20 Jahre FamRB!

Mit der Januarausgabe 2021 ist der FamRB in seinen 20. Jahrgang gestartet. Das Konzept war damals neu: kurze und knackige Urteilsbesprechungen und ihre Einordnung in den Gesamtzusammenhang des Familienrechts, gepaart mit Aufsätzen für Praktiker, ohne dass wissenschaftlicher Tiefgang und Innovationskraft darunter leiden sollten. Das damals Neue hat sich bewährt. Jetzt haben sich alle an dieses Format gewöhnt und einige haben es kopiert.

Der damalige Konzeptwandel war möglich, weil die bis dahin notwendige Dokumentation von Urteilen und Beschlüssen aus dem Familienrecht durch das aufkommende Internet obsolet wurde. Jeder kommt heute an alle Entscheidungen der Gerichte. Bei dieser Ausgangslage konnte auf ellenlange Entscheidungsdokumentation verzichtet werden. Die Einordnung einer Entscheidung in die familienrechtliche Entwicklung und die Darstellung ihrer praktischen Bedeutung wurde möglich und wichtiger.

Beraterzeitschriften betreiben keine elitäre Wissensvermittlung. Sie sind für die Lektüre auf dem Gerichtsflur, in U- und S-Bahn und zum Durchblättern am Mittag geschaffen. Sie haben der Fachanwaltschaft „Waffengleichheit“ mit der Richterschaft verschafft. Sie sind schnell und konkret.

Der Verlag hat dem FamRB zwei Geschwister zur Seite gestellt, den monatlichen Newsletter und den FamRB-Blog, in dem aktuelle Fragen oder Entscheidungen aufgegriffen, vorgestellt und kommentiert werden. Einen Diskurs der Familienrechtler haben sie nicht zu begründen vermocht, obwohl dieser Gang in die Szene der Social Media eigentlich recht zeitgemäß erscheint. Es wäre also an der Zeit, dass Sie sich in die familienrechtliche Diskussion einmischen. Nutzen Sie unsere Kommentarfunktion, chatten Sie mit uns – entwickeln Sie ein zeitgemäßes, mit der Lebenswirklichkeit der Menschen harmonierendes Familienrecht mit!

Fachzeitschriften operieren immer noch wie antiquierter Frontalunterricht. Dabei bin ich sicher, dass sich alle Autorinnen und Autoren lebhaftere Resonanz der Leser auf ihre Beiträge wünschen. Email, Telefon und Internet machen das möglich. Nur wenn es gelingt, über Fachzeitschriften die Fachdiskussion zu beleben, werden wir auch in weiteren 20 Jahren noch Printmedien haben, bei denen die Lektüre des Inhaltsverzeichnisses der jeweiligen Ausgabe die Neugier weckt, auch mal etwas zu lesen, was man nicht konkret sucht und im Alltagsgeschäft unmittelbar verwerten kann. Online-Medien füllen mit ihrer Information eine Wissenslücke, derer man sich bewusst ist. Print-Medien bilden, weil Sie dem Leser Wissenslücken erst bewusstmachen, die sie im besten Fall auch gleich füllen. Deshalb werden sie auch noch in 20 Jahren ihre Berechtigung und Leser haben. Es bleibt die Aufgabe, wie wir die „alten“ mit den „neuen“ Medien noch besser verzahnen. Aber dazu haben wir ja die nächsten 20 Jahre Zeit. Den Geburtstagsglückwunsch wird dann aber ein anderer Autor schreiben dürfen.

Elterliches Hobby versus Kindeswohl? (OLG Frankfurt v. 27.10.2020 – 1 UF 170/20)

Dass ein – möglicherweise bereits während des elterlichen Zusammenlebens gepflegtes – Hobby nach der Trennung Anlass zur Prüfung einer Kindeswohlgefährdung sein kann, zeigt ein aktueller Beschluss des OLG Frankfurt.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt übten die getrenntlebenden Eltern die Sorge für ihren 2019 geborenen Sohn gemeinsam aus. Der Vater hielt im Zusammenhang mit dem von ihm betriebenen Schlittenhundesport u.a. fünf Huskys sowie einen Labrador. Seitens der Mutter wurde dem Umgang entgegengehalten, dass sie die Kontakte nur akzeptiere, wenn die Hunde sich in dieser Zeit im Zwinger befänden. Erstinstanzlich wurde dem Vater ein Umgang mit dem Kind zuerkannt, allerdings nur in Abwesenheit der Hunde. Auf seine Beschwerde wurde die Ausgangsentscheidung dahin abgeändert, dass er lediglich sicherzustellen hatte, dass während der Umgangskontakte das Kind nicht in Gegenwart von einem oder mehreren Hunden unbeaufsichtigt bleibe. Seine Entscheidung hat der Senat darauf gestützt, dass mit der Umgangsregelung auch Auflagen verbunden werden könnten, gerichtet etwa auf das Verbot der Gegenwart eines gefährlichen Tieres während des Umgangs. Im konkreten Fall gebe es keine Anhaltspunkte für eine konkrete Kindeswohlgefährdung, da die Hunderassen nicht als gefährlich einzustufen und auch nicht in der jeweiligen Gefahrenabwehrverordnung gelistet seien. Zudem könne davon ausgegangen werden, dass die Tiere regelmäßig trainiert würden und damit über einen Grundgehorsam verfügten. Eine abstrakte Gefahr aufgrund der Anzahl der Hunde, die eine weitergehende Regelung verlange, sei nicht zu erkennen. Ebenso seien auch keine Anhaltspunkte dargetan, dass der Vater seiner Elternverantwortung und Aufsichtspflicht während der Umgänge nicht genüge. Mit Blick auf die Bedenken der Mutter und die Loyalitätspflicht des Vaters sei es aber geboten, die Verpflichtung an den Vater zum Zweck der Klarstellung und mahnenden Erinnerung zu tenorieren, um eine besondere Aufmerksamkeit in Situationen sicherzustellen, in denen die Hunde besonders aufgeregt sein könnten.

Können sich Eltern außergerichtlich über die Umgangsregelung nicht verständigen, so bedarf es der gerichtlichen Entscheidung, in die die beiderseitigen Grundrechtspositionen der Eltern, das Kindeswohl und die Individualität des Kindes als Grundrechtsträger einzubeziehen ist. Oberster Maßstab der Entscheidung ist das Kindeswohl. Die gerichtliche Entscheidung umfasst üblicherweise nur Regelungen zur Umgangszeit, der Dauer und der Häufigkeit der Kontakte. Die konkrete Gestaltung des Umgangsablaufs obliegt primär dem Umgangsberechtigten, wobei der Loyalitätsverpflichtung gem. § 1684 Abs. 2 BGB in der Form Bedeutung zukommt, dass während des Kontakts Beeinflussungen des Kindes zu unterlassen sind. Darüber hinaus hat der umgangsberechtigte Elternteil auf die Kindesbelange – etwa bei gesundheitlichen Einschränkungen – Rücksicht zu nehmen. Werden seitens eines Elternteils am Kindeswohl orientiert Sicherheitsbedenken erhoben, die sich auch nicht als rechtsmissbräuchlich darstellen, so ist diesen bei der Ausgestaltung des Umgangs Rechnung zu tragen bzw. sind diese ggf. dann auch in die familiengerichtliche Regelung aufzunehmen. Besondere Bedeutung können derartige Sicherheitsbedenken im Zusammenhang mit Hobbys eines Elternteils erlangen. So kann durchaus ein Verbot, das Kind nicht auf einem Motorrad mitzunehmen, gerechtfertigt sein oder auch die Verpflichtung, dafür Sorge zu tragen, dass während des Umgangs ein gefährliches Haustier – etwa ein Kampfhund den das Kind zudem auch nicht kennt (z.B. KG Berlin v. 21.5.2002 – 18 UF 57/02, FamRB 2003, 9) – abwesend ist.

Da typischerweise das Verhalten des umgangsberechtigten Elternteils nicht darauf angelegt ist, das Kindewohl zu gefährden und ebenso der betreuende Elternteil nicht daran interessiert ist, die Heranführung des Kindes an das Hobby des anderen Elternteils prinzipiell zu verbieten, kann gerade in diesen Sachverhaltskonstellationen die Inanspruchnahme eines gemeinsamen Beratungsgesprächs beim Jugendamt deeskalierend wirken. Nach § 18 Abs. 3 SGB VIII haben nicht nur Kinder und Jugendliche einen eigenen Anspruch auf Beratung und Unterstützung bei der Anbahnung und Ausübung des Umgangsrechts, sondern auch Eltern, andere Umgangsberechtigte sowie Personen in deren Obhut sich das Kind befindet.

Mindestunterhaltsverordnung zum Dritten

Ab heute ist es offiziell: Es gibt eine „Dritte Verordnung zur Änderung der Mindestunterhaltsverordnung“ (VO v. 3.11.2020, BGBl. I, 2344).

Es deutete sich schon im August mit der Bekanntgabe der (vorläufigen) neuen Regelbedarfe an, mit der Veröffentlichung des 13. Existenzminimumberichts wurde es dann im September offensichtlich: Die sozialrechtlichen Bedarfe für Kinder sind von einem Jahr zum nächsten sehr viel stärker gestiegen, als es bei der Festsetzung des Mindestunterhalts für 2021 prognostiziert worden war. Der Grund dafür sind die im Frühsommer publizierten Daten der jüngsten Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS 2018), die dann noch einmal gemäß der Lohn- und Preisentwicklung fortgeschrieben werden mussten.

Das Ergebnis ist ein für Kinder steuerfrei zu stellendendes Existenzminimum von 5.412 Euro in 2021, also 541 Euro im Monat und damit 17 Euro mehr als in der zweiten Änderungsverordnung festgesetzt worden war. Eine so hohe Abweichung forderte eine Reaktion des Gesetzgebers heraus, der den Mindestunterhalt außerhalb des durch § 1612a Abs. 4 BGB vorgegeben Turnus an diese aktuelle Entwicklung angepasst hat. Der Mindestunterhalt wird sich daher ab Januar 2021 auf 393/451/528 Euro belaufen. Bei einem um mehr als 6% höheren Unterhalt handelt es sich um eine erhebliche Steigerung in einer Zeit, in der nicht wenige Arbeitnehmer mit den Folgen der Pandemie belastet sind. Daher ist es nur ein schwacher Trost, dass es zum Januar eine mit 15 Euro ebenfalls überproportionale Erhöhung des Kindergeldes geben wird. Diese genügt nicht, um den erhöhten Bedarf vollständig zu decken. Statt wie erwartet nahezu gleichbleibender Zahlbeträge ist beim Mindestunterhalt mit einer um 16,50 bis 23,50 Euro höheren Zahllast zu rechnen.

Neben diesen unterhaltsrechtlichen Folgen gibt es noch einen weiteren bemerkenswerten Gesichtspunkt. Der Anstieg der Regelbedarfe erfolgt keineswegs gleichförmig über alle Altersstufen. Vielmehr bleibt der Bedarf bei den 6 bis 13 Jahre alten Kindern praktisch unverändert, während bei den jüngeren und älteren Kindern (Regelbedarfsstufen 4 und 6) ein sprunghafter Anstieg von jeweils mehr als 13% zu verzeichnen ist. Daraus ergibt sich das paradoxe Ergebnis, dass der Bedarf von Jugendlichen noch über dem Bedarf der jungen Erwachsenen liegt, die als Schüler weiterhin im Elternhaus leben. Solche unerklärlichen Abweichungen sind geeignet, erneut Zweifel an einer sachgerechten Bemessung der existenznotwendigen Regelbedarfe zu nähren. Immerhin hat das BVerfG schon 2014 Bedenken hinsichtlich der Stichhaltigkeit der festgesetzten Beträge geäußert und auf die Gefahr einer Unterdeckung hingewiesen (BVerfG v. 23.7.2014 – 1 BvL 10/12, FamRZ 2014, 1765). Der Ruf nach grundlegenden Korrekturen dürfte lauter werden.

Oh, wie schön ist das Familienrecht

Ich sitze mit Werner Schulz an der Fertigstellung der 7. Auflage unseres Buchs Schulz/Hauß, Vermögensauseinandersetzung bei Trennung und Scheidung. Man sagt Juristinnen und Juristen ja eine gewisse Fantasielosigkeit nach. Das wäre zu prüfen:

Fall: M verliert bei der Einfahrt in sein Grundstück die Kontrolle über sein einkaufsbeladenes Fahrrad, das den 14 Jahre alten Wagen des mit ihm befreundeten Nachbarn N beschädigt. Da M haftpflichtversichert ist, lässt N ein Schadensgutachten erstellen und bittet M um Regulierung in Höhe von 3.000 €. Die Versicherung verweigert aus vertraglichen Gründen die Regulierung. Weil der Wagen alt, aber gleichwohl voll funktionsfähig ist, lässt N ihn nicht reparieren, macht aber den Schaden gegen seinen Freund M auch nicht weiter geltend. Vier Jahre nach diesem Ereignis trennen sich M und seine Frau FM, die eine intime Beziehung zu FN, der Frau des Nachbarn N begonnen hat. Unmittelbar nach der Scheidung fordert sie M zur Auskunft über sein Endvermögen auf. M gibt dieses mit 100.000 € an und vermindert es um die Schadenersatzforderung von N über 3.000 €. FM protestiert dagegen und vertritt die Ansicht, die Forderung sei verjährt und daher nicht zu passivieren. Auch FN fordert nach der Scheidung von N von diesem Auskunft über sein Vermögen. N gibt dieses mit 50.000 € an und wendet auf den Hinweis der Existenz der Schadensersatzforderung ein, diese sei verjährt und daher mit Null zu bilanzieren.

Dieser ‚kleine‘ Fall führt in die Herzkammer der Forderungsbewertung im Güterrecht und zu deutlich wahrnehmbaren Herzflimmern. Wenn der eine die einredebehaftete Forderung voll passiviert, der andere die gleiche Forderung aber nicht aktivieren kann, wird man nachdenklich und fragt, ob das richtig sein kann.

Ich meine ‚ja‘. Der Marktwert einer mit der Verjährungseinrede behafteten Forderung ist Null. Niemand würde N diese Forderung abkaufen. Die Schuld als Kehrseite der verjährten Forderung besteht aber, solange die Einrede nicht erhoben wird. Im Stichtag war dies nicht der Fall, weshalb es richtig ist die Forderung des N zu passivieren.

Dagegen könnte eingewandt werden, M habe die ‚Obliegenheit‘, die Einrede zu erheben und diese habe – als latente Konsequenz aus der Ehe – bereits vor dem Stichtag bestanden. Das allerdings widerspräche dem im Güterrecht herrschenden strengen Stichtagsprinzip. Ist die die Forderung vernichtende Verjährungseinrede ehezeitlich nicht erhoben worden, besteht die Schuld am Stichtag. Die nachehezeitliche Erhebung der Einrede ist eine nachehezeitliche Leistung. Es kann güterrechtlich keine ‚unsichere Schuld‘, wohl aber ‚unsichere Forderungen‘ geben. Die Schuld steht fest. Der Vermögenswert einer Forderung hängt – im Unterschied zur Schuld – vom Schuldner ab. Man würde ja bei im Stichtag bestehenden Verbindlichkeiten auch nicht die Chance der Restschuldbefreiung durch Insolvenz in die Bewertung der Höhe der zu bilanzierenden Schuld einbeziehen.

Deshalb wäre im obigen Beispiel die Schuld bei M zu passivieren und die Forderung bei N nicht als Vermögenswert einzustellen. Ein ‚sauberes Ergebnis‘, das vielleicht nicht von allen geteilt und von den im Beispiel beteiligten Frauen nicht goutiert werden wird.

Um das Problem noch ein wenig zu toppen: Nachdem die Frauen eine gleichgeschlechtliche Beziehung aufgebaut haben, ziehen die beiden Männer nach. FM verlangt von M Unterhalt. Kann dieser die Höhe seiner Unterhaltsverpflichtung mit Verweis auf die dem N gegenüber bestehende Schadensersatzpflicht vermindern und zulasten des Unterhaltsanspruchs die Forderung des N in 10 monatlichen Raten zu 300 € tilgen?

Ich meine nein, weil einerseits die Tilgung dieser Verbindlichkeit die ehelichen Lebensverhältnisse nicht geprägt hat und andererseits M die unterhaltsrechtliche Obliegenheit hat, sich – zur Verbesserung seiner unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit – auf Verjährung zu berufen. Außerdem würde es gegen das Verbot der Doppelberücksichtigung sprechen, die Forderung sowohl im Güterrecht, als auch im Unterhalt leistungsmindernd zu berücksichtigen.

Nacheheliche Solidarität wird im Unterhaltsrecht, nicht aber im Güterrecht geschuldet.

Über Widerspruch und Zustimmung zu diesen Thesen würde ich mich freuen. Nutzen Sie zu diesem Zweck die Kommentarfunktion!

Verbesserung des Kinderschutzes durch Änderung des Familienverfahrensrechts? (BT-Drucks. 360/20)

Am 24.6.2020 hat das Land Baden-Württemberg einen Gesetzesantrag im Bundesrat eingereicht (Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Kinderschutzes im Familienverfahrensrecht). Grundlage des Gesetzesantrags ist der Abschlussbericht der von der Landesregierung Baden-Württemberg eingesetzten Kommission Kinderschutz im Zusammenhang mit dem „Staufener Missbrauchsfall“.

Der Entwurf zielt auf eine Verbesserung des Kinderschutzes, indem vor allem die §§ 160 bis 166 FamFG Modifizierungen zugeführt werden sollen. Im Wesentlichen sind folgende Änderungen vorgesehen:

  • Die nach § 158 Abs. 2 FamFG „in der Regel“ zu veranlassende Bestellung eines Verfahrensbeistands soll bei den dort genannten Fallkonstellationen nun immer erfolgen.
  • In § 159 Abs. 2 FamFG soll die Anhörung eines unter 14-jährigen Kindes nicht nur zur Ermittlung seiner Neigungen und Bindungen erfolgen, sondern auch, wenn Verfahren nach §§ 1666, 1666a BGB geführt werden, wobei sich das Gericht zudem einen persönlichen Eindruck von dem Kind und ggf. auch seiner üblichen Umgebung zu verschaffen hat, wenn dies als sachdienlich erachtet wird.
  • Nach einem neu einzuführenden § 160a FamFG soll das Gericht, soweit es nach den Umständen veranlasst ist, auch dritte Personen persönlich anhören.
  • In Modifizierung zu § 162 Abs. 1 FamFG, soll das Gericht in Verfahren nach §§ 1666, 1666a BGB mit dem Jugendamt die Umsetzung und Umsetzbarkeit geplanter Maßnahmen erörtern, wobei die Beteiligung des Jugendamts an diesen Verfahren auch die ausreichende und umfassende Information über entscheidungserhebliche Tatsachen umfassen soll.
  • Nach der für § 163 Abs. 3 FamFG vorgesehenen Modifizierung soll das Gericht auch die beratende und unterstützende Beiziehung eines Sachverständigen anordnen können und
  • nach der für § 166 Abs. 2 FamFG geplanten Änderung soll das Gericht in angemessenen Zeitabständen überprüfen, ob eine getroffene Anordnung umgesetzt wurde und die Maßnahme wirksam ist.

So sehr jede Maßnahme, die der Verbesserung des Kinderschutzes dient, ausdrücklich zu begrüßen ist, hinterlassen die in dem vorab dargestellten Gesetzesantrag vorgesehenen Änderungen nicht zwingend den Eindruck, dass die in der Realität bestehenden Problemfelder tatsächlich erkannt wurden.

Die Bestellung eines Verfahrensbeistands für ein Kind in einem Verfahren nach §§ 1666, 1666a BGB ist dem Grunde nach eine Selbstverständlichkeit, da in diesen Verfahren typischerweise ein elterliches Fehlverhalten zur Prüfung steht und damit ein zwangsläufiger Loyalitätskonflikt des Kindes. Es versteht sich nicht nur von selbst, dass es hierdurch zu einem Widerstreit des Interesses des Kindes zu dem seiner Eltern kommt, sondern auch, dass nur durch die Bestellung eines Verfahrensbeistands die Interessen des Kindes gewahrt werden können.

Nach § 159 Abs. 2 FamFG ist das unter 14-jährige Kind persönlich anzuhören, wenn seine Neigungen, Bindungen oder der Wille des Kindes für die Entscheidung von Bedeutung sind. Sowohl das BVerfG als auch der BGH – etwa in der Entscheidung vom 27.11.2019 (BGH v. 27.11.2019 – XII ZB 511/18, FamRB 2020, 59) – haben in ständiger Rechtsprechung betont, dass Neigungen, Bindungen und der Kindeswille gewichtige Gesichtspunkte des Kindeswohls sind, deren Ermittlung die Anhörung eines auch unter 14-jährigen Kindes erfordert. Wenn diese Vorgaben bereits für jedes streitige Sorgerechtsverfahren gelten, so muss dies erst Recht in einem Verfahren nach §§ 1666, 1666a BGB gelten, in dem in intensivster Form das Kindeswohl auf dem Prüfstand steht. Dass darüber hinaus die Anhörung eines Kindes zudem Ausdruck der Gewährung rechtlichen Gehörs ist, muss eigentlich nicht gesondert betont werden. Bei konsequenter Anwendung bereits bestehender gesetzlicher Vorgaben – selbstredend vor dem Hintergrund der Kenntnis einer flankierend existenten höchstrichterlichen Rechtsprechung – bedarf es daher keiner Modifikation des § 159 Abs. 2 FamFG.

Auch die Zielsetzung der geplanten Korrektur des § 166 Abs. 2 FamFG erschließt sich nicht wirklich. Bereits jetzt sieht das Gesetz als verfahrensrechtliches Pendant zu § 1696 Abs. 2 BGB eine gerichtliche Prüfung kindesschutzrechtlicher Maßnahmen in angemessenen Zeitabständen vor. Es bedarf daher auch in diesem Kontext keiner gesetzlichen Modifikation, sondern allein einer konsequenten Umsetzung bereits bestehender Regelungen.

Gerade aus den Erkenntnissen zum „Staufener Missbrauchsfall“ muss die nicht von der Hand zu weisende Reformnotwendigkeit allerdings schon zu einem deutlich früheren Zeitpunkt ansetzen. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, dass

  • in dem dem Staufener Verfahren zugrunde liegenden Sachverhalt gegen den einschlägig vorbestraften und erst im Februar 2014 aus der Haft entlassenen Lebensgefährten der Mutter bereits im Frühjahr 2016 erneut wegen Kinderpornographie ermittelt und festgestellt wurde, dass er sich häufig in der Wohnung seiner Partnerin aufhielt, in der auch deren siebenjähriger Sohn lebte. Obgleich die Strafvollstreckungskammer seinen Antrag auf Wohnung bei der Lebensgefährtin im August 2016 zurückwies, wurde erst im Februar 2017 eine Wohnsitzüberprüfung durch die Polizei vorgenommen und auch erst einen Monat später das Jugendamt hierüber in Kenntnis gesetzt.
  • noch im Beschwerdeverfahren, d.h. im Sommer 2017 das Jugendamt keine Kenntnis über das gegen den Lebensgefährten bereits im Jahr 2016 geführte Ermittlungsverfahren besaß, aufgrund dessen auch Anklage gegen ihn erhoben worden war. Obgleich die Akten dem Oberlandesgericht bereits vor dem Anhörungstermin vorlagen, war dem Beschluss der Beschwerdeinstanz nicht zu entnehmen, dass diese Strafakten Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren und in irgendeiner Form in die Senatsentscheidung eingeflossen waren.

Der zwingende Reformbedarf setzt daher nicht erst im familiengerichtlichen Verfahren ein durch Korrektur von Vorschriften, die lediglich konsequent im Sinn einer bestehenden Rechtsprechung umgesetzt werden müssten. Bereits zu einem deutlich früheren Zeitpunkt bedarf es der verbesserten Zusammenarbeit der einzelnen Akteure, die dem Schutz von Kindern verpflichtet sind. Wünschenswert wäre eine bessere Vernetzung und Zusammenarbeit sowohl auf der Ebene zwischen Polizei und Jugendamt aber auch im Verhältnis zwischen Polizei und Jugendamt einerseits und dem Familiengericht andererseits. Aber auch länderübergreifend wäre eine verstärkte Kooperation wünschenswert. Zwar existieren in einzelnen Bundesländern besondere Verwaltungsvorschriften zur Überwachung rückfallgefährdeter Sexualstraftäter, doch wird in der Praxis Kritik an der Tatsache geübt, dass im Verhältnis der Bundesländer keine einheitliche Konzeption existiert.

Insoweit bringt vielleicht der am 9.10.2020 vom Bundesrat auf den Weg gebrachte Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung der Datenübermittlung bei Kindeswohlgefährdungen (BR-Drucks. 476/20) schon etwas, dessen Ziel es ist, mögliche Ursachen für Übermittlungsdefizite zwischen Familiengerichten, Staatsanwaltschaften und Jugendämtern zu beseitigen.

Buchtipp: Spangenberg, Ein kleines Rechtsproblem bleibt ungelöst

Ernst Spangenberg lässt uns mal wieder in seine Gedankenwelt blicken. „Ein kleines Rechtsproblem bleibt ungelöst.“ Die Frage hat sich sicher jedem Juristen in seinem Leben schon mal gestellt, wenn er zu sich ehrlich ist. Ernst Spangenberg wäre nicht Ernst Spangenberg, wenn er das nicht erstens zugäbe, zweitens darüber nachdächte, drittens darüber schriebe und male (wie auf dem Titelbild des Buches zu sehen) sowie viertens doch eine ihm eigene Lösung gefunden hätte.

Daraus hat er ein wunderbares neues Büchlein gezaubert, das sich jedoch nicht auf die Titelfrage beschränkt, sondern unterhaltsam und doch ernsthaft noch weitere schöne Begebenheiten aus der Wunderwelt des Rechts serviert, ja, auch des Familienrechts. Dabei werden uns bekannte Begriffe wie „Unterhaltsbemessung“ oder „Eheliche Lebensverhältnisse“ fein säuberlich und mit einem Schuss Humor in ihre Einzelteile zerlegt, wenn auch der Rezensent, der selbst in den juristischen Gazetten immer gegen die „Wandelbaren ehelichen Lebensverhältnisse“ nach Scheitern einer Ehe angeschrieben hat (u.a. in FamRB 2011, 120), mit der Hoffnung des Autors auf Wiederkehr eben dieses Begriffs hadert. Wer es weniger aktuell und doch spannend liebt, findet auch Besprechungen zu Fällen, die bis ins Jahr 1876 zurückreichen und, wie es auch auf dem Buchrücken steht, uns zweimal auf den Friedhof führen, uns an Kirchen- und Kuhglocken ergötzen lassen oder auch beim Kauf von Weihnachtsbäumen Empfehlungen geben. Als Höhepunkt verspricht uns der Autor – und hält das natürlich auch – eine Einführung in die Brötchenrechtsprechung sowie die „überfällige Darstellung des Schnarchbackenrechts.“ Schon jetzt verstehen wir Spangenbergs Schlusswort im Vorwort: „Dass wir Juristen uns durch einige Besonderheiten/Absonderlichkeiten auszeichnen, dürfte schon jetzt deutlich geworden sein.“

Passend dazu ist auch das Einführungszitat von Ernst Spangenberg, das zugleich einer Tagebuchnotiz von seinem letzten Arbeitstag als Familienrichter am 30. August 2002 entspringt: „Juristerei ist die Kunst, Hintertürchen zu entdecken, und sich …“, nein, mehr wird davon an dieser Stelle nicht verraten.

Wessen Interesse jetzt noch nicht geweckt ist, diese Kurzprosa auf 147 Seiten zu lesen, die im Justus von Liebig Verlag, Gagernstraße 9, 64283 Darmstadt, ISBN 978-3-87390-443-9, www.liebig-verlag.de erschienen ist, dem ist leider nicht zu helfen.

Straßburg locuta – causa finita (EuGH v. 17.9.2020 – C-5/18)

Im Elternunterhalt war unklar und streitig, ob der Sozialhilfeträger, der Sozialhilfeleistungen an eine pflegebedürftige Person erbringt, den ausschließlich im Ausland ansässigen Unterhaltspflichtigen auch vor dem Wohnsitzgericht der unterhaltsberechtigten Person im Inland auf Unterhalt in Anspruch nehmen kann oder ob am Wohnsitzgericht der unterhaltspflichtigen Person im Ausland Klage zu erheben sei.

Der EuGH hat diese Frage nun dahin gehend abschließend entschieden, dass auch ein Sozialhilfeträger den auf ihn übergegangenen Unterhaltsanspruch am Wohnsitzgericht der unterhaltsbedürftigen Person geltend machen kann, wenn die unterhaltspflichtige Person im Inland keinen Wohnsitz hat (EuGH v. 17.9.2020 – C-5/18).

Das ist eine schlechte Nachricht für all diejenigen, die hofften, die Sozialhilfeträger würden den Unterhaltsanspruch gegen sie im Ausland nicht geltend machen, weil sie die sprachlichen Hürden, die deutlich höheren Gebühren der Anwälte im Ausland und das Unverständnis der ausländischen Justiz gegenüber dem deutschen Recht scheuten.

Gut ist indessen, dass die Frage nunmehr entschieden ist.

VA-Reform auf Raten

Am 2.9.2020 hat das BMJV den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Versorgungsausgleichsrechts vorgelegt. Der Referentenentwurf sieht folgende Reparaturmaßnahmen vor:

  • Die externe Teilung von Anrechten eines privaten oder betrieblichen Versorgungsträgers soll zukünftig nur dann vom Versorgungsträger (gegen den Willen der ausgleichsberechtigten Person) verlangt werden können, wenn der Gesamtwert der von dem Versorgungsträger auszugleichenden Anrechte die Grenzwerte des § 14 Abs. 2 Nr. 2 VersAusglG (derzeit 63,70 € Rente bzw. 7.644 € bei einem Kapitalbetrag) bzw. § 17 VersAusglG (Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung) nicht übersteigt.
  • Ausgleichsansprüche nach der Scheidung sollen auf Wunsch der ausgleichsberechtigten Person angeordnet werden können, wenn das auszugleichende Anrecht des ausgleichspflichtigen Gatten durch Versorgungsleistungen des Versorgungsträgers (Rentenzahlungen) nach Ehezeitende aber vor der Entscheidung über den Versorgungsausgleich ausgezehrt wurde (Fälle des ‚Kapitalverzehrs‘).
  • Leistet der Versorgungsträger während der Laufzeit des Versorgungsausgleichsverfahrens vertragsgemäß an die versicherte Person eine Rente, ist er gegenüber der ausgleichsberechtigten Person bis zur Übergangszeit (§ 30 Abs. 2 VersAusglG) nach dem Wortlaut der Norm von Leistungen befreit. Klarstellend wird nunmehr festgelegt, dass dies nur im Umfang der tatsächlichen Leistungen an die ausgleichsberechtigte Person gilt.
  • Der Zeitpunkt für die frühestmögliche Antragstellung auf Abänderung des Versorgungsausgleichs wird von 6 auf 12 Monate vor dem voraussichtlich ersten Versorgungsbezug eines geschiedenen Gatten erweitert (§ 226 Abs. 2 FamFG-E).

Alle diese Reformpunkte sind sinnvoll:

Die für Versicherungsvertreter attraktiven Abschlussprämien für Neuverträge haben eine teilweise kurios hohe Zahl von Kleinstversicherungen beim gleichen Konzern zur Folge, die dann in ein Ärgernis umschlägt, wenn im Versorgungsausgleich diese Anrechte unter dem Schwellwert der Ausgleichspflicht liegen, in der Summe diesen aber deutlich übersteigen. Auch in der betrieblichen Altersversorgung werden teilweise eine ganze Reihe von Kleinversorgungen begründet, die einzeln, aber nicht in der Summe unter dem Schwellwert der Beitragsbemessungsgrenze bleiben. Es ist gut, dass der Gesetzgeber den Anreiz, die interne Teilung durch Begründung mehrerer Kleinstanrechte zu vermeiden, verbaut.

Bezieht die ausgleichspflichtige Person bereits Leistungen aus einem auszugleichenden Anrecht, kann dessen Kapitalwert absinken. Das kann dazu führen, dass – egal in welcher Teilungsform – die ausgleichsberechtigte Person eine inadäquat niedrige Versorgung erhält. Das Gesetz soll nun auch in diesen Fällen die ‚Flucht in den schuldrechtlichen Ausgleich‘ (nach der Scheidung) öffnen. Niemand muss befürchten, dabei den Rentenanspruch gegen den Versorgungsträger nach Versterben der ausgleichspflichtigen Person zu verlieren. § 25 Abs. 2 VersAusglG schließt diesen nur bei einem ‚Vergleich‘ aus. Bevor man allerdings für den schuldrechtlichen Ausgleich optiert, sollte man prüfen, ob die Versorgungsordnung der auszugleichenden Versorgung überhaupt eine Hinterbliebenenversorgung gewährt oder eine solche durch eine Wiederverheiratungsklausel eingeschränkt ist, die einer Witwe nach Wiederverheiratung mit einem neuen Mann eine Hinterbliebenenversorgung (leider zulässigerweise) verwehren würde.

Ebenso zu begrüßen ist die Klarstellung, dass bei Zahlungen des Versorgungsträgers an die ausgleichspflichtige Person im ‚Nirvana‘ der Übergangszeit zwischen Kenntnis der Rechtskraft und dem letzten Tag des darauf folgenden Monats nur in Höhe der tatsächlichen Zahlung gegenüber der ausgleichsberechtigten Person befreit wird. Diese Klarstellung beseitigt bestehende Unsicherheiten und bereicherungsrechtliche Abwicklungsansprüche zwischen den Ehegatten.

Die Verlängerung der Frist für die Antragstellung in Abänderungsverfahren von 6 auf 12 Monate vor dem voraussichtlich ersten Rentenbezugs eines der Ehegatten (§ 226 Abs 2 FamFG-E) ist ebenfalls zu begrüßen, weil sie realistischer die Laufzeiten von Abänderungsverfahren reflektiert. Auch 12 Monate reichen meist nicht, weil die Überlastung der auskunftspflichtigen Versorgungsträger und Sachverständigen und die Begeisterung der erstinstanzlichen Gerichte, Abänderungsverfahren zu führen, immer noch zu optimistisch eingeschätzt wird. Die Anwaltschaft kann ihren Mandanten in diesen Fällen nur dadurch helfen, dass der frühestmögliche Bezug einer in den Versorgungsausgleich einbezogenen Rente auch als der voraussichtliche Rentenbezugstermin benannt wird. Änderungen in der Lebensplanung (wie seniler Spaß an verlängerter Erwerbstätigkeit) sind nie vorhersehbar, aber der Berechtigung zur Einleitung eines Abänderungsverfahrens auch nicht abträglich.

Das Ministerium kündigt eine Nachbesserung des Versorgungsausgleichs nach gründlicher Evaluation des status quo an. Das klingt gut. An einigen Stellen wäre nachzubessern. Dringlich wäre es, die Auskunftspflichten der Versorgungsträger zu konkretisieren. Bei Schaffung des Gesetzes ging man davon aus, dass ein Versorgungsträger selbstverständlich bei einer Rentenversicherung

  • die ehezeitlich erworbene Rentenhöhe,
  • die Rentendynamik,
  • das Renteneintrittsalter,
  • das Leistungsspektrum und
  • den zur Berechnung des Kaptalwerts angewendeten Rechnungszins

unaufgefordert mitteilt.

Die Praxis zeigt, dass das nicht der Fall ist, weshalb die Kontrolle der Kapitalwerte oft nur durch einen Sachverständigen[1] möglich ist oder den Beteiligten einen Blindflug abfordert.

Auch vor dem Hintergrund der Entscheidung des BVerfG zur grundrechtswahrenden Adäquanz bei externer Teilung von Versorgungen (BVerfG v. 26.5.2020 – 1 BvL 5/18, FamRB 2020, 261) hätte es nahe gelegen, die Auskunftspflichten der Versorgungsträger zu konkretisieren. Die Zeitspanne war aber wohl zu kurz, um dies noch in den Entwurf einzuarbeiten.

[1] Oder mit dem kostenlos auf der Homepage des FamRB unter www.famrb.de/muster_formulare.html erhältlichen Berechnungstool „Kapitalwertkontrolle 2020“.

Urlaubsreisen in Coronazeiten (OLG Braunschweig v. 30.7.2020 – 2 UF 88/20)

Das Coronavirus bestimmt seit einigen Monaten unser Leben in allen Facetten. Dinge, die bislang selbstverständlich waren, müssen nun hinterfragt und auf den Prüfstand gestellt werden. Selbst Alltagsabläufe betreffen regelmäßig nicht mehr nur uns persönlich. Vielmehr müssen wir uns stets vor Augen führen, dass wir durch „Selbstverständlichkeiten“ Risiken für unser soziales Umfeld auslösen oder vergrößern und damit Menschen in ernsthafte gesundheitliche Gefahren bringen können. Dies gilt umso mehr, als nach wie vor zentrale Fragen im Zusammenhang mit dem Virus noch keiner abschließenden Klärung zugeführt werden konnten. Die unverändert bestehende Gefahrenlage erfordert eine ebenso sorgfältige wie kontinuierliche Einhaltung von Schutzmaßnahmen, ohne dabei den Blick für Fragen der Verhältnismäßigkeit zu verlieren.

Kaum ein anderes Rechtsgebiet wird durch die Corona-Problematik so betroffen wie das Familienrecht und hier insbesondere das Kindschaftsrecht. Die Alltagsgestaltung von Kindern im Haushalt ihres Obhutselternteils, aber auch anlässlich der Wahrnehmung von Umgangskontakten beim jeweils anderen Elternteil war bereits ohne Corona ein heftig bestrittenes Feld. Gerade Urlaubsreisen haben immer wieder zu Auseinandersetzungen geführt über die Fragen, inwieweit der andere Elternteil über das Urlaubsziel oder den genauen Urlaubsablauf informiert sein muss bzw. ob denn der Urlaub bereits dem Grunde nach von seiner Zustimmung abhängig ist.

Hierzu hat die Rechtsprechung bislang die Auffassung vertreten, dass ein Elternteil grundsätzlich über den Ort des Ferienumgangs und die Art der Ferien frei entscheiden und damit auch Urlaubsreisen mit dem Kind unternehmen kann, ohne dies von der Zustimmung des mitsorgeberechtigten Elternteils abhängig zu machen. Unbeschadet der jeweils einzelfallbezogen vorzunehmenden Bewertung wird lediglich eine Grenze gezogen, wenn eine Auslandsreise in ein dem Kind fremdes, in einem anderen Kulturkreis liegendes Land in Rede steht, selbst wenn es das Heimatland des begleitenden Elternteils ist. Gleiches gilt für Reisen in Krisengebiete oder Urlaubsregionen, für die Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes vorliegen. In diesen Konstellationen stellt die Urlaubsreise keine Alltagsangelegenheit mehr dar, die der Alleinentscheidungskompetenz jenes sorgeberechtigten Elternteils obliegt, in dessen Obhut sich das Kind – auch aufgrund eines Umgangsrechts – befindet. Vielmehr ist dann von einer Angelegenheit von erheblicher Bedeutung auszugehen, die die Zustimmung des anderen Elternteils erfordert. Kann diese Zustimmung nicht in direkter Abstimmung der Eltern erreicht werden, so bedarf es zu dieser spezifischen Frage einer familiengerichtlichen Entscheidung nach § 1628 BGB, d.h., es ist einem Elternteil die Entscheidungskompetenz diesbezüglich zu übertragen.

Mit einer entsprechenden Problematik hat sich aktuell das OLG Braunschweig befasst, in der es allerdings nicht um Gefahren ging, die den Kindern aus den Besonderheiten des konkreten Urlaubslands drohten, sondern vielmehr aus dem Transport zum Reiseziel. Die Kindesmutter hatte für die Zeit vom 1.8. bis zum 15.8.2020 eine Flugreise nach Mallorca geplant, wobei diese Reise zugleich auch einen gerichtlich geregelten Umgangskontakt des Vaters mit den beiden Kindern überlagerte. In einem Vermittlungsverfahren signalisiert er, dass er mit einer Urlaubsreise in das europäische Ausland durchaus einverstanden sei, wenn von der Benutzung des Flugzeugs Abstand genommen und die Reise mit einem Pkw durchgeführt werde. Das OLG Braunschweig hat ihm im Beschwerdeverfahren die Entscheidungsbefugnis für diese Urlaubsreise übertragen und zur Begründung ausgeführt, dass sich bei Urlaubsreisen die Bedeutung der Angelegenheit aus der Abwägung der sich einerseits für die kindliche Entwicklung bietenden Vorteile und den andererseits bestehenden Nachteilen, d.h. mit der Reise verbundenen Gefahren ergibt, wobei für letztere eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes Indiz sein kann. Auch wenn zwischenzeitlich die Beschränkungen für innereuropäische Flugreisen gelockert sind und zum Stand 30.7.2020 für Mallorca keine Reisewarnung vorlag (was sich zum Zeitpunkt der Einstellung dieses Blogbeitrags bereits geändert hat), verweist das Auswärtige Amt auf unverändert bestehende Einschränkungen im internationalen Luft- und Reiseverkehr, folgend aus der Verbreitung von COVID-19. Unter Berücksichtigung der nach wie vor bestehenden Unsicherheiten zur eindeutigen Identifizierung der Infektionswege des Virus, kann die Infektionsanfälligkeit nicht ausreichend verlässlich prognostiziert bzw. sind keine Prognosen möglich zu einer ggf. erhöhten Ansteckungsgefahr bei Flugreisen. Eine mögliche längere Quarantäne oder das Festsitzen im Ausland stellen eine nicht unerhebliche Belastung für das seelische Wohlbefinden eines Kindes dar, ebenso wie die hieraus folgenden möglichen schulischen Abwesenheitszeiten. Bei der Bewertung, welchem Elternteil die Entscheidungskompetenz zu übertragen war, schied die Kindesmutter aus, da die von ihr gebuchte Reise das auf einer Kindeswohlprüfung beruhende, gerichtlich geregelte Umgangsrecht missachtete und damit nicht kindeswohldienlich war. Noch im Vermittlungstermin hatte sie erklärt, dass sie die Reise auch gegen den Willen des Vaters durchführen werde.

Steigende Infektionszahlen im Zusammenhang mit Urlaubsrückkehrern bestätigen durchaus die Entscheidungsbegründung des OLG Braunschweig. In Ausgestaltung der elterlichen Verantwortung für Kinder sollte daher ebenso selbstverständlich die Frage gerechtfertigt sein, ob auch im Jahr 2020 eine Flugreise zwingende Voraussetzung zur Sicherstellung des Kindeswohls ist. Zumindest dürfte klargestellt sein, dass die Entscheidungskompetenz für eine Flugreise von Kindern während der Corona-Pandemie nicht allein bei einem Elternteil liegt.

Harte Zeiten für Umgangsblockierer (Saarländisches OLG v. 11.12.2019 – 6 WF 156/19)

Die zwangsweise Durchsetzung von Verfügungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit war bis zum Inkrafttreten des FamFG zum 1.9.2009 nicht nur mit erheblichen gesetzlichen Lücken behaftet, sondern bewegte sich auch in einem zeitintensiven Verfahren. Mit der Umstellung von Zwangsmitteln auf Ordnungsmittel zur Durchsetzung von Umgangs- und Herausgabeentscheidungen hat der Gesetzgeber die zur Verfügung stehenden Vollstreckungsmaßnahmen allerdings verschärft. Zu einer Beschleunigung des Vollstreckungsverfahrens hat zudem die Tatsache geführt, dass die Hinweispflicht auf die Folgen einer Zuwiderhandlung gegen einen Umgangstitel in das Ausgangsverfahren verlagert ist und damit ein nach früherer Gesetzeslage noch notwendiger zeitlich verzögernder weiterer Verfahrensschritt entfallen ist.

Wird gegen eine gerichtliche Entscheidung oder einen gerichtlich gebilligten Vergleich schuldhaft verstoßen, so kann dies durch die Festsetzung eines Ordnungsgelds oder Ordnungshaft sanktioniert werden. Die Anwendung unmittelbaren Zwangs kommt als ultima ratio nur dann in Betracht, wenn die Festsetzung sonstiger Ordnungsmittel erfolglos blieb, deren Festsetzung keinen Erfolg verspricht oder die Vollstreckung besonders eilbedürftig ist.

Ebenso wie nach früherer Gesetzeslage waren die Gerichte bislang gleichwohl bei der Anordnung von Ordnungshaft eher zurückhaltend, so dass blockierende Elternteile durchaus die eigene eingeschränkte finanzielle Situation geradezu als „Vorteil“ erachteten, d.h. sie davon ausgingen, diese der Festsetzung eines Ordnungsgelds entgegen halten zu können und zudem darauf vertrauen zu dürfen, dass mit Blick auf Betreuungsbelange des Kindes, auch keine Ordnungshaft verhängt werde.

Zahlreiche Ordnungsmittelverfahren endeten daher bisher eher ergebnislos. Es zeichnet sich zwischenzeitlich allerdings eine gegenläufige Tendenz in der obergerichtlichen Rechtsprechung ab. Ebenso wie die Oberlandesgerichte in Thüringen und Schleswig-Holstein (vgl. zu dieser Thematik eingehend Cirullies, FamRB 2020, 241), hat auch das Saarländische Oberlandesgericht Ende 2019 die gegen einen blockierenden Elternteil festgesetzte Ordnungshaft dem Grunde nach bestätigt. Diese Praxis gewinnt in Corona-Zeiten besondere Aktualität, da viele betreuende Elternteile die Pandemie-Einschränkungen nutzen, um auch den Umgang des anderen Elternteils einzuschränken, wenn nicht gar vollständig auszuschließen. Dass dies nicht rechtens ist, ist mittlerweile h.M. (zuletzt OLG Braunschweig v. 20.5.2020 – 1 UF 51/20 – kein genereller Umgangsausschluss wegen COVID-19-Infektionsgefahr).

In dem zugrunde liegenden Sachverhalt hatten die Eltern für den achtjährigen Sohn durch gerichtlich gebilligten Vergleich eine Umgangsregelung getroffen, die seitens des Vaters – in dessen Haushalt der Sohn lebte – in der weiteren Folge unstreitig nicht umgesetzt wurde. Gegen eine gegen den Vater verhängte einmonatige Ordnungshaft legte er sofortige Beschwerde ein, der seitens des Senats nur teilweise abgeholfen wurde.

Zu der väterlichen Einschätzung, dass der gerichtlich gebilligte Vergleich dem Kindeswohl widerspreche, verwies der Senat darauf, dass dieser Einwand nicht im Vollstreckungsverfahren der Überprüfung zugänglich sei, sondern allein im Erkenntnisverfahren. Halte der Vater daher an dieser Einschätzung fest, so bedürfe es eines von ihm einzuleitenden Abänderungsverfahrens.

Ein Elternteil, der sich bei mangelnder Umsetzung einer Umgangsregelung auf den entgegenstehenden Willen des Kindes berufe, müsse im Einzelfall darlegen, wie er auf das Kind eingewirkt habe, um es zum Umgang zu bewegen. Unbeschadet der rechtlichen Unerheblichkeit einer solchen Weigerung bei einem gerade erst achtjährigen Kind, sei auch beachtlich, dass nach Verhängung des Ordnungsmittels der Umgang offensichtlich problemlos habe umgesetzt werden können.

Die Verhängung der Ordnungshaft sei im konkreten Fall beanstandungsfrei, da die – erneute – Festsetzung eines Ordnungsgelds keinen Erfolg versprochen habe, da der Vater Leistungen nach dem SGB II beziehe und vermögenslos sei. Eine andere Sicht rechtfertige sich auch nicht, soweit die Ordnungshaft mit Belastungen für das Kind verbunden sein könne, da eine solche Sichtweise das Elternrecht des umgangsberechtigten Elternteils unverhältnismäßig zurücksetze, zumal wenn der Aufenthalt des Kindes während der Ordnungshaft im Haushalt des anderen Elternteils gesichert sei und es keiner Fremdplatzierung bedürfe. Lediglich der zeitliche Umfang der erstinstanzlich festgesetzten Ordnungshaft von einem Monat begegne Bedenken. In die Gesamtabwägung seien Schwere und Ausmaß der Verletzungshandlung, deren Folgen für den Umgangsberechtigten, der zeitliche Umfang des Verstoßes, der Grad des Verschuldens des Verpflichteten, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und – vor allem – spezialpräventive Aspekte einzubeziehen. Unter Abwägung dieser Aspekte halte der Senat eine Ordnungshaft von fünf Tagen für ausreichend, um das Fehlverhalten zu ahnden, nachdem seit den Herbstferien 2019 der Umgang beanstandungsfrei verlaufe.

Die Verhängung der Ordnungshaft zu Lasten des betreuenden Elternteils mag auf den ersten Blick dem Kindeswohl entgegenstehen. Allerdings darf umgekehrt auch nicht verkannt werden, welche Belastungen wiederholte Vollstreckungsversuche bzw. die gänzliche Isolierung von dem anderen Elternteil für das Kind bedeuten, das mit seiner vordergründigen Kontaktablehnung in der Regel nur die Meinung des Obhutselternteils wiedergibt, auf dessen Wohlwollen es letztlich angewiesen ist.