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Musterfeststellungsklage – BMJV veröffentlicht Diskussionsentwurf – was ändert sich gegenüber dem Referentenentwurf?

Prof. Dr. Caroline Meller-Hannich  Prof. Dr. Caroline Meller-Hannich

Nach dem „geheimen“ Referentenentwurf (RefE) – dazu dieser Blogbeitrag vom Februar 2017  – hat das BMJV nun einen Diskussionsentwurf für eine Musterfeststellungsklage (DiskE) vorgelegt. Er ist seit Kurzem auf der Homepage des BMJV als Gesetzgebungsvorhaben veröffentlicht und wurde bereits an interessierte Verbände zur Stellungnahme versandt. Zwischen den Entwürfen gibt es eine Reihe von sehr entscheidenden Unterschieden.

  1. Einengung des Anwendungsbereichs

Die Musterfeststellungsklage hat ihren relativ weiten Anwendungsbereich zwischen RefE und DiskE verloren. Während der RefE allein an den Begriff des „Rechtsverhältnisses“ anknüpfte, verlangt der DiskE ein „Rechtsverhältnis zwischen Verbrauchern und Unternehmern“. Der DiskE ist also auf Verbraucherangelegenheiten beschränkt und bezieht Gewerbetreibende und sonstige Unternehmen nicht mehr ein. Das ist gerade bei Massenschäden ein entscheidender Nachteil, da nun deliktsrechtliche Ansprüche aus Verschuldens- und Gefährdungshaftung und die durch rechtswidrige Geschäftspraktiken entstandenen Schäden kleinerer und mittlerer Unternehmen nicht mehr Verfahrensgegenstand sein können. Der Anwendungsbereich sollte also wieder erweitert werden.

  1. Reduzierung der klagebefugten Einrichtungen

Klagebefugt sind nur noch die qualifizierten Einrichtungen, die beim Bundesamt der Justiz oder im Verzeichnis der Europäischen Kommission eingetragen sind. Dazu gehören vor allem inländische und ausländische Verbraucherzentralen, -vereine und -verbände. Weder die Industrie- und Handelskammern (IHK) und Handwerkskammern noch die rechtsfähigen Verbände zur Förderung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interessen sind klagebefugt. Es kommt damit übrigens zu solchen pikanten Details, dass eine griechische oder slowenische Industrie- und Handelskammer, die nach ihrem nationalen Recht zur Durchsetzung von Verbraucherrechten berechtigt und in die Liste der Kommission eingetragen ist, klagen kann – nicht aber eine deutsche IHK. Da die Verbandsklageaktivität der IHK und Handwerkskammern in Deutschland aber bislang ohnehin nicht spürbar ist, ist ihr Ausschluss aus der Klageberechtigung kein großer Verlust. Anders sieht es freilich bei den rechtsfähigen Verbände zur Förderung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interessen aus. Darunter fallen auch die mehr als 5000 Innungen in Deutschland und die große Anzahl der Berufs- und Wettbewerbsverbände. Sie sind regelmäßig klageaktiv, wobei hier die Wettbewerbszentrale mit tausenden von Klagen und Abmahnungen jährlich herausragt. Sie sollte nicht außen vor bleiben, zumal das Wettbewerbsrecht inzwischen ausdrücklich auch dem Schutz der Verbraucher dient.

  1. Erhöhung des Quorums

Der RefE sah noch vor, dass durch die klagebefugte Einrichtung mindestens 10 Fälle anhand konkreter Anhaltspunkte dargelegt werden, die von dem Musterverfahren betroffen sind. Der DiskE erhöht auf 50 Verbraucher und stellt sogar eine Erhöhung auf 100 Betroffene zur Debatte. Außerdem muss die Betroffenenzahl nun glaubhaft (§ 294 ZPO) gemacht werden. Dafür soll „die detaillierte Beschreibung einschließlich der Angaben zu allen zur Begründung des Feststellungsziels dienenden tatsächlichen oder rechtlichen Umstände … konkreter Fälle mit Einwilligung der Betroffenen genügen“. Allein das Einholen der Einwilligungen und die Darlegung dürfte bei 50 oder 100 Fällen einen derartigen Aufwand machen, dass genau das passiert, was wir von der Einziehungsklage nach § 79 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ZPO bislang schon kennen: Sie findet nicht statt, weil sie nicht organisierbar ist. Es ist also dringend zu raten, das Quorum und die Darlegungslast zu den einzelnen Fällen nicht zu erhöhen.

  1. Einschränkung der Bindungswirkung

Während der RefE nur eine einseitige Bindung zu Gunsten der angemeldeten Verbraucher vorsah, stellt der DiskE auch eine beiderseitige Bindung zur Debatte. Das macht die Klage natürlich für den Beklagten attraktiver, da weitere Individualklagen effektiver ausgeschlossen werden können. Es trägt auch zur abschließenden Erledigung eines Gesamtschadensereignisses bei. Eigene Beteiligungsrechte der Anmelder gibt es im Gegenzug allerdings nicht. Für Verjährungswirkung und Bindungskraft genügt eine Anmeldung zum Verfahren, die bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung im Musterverfahren möglich ist, allerdings nicht mehr nach Kenntnis des Musterurteils. Ohne Beteiligungsrechte auch an ein negatives Urteil gebunden zu sein, verstößt allerdings gegen das rechtliche Gehör. Das Gesetz sieht auch keine Wahrnehmung der prozessualen Rechte der Anmelder durch den Kläger oder etwa nachlaufende Beteiligungsrechte der Anmelder vor. Zur Vermeidung eines Grundrechtsverstoßes muss das Gesetz deshalb entweder zu der einseitigen Bindung zurückkehren, oder gewährleisten, dass die Betroffenen ihre Beteiligungsrechte andersgeartet, ggf. über einen Repräsentanten, wahrnehmen.

  1. Keine Leistungstitel, Vergleich

Nicht vorgesehen ist – sowohl im RefE als auch im DiskE – eine Entschädigungsphase nach Abschluss des Musterverfahrens. Die Geschädigten müssen ihre Leistungsansprüche auch zukünftig auf der Grundlage des Musterentscheids in Einzelklagen durchsetzen. Damit werden die hinlänglich bekannten Probleme des behäbigen und umständlichen Verfahrens nach dem Kapitalanlegermusterverfahrensgesetz (KapMuG) nicht behoben. Bis die Individualverfahren abgeschlossen sind und individuelle Leistungsansprüche tituliert sind, können Jahre vergehen.

Immerhin sieht der Entwurf einen kollektiven und gerichtlich geprüften Vergleichsschluss vor, den die Angemeldeten aber nicht annehmen müssen. Hierzu können sie sich auch noch bis zur öffentlichen Bekanntmachung der gerichtlichen Genehmigung anmelden. Im Hinblick auf das Bedürfnis nach einer Gesamterledigung komplexer Schadensereignisse ist dies eine realistische Option schneller Anspruchs-durchsetzung. Insbesondere die Möglichkeit eines späten Opt in nach Kenntnis des Vergleichs ist eine gute Idee.

 

Mehr zum Autor: Prof. Dr. Caroline Meller-Hannich ist Professorin an der Universität Halle-Wittenberg und hat dort den Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Zivilprozessrecht und Handelsrecht inne. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im nationalen und internationalen Zivilverfahrensrecht, einschließlich Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht.

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