, sondern in eigener Person auch zu fördern. Ebenso bedeutsam sind die Bindungen des Kindes sowohl zu seinen Eltern als auch zu Geschwistern oder engen Bezugspersonen des sozialen Umfeldes. Letztlich darf auch der Kindeswille nicht außer Betracht bleiben, der mit zunehmendem Alter des Kindes auch Ausdruck einer sich verstärkenden Selbstbestimmung ist. Die vorab dargestellten Kriterien stehen nicht kumulativ nebeneinander. Sie sind jeweils einzelfallbezogen mit entsprechender Gewichtung zu prüfen, um die dem Kindeswohl am besten entsprechende Regelung zu finden.

Im Fall des OLG Frankfurt hatte das Familiengericht dem Vater unter Zurückweisung des Antrags der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht und die Gesundheitssorge zur alleinigen Ausübung übertragen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Mutter blieb vor dem OLG ohne Erfolg, da die Bereitschaft, eigene Ernährungs- und Erziehungsvorstellungen den Bedürfnissen des Kindes anzupassen, bei der Mutter nicht vorhanden sei.

In der Praxisberatung sollte darauf geachtet werden, dass im Mittelpunkt jeder zu treffenden Entscheidung das Kindeswohl steht. Dieses muss nicht immer deckungsgleich sein mit den Wünschen und Vorstellungen eines Elternteils. Zu Beginn jeder Mandatierung sollte immer die umfassende Erörterung stehen, worauf sich das eigentliche Interesse eines Elternteils richtet. Dies muss nicht immer zwingend die formale Position einer Sorgerechtsinhaberschaft sein.

„Nehmen Sie das Kind einfach mit, wenn er bei der Arbeit ist“ – Ist dieser anwaltliche Ratschlag strafbar?

Wenn nach einer Trennung ein Elternteil die bisher gemeinsame Wohnung verlassen möchte, ist die erste Frage, die er an den Anwalt richtet, meist, ob er die gemeinsamen Kinder an den neuen Wohnort mitnehmen darf und ob er den anderen Elternteil vorher fragen muss.

1. Typischer anwaltlicher Ratschlag in der Praxis

In der Praxis lautet der anwaltliche Ratschlag erfahrungsgemäß sehr häufig, man solle das Kind einfach an den neuen Wohnort mitnehmen, wenn der andere Elternteil gerade nicht zu Hause ist. Dieser Ratschlag wird insbesondere dann erteilt, wenn der Elternteil, der ausziehen will, die Kinder bis dahin überwiegend betreut hat. Davon, den anderen Elternteil über dieses Vorhaben zu informieren, wird meist abgeraten, damit dieser sich nicht durch eine einstweilige Anordnung rechtzeitig zur Wehr setzen kann, sondern vor vollendete Tatsachen gestellt wird. Ist der Auszug mit dem Kind oder den Kindern erst einmal vollzogen, dauert es häufig Wochen, bis endlich eine Gerichtsentscheidung bzgl. der Herausgabe des Kindes bzw. des Aufenthaltsbestimmungsrechts getroffen ist. Da die Entscheidung nicht nach dem Schuldprinzip, sondern ausschließlich in Orientierung am Wohl des Kindes gefällt wird, kann der übergangene Elternteil den Umzug seines Kindes, das sich möglicherweise schon am neuen Wohnort eingewöhnt hat, oft nicht mehr rückgängig machen.

2. Strafbarkeit dieses Ratschlags

Meines Erachtens ist ein solcher überraschender, heimlicher Umzug mit dem gemeinsamen Kind ohne Einverständnis des anderen Elternteils strafbar gemäß § 235 Abs. 1 Nr. 1 StGB, womit sich auch ein Anwalt, der einen solchen Ratschlag erteilt, wegen Anstiftung strafbar macht:

Der objektive Tatbestand der Vorschrift setzt voraus, dass einem Elternteil ein Kind mit Gewalt, Drohung oder List entzogen wird. Der Tatbestand der Entziehung ist bei gemeinsamer Sorge jedenfalls dann erfüllt, wenn ein Elternteil das Sorgerecht unter Ausschluss des anderen auf Dauer für sich in Anspruch nimmt. Dies ist in dem oben geschilderten Fall jedenfalls bzgl. des Aufenthaltsbestimmungsrechts der Fall. Gewalt und Drohung liegen hier ersichtlich nicht vor, meines Erachtens ist hier aber das Tatbestandsmerkmal der „List“ regelmäßig zu bejahen. „List“ ist ein Verhalten, das darauf abzielt, unter geflissentlichem und geschicktem Verbergen der wahren Zwecke der Mittel die Ziele des Täters durchzusetzen. Dies ist nach herrschender Meinung bereits dann anzunehmen, wenn der Täter die Unkenntnis des anderen von seinem Vorhaben ausnutzt (siehe nur Wieck-Noodt in MünchKomm/StGB, § 234 Rz. 38). Wenn ein sorgeberechtigter Elternteil hinter dem Rücken des anderen einen Umzug plant, um dann überraschend auszuziehen, ist aber meines Erachtens genau dies der Fall.

Der subjektive Tatbestand ist bei entsprechender Planung ohne weiteres erfüllt. Auch von einem rechtfertigenden mutmaßlichen Einverständnis des anderen kann hier nicht ausgegangen werden, da der Elternteil, der das Kind überraschend und heimlich mitnimmt, ja gerade davon ausgeht, dass der andere Elternteil nicht einverstanden sein wird, da sonst diese Vorgehensweise nicht erforderlich wäre.

3. Praxishinweis

Wie über jede juristische Frage kann man sicherlich über die Strafbarkeit eines unangekündigten Umzugs mit einem gemeinsamen Kind streiten. Fest steht aber jedenfalls, dass kein Anwalt sich dazu hinreißen lassen sollte, einen entsprechenden Ratschlag zu erteilen, da hier die Annahme einer strafbaren Anstiftung zur Kindesentziehung jedenfalls ernsthaft in Betracht kommt.

Ist der VKH-Prüfungstermin tot?

Mit zwei aktuellen Entscheidungen scheint sich die Rechtsprechung vom VKH-Prüfungstermin gem. § 118 Abs. 1 Satz 2 ZPO komplett verabschieden zu wollen:

Zum einen der BGH (Beschl. v. 12.7.2016 – VIII ZB 25/15, MDR 2016, 1108): Er weist richtigerweise darauf hin, dass ein Fall der entschuldigten Säumnis nur dann vorliegen kann, wenn die Säumnis ursächlich auf die Mittellosigkeit des betroffenen Beteiligten zurückzuführen ist. Im entschiedenen Fall hatte sich ein Kollege jedoch dazu hinreißen lassen, trotz fehlender Entscheidung über seinen VKH-Antrag (der sich in der Beschwerde beim OLG befand) die Sach- und Rechtslage zu erörtern. Wenngleich er am Ende der Sitzung keinen Antrag gestellt habe und somit säumig gewesen sei, habe er aber durch seine Beteiligung an der Erörterung bereits eine Terminsgebühr nach Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 3 VV-RVG, Nr. 3104 VV-RVG ausgelöst. Damit sei er ohne Rücksicht auf die Mittellosigkeit seines Mandanten tätig geworden, die damit nicht mehr ursächlich für die Säumnis gewesen sei, sodass auf den sprechenden Antrag der Gegenseite ein Versäumnisurteil hätte ergehen müssen. Danach darf im VKH-Erörterungstermin über alles geredet werden, nur nicht über die Sach- und Rechtslage und daher auch nicht über die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung.

Zum anderen das OLG Koblenz (Beschl. v. 16.3.2016 – 11 UF 731/15, FamRZ 2016, 1386): Wegen einer noch ausstehenden Entscheidung über einen bereits eingereichten VKH-Antrag hatte die Anwältin des Betroffenen dem Gericht angekündigt, zum nächsten Termin nicht zu erscheinen. Nach wenngleich nicht unumstrittener Ansicht des OLG Koblenz hätte in diesem Fall keine Versäumnisentscheidung ergehen dürfen, vielmehr hätte der Termin nach § 337 ZPO vertagt werden müssen, weil die Säumnis durch die Mittellosigkeit des Antragstellers bedingt und somit entschuldigt war.

Welcher Anwalt mag jetzt überhaupt noch zum VKH-Prüfungstermin erscheinen? Weder kann sein Erscheinen erzwungen noch ein Ordnungsgeld für sein Nichterscheinen verhängt werden. Und in der Sache selbst kann – wie man sieht – auch nichts passieren!