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Commercial Courts – Deutsche Elite-Gerichtsbarkeit goes international – Zum Eckpunktepapier des BMJ vom 16.1.2023

Prof. Dr. Volker Römermann, CSP  Prof. Dr. Volker Römermann, CSP
Rechtsanwalt

Am 16.1.2023 veröffentlichte das Bundesministerium der Justiz „Eckpunkte zur Stärkung der Gerichte in Wirtschaftsstreitigkeiten und zur Einführung von Commercial Courts“. Das klingt vielversprechend.

I. Ausgangslage

Jetzt soll umgesetzt werden, was die Regierungsparteien in ihrem Koalitionsvertrag 2021-2025 verabredet hatten: „Wir ermöglichen englischsprachige Spezialkammern für internationale Handels- und Wirtschaftsstreitigkeiten.“ Nur auf diesen einen Satz nimmt das Eckpunktepapier Bezug, um sodann konzeptionelle Veränderungsideen aufzufächern, die der unbefangene Leser daraus kaum hätte erahnen können: Ausstattung des Gerichts mit moderner Technik, Online-Verhandlung, Wortprotokoll – alles Elemente, die mit der Gerichtssprache gar nichts zu tun haben, hier aber im selben Atemzug Erwähnung finden.

II. Zielsetzung

Mit den vorgeschlagenen Maßnahmen solle der Justiz- und Wirtschaftsstandort Deutschland nachhaltig gestärkt werden, wird im Anschluss an die Ist-Analyse die Zielsetzung des Vorstoßes beschrieben. Dabei könne „auf wertvollen Vorarbeiten der Länder“ aufgebaut werden.

Gemeint ist ein Experiment, das seit einigen Jahren in Stuttgart und Mannheim zu beobachten ist. Dort gibt es nämlich schon Commercial Courts und wer sich auf der dafür eingerichteten Webseite (https://commercial-court.de/) umschaut, wird verblüfft sein. Ein Justiz-Erlebnis kündigt sich den Prozessparteien an. „Die Top-Anlaufstelle bei wirtschaftsrechtlichen Streitverfahren“ wird dort selbstbewusst verkündet, darf man bei einem Gericht sagen: geprahlt? „Die“, nicht „eine“ Top-Anlaufstelle. Eine Alleinstellung offenbar. Man arbeite „hocheffizient“ – ein staatliches Gericht! – und sei „mit exzellenten Richterinnen und Richtern besetzt“, so weiter die Werbe-/Webseite der funktionierenden Commercial Courts.

Ein Schock für den, der richterliche Zurückhaltung, Anonymität, Sachlichkeit, Nüchternheit schätzt. Ein Labsal für den, der Transparenz, Offenheit, Nähe, die Menschen dahinter, Nachweise der zu erwartenden Qualität sucht. Was aber bedeutet die ambitionierte Ankündigung, heruntergebrochen auf die Details?

III. Die Eckpunkte im Einzelnen

  1. Verfahren in englischer Sprache vor den Landgerichten

Die Länder sollten vorsehen können, dass bestimmte Handelsstreitigkeiten an ausgewählten Landgerichten umfassend in der englischen Sprache geführt werden können. Die Parteien müssten sich dazu über die Verfahrenssprache Englisch einig sein und es müsse für die Wahl dieser Sprache einen sachlichen Grund geben. Das Verfahren, einschließlich der Entscheidung, solle dann vollständig in der englischen Sprache geführt werden.

Sachlicher Grund ist womöglich der Sitz mindestens eines Beteiligten im Ausland. Möglicherweise auch ein auf Englisch formulierter, dann in Streit befangener Vertrag. Ob es auch ausreicht, wenn die gesetzlichen Vertreter mindestens einer Partei des Deutschen nicht mächtig sind?

Gleiches wie in erster Instanz soll auch für Berufungen und Beschwerden gegen diese landgerichtlichen Entscheidungen gelten, die sodann auch vor dem jeweils zuständigen Senat des Oberlandesgerichts in der englischen Sprache verhandelt werden können.

  1. „Commercial Courts“ bei den Oberlandesgerichten

Für „große Handelssachen“ sollen die Länder erstinstanzliche Spezialsenate bei ihren Oberlandesgerichten einrichten dürfen. Das gilt generell, also unabhängig von der Ausrichtung auf eine englische Verfahrenssprache. Soweit der Streitwert eines Rechtsstreits eine bestimmte Schwelle, etwa von einer Million Euro, erreicht oder überschreitet, soll die direkte Anrufung des Commercial Courts beim OLG möglich sein, wenn alle Parteien einverstanden seien. Damit könne die Ebene des Landgerichts übersprungen werden, heißt es im Eckpunktepapier.

Schade, dass das Eckpunktepapier nicht an der Nomenklatur der in Stuttgart und Mannheim erprobten Praxis festhält: Commercial Court für die Kammern bei den Landgerichten, Commercial Court of Appeal für den Senat beim OLG. Stattdessen soll die Bezeichnung Commercial Court nach der Vorgabe des Eckpunktepapiers den erstinstanzlich zuständigen OLG-Senaten vorbehalten sein, während den Kammern beim LG keine besondere Bezeichnung zugedacht ist.

Auch bei den besonderen OLG-Senaten soll ein Verfahren auf Englisch möglich sein, wenn ein sachlicher Grund für die Verfahrenssprache Englisch besteht. Für die Verfahren vor den Commercial Courts beim OLG soll zudem die Möglichkeit der Erstellung eines Wortprotokolls eröffnet werden.

Diese Planung steht in gedanklicher Nähe zu den Referentenentwürfen für ein Gesetz zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung (Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz – DokHVG) vom 22. November 2022 und zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten vom 23. November 2022.

Die Kosten für Verfahren vor den Commercial Courts sollen auf OLG-Ebene den Kosten für Verfahren vor den Oberlandesgerichten entsprechen, mit anderen Worten: deutlich gesteigerte Qualitätsstandards zum gleichen Preis. Das kann sich insbesondere im Vergleich zur privaten Schiedsgerichtsbarkeit positiv auswirken, liegen die Honorare dort doch regelmäßig über den Gebühren ihrer staatlichen Pendants.

  1. Revision zum Bundesgerichtshof

Gegen eine Entscheidung der Commercial Courts auf OLG-Ebene soll die Revision zum BGH eröffnet sein. Eine umfassende Verfahrensführung in der englischen Sprache soll – im Einvernehmen mit dem zuständigen Senat des BGH – auch in der Revision möglich sein.

Es bleibt abzuwarten, ob die jeweiligen Senate in die ungewohnte Verfahrenssprache Englisch einwilligen werden. Auch wenn das von Senat zu Senat unterschiedlich gesehen werden könnte, kann der Verfasser dieser Zeilen eine gewisse Grundskepsis, ob sich überhaupt ein Senat dazu bereitfinden wird, nicht unterdrücken.

  1. Übersetzung, Geschäftsgeheimnisse, Öffentlichkeit

Zur Ermöglichung der Vollstreckung und zur Unterstützung der Rechtsfortbildung sollen, so das Eckpunktepapier, die englischsprachigen Entscheidungen in die deutsche Sprache übersetzt und veröffentlicht werden. Im Vollstreckungsbereich ist die Einrichtung englischsprachiger Stellen bei Gericht und Gerichtsvollziehern nicht vorgesehen.

Offenbar ist eine ausnahmslose Veröffentlichung der Entscheidungen vorgesehen ist. Der Ist-Stand zum Thema Veröffentlichungen von Gerichtsurteilen in Deutschland ist ernüchternd: Unter drei Prozent der im Namen des Volkes verkündeten Entscheidungen werden der Allgemeinheit bekanntgegeben. Auf einmal hat man im Angesichte des Wettbewerbs mit ausländischen Gerichten – wo deutlich höhere Veröffentlichungsquoten von bis zu 100 Prozent anzutreffen sind – und Schiedsgerichten offenbar eine Möglichkeit entdeckt, bisher angeführte Schwierigkeiten zu überwinden.

Geschäftsgeheimnisse sollen künftig umfassender als bislang im Zivilprozess geschützt werden. Dazu sollen die Verfahrensregelungen nach dem Geschäftsgeheimnisschutzgesetz auf den gesamten Zivilprozess ausgeweitet werden. Das Thema „Geheimnisschutz“ hat im Grunde weder mit der englischen Verfahrenssprache noch mit der Modernisierung der Prozesse etwas zu tun, sondern behandelt einen Bereich, in dem nun offenbar eine Regelungslücke bemerkt wurde, die schon immer vorhanden war.

IV. Fazit

Dem Wettbewerb mit ausländischen Handelsgerichten und Schiedsgerichten wie in London, Singapur, Paris und Amsterdam wolle man sich stellen, sagt das Eckpunktepapier. Das ist ein ambitioniertes Ziel, zumal wenn man deren Tradition oder zukunftsorientierte Dynamik betrachtet. Ist es auf absehbare Zeit erreichbar?

Die deutsche Gerichtsbarkeit hat einen hohen, auch international anerkannten Qualitätsanspruch. Man hat im BMJ erkannt, dass das allein nicht reicht. Internationale Rechtsdienstleistungen – und als solche wird man auch dieses Angebot einer qualifizierten Gerichtsbarkeit einordnen dürfen – kommen nicht umhin, sich ohne Anstrengung und Zusatzkosten der lingua franca unserer Zeit zu bedienen. Sie werden aber auch dann nur ein müdes Lächeln international aktiver Unternehmen ernten, wenn sie technisch nicht auf der Höhe sind und ihre Transparenz zu wünschen übrig lässt.

Man hat im BMJ gravierende Defizite der deutschen Gerichtsausstattung erkannt und setzt sie auf die gesetzgeberische Agenda. Dazu gehört – nun gleich in mehreren Gesetzesvorhaben – eine deutlich verbesserte Dokumentation durch Ton-, Bild- und Textaufzeichnung. Dazu gehört die bislang fehlende Transparenz richterlicher Qualifikation und der Entscheidungen selbst. Auch die Länge der Verfahren, nicht zuletzt aufgrund der drei Instanzen, wirkt auf potenzielle Beteiligte abschreckend.

Einige dieser Problemfelder werden flächendeckend angegangen, etwa die Dokumentation der Verhandlungen. Das allerdings bedingt größere Investitionen und Zeit, um überall die erforderliche Technik einzuführen. Der spezielle Bereich von Wirtschaftsstreitigkeiten kann und soll vorgezogen werden.

Andere Problembereiche werden offenbar nur begrenzt ins Visier genommen, was eine spätere Ausweitung natürlich nicht ausschließt. So liegt es nahe, die Gerichtssprache auch außerhalb wirtschaftsrechtlicher Auseinandersetzungen flexibler in Varianten zuzulassen als bisher. Bedarf dafür gäbe es sicher auch in anderen Rechtsmaterien. Und auch für Dialog von Gericht und Beteiligten und für Spezialisierung und Qualifikation der Richter gibt es sicherlich nicht nur im Wirtschaftsrecht Nachfrage.

So erweist sich das Eckpunktepapier als bunte, heterogene Mischung von anstehenden, zum Teil schon seit Jahren fälligen Veränderungen. Nichts spricht dagegen, sie möglichst rasch in ein Gesetz zu gießen und umzusetzen. Um sogleich das Ausrollen auf andere Rechtsmaterien und Verfahrenszweige vorzusehen. Woher sollten ernsthafte, überzeugende Argumente gegen Dialog, gegen moderne Technik oder gegen Richterqualität kommen? Nicht zähe Diskussionen sind jetzt gefragt, sondern zeitnahe Umsetzung. Möge das Eckpunktepapier zügig zum Gesetzentwurf erstarken!

Mehr zum Autor: Prof. Volker Römermann, CSP ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, Insolvenzrecht und Arbeitsrecht und Vorstand der Römermann Rechtsanwälte AG, Hamburg. Zudem ist er Direktor des Forschungsinstituts für Anwaltsrecht der Humboldt-Universität zu Berlin. Seine Schwerpunkte sind Berufsrecht, Gesellschaftsrecht und Insolvenzrecht.

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